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Zur Alterthumskunde.


Vorchristliche Zeit.

a. Steinzeit.


Hünengrab von Nesow,

von

G. C. F. Lisch.

Auf dem Felde des Domanialhofes Nesow bei Rehna, auf dem Ackerschlage im "Siedenlande", nahe bei der Wiese "Kellendiek", ward ein Grab aufgefunden, welches wohl der ältesten Zeit der Steinperiode angehört.

Das Grab war eigenthümlich gebauet und mag wohl zu weiter reichenden Forschungen Veranlassung geben. Das Grab lag nämlich unter der Erdoberfläche, so daß der Pflug darüber hinweggehen konnte und auch seit Menschengedenken immer darüber hinweggegangen ist. Nur an einer Stelle pflegte der Pflug an einen Stein zu stoßen. Diese Stelle ward in neuern Zeiten bezeichnet, und als zum Bau eines neuen Schafstalles Steine notwendig wurden, ward im März 1864 hier nachgegraben. Statt eines großen Steines fand man aber ein ganzes Grab. Der Herr Archivrath Pastor Masch in dem benachbarten Dorfe Demern war so glücklich, von dem Wirthschafts=Inspector zu Nesow, welcher die Ausgrabung geleitet hatte, die folgenden zuverlässigen und genauen Nachrichten über dieses Grab zu gewinnen.

Dieses unterirdische Grab hatte im Innern eine Länge von 12 Fuß von Westen nach Osten und eine Breite von

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reichlich 3 Fuß. An jeder Langseite standen 2 große Tragsteine von Granit, mit den ebenen Flächen nach innen gekehrt. Die beiden Tragsteine im Westen waren mindestens 6 Fuß lang. die beiden Tragsteine im Osten waren etwas kürzer, ungefähr 4 bis 5 Fuß lang, und auch nicht so dick wie die westlichen; diese Tragsteine standen auf der hohen Kante, wenn auch nicht mehr ganz senkrecht. Diese Tragsteine waren unten von innen und außen und in den Lücken der Zusammenfügung fest mit vielen kleinen Steinen von Faustgröße bis Kopfgröße verpackt, so daß 5 starke Fuder abgefahren wurden. Die ganze Steinkiste war oben offen und außer mit den Packsteinen mit Sand gefüllt, welcher mit alter Ackerkrume gemischt war. Die Steinkiste war jedoch nicht allein oben, sondern auch gewissermaßen an beiden Enden offen. Am offenen Westende aber "lag schräge" ein großer Stein, etwa 5 1/2 Fuß lang und 3 bis 4 Fuß breit und dick; am offenen Ostende lag ebenfalls schräge" ein kleinerer Stein, ungefähr 3 Fuß lang, breit und dick. Mehr als wahrscheinlich waren diese beiden Steine, welche an den beiden Enden schräge lagen, früher die Decksteine gewesen, welche auf den Tragepfeilern geruhet und aus der Erdoberfläche hervorgeragt hatten. Da sie aber hiedurch der Beackerung hinderlich waren, so hat man, nach früher beliebter Weise, an beiden Enden Gruben gegraben und die Decksteine hineingestürzt, den leeren obern Raum der Kiste aber mit Ackererde gefüllt. Wir haben hier also ein vollständiges Steinhaus unter der Erde mit 2 Decksteinen. - Von den 6 großen Steinen wurden 80 laufende Fuß granitene Thürschwellen gespalten.

Diese Begräbniß=Steinhäuser unter der Erde gleichen also den Höhlenwohnungen für die Lebenden, welche zu Dreveskirchen entdeckt sind (vgl. oben S. 123 flgd.). Bei dem Ausgraben der Steine ward in der Tiefe eine sehr schöne und merkwürdige Lanzenspitze aus Feuerstein gefunden, welche der Wirthschafts=Inspector dem Herrn Archivrath Masch und dieser wieder dem Verein schenkte. Diese Lanzenspitze, welche unten weiter zur Untersuchung gezogen werden soll, ist 19 Zoll (24 Centimetres) lang, 1 3/4 Zoll breit, in der Mitte 3/8 Zoll dick, fast wie eine kurze zweischneidige Schwertklinge, großmuschelig geschlagen, an den scharfen Kanten sehr fein und ganz grade gekröselt, ohne (schmales) Heft, sondern am Schaftende breit abgestumpft; als große Seltenheit ist die Klinge an beiden Enden ein wenig angeschliffen.


