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VI. Zur Naturkunde.


Rennthiergeweih von Güstrow.

Auf dem Gebiete des Landarbeitshauses (ehemaligen Schlosses) zu Güstrow ward im Jahre 1860 beim Ausgraben von Kalk und Ziegelerde ein schönes Rennthierhorn gefunden und von dem Herrn Ober=Inspector von Sprewitz den Sammlungen zu Schwerin übergeben. Von dem "Sumpfsee" her erstreckt sich bis zum Schlosse eine große Wiesenniederung, in welche vom Bauhofe bis zum Stadtgraben ein langer, schmaler, fester Hügelrücken hineinragt und ein Stück der Niederung abschneidet, welche dem Landarbeitshause zur Benutzung überwiesen ist. In diesem Abschnitt der Niederung außerhalb des Stadtgrabens, in der Nähe des sogenannten "Pfaffenbruches", liegen folgende Erdschichten in nachstehender Folge und Mächtigkeit über einander: oben Torf 3 Fuß, darunter Sand 2 Fuß, darunter Wiesenkalk 10 Fuß, darunter Ziegelerde, auf welcher also ungefähr 15 Fuß Schichten jüngerer, fest gewordener Bildung liegen. Das Rennthierhorn lag 14 bis 15 Fuß tief unten im Kalk auf der Ziegelerde, ist also in alter Zeit so tief durchgesunken, bis es auf feste Erde gekommen ist, worauf sich die obern, früher weichem Schichten nach und nach theils befestigt, theils gebildet haben.

An dem Abhange des festen Hügelrückens, nach der Seite hin, wo das Rennthiergeweih gefunden ward, fand sich im Jahre 1861 unter dem Abraum 3 Fuß tief eine geschlagene Wurfspießspitze von Feuerstein, im Ganzen 6 Zoll, in der scharfen Spitze 4 Zoll lang und in der Mitte etwa 1 Zoll breit, welche vielleicht mit dem Rennthiergeweih aus gleicher Zeit stammen und mit der Tödtung des Thieres in Verbindung stehen mag. Neben dem Wurfspieß lagen viele Knochen, welche jedoch leider von den Arbeitern verworfen und verloren sind, ehe wissenschaftliche Untersuchung kam.

Das Rennthierhorn ist nur eine Stange, und zwar die der linken Seite, aber äußerst schön gebildet und erhalten.

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Es hat als charakteristisches Kennzeichen eine glatte, glänzende Oberfläche von gelblichgrauer Farbe (vgl. Jahrbücher XI, S. 496, und Naturgesch. Archiv, V, S. 116). Auf der Stange und den Sprossen liegen Längsfurchen, welche sehr klar und vollständig ausgebildet sind. Die ganze, noch vollständige, stark und bis zum rechten Winkel gekrümmte Stange ist in grader Richtung 3 Fuß 2 Zoll hamburg. Maaß und nach der starken Biegung 4 Fuß 2 Zoll lang; in der Mitte ist sie dünn. Unmittelbar über der Rose, welche keine Perlen hat, steht die wagerecht nach vorne gerichtete, 1 Fuß lange Augensprosse in Gestalt einer am Ende 9 Zoll breiten, ausgezinkten Schaufel. Etwa 2 bis 3 Zoll darüber steht, nach innen gekrümmt, ebenfalls etwas nach vorne gerichtet, der Eissprießel, welcher am Ende flach und nur 2 1/2 Zoll breit wird und zwei Zinken von 1 1/4 Zoll und 3 1/2 Zoll Länge hat. Weiter hat die Stange bis zur Krone keine Verästelungen oder Zinken, als am Ende die Krone, welche 1 1/2 Fuß lang, bis gegen 3 Zoll breit, flach und nach innen gekehrt ist und an der Seite drei Zweige von 8, 10, 12 Zoll Länge und auf der Spitze zwei Zweige von 2 und 3 Zoll Länge hat; das gewöhnliche eine Ende in der Mitte der glatten Stange fehlt und ist nie vorhanden gewesen.


Es sind bis jetzt, so viel bekannt ist, folgende Rennthiergeweihe in Meklenburg und in den Nachbarländern gefunden, und zwar alle im Moor oder Moder:

1) zu Lutterstorf bei Wismar, im Torf, jetzt im Besitze der Bürgerschule zu Wismar (Archiv für Naturgeschichte, V, S. 116, mit Abbildung);

2) zu Gerdshagen bei Güstrow, im Moder, jetzt im Besitze des geschichtlichen Vereins (Jahresbericht II, S. 114, Jahrbücher XI, S. 496, und Archiv etc. . VII, S. 8);

3) zu Karlow, bei Ratzeburg, im Moor, jetzt im Besitze des Herrn Pastors Masch zu Demern (Archiv VII, S. 8);

