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Meerpfahlbauten von Wismar,

von

G. C. F. Lisch.

(Neue verbesserte Auflage aus Jahrb. XXIX, S. 132 flgd. und 136 flgd.)

Mehrere glaubwürdige Nachrichten lassen darauf schließen, daß auch an den Ufern des Wismarschen Meerbusens der Ostsee in den ältesten Zeiten Pfahlbauten gestanden haben.

Der Herr Rentier Mann zu Wismar gab nach vielfacher öffentlicher Besprechung der bekannten schweizerischen Pfahlbauten darüber im Jahre 1863 zuerst folgende Nachrichten. Bei der seit zehn Jahren (seit 1854) betriebenen Reinigung und Verbreiterung des Fahrwassers für die Seeschiffe durch einen Bagger sind in dem Meerbusen von Wismar nicht weit von dem Ufer in den ungeheuren Massen des ausgebaggerten Moders oft sehr zahlreiche Alterthümer beobachtet worden, namentlich zahllose Thierknochen, feuersteinerne Keile und

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Dolche oder Messer, Hirschgeweihe u. s. w. Alles dies ist aber zum größten Theile mit dem Moder an tiefen Stellen des Meerbusens wieder versenkt, zum kleinsten Theile von den Arbeitern gesammelt, aber bald wieder zerschlagen oder sonst zerstreut, so daß gegenwärtig wohl nichts mehr davon aufzufinden sein dürfte. Solche alterthumsreiche Stellen fanden sich namentlich von Wismar aus an dem rechten Ufer des Meerbusens hinter dem sogenannten Baumhause 1 ). Es sollen dort auch oft alte Pfähle gefunden sein. Der Herr Mann hat von den dort gefundenen Alterthümern nichts weiter mehr auftreiben können, als den unten behandelten verzierten Taschenbügel aus Rennthierhorn, welcher jedoch auch in jüngern Zeiten hier verloren gegangen sein kann.

Der Sergeant Herr Büsch zu Wismar übernahm es darauf im Jahre 1864, in Grundlage dieser allgemeinen Nachrichten genauere Nachforschungen bei einzelnen Arbeitern in Wismar, welche bei der Ausbaggerung des Fahrwassers beschäftigt gewesen sind, anzustellen. Das Ergebniß ist folgendes. Mehrfache Aussagen von Arbeitern geben an, daß an mehrern Stellen des wismarschen Meerbusens, namentlich in der nächsten Nähe des Landungsplatzes für die Schiffe bei Wismar (also hinter dem Baumhause), ferner in der Gegend zwischen Redentin und der Insel Wallfisch, auch in der Nähe des Kirchsees auf der Insel Poel, sobald sie in dem Moder eine Tiefe von 8 Fuß erreicht gehabt hätten, in der Regel viele Knochen und "Steine von sonderbarer Form", namentlich von Feuerstein, ans Tageslicht gekommen seien. Besonders sind viele Keile und Schmalmeißel aus Feuerstein gefunden. In der Regel haben die Arbeiter, wenn sie solche gefunden, die dünne geschliffenen Spitzen abgeschlagen, um sie zum Feueranschlagen für sich zu verwenden, und die dickern Enden wieder ins Wasser geworfen. Herr Büsch hat noch ein Mittelstück von einem großen Schmalmeißel aus Feuerstein, 4 Zoll lang, 1 1/8 Zoll breit und 3/4 Zoll dick, in Wismar aufgetrieben. Dies ist aber der einzige Ueberrest aus Stein; alle andern Alterthümer sind spurlos verschwunden. Zwei Feuersteinmesser, "sehr zerhackt", das eine aus gelbem, das andere aus weißem Feuerstein, sind beim Auffinden von den Arbeitern an einen englischen Steuermann verkauft. Ein Hirschgeweih mit abgesägten Spitzen und eingebohrten Löchern ist an einen


1) Der Platz dieser Pfahlbauten und das Baumhaus bei Wismar sind auf der oben beigegebenen Karte unten links in der Ecke zu sehen und bezeichnet.
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Kaufmann in Wismar verkauft und später an die Sammlungen zu Schwerin gekommen. Eine "trichterförmig ausgehöhlte Schale von Stein" (Mühlstein?) ist in der Nähe von Wismar wieder ins Wasser versenkt. Bronzesachen sollen viele gefunden, aber an den Kupferschmied Vosseck in Wismar verkauft und von diesem eingeschmolzen sein.

Der Herr Rentier Mann hat nachträglich in Wismar noch ein werthvolles Stück aufgetrieben und dem Vereine geschenkt. Dies ist

1 abgehacktes Hirschhornende, von einem großen Hirsch, 6 Zoll in grader Richtung lang, welches am dicken Ende etwas ausgehöhlt und mit einem Loche (zum Anhängen) durchbohrt und am spitzen Ende weit hinauf und auf der Außenkante abgerieben und glänzend geglättet ist. Solche Hirschhornenden werden oft in den Pfahlbauten gefunden und zu Werkzeugen gedient haben. Auch in dem Torfmoor von Cambs bei Schwaan ward neben 5 Feuersteinsägen ein ähnliches, jedoch kleineres Hirschhornende gefunden, welches aber nach der Durchbohrung mit doppeltem Loche als Streitaxt oder Hacke gebraucht sein wird.

