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Höhlenwohnungen von Dreveskirchen,

von

G. C. F. Lisch.

(Neue vermehrte und verbesserte Auflage, aus Jahrb. XXIX, 1864, S. 116 flgd.)

Ganz gleichen Charakter mit den Pfahlbauten haben die Höhlenwohnungen der Steinzeit in Meklenburg. Alle in beiden gefundenen Alterthümer sind völlig gleich. Jedoch ist es nicht zu erkennen, ob Höhlenwohnungen und Pfahlbauten in der Zeit neben einander standen oder auf einander folgten. Es leidet keinen Zweifel, daß Menschen der Steinzeit auch Wohnungen, Küchen, Keller etc. . in der Erde, in ausgegrabenen Höhlen hatten. Diese sind im Laufe der Jahrtausende verschüttet und können nur durch Zufall bei tiefen Ausgrabungen entdeckt werden, wozu die neue Erfindung des Drainirens des Ackers mitunter, wiewohl selten, Gelegenheit giebt.

Der Herr Koch auf Dreveskirchen bei Neu=Bukow, nicht weit von Wismar, entdeckte vor zehn Jahren beim Drainiren tief in der Erde Alterthümer aller Art aus der Steinperiode, in welchen ich zuerst die Ueberreste von Höhlenwohnungen zu erkennen glaubte. Die Alterthümer lagen immer ungefähr 5 Fuß tief in der Erde am Abhange einer kleinen Hügelkette, und zwar gewöhnlich dort, wo Sandschollen im Lehmboden standen. Hiedurch aufmerksam gemacht, setzte Herr Koch in den nächsten Jahren seine Beobachtungen beim Drainiren fort und fand an der ganzen Hügelkette und weiter hinaus Spuren von mehr als 50 Höhlenwohnungen. Man vgl. Jahrb. XIX, 1854, S. 289, XX, S. 276, und XXI, S. 228.

Im Jahre 1858 wurden auch zu Bresen bei Rehna Höhlenwohnungen entdeckt, welche denen von Dreveskirchen völlig gleich waren; vgl. Jahrb. XXVI, S. 127.

Die Beschaffenheit der Höhlenwohnungen ist immer dieselbe. In einer Tiefe von etwa 5 Fuß findet sich ein Fuß=

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boden oder ein Herd von Feldsteinen, der gewöhnlich eine runde Form vermuthen läßt. Auf diesem Fußboden liegen nun viele Scherben von sehr dickwandigen Kochtöpfen, Holzkohlen, zerhauene Thierknochen und steinerne Alterthümer.

Der Herr Koch setzte seine Beobachtungen unverdrossen fort und hatte in den jüngsten Zeiten (1863) das Glück, beim Ausgraben einer Mergelgrube, welches mehr Gelegenheit und Ruhe zur Beobachtung bot, als das Drainiren, eine ziemlich vollständige Höhlenwohnung zu entdecken. Diese lag in demselben Höhenzuge an dem Bache, welcher die Häuser der unmittelbar an einander grenzenden Dörfer Dreveskirchen und Blowatz von einander scheidet, am Bache abwärts hinter dem Hofe Dreveskirchen, und ist die östlichste der dort bisher entdeckten Höhlenwohnungen, an der Furth durch den Bach, dessen Ufer zu den Seiten an 10 Fuß Höhe haben, also zunächst unmittelbar an einer natürlichen, alten Verkehrsstraße. Ungefähr 5 Fuß tief lagen in gleicher Ebene neben einander Feldsteine, von dem Fußboden oder dem Feuerherde, und auf und neben den Steinen viele Alterthümer beisammen auf einem kleinen Raume.

Zunächst fand sich eine große Menge Scherben von Gefäßen zum häuslichen Gebrauche, alle sehr dickwandig, mit grobem Granitgrus durchknetet, ohne Verzierungen, also sehr verschieden von den Graburnen, welche in der Steinzeit fast immer dünnwandig, fein und verziert sind. Es lassen sich Ueberreste von wenigstens vier dickwandigen (Koch=)Töpfen unterscheiden, indem der Boden von allen noch vollständig vorhanden ist, da sie auf den Feldsteinpflaster standen; die Bodenstücke sind 3/4 bis 1 Zoll dick. Man kann also annehmen, daß die Töpfe auf dem Feuerherde standen, als die Wohnung zerstört ward; bei der Zerstörung zerbrachen die Seitenwände der Töpfe, die dicken Bodenstücke blieben aber unversehrt. Daneben fanden sich die Scherben von wenigstens acht kleineren Krügen mit dünnern Wänden. Auch Ueberreste von zwei sehr großen, dickwandigen Gefäßen, Vorrathstöpfen(?), fanden sich, deren ziemlich große Scherben fast gar keine runde Schwingung zeigen, also auf ungewöhnlich große Gefäße deuten.

Auch fand sich ein Stück von einer rötlich gebrannten Lehmwand mit ausgebrannten Stroheindrücken.

