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Aufruf

zu einer Sammlung

von

Meklenburgs Sagen, Märchen
und Gebräuchen.


Die volksthümlichen Ueberlieferungen, wie sie in Sagen und Märchen, in den an große und kleine Ereignisse des Lebens sich anlehnenden Gebräuchen seit uralter Zeit von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzen, gehen mit raschem Schritte ihrem Erlöschen entgegen. Wer ein gewisses Alter erreicht hat, kann aus eigener Erfahrung bezeugen, daß Ueberlieferungen, die noch in seiner Kindheit lebten, nach einem Menschenalter verschwunden waren. Es ist nicht schwer, die Ursache dieser Erscheinung zu erkennen: sie liegt vor allem in dem gesteigerten Verkehr, der Stadt und Land, Städte und Länder mit einander verbindet und im Länder durchbrausenden Dampfroß zur sichtbaren Erscheinung wird. In den Wellen des Meeres reiben die Kieselsteine sich rund an einander, jeder einzelne verliert seine eigenthümliche Gestalt: ähnlich ist es bei dem Menschen im Verkehr mit der Außenwelt. In der Abgeschlossenheit eines Gebirgsthales, einer Insel erhalten sich Eigenthümlichkeiten länger und treuer, in Sprache, in Tracht, in Sitte. Wer an der Heerstraße liegt, wird in den Strudel des Verkehrs hineingezogen und geht aus ihm mit Aufgeben seiner Besonderheit hervor. Daß auch die vorschreitende Bildung des Volkes bis in seine

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untersten Schichten dazu beiträgt, alte Ueberlieferungen zu zerstören, wird Niemand leugnen, ohne daß er deswegen das Recht und die Nothwendigkeit, das Volk zu bilden, bestritte. Die Tatsache steht fest: jene Ueberlieferungen schwinden, erblassen, ersterben; sie aufzuzeichnen und zu sammeln ist daher die höchste Zeit.

Ihre Bedeutung und Wichtigkeit reicht in die ferne Vorzeit zurück. In Sagen und Märchen, in Aberglauben und Bräuchen lebt ein gut Theil von dem heidnischen Glauben der Germanen fort; aus ihnen erbaute die Meisterhand Jacob Grimm's das Gebäude der deutschen Mythologie, und seitdem hat man in allen Gauen Deutschlands sorgsam jene Zeichen der Vergangenheit gesammelt. Es braucht Niemand zu fürchten, daß durch Aufzeichnen derselben ihr Fortleben begünstigt werde und dadurch dem Gedeihen christlichen Sinnes Schaden erwachse; aufgezeichnet oder nicht, das eherne Gesetz der Nothwendigkeit führt sie dem Vergessen entgegen.

In Meklenburg fehlt es an Volksüberlieferungen durchaus auch heute noch nicht und manches zu ihrer Aufzeichnung ist schon geschehen, doch fehlt es noch an einer nach allen Seiten greifenden, systematisch angelegten Sammlung. Daher geht unsere Bitte an alle, die ein Herz haben für deutsche Art und Wissenschaft: daß sie den Sagenschatz der Vorzeit sammeln und festhalten helfen, ehe er unwiederbringlich verloren ist.

Naturgemäß ist auf dem Lande der ergiebigste Boden, in den unteren Schichten der reichste Gewinn zu erwarten; das Alter bewahrt einen größeren Schatz als die Jugend; aber auch der Stadtbewohner, auch der jüngere, wird manches zu verzeichnen haben, und Jedem wird aus seiner Erinnerung manche Sage, mancher Brauch einfallen, der bewahrt zu werden verdient. Geistliche und Lehrer, mit den Sitten des Volkes am meisten vertraut, werden vorzugsweise Gelegenheit haben, dem schweigsamen, oft zurückhaltenden Volksmunde seine Geheimnisse abzulauschen, und der Landmann wird, was er besitzt, gern hergeben, wenn er sieht, daß man keinen Spott damit treiben will, daß man ein liebevolles Verständniß für diese Ueberlieferungen mitbringt.

Treueste Aufzeichnung ohne jeglichen Schmuck der Rede ist vor Allem erwünscht: der eigenen Zuthat sich zu enthalten, erfordert die Achtung vor hundertjähriger Ueberlieferung. Jeder Ueberlieferung ist der Name des Ortes, an welchem sie vorkommt, beizufügen, auch der Name desjenigen, aus dessen Munde sie aufgezeichnet wurde. Auch

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wird es willkommen sein, wenn bei plattdeutscher Ueberlieferung die Sprache beibehalten wird.

