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22.
Ueber den lübecker Martensmann

Nachtrag
von dem Professor Dr. Deecke zu Lübeck.
(Vgl. oben S. 81 flgd.)

Die Freundlichkeit, in welcher Lisch mir den ersten Abdruck seiner Nachrichten über den lübecker Martensmann mitgetheilt hat, veranlaßt mich, dieselben mit einigen Bemerkungen zu erweitern, welche vielleicht zu ferneren Forschungen anregen.

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Die deutsche Sitte nun, nachbarliche Fürsten alljährlich zu begaben, ist eine so alte, daß sie in die Zustände, welche Tacitus vor Augen hatte, hinaufreicht: sie war um so angemessener, wo man den Herren große Gunst verdankte. In dessen ward zu einer Zeit, da man nach Menschengedenken und Herkommen ebenso oft verfuhr, als nach schriftlichen Verträgen, oft etwas zu einem Recht, was diesen Charakter ursprünglich nicht hatte. Dazu kam, daß man selbst da, wo man übrigens unbedingt begabte, sich eine Art Erinnerung an die Begabung gern vorbehielt, zumal bei hoheitlichen Rechten; es lag auch nicht selten beiden Theilen daran, der Begabung den Charakter einer rechtmäßigen für die Zukunft zu wahren, wenngleich die Freiwilligkeit für den Augenblick nicht zweifelhaft war. In dieser Hinsicht haben auch die auf jährliche Prästationen erfolgenden Gegengaben ihre Bedeutung.

Nun hatte nach einer alten meklenburgischen Sage einer der Fürsten Meklenburgs der Stadt Lübeck so viel Land geschenkt, wie man an einem Morgen umpflügen könnte; ats man aber die bekannte Praxis der Dido geübt, sich jährlich ein Faß Rheinwein für das ausbedungen, was seiner Ansicht nach zu viel war. Es ist in dieser Sage ein Anklang an die Zuweisung von Wiesenland zu Lübeck, welches Graf Günzel III. von Schwerin an Eberhard Westfal, dieser jedoch der Stadt überlassen hatte. wobei der Graf im October 1244 seinem Recht völlig entsagte. Indessen liegt hier ein förmlicher Kauf vor, und so wird auch die volle Ablösung durch Geld erfolgt sein; wäre aber auch, wovon die Urkunden nichts sagen, ein jährliches Geschenk außerdem bedungen, so wäre es ein unbedeutenderes, als die feierliche Martinalprästation gewesen.

Viel wichtiger war es für den Handel und Verkehr Lübecks, daß Graf Heinrich I. schon 1227 auf ewige Zeiten die Freiheit von Zoll und Ungeld durch sein Land gewährte, und daß seine Nachfolger dies ausdrücklich bestätigten. Schon ein anderer geborner Meklenburger, Dompropst Dreyer, hat darauf hingewiesen (Einleit. i. d. lüb. Verordnungen, S. 106 flgd.), daß auch anderswo eine jährliche Prästation für solche Begabung stattgehabt, und noch dazu stimmt die Art der Gabe, ein Pfund Ingwer, die der meklenburgische Kanzler Husanus für ältere Zeiten bezeugt, weil dieses Gewürz, so wie Pfeffer, die Stelle des Geldes bei Zollabgaben öfters vertrat. Später ward dafür Geld gegeben, zuletzt 2 Thaler, die aber in kleiner Münze unter das herbeiströmende Volk ausgeworfen wurden.

Das eigentliche Geschenk aber war eineTonne rheinischer Most, wie auch Lisch nachgewiesen hat. Auch die erste

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Ankunft dieses in älteren Zeiten hochbeliebten Getränks ward in mancher Gegend Anlaß zu Festlichkeiten. Sie erfolgte in Lübeck gegen Martini; der erste Most wurde, sobald die Kärrner vom Rhein her ans Thor kamen, mit Trommeln und Pfeifen eingeholt und in den Rathsweinkeller unter dem Jubel des Volks gebracht; auch fand ein Tractement statt. Daß man von so edler Gabe auch denen mittheitte, die man sich günstig zu erhalten suchte, ist gewiß: noch jetzt kommen Weingaben wie in jener Zeit vor. Erst als man im Wein wählerischer wurde und die kunstgerechte Bearbeitung des Mostes die Lieferung um Martini schwierig, ja unmöglich machte, wie die Lübecker dies noch 1755 den Herzogen von Meklenburg darlegten, ward statt des Mostes guter alter Rheinwein (damals 200 Mk. an Werth) geliefert.

