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VII.

Erinnerungen

an die nordische Mythologie
in Volkssagen und Aberglauben Meklenburgs,

von

W. G. Beyer , Dr., Archiv=Secretair.


Z wei Jahrzehnde sind bereits verflossen, seit der ehrwürdige Altmeister der vaterländischen Alterthumskunde, Jacob Grimm, den unumstößlichen Beweis geführt hat, daß die Herrschaft der aus der Edda bekannten nordischen Götter vor Einführung des Christenthums nicht auf Skandinavien beschränkt war, sondern sich auch über das gesammte germanische Festland erstreckte. Die Art aber, wie dieser Beweis geführt ward, verdient unsere höchste Bewunderung. Von heiliger Liebe zu seinem Volke und Vaterlande getragen, hat der große Mann mit unendlichem Fleiße in alten und neuen Büchern, aber zugleich in den Sagen und Mährchen der Hütten des armen Landvolkes und der Kinderstuben der Reichen geforscht, und jede, auch die leiseste Spur der längst aus dem Leben entflohenen Götter verfolgt, bis es ihm gelang, in das geheimnißvolle Dunkel ihres Heiligthums selbst einzudringen, wo seinem frommen, ahnungsvollen Geiste vergönnt ward, die hehren Gestalten zu schauen, die sich seit Jahrhunderten dem Blicke der Sterblichen entzogen hatten.

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Seine "deutsche Mythologie" ist gleichsam ein Tempel, den er den durch die Wissenschaft wieder erweckten heimischen Göttern erbauet hat. Seitdem haben sich auch andere deutsche Gelehrte mit größerem oder geringerem Erfolge bemüht, dies vaterländische Pantheon weiter auszubauen, zu reinigen und zu ergänzen 1 ), und in der That scheint es fast eine Pflicht der Pietät zu sein, daß Niemand zurückhält, der auch nur einen einzigen kleinen Baustein zur Vollendung des großen Baues zu liefern im Stande ist. Von dieser Ansicht getrieben, habe auch ich seit Jahren eifrig geforscht, ob sich auch in unserer Heimath vielleicht noch Spuren jener alten untergegangenen Götterwelt finden mögten, und meine Mühe ist nicht ohne Belohnung geblieben. Zwar habe ich in meiner jetzigen Stellung während der letzten 10 Jahre fast nur aus abgeleiteten Quellen, d. h. aus Büchern, schöpfen können, während in unserem Volksleben selbst gewiß noch manche lebendige Quelle unbenutzt im Sande verrieselt; aber meine dringende Bitte um Unterstützung an alle in dieser Beziehung glücklicher gestellten Vereinsmitglieder 2 ) ist leider ohne allen Erfolg geblieben, weshalb ich nicht länger säumen zu dürfen glaube, das, was ich selbst gesammelt habe, anspruchslos mitzutheilen. Vielleicht gelingt es mir durch diese Mittheilung dennoch, auch Andere anzuregen, in ihrer Umgebung die allenthalben noch zerstreut liegenden Schätze zu sammeln. Wer es noch nicht versteht, der kann es mit Grimm's Werken lernen, selbst aus dem dürren Sande des gemeinen Lebens Gold zu scheiden.

Aus den Forschungeu Grimm's und seiner Nachfolger ergiebt sich, daß die Verehrung der beiden Hauptgottheiten des Nordens, Othin und Thor, auch in Deutschland am verbrei=


1) Für Norddeutschland ist hier besonders zu nennen: A. Kuhn und W. Schwartz, norddeutsche Sagen, Mährchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848. Ich habe dies Werk in der folgenden Abhandlung neben Grimm's deutscher Mythologie zur Vergleichung vielfach benutzt und citire dasselbe mit den Anfangsbuchstaben der Verfasser K. u. Sch., sowie den Grimm mit Gr., letzteren jedoch in der Regel nach der älteren Ausgabe, da mir die neuere bei der letzten Redaction nicht zur Hand war. Benutzt sind natürlich auch Müllenhoff's und andere norddeutschen Sagensammlungen, welche aber auch schon in den vorgenannten Werken berücksichtigt sind, weshalb ich in der Regel nur jene citire. Dagegen zeigten sich die einheimischen älteren und neueren Schriften, z. B. die vielen Rostocker Festprogramme, Schmidt' Fastelabends=Gebräuche, Fr. Studemund's poetische Bearbeitung sogenannter Meklenburgischer Sagen und andere fast durchaus unfruchtbar für meine Zwecke.
2) Vgl. Jahresbericht von 1851, S. 11 ff. - Wo ich im Folgenden keine Quelle angegeben, habe ich entweder unmittelbar aus dem Munde des Volks, besonders in Parchim und dessen Umgebung, geschöpft, oder aus dem Berichte meiner Söhne, von welchen der eine Landmann ist und der andere als Ingenieur gleichfalls vielfach mit dem Landvolke verkehrt.
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tetsten war und am tiefsten in den Seelen der Menschen Wurzel geschlagen hatte, weshalb sie am schwersten auszurotten war, und vorzugsweise noch bis auf den heutigen Tag zahlreiche Spuren in den Sagen und der ganzen religiösen Anschauung des Volkes zurückgelassen hat. Diese Beobachtung finden wir auch in Meklenburg und der benachbarten Mark Brandenburg 1 ) vollkommen bestätigt, wogegen in beiden, Jahrhunderte hindurch nur von Slaven bewohnten, Ländern auch nicht die leiseste Erinnerung an die slavischen Götter zurückgeblieben ist. Keine einzige, wenn auch halb verklungene Sage deutet dem forschenden Freunde unserer Vergangenheit die heiligen Stätten an, wo einst die berühmten Tempel des Radegast und seiner Genossen standen, deren Macht und Herrlichkeit aus dem Gedächtniß der Enkel des überwundenen und in seiner Eigenthümlichkeit völlig untergegangenen Wendenvolkes spurlos verschwunden ist, wogegen die siegreich eingewanderten Sachsen neben dem dreieinigen Gotte der Christen auch die alten heidnischen Götter der Heimath in das eroberte Land einführten, und in blindem Wahne, aber zugleich mit fast kindlicher Treue, noch Jahrhunderte hindurch in Leid und Freude, in Furcht und Hoffnung, in Haß und Liebe an ihnen festhielten. Zwar ist Meklenburg heute unleugbar ärmer an alten Sagen, als andere deutsche Länder, was theilweise seinen Grund darin haben mag, daß das Volk, dem dieselben angehören, schon als Christen einwanderte, wenigstens erklärt sich daraus sicher die Beobachtung, daß diese Sagen bei uns nur selten an bestimmte Oerter und Namen, welche meistens slavisch geblieben sind, anknüpfen. Doch ist auch durch die verheerenden Kriege des 17. Jahrhunderts, durch welche die neuere Zeit bei uns mehr als anderswo von der Vergangenheit gleichsam losgerissen ist, namentlich mit dem Untergange fast der Hälfte der ehemaligen Dörfer, vieles verloren gegangen; denn grade die Dörfer sind die eigentlichen Bewahrer alter Traditionen, da in den Städten die Bevölkerung fortwährend mit zu vielfachen neuen Elementen gemischt wird und die skeptische Schulbildung der oberen Stände zu tief in die unteren Schichten hinabdringt, der von der Hand in den Mund lebende Tagelöhner auf den Höfen des flachen Landes aber so wenig an die Vergangenheit, als an die Zukunft denkt. Dazu kommt ferner der fromme Eifer der protestantischen Kirche, welche sofort nach errungenem Siege alle alten Sagen und Gebräuche des Volkes ohne Unterschied als papistische Ab=


1) Dr. Adelbert Kuhn, Ueber das Verhältniß Märkischer Sagen und Gebräuche zur Altdeutschen Mythologie; in den Märkischen Forschungen Bd. 1. 1841, S. 115 ff.
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götterei, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln unablässig verfolgte, selbst mit Zuhülferufung des weltlichen Schwertes, welches namentlich unter dem Herzog Gustav Adolph zu Güstrow (1654 - 1695) ganz in dem Sinne der Geistlichkeit mit consequenter unerbittlicher Strenge geführt ward. Dagegen sind in neuerer Zeit, wie in ganz Dentschland, so auch in Meklenburg, in Folge der allgemeiner verbreiteten Kultur und der vorherschend politischen Richtung der Zeit, wodurch der Einfluß der Religion auf Leben und Sitte des Volkes überhaupt geschwächt ist, auch die Ueberreste des alten Heidenthums im raschen Absterben begriffen. Noch aber ist genug übrig geblieben, um mit Hülfe der in ältern Schriften aufgezeichneten Nachrichten den Charakter desselben mit Sicherheit zu erkennen, dieser ist aber, wie gesagt, rein deutsch, eine Erscheinung, welche wichtig und bedeutungsvoll für die Geschichte unseres Landes ist und einen neuen Beweis liefert, wie vollständig nach der sächsischen Eroberung desselben die zurückgebliebenen, verhältnißmäßig unbedeutenden, slavischen Elemente in den deutschen aufgegangen sind, und wie albern es ist, wenn sich hin und wieder selbst gelehrte Forscher noch immer darin gefallen, unser Meklenburg als ein halb slavisches Land zu betrachten.

Ich wende mich nunmehr zunächst zu der Erforschung der Ueberreste der

Othins= oder Wodans=Sage

in Meklenburg, bemerke aber sofort, daß es nicht darauf ankommt, jeden einzelnen Zug derselben aus nordischen Quellen als ächt nachzuweisen, denn der heidnische Kultus in Deutschland wird theils von jeher manches Eigenthümliche gehabt haben, theils ist die noch lebende Sage wichtig und bedeutend genug, um selbst die Edda zu erläutern und zu ergänzen, ja in einzelnen Fällen zu berichtigen.

Der nordische Odhinn, bei den Longobarden und Sachsen Wôdan genannt, ist nach Grimm's Erklärung des Namens das allmächtige, alldurchdringende Wesen, und dieser Erklärung entspricht vollkommen das Wesen der Gottheit. Er ist der göttliche Geist, der von Anfang an über dem Chaos schwebte und, dasselbe durchdringend, Schöpfer des geordneten Weltalls ward, in welchem er fortan als höchster Herscher des Himmels nach unerforschlichem Rathschlusse waltet. Daher sein Name Alfadur, Allvater, Vater aller lebendigen Wesen, Götter und Menschen, deren Leben und Tod, Heil und Verderben in seiner Hand ruht. - Er ist die Nacht, welche den Tag, der Tod, welcher das Leben erzeugt. - Jener ersten Periode der Schöpfung des Weltalls vergleicht sich aber in dem ewigen Kreislaufe des Jahres

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der wüste, dunkle, todesstarre Winter, aus welcher die Erde im Frühling durch den schöpferischen Hauch Gottes zu neuem Leben geweckt wird. Daher ist der Winter schon nach unzweideutigen Sagen der Edda die Jahreszeit der Herrschaft Othins, sein eigentliches Reich, und dieser Auffassung entspricht auch seine ganze äußere Erscheinung: ein Greis in grauem Mantel, mit breitkrempigem Hute, weißem Schilde und der kriegerischen Lanze, auf schneeweißem Rosse reitend, dazu einäugig, gleich der schielenden, nur die Hälfte des Tages leuchtenden Wintersonne, - so schildert ihn die nordische Sage. - Aus diesem ursprünglichen Wesen Othins als höchster und allgemeiner Naturgottheit entwickelt sich nun durchaus einfach und ungezwungen seine ethisch= persönliche Erscheinung. Sein dunkles geheimnißvolles Walten war nicht geeignet, Liebe und Vertrauen zu wecken, sondern erfüllte die Seele der Sterblichen mit Furcht und Grauen. Daher der Glaube, daß nur blutige Opfer seinen Zorn besänftigen, und selbst Menschenblut floß an seinem Altare, dessen Name Woutan schon im Heidenthume als der Schreckliche, Wüthende gedeutet ward. Demgemäß erscheint er vor allem als Gott des Krieges 1 ) und der Jagd, aber zugleich des Handels und der Schifffahrt, da der Verkehr mit fremden Völkern immer als eine Art Krieg betrachtet ward; ferner als Beschützer der zumeist nur im Winter betriebenen Künste und Gewerbe, sowie aller geheimnißvollen Weisheit, weshalb das ganze unheimliche Zauberwesen in seinem Dienste geübt ward. Sieg, Ehre und Reichthum kam von ihm, aber er vertheilte seine Güter nach ewigem Schicksalsschlusse, der dem Auge des Sterblichen als Laune und Willkür erschien, so war er vorzugsweise der Gott der Hohen und Reichen, der Fürsten und Helden, welche nach dem Tode bis zum Untergange der Welt mit ihm in dem freudenreichen Walhalla zu leben hofften, während die Masse des Volkes von seinem Himmel ausgeschlossen blieb.

Als Gattin Othins erscheint in der Edda die hohe Göttermutter Frigg, auch Fjörgyn und Jörd, d. h. Erde, genannt. Sie war also nach der Vorstellung des Nordens eine Erdgöttin, aber dem Wesen ihres Gatten gemäß ist dabei ursprünglich sicher nicht an unsere erwärmende und ernährende Erde zu denken, die der Mensch zu allen Zeiten als seine liebe Mutter betrachtet


1) Der besondere Gott des Krieges, Othins Sohn Tyr, althochd. Ziu, ist offenbar nur eine jüngere Abspaltung aus dem vielseitigen Wesen des Vaters. Das Wort, mit welchem viele Beinamen Othins und Thors zusammengesetzt sind, bedeutet überhaupt das göttliche, Gott, und Othin selbst heißt ausdrücklich Sigtyr, der Siegesgott. - Daß Tacitus den germanischen Othin dem römischen Mercurius verglich, ist bekannt, andern erschien er als Mars.
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hat, sondern an den chaotischen Urstoff aller Dinge, aus welchem Othin das Weltall schuf, als er im Anfang der Zeit, denselben mit seinem göttlichen Geiste durchdringend, sich gleichsam mit ihm vermählte. Aber diese abstracte Idee lag natürlich den Begriffen der Menge zu fern, weshalb man sich schon früh damit begnügt zu haben scheint, in der hohen Gattin Allvaters, mit welcher dieser seinen Himmelsthron theilte, einfach und ohne weitere mystische Deutungen ein Vorbild der sorgenden Hausfrau und Mutter zu verehren, ja offenbar wird sie selbst in der älteren Edda mehrmals mit der Freia, der Göttin der Liebe, verwechselt, wie umgekehrt mehre Mythen, welche nur auf Frigg, Othins Gemahlin, zu passen scheinen, von der Freya erzählt werden, z. B. daß sie auf einem mit Katzen bespannten Wagen zur Schlacht ziehe und sich mit Othin die Erschlagenen theile 1 ).

Diesem seinem ursprünglichen Wesen gemäß tritt Wodan in den Sagen des germanischen Festlandes überall, nachdem er durch das Christenthum seiner Göttergestalt entkleidet ist, als unheimliches, nächtliches Schreckbild auf, ja häufig gradezu in der Gestalt des christlichen Teufels. Neben ihm aber erscheint zugleich seine Gattin, mit ihm gleichsam zu einem Wesen verschmolzen, als ein weiblicher Wodan, der unter den verschiedensten Namen als Frau Freke und Frick, Frau Holle, Bertha, Harke u. s. w., selbst als Hera und Diana, oder ohne besonderen Namen als die weiße Frau in allen Gegenden Deutschlands bekannt ist; gleich ihrem Gemahle eine wahre Wintergottheit im glänzenden weißen Kleide, mit eisiger Nase 2 ), die, wenn sie ihr kaltes Bett macht, die Luft mit Schneegestöber erfüllt.