Die Sammlung, welche wir beabsichtigen, umfaßt:

I. Sagen und Märchen.

II. Aberglauben und Gebräuche. Namentlich ist hier die Aufmerksamkeit auf folgende Punkte zu richten:

1) Gebräuche, die sich an die großen Feste des Jahres, Weihnacht, Ostern, Pfingsten, aber auch an andere bedeutsame Tage, als Michaelis, Martini, Andreas (30. November), Nicolaus=Tag (6. December), Neujahr und die unmittelbar vorhergehenden und folgenden Tage, die sogenannten Zwölften, Antoni, Lichtmeß, Peters=, Mathias=-Tag, Fastnacht, Lätare und Johannis=Tag anknüpfen. Auch die Frühlingsfeier gehört hierher.

2) Gebräuche im Anschluß an die Wochentage, z. B. Wahl derselben für bestimmte Handlungen, Viehaustreiben, Hochzeiten u. s. w.

3) Erntegebräuche und alles, was sich auf die Bestellung des Feldes bezieht.

4) Aberglaube, der sich an Haus und Hof anknüpft, gute und böse Vorbedeutung beim Bau der Häuser, An= und Abziehen der Knechte und Mägde, Brotanschneiden u. s. w.

5) Haus und andere Thiere und ihre Bedeutung im Volksglauben, namentlich: Kühe, Pferde, Schweine, Katzen, Hunde, Störche, Schwalben, Kukuk, Marienkäfer, Spinnen.

6) Aberglaube, der sich an Sonne und Mond, Sterne, Wolken, Wetter, Wind, Feuer anlehnt.

7) Gebräuche, die sich auf Geburt und Taufe, Hochzeit, Tod und Begräbniß beziehen.

8) Aberglaube, der sich an Krankheiten anschließt, nebst Besprechungsformeln von Krankheiten bei Menschen und Thieren.

9) Zauber= und Segenssprüche.

Bereits haben eine Reihe von Männern dem Unternehmen ihre Theilnahme und Unterstützung zugesagt: wir nennen:

Archivar Dr. Beyer zu Schwerin,
Lehrer John Brinckmann zu Güstrow,

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Gymnasiallehrer Dr. Brummerstädt zu
Rostock, Pastor Danneel zu Ludwigslust,
Secretair L. Fromm zu Schwerin,
Burgemeister Dr. Hall zu Sülz,
Gymnasiallehrer Dr. Holsten zu Rostock,
Seminar=Director Kliefoth zu Neukloster,
Gymnasial=Director Krause zu Rostock,
Gymnasiallehrer Dr. Krüger zu Rostock,
Gymnasiallehrer Dr. Latendorf zu Schwerin,
Archivrath, Pastor Masch zu Demern bei Rhena,
Gymnasiallehrer Dr. Nölting zu Wismar,
Gymnasiallehrer Dr. Sandvoß zu Friedland,
Präpositus Dr. Schencke zu Pinnow bei Schwerin,
Oberlehrer Dr. Schiller zu Schwerin,
Lehrer Struck zu Waren,
Gymnasiallehrer Dr. Wendt zu Rostock,
Dr. Wiechmann auf Kadow bei Crivitz,
Gymnasiallehrer Dr. Wilbrandt zu Rostock.

Wir hoffen, daß unser Unternehmen im Hinblick auf den wissenchaftlichen Zweck die allgemeinste Theilnahme finden und daß auf diese Weise der Quellenschatz meklenburgischer Volksüberlieferung noch zu rechter Zeit gerettet werde.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog hat das Unternehmen mit Allerhöchster Theilnahme zu begrüßen und zu unterstützen geruht.

Der Verein für Meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde hat seine Beförderung zugesagt und wird in seinen Berichten diesen Aufruf zum Abdruck und weiterhin über den Fortgang des Unternehmens Nachrichten bringen.

Alle Beiträge bitten wir möglichst kostenfrei an einen der Unterzeichneten zu senden.

Rostock und Schwerin im Januar 1867.

Dr. K. Bartsch, Dr. G. C. F. Lisch,
Professor der deutschen Sprache und Literatur an der Landes=Universität. großherzoglicher Archivrath und Conservator der Geschichts= und Kunst=Denkmäler

 

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