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2. Kirchliche Bauwerke.
Die Kirche zu Wittenburg.
ist zwar in den Jahrb. VI, 1841, S. 80 flgd. von Ritter beschrieben, jedoch nicht mit Entschiedenheit in die Kunstgeschichte Meklenburgs eingereiht und fest bestimmt, wie denn vor 15 Jahren eine sichere kunstgeschichtliche Anschauung noch sehr wenig verbreitet war. Die Kirche ist aber für die Kunstgeschichte Meklenburgs von so großer Bedeutung, daß ich mich veranlaßt fühle, die Ergebnisse einer kurzen Untersuchung hier niederzulegen.
Die Kirche besteht aus einem Chor und einem Schiffe, und hat kein besonderes Thurmgebäude, auch nie eins gehabt. Der Chor ist oblong gestaltet, mit rechtwinklig angesetzter, grader Altarwand, und zwei Gewölbe lang, ohne Nebenbauten. Das Schiff ist drei Gewölbe lang und hat ein Mittelschiff und zwei Seitenschiffe.
Die Kirche ist, nach dem Aeußern zu urtheilen, in Einem Gusse aus Ziegeln fertig geworden. Die Außenflächen der Ringmauern von Chor und Schiff sind ganz gleichmäßig gebauet, einfach, ohne Granitsockel und Strebepfeiler. An den Ecken von Chor und Schiff laufen Lisenen empor, welche einen Rundbogenfries tragen, der gleichmäßig rund um die ganze Kirche läuft. Auch der Ostgiebel des Schiffes ist an den Rändern mit einem stehenden Rundbogenfriese und mit Nischen verziert. Der Westgiebel des Schiffes und der Ostgiebel des Chores stammen dagegen aus jüngern Zeiten und sind schlecht, wie das aus Brettern angefertigte, entstellende junge Gesimse unter dem Dache.
Die Kirche hat durch Umbauten und Brand, zuletzt im J. 1657, viel gelitten. Daher sind die meisten Fenster auf die mannigfaltigste Weise entstellt. Erhalten sind nur noch die 3 Fenster in der Altarwand und die beiden Fensterpaare in den beiden Seitenwänden des westlichen Gewölbes des Chors. Diese Fenster sind im Uebergangsstyle gebauet, sehr schmal, mit glatter Laibung schräge eingehend und leise gespitzt. Alle übrigen Fenster sind in ältern und jüngern Zeiten auf die verschiedenartigste Weise vergrößert, erweitert und verziert, so daß sich gar kein System darin erkennen läßt.
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Im Innern hat der 48' lange und 32' breite Chor, außer den Fenstern, nichts Merkwürdiges mehr. Er ist mit zwei Sterngewölben aus jüngern Zeiten bedeckt.
Das Schiff dagegen ist sehr merkwürdig. Es ist drei Gewölbe, nach Ritter 96 Fuß, lang und hat ein breites Mittelschiff von 32 Fuß Breite und zwei schmale Seitenschiffe von 16 Fuß Breite. Alle drei Schiffe haben jedoch gleiche Höhe, nach Ritter von einigen 40 Fuß; die Kirche ist also eine sehr regelmäßig angelegte, sogenannte "Hallenkirche". Die Gewölbe ruhen auf "Säulenbündeln" oder auf Pfeilern, an welche an jeder Seite eine Halbsäule vorgelegt ist. Diese Halbsäulen haben hohe, etwas unfertige Würfelkapitäler aus Ziegeln. Zwischen den Halbsäulen liegen drei Dienste, welche die Gewölberippen und die die Gewölbe an den Gurtbogen begleitenden Wulste tragen. Die auf den Würfelkapitälern ruhenden Gurtbogen zwischen dem Mittelschiffe und den Seitenschiffen, so wie in der Mitte des Schiffes sind im reinen Rundbogen construirt. Dagegen sind der Gurtbogen zwischen Chor und Schiff und der westliche Gurtbogen des Mittelschiffes im Spitzbogen construirt, also jünger. Alle Gurtbogen der schmalen Seitenschiffe sind ebenfalls spitzbogig. Alle Gewölbe des Schiffes haben einfach gegliederte Gewölberippen, die des Mittelschiffes dünnere, die der Seitenschiffe stärkere. - Unter dem Westgiebel steht eine große, mit Wülsten aus verschiedenfarbigen Ziegeln construirte, vielfach verzierte Hauptpforte, welche jedoch schon etwas baufällig ist. Es hat also an der Westseite der Kirche kein Thurmgebäude gestanden. Dagegen sind, nach Ritter, "die Gurtbogen am westlichen Gewölbe des Mittelschiffes bedeutend breiter, weil aller Wahrscheinlichkeit nach über diesem Gewölbe der fühere Thurm der Kirche stand". Der jetzige Westgiebel ist sehr breit und schmucklos. - In der Südwand der Kirche ist wahrscheinlich auch noch eine Pforte gewesen. Diese ist aber dadurch vernichtet, daß schon im Mittelalter an dieser Seite ein Queerschiff im Spitzbogenstyl an die Kirche angebauet ist.
