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IV.

Ueber

das Wappen und die Siegel der

Grafen vom Schwerin,

von

Dr. W. G. Beyer , Archivrath.


M erkwürdiger Weise war das viel besprochene älteste Siegel der Grafen von Schwerin trotz aller ältern und neuern Zeichnungen desselben bisher noch niemals vollständig und in allen seinen Theilen genau und richtig beschrieben, und noch weniger hat man die allmähligen Veränderungen in der Zeichnung gehörig beachtet. Ein Baum mit zwei Lindwürmern, oder zwei Lindwürmer an einem Baume: das war in der Regel alles! Diese Beschreibung scheint aber in doppelter Beziehung irrig und ungenau zu sein.

Was zunächst den sogenannten Baum betrifft, in welchem man das freilich nirgends nachgewiesene, alte Stammwappen der Edlen v. Hagen zu erkennen glaubt, so fehlt derselbe in den beiden ältesten Siegeln der Grafen Gunzelin II. (1195-1220) und Heinrich I. (1174-1228), an einer Urkunde vom Jahre 1217, ganz. (Vgl. die Abbildungen im M. U.=B. I, Nr. 231, S. 218, und oben S. 102.) Statt dessen zeigt das erstere, runde Siegel ungefähr in der Mitte der beiden Lindwürmer eine deutliche heraldische Lilie und am untern Rande des Siegels zwischen den Schwänzen derselben eine dreieckige Figur mit einer Senkung in der obern Seite, woraus ein kurzer Stiel hervor=

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wächst, das zweite, schildförmige Siegel aber nur eine Lilie zwischen den geöffneten Rachen der beiden Thiere. Jene dreieckige Figur am untern Schildrande halte ich mit Rücksicht auf die spätre Ausbildung der Zeichnung für ein gespaltenes Herz. - Auf einem jüngern, gleichfalls schildförmigen Siegel eben dieses Grafen Heinrich vom Jahre 1224 (vgl. die Abbildung im M. U.=B. I, Nr. 305, S. 293) ist diese Zeichnung schon bedeutend modificirt, ihr Grundcharacter aber unverändert. Der in den Siegeln Gunzelins von 1217 durch den kurzen Stiel nur angedeutete Zusammenhang der herzförmigen Figur am untern Siegelrande mit der Lilie ist hier vollständig entwickelt, indem aus dem jetzt schon deutlicher zu erkennenden Herzen mitten zwischen den beiden Lindwürmern ein hoher, den ganzen Schild spaltender baumartiger Stamm hervorwächst, welcher oben mit drei Lilien gekrönt ist, unter welchem sich auf jeder Seite noch ein Ast mit je zwei Lilien abzweigt, weiter hinunter aber noch 2 Mal je zwei Blüthen hervorbrechen. Daß wir hier keinen Baum, sondern eine Lilienstaude vor uns haben, geht unzweifelhaft theils aus der einfachem Form in den ältern Siegeln, theils aus der Vergleichung mit den durchaus ähnlichen Zeichnungen der Lilie der heiligen Jungfrau hervor. So hält z. B. in dem Siegel des Propstes Arnold zu Dobbertin vom Jahre 1302 das Christkind und in dem Siegel des Bischofs Hermann von Schwerin von 1315 die Jungfrau eine dreifache, aus dem gespaltenen Herzen hervorwachsende Lilie auf hohem Stengel, welche der Krone unsers sogenannten Baumes vollkommen gleich ist. Die ganze Zeichnung aber erinnert zugleich an den " Lilienbusch", welchen die niedersächsische Kaufmannsinnung zu Wisby auf Gothland schon im Anfange des 12. Jahrhunderts in ihrem Siegel führte. - Ganz eben so sind endlich die 3 ältesten schildförmigen Siegel des Grafen Gunzelin III. (1228 bis 1274) an Urkunden aus den Jahren 1227, 1248 und 1252 gezeichnet (vgl. Abbildungen im M. U.=B. I, S. 331, 581, und II, S. 28), nur daß auf den beiden letztern unmittelbar aus dem hier vollkommen deutlich gezeichneten Herzen neben dem Stamme noch zwei Lilien hervorsprossen. - Dagegen führte eben dieser Graf an einer Urkunde aus demselben Jahre 1252 ein neueres Schildsiegel, auf welchem diese Mittelzeichnung abermals sehr wesentlich verändert ist (vgl. Abbildung im M. U.=B. I, Nr. 704, S. 29). Statt des Herzens sieht man hier eine dreigetheilte Wurzel und statt der Lilien auf hohem, glattem Stamme