Die meklenburgische Sage kennt nun gleichfalls sowohl die männliche, als die weibliche Gottheit, aber beide nur unter dem ächten, alten Namen des Gottes Wode, unverkennbar eine bloße Verkürzung aus Wodan. Die neueren einheimischen Schriftsteller, welche dieser Erscheinung gedenken, schreiben den Namen nach der Volksmundart ihrer Gegend bald Wode oder Waud, bald Wôr oder Waur. Dcr Doppellaut au, oder genauer vielleicht ou, vertritt nämlich in der breiten Aussprache des Landvolkes, besonders im östlichen Meklenburg, bekanntlich die Stelle des ursprünglichen tiefen ô, und das auslautende d vor dem abgeworfenen e verwandelt sich nach allgemeiner meklen=


1) Gr. S. 193. Vgl. auch S. 192.
2) Das heutige Volk giebt ihr eine eiserne Nase, was ein offenbares Mißverständniß ist. Auch in Frankreich ist sie als dame blanche allgemein bekannt und die notre dame aux neiges erklärt vielleicht auch dort die Bedeutung der weißen Farbe.
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burgischer Aussprache in r, z. B. de Gor' (Gaur'), statt Gode =der Gute, de Bôr' (Baur') statt de Bode=die Bude, de Rôr' (Raur') statt de Rôde=die Ruthe und der Rothe, u. s. w. Wode, Waud', Wor' und Waur' sind also nur verschiedene Formen eines und desselben Namens. Mehr abweichend ist die Form Gode, welche bei uns jedoch nur von der weiblichen Erscheinung, der Fru Goden, in der südlichen Grenze des Landes, wie der benachbarten Prignitz, Lüneburg, Braunschweig u. s. w. gebraucht wird, aber durchaus nicht irre machen darf, da auch der Name des Gottes Gwodan, Godan geschrieben wird. Endlich findet sich noch die Form Wol statt Wor' 1 ), die ich zwar aus dem Munde des Volkes selbst nicht zu bestätigen vermag, die aber auch im Holsteinschen (Müllenhoff S. 371) und in der Gegend vom Steinhuder See im Hannoverschen (K. u. Sch. S. 395) vorkommt und sich dem Schaumburgischen Wold vergleicht (Gr. S. 105).

Die Weiblichkeit der Fru Woden oder Goden beruht übrigens vielleicht nur auf einem Mißverständnisse, denn das Fru könnte ursprünglich dem althochdeutschen frô, gothisch frauja, d. h. Herr entsprochen haben, da Ulfilas grade diesen Ausdruck vorzugsweise zur Bezeichnung Gottes gebraucht, und in der That scheint auch der Pastor Mussäus zu Boizenburg, ein scharfsinniger Beobachter der Sitten und Sagen des Volkes, in seiner Gegend einem männlichen Fru Wod begegnet zu sein 2 ). Da indeß unsere Fru Woden zugleich der Frau Fricke, Holda, Bertha u. s. w. in andern Gegenden Deutschlands vollkommen entspricht, so ist doch auch möglich, daß sich die Sage ursprünglich auf eine weibliche Gottheit, nämlich die nordische Frigg, bezieht, auf die man nicht nur den Namen ihres Gatten übertrug, sondern beide auch dem Wesen nach mit einander vermischte. Daß aber für den Namen der weiblichen Erscheinung die Form Gode vorherrschend ward, hängt ohne Zweifel damit zusammen, daß man vorzugsweise die milderen Züge der Sage auf sie übertrug und dem gemäß ihren Namen durch die gute Frau erklärte. Diese Bezeichnung paßt indeß keineswegs auf das eigentliche Wesen der Erscheinung, weshalb in einigen Gegenden des Landes die Sage, ohne Zweifel in jüngerer Zeit, der Fru Goden noch eine Fru Bösen 3 ) entgegensetzt, grade wie


1) Ueber den Aberglauben, von dem verstorbenen Prof. Flörke zu Rostock, in dem Freimüthigen Abendblatt 1832, Nr. 698 ff.
2) Mussäus über die niedern Stände in Meklenburg, Jahrb. II, S. 130.
3) Im 16. und 17. Jahrhundert kommt auch der Familienname Frobose ziemlich häufig vor.
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die Frau Holde auch als Frau Unholde erscheint. Dagegen treten der männliche Wode und Fru Goden niemals neben einander auf, indem vielmehr in allen Gegenden, wo jener sein Wesen treibt, d. h. namentlich an der Seeküste und in der Mitte des Landes, diese völlig unbekannt ist, und umgekehrt.

Am bestimmtesten tritt nun die Identität dieser Erscheinungen mit den heidnischen Gottheiten in den abergläubischen Gebräuchen des Volkes zur Zeit der Ernte und in den sogenannten Zwölften, d. h. den 12 Tagen von Weihnacht bis H. drei Könige hervor, in welche Zeit die beiden Hauptopferfeste des Nordens fielen, an welche sich vorzugsweise die Verehrung Othins oder Wodans knüpfte. Das große Herbstopfer war zwar zunächst und hauptsächlich ein Dankopfer für den Erntesegen (til ars), aber es galt auch zugleich dem kommenden Winter (at fagna tha vetri, d. h. zum Empfange des Winters), und diese Bedeutung tritt auch auf dem Festlande in den Gebräuchen unsers Erntefestes bestimmt und unzweideutig hervor, indem man früher allgemein und theilweise noch jetzt beim Abmähen des Winterkorns auf jedem Felde einen Haufen stehen ließ und feierlich dem Wode weihete.

Das älteste Zeugniß für diesen merkwürdigen Gebrauch enthält der ausführliche Bericht des Rostocker Predigers Nicolaus Gryse aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. "Im Heidendome", erzählt derselbe, "hebben tor tydt der Arne de Meyers dem Affgade Woden umme gudt Korn angeropen, denn wenn de Roggenarne geendet, hefft man up den lesten Platz eins ydern Veldes einen kleinen ordt unde Humpel Korns unafgemeyet stan laten, dat sulwe baven an den Aren drevoldigen thosamende geschörtet unde besprenget, alle Meyers syn darumme hergetreden, ere Höde vom Koppe genamen und ere Seyßen na dersulven Wode unde geschrencke dem Kornbusche 1 ) upgerichtet, unde hebben den Wodendüvel dremal semplick lud averall also angeropen unde gebeden: Wode, hale dinem Rosse nu Voder, Nu Distel und Dorn, Thom andren Jhar beter Korn! - Welker affgodischer gebruck im Pavestdom gebleven, darher denn ock noch an dessen orden, dar Heyden gewanet, by etlyken Ackerlüden solcker avergelovischer gebruck in der anropinge des Woden tor tydt der Arne gespöret wert" 2 ).


1) Offenbar ein Druckfehler statt: geschrenkedem, d. h. verschränktem, keuzweise gebundenem Büschel Korn.
2) Spegel des Antichristischen Pavestdoms und Lutherischen Christendoms, Na Ordnung der v Hovetstücke unsers H. Catechismi underscheiden dorch Nicolaum Grysen. Rostock durch Steffen Müllmann MDXCIII. dat 2. Gebot. (Bogen 1.)
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Diese Erzählung wird vollkommen bestätigt durch einen gleichzeitigen Bericht über den auf dem Lande herrschenden Aberglauben, wovon leider nur ein Bruchstück im hiesigen Archive erhalten ist. Darin heißt es: "Wan nemblich die Roggen=Ernte geendiget, lassen die Meyer auf dem letzten Stücke Ackers ein klein Plätzlein oder, wie mans nennet, Humpel roggen stehen. Densulven vnafgemeyten Roggen schurtzen sie oben an den arndten dreyfach zusammen vnd besprengen ihn mit Wasser. Wan das geschehen, stellen sie sich samptlich mit gebloßeten Heuptern in einen beschlossenen Circul oder Kreyß herumb, richten ihre Seicheln auffwerts gegen den geschrenckten Kornbusch, rufen vnd schreyen vber laut:

Ho Wode, Ho Wode, du goder,
   Hale dinem Rosse nu voder,
Hale nu Disteln vnd Dorn,
   Thom andern Jar beter Korn!" 1 )

Eben dieses Gebrauches erwähnt auch der Präpositus Franck zu Sternberg in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wobei er allerdings den Nicolaus Gryse als seinen Gewährsmann anführt, aber zugleich versichert, daß er selbst alte Leute gesprochen, welche sich dieser Feldlust noch aus ihrer Jugend erinnert hätten. Auch giebt er den Weihspruch etwas abweichend so an:

Wode! Wode!
   Hahl dinem Rosse nu Boder!
Nu Distel und Dorn,
   Ächter Jahr bäter Korn! 2 )

Zu Franck's Zeit war also das eigentliche Wodensopfer schon außer Gebrauch, aber gleichwohl haben sich noch bis auf den heutigen Tag unzweifelhafte Spuren desselben erhalten. Noch jetzt nämlich sind die angeführten Verse in den Dörfern der Umgegend von Rostock bekannt, wenn auch nur in dem Munde der Kinder, und noch jetzt ist es eben dort Sitte, am Ende des Feldes einen Büschel Korn stehen zu lassen, wenn man ihn auch nicht mehr in feierlichem Gesange und Tanze dem Gotte weihet. In der Gegend zwischen dem Schweriner See und der Warnow, namentlich bei Bützow, hat man das Opfer zwar eingezogen, aber allgemein scheuen sich die Schnitter, die letzte Schwade, welche der Wolf genannt wird, abzumähen, und jeder strengt


1) Der Berichterstatter hat offenbar den Nicol. Gryse vor sich gehabt, und vielleicht hat dessen Ezählung eben Veranlassung gegeben, darüber Bericht einzufordern. Dadurch wird aber dem Gewichte des letzteren nichts genommen.
2) Dav. Franck A. u. N. M., 1753. B. I, S. 57.
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seine äußerste Kraft an, um nicht der letzte zu sein. Wem aber dennoch das Loos gefallen ist, den Wolf mähen zu müssen, der muß an einigen Orten dieser Gegend mit seiner Binderin eine mit buntem Bande geschmückte Strohpuppe daraus machen, welche gleichfalls Wolf genannt, in eine Garbe gesteckt und mit dieser oben auf die letzte Hocke gepflanzt, später aber häufig mit zu Hause genommen und bei dem folgenden Erntebier aufgestellt wird. Der Wolf war bekanntlich Wodans geheiligtes Thier, und wir werden später noch öfter bemerken, daß derselbe in den Sagen und Aberglauben des Volkes gradezu die Stelle des Gottes selber vertritt, dessen Namen man zu nennen sich scheuet. Jene Wolfpuppe ist also ein wirkliches Götzenbild.

Derselbe Gebrauch findet sich in der ganzen Ukermark und den angrenzenden meklenburgischen Aemtern, z. B. in Mirow und Wredenhagen. Die Puppe jedoch, welche entweder auf dem letzten Fuder jubelnd heimgebracht oder von der letzten Binderin feierlich in das Dorf getragen wird, hat hier allgemein den eben so bezeichnenden Namen des Alten, de Oll' (K. u. Sch. S. 396 - 397 und 399). Zwar glaubt Kuhn diesen Namen auf Thor beziehen zu müssen, welchem demnach auch das Opfer gebracht wäre, allein abgesehen davon, daß der Name selbst bei weitem besser auf Wodan paßt, als auf den männlich kräftigen Donnerer, so weis't die Vergleichung mit dem beschriebenen, durchaus gleichen Erntegebrauch bei Bützow und die dortige Benennung der Puppe zu entschieden auf den Zusammenhang der Sitte mit dem schon im 16. Jahrhundert beschriebenen Wodansopfer hin, als daß man denselben verkennen könnte. Eben so entschieden spricht dafür der ganz ähnliche Gebrauch im Oldenburgischen unter Anrufung des Waud, und im Schauenburgischen, wo in den noch jetzt üblichen Weihversen der Empfänger unter dem Namen Wold gradezu als himmlische Gottheit und zwar als der aus seinem Throne (Hlidskialf) sitzende Othin geschildert wird: Häven=Hüne weit wat schüt, jümm hei dal vom Häven süt (Gr. S. 105 und 2te Ausg. S. 106).

Auch im Hannoverschen kennt man den Gebrauch, nur daß das Opfer hier der Fru Gauen dargebracht wird, deren Identität mit unserer Fru Goden nicht zweifelhaft ist. Die Namen sind nur dialectisch verschieden, da man in dortiger Gegend z. B. auch Fauer statt Foder=Futter, Raue statt Rode =- Ruthe, und de gaue statt de gode= die gute spricht. Höchst interessant aber ist es, hier die in Meklenburg schon im 16. Jahrhundert gebräuchlichen Verse mit geringer Abweichung und

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auf die Frau Goden angewendet, wiederzufinden 1 ). Eben so tritt auch in der Altmark die Fru Gode in die Stelle ihres Gemahls, indem die Opferähren hier das ver 2 ) Goden deel genannt und ihr als Strauß geweihet werden. Auch das Erntefest selbst heißt dort hin und wieder Vergodendêl (K. u. Schw. S. 394).

Endlich ist derselbe Gebrauch auch in Schonen, Blekingen und andern nordischen Gegenden nachgewiesen; wie früher in Meklenburg wird hier noch jetzt die letzte Garbe, theilweise unter feierlichem Gesang und mit Anzündung eines Freudenfeuers, dem Othin dargebracht, oder vielmehr seinem Pferde (Gr. S. 104 und 529 - 530), eine Bestimmung, welche nicht zu übersehen ist, da der Gott selber blutige Opfer forderte. Doch ward ihm in einigen Gegenden des Nordens bei dem fröhlichen Gelage nach vollendeter Ernte ein Trankopfer gespendet, woran vielleicht auch bei uns noch der alte Name dieses Gelages, des heutigen Erntebiers, erinnert. Nach Franck a. a. O. ward dasselbe nämlich früher Wodelbier genannt, ein Ausdruck, welchen auch Mantzel zu kennen scheint, wenn er neben Gilden, Ahrenklazen und andern Gelagen auch der Weddelbiere gedenkt 3 ). Nach Mantzel (Thl. 24, S. 65) soll übrigens das Erntefest früher feststehend am Bartholomäustage (24. Aug.) gefeiert sein, wobei es Sitte gewesen, aus einem Roggen=Brote allerlei Figuren und symbolische Bilder zu schneiden. Darauf soll der Vers Bezug haben:

De mi minen Teller snitt,
ut minen Kes maket ên Schipp,
ênen Bartelmäus ut min Brod,
den heff ick in min Hus unnoth!

Was nun die Bedeutung dieses Opfers betrifft, so halte ich es ganz entschieden für einen Irrthum, wenn selbst Grimm, und nach ihm alle neueren, dasselbe als ein Dankopfer auffassen und dem zufolge den Todesgott Wodan, den greisen Herrscher


1) Gr. S. 153, und in Bezug auf den dortigen Dialect, 2te Ausgabe, S. 434.

Die Verse lauten hier:
Frau Gaue, halet ju Fauer!
Düt jar up den Wagen,
ander jar up de Kare!

Die beiden letzten Verse sind wahrscheinlich nur durch Mißverständniß umgedreht und lauteten ursprünglich vielleicht:

Düt jar up de Kar,
up den Wagen ander Jar!

2) Das "ver" ist eine bekannte und im Mittelalter allgemein übliche Verkürzung aus Fru.
3) Mantzel (Prof. in Bützow) Bützowsche Ruhestunden 1764, Thl. 13, S. 51.
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im Reiche des Winters, zugleich zu einem Gotte der Fruchtbarkeit stempeln, der den Erntesegen verleihe. Wie ich schon oben angedeutet habe, entspricht dies Opfer nach meiner Ueberzeugung vielmehr dem alten nordischen blôt at fagna tha vetri, zum Empfange des Winters; es war ein Sühnopfer, dem herannahenden Todesgotte dargebracht, damit er die künftige Saat nicht verderbe. Er war es nicht, der den Segen der Ernte verlieh, aber er konnte ihn zum voraus vernichten. Darum ward die ihm geweihete Garbe von dem Winterkorn genommen und für das nächste Jahr die Verdoppelung derselben verheißen. Diesen Sinn, welcher bei einem andern, gleich zu erwähnenden Aberglauben rücksichtlich des Flachsbaues noch deutlicher hervortritt, hat schon Franck, gewiß nach den Berichten seiner Gewährsmänner, richtig erkannt und eben so wird derselbe in den Berichten über die ähnlichen nordischen Gebräuche bestimmt ausgesprochen, z. B. in Bezug auf das Kornopfer für das Pferd des wilden Jägers auf Mön und des sogenannten Jöde zu Upsala (Gr. S. 529 und 530). In dem gleichen Sinne endlich opfert man in Norwegen am Julabende selbst den Sperlingen eine Garbe Korn (Gr. S. 106), eine Sitte, welche sich gleichfalls auch auf dem Festlande, in einigen Gegenden Hannovers wiederfindet, wo man den letzten, unabgeschnittenen und mit einem Strohbande zusammengebundenen Kornbüschel den Vogelzehnten (vågeltejen) nennt (K. u. Schw. S. 395).