Daneben lagen viele Thierknochen. Diese sind alle zerhauen. Ich habe grade nicht so feine Ansichten, daß ich glaube, die Alten hätten die Knochen vorzüglich "deshalb"

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zerhauen, "um" die Leckerbissen des Markes herauszuholen, sondern ich glaube, daß sie dies gewöhnlich ganz einfach deshalb gethan haben, um die Fleischstücke in die Kochtöpfe bringen zu können, welche nicht allzugroß waren, wie dies ja auch noch heute geschieht; das Mark werden sie sich gelegentlich dabei auch herausgeholt haben, wie heute. Es sind aber auch Knochen zerhauen, welche keine Markhöhlen haben.

Um nun den Kochherd vollständig erkennen zu lassen, fand man neben den Topfscherben noch viele ziemlich große Kohlen 1 ) von Tannenholz.

Auch die Küchengeräthe, Hausgeräthe und Waffen aus Feuerstein fanden sich: eine Lanzen= oder Dolchklinge (wie Frid. Franc. Tab. XXX, Fig. 4), eine halbmondförmige Säge, wie oben S. 36 abgebildet, beide schon sehr gut muschelig behauen und ausgearbeitet, ein keilartiger Feuerstein als Hammer brauchbar, drei Feuersteinspäne, wie oben S. 34, von verschiedenen Formen, als Küchenmesser verwendbar. Alle Küchengeräthe sind offensichtlich viel gebraucht und abgenutzt.

Beim Aufräumen der Mergelgrube fand Herr Koch nach einiger Zeit folgende Alterthümer:

1 kugeligen Reibstein aus feinkörnigem Granit, völlig in Kugelform abgerieben, 3 1/2 Zoll in Durchmesser, (vgl. oben Abbildung S. 41), ein sehr wichtiges Fundstück, da diese Reibsteine das charakteristische Merkmal für alte menschliche Wohnungen aus der Steinzeit zu sein und ein hauptsächliches Haus= und Küchengeräth gebildet zu haben scheinen (vgl. Jahrb. XXVII, S. 168: Steinhäuser von Hilversum, und Jahrb. XXIX, S. 118, 125 flgd.);

1 zum Reibstein bestimmten, rundlichen Granitstein von ähnlicher Größe, welcher an einer Seite schon glatt abgerieben ist;

1 durch Absplitterungen an allen Seiten zugerichteten, grauen Feuersteinblock, von 8 Zoll Länge und 1 1/2 bis 2 1/2 Zoll Dicke, von trapezförmigem Durchschnitt und mit einer zugerichteten Schneide am dünnen Ende, welcher entweder als Axt gebraucht oder zum Keil oder Dolch vorbereitet ist;

1 zerbrochenes spanförmiges Messer aus gelblichem Feuerstein,

Alle diese Stücke hat der Herr Koch persönlich von dem Boden der Höhlenwohnung selbst aufgesammelt.


1) In dem Mergel der Grube fand sich auch ein ziemlich großes Stück schwarzer Steinkohle als Geröll.
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Ein Spindelstein aus hart gedörrtem Thon, welcher in der Gegend der Höhlenwohnung gefunden und dem Herrn Koch von den Arbeitern nachträglich gebracht ward, scheint nach der Form der Eisenzeit anzugehören und hier durch Zufall verloren gegangen zu sein, oder aus einer untergegangenen Wohnung jüngerer Zeit über der Erde zu stammen, da diese Stelle an der Furth eines Baches immer bewohnt gewesen sein wird.

Mehrere (scheinbar metallische) Schlacken, unter denen ein sehr großes Stück, lassen sich schwer erklären und sind wohl Producte des Kochherdes, oder später in die Erde hineingekommen.

Wir haben hier also eine vollständige Küche der Steinzeit vor uns und glauben wiederholt dargethan zu haben, daß zu einer Zeit der Steinperiode die Höhlenwohnungen oder Keller in den norddeutschen Hügelländern wohl ziemlich allgemein verbreitet waren.

Diese Höhlenwohnungen haben ganz denselben Inhalt, welcher in den holländischen Steinhäusern bei Hilversum entdeckt ist (vgl. Jahrb. XXVII, S. 168).

Diese Verhältnisse sind so klar, daß man sie wohl zur Richtschnur für andere Vorkommenheiten nehmen könnte 1 ).

