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II.

Ueber die Runen der köbelicher Urne.

I.

Ueber die Runen der köbelicher Urne

von

Joh. Erasmus Wocel.


A uf dem neu=köbelicher Felde * ) im Amte Stargard in Meklenburg=Strelitz wurde vor einigen Jahren von Arbeitern beim Sandgraben eine Thonurne mit Runenzeichen gefunden, welche allerdings geeignet ist, die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher in hohem Grade zu fesseln. Herr Gentzen, Bibliothekar zu Neu=Strelitz, übersandte diese Urne an Herrn Schafarik nach Prag, mit dem Ersuchen, daß dieser ausgezeichnete Slavist im Vereine mit anderen Gelehrten seine Meinung über den Sinn und die Bedeutung der Runenzüge des antiken Gefäßes abgeben möge. Dem zufolge wurden die Runen von mehreren Mitgliedern der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften (Schafarik, Hanka, Erben, Hanus, Wocel) genau untersucht und von jedem derselben abgezeichnet. Nach einer sorgfältigen Confrontation der gemachten Zeichnungen stellte sich folgende, auf den oberen Rande der Urne enthaltene Runenreihe dar:

Runenreihe

*) Dieser Aufsatz ist in den Mémoires de la société royale des antiquaires du Nord, 1848b - 1849, Copenhague, 1852, S. 353 - 357, gedruckt. Die königliche Gesellschaft für nordische Alterthumskunde zu Kopenhagen hat die große Freundlichkeit gehabt, unserm Vereine den hier gebrauchten Holzschnitt der auf der neu=köbelicher Urne stehenden Charaktere zur Benutzung zu leihen. - D. Red.
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Ich wurde darauf von den Mitgliedern der philologischen Section der k. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften ersucht, diese Runenschrift einer genauen Prüfung zu unterziehen und das Resultat meiner Forschung der Gesellschaft sowohl als auch dem Bibliothekar Herrn Gentzen mitzutheilen. - Ehe ich meine Meinung über die Bedeutung dieser Runenzüge ausspreche, muß ich daran erinnern, daß diese Urne auf dem für die slavische Alterthumsforschung höchst wichtigen Gebiete der alten Rhedarier gefunden wurde, auf welchem Sponholz die viel besprochenen Idole von Rhetra (Prilwitz), wie auch die Runensteine, die das Museum zu Strelitz bewahrt, gefunden haben soll. Die Zweifel und Bedenken, welche gegen die Aechtheit der Prilwitzer Idole erhoben wurden, sind bekannt; die Mehrzahl dieser Broncefiguren scheint offenbar ein späteres Fabrikat zu sein; ob man aber allen den uralten stavischen Ursprung absprechen dürfe, ist eine bis jetzt noch nicht gelöste Frage. Bekannt ist es ferner, daß die Runenzeichen auf den Prilwitzer Idolen mit den nordischen und angelsächsischen Runen bedeutende Aehnlichkeit haben und daß einige der Prilwitzer Runen eigenthümliche Formen weisen, wie namentlich das B, welches häufig unter dem Zeichen Rune , und das E, welches in der Gestalt Rune auf den Prilwitzer Idolen dargestellt wird. - Jene Runensteine im Museum zu Strelitz soll Sponholz theils auf dem Prilwitzer, theils auf dem Neukirchner und Stargarder Felde, also immer in der Nähe des alten Rhetra gefunden haben; auch stimmen diese Runen, mit welchen diese Steine bezeichnet sind, mit den Runenzeichen der Prilwitzer Idole überein. W. Grimm hat in seiner Abhandlung: "zur Literatur der Runen" in den Wien. Jahrb. der Liter., 43. Band, seine Meinung über diesen Gegenstand in folgendem Schlußsatze zusammengefaßt: "Hat Sponholz in einem bestimmten Umkreise allein 14 Runensteine entdeckt, so wäre es ein höchst unwahrscheinlicher Zufall, wenn gerade nur diese in Grabhügeln vorhanden und überhaupt die einzigen sollen gewesen sein. Es kommt also auf weitere Nachgrabungen vorzüglich in jenen Gegenden an, die von doppelter Wichtigkeit sein werden. Finden sich abermals ähnliche Runen (in jener Gegend), so werden die Einwendungen gegen die Aechtheit sämmtlicher slavischen Denkmäler zu Strelitz wegfallen". Nun ist nach H. Gentzen's Bericht die besprochene Thonurne in der Nähe des Stargarder Feldes bei Köbelich ausgegraben worden, und da die Runenzeichen derselben, namentlich Rune und Rune , mit den entsprechenden Runen der Prilwitzer Idole überein=

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stimmen, so ruht in diesem Umstande ein wichtiger Grund, den altslavischen Ursprung wenigstens einiger der Rhetraischen Idole - denn die übrigen, stark verdächtigten mögen neuere, von Sponholz verfertigte Nachbildungen der wenigen Originale sein - nicht länger in Abrede zu stellen.

Nach diesen vorläufigen Andeutungen will ich es versuchen, die Züge der Urnenaufschrift zu deuten wobei ich bemerke, daß ich die Runen von links nach rechts lese, mit dem Zeichen Rune anfange und die demselben vorangehenden, mir wenigstens unverständlichen Charaktere außer Acht lasse.

Rune ist das E der Prilwitzer Runen, entsprechend dem Rune (is) der ältesten nordischen Runen 1 ).

Rune halte ich für das B der Prilwitzer Runen.

Rune ist das A der nordischen Runenschrift. Diese drei Runen geben das Wort EBA.

Rune stellt sich als die punktirte Rune Rune (kaun) Rune dar, die somit den Buchstaben G ausdrückt.

