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von
G. C. F. Lisch.
D er wendische Ort "Goderac", in welchem zur Wendenzeit ein Götze "Gudrac" verehrt ward, muß von großer Bedeutung gewesen sein, da der Warnowfluß zu derselben Zeit "Gudakrsâ" genannt ward. In den Jahrbüchern VI, S. 71 flgd. ist die Geschichte dieses Ortes dargestellt und dargelegt, daß der erste schweriner Bischof und Wendenapostel Berno, nachdem er den Götzen Gudrac gestürzt und den H. Godehard an dessen Stelle gesetzt hatte, den Ort Goderac geschenkt erhielt und denselben S. Godehardsdorf nannte, endlich daß dieser Name Godehardsdorf jetzt in Goorsdorf, bei Toitenwinkel in der Nähe von Rostock, abgeschwächt sei.
Es war von großer Bedeutung die Ueberreste dieses Ortes aufzufinden; sie mußten in einem im Moor liegenden Burgwalle aufgefunden werden können, da die Wenden alle ihre bedeutendern Orte in Sümpfen aufschütteten. Es ward Jahre lang geforscht, aber nichts gefunden, da die Feldmark des jetzigen Dorfes Goorsdorf nur leichten, ebenen Boden hat und keine große Moor= oder Sumpffläche besitzt. Durch andere Forschungen veranlaßt, dehnte ich meine Forschungen etwas weiter aus, da auf der Feldmark Goorsdorf nichts gefunden werden konnte, und machte auf den an Goorsdorf grenzenden Feldmarken Toitenwinkel und Dierkow Entdeckungen 1 ), welche ich für das alte Goderac halte.
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Da die Feldmark des Dorfes Goorsdorf nicht groß ist und immer als Dorf zu dem angrenzenden Hauptgute Toitenwinkel gehört hat, so nehme ich an, daß zur Wendenzeit die Feldmark des bedeutsamen wendischen Ortes Goderac größer war, als die des jetzigen Dorfes Goorsdorf, und daß das jetzige Gut Toitenwinkel einen Theil der Feldmark des alten Ortes Goderac bildete. Die päpstliche Bestätigungsbulle von 1189 1 ) bestätigt dem Bisthume Schwerin auch "das Dorf S. Godehardssdorf im Lande Kissin und ein anderes angrenzendes Dorf ("in terra Kytin duas villas, villam sancti Godehardi scilicet et aliam huic adiacentem"). Außerdem muß man, meiner Ansicht nach, den Ort Goderak mehr in der Nähe der Warnow, der Gudakrsâ, suchen, als bei dem Dorfe Goorsdorf, welches mehr landeinwärts und von der Warnow entfernter liegt, als Toitenwinkel. Endlich ist Toitenwinkel immer ein namhafter Ort 2 ) geblieben, während Goorsdorf ein unbedeutendes Dorf ward.
Was aber den Ausschlag für diese Ansicht giebt, ist die ganze Bodenbildung. Das weite Thal der Warnow wird, namentlich ungefähr von Bützow und von der Mündung der Nebel in die Warnow an, ununterbrochen von ungewöhnlich großen Sumpfwiesen gefüllt, in denen viele bedeutende wendische Burgwälle liegen, nämlich stromabwärts: Bützow, Werle (bei Wik), Kessin, Rostock, Goderak. Stromaufwärts setzt sich diese Wiesenfläche mehr in dem Thale der Nebel über Güstrow hinaus fort. Die Warnow macht bei Kessin die östlichste Biegung. Von diesem Kniee breitet sich die Warnow gegen Norden bis zum Anfange der Unter=Warnow, d. h. bis zur jetzigen Stadt Rostock, von wo das Flußthal ganz vom Stromwasser erfüllt und der Strom mit festen Ufern plötzlich sehr breit wird, zu sehr großen und sehr tiefen Sumpfwiesen aus, in denen vor dem Petrithore der Stadt Rostock die alte wendische Stadt Rostock auf der jetzt sogenannten Wik liegt. Diese Sumpfniederung setzt sich aber in der Richtung der schmalen Ober=Warnow gegen Norden, über den Anfang der Unter=Warnow hinaus, rechts von dieser fort, zwischen die Feldmarken Dierkow und Gehlsdorf (mit der Gehlsdorfer "Fähre") hindurch, tief in die Feldmark Toitenwinkel hinein, gegen deren nördliche Grenze sie ihr Ende findet. Diese breite Niederung, welche ganz in der Richtung der Ober=Warnow von Kessin über Rostock liegt, wird am rechten Ufer der Warnow auf den genannten Feldmarken von Gehlsdorf, Dierkow und Toitenwinkel von hohen Ufern festen Ackerlandes umgeben.
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In dem letzten Winkel dieser Wiesenniederung, also nicht sehr ferne vom rechten Ufer der Unter=Warnow, in der Mitte der Niederung, nach allen Seiten noch sehr weit von tiefen Wiesen umgeben und weit vom festen Lande entfernt, dem Hofe von Toitenwinkel gegenüber, liegt, an einem kleinen See, ein mächtiger Burgwall, welcher zu den bedeutendsten Erscheinungen dieser Art im Lande gehört. Dieser Burgwall bildet ein an den Ecken etwas abgerundetes Oblongum und ist ohne Zweifel künstlich aufgeschüttet, wie seine graden, regelmäßigen Seiten deutlich beweisen. Er ragt ungefähr 12 Fuß über dem Wasser und der Wiesenfläche empor und hat einen Flächeninhalt von 1114 Quadratruthen, einen Umfang von 670, eine Länge von 230 und eine Breite von 190 Schritten.