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eine rankenartig verschlungene Baumkrone mit zahlreichen sternförmigen Blüthen. Ganz ähnlich sind dann die Siegel der Grafen Helmold III. (1251-1296) von 1270 (vgl. Abbildung im M. U.=B. II, Nr. 1185, S. 378, Nr. 2) und seines Bruder Nicolaus I. (1282-1313) von 1279 und 1289 (vgl. Abbildung im M. U.=B. II, Nr. 1492, S. 605). Der Grund dieser Abweichung ist allerdings schwer zu errathen, doch liegt ihr wahrscheinlich nur ein Mißverständniß des Stempelschneiders zum Grunde, dem ein schlechter unklarer Abdruck als Muster vorliegen mochte, oder aus andern Gründen der Sinn und die Bedeutung der Darstellung entging. Dafür scheint namentlich zu sprechen, daß in diesen neuern Siegeln auch die Spitze des Schwanzes der Lindwürmer, welcher in den vorhergehenden in einer Lilie auslief, jetzt gleichfalls als eine dreigetheilte Wurzel erscheint, genau wie die des Baumes.

Eben so unrichtig, als die Auffassung der Zeichnung des Emblems zwischen den beiden Lindwürmern, ist es aber, wenn man diese selbst als an dem sogenannten Baume sitzend darstellt. Sie sind vielmehr mit den Krallen und dem ganzen Körper von der zwischen ihnen stehenden Lilie abgewendet, sichtlich in fliehender Stellung gezeichnet, indem sie nur den Kopf mit dem offenen Rachen zornig rückwärts wenden. Und diese Stellung ist gewiß nicht zufällig, da sie auf allen vorhandenen Siegeln vollkommen übereinstimmt.

Nach dieser Erläuterung der Zeichnung scheint es mir nun nicht zweifelhaft, daß wir es hier mit einer christlichen Symbolik zu thun haben, wie sie uns in der Kunst des Mittelalters so häufig begegnet. Aber auch die Deutung des ganzen Bildes liegt so nahe, daß man nicht fehlgreifen kann. Wir wissen, daß die Lilie das Symbol der christlichen Reinheit und des aus dem Blute seines Stifters erwachsenen Christenthums selbst ist, der Lindwurm oder der Drache aber ist während des ganzen Mittelalters bei Dichtern, in christlichen Legenden und Bauornamenten vorzugsweise das Symbol des Heidenthums. Unser Siegelbild stellt also den siegenden, mitten in das fliehende Heidenthum gepflanzten christlichen Glauben, oder die nach Besiegung der Heiden in den eroberten wendischen Ländern gegründete christliche Kirche vor. Eine ganz ähnliche Symbolik findet sich häufig, ist aber gewiß nirgends passender, als auf dem Siegel der Grafen von Schwerin, der ersten Gründer des neuen christlichen Staates im Wendenlande. Ich zweifle daher auch nicht, daß die Ge=

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brüder Gunzel II. und Heinrich I. dies Siegel schon von ihrem Vater, Gunzel I., dessen Siegel sich nicht erhalten hat, entlehnt haben werden, jedenfalls aber wird man dasselbe bei den Vorfahren der Grafen in ihrer sächsischen Heimath, den Edlen v. Hagen und deren Sippe, vergebens suchen.

Ist nun das Drachensiegel gleichsam ein Denkmal, welches die Gründer der neuen Ordnung der Dinge in dem Slavenlande, der "nova plantatio", wie es in den Urkunden heißt, sich selber setzten, so erinnert das Roßsiegel lebhaft an die alte sächsische Heimath der Grafen. Das Roß war bekanntlich das Schildzeichen der alten sächsischen Herzoge, welches noch heute in dem Lüneburger Wappen seinen Platz hat, und von der Sage auf Wittekind, dem Stammvater des Geschlechtes, zurückgeführt wird. Da nun außer den Herzogen auch fast alle sächsische Dynastengeschlechter ihre Abstammung von Wittekind abzuleiten suchten, so ist es mindestens nicht unwahrscheinlich, daß unsre Grafen durch Annahme des Roßsiegels im Gegensatze zu ihrer gegenwärtigen Stellung im Slavenlande auf jene edle Herkunft hinzuweisen und die Erinnerung daran zu erneuern wünschten. Es ist dies um so wahrscheinlicher, als auch das im Lüneburgischen angesessene gräflich Schwerinsche Vasallengeschlecht der v. Schwerin und v. Grote ein Roß im Wappen führte, was ungeachtet des Zaumes ohne Zweifel mit dem gräflichen Wappen zusammenhängt, mag man nun diese Uebereinstimmung durch das erwähnte Lehnsverhältniß oder durch eine ursprüngliche Stammverwandtschaft erklären 1 ). Die ritterliche Familie v. Schwerin tritt übrigens schon im Anfange des 13. Jahrh. unter diesem Namen in der Umgebung der Grafen auf, und wenn auch ihr Siegel erst später vorkommt, so ist doch kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß sie ihr ursprüngliches Schildzeichen später geändert hätte, woraus dann zugleich folgt, daß das Roß schon in früherer Zeit das Emblem der Grafen oder vielleicht schon ihrer Vorjahren, der Edlen v. Hagen, war, wenngleich Graf Helmold III. (1251-95), so viel wir wissen, der Erste war, der dasselbe um 1270 in sein Siegel aufnahm (vgl. Abbildung im M. U.=B. II, Nr. 1201, S. 393). Die persönliche Stellung Helmolds macht es auch sehr wohl begreiflich, weshalb er sich grade in dieser Zeit, kurz vor dem Tode seines Vaters Gunzel III.,