Sehr merkwürdig ist die Auffindung des oben erwähnten hörnernen Taschenbügels. Dieses Geräth besteht aus einem gespaltenen, halben Horne, welches fast regelmäßig weit kreissegmentförmig gebogen und in grader Linie 10 1/2 Zoll lang, überall 1 1/4 Zoll breit und in der Mitte ungefähr 2/8 bis 3/8 Zoll dick ist. Die untere Fläche ist in der Mitte porös, grade und geglättet. Die obere, glatt bearbeitete Fläche ist gewölbt, mit einem klar ausgedrückten Mittelrücken, der ganzen Länge nach in der Mitte mit Vierecken, an beiden Seiten mit eingreifenden Dreiecken verziert, welche alle von eingegrabenen Linien gebildet und mit eingegrabenen dichten, etwas unregelmäßigen Linien gefüllt sind. Die beiden Enden sind in zwei kleinen Halbkreisen ausgekehlt und jede der nach innen gebogenen Ecken ebenfalls ein Mal. An jedem Ende ist ein großes Loch durchgebohrt; an der innern Biegung sind zehn kleinere Löcher durchgebohrt. Die nach außen gebogene Rundung hat keine Löcher. Das Geräth ist nach der innern Structur und der großen Dichtigkeit und Fettigkeit der äußern Schale aus Horn gearbeitet, - nach der Krümmung aus Rennthierhorn, auch nach der sehr flachen Rose, von welcher an einem Ende noch etwas erhalten ist. Auch der Herr Professor Rütimeyer zu Basel schreibt darüber: "Der Gegenstand von halbmondförmiger Biegung ist aus Hirschgeweih verfertigt: von welcher Hirschart ist schwer zu sagen; jedoch paßt die

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Krümmung in ebener Fläche viel besser in das Rennthiergeweih, als in das Geweih irgend einer andern europäischen Hirschart." - Es ist die Frage, wozu dieses Geräth gedient hat und woher es stammt. Es sieht beinahe so aus, wie das obere oder untere Stück einer geschweiften Lehne eines modernen Rohrstuhls. Material und Arbeit sind jedenfalls alt, da sie zwar fest und tüchtig, aber unvollkommen sind. Der Herr Conferenz=Rath Thomsen zu Kopenhagen giebt über die Bestimmung willkommenen und genügenden Aufschluß: "Der gefundene hörnerne Bügel ist die Hälfte von der Oberkante oder dem Schluß einer Tasche, wie solche früher in Lappland, besonders von den Frauen, gebraucht wurden, um allerlei Nähsachen und Proviant zu transportiren. Der an den Bügeln durch die Löcher befestigte Beutel war von Rennthierfell. In der ethnographischen Sammlung zu Kopenhagen befindet sich eine solche Tasche mit gleichen Bügeln und mit Beutel und" (in der antiquarischen Sammlung sind) "zwei solche lose Bügel, welche in Gräbern gefunden sind (ohne Beutel)." Das im wismarschen Meerbusen gefundene Geräth kann aus der alten heidnischen Zeit stammen, vielleicht ist es aber jüngern nordischen Ursprunges und von Schiffern verloren, jedoch gewiß immer noch alt. Es ward in der Nähe der muthmaßlichen alten Pfahlbauten mit vielen Hirschhörnern und Steingeräthen, welche aber alle verloren gegangen sind, gefunden (vgl. oben S. 103). Der Herr Rentier Mann zu Wismar hat die Güte gehabt, dieses Geräth dem Vereine zu schenken. - Es könnte jedoch noch der Zeit der Pfahlbauten angehören, da in dem Pfahlbau von Wismar ein gleich bearbeitetes und mit den alten knöchernen Kämmen ähnlich verziertes, angebranntes Hornende gefunden ist (vgl. oben S. 55).

Nach diesen Nachrichten und Funden scheint es wahrscheinlich zu sein, daß auch an dem Strande des Ostseebusens in der ältesten heidnischen Zeit Pfahlbauten gestanden haben. Die Lage scheint zwar nicht ganz passend zu sein, da das Wasser des Wismarschen Meerbusens halbsalzig ist, "brackish" oder "brakisch", wie man es nennt. Da es hier aber an Süßwasserflüssen, welche vom Lande her kommen, wenn sie auch durch die ehemaligen vielen Festungswerke um Wismar sehr verändert sind, nicht fehlt, so wäre es möglich, daß die Menschen aus diesen ihren Bedarf an dem unentbehrlichen süßen Wasser geholt haben. Die Lage dieser Pfahlbauten war aber für die Fischerei sehr gelegen. Uebrigens lagen diese muthmaßlichen Pfahlbauten ganz in der Nähe der oben beschriebenen Pfahlbauten bei Müggenburg in dem ehe=

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maligen Süßwassersee und mögen einst auf dem Wasserwege mit diesen in Verbindung gestanden haben.