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20.
Etymologie des Namens Rostock.

(Nachrag zu Jahrb. XXI, S. 8 flgd.)

In der "Rostocker Zeitung" vom 30. Nov. handelt es sich einmal um einen Gegenstand derjenigen Wissenschaft, die vom größern Publikum mit bewußter Virtuosität verachtet wird, der Etymologie, die jeder männiglich für eitel Taschenspielerei hält, wie laut sie selber auch rufe, sie sei das Gegentheil. Eine Berichtigung jenes Artikels mag beitragen zur gerechteren Würdigung. - Lies't man ihn, so sollte man glauben, die Slawen hätten den Begriff fliessen mit gar keinen andern Ausdrücken benannt, als solchen, die eigentlich stehen bedeuteten. Dem scheint aber ebenso wenig so zu sein, als die Möglichkeit eines solchen Verfahrens dem schlichten Verstande einleuchten will. Ein Wort, das gehen hieß, auf das FIießen anzuwenden, das würde man sich gefallen lassen; aber stehen? Daß das polnische stac (eigentlich doch = stehen) auf den Begriff werden, geschehen angewendet sei, ist ganz glaublich, da wir im Russischen und Böhmischen (z. B. l. Mos. 1, 7: und es geschah also) das Aehnliche sehen. Richtig ist auch, daß im Böhmischen stojim: ich stehe (so viel wir wissen, nicht stogim, Infinitiv: stati) heißt. Sein mag es ferner, daß rostac (nicht richtiger rozstac?) polnisch: auseinandergehen, sich auflösen, heißt (man denke nur an unsern Ausdruck entge=

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gengesetzter Bedeutung: die Milch gesteht, d. h. ihre Theile stehn (treten) zusammen. Daß aber, wie es nun scheint, Rostock auf roz (auseinander) + stok (Zusammenfluß), d. h. Ausbreitung des Stromes, zurückgeführt werde, hiergegen glauben wir uns im Namen der Etymologie entschieden verwahren zu müssen, wie auch dagegen, daß dies stok oder stoka (das nicht bloß polnisch, sondern auch böhmisch ist) in irgend eine Beziehung zu jenem poln. stac - böhm. stati, gesetzt werde. Es giebt nämlich eine Wurzel, die nicht bloß in slawischen Mundarten, sondern auch in den sog. Letto=slawischen bedeutenden Umfang, Verbreitung, vor Allem aber Selbstständigkeit hat, wie eine Wurzel nur haben kann. Es ist böhm. teku (fließen): russ. tekή (fließen); litt. teketi (laufen, fließen, rinnen, siehe Nesselm. litt. Wb. p. 94 und 95). In Stender's lettischem Wb. wird man ebenfalls nicht vergebens darnach suchen. Nun ist es freilich ganz natürlich, daß stok oder stoka Zusammenfluß bedeuten, nämlich zufammengesetzt mit der slawischen Präposition s: wie z. B. böhm, rezum (aus eben jenem roz und um, welches als Simpler schon eine ähnliche Bedeutunghat): Verstand, srozumely: "einverstanden" bedeutet. (Das e in srozumely wie je zu sprechen.) Darnach wird Bialystock benannt sein, wenngleich ich solchen Ursprung des Namens nicht geographisch zu begründen weiß; um so einleuchtender wäre dieser Ursprung bei Wittstock, falls die Vermuthung richtig, daß es halbgelungene Verplattdeutschung jenes Namens sei (russisch: bjelyi oder bjel": candidus). Bei Wittstock erhält nämlich die Dosse drei Zuflüsse. Wenn endlich auch ein altslawisches rozetagil: "breitet aus", angeführt wird, so soll gegen die Thatsache, daß solches Wort mit solcher Bedeutung im Bereiche jener Chorführerin der slawischen Mundarten anzutreffen, nicht der mindeste Zweifel erhoben werden: auch im Böhmischen finden wir roztáhati (nebst Ableitungen): "ausstrecken"; nur scheint, daß hier eine dritte, nicht minder selbstständige Wurzel vorliege (böhm. táhati u. s. w. "ziehen"). Das e nämlich in rozetagil zeigt, wie es scheint, eine ältere Form eines Präfixes, vielleicht Rest einer Casusendung (denn sicherlich ist dies Präfix nicht Urpräposition, sondern jüngern, substantivischen Ursprungs): so finden wir auch im Böhm.: triti, reiben, rozetriti (mit erweichtem r), zerreiben. Nach dem Gegebenen muß es klar sein, daß Rostock (d. h. roz + tok) Auseinanderströmung sei; und so findet sich in der That noch im russischen: tók": Bach, Fließen, Fluß; rastók", der Arm eines Flusses. Wobei wir schließlich noch zu bedenken geben, ob nicht diesem russischen Gebrauch des

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nämlichen Wortes gemäß auch unsere Stadt von der Thatsache benannt worden, die uns freilich nur durch mündliche Ueberlieferung zugekommen, daß einst ein Arm der Warnow von hier aus westlich geflossen sei und in der Gegend von Doberan in die Ostsee gemündet habe?

Dr. W.