Rune kommt als A unter den Runen von Rhetra vor.

Rune entspricht dem M desselben Runensystems.

Rune ist das N der nordischen und Prilwitzer Runenreihe.

Der Ouerzug des Rune durchschneidet zwar die folgende Rune, doch erscheint die letztere als eine selbstständige unter der Form Rune , welche abermals dem A entspricht.

Das zweite Wort lese ich daher: GAMNA.

Die nächstfolgende Rune ist das kaun Rune ; auf diese folgt ein N (sól), sodann das ar Rune ; alle drei in derselben Form, wie sie die nordische Runenreihe und auch jene der Rhetraischen Idole darstellt.

Das darauf folgende Zeichen Rune halte ich für eine Binderune; darauf scheint wenigstens der kleine Bindestrich hinzudeuten, und löse sie auf in Rune N (naudh) und Rune (sól). Das nächste Zeichen Rune entspricht dem o, (ós) (Rhetra. und nord. Rune), und endlich erscheint, größtentheils hinter dem Bruchspalt der Urne die Rune Rune (ár). Diese sieben Runen bilden das Wort KSANSOA.

Die zwei nächstfolgenden und die Spuren der übrigen, nur fragmentarisch erhaltenen Zeichen vermag ich nicht zu


1) S. Deutsche Alterthümer v. Fr. Kruse, I. Bd. V, Tab. I, Fig. 2.
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deuten. Die aus den erwähnten Runenzeichen gefügten Worte bilden nun folgende Legende: EBA (eva) GAMNA KSANSOA . . . d.i.: Dieses Grab des Fürsten (Priesters) . . . Hoc sepulcrum principis (sacerdotis) . . . .

Dieses erhellt deutlich aus der philologischen Prüfung der einzelnen Wörter:

EBA so viel als EVA; die Lippenbuchstaben B und v gehen im Slavischen häufig in einander über 1 ). EVA von EV EVA, EVO, statt ov, OVA, ovo, dieser, diese, dieses; das o geht in den slavischen Sprachen nicht selten in E über: z. B. odin = jedin (unus), olen = jelen (cervus), olej = elej (oleum), ozero = jezero (palus). Beispiele dieser Umwandlung findet man auch in den Sprachdenkmalen der Elbeslaven: z. B. resa = rosa (ros), smela = smola (pix), nes = nos (nasus).

GAMNA (lies jamna) anstatt gamina. Das i wird hier, wie dieses in andern slavischen Sprachen vorkommt, elidirt. Das G steht da anstatt J, wie es aus Analogien, welche altpolnische und altböhmische Schriftdenkmale in großer Menge darbieten, ersichtlich ist. Das Primitivum dieses Wortes ist jama, d. i. fovea, antrum, sepulcrum, Grube. Davon werden abgeleitet jamina, jamica, jamka. In der Bedeutung von Grab erscheint dieses Wort:

1) Jomo, bei den alten Elbeslaven (Jomó, Grab; s. das Verzeichniß der lüneburgisch=wendischen Wörter in Dobrovsky's Slovanka).

2) Jama, bei den Slaven in Steiermark, Kärnten, Krain (sepulcrum, Grab; s. Wörterbuch von Gutsmann und Murko).

3) Jama bei den Kroaten (gewölbtes oder gemauertes Grab, wozu die Belege bei Bčlostenec und Jambresič).

4) Jamka, Grab, sepulcrum bei den Russen in der Provinz Kaluga, bei den übrigen Russen wird Grab, sepulcrum, mogila genannt (s. Russisches Provinzialwörterbuch vom J. 1852).

Die Form Jamina ist noch bis jetzt bei den Russen, den Slowenen in Krain, Kärnten und Steiermark, wie auch in Illyrien und Dalmatien bekannt und gebräuchlich.

KSANSOA; eigentlich ksansoua, ist entweder der Nom. des Beiwortes im weibl. Geschlecht: gamina ksansoua, d. i. das fürstliche Grab, oder, was dem ältesten Sprachgebrauche mehr entspricht, der Genit. des männl. Beiwortes: gamina ksansoua . . . (darauf der Name des Fürsten ebenfalls im


1) Vergl. Šafařik: Počátkowé staročeské mluwnice. Wýbor z it. české. p. 22.
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Genit.). - Die Form des Wortes ksans (in späterer Zeit erst ksanź) ist polnisch, denn in den übrigen slavischen Sprachen lautet dieses Wort knanź, knąz, knęz, knez, knčz. Die Sprache der Bodriten und der Lutitzer Slaven hatte gleich der polnischen den Rhinismus und überdies noch anderweitige polnische Lautformen 1 ).

Das Wort ksans ist übrigens verwandt mit dem germanischen kuning, kuniges, dän. Konge, König, eigentlich procer, dynasta, princeps, Fürst, Vornehmer; sodann auch sacerdos, Priester; bei den Slaven waren, wie bekannt, häufig beide Würden in einer Person vereint.

Die Version der Worte eba gamna ksansoa . . . lautet daher: Dieses Grab des Fürsten (Priesters . . .); darauf folgte wahrscheinlich auf dem leider abgebrochenen Stücke der Urne der Personenname selbst. Die hier angeführte Erklärung der Runenaufschrift findet in dem Urtheile unseres als wissenschaftliche Autorität allgemein anerkannten Slavisten Schafarik ihre volle Begründung und Rechtfertigung.



1) Vergl. Šafařik's Slovanský Národopis (Slavische Ethnographie) S. 109, und Wocel's Památky Lutických Slovanů (Denkmale der Lutitzer Slaven) in der böhmischen Museumszeitschrift 1849.