1) Die v. Grote behaupteten früher, aus hohem Adel zu stammen, wie die v. Hodenberg und andere, welche diesen Stand später vermuthlich durch Mißheirath verloren.
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(† 1274) zu diesem Wechsel seines Siegels entschloß, während sein jüngerer Bruder Nicolaus das Drachensiegel beibehielt. Aus dem Eingange zu der gräflichen Lehnrolle über die Besitzungen jenseit der Elbe geht nämlich hervor, daß Helmold nach dem Tode seines Vaters in diesem Gebiete als alleiniger Nachfolger desselben die Regierung antrat und die sämmtlichen Lehne bestätigte, woraus man schließen darf, daß die erst später vollständig durchgeführte Landestheilung der Brüder schon von dem Vater angeordnet sei, und diese Vermuthung wird denn auch durch den Vergleich Helmolds mit dem zweiten Bruder Gunzel IV. vom 2. August 1276 vollkommen bestätigt, indem Letzterer, welcher inzwischen den geistlichen Stand erwählt hatte, nunmehr wegen seines Antheils an der Erbschaft, den der Vater ihm ausgesetzt hatte (quam sibi quondam pater assignaverat), durch Ueberweisung des Landes Doberen in Pommern abgefunden ward 1 ). Helmold scheint also das neue Siegel als Inhaber der überelbischen Besitzungen der Familie angenommen zu haben.

Aehnliche Verhältnisse dürften dann später auch die Veranlassung zur Annahme des dritten Siegels mit dem getheilten Schilde geworden sein. In den letzten Lebensjahren Helmolds († 1295) scheint nämlich zwischen ihm und seinem Bruder Nicolaus ein neues Abkommen wegen der überelbischen Besitzungen getroffen zu sein. Vom Jahre 1294 an tritt nämlich Nicolaus als Mitregent Helmolds in dieser Gegend auf 2 ), während beide Brüder in der diesseitigen Grafschaft nach wie vor getrennt regierten 3 ), und jene Gemeinschaft dauerte auch nach Helmolds Tod zwischen seinen Söhnen und ihrem Oheim Nicolaus fort. Nicolaus selbst behielt nun zwar gleichwohl das alte Siegel mit den Lindwürmern bei, während das Roßsiegel auf die Söhne


1) Bisher war man der Ansicht, daß Helmold bei der Erbtheilung das Land Boizenburg erhalten habe, weshalb ich seine Stellung über der Elbe aus der Nachbarschaft beider Besitzungen erklärte. Dies war freilich ein Irrthum, wie aus den neuesten gründlichen und vollständig überzeugenden Forschungen Wigger's hervorgeht. Die Wahrheit ist aber meiner Vermuthung auch bei weitem günstiger, als der Irrthum. Durch eine Teilung, in welcher Helmold, als ältester Sohn, das Land Schwerin mit den zerstreuten Besitzungen jenseit der Elde in Neustadt (Brenz) und Marnitz erhielt, Nicolaus aber Boizenburg, Wittenburg mit Hagenow und Vantzkow und Crivitz mit Zellesen, würde jener offenbar so bedeutend verletzt sein, daß er seine Entschädigung nur jenseit der Elbe gefunden haben kann.
2) M. U.=B. Nr. 2276, 2284, 2286 und 2346.
3) M. U.=B. Nr. 2352 (Helmolds letzte Urkunde vom 28. August 1295) und Nr. 2275 und 2380 (Urkunden des Nicolaus von 1294 und 96).
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des Helmold vererbte, aber nach dem Tode des Nicolaus 1323, oder nach Wigger's Mittheilung schon früher, nahm dessen Gemahlin Merislava den getheilten Schild an, den denn auch ihr Sohn Nicolaus III. beibehielt 1 ). Ich glaube daher in diesem neuen Siegel eine Hindeutung auf die beiden Landestheile dies= und jenseit der Elbe zu erkennen, also eine Vereinigung beider älterer Siegel, wobei man die Wappenbilder wegließ, weil namentlich die zusammengesetzte symbolische Darstellung auf dem ältern Siegel für die Hälfte des an sich nicht sehr großen Schildes zu viel Raum erfordert hatte. Hierin bestärkt mich noch der zweifache Umstand, daß wirklich statt des einen getheilten Schildes auch zwei zusammengestellte Schilde vorkommen, und daß Heinrich III. von der altern Schweriner Linie 1330 neben dem großen runden Roßsiegel in seinem Siegelringe auch den getheilten Schild führte.

 

Vignette

1) Ich folge hier der genealogischen Ordnung Wigger's.