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Unterirdische Steingräber.

Man hat bisher allgemein angenommen, daß die Gräber der Stein= und Bronzezeit auf dem natürlichen Erdboden errichtet sind. Aus dem in den voraufgehenden Zeilen geschilderten Grabe von Nesow wird es gewiß, daß es in den ältesten Zeiten auch Gräber gab, welche unter der Erdoberfläche gebauet wurden und mit aus der Erdoberfläche hervorragenden Decksteinen belegt waren. Man bauete wohl ohne Zweifel also, um die Schwierigkeit der Emporbringung der Decksteine zu vermeiden. Durch das Grab von Nesow scheinen nun die bisherigen Ansichten erweitert werden zu müssen.

Es giebt im Lande nicht selten große Granitblöcke, welche ganz dicht über dem flachen Erdboden liegen, denselben aber nicht völlig berühren. Sie ruhen auf zwei Steinen, welche eben aus der Erde hervorragen. Da nun diese Decksteine die obern Flächen der Tragsteine nicht überall gleichmäßig berühren und nicht fest aufliegen, so lassen manche sich durch Schaukeln mit Fußtritten bewegen, wobei sie einen dumpfen Ton von sich geben, wenn sie auf andere Steinspitzen stoßen. Das Volk hat sie daher wohl "Wackelsteine oder Klingsteine", in andern Ländern auch "Wagsteine" genannt, weil es glaubte, in uralten Zeiten hätten sie die Stelle der jüngern Glocken vertreten. Ich selbst habe vor ungefähr 40 Jahren auf 2 Landgütern solche Steine gekannt, welche ich leicht bewegen konnte, wenn ich darauf stand und mit gespreizten Beinen hin und her drückte. Mitunter hat man sie auch wohl für "Opfersteine" gehalten, weil sie offenbar auf kunstmäßige Weise gelegt sind. Durch das Grab von Nesow geleitet, glaube ich nun, daß diese Wackelsteine die Decksteine von unterirdischen Gräbern sind, und daß man unter denselben immer eine Grabkiste unter der Fläche des Erdbodens finden wird. Es würde sich daher wohl der Mühe lohnen, den Raum unter solchen künstlich auf den Erdboden gelegten großen Steinen sorgfältig zu untersuchen.

Uebrigens glaube ich, daß alle Steinkisten, über oder unter der Erdoberfläche, die ältesten Gräber der Steinzeit sind. Die folgenden Zeilen werden diese Ansicht begründen helfen.


Erste Steinzeit.

Es giebt zwei Arten von Gräbern der ausgebildeten Steinzeit, deren Grabkammern von großen Felsblöcken an

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den Seiten aufgerichtet und oben bedeckt sind und schneidende Geräthe nur aus Stein und Knochen oder Horn enthalten, also dem Inhalt nach den Pfahlbauten der Steinperiode gleich sind:

1) Steinhäuser oder Steinkisten, welche aus großen Steinen aufgeführt sind, ohne von einem künstlichen Hügelaufwurf begleitet zu sein, welche also frei auf (oder auch in) der Erdoberfläche stehen;

2) Riesenbetten, welche, auf der Erdoberfläche aufgerichtet, um die hoch mit Erde bis an die Decksteine bedeckten Steinkisten einen sehr langen, schmalen, niedrigen Erdhügel haben, dessen Rand umher von großen Steinpfeilern begrenzt ist.

Auch der Freiherr v. Bonstetten zu Eichenbühl bei Thun theilt die Steingräber in seinem Werke über die Steingräber der Erde auf gleiche Weise ein, in "Dolmens apparents" und "Dolmens couverts d'un tumulus": vgl. "Essai sur les Dolmens, par le baron A. de Bonstetten, Genève, 1865."