Die ganze Oerfläche ist jetzt mit Wald bedeckt und bietet einen sehr schönen Anblick. Es führt freilich ein wahrscheinlich alter Weg von Toitenwinkel zu diesem Burgwalle; aber die Wiesenniederung ist so naß und tief, daß der Weg an mehreren Stellen den größern Theil des Jahres hindurch unter Wasser steht. Man gelangt zu dem Burgwalle gewöhnlich auf einem Canal, der von dem Hofe Toitenwinkel bis zu dem See gegraben ist, welcher eine Seite des Burgwalles bespült. Es liegt kein Burgwall in Meklenburg so weit vom festen Lande entfernt, als dieser, und seine Mächtigkeit, Ausdehnung und Lage sind so großartig, daß man ihn, nächst dem Burgwalle von Meklenburg, wohl zu den bedeutendsten heidnischen Burgwällen des Landes zählen muß.
Die mittelalterliche Burg der rittermäßigen Familie von Moltke kann dieser Burgwall nicht gewesen sein, da derselbe für eine mittelalterliche Burg viel zu weit vom festen Lande und zu isolirt liegt; die moltkesche Burg lag ohne Zweifel an derselben Stelle, auf welcher noch jetzt der Hof Toitenwinkel liegt, wie aus der Erhöhung, den Resten der Burggräben und andern Zeichen deutlich zu erkennen ist.
Diesen bei Toitenwinkel belegenen, vielleicht seit uralter Zeit mit Waldbäumen bewachsenen Burgwall oder Hain halte ich für den alten Tempelort Goderak, da sich in der ganzen Gegend keine andere Oertlichkeit findet, welche man dafür halten könnte, und die ganze Gestaltung und Lage für einen solchen Ort bedeutend genug ist. Alterthümer haben sich freilich noch nicht viele gefunden, da die Nachforschung im Waldboden immer schwierig ist und selten mit Erfolg belohnt zu werden pflegt; jedoch sind schon an zwei verschiedenen Stellen mit zerstampftem Granit durchknetete Gefäßscherben gefunden, welche ohne Zweifel heidnischen, vielleicht sehr alten Ursprunges sind.
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Merkwürdig ist, daß dieser Burgwall ganz isolirt im Sumpfe liegt und ohne Vorland plötzlich und steil aus der Tiefe emporsteigt. Der Burgwall hat keine Vorburg oder Nebenburg zum Wohnplatze für die Bevölkerung, wie die meisten größern wendischen Burgen, ja nicht einmal eine kleine Scholle Vorland an den regelmäßigen und steilen Rändern. Diese Abgeschlossenheit scheint noch mehr dafür zu sprechen, daß diese Stelle ein von der Welt abgeschlossener Tempelort war.
Sieht man von dem Burgwalle gegen Süden, so überblickt man klar und ohne Unterbrechung die große Wiesenniederung, in welcher die wendische Burg Rostock vor dem Petrithore der Stadt deutlich vor Augen liegt.
Doch auch der Wohnort, die Stadt Goderak scheint wiedergefunden worden zu sein. Verfolgt man die Wiesenniederung von dem Walle bei Toitenwinkel eine Viertelstunde abwärts gegen die breite Unter=Warnow hin, so liegt hier, zwischen Dierkow und der Fähre, auf der Feldmark Dierkow, rings von tiefen Wiesen umgeben, ein zweiter Burgwall, welcher kleiner und niedriger ist, als der erste Wall, und ganz das Ansehen hat, wie die Vorburgen der wendischen Hauptburgen. Dieser Burgwall liegt nicht weit von der breiten Unter=Warnow, nahe östlich bei der Fähre, der Stadt Rostock grade gegenüber. Er hat einen Flächeninhalt von ungefähr 500 Quadratruthen, eine Höhe von ungefähr 8 bis 10 Fuß und einen Umfang von 440 Schritten.
In neuern Zeiten hat man auf diesem Burgwalle Mergel gegraben und dabei sehr viele Gefäßscherben, Knochen, Kohlen, auch Alterthümer ausgegraben, welche leider alle verloren gegangen sind. Bei der Untersuchung der Mergelgrube fand ich gleich einige heidnische Gefäßscherben, viele Knochenfragmente und einen schönen, in drei Stücke zerschlagenen Schleifstein. Neuere Nachforschungen haben viele Gefäßscherben, von denen viele mit wellenförmigen Linien verziert sind, ganz in dem Charakter der Scherben von den jüngern wendischen Burgwällen, ferner sehr viele Thierknochen, Metallschlacken, auch einen thönernen Spindelstein zu Tage gefördert.
Diesen nicht weit von dem Ufer der Warnow liegenden Burgwall halte ich für die Handelsstadt Goderak, welche in alten Zeiten zum Theil die Stelle der neuen, gegenüberliegenden Stadt Rostock eingenommen haben mag.
Nachgrabungen auf beiden Burgwällen möchten zu belohnenden Entdeckungen führen.