Dies sind die Hauptkennzeichen des merkwürdigen Baus. Wenn man auch von den jüngern Veränderungen und Entstellungen absieht, so deuten doch die Lisenen und der Rundbogenfries, die Säulenbündel mit den Würfelkapitälern und die runden Gurtbogen auf den romanischen Baustyl, - die gespitzten Fenster, die grade Altarwand, die spitzbogige Hauptpforte, die Gewölberippen, vielleicht auch die gespitzten Gurtbogen der Seitenschiffe, wenn sie alt sein sollten, auf den
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Uebergangsstyl. Man muß daher die Kirche in die allerfrüheste Zeit und den Anfang des Uebergangsstyls setzen; wahrscheinlich ist sie eines der ersten, vielleicht das erste Werk des Uebergangsstyls in Meklenburg.
Die Kirche zu Wittenburg stammt ohne Zweifel aus der Zeit der Gründung der Stadt. Die Stadt Wittenburg ist aber alt, wenn die Stadt auch keine sehr alte Urkunden mehr besitzt. Es läßt sich jedoch das Alter der Stadt aus mehrern Andeutungen annähernd bestimmen. Das Land Wittenburg lag im Bisthume Ratzeburg und gehörte zuerst eine Zeit lang den Grafen von Ratzeburg; seit dem J. 1226 gehörte es aber den Grafen von Schwerin (vgl. Arndt Ratzeburg. Zehntenregister S. 5), welche es schon im Anfange des 13. Jahrh. eine kurze Zeit besessen hatten. Die Stadt Wittenburg, welche späterhin ein Hauptsitz einer Linie der Grafen von Schwerin ward, wird also schon in sehr frühen Zeiten gegründet sein. Die Stadt Wittenburg wird auch schon sehr früh genannt. Als der Kaiser Friedrich II. im Junii 1226 der Stadt Lübeck die Reichsfreiheit schenkte, verlieh er derselben auch den freien Verkehr mit Hamburg, Ratzeburg, Wittenburg, Schwerin und dem ganzen Lande Borwins und seines Sohnes (vgl. Lübecker Urkundenbuch I, S. 47); es geht hieraus unzweifelhaft hervor, daß schon damals Wittenburg eine ansehnliche und ausgebildete Stadt war, wie noch heute die Reste der Burg, der Mauern, Thore und Thürme für eine ganz achtungswerthe Ausbildung in alter Zeit reden. In dem Ratzeburger Zehntenregister, ungefähr vom J. 1230, wird die Stadt Wittenburg ("ciuitas Wittenburg") ausdrücklich genannt.
Man wird daher kein Bedenken tragen dürfen, die Kirche zu Wittenburg in den Anfang des 13. Jahrhunderts, oder gar noch in das Ende des 12. Jahrh. zu stellen, und man kann das Gründungsjahr vielleicht am sichersten in das Jahr 1200 setzen. Man braucht sich nicht zu scheuen, die Erbauung der Kirche bald nach der Vollendung des alten Theils der allerdings ältern Kirche zu Gadebusch zu setzen. Die Kirche zu Wittenburg hat mit der nahen Kirche zu Gadebusch eine auffallende Aehnlichkeit, wenn auch die alte Kirche zu Gadebusch eine ganz und rein romanische Kirche ist. Beide Kirchen sind "Hallenkirchen" mit drei gleich hohen Schiffen, beide haben Säulenbündel mit Würfelkapitälern und halbkreisförmige Gurtbogen, beide haben kein Thurmgebäude, sondern einen sehr breiten, schmucklosen Westgiebel, der an beiden Kirchen auffallend ähnlich ist. Es ist wahrscheinlich, daß beide
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Kirchen von demselben Baumeister oder derselben ratzeburger Bauschule gebauet wurden, während die Kirchen der "Länder Borwins" ohne Zweifel Baumeister aus andern Gegenden hatten. - Die Kirche zu Wittenburg ist jedenfalls ein gutes Theil jünger, als die Kirche zu Gadebusch, dagegen etwas älter als die sehr ähnlichen Kirchen zu Büchen und Plau, mit den wechselnden Säulen= und Pfeilerbündeln, und als die Marienkirche zu Parchim, welche alle wohl bald nach dem J. 1218 erbauet sind.
Außer dem sehr schön gegossenen bronzenen Taufkessel vom J. 1342, dessen Inschrift von Ritter a. a. O. S. 83 ganz richtig gelesen ist, hat die Kirche kein alterthümliches Geräth mehr.
Zu bemerken ist, daß die Kirche zu Wittenburg ganz dicht vor der Burg liegt, eine Lage, wie sie auch die Kirche zu Hagenow zu haben scheint; auch die Kirche zu Gadebusch liegt nahe vor der Burg. Von der alten wittenburger Burg, welche auf einem in einem Wiesenplane liegenden heidnischen Burgwalle stand, ist nur noch der untere Theil des alten Thorthurmes übrig. Bis gegen den Burgwall hin reicht die alte Stadtmauer, welche noch mehrere interessante Mauerthürme einschließt, von denen einige sehr hübsch und beachtenswerth sind.
G. C. F. Lisch.