Es ist die Frage, welche von diesen beiden verschieden gebaueten Grabarten die ältere ist. Das Material der Geräthe, welche in beiden gefunden werden, ist gleich, nämlich Stein, kann also nicht zur Entscheidung dienen. Man könnte nun aus der Bauart schließen, wie ich selbst es oft gethan habe, daß die Steinhäuser den Riesenbetten in der Zeit voraufgehen, weil sie viel einfacher und gewöhnlich viel mehr zerstört sind, überhaupt das Ansehen eines sehr hohen Alters haben, ähnlich den Cyklopenmauern. Aber diese Ansicht kann nicht als überzeugendes Beweismittel gelten. Vielleicht geben aber die in den Gräbern gefundenen Geräthe Aufklärung über das Alter.

Die Riesenbetten werden die jüngern Gräber der Steinperiode sein. Der Pfahlbau von Wismar, welcher ohne Zweifel aus der letzten Zeit der Steinperiode stammt, hat Geräthe, welche denen der Riesenbetten ganz gleich sind und sonst nicht vorkommen, wie die Krüge und Streitäxte; vgl. Jahrb. S. 48 und S. 38.

Aber auch die Steinhäuser haben Geräthe, welche ihnen allein eigenthümlich sind und deren Gestalt und Bearbeitungsweise auf ein sehr hohes Alter schließen läßt. Ich habe das Glück gehabt, zu Alt=Sammit bei Krakow zwei große Steinhäuser aufzudecken, welche noch völlig unberührt waren und noch die ganze Bestattungsweise der Todten und die Bearbeitungsweise der Geräthe sehr deutlich sehen ließen; vgl. Jahrb. XXVI, 1861, S. 115 flgd. In diesen Gräbern

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wurden Keile und Meißel gefunden, welche alle zum Theil nur wenig geschliffen, zum Theil gar nicht geschliffen sind (vgl. Jahrb. S. 121 und 124), während die mehr vorgeschrittene Steincultur sehr schöne und vollkommene Schleifereien zeigt. Es wurden aber auch Geräthe gefunden, welche gradezu für ein sehr hohes Alter sprechen. In jedem Grabe ward nämlich eine Lanzenspitze gefunden, welche sehr eigenthümlich und sehr selten sind und sich sonst durchaus nicht finden; die größere derselben ist hieneben abgebildet.

Lanzenpitze

Diese Lanzenspitzen sind sehr groß und ziemlich breit, 8 Zoll und 6 Zoll lang (vgl. Jahrb. XXVI. S. 122, Nr. 7, und S. 124, Nr. 12). Sie sind in der Mitte sehr dick und hoch gewölbt. Die schneidenden Seiten, welche zum größern Theile parallel laufen, sind zwar sehr regelmäßig gerichtet, aber ängstlich abgekröselt. Sie haben eine mehr grade Form; das Schaftende ist nicht zugespitzt oder zungenförmig gestaltet, wie bei besser gearbeiteten und jüngern Lanzen, sondern breit und verdünnt auslaufend zugehauen. Die beiden flachen Seiten sind sehr derbe und mit großmuscheligen Schlägen behauen. Die Arbeit ähnelt der Zubereitung der diluvianischen Feuersteinbeile von Abbeville und Amiens; jedoch haben diese herzförmige Gestalt und eine glänzende, speckartige Oberfläche. Die offenbar jüngern geschlagenen Feuersteingeräthe, wie die zahlreichen Dolche, Lanzen und Sägen, sind dagegen alle sehr dünne und kleinmuschelig behauen und zeigen eine außerordentliche Fertigkeit und Gewandtheit in der Bearbeitung des spröden und zerbrechlichen Feuersteins.

Die Lanzenspitzen von Alt=Sammit sind ohne Zweifel Zeugen eines sehr hohen Alters und können in ähnlichen Fällen bei glücklichen Funden ein Hauptbeweismittel für das Alter der Gräber liefern.

Auch in dem unterirdischen Grabe von Nesow, welches sehr alt ist, ward eine solche Lanzenspitze gefunden (vgl. oben S. 132), welche eben so gestaltet und 10 Zoll lang ist.

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Die Schweriner Sammlungen besitzen außerdem noch zwei gleiche Lanzenspitzen, welche einzeln und nicht in Gräbern gefunden sind. Der Herr Lieutenant v. Rantzau zu Schwerin besitzt in seiner Sammlung auch eine Lanzenspitze, welche denen von Alt=Sammit ganz gleich und im Gebiete der Eversdorfer Forst bei Grevesmühlen gefunden ist.