Von Wichtigkeit sind die Thierknochen. Der Herr Professor Steenstrup zu Kopenhagen hat die Güte gehabt, die gefundenen Knochen zu bestimmen. Die Knochen, welche sämmtlich zu den "gewöhnlichen Hausthierarten Nord= und Mittel=Europas" gehören, sind folgende:

1) vom zahmen Rind (Bos taurus): Unterwand der Augenhöhle von einem ziemlich starken Thiere, Bruchstücke von Rückenwirbeln (durch Hundezähne angenagt), vom Becken, vom Unterarm (radius), vom metatarsus, vom humerus und zwei Phalangen;

2) vom zahmen Schwein (Sus Scrofa domesticus):

zwei Backenzähne;

3) vom Schaf (Ovis Aries domest.): linker Unterkiefer;

4) vom Pferd (Equus Caballus), ziemlich mittlerer Größe: ein Backenzahn von der rechten Seite des Oberkiefers;


1) An dieser Stelle hatte ich Zweifel an dem hohen Alterthum der diluvianischen Feuersteingeräthe von Abbeville ausgesprochen und angedeutet, daß diese auch aus Höhlenwohnungen stammen könnten. Nachdem aber Herr Boucher de Perthes zu Abbeville den großherzoglichen Sammlungen in Schwerin eine schöne Sammlung von diesen Alterthümern mit der dazu gehörenden Literatur zum Geschenke verehrt hat, habe ich gleiche Ueberzeugungen mit Herrn Boucher gewinnen müssen und nehme meine Zweifel gerne zurück.
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5) von der Gans (Anser domesticus?), ob wild oder zahm, ist nicht genau zu sagen: eine tibia (durch Raubthiere oder Hunde angenagt).

Dieses Resultat stimmt mit dem Resultate der Knochenuntersuchungen aus den Pfahlbauten von Gägelow und Wismar überein, indem in diesen auch nur zahme Hausthiere vorkommen. Dennoch gehört die Höhlenwohnung noch der Steinperiode an, jedoch der Steinperiode jüngerer Zeit, da die Feuersteingeräthe schon sehr sauber und kunstvoll geschlagen sind. Es mag nicht unwahrscheinlich sein, daß je weiter nach dem Norden hinab die Thiere in jüngern Zeiten desto mehr schon als Hausthiere in den Racen gekreuzt einwanderten.

Die Erscheinung der Höhlenwohnungen ist nicht unerhört. Auch in der Schweiz sind außer den Pfahlbauten Höhlenwohnungen oder "Landdörfer" entdeckt; vgl. Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich Bd. VII und Bd. XIV, Heft 6, Pfahlbauten, Fünfter Bericht, 1863, S. 162 (34), und Staub: Pfahlbauten in den Schweizer Seen, 1864, S. 28 und 39. Der Herr Escher von Berg entdeckte im J. 1851, ungefähr gleichzeitig mit den Entdeckungen des Herrn Koch in Meklenburg, diese Wohnungen am Ebersberg, am Abhange des Jrchel, im Canton Zürich, indem er die Arbeiten in einer Kiesgrube auf dem Felde. beobachtete, durch welche Topfscherben und mancherlei Geräthe zum Vorschein kamen. Angeregt durch die bald darauf folgende Entdeckung der Pfahlbauten setzte er die Forschungen mit Ausdauer und Einsicht fort und unternahm im Sommer 1862 wieder, ungefähr gleichzeitig mit dem Herrn Koch zu Dreveskirchen, eine große Ausgrabung, bei welcher in 64 Tagen eine Bodenfläche von ungefähr 5000 Quadratfuß umgegraben ward. "Die etwa 1 1/2 Fuß dicke Fundschicht befindet sich unter einer Lage von Dammerde von 5 bis 6 Fuß Tiefe. Die Fundschicht mit ihren zahllosen Fragmenten von Thongeschirren, Stein= und Bronzegeräthen und Thierresten ruhte in der Regel auf einem aus Letten und Kies bestehenden, sorgfältig eben gestampften Estrich, an zwei Stellen auf einem Pflaster aus Kieselsteinen. Die Ueberdeckung wurde verursacht durch eine ungemein langsam vor sich gehende Anschwemmung aus dem Gelände von oben herab." Keller urtheilt a. a. O., S. 162, über diese "Localität, welche für das Studium der Pfahlbauten von großer Wichtigkeit ist," folgendermaßen. "Die Reste dieses Wohnortes stellen sich nämlich als eine Niederlassung auf festem Boden dar, welche sich rücksichtlich der Cultur ihrer

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Bewohner und der Zeit ihrer Existenz ganz genau an diejenigen Etablissements anschließt, welche in der Steinzeit gegründet bis auf die Bronzezeit besetzt blieben, aber vor der Verbreitung des Eisens aufgegeben wurden. Speciell verwandt ist Ebersberg mit den Terra-Firma-Ansiedelungen zu Windisch Burg bei Vilters (unweit Ragaz, K. St. Gallen) und andern noch wenig untersuchten Puncten, in denen Steinbeile, Feuersteinmesser, sogenannte Kornquetscher, Knochen= und Hornwerkzeuge, dann Geräthschaften, Schmucksachen aus Bronze vorkommen, - alles Dinge, welche mit den Alterthümern der Pfahlbauten dies= und jenseit der Alpen völlig identisch sind. Angesichts dieser Thatsache kann die Richtigkeit der Annahme, daß die Ansiedelungen der Bevölkerung, welche die Pfahlbauten errichtete, auch über das feste Land verbreitet waren, durchaus nicht bezweifelt werden." Es gab also, nach Staub, "schon in der Steinzeit zweierlei Dörfer: Seedörfer und Landdörfer."