Aber auch das zweite, und gewiß das Hauptopfer in dem Erntefeste des Nordens, das blôt til ars, wird auf dem heidnischen Festlande nicht gefehlt haben. Wenn gleichwohl die Nachweisung desselben schwieriger ist, so liegt der Grund davon einfach darin, daß das christliche Ernte=Dankfest unmittelbar in dessen Stelle getreten ist und deshalb die alten heidnischen Gebräuche in diesem Falle vollständiger verdrängt hat. Doch scheint auch davon immer noch Einiges übrig geblieben zu sein. Nicht bloß das Ende der Ernte, sondern auch der Anfang derselben, das Anmähen, wozu die Schnitter und Binderinnen noch jetzt mit bunten Bändern festlich geputzt auf das Feld hinausziehen, ward in früheren Zeiten viel feierlicher begangen als jetzt, ja es ward sogar im ganzen Lande (nicht bloß bei Mirow, K. und Schw. S. 398) kirchlich durch das Läuten der Glocke geweihet. Im Heidennthume aber ward wahrscheinlich schon jetzt das erste Dankopfer gebracht, wodurch es sich zu erklären scheint, daß in einzelnen Gegenden, z. B. in der Prignitz, das übliche Kornopfer nicht aus der letzten, sondern aus der ersten Garbe, welche schlechthin Austgarbe heißt, genommen wird (K. und

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Schw. S. 397), was unverkennbar auf ein ursprünglich doppeltes Opfer hinweis't. Vielleicht ward die große Krone, aus Aehren und Blumen gewunden und mit seidenen Bändern und Knittergold reichlich geschmückt, welche man bei uns überall beim Erntefest aufhängt und bis zum nächsten Jahre aufbewahrt, früher gleichfalls aus dieser ersten Garbe genommen. In der Gegend von Höxter und Minden herrscht nun aber der Gebrauch, auf diese Krone einen hölzernen Hahn zu befestigen, und auch in andern Gegenden Deutschlands spielt dieses Thier eine Hauptrolle bei den Erntegebräuchen, indem bald bei Ueberbringung des Erntekranzes von der Herrschaft ein Hahn geschenkt, bald ein feierliches Hahngreifen veranstaltet wird, ja hie und da wird sogar die letzte, von den Binderinnen mit einem Kranze geschmückte Garbe, der Hahn genannt, wie bei uns der Wolf (K. u. Schw. S. 397 und 398). Der Hahn war aber Thor's geweihetes Thier, wie der Wolf das des Wodan; jene Garbe war daher unzweifelhaft das dem Thor, dem Gotte der Fruchtbarkeit, dargebrachte Dankopfer neben dem Sühnopfer Wodan's, obgleich der heutige Gebrauch beide nicht mehr strenge auseinanderhält.

Das Hauptfest des Jahres, das 12tägige Julfest, feierte der heidnische Nordländer bekanntlich zur Zeit der Winter=Sonnenwende. An ihm wurde zwar allen Göttern geopfert, vor allen aber Othin, dem Gotte der Götter, der grade um diese Zeit am unumschränktesten herrschte. Wir dürfen daher erwarten, daß sich auch in den christlichen Festgebräuchen und dem sich daran knüpfenden Aberglauben manche Erinnerung an die einst so mächtige Gottheit erhalten habe, - und so ist es auch. Selbst an dem Christabende und in Begleitung des heiligen Christkindes wußte sich der heidnische Gott in die festlich erleuchteten Wohnungen der Gläubigen einzuschleichen und weiß es wohl noch hie und da, wenngleich bis zur Unkenntlichkeit vermummt. Auch gegen diese Entweihung des christlichen Festes erließ der Herzog Gustav Adolph; unterm 25. November 1682 ein strenges Edict, worin es namentlich heißt, daß an diesem Feste "dem gemeinen Gebrauch nach allerlei vermummte Personen unter dem Namen des Christkindleins, Nicolai und Martini auff den Gassen umher lauffen, in die Häuser entweder willig eingeruffen werden oder auch in dieselben sich hineindringen, derogestalt, daß den Kindern eingebildet wird, als wenn es das wahre Christkindlein, welches sie anzubeten angemahnet werden. Nicolaus und Martinus auch als Intercessores bei demselben die Kinder zu vertreten sich annehmen, auch sonsten andre nichtige, unchristliche, muthwillige Dinge in Worten und Werken

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vornehmen und treiben". Diese Mummereien aber hätten "aus dem abergläubischen und abgöttischen Papstthum, ja wohl gar mutatis nominibus et personis aus dem stockfinsteren Heidenthume den Ursprung", weshalb dieselben "bei willkürlicher und ernster Strafe gänzlich abgethan und durchaus bei Adel und Unadel verboten sein sollen". Die Art der Intercession der gedachten beiden Heiligen wird nicht näher bezeichnet und auch die Schriftsteller, welche dieser Mummereien gedenken, setzen dieselben als bekannt voraus. In einem Weihnachtsprogramme des Professors Herm. Christ. Engelken in Rostock von 1727 führt dieser jedoch an, daß das Christkind weiß gekleidet, sein Begleiter, der Rug' Klas, dagegen in allerlei rauhe Felle gehüllt und daß beide noch von einer Schaar jugendlicher Gestalten umgeben waren, welche Engel vorstellten. Der alte Franck aber, welcher gleichfalls heftig gegen diese Sitte eifert, macht die merkwürdige Aeußerung, daß wir als Christen für dergleichen Teufelsspiel billig einen Abscheu tragen und unsere Kinder nicht mit Wodansgesichtern erschreckten sollten, wann wir sie mit dem lieben Jesus=Kindlein erfreuen wollten; viel weniger sollte man ihnen Christum und den Teufel zugleich zur Anbetung darstellen.

Hiezu giebt nun der in andern benachbarten Gegenden noch bis heute erhaltene Gebrauch den besten Commentar. In den Marken, Anhalt, Hannover, Westfalen u. s. w. sucht nämlich der auch hier entweder Klas oder Ruprecht genannte Begleiter des Christkindes durch künstliche, mit weißen Tüchern behängte Auswüchse auf Rücken und Brust die Gestalt eines Schimmelreiters nachzuahmen, während andere Bursche, in der Gegend von Ruppin die Feien genannt, sich das Gesicht schwärzen und als alte Weiber verkleiden (K. u. Schw. S. 402 - 403 und Märkische Forschungen a. a. O. S. 117 - 118). - Ganz dieselbe Vermummung findet sich in andern Gegenden Norddeutschlands bis nach Thüringen hinaus und anscheinend hie und da auch in Meklenburg um Fastnacht wieder, wohin überhaupt viele ursprüngliche Weihnachts= und Neujahrsgebräuche verlegt zu sein scheinen (K. u. Schw. S. 369 u. Rabe, plattd. Volksbuch S. 227). - Dieser Schimmelreiter, ein echtes "Wodansgesicht", ist offenbar kein Anderer, als der Gott selbst mit seinen Walkyrien, welche in Meklenburg schon 1727 in Engel verwandelt waren. Gegenwärtig kommen indeß diese Verkleidungen bei uns, so viel ich weiß, um Weihnacht überhaupt nicht mehr vor; nur die Erinnerung an den heiligen Nicolaus hat sich erhalten, indem man an dem Christabende den unartigen Kindern zu drohen pflegt, Nuhklas werde kommen und sie in den Sack stecken (worauf

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auch Franck anspielt), während das Kind Jes' (gewöhnlich Klingjes) die artigen beschenke. Wie der heilige Nicolaus, dessen Fest die katholische Kirche bekanntlich am 6. December begeht, zu dieser Rolle kommt, weiß ich nicht anzugeben. Der heilige Martin dagegen, dessen das Edict von 1682 neben jenem gedenkt, der aber jetzt gänzlich vergessen ist, erscheint in andern Sagen gleichfalls als Schimmelreiter im weiten Mantel, und auch die ihm geweihete Gans weist auf Wodan hin worauf schon Kuhn aufmerksam gemacht hat (K. u. Schw. S. 517 u. a. a. O.). Uebrigens sind die Worte des Gesetzes ohne Zweifel so zu verstehen, daß einer von beiden, nicht beide zugleich, also nur eine Person unter zwei verschiedenen Namen, als Begleiter des Christkindes aufgetreten sei, wenigstens wissen schon Engelken und Franck von einer doppelten Begleitung nichts.

Völlig unverkappt treibt aber der alte Kriegs= und Jagdgott und sein weiblicher Doppelgänger in den auf den heiligen Abend folgenden und während der ganzen alten Festzeit bis zu dem Tage der heiligen Drei Könige, welche Zeit man bekanntlich schlechthin die Zwölften nennt, sein unheimliches Wesen. Es ist dies nämlich die Zeit der wilden Jagd des Wode und der Fru Woden; zwar kommt diese Erscheinung den ganzen Winter hindurch vor (niemals im Sommer), vorzugsweise jedoch fiel das Jagdfest des Gottes in die heiligen Zwölften, weshalb ich hier zusammenstelle, was die Sage darüber berichtet. Den allgemeinen Glauben an diese wilde Jagd bezeugt schon der oben angeführte Bericht über den auf dem Lande herrschenden Aberglauben aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, wo versichert wird, daß "der Bauren bericht nach mehr gemeldter Wode, oder vielmehr der Teuffel selbst, sich oftmals zur Winterzeit des Nachts gleich einem Jäger mit einem Geschrei vnd hunden auffm Felde hören vnd sehen lasse". Ganz ähnlich spricht sich Nicol. Gryse a. a. O. darüber aus. Johann Peter Schmidt, Professor in Rostock 1 ), bemerkt gleichfalls, indem er von Wodan spricht, daß noch viele Leute, besonders aber die Jäger den Wahn hegten, "als wenn um Weihnachten und Fastelabend aus der sogenannte Woor, die Goor, der wilde Jäger ziehe, das ist: der Teuffel mit einem Hauffen Polter=Geister eine Jagd anstelle". Auch Franck (a. a. O. S. 55 und 56) kennt diese Wodensjagd namentlich in den Zwölften und versichert, daß man in allen Ostseeländern Vieles davon zu erzählen wisse, wie der Wode hier über den Hof, dort über die Küche gejagt. Er


1) Fastelabendssammlungen, oder geschichtsmäßige Untersuchung der Fastelabends=Gebräuche in Meklenburg etc. Rostock 1742, S. 76, in der Note.
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meint aber, daß die Fabel in Meklenburg ziemlich vergessen sei, nachdem durch Einführung der Glashütten die mehrsten Hölzungen des Adels sehr dünne gemacht worden. Wie sehr er darin irrte, beweisen die Berichte des Professors Flörke (über den Aberglauben, a. a. O.) und des verstorbenen Pogge auf Zierzow 1 ) u. a., welche übereinstimmend versichern, daß der Glaube an diese Jagdzüge noch jetzt unerschüttert und allgemein verbreitet ist. Eine genauere Schilderung der Jagd giebt Mussäus (a. a. O. S. 133). Nach ihm reitet der wilde Jäger, gewöhnlich "Waud", an der Elbe Fruh Wod genannt, auf einem Schimmel mit vielen bellenden Hunden an einer Kette und vielen Kutschen über und neben einander, zuweilen auch (an der Elbe) in Gestalt eines Heuschobers, und wird von Einigen für einen alten Edelmann gehalten. Er thut denen nichts, die mitten im Wege bleiben; daher sein Zuruf an den Wanderer: "midden in den Weg!" Aehnlich erschien er einem Bauern in Ganschow bei Güstrow. Auch ihn warnte der Führer des Zuges durch den Zuruf: "Hol den Mittelweg, unn min Hunnen dôn di nicks!" 2 ) Er befolgt den Rath, und kliff, klaff, kliff, klaff geht es über ihn hinweg "aß ên grote Klugenball" (d. h. als eine verwirrte Masse von Weberknäueln und Spulen). Auch einer Büdnerfrau aus Gutow, welche mit einem Mädchen von Bolkow nach Rosin ging, begegnete der unsichtbare Zug, welcher das Mädchen festbannte, daß sie durchaus nicht über den Bach kommen konnte, während ihr Hund furchtbar heulte und die Pferde, aus einer nahen Koppel ausbrechend, spornstreichs davon jagten, "Dat wier ok de Wor'." Noch schlimmer erging es Anderen, ja es fehlt nicht an Beispielen, daß die wilde Hetze den ihr begegnenden Wanderer förmlich zerriß und sich in seine Gliedern theilte. Auch saus't der unheimliche Zug mitunter mit Pferd und Wagen unter furchtbarem Lärm mitten durch menschliche Wohnungen; so geschah es z. B. auf dem Weitendorfer Hofe, man sagt, zur Strafe des grausamen Gutsherrn.

Dieser wilde Jäger wird nun in andern Gegenden Meklenburgs abermals durch ein weibliches Wesen, die Frau Woden oder Goden, vertreten, über welche uns von dem Pastor


1) Beobachtungen über die wilde Jagd, im Freimüthigen Abendblatt 1832, Nr.121, Beil. Pogge erklärt die Naturerscheinung, welche zu der Sage Veranlassung gegeben habe, durch die oft sehr zahlreichen Züge wilder Gänse, welche im Winter gegen Süden ziehen und ein in der That sehr unheimliches Geräusch und Geschnatter verursachten. Der alte Franck dagegen erinnert für frühere Zeiten daran, daß die Begattungszeit der Wölfe ungefähr in die Zwölften falle, wobei diese Thiere die Nacht mit furchtbarem Geheule erfüllten.
2) Nach einer Holsteinischen Sage lautete der Ruf, im großen Mardelweg zu bleiben. Müllenhoff S. 584. (Mardel statt Mirrdêl=Mitteltheil?)
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Günther im achten Jahrgange dieser Schrift (S. 202 ff.), sowie in den norddeutschen Sagen (S. 2 - 3) aus den Aemtern Eldena und Grabow, Wredenhagen und Mirow sehr interessante Erzählungen mitgetheilt wurden. Nach der Eldenaer Sage war sie menschlicher Herkunft, eine reiche Frau, welche einst zur Strafe frevelnder Jagdlust mit ihren 24, nun in Hunde verwandelten Töchtern in die Wolken versetzt und zu der wüsten Gespensterjagd verdammt ward, durch welche der Wanderer in den dunkeln Winternächten der Zwölften, vorzüglich in der Christnacht und der Altjahrsnacht so oft in Schrecken gesetzt wird und die selbst durch die menschlichen Wohnungen hindurch braus't, wenn die Bewohner unvorsichtig genug sind, an solchen Abenden die Thüren (oder Luken) offen zu lassen. Grade so erzählt die Sage in andern Gegenden Deutschlands die Geschichte Hackelbernds und anderer männlicher wilder Jäger, deren Identität mit Wodan Grimm (S. 515 ff.) überzeugend nachweis't - Auch die einzelnen Züge in der Erscheinung unserer Fru Goden finden sich ganz ähnlich bei jenen wieder, so z. B. die Art und Weise, wie dieselbe sich rächt, als der Bauer zu Zirtow in das Gejuche der über sein Haus ziehenden Jagd mit einstimmt. Wie Fru Goden diesem ein Menschenbein, woran noch der Strumpf saß, mit den Worten ins Fenster warf: "Hestu mit jucht, möst ok mit freten", so ward der Schneider in Münsterland zur Strafe für denselben Frevel durch einen Pferdefuß vom Tische geschlagen, wobei ihm mit fürchterlicher Stimme zu gerufen ward: "willst du mit jagen, mußt du mit knagen" (Gr. S. 521). Auch in den zahlreichen Holsteinischen Sagen vom Wode und seinen Stellvertretern kommt dieser Pferdeschinken ganz in derselben Weise mehrmals vor (Müllenhoff, S. 369, 371 - 584). Eben so finden wir das auf dem Heerde zurückbleibende klagende Hündchen aus dem Jagdgefolge der Fru Goden in der Eldenaer und Mirower Sage, auch bei dem Helljäger der Wesergegend (K. u. Schw., S. 275 und 276), sowie bei dem westfälischen Hackelberend (Gr., S. 517) wieder; ja selbst die Verwandlung desselben in Stein wird dort, wie hier, mit geringer Abweichung erzählt. Auch stimmt die Mirower Sage mit jener darin überein, daß der Hund sich im folgenden Jahre der Jagd freiwillig wieder anschließt, nur ist ihr der auf seiner Lagerstelle zurückbleibende Goldklumpen eigen, wogegen der Hund in Semmerin nur durch das zauberhafte Brauen des Biers durch den Eierdopp gebannt werden konnte. Dies letzte Ereigniß erzählt aber auch eine andere einheimische Sage in Ueberinstimmung mit denen anderer Länder von den Zwergen bei

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Peccatel 1 ). Eigenthümlich scheinen der Eldenaer Sage die 24 Töchter, welche man vielleicht auf Othins Walkyrien beziehen darf, was abermals für die Zurückführung der Fru Goden oder Woden auf einen Herr Wodan sprechen würde.