Indessen die Festlichkeit unterblieb darum nicht; denn man war, und dies ist ferner zu bedenken, seit uralter Zeit gewohnt, die Martinizeit ats Volksfest zu begehen. In manchen Gegenden war nämlich an die Stelle des heidnischen Gottes Wurten der christliche St. Martin, dem er schon in der äußern Erscheinung glich, getreten; überdies fiel das große Schlachtopfer in den eben deshalb Schlachtmonat genannten November; man feierte auch zu Martini das Fest des wiederkehrenden Winters. Darauf bezügliche Festlichkeiten, die den Tag oder die Zeit zu einer Art Vorweihnacht machten, haben sich auch noch in unseren Gegenden erhalten. Zu dem Weinmost aber stand der heil. Martin, der eben deshalb musto madidus heißt, in besonderer Beziehung; eine Menge Lieder deuten darauf, und an den zu seiner Festzeit häufigen Herbstgelagen führte der alte Spruch: "wol nich vul sick supen kan, de is ken rechte Martensmann!" manche Wein= oder Mannesprobe herbei, - wie sie denn auch der lübsche Martensmann im Schweriner Hofkeller nach altem Gebrauch bestehen mußte. Die von den meklenburgischen Fürsten schon im 14. Jahrh. bestätigten Martinsbrüderschaften gehören auch hieher; weil aber St. Martinus ganz besonders der Schutzpatron der Armen war, so fehlte es auch nicht an fröhlichen Spendungen für diese, wie sie nach der Derbheit früherer Tage, durch Auswerfen von Geld, Früchten, Nahrungsmitteln, bethätigt wurden.

Wenn nun der lübsche Reitendiener gerade am Martensabend zu Schwerin ankam und dort mitten in das Volksfest, noch dazu mit des Jahres Erstling, dem beliebten Rheinweinmost, fuhr: so bedarf der Jubel wohl keiner weiteren Rechtfertigung. Höchstens bedurfte es der Maßnahmen, und diese glaube ich allerdings in den Umständlichkeiten zu erkennen,

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unter denen die Auffahrt geschah: denn das Geschenk mußte wohlbehalten überbracht werden. Daß dabei ein altheidnisches Recht, wie gestrandete Schiffe, so auch schadhaft gewordene Kaufmannswagen, als dem Landesherrn verfallen anzusehen, mißverständlich zur Anwendung kam, ist gewiß: aber schon aus der ganzen Procedur der Besichtigung des Wagens und der Pferde geht hervor, daß sie, wenn auch ernstlich genommen, doch ursprünglich bloß dem Charakter des Festes entsprach.

Legt man besonderen Werth auf diesen Punkt, so wäre gerade dieser Umstand ein Zeichen, daß die Prästation ursprünglich nicht eine Folge des freigegebenen Verkehrs sei. Für den Fall bliebe die Annahme übrig, daß sie die Verbittung oder den Schutz der im Lande belegenen lübschen Güter habe erwirken sollen. Und allerdings sprach man zu Lübeck in Betreff der Martinalprästation nach Segeberg, welche indeß ohne besondere Feierlichkeit geschah, die Ansicht aus, als die engere Verbindung mit Holstein wegen der dort liegenden Patriziergüter aufhörte: daß nun auch die Prästation unterbleiben müsse. Ich mag diese Ansicht nicht theilen; in Meklenburg besaßen nur wenig Lübecker Güter, und die geistlichen Stifter hätten ihre Schutzgabe selbst leisten müssen. Ich halte vielmehr dafür, daß auch der Segeberger Martensmann das gute Vernehmen in Bezug auf den freien Verkehr zu befestigen bestimmt war.

Darin, daß die Reichssteuer schwerlich gegen eine so geringfügige Recognition aufgehoben worden ist, stimme ich mit Lisch durchaus überein. Die Schirmvogtei, wenn auch nicht die Reichssteuer, welche fortwährend an den Kaiser gezahlt ward, hörte übrigens, seitdem 1374 Kaiser Karl IV. der Stadt Lübeck das beständige Vicariat in Verfolgung und Bestrafung der Landfriedensbrecher übertragen, schon wenige Jahre nachher gänzlich auf.

 

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