4) zu Cummerow in Hinterpommern, im Moor, jetzt im Besitze des meklenburgischen Staatsministers a. D. Herrn Grafen von Bülow auf Cummerow (Archiv VII, S. 8);

5) zu Kölpin bei Neubrandenburg, im Moder (Archiv II, S. 25);

6) zu Milzow bei Woldeck (Archiv II, S. 25);

7) zu Hinrichshagen bei Woldeck, im Moder, jetzt im Besitze des Herrn Baumeisters Koch zu Dargun (Archiv V, S. 10);

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8) zu Gädebehn bei Stavenhagen, im Moder, in der Sammlung des Herrn Dr. Brückner zu Neubrandenburg (Archiv V, S. 118);

9) zu Ganschendorf in Pommern bei Demmin, im Moder, jetzt im Besitze des naturgeschichtlichen Vereins (Archiv XI, S. 152);

10) zu Bützow, im Moor, jetzt im Besitze des geschichtlichen Vereins (Jahrbücher XX, S. 368);

11) zu Bützow, im Moor, jetzt im Besitze des geschichtlichen Vereins (Jahrbücher folgd. Seite);

12) zu Güstrow, im Moor, jetzt im Besitze des geschichtlichen Vereins.

Aus den Fundorten im Moor oder Moder, welche allerdings in der Regel oft sehr tief hinabreichen, scheint mit Sicherheit hervorzugehen, daß Rennthiere während der jetzigen Schöpfungsperiode in Meklenburg gelebt haben, aber wohl früh ausgestorben sind, da die Knochen vorherrschend ein sehr altes Ansehen und mürbes Gefüge haben.

Die bei Bützow gefundene Rennthierschaufel Nr. 10 (Jahrb. XX, S. 368) ist offensichtlich durch steinerne Geräthe abgekeilt, um sie zu Werkzeugen zu benutzen; sie fällt also sicher in die Zeit, in welcher in der Steinperiode hier schon Menschen lebten. Eine vortreffliche Vergleichung für die Anwendung solcher Knochen zu Geräthen durch Menschen in der Steinperiode geben die zahlreichen knöchernen Geräthe und bearbeiteten Geweihe aus den Pfahlbauten der Schweiz.

Zu Mallin bei Penzlin ward tief unter Moder und Wiesenkalk ein abgearbeitetes dreizackige Stück von einem Geweih gefunden, so daß von der Stange an der Stelle des Eissprießels zwei Enden und von dem Eissprießel auch ein Ende, jedes von ungefähr 2 1/2 Zoll Länge, stehen geblieben sind. Das Stück, in den Sammlungen des geschichtlichen Vereins zu Schwerin, ist in der Mitte durchbohrt; jedes der drei Enden ist ausgehöhlt, um in der Höhlung ein (vielleicht steinerner Geräth zu befestigen. Vgl. Jahrb. XV, S. 263. Der Herr Professor Nilsson aus Lund erklärte diesen seltenen Griff im Sommer 1860 in Schwerin für ein Stück von einem Rennthiergeweih. In den Pfahlbauten der Schweiz haben sich gleiche Geräthe gefunden.

In der Sammlung zu Kopenhagen befindet sich auch eine Hacke oder Axt aus einem Rennthiergeweih. Vgl. Oversigt over det kgl. danske Videnskabernes selskabs forhandlingar, 1848, p. 12.

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Eine in den Sammlungen des geschichtlichen Vereins zu Schwerin aufbewahrte Schaufel von einem Eissprießel, welche Spuren eines verwachsenen, durchgehenden Hiebes zeigte scheint auch einem Rennthier anzugehören.

Es lebten also sicher während der jetzigen Schöpfungsperiode Rennthiere in Deutschland, wenn auch vielleicht nur im nördlichen Deutschland und von anderer Gattung als die lappländischen Rennthiere. In den Austerschalenhaufen Dänemarks und den Pfahlbauten der Schweiz haben sich keine Rennthierknochen gefunden, wenn auch einzelne Stücke sich in Dänemark und in der Schweiz, auch in Frankreich und Belgien gefunden haben. Ich kann aber wegen der norddeutschen Funde dem Professor Morlot in Bern nicht beistimmen, wenn er meint, daß diese in Mitteleuropa gefundenen Ueberreste von Rennthieren "vielleicht aus der Eisperiode stammen und also "älter sein könnten, als das Erscheinen der Menschen in Europa". Vgl. A. Morlot: Etudes géologico=archéologiques en Danemark et en Suisse, Bulletin de la société Vaudoise des sciences naturelles, Tome VI, Bull. No. 46, Lausanne, Mars 1860, p. 280 et 321.

G. C. F. Lisch.