In andern Zügen ist Fru Goden dagegen, wie schon oben bemerkt ward, völlig identisch mit der bekannteren Frau Holle (welche übrigens hie und da gleichfalls an die Spitze der wilden Jagd gestellt wird). Wie jene, hält namentlich auch diese ihren Umzug zu Wagen, niemals zu Pferde, und beschenkt diejenigen, welche ihr einen Dienst geleistet haben, mit den abfallenden Spänen und andern werthlosen oder unsauberen Dingen, die sich aber in der Hand des gläubig Empfangenden in reines Gold verwandeln. Ganz eigenthümlich ist aber wieder der Gesang im Kreise tanzender Kinder zu Gorlosen:

Fru Goden hett mi'n Lämmken geven,
darmit sall ick in Freuden leven.

Außer dem Wode und Fru Woden sind in den heiligen Zwölften aber auch alle übrigen bösen Geister in lebhafter Bewegung, und zu keiner Zeit des Jahres haben sie so große Gewalt über die Menschen, als namentlich in der Christ= und Neujahrsnacht 2 ), wo sie die Brunnen verunreinigen, das Vieh verderben, z. B. dasselbe hinkend machen und mit Läusen besetzen und überhaupt den Menschen in jeglicher Weise zu schaden suchen. Auch die Hexerei und alle Zauberkünste gelingen zu keiner Zeit des Jahres so leicht, als in den gedachten Nächten, weshalb um diese Zeit in Stadt und Land noch heute zahllose abergläubische Gebräuche geübt werden, namentlich zur Erforschung der Zukunft 3 ). Dagegen darf das heilige Fest durch keine Arbeit entweihet werden, weshalb während der ganzen 12 Tage alle gewöhnlichen häuslichen Arbeiten ruhen, namentlich wird kein Stall ausgemistet, kein Zeug gewaschen oder getrocknet, kein Spinnrad und keine Haspel gerührt. Der wilde Jäger oder Fru Woden würden die Verachtung dieses Gebrauches an den Ungläubigen bitter


1) Gr., 2te Ausgabe, S. 437. - - Jahrbücher IX, S. 371.
2) Die ähnliche Bewegung der bösen Winter=Geister im Frühjahre, welche jedoch eine ganz andere Veranlassung hat, kann ihre Erklärung erst bei Besprechung der Frühlingsfeste, welche ich auf Thor beziehe, finden, weshalb ich zur Vermeidung von Wiederholungen auf den 2ten Theil dieser Abhandlung verweisen muß.
3) Der Herzog Gustav Adolph erließ daher unterm 14. October 1683 zur Abstellung des abergläubischen Wesens in den Zwölften gleichfalls ein besonderes Edict, worin namentlich die bei der Jagd in dieser Zeit üblichen abergläubischen Gebräuche verboten wurden, die man wohl kennen möchte. Vergl. übrigens Herm. Christ. Engelken's und Mantzel's Weihnachtsprogramme, wo viele abergläubische Gebräuche in den Zwölften, namentlich am Weihmachts= und Neujahrsabend, angeführt werden. Ferner Jahrbücher IX, S. 219, Nr. 43 - 44.
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rächen, namentlich das Vieh verderben, oder mindestens den Flachs beschmutzen 1 ). Auch eigenthümliches Backwerk erinnert noch an das heidnische Julfest und seine Opfer, nämlich außer den überall bekannten Pfeffernüssen und Honigkuchen auch allerlei Figuren aus gewöhnlichem Semmelteige, namentlich Reuter, Schweine und Hasen, welche vom gemeinen Manne ohne weitere Unterscheidung Has'=Puppen genannt werden. Vielleicht ist auch auf dies Fest zu beziehen, was Mantzel von einem in Rostock gebräuchlichen "großen Festverschenkungsbrote" erzählt, welches "ên Wulff" genannt werden 2 ). Dagegen dürfen in dieser Zeit keine Erbsen gegessen werden.

Aehnliche Vorschriften galten auch und gelten theilweise noch immer für die Heilighaltung des dem Wodan geweiheten und seinen Namen tragenden Wochentag. Bekanntlich hieß der Mittwoch früher Wodanstag. An diesem Tage aber und ganz besonders an dem Aschermittwoch in den Fasten darf man nach dem Glauben unserer Landleute sich eben so wenig mit der Flachsarbeit beschäftigen, als in den Zwölften, weder spinnen und haspeln, noch weben, weil der Wode sonst durch das Gespinnst fährt, oder es beschmutzt, noch den Leinsamen säen, weil sonst, wie der alte Franck a. a. O. hinzufügt, Wodans Pferd den Flachs zertreten würde, was ich auf die dem jungen Flachse, welcher nach der Bauerregel 100 Tage nach Weihnacht gesäet werden soll, oft verderblichen Nachtfröste beziehe, welche gewöhnlich strichweise, wie die kalten Nebelwolken über das Feld ziehen, die Saat verderben. Diese besondere Aussicht, welche dem Wodan und seiner Gemahlin über den Flachsbau und die Weberei zugeschrieben wird, scheint übrigens einfach dadurch erklärt, daß hierin die Hauptarbeit, ja fast die einzige Beschäftigung des Landvolks während der langen Winterabende besteht. Auffallender Weise sollen dagegen die Erbsen, das verbotene Gericht während der Zwölften, nach anderen überhaupt alle Kornarten, grade am Mittwoch oder Sonnabend gesäet werden, damit die Sperlinge sie nicht stehlen. Man hätte vermuthen sollen, daß sie aus diesem Grunde grade umgekehrt nicht am Mittwoch gesäet werden dürften.

Außer Zusammenhang mit den heidnischen Festtagen steht die von Mussäus a. a. O. mitgetheilte Sage, in welcher der


1) In der Gegend von Güstrow spinnt und haspelt man jedoch grade in dieser Zeit stillschweigend Garn, welches dann zauberkräftig ist. Kranke, welche durch eine solche Lage Garn hindurch kriechen, werden gesund.
2) Bützowsche Ruhestunden, Thl. 21, S. 22. Sonstige eigenthümliche Festgerichte dieser Zeit sind mir nicht bekannt.
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Wode als Feind der Zwerge erscheint, mit welchen er fortwährend im Kampfe stehe und die er fast schon vertilgt habe; grade sowie der thüringische wilde Jäger den Moosleuten nachstellt, einer Art Waldgeister, welche nach Grimm (S. 520) den Uebergang zu den Zwergen bilden. Auch nach der Lauenburger Sage verfolgt er die Zwerge (Müllenhoff, S. 372 ff. und S. 575). - Auffallend ist ferner die Rolle, welche ihm die Sage in der Gegend von Güstrow zutheilt, indem sie ihn als Grenzwächter bestellt. So hat man ihn z. B. öfters auf der Scheide zwischen Ganschow und Gerdshagen und eben so zwischen Zehlendorf und Weitendorf auf und ab wandern gesehen, mit dem Rufe: "Hier geit de Scheer! Hier geit de Scheer!" Hoffte man von Wodan, dem Gotte des Krieges, vorzugsweise den Schutz der Grenze gegen feindlichen Ueberfal? Und sind etwa die im Leben allzustrengen Herren Amtmänner, welche nach jüngeren Sagen häufig zur Strafe nach ihrem Tode denselben Posten bekleiden, wirklich nur Stellvertreter des Gottes, wie Hackelbernd und andere die wilde Jagd führende Förster und Jagdliebhaber? - Wenn Wodan in dieser letzten Sage ausnahmsweise zu Fuß erscheint, so finden wir dagegen an vielen anderen Orten den Teufel selbst auf seinem Schimmel, z. B. am Teufelsbach bei Friedrichsruh zwischen Parchim und Crivitz. Auch ein aufgezäumter Schimmel ohne Reuter läßt sich hie und da an solchen Teufelsorten sehen, immer aber dem Begegnenden Böses verkündend. - Auch Fru Woden fährt nicht immer unstät durch die Lüfte. Bei Rühn hat sie z. B. als weiße Frau, deren Identität mit Holde u. s. w. Grimm nachweis't, in einem hohlen Baume Wohnung genommen, von wo aus sie den Vorübergehenden in dunklen Nächten oft erscheint, doch habe ich nicht eigentlich erforschen können, zu welchem Zwecke.

Auch in den glänzenden Sternbildern am nächtlichen Himmel fanden unsere heidnischen Vorfahren vielfache Spuren ihrer Götter, zumal Othins und der Seinen. Der hellere lichtweiße Gürtel, welcher sich über den ganzen Himmel zieht und unter dem Namen Milchstraße bekannt ist, hieß nach Grimm's Vermuthung in Deutschland früher die Irmanstraza, d. h. die allgemeine Weltstraße, und war zugleich die Straße des Himmelskönigs, die Wodansstraße, weshalb er auch in dem Ortsnamen Wodenswegh eine Anspielung auf diesen Himmelsweg zu finden glaubt (Gr., S. 105 u. 212). Auch im Amte Stargard giebt es ein Wodensweghe, jetzt Godenswege genannt, wornach das schon im 13. Jahrhundert vorkommende, jetzt erloschene Rittergeschlecht der von Wodensweghe den Namen führte. Indeß ist der Ortsname ohne Zweifel erst von den einwandern=

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den Deutschen aus dem Magdeburgischen, wo derselbe gleichfalls vorkommt, in das Land Stargard eingeführt. - Zu dieser Straße gehört ferner der Wagen des Gottes, wie das Sternbild des großen Bären bekanntlich genannt wird und welcher in den Niederlanden früher Wönswaghen, im Angelsächsischen aber Wönsthisl hieß, d. h. Wodanswagen und Wodansdeichsel, denn Wön ist Verkürzung aus Wodan, da auch der Mittwoch im Niederländischen Wönsdag hieß. Sonst hieß er auch der Karlswagen, und nach christlicher Sage sollen Elias, Christus und andere Heilige aus ihm gen Himmel gefahren sein. Andere an verschiedenen Orten wiederkehrende Sagen bezeichnen nun zugleich den kleinen, über der Deichsel stehenden Stern als den Fuhrmann, welcher den Wagen zur Strafe, nach andern zum Lohne, für alle Ewigkeit lenken muß. In Holstein heißt dieser Fuhrmann Hans Dümkt, anderswo Dümcke, und in Meklenburg soll er, wie Grimm aus Adelung anführt, Duming genannt werden (Gr., S. 419 u. 704, 2te Aufl., S. 688 und Müllenhoff, S. 360). Diese Angabe kann ich soweit bestätigen, als in Meklenburg wirklich ein Stern den Namen Dümling (Däumling), d. h. Zwerg, führt. Mein Gewährsmann, ein Bauer aus der Gegend von Parchim, verstand aber darunter nicht jenen Fuhrmann des Wodanswagens, sondern den damals gerade hell leuchtenden Abend= und wahrscheinlich auch den Morgenstern und wußte nichts zur Erklärung des Namens anzugeben. Sollte wirklich auch dieser Stern denselben Namen geführt und irgend eine verlorne Sage das Verhältniß desselben etwa als Diener der auf= und untergehenden Sonne erklärt haben? - Neben dem Wagen Othins sah man im Norden auch die Spindel der Frigg, welche die christliche Sage bald der Maria beilegte, bald in den Stab des heiligen Jacob verwandelte, wovon aber jetzt keine Erinnerung übrig geblieben zu sein scheint.

Es bleibt noch übrig, einen forschenden Blick in die Naturgeschichte zu werfen, denn bei der eigenthümlichen sinnlich poetischen Anschauungsweise des Heidenthums tritt das innige Verhältniß zwischen Gott und Natur nur um so deutlicher hervor, weshalb wir nicht zweifeln dürfen, in den Thiersagen und selbst in den Namen der Pflanzen und Thiere zahlreiche Spuren der alten Götter zu finden.

In Bezug auf Wodan ist hier vor allem des Wolfes zu gedenken. Die wichtige Rolle, welche dieses Thier in der nordischen Sage spielt, ist bekannt. Othin selbst hatte beständig 2 Wölfe zu seiner Seite, Geri die Gier und Freki den Grimm, welche die gesammte, dem Gotte dargebrachte Opferspeise ver=

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schlangen. In den einheimischen Sagen vertritt der Wolf daher mehrmals gradezu die Stelle des Gottes selbst, z. B. oben in dem Ernteopfer. Daher wagte es Niemand während der Zwölften den Namen des Thieres zu nennen, aus Furcht, daß er auf den Ruf erscheinen möge, wie das Sprichwort: "wenn man vom Wolfe spricht, ist er nicht weit", beweis't. In dem angeführten Edicte des Herzogs Gustav Adolph vom 14. Decbr. 1683 wird dieser Aberglaube speciell hervorgehoben. Auch Franck (A. und N. M. I, S. 55) versichert, daß der Schäfer um diese Zeit lieber den Teufel nenne, als den Wolf, aus Furcht, daß er ihm sonst unter die Schafe fahre, und Mantzel 1 ) erzählt, daß ein Bauer selbst den Namen seines Amtmanns, welcher Wolf hieß, nicht auszusprechen gewagt, sondern ihn Herr Undeert (Unthier) genannt habe. Das Thier aber hieß um diese Zeit "der Graue". Grade so scheuet man sich, den Namen des Teufels zu nennen, welcher andrer Seits gleichfalls als seelenverschlingender Wolf dargestellt wird. Allgemein bekannt ist ferner die Sage vom Werwolf, wornach viele Menschen die Macht besaßen, sich durch Anlegung eines Wolfgürtels in einen Wolf zu verwandeln, und dann in der Nacht als Werwolf umherschweiften, um ihre Feinde oder deren Vieh zu zerreißen. Im Jahre 1682 wurden mehre Menschen in Fahrenholz, welche angeklagt waren, daß sie sich in Wölfe verwandeln könnten, in gerichtliche Untersuchung gezogen, und noch vor 30 Jahren wurden in allen Kinderstuben zahlreiche Beispiele dieser Zauberei erzählt, obgleich es bei uns seit länger als 100 Jahren keine Wölfe mehr giebt; ein Beweis, wie allgemein diese Sage ehemals verbreitet gewesen sein muß, so viel ich mich aber erinnere, habe ich in meiner Jugend nur von männlichen Werwölfen gehört, nie von weiblichen, obwohl in anderen Gegenden das Geschlecht keinen Unterschied macht. Vgl. Gr., S. 621, und K. u. Schw., S. 18 und S. 469, wo auch eine Werwolfssage von Malchin erzählt wird. Auf die nach dem Wolfe genannten Pflanzen komme ich noch zurück. - Dem Wolfe am nächsten verwandt unter den wilden Thieren ist der Fuchs. Sein Verhältniß zu den Göttern ist jedoch zweifelhaft. In Island soll er Waldthor genannt werden, ohne Zweifel mit Bezug auf seinen rothen Balg, doch scheint grade dieser Spottname zu beweisen, daß er nicht zu Thors Sippschaft gehöre. Das falsche lügnerische Wesen dieses Raubthieres paßt bei weitem besser zu Wodan. Auch scheint es, daß auch sein Name in den Zwölften vermieden ward; man


1) Bützowsche Ruhestunden 21, S. 23.
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nannte ihn den Rothen, wie den Wolf den Grauen - Auch die übrigen Raubthiere hat das Heidenthum ohne Zweifel in Beziehung zu Wodan gedacht, doch ist uns wenig davon überliefert, was besonders in Bezug auf den Bären auffallend ist. In Bezug auf den Iltis, welcher anderswo als Katze angesehen wird (Elkatze, auch Elbthier, engl. polekaz), bemerke ich noch, daß unser Landmann ihn Hönerköter (Hühnerköter) nennt. Den Marder, Mårt, scheint man dagegen fast mit dem gespenstischen Nachtmar, welcher gleichfalls Mårt genannt wird, in Verbindung zu bringen. - Von den kleineren Thieren ist vielleicht noch die graue Maus mit den klugen Augen und den scharfen Zähnen und ihrem ganzen nächtlichen Treiben zu nennen. Ein grausamer Aberglaube hofft von einem durch die Augen dieses Thiers gezogenen blutigen Faden, den man dem Kinde um den Hals bindet, gute Wirkung auf das Zahnen desselben, und steckt in gleicher Hoffnung den bei dem Schichten ausgefallenen Zahn in ein Mauseloch. - Noch deutlicher aber tritt diese dämonische Natur bei der gespenstischen Fledermaus hervor, die den Kindern in die Haare fährt und selbst dem blutsaugenden Vampyr verwandt ist. - Wenn wilde Thiere opferbar wären, so würde ich den Hasen hieher zählen. Ich erinnere an die Haspuppen im Weihnacht und den Aberglauben, daß der über den Weg laufende Hase Unglück bringe. Auch die auf der Haide tanzenden gespenstischen Hasen sind in Meklenburg wohl bekannt.

Unter den vierfüßigen Hausthieren war zunächst das Pferd, als Schlachtroß, zumal das weiße, Othins Opferthier 1 ). Namentlich im Julfeste fielen auch Pferdeopfer, woher vielleicht der von Engelken in seinen Weihnachtsprogrammen angeführte Gebrauch, daß am zweiten Weihnachtstage im ganzen Lande den Pferden die Ader geschlagen und das Blut zu abergläubischen Curen gebraucht ward, seinen Ursprung haben mag; der Heilige Stephan, dessen Fest auf diesen Tag fiel, ward daher als Schutzheiliger der Pferde verehrt. Sicherer gemahnt an dies Hauptopfer Wodans der Menschen= und Pferde=Schinken, welchen der Wode dem, der ihn verhöhnt, zuwirft, indem er ihn zur Theilnahme an seinem Mahle aufforderte. Das weiße Pferd vertritt oft, gleich dem Wolfe, den Gott selbst und darum hat auch der Teufel wenigstens einen Pferdefuß, wenn er auch in Menschengestalt erscheint. Auf unsern alten Bauernhäusern sieht man noch jetzt allgemein auf der Spitze beider Giebel, über dem sogenannten Eulenloch, zwei ausgeschnitzte Pferdeköpfe, welche das


1) Gr., S. 376 ff. Auch bei den Slaven waren Rosse dem Kriegsgotte heilig.
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Haus gegen Zauberei schützen sollen. Das ist aber nicht etwa slavische Sitte, sondern findet sich in Westfalen und dem größten Theil von Norddeutschland wieder. Ein Pferdekopf unter dem Kopfkissen des Kranken verscheucht nach Mussäus Fieber=Phantasien, und mit einem Pferdeherzen, in des Teufels Namen gekocht, kann man die Hexen zwingen, sich selbst anzuklagen. - Nächst dem Pferde gehört hieher ohne Zweifel der Hund, der gezähmte Wolf, mit welchem er auch die Wuthkrankheit theilt, der treue Gefährte des Jägers, weshalb wir ihn auf der wilden Jagd natürlich überall als Begleiter des Gottes finden, und das nächtliche Heulen der Hunde ist noch heute nach allgemeinem Glauben Unheil und Tod verkündend. Auch Hundeopfer wurden im Julfeste gebracht, worauf vielleicht die Redensart Bezug hat: "he geit aß de Hund in de Twölften", womit der Bauer bei Güstrow Jemanden bezeichnet, der still und trübselig umherschleicht und die Gesellschaft der Menschen meidet. Das früher übliche Schlagen der Hunde um Fastnacht soll dagegen aus Italien stammen. - Nach unserer Sage fährt auch Fru Goden mit Hunden, die sie wohl nur von ihrem Gemahl entlehnt hat. Nach der Edda dagegen ist der Wagen Freya's mit Katzen bespannt, was ich aber vielmehr auf die Frigg beziehen zu müssen glaube, welcher sonst der ihr vor allen gebührende königliche Wagen fehlen würde. Dafür spricht auch die nahe mythische Verwandtschaft der Katze mit dem Wolfe, die in unseren Hexen=Sagen deutlich hervortritt. Wie aber vorzugsweise nur Männer sich in Werwölfe verwandeln, so nur Frauen in Katzen. - Das Schaf dagegen in seinem schneeigen Winterfließ scheint sich wohl zu Frigg's Opferthier zu eignen, weshalb die Gorloser Kinder, wie wir gesehen haben, sich umgekehrt von Fru Goden ein Lämmchen schenken lassen. Der Reisende achtet auf das Begegnen der Schafheerde; zur Rechten verkündet sie einen freudigen Empfang, zur Linken das Gegentheil.

Der König der Vögel ist bekanntlich der Adler. Daher sah man vor Othin's Wohnung über dem Wolfe einen Adler schweben. Bei uns ist das Thier zu selten, weshalb ich auch keine Sage von ihm kenne.

Bekannter sind Othin's heilige Raben, Huginn und Muninn (die Denkkraft und die Erinnerung), die klugen Boten des Gottes, welche ihm nicht nur alle Ereignisse berichten, sondern auch seine Beschlüsse verkünden. Ihr Flug über dem kämpfenden Heere brachte hier Sieg, dort Niederlage und Tod. Auch Baldr's Tod ward durch Othin's Raben geweissagt. Daher kündet der Ruf des Raben über eine menschliche Wohnung noch jetzt einen Todesfall an. Nach hannoverschen Sagen führt der

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Nachtrabe das wilde Heer, ja selbst den Wagen des Gottes am Himmel (K. und Schw., S. 199 - 200). Zu dem Geschlechte der Raben gehören aber auch die diebischen Elstern und Dohlen, deren dämonische Natur vielfach durchblickt. Krähenzüge bedeuten Krieg. Mehre Giftpflanzen sind nach ihnen benannt; auch die giftige Brechnuß heißt bekanntlich Krähenauge, und eine unleserliche Schrift vergleicht man mit Krähen= und Eulenfüßen, welche Bezeichnung sich ursprünglich gewiß auf geheimnißvolle Zauberzeichen bezieht, wie der Drudenfuß.

Die hier mit der Krähe zusammengestellte Eule, der nächtliche Raubvogel, von welchem die Sage vielerlei zu erzählen weiß, steht auch darin dem Raben nahe, daß auch ihr unheimlicher Ruf als Todesmahnung gilt, wobei sie gleichsam als der Tod selbst erscheint, der sein Opfer auffordert, ihm zu folgen (Kumm mit!). Auch sonst ist ihre Erscheinung Unheil bringend, wie die Sprichwörter bezeugen: "Dar hätt ên Ul seten", von dem Fehlschlagen der Hoffnung, und "Hê iß mit Ulensat besei't", von dem Unglücksvogel, dem Nichts gelingt. - Zweifelhaft ist die Stellung des Kukuks mit der räthselhaften Doppelnatur. Als Frühlingsvogel gehört er einem durchaus andern Mythenkreise an, aber der Glaube, daß er im Winter zum Raubvogel (Havk, d. h. Habicht) werde, ist auch hier allgemein. Er ist weissagend: auf die Frage: "Kukuk vom Heven) wo lang' sall ick noch leven?" giebt sein Ruf die Zahl der noch zu hoffenden Lebensjahre an, und in Holstein verkündet er auf eine ähnliche Frage den Mädchen, wie lange sie noch ledig bleiben müssen. Sein Lachen ist Unglück bringend, sein Speichel verkündet Regen. Bei der Verwünschung zum Kukuk vertritt er den Teufel. Auch in der Fabel, daß er sein Ei in das Nest der Grasmücke lege, und der junge Wechselbalg demnächst der Pflegemutter zum Danke den Kopf abbeiße, tritt seine dämonische Natur deutlich hervor. Die Sage, daß er ein verzauberter Bäcker sei, ist hier gleichfalls bekannt, von der Versetzung seiner frommen Frau und Töchter an den Himmel als Siebengestirn ist dagegen nur noch das Sprichwort von uneinigen Eheleuten übrig, die einander gerne aus dem Wege gehen: "se leben aß Kukuk unn Sävenstiern", welches Gestirn nicht sichtbar ist, so lange der Kukuk ruft. Der Wiedehopf ist unsern Landleuten nur unter dem Namen Kukuksköster bekannt; ich kenne aber keine Sage, die dies Verhältniß erklärte. Auch mehrere Pflanzen werden nach ihm benannt. - Die mythische Bedeutung des Schwanes in der nordischen Göttersage ist bekannt. Zwei Schwäne schwammen auf Urda's Brunnen an Yggdrasils Esche. Die Walkyrien, welche die gefallenen Helden von der Wahlstatt

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zu Othin führten, erschienen nach Anlegung ihres Schwanhemdes in Gestalt eines Schwanes, und sind die Schwanjungfrauen der deutschen Sage. Der Gesang des sonst stummen Vogels ist sein eigener Todesgesang. In Meklenburg hält sich dies heilige Thier nur selten auf, um so auffallender ist es aber, unter den verhältnißmäßig wenigen deutschen Ortsnamen des Landes 2 Schwansee, 1 Schwanheide und 1 Schwanbek zu finden. Auch mehre kleine Gewässer führen den Namen Schwanensee, und eine Waldung in der Gegend von Penzlin und Gr.=Vielen heißt in älteren Acten die Schwanheide, ein daran stoßender See aber noch jetzt der Wodens=See. - Dem Schwane zunächst verwandt ist die zahme Gans. Sie ist nach christlicher Mythe dem Heil. Martin geweih't, den wir oben als Stellvertreter Wodan's fanden. Aus der Farbe ihres Brustknochens erkennt man die Strenge des Winters. Feen und Elbe erscheinen öfter mit Gänsefüßen. - Von dem Kornopfer, welches den Sperlingen zur Julzeit und in der Ernte gebracht wird, war oben die Rede. Ebenso ist bemerkt, daß er die Entweihung des Festes Wodan's rächt, indem er vorzugsweise den an ihm gestreuten Samen stiehlt. Er gehört zu den wenigen Vögeln, welche den Winter über bei uns bleiben.

Hätten wir genauere Kunde über die mythische Naturgeschichte der Alten, wir würden auch unter den Fischen und Amphibien zahlreiche Wodan's=Thiere finden. Unter jenen ist zunächst an den Hecht zu denken, das scharfzahnige Raubthier der Gewässer. Merkwürdig ist daher die Sage von dem zauberhaften einäugigen Hechte welche früher auch in der Gegend von Parchim erzählt ward. Auch von weissagenden Hechten berichtet die Sage 1 ). - Unter den Amphibien gehörte sicher die giftige Kröte hieher, die neben der Schlange bei allen Hexentränken die Hauptrolle spielte. Othin selbst ward in Schlangengestalt verehrt. Zwerge und verwünschte Prinzessinnen treten oft in Krötengestalt auf, und wer die Gebote der Zwölften übertritt, zieht sich Kröten und Frösche ins Haus oder Läuse in den Pelz. Von einem einsam sinnend umherschleichenden Menschen sagt man: "hê geit, aß de Pogg' in den Mânschien".

Ich komme endlich, mit Uebergehung der Insecten und Würmer, über die ich Nichts beizubringen weiß, zu den Pflanzen, unter welchen die giftigste von allen, der große Wasserschierling (cicuta virosa) Wodan's Namen trägt. Die


1) K. u. Schw., S. 28 und 29, vgl. mit S. 155 und 56 und 472. Jetzt ist die Sage dort nicht mehr bekannt.
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Wurzel dieses Gewächses heißt nämlich in Meklenburg, zugleich mit Rücksicht auf ihre Gestalt, der Wodendung 1 ). In andern Gegenden wird dasselbe der Wuthschierling, der Wütherich genannt, ein Wort, dessen Beziehung auf Wodan und sein wüthendes Heer Grimm nachweis't (S. 95). Auch die Wuthkrankheit der Wölfe und Hunde erinnert an ihn. Eben diese Bezeichnung findet sich nun auch bei mehren Giftpflanzen, deren Namen in andern Gegenden von dem Wolfe oder dem Teufel selbst entlehnt sind, und grade diese Wechselbeziehung ist ungemein wichtig. Man vergleiche nur folgende, meistens auch in Meklenburg gebräuchliche Namen von Giftpflanzen:

Die Teufelsbeere, Wolfskirsche, Wuthbeere (Atropa belladonna), soll zugleich Heilmittel gegen die Hundswuth sein; aus der Wurzel der A. mandragora machte man das auch bei uns bekannte Alrünken, Alraune, eine Puppe, der man die stärkste Zauberkraft zuschrieb; - das Teufelsauge, Bilsenkraut (Hyosciamus niger), woraus eine berühmte Hexensalbe gemacht ward; - die Teufelskirsche, Hundskirsche, Hundsbeere (Lonicera xylosteum), eine Art Geisblatt oder Albranke; - die Teufelswurz, Wolfswurz, Wolfskraut (Aconitum napellum und lycoctonum), der Sturmhut, Eisenhut, altnordisch Tyrhjalm, dänisch troldhat, englisch Libbardban, zugleich zauberkräftig; - die Teufelskirsche, Teufelsbeere, Judenkirsche (Physalis alkekengi); - die Teufelsmilch, Wolfsmilch, Hundsmilch (Euphorbium); - die Wolfsbeere, Fuchsbeere, Einbeere, Sternkraut (Paris quadrifolia); - das Wuthkraut, der Gauchheil (Anagallis phoenicea und arvensis), zugleich Heilmittel gegen die Wuthkrankheit - Für den Nachtschatten (Nachtschaden? englisch nightshade, Solanum nigrum und dulcamera) kenne ich nur die Namen Albranke und Schlafbeere, keinen Teufels= oder Wolfsnamen, und für den giftigen Lolch (Lolium tremulentum) nur ein Tollkorn, kein Wuthkorn. - Nicht giftig, aber gewiß zauberkräftig ist die Teufelsklaue, Wolfsklaue, Drudenfuß (Lycopodium), dessen feiner Saamenstaub Hexenpulver oder Blitzpulver hieß 2 ). Aus dieser Zusammenstellung folgt unabweislich, daß die Wörter Teufel, Wolf und Wuth hier vollkommen gleichbedeutend gebraucht sind, woraus zugleich, selbst


1) Wredow, tabellarische Uebersicht der in Meklenburg wild wachsenden Pflanzen. S. 289 und in Acten des 17. Jahrhunderts.
2) Die Wolfsbohne (Lupinus) hieß schon bei den Römern lupinum, und Wolfsgesicht, dänisch ulvetjaes, ist Uebersetzung des griechischen λυκοπσις, Wolfsrachen aber ist von der Gestalt der Blume entlehnt, ohne mythische Beziehung. Einige andere Wolfskräuter weiß ich nicht näher zu bestimmen.
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ohne Rücksicht auf jenen Wodendung, klar wird, daß dieser Wolf nur der mythische sein kann, und daß dieser Teufel kein anderer ist, als Wodan. Weniger entscheidend sind die von andern Wodansthieren entlehnten Pflanzennamen, z. B. das Katzenkraut (Teucrum marum) und Katzenmünze (Nepeta cataria); das Krötenkraut (Senecio vulgaris), früher modelgeer (madelgêr) genannt und zu Liebeszauberei gebraucht (Gr., p. CLXI); der Raben = oder Krähenfuß (plantago major und plantago aquatica, Wegerich), aus dessen Blättern die sogenannten Heckemännchen gemacht wurden, von denen man glaubte, daß sie im Spiele Glück brächten; die Krähenzehe und die Krähenbeere; desgleichen die Kukuksblume (bei uns orchis maculata, in andern Gegenden Lychnis flos cuculi), der Kukukssalat oder das Kukuksbrod (oxalis acetosella) und der Gauchheil (anagallis arvensis und veronica anagallis) u. s. w. Wichtig ist auch, daß fast alle diese Wodanskräuter zugleich Zauber= und Hexenkräuter sind; hieher gehören aber auch sonst noch, schon dem Namen nach, das Hexenkraut (Lutea circaea) und der Hexenbaum (Vogelkirsche und Ahlkirsche). Von andern größeren Gewächsen erscheinen besonders der Flieder (Sambucus nigra), die Haselstaude und der Schwarzdorn in vielen Sagen als zauberhaft. Der Flieder spielt in unsern Hexengeschichten und abergläubischen Curen eine große Rolle und steht in holsteinischen Sagen in directer Verbindung mit dem wilden Jäger (Müllenhoff, S. 378 - 80). Aus der Haselstaude wird die Wünschelruthe geschnitten, deren Bezug auf Wodan, der selbst als personificirter Wunsch erscheint, Grimm ausführt (Gr., S. 99). Sie verträgt sich nicht mit der Eiche, wie der Schwarzdorn mit dem Weißdorn feindlich ist. Wenn der erstere blüht, giebt es einen Nachwinter; zugleich aber schützt er vorzugsweise gegen alle Zauberkünste.

Ueberblicken wir nun noch ein Mal die hier zusammengestellten Bruchstücke alter, vom Volke selbst nicht mehr verstandener Sagen, sowie die damit zusammenhängenden abergläubischen Gebräuche und Fabeln, so kann gewiß nicht der leiseste Zweifel über den gemeinschaftlichen Ursprung derselben aus dem uralten heidnischen Götterglauben unserer Vorfahren übrig bleiben, ja man wird zugestehen müssen, daß die Gesammtheit dieser einzelnen Züge uns das Bild des Gottes, dem sie entlehnt sind, mit überraschender Klarheit erkennen lassen. Wem aber dies Bild allzu grausig und fratzenhaft erscheint, der vergesse nicht, daß bereits ein volles Jahrtausend verflossen ist, seit dasselbe von dem Altare herabgestürzt ward, auf dem es einst gläubige Anbetung fand, daß es seitdem nur Gegenstand des Hasses und des Ab=

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scheues gewesen ist und sich nur in einzelnen Bruchstücken heimlich und unerkannt bis auf unsere Zeit erhalten konnte. Aber wenn es auch gewiß ist, daß der ehemalige Beherrscher des Himmels und der Erde erst durch das Christenthum zu einem fratzenhaften Teufel erniedrigt ward, so ist doch auch eben so gewiß, daß er schon den Heiden selbst als Woutan, d. h. als eine finstere, Furcht und Schrecken erregende Gottheit, erschien. Einen ganz entgegengesetzten Charakter hat

die Thor= oder Donar=Sage.

Der nordische Thôrr, althochdeutsch Donar, der Donnerer, gehört einer jüngeren Phase in der Entwickelung der Weltschöpfung an, als Othin, dessen Sohn er genannt wird. Er ist der aus der dunklen, kalten Nacht geborne lichte, warme Tag, das aus ewigem Tode erwachte Leben. Aber während Othin als der allgemeine höchste Welttgeist erschien, ist Thor der besondere höchste Gott der Erde, wo er als Beherrscher der Elemente die Ordnung vollendet, und die empörten Elementargeister, welche die Edda als winterliche Reif= und Bergriesen darstellt, mit seinem gewaltigen Hammer niederschmettert. Wenn er, ein schöner, kräftiger Mann mit rothem Barte, auf dem mit zwei Böcken bespannten Wagen über das Himmelsgewölbe hinfährt, so bebt die Erde unter dem rollenden Donner; der brausende Sturm ist sein Odem, der die seegenschwangern Wolken vor sich her treibt, und zermalmende Blitze durchzucken die Luft, so oft er den feurigen, gewaltigen Hammer schwingt. Aber während die Wolke ihren Segen für alle Menschen über die Erde ausschüttet, trifft der rächende Blitz nur den Schuldigen. Hiemit ist uns sein ganzes Wesen enthüllt. Er ist vor allem der lichte, freundliche Sommergott, der Gott der Fruchtbarkeit 1 ) und der Liebe, aber zugleich Gott der Gerechtigkeit.

Thor's Gemahlin, die schönhaarige Sif, ward gleich der Frigg als Erdgöttin verehrt, aber dem Wesen ihres Gatten entsprechend, erscheint sie im Gegensatze zu dieser als die sommerliche Mutter Erde, bald im jugendlichen Blüthenkranze des Frühlings, bald im goldenen Schmucke des Herbstes. Sie ist die Göttin der Schönheit und Liebe und entspricht wahrscheinlich der Hertha oder Nerthus (der mütterlichen Erdgöttin der Ger=


1) Wie neben Othin Thor als besonderer Kriegsgott verehrt ward, so finden wir im Norden den Freyr neben Thor als besondere Gottheit der Fruchtbarkeit. Freyr war jedoch kein Afe, sondern Niords Sohn aus dem Geschlechte der Vanen, Halbgötter, woraus sein jüngerer Ursprung folgt.
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manen des Festlandes deren schöne Frühlingsfeier uns Tacitus schildert 1 ).

Thor, der in Liebe und Gerechtigkeit waltende nächste Vater des Menschengeschlechtes, der Landâs, wie ihn die Edda nennt, d. h. der allgemeine Landesgott, und seine Gattin, die liebe Mutter Erde, waren hiernach vorzüglich die Gottheiten der ackerbauenden und friedliebenden Masse des Volkes, welches ihnen nicht nur in diesem Leben ales Heil und den ganzen reichen Segen der Natur verdankte, sondern auch dereinst nach dem Tode in ihrer Friedenshalle zu wohnen hoffte. Es ist daher natürlich, daß der neubekehrte Heide in dem Gotte der Liebe, welchen ihm die Apostel des Christenthums predigten, vor allem seinen "guten Vater" Thor wieder zu erkennen glaubte, während die fromme Ehrfurcht, mit welcher er bisher zu der Mutter Erde gebetet hatte, eben so natürlich auf Maria, die liebreiche Mutter Gottes, übertrug, und so erklärt es sich zugleich, daß der mächtige Donnerer selbst in den Sagen und Mährchen des Volkes fast nirgends mehr als ein selbstständiges göttliches Wesen hervortritt, während der gefürchtete Wodan noch heute unter dem alten Namen sein Opfer empfängt. Aber die kindliche Ehrfurcht und die heitere Liebe, mit welcher das Volk einst an dem Altar des Frieden und Freude verbreitenden Sommergottes trat, ist gleichwohl nicht aus den Gemüthern entwichen, sondern tritt in zahlreichen Gebräuchen und abergläubischen Meinungen, ja in der ganzen eigenthümlichen Naturanschauung des niederen Volkes unverkennbar hervor.

Schon die Heiligkeit der Naturerscheinung, in welcher das Heidenthum vorzugsweise das unmittelbare Walten der Gottheit erkannte, ist bemerkenswerth. Noch jetzt blickt mancher fromme Christ ehrfurchtsvoll und mit entblößtem Haupte zu der dunklen Gewitterwolke empor und glaubt, daß Gott ihm in diesem Augenblicke näher sei, als sonst; und wenn der Allmächtige in dem rollenden Donner und dem zuckenden Blitze seine Gegenwart offenbart, ruht alle Arbeit, der Genuß von Speise und Trank ist frevelnde Sünde, und wer es wagt, unehrerbietig mit dem Finger in die Wolke zu zeigen, in welcher der Unsichtbare thront, muß darauf gefaßt sein, sofort den rächenden Blitzstrahl auf sich herabzuziehen. Diese heilige, ehrfurchtsvolle Scheu, mit welcher das Volk das "Gotteswetter" betrachtet, geht offenbar weit


1) In den Eddaliedern wird der Sif verhältnißmäßig selten gedacht. Ihr Ansehen scheint vielmehr durch den Dienst der jüngeren Freya, Freyr's Schwester, welche im Norden gleichfalls als Göttin der Liebe und Schönheit verehrt ward, schon früh verdunkelt zu sein.
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über den Eindruck hinaus, welchen die Erhabenheit der Naturerscheinung an sich auf jeden denkenden und fühlenden Menschen machen muß, sie ist eine unbewußte Anbetung des heidnischen Gottes.

Die Verehrung Thor's als Gott der Fruchtbarkeit war eine nothwendige Folge der erquickenden und befruchtenden Wirkung des Gewitters nach langer schwüler Sommerhitze. Im Mittelalter hatten sich noch viele hierauf bezügliche altheidnische Gebräuche erhalten, z. B. feierliche Prozessionen zur Erstehung eines befruchtenden Regens, Besprengung der Saat mit Weihwasser, oder Bestreuung derselben mit geweiheter Asche, wobei verschiedene Heilige, namentlich Elias und Johannes, oft gradezu an die Stelle des heidnischen Donnergottes traten (Gr., S. 117), die Mutter Maria aber eben so unverkennbar die heidnische Erdgöttin vertrat. Diese Gebräuche sind jedoch bei uns nach Einführung des Protestantismus völlig vergessen, und nur in den Bauerregeln über die Witterung, den zu hoffenden Ernte=Segen u. s. w. ist hin und wieder einiges erhalten, was an den alten Glauben an ein unmittelbares Eingreifen des Gottes erinnert, z. B. die Hoffnung auf eine reiche Obsternte, "wenn de Dunner äver de Bleusten geiht", d. h. wenn es während der Blüthezeit donnert, wogegen ein Gewitter über unbelaubten Bäumen Obstmangel verkündet. - Aber nicht bloß das Gedeihen der Saaten, sondern auch die fröhliche Entwickelung des thierischen Lebens, namentlich des Menschen selbst, stand unter Thor's Obhut: er war zugleich Gott der Liebe und der Ehe. Daher wurden im Alterthume die Hochzeiten am Donnerstage oder, wie noch jetzt bei uns, am Freitage, den heiligen Tagen des Thor und der Freya, gefeiert. Ein Gewitter während der Hochzeit bedeutet eine fruchtbare Ehe. In andern Gegenden muß die Braut während des ersten Gewitters nach der Hochzeit ein schweres Gewicht heben, was Gesundheit und Stärke verleiht und die Lasten der Ehe erleichtert. - Wer den Segen spendet, kann ihn aber auch versagen, wer Leben und Gesundheit verleiht, gebietet zugleich über Siechthum und Tod. Daher wurden ansteckende Seuchen, welche am häufigsten Folge langer Sommerschwüle sind, oder doch durch diese begünstigt werden, im Alterthume dem Thor zugeschrieben. Ebenso alle hitzigen und entzündlichen Krankheiten, namentlich das Fieber (goth. heitô, brinnô), das Zahnweh, die Rose und allerlei Hautausschläge, Geschwüre und selbst die brennende Wunde; ferner der Schlagfluß, die fallende Sucht oder Schwere Noth (Epylepsie), Ohnmacht, Schlaflosigkeit, männliches Unvermögen und allgemeine Schwäche, sowie Fehler der Sinne, namentlich des Auges, und

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Gedächtnißschwäche. Daher ist sicher an Thor zu denken, wenn von einem Menschen, der ein sogenanntes Feuermal oder rothes Haar hat, und den man bekanntlich für falsch hält, gesagt wird: Gott habe ihn gezeichnet. Von dem Urheber dieser Uebel hoffte man aber wiederum auch ihre Heilung; daher z. B. die wunderbare heilkräftige Wirkung des Donnerkeiles, sowie des Donnersplitters, auf die ich zurückkomme: eine mythische Homöopathie, die wir auch schon oben in der Wodanssage angetroffen haben und wofür wir später bei Besprechung des auf Thor bezüglichen Elementardienstes und der ihm heiligen Pflanzen und Thiere reichliche Belege finden werden. Der moderne Rath, einen Teufel durch den andern zu vertreiben, ist also nicht heidnisch.

Wenn aber Wodan Glück und Unglück nur nach Wilkür und Laune zu vertheilen schien, so erscheint Thor's Segen stets nur als Lohn der Tugend und des Fleißes, sein Zorn dagegen als Strafe der Sünde. Die tief gewurzelte Ansicht, daß Mißwachs und ansteckende Seuchen von der erzürnten Gottheit als Strafe der Gottlosigkeit und zur Buße und Besserung über die Menschen verhängt würden, ist daher nicht bloß christlich, sondern schon im Heidenthume begründet. Eben so allgemein ist der Glaube an den rächenden Blitzstrahl; daher die bekannten Flüche, womit der Beleidigte seinem Feinde droht, daß ihn der Donner regieren oder holen, oder daß das Donnerwetter d'rein schagen solle 1 ). Vor allem aber war Thor der Rächer der im Verborgenen geübten, heimlichen Sünde. Der Glaube, daß der Meineidige vom Blitze erschlagen werde, ist uralt, und noch vor Kurzem haben unsere Zeitungen mehre Fälle berichtet, wo nach der Ueberzeugung des Volkes dies Gottesgericht wirklich vollzogen ward. In Acten des 16. Jahrhunderts werden auch Beispiele erzählt, daß der Meineidige auf der Stelte erblindet sei. Im Alterthum ward daher der feierliche Eid unter Anrufung des Thor geleistet, welchem mitunter auch seine Verwandten Niördr und Freyr zur Seite standen. Mit Recht bezieht daher Grimm den im Mittelalter sehr gebräuchlichen Schwur bei dem Barte, oder unter Berührung des Bartes mit der Hand auf den rothen Bart des Donnergottes. Denselben Sinn aber hatte der gleichfalls vorkommende Gebrauch, daß der Schwörende einen Büschel Aehren gen Himmel halten mußte. Noch jetzt


1) Grimm, S. 561, führt mehre gleichbedeutende Flüche an, von welchen einige auch bei uns bekannt sind, namentlich "datt dî de Dros hal!" Statt des Dros citirt man auch den Schinder, womit die von Grimm angeführte Bedrohung mit dem Stöpker übereinstimmt, denn Stöpker, von stäupen, ist der Gerichtsbüttel.
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hört man häufig die Bekräftigung eines Gelübdes mit den Worten "Dunner hal!" oder "Dunner sla!", d. h. der Blitz soll mich treffen, wenn ich lüge, für welchen Fall man sich sonst bekanntlich auch dem Teufel anheim giebt. - Wenn mich aber nicht alles täuscht, so fand nicht bloß die feierliche Eidesleistung im Angesichte Thor's statt, sondern es stand die Pflege der Gerechtigkeit überhaupt, wenigstens das gesammte Beweisverfahren unter seiner Obhut. Seiner Wanderung zur Gerichtsstätte der Götter wird in der Edda ausdrücklich gedacht. Nach einzelnen Beispielen hatte dort zwar Othin den Vorsitz, aber Thor fällte den ersten Spruch und hatte das letzte Wort. In andern Fällen hatte Thor wirklich den Vorsitz. Alle übrigen Götter neben diesen beiden waren schweigende Zuhörer. Hieher gehören vor allen die Ordalien, diese Appellation an die allwissende Gottheit zur Ermittelung der Wahrheit und Unschuld auf der einen, sowie zur Enthüllung der Lüge und des geheimen Verbrechens auf der anden Seite, worauf ich noch zurückkommen werde.

Wie in Thor's Donnerwetter die drei Hauptelemente, Feuer (Blitz), Wasser (Regen) und Luft (Sturm) auf sein Gebot zusammenwirken, so finden wir dieselben auch sonst vorzugsweise im Dienste dieses Gottes. Vor allen aber ist das Feuer sein Element; denn wenngleich die reine, erleuchtende und erwärmende Flamme fast als ein lebendiges, heiliges Wesen verehrt ward, so war sie doch nur die irdische Erscheinung des Gottes, und der Feuer=, wie überhaupt der Elementardienst, war Thor=Dienst 1 ). In der Edda wird das Feuer neben dem Sonnenlichte für das höchste Gut erklärt. Nach dem Glauben unserer Landleute sind Feuer und Wasser allen Menschen gemeinsame, unmittelbare Gottesgaben, für welche man keinem Sterblichen danken dürfe; man dankt dem, welcher diese Gottesgabe darreicht, ausdrücklich nur "vör de Möh" (für die Mühe). - Wer das Feuer verunreinigt, bekommt schneidendes Wasser, und selbst an den mit der Flamme spielenden Kindern rächt sie sich in der nächsten Nacht. - Zahlreich sind die aus der Beobachtung


1) Unter dem Vulcan, dessen Verehrung Cäsar bei den Germanen beobachtete, ist sicher Thor zu verstehen, während die Verehrung der Sonne und des Mondes sich auf den Cultus verschiedener Gottheiten bezogen haben wird. Unter der Luna indeß mag vorzugsweise Frigg zu verstehen sein. - Sollte der nordische Name des Gottes Thôrr vielleicht gar zu dem altnordd. thûrr, althochd. dorr=aridus (dürr, dörren) su stellen sein? - Auch in dem nordischen Loki, wahrscheinlich riesischer Abkunft und ursprünglich identisch mit Loge, dem Sohne der Urriesen (Fornjoter), ist das Feuer , personificirt, aber die ungezähmte, zerstörende Naturkraft, während in Thor, dem Beherrscher aller ‹Elemente, die höhere Einheit der Natur dargestellt ist.
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der Flamme gezogenen Vorbedeutungen: das dumpfe Prasseln (Bullern) des Feuers bedeutet Zank, das Knistern und Sprühen der Flamme dagegen Freude, die sogenannte Blume am Lichte verkündet frohe Botschaft, der Hobelspan den Tod eines Angehörigen. Wenn die Axt des Zimmermannes bei Errichtung eines Hauses Funken sprüht - gleich Thor's Donnerhammer -, so ist das Haus zum Voraus dem Feuer geweiht.

Allgemein verbreitet ist bekanntlich die Heiligkeit der Flamme des Herdes; der Feuerherd ist gleichsam der Hausaltar der Familie und ward von jeher als eine geheiligte Stätte betrachtet. Die in vielen Gegenden herrschende Sitte aber, während des Gewitters Feuer auf dem Herde anzuzünden, und der feste Glaube, daß in ein solches Haus der Blitz nicht einschlage, beweisen den Zusammenhang des Herdes mit dem Thorcultus. Grimm (S. 693) führt eine Stelle aus Hansens Geizhals an, wo die blaue Flamme, "Donners Blösken" genannt und gleich dem Donner selbst um Hülfe angerufen wird, und unser Frank (A. u. N. M. I, S. 229) versichert, daß zu seiner Zeit die Köche einen Theil der Speise, namentlich des Fleisches, dem Gotte des Feuers zu opfern pflegten, wie man früher beim Gastmahle einen Theil des Getränkes als Opfer der Hertha auf die Erde gegossen habe. - Wie der Herd, wird auch der Ofen heilig gehalten, worüber Grimm mehre Einzelheiten beibringt. Bekannt ist die früherhin sehr ernsthaft gemeinte Anbetung des Ofens in dem Pfänderspiel junger Leute: "Aben, Aben, ick ber di an, gif mi ênen goden Mann, giffst du mi kênen goden Mann, so ber die de Düvel an". Aus diesen mythischen Zusammenhang des Feuers und der Liebe weisen auch die Scherzreden hin, daß nur ein Junggeselle das erloschene Licht wieder anzublasen vermöge, und daß der keine Kinder zu hoffen habe, dem das Anschlagen des Feuers mit Stahl und Stein nicht gelingen will.

Bekannt ist ferner, daß in den Gottesgerichten vorzugsweise das Feuer oder vielmehr der in dem Feuer wirkende Gott selbst zur Ermittelung der Schuld oder Unschuld befragt ward. Der Zusammenhang dieser Feuerprobe mit dem Thorcultus wird aber bei näherer Betrachtung der dabei gebrauchten Werkzeuge völllig unzweifelhaft. Schon die 9 glühenden Pflugscharen, welche der Angeklagte mit nackten Füßen betreten mußte, erinnern an den Gott des Ackerbaues, noch bestimmter aber weis't der geglühete eiserne Handschuh auf Thor hin, welcher gleichfalls einen künstlichen Handschuh von Eisen trug, mit dem er den glühenden Schaft seines Donnerhammers faßte, und selbst bei der einfachen glühenden Stange, die der Unglückliche eine

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Strecke tragen mußte, mochte man ursprünglich an die torrida chalybs denken, die Saxo Grammaticus statt des Hammers dem Thor zuschreibt. Solche Feuerproben waren nun im Mittelalter auch in Meklenburg üblich, und eine Wittenburger Sage berichtet ein bemerkenswerthes Beispiel derselben aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Ein der Brandstiftung verdächtiger Bürger bewies seine Unschuld, indem er unveretzt ein glühendes Eisen berührte, welches hierauf sofort verschwand. Aber wie Thor's tief in die Erde geschmetterter Donnerkeil nach der Meinung des Volkes nach neunjähriger Frist wieder emporsteigt, so verbrannte sich auch hier nach Verlauf eines Jahres ein Arbeiter bei der Pflasterung des Steindammes die Hand an demselben, unter dem Damme verborgenen und noch jetzt glühenden, Eisen und gestand das Verbrechen. - Unverkennbar hängt mit der hier entwickelten Ansicht auch der Aberglaube zusammen, daß sich die Zunge des Verläumders mit Blasen belege, sowie die Drohung, mit welcher man lügnerische Kinder schreckt, daß ein Rauch hinter ihrem Rücken die Lüge verrathe.

Eine andere Wirkung des Feuers ist die, daß es gegen böse Geister schützt; darum darf in einem Hause, worin eine Leiche im Sarge, oder ein ungetauftes Kind in der Wiege ruht, das Feuer oder Licht nicht erlöschen. - Noch allgemeiner verbreitet ist der Glaube an die natürliche Heilkraft des Feuers, wobei wieder hervorzuheben ist, daß es diese Kraft nur gegen Krankheiten äußert, die von Thor gesandt sind. Fieberkranke Kinder z. B. werden auf den Ofen gelegt (Gr., S. 676); die Rose heilt man durch die Funken des Feuersteins, das strömende Blut stillt man, indem man das verwundete Glied drei Mal in das Ofenloch steckt, und Brandwunden hält man gegen die lodernde Flamme. Völlig klar aber wird der heidnische Charakter dieses allgemeinen Volksglaubens an die Heilkraft des Feuers durch das bei allgemeinen Viehseuchen beobachtete Verfahren. Zunächst ward ein Stück der Heerde zur Versöhnung der zürnenden Gottheit als Opfer dargebracht, indem man es in dem Backofen verbrannte. Nahm die Gefahr aber zu, so ward auf förmlichen Gemeindebeschluß ein allgemeines feierliches Nothfeuer 1 ) angezündet, welches gleich der reinen Himmelsflamme


1) Den Ausdruck Nôtfeuer leitet Grimm entweder von nôt=necessitas ab, also ein zur Zeit der Noth entzündetes Feuer, wie Nothstern (Comet), Nothschuß u. s. w., im Gegensatze zu dem festlichen Freudenfeuer (ignis jucunditatis), oder von der Wurzel, goth. hniudan, althochd. hniotan, altnordd. hnioda =quassare, terere, tundere, wie das schwedische vrideld oder gnideld, d. h. durch Reibung entzündetes Feuer. Nicolaus Gryse bezeichnet das (  ...  )
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selbst noch nicht durch profanen Gebrauch entweiht sein durfte, sondern einem trocknen Holzscheite durch Reibung entlockt und mit dem Reisig von sieben oder neunerlei verschiedenen heiligen Sträuchen unterhalten ward. Ohne Zweifel begann die eigentliche Feier, wenn die reine Flamme emporloderte, in heidnischen Zeiten mit einem wiederholten Opfer, worauf dann die ganze Heerde jubelnd durch das Feuer getrieben ward.

In Meklenburg erschien unter dem Herzoge Gustav Adolph von Güstrow unterm 13. September 1682 eine eigene Verordnung wider die abergläubischen Viehcuren, namentlich das Nothfeuer, welches im fränkischen Reiche schon aus einer allgemeinen Kirchenversammlung im J. 742 verboten ward. Dessenungeachtet bezeugt Dav. Francke (a. a. O. I, S. 231), daß dasselbe zu seiner Zeit noch in vollem Gebrauche sei, ja ein in der Neuen Monats=Schr. von und für Meklenburg, Jahrg. 1792, Nr. 7, mitgetheiltes Beispiel beweis't, daß diese merkwürdige Sitte noch im Ende des vorigen Jahrhunderts so allgemein verbreitet war, daß sich selbst größere Stadtgemeinden derselben nicht schämten. Zu Anfang des Julimonats eben dieses Jahres ward nämlich nach diesem Berichte "die Sternberger Rindviehheerde von der sogenannten Feuerkrankheit befallen; verschiedene Häupter starben sehr schnell daran, und man beschloß, das übrige Vieh durch ein Nothfeuer zu treiben. Am 10. d. M. ließ der Magistrat daselbst öffentlich ausrufen, daß am folgenden Tage, vor Sonnenaufgang ein Nothfeuer zum Besten der städtischen Rindviehzucht angemacht werden würde, und ermahnte zugleich jeden Einwohner, am Abende in den Küchen ja kein Feuer anzuzünden. Am 11. Morgens 2 Uhr war fast die ganze Bürgerschaft vor dem Luckower Thore versammelt und half mit vieler Mühe das schüchterne Vieh durch das an drei verschiedenen Stellen brennende Nothfeuer jagen und glaubt noch ganz zuversichtlich, solches mit dieser Feuerprobe vom Tode errettet zu haben. Zur völligen Sicherheit hielt man es auch noch für rathsam, dem Rindvieh die rückständige Nothfeuerasche einzugeben". - Die Art und Weise der Entzündung dieses Feuers wird in diesem Berichte als bekannt vorausgesetzt, aus den weiteren Verhandlungen über das Ereigniß, das natürlich Aufsehen erregte (Nr. 8 und 11 von 1792 und Nr. 6 von 1793 der


(  ...  ) Johannisfeuer als ein Noth= und Lodtfeuer. Der letztere Ausdruck kommt vielleicht von der Wurzel lôt, in der Zusammensetzung lôt-stat, d. h. Freistätte, Asyl, und lôt-eigen, d. h. volles, echtes, freies Eigen. Statt loteigen kommt auch lud- und lutereigen vor, also lutter=rein. Lodtfeuer wäre also wirklich reines Feuer, wie das Nothfeuer auch sonst genannt wird.
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gedachten Schrift) ergiebt sich jedoch, daß dasselbe hier im Lande durch Reibung eines um einen eichenen Pfahl geschlungenen Strickes oder zweier Holzscheite gegen einander entzündet und durch siebenerlei Holz genährt ward. Eben so beschreibt schon Franck die Art der Entzündung des Feuers, wobei er gleichfalls namentlich hervorhebt, daß der Pfahl, um welchen der Strick gewunden ward, von Eichenholz, also von dem heiligen Baume Thor's, genommen werden mußte, was auch in den von Grimm aus verschiedenen Ländern mitgetheilten Berichten ganz gleichmäßig wiederkehrt. Die Asche des erloschenen Feuers ward nach Franck zu allerlei abergläubischen Dingen gemißbraucht; an andern Orten streuete man dieselbe z. B. über den Acker, um die Pflanzen gegen das Ungeziefer zu schützen. - Daß diese Feuer in älteren Zeiten auch zum Schutze der Menschen gegen ansteckende Krankheiten entzündet wurden, ist kaum zu bezweifeln, zumal wenn man hiemit die unten zu besprechenden Gebräuche bei dem Freudenfeuer zu Ostern und Johannis vergleicht, aus welchen zugleich die Beziehung auf Thor noch bestimmter hervorgeht. Interessant ist aber, daß man in neuester Zeit bei dem Erscheinen der Cholera zu der alten Sitte zurückkehren zu wollen schien, indem man an vielen Orten zur Reinigung der Luft öffentliche Feuer entzündete.

Endlich ist zu erwähnen, daß Thor's heilige Flamme nicht nur an der Wiege des Neugebornen brannte, um ihn gegen die Macht der bösen Geister zu schützen, nicht nur den lebendigen Leib von bösen Krankheiten reinigte, sondern auch nach dem Tode die ihm geopferte Leiche in Asche verwandelte, die der Erde zurückgegeben ward, während die befreite Seele mit der lodernden Flamme zu den höheren Göttern hinauf wallte. Thor selbst aber segnete den Scheiterhaufen mit seinem heiligen Hammer, wie er einst die Ehe gesegnet hatte. Diese Sitte des Leichenbrandes ist zwar längst der christlichen Beerdigung der Todten gewichen, aber die Erinnerung scheint noch fortzuleben in der Sorgfalt, womit man Haare, Nägel und dergleichen abgelösete Theile des Körpers verbrennt, um sich vor Schaden zu sichern; denn wenn z. B. ein Sperling mit dem abgeschnittenen Haare sein Nest bauen sollte, würden anhaltende Kopfschmerzen die unausbleibliche Folge sein. Blut wird dagegen der Erde oder dem Wasser anvertrauet.

Viel schwächer sind bei uns die Spuren der Heiligkeit des Wassers und der Luft und deren Beziehung auf den Thorcultus. Die Luft ist ursprünglich Othinisches Element. In der jüngeren Edda heißt es bei Aufführung der Güter, die Othin seinen Söhnen verleihet, unter anderm auch: "Wind verleih't er

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den Schiffern". Neben ihm war die Herrschaft der Winde dem Niördhr und seinem Sohne Freyr anvertrauet, so daß Thor, als allgemeiner Gott des Wetters, speciell in Bezug auf dies Element wohl schon im Alterthum ziemlich im Hintergrunde stand. In unserer Heimath aber sind überhaupt abergläubische Meinungen, welche auf eine besondere Verehrung eines Gottes der Stürme hinwiesen, sehr selten, was in einem Küstenlande ziemlich auffallend ist. Zu erwähnen ist indeß der Glaube, daß heftige Winterstürme für das kommende Jahr Krieg verkünden. Den Wirbelwind (Küsel) hält das Volk für ein Werk des Teufels. Er wird sogar "lêve Herr Düvel" angeredet und man opfert ihm, um ihn zu besänftigen, etwas von seinen Kleidungsstücken. Beides weis't mehr auf Othin hin, als auf Thor. - In Bezug auf die Verehrung des Wassers und dessen Verwandtschaft mit dem Feuerdienste ist die Bemerkung Grimm's interessant, daß die Wörter Brunnen von brennen (prinnan), Sôt von sieden (siodan) und Welle von wallen (wallan) abzuleiten seien, eine gewiß merkwürdige Ideenverknüpfung, welche die ursprüngliche mythische Einheit dieser Elemente unter dem Donnergotte, dem Herrn des himmlischen Feuers wie des himmlischen Wassers (Jupiter tonans und Jupiter pluvius) beweis't. Völlig entscheidend aber ist die merkwürdige Verehrung des Sees am Berge Helanns, dem das Volk Opfer bringt, um den Gott des Sees zur Sendung eines befruchtenden Gewitters zu bewegen (Gr., S. 337). Auch die mythischen Wirkungen des Wassers sind denen des Feuers fast ganz gleich. Dahin gehört namentlich die Heilkraft des Wassers. So setzen unsere Bauern z. B. dem Kranken ein Gefäß mit Wasser unters Bett, damit er sich nicht wund liege, wobei sichtlich nicht von einer natürlichen Eigenschaft des Elementes, sondern von dem dem Wasser inwohnenden göttlichen Geiste Hülfe gehofft wird. Andere hieher gehörige Gebräuche werden wir bei Beschreibung der Oster= und Johannisfeste kennen lernen. - Wie das Feuer, ward ferner bekanntlich auch das Wasser bei den Ordalien gebraucht, indem man den Angeklagten, besonders weiblichen Geschlechts, in den Strom oder in den See warf, wobei jedoch merkwürdiger Weise das naturgemäße Untersinken als Beweis der Unschuld galt. Diese Wasserprobe war im Mittelalter auch in Meklenburg bekannt und ward namentlich in den Hexenprozessen noch im 17. Jahrhunderte häufig angewendet.

Daß Thor, der Sommergott, von welchem Gesundheit oder Siechthum der Thier= und Pflanzenwelt abhing, auch in diesen Naturreichen, gleich Othin, seinen Anhang hatte, versteht sich von selber. Unter den ihm gehörigen Säugethieren weiß ich

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aber kein wildes zu nennen, denn daß der Fuchs trotz seines Beinamens "Waldthor" wahrscheinlich zu Othin's Sippe gehörte, ist schon oben bemerkt. Wahrscheinlich waren aber das starke Elch oder Elen und der Hirsch Thor's Thiere, ja unter den mythischen Böcken, die den Donnerwagen ziehen, sind ursprünglich vielleicht zwei Elche zu verstehen. Unter den Hausthieren gehört dagegen vor allen die Ziege und namentlich der Bock hieher, das Sinnbild männlicher Zeugungskraft, welcher bei allen Völkern dem Donnergotte geweih't war. Früher schrieb man verschiedenen Theilen des Bockes ungemeine Heilkraft zu. Mit dem Horne und den Haaren wurde in Pestzeiten geräuchert, auch um Ohnmächtige und Epileptische (aus der schweren Noth) zu wecken. Das Blut innerlich gegen Gift, Epilepsie, besonders aber gegen den Stein zu gebrauchen; man schrieb dem Bocksblute eine solche Kraft zu, daß man selbst den Diamant damit aufzulösen vermöge, zumal wenn das Thier mit gewissen Pflanzen genährt sei; äußerlich gegen Geschwulst. Die Milz äußerlich, oder indem man sie bloß auf dem Ofen verdorren ließ, gegen Milzkrankheiten. Das Mark kräftigend. Die Milch gegen Schwindsucht und Auszehrung. Die Steine im Magen und in der Galle schweißtreibend. Der Harn und die Harnblase wider den Stein und Harnkrankheiten. Der Koth wider Pest, Beulen und andere Geschwüre. Ein Decoct aus der Haut mit der Asche der Haare blutstillend. Die Galle gegen das Fieber, äußerlich stimulierend. Ganz ähnliche Wirkungen schrieb man dem Horne, dem Blute, Geburtstheilen, Testikeln und andern Theilen des Hirsches zu, namentlich auch dem sogenannten Hirschkreuzbein, einem angeblichen Gewächse am Herzen des Thieres, welches z. B. auch gegen Melancholie schützte; eben so dem in dem Magen und dem Herzen gefundenen Steine. Noch höher stand die Heilkraft des Elen, namentlich des Horns und der Klaue, welche innerlich als Brandpulver genommen, oder äußerlich, indem man ein Stück in das linke Ohr steckte oder als Amulet trug, als das sicherste Mittel gegen die schwere Noth galten. Endlich wurden auch verschiedene ausländische Bockarten ganz in derselben Weise benutzt: z. B. der sogenannte Bezoarstein, aus dem Magen des capricervus orientalis, und der Moschus, welchen man gleichfalls einer Bocksart zu verdanken glaubte und dem man insbesondere eine Gedächtniß stärkende Kraft zuschrieb 1 ). - Zahlreiche Pflanzen und niedere Thiere sind nach dem Bocke genannt, der hier öfter fast


1) Vgl. Joh. Schröder pharmacopoeia universalis. Nürnberg 1748.
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als der Stellvertreter Thor's erscheint, wie der Wolf als Stellvertreter Othin's. Höchst merkwürdig ist aber die Rolle, welche der Bock bei den Hexenfahrten auf dem Blocksberge spielt. Der hier verehrte Bock ist der Teufel selbst; er ist schwarz von Farbe, zwischen seinen Hörnern brennt eine Flamme, und am Ende des Festes brennt er sich selbst zu Asche (Gr., S. 557 u. 605). Es liegt nahe, in diesem Teufel in Bocksgestalt den Thor zu erkennen; aber das Zauberwesen ging nicht von ihm, sondern von Othin aus. Ich hege daher die Vermuthung, daß hier, wie in zahlreichen andern Fällen, vielmehr der nordische Loki, Vater der Todesgöttin Hel (Hölle), mit dem christlichen Teufel, dem er überhaupt am nächsten verwandt war, zu einem Wesen verschmolzen ist. Wahrscheinlich war auch ihm, dem wilden Feuergeiste, gleich dem Thor, ein Bock geweiht, der sich durch seine schwarze Farbe auszeichnen mogte. Dafür spricht, daß nach der Aussage unserer Hexen der Teufel mitunter auch in Gestalt eines schwarzen Pferdes auf dem Blockberg erschien. Ein schwarzer Hahn verkündete in der Unterwelt den letzten Morgen, und Hel selbst war halb schwarz, halb weiß. - Daß auch der kräftige, den Pflug ziehende Stier dem Gotte des Ackerbaues geweiht war, wie die Kuh seiner Gattin, der Mutter Erde, ist zwar aus dem Alterthume nicht nachzuweisen, darf aber mit Sicherheit vorausgesetzt werden, und wird durch die Rolle, welche er in unserm Pfingstfeste spielt, vollkommen bestätigt. Ueberhaupt rechne ich alle männlichen Hausthiere, namentlich die gehörnten, hieher. Das Horn ist Zeichen männlicher Kraft und Thor selbst war gleichsam gehörnt, wie Jupiter Ammon, indem ein Steinsplitter, den ein Riese auf ihn schleuderte, in seinem Haupte stecken blieb. Auf jene Bedeutung des Horns bezieht sich das Hörnertragen des betrogenen Ehemannes, eine Ironie, die sich noch bitterer wiederholt, wenn man dem entmannten Hahn seinen Sporn auf die Stirn setzt.

Unter den wilden Vögeln beziehe ich alle den Frühling und Sommer verkündenden Zugvögel, welche sämmtlich für heilig und unverletzlich, sowie für Glück bringend galten, aus Thor; unter allen aber voran den Storch. Er hat verschiedene Namen, unter welchen in Meklenburg Adebar der bekannteste ist, althochd. odebero, adebero, odebore, odeboro, otivaro, mittelhochd. adebar, niederdeutsch adebar, adebero, woraus in Hamburg durch Verkürzung äbêr, êber geworden ist. Auch in den Niederlanden heißt er odevare, hodevaro und ôyivâr, woraus man oude vader (alter Vater) gemacht hat. Auch bei uns wird er allgemein Adebar, Arebar, Arebare und in der Gegend von Dömitz Aettebär genannt. Das Wort ist sehr ver=

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schieden erklärt; mir scheint am nächsten zu liegen, die erste Sylbe auf den Stamm ôd, in dem allgemeinen Sinn von Glück (felicitas), zurückzuführen. Odebar oder adebar ist also wörtlich Glücksbringer, welches genau dem Heylebart entspricht, einem andern mittellhochdeutschen, noch jetzt in Lüneburg, Braunschweig und Hessen gebräuchlichen Namen desselben Vogels. In der Prignitz und einem kleinen Theile von Meklenburg heißt er Hainotte oder Hannotter, was ich nicht zu erklären weiß. Seine Verwandtschaft mit Thor ist aus vielen Zügen völlig klar. Sein Erscheinen ist im Allgemeinen Heil und Glück bringend, was nach dem Obigen schon sein Name sagt; man beobachtet aber, ob man den ersten Storch des Jahres fliegend, oder auf einem Neste sitzend gesehen hat; ersteres bedeutet zunehmenden Wohlstand, letzteres Eheglück. Vor allem aber bringt er dem Hause, worauf er nistet, seinen Segen und schützt es namentlich gegen Feuer, besonders gegen den Blitz; sollte dasselbe aber dennoch vom Feuer bedroht werden, so bringt der vorahnende Vogel seine Brut Tags zuvor in Sicherheit, weshalb schon Attila aus dem Abziehen der Störche von dem belagerten Ravenna auf den Untergang der Stadt schloß. Um ihn zum Nisten auf einem Hause zu bewegen, baut man ihm in einigen Gegenden ein Nest auf dem Feuerherde. Der Donnerkeil (Belemnit), den Thor mit dem Blitze auf die Erde schleudert, heißt in Dänemark Tordenkile, Tordensteen, aber auch Storksteen, und auch in einigen Gegenden Deutschlands Storchstein. Auch er schützt gegen das Einschlagen des Blitzes. Das wichtigste Geschäft des Storches aber, welches gleichfalls unzweideutig auf Thor, den Gott der Liebe und der Ehe, hinweis't, ist bekanntlich nach allgemein verbreiteter Kindersage die Zutragung der Kinder, die er nach der gewöhnlichsten Vorstellung aus dem Sumpfe holt (Kindersoll), weshalb unsere Kinder noch fleißig singen: "Adebare Nester, bring mî ‚n lütte Swester! Adebare Roder (Rore) 1 ), bring mî ‚n lütten Broder (Brore)!" Auch nach dem Storche werden verschiedene Pflanzen genannt. - Sollte die griechische Sage von dem Pelekan, der seine Brust öffnet, um seine Jungen mit dem eigenen Blute zu ätzen, in dem germanischen Alterthum etwa von dem Storche erzählt sein? Unter Pelekan soll der Baumspecht zu verstehen


1) Roder (sprich Roré) ist der Rothe. Man hat also gewiß nicht nöthig, an roda, den slavischen Namen des Storches, zu denken. Im Lüneburgischen singen die Kinder: "Heilebart im Neste, bring mick ´n lüttje Swester! Heilebart du Luder, bring mick nen lüttjen Bruder!"
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sein, obwohl es nicht dessen eigentlicher Name war 1 ). In mittelalterlichen Darstellungen jener Fabel erscheint aber der Pelekan unverkennbar als ein in seinem Neste stehender Storch, so namentlich auf dem Helme des Wappens der meklenburgischen Familie Swartepap aus dem 14. Jahrhundert (Jahrbücher XVII, S. 43). Das Fleisch des Storches, besonders aber die Galle, das Fett und der Magen wurden früher auch als Arzneimittel gebraucht, namentlich gegen die Pest, Epilepsie, Schwindel, Gicht, Nervenübel und Gelenkkrankheiten. - Nächst dem Storche ist die Schwalbe der am meisten geehrte Frühlingsvogel. In ihrem Zwitschern bei ihrer Ankunft hört das Volk die Klage; "aß ick hier vörrig Jahr was, dunn wüß hier Lôf unn Gras, die Jahr iß hier nix - nix - nix!" Nach Grimm wird sie des lieben Hergotts Vogel genannt. Ueberall gilt sie für heilig und unverletzlich; wenn man eine Schwalbe tödtet, soll es vier Wochen regnen; ihr Nest bringt gleich dem Storchneste Glück. An der Stelle, wo man im Frühling die erste Schwalbe sieht, soll man unter seinem Fuße eine Kohle finden, welche gegen das Fieber schützt; wenn dagegen eine Schwalbe unter die Kuh hindurch fliegt, giebt diese rothe Milch (Blut), was nach dem Aberglauben anderer Länder die Strafe der Zerstörung eines Schwalben= oder Rothkehlchennestes ist, wogegen wieder Andere glauben, daß in dem letzteren Falle der Blitz das Haus des Frevlers treffen werde, Die Seeschwalbe heißt auch Brandvogel. Wie der Bock und der Storch hat auch die Schwalbe wunderbare Heilkraft, namentlich das Herz und das Blut des Thieres, womit man die schwere Noth, Entzündung, Geschwüre und das böse Gesicht heilte, das Fieber und Melancholie vertrieb und das Gedächtniß stärkte. Ein angeblich im Magen der jungen Schwalbe gefundener Stein ward von Kindern und Erwachsenen als Amulet getragen zum Schutze gegen eben diese Uebel, und weil er den Trägern die Liebe der Menschen erwarb. Auch die Schwalbe hat ihre besonderen Kräuter. - Die Donnerziege (capella coelestis), Himmelsziege, Donnerstagspferd, Wettervogel und Regenvogel genannt, verräth ihre Beziehung auf Thor schon durch ihren Namen. Ihr Flug soll ein nahendes Gewitter verkünden; nach schwedischem Aberglauben zeigt ihr erstes Erscheinen den Menschen ihr Schicksal an (s. überhaupt Gr., S. 126). Die Na=


1) Πελεκάν kommt von πελεκάω ich haue mit der Axt. Der Specht hieß δρυοκαλάωτης, δενδροκάλαπτης Baumpicker, Baumhacker, oder κραύγός der Schreier
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turforscher glauben, daß unter dem caprimulgus des Plinius die Donnerziege zu verstehen sei und nennen sie daher auch deutsch Ziegenmelker. Auch soll sie in einigen Gegenden die Nachtschwalbe oder die Hex genannt werden, was fast den Verdacht erregt, daß sie gleich dem Kukuk ein Zaubervogel war. - Auch den Kibitz macht der allen Kindern bekannte Gesang: "Kiwitt, wo bliv' ick? In'n Brummelbärn Busch! dar spr in ick, dar danz ick, dar hev ick min Lust!" fast verdächtig. - Von sonstigen Frühlingsvögeln, z. B. der im Mittelalter vor allen heiligen Meise, sowie von der Nachtigall und andern Singvögeln, weiß ich aus Meklenburg nichts zu berichten.

Von den zahmen Vögeln gehört nur der Hahn hieher, welcher aber auch ein ächter Thorsvogel ist, zumal der rothe Hahn. Nach der Völuspa verkünden einst drei Hähne den letzten Morgen des Weltunterganges: in Walhalla Gullinkambi, der Goldkamm, d. h. die Sonne selbst, der jeden Morgen die Einherier weckt; auf der Oberwelt Fialar, der Hochrothe, auf dem Gipfel eines Waldbaumes sitzend, und unter der Erde in Hela's Behausung ein schwarzer (rußfarbiger) Hahn, dem kein besonderer Name gegeben wird. Hier bezieht sich die rothe Farbe vielleicht auf das Morgenroth. In der Drohung, jemandem den rothen Hahn auf das Dach zu setzen, wird er der Flamme verglichen. Der Hahnenkrat verkündet den Morgen und verscheucht die bösen Geister. Aber auch in der Frühlingsfeier, dem Morgen des neuen Jahres, spielt der Hahn eine Rolle, wie wir unten sehen werden. Eben so haben wir ihn bereits bei dem Erntefeste auf der dem Thor geweihten Garbe und der bunt geschmückten Festkrone gefunden. Der goldne Hahn auf den Thürmen, den Grimm schon im 10. Jahrhundert nachweis't, stammt nach ihm aus jener Frühlingsfeier, hat aber auch als Wind= und Wettervogel eine passende Bedeutung. Der Vergleich des Ehewirths mit dem Haushahn liegt nahe. In Meklenburg herrschte früher die Sitte, der Braut zur Hochzeit einen Hahn zu schenken, welcher Bruthân hieß. Später verstand man darunter das auf der Hochzeit den Gästen vorgesetzte Zuckerbackwerk, welches also ursprünglich gewiß die Gestalt des Hahns gehabt haben wird. Auch ward der ganze Hochzeitsschmaus Hânenbier genannt 1 ). Liegt der Bezeichnung des betrogenen Eheherrn als Hahnrei eine besondere Fabel zum Grunde? Auch das Huhn wird auf Thor oder seine Gattin Bezug gehabt haben. Der von jeder Feuerstätte zu gebende Grundzins bestand


1) Polizei=Ordnung von 1516 und 1572, Tit. v. Hochzeiten.
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von Alters her in einem Huhn (Rauchhuhn, Herdhuhn), bei dessen Auswahl nach Grimm früher besonders auf die rothe Farbe gesehen ward. Sollte etwa auch die altherkömmliche Hammerscult, eine Abgabe von Hühnern und Eiern, auf Thor's Hammer Bezug haben? 1 ) Der Aberglaube in Bezug auf Hühner ist sehr mannigfaltig, aber seine Deutung nicht überall klar. Vielleicht machte früher auch hier die Farbe einen Unterschied. Ein krähendes Huhn verkündet Unglück; Hühnerfedern in dem Kopfkissen des Sterbenden erschweren den Tod; das Nesselfieber wird auch Hühnerbad genannt, und man glaubt, daß die Krankheit entstehe, wenn man sich an solchen Orten aufhalte, wo die Hühner ein sogenanntes Sand= oder Staubbad genommen haben. Zur Heilung des Uebels streut man den Hühnern zwischen Hemd und Brust hindurch Brodkrumen. An andern Orten soll der Keichhusten Hühnerweh genannt werden. Bekannter ist das Hühnerauge, Leichdorn.

Auch verschiedene Insecten gehörten zu Thor's Thieren. Namentlich der große gehörnte Hirschkäfer (Lucanus cervus), auch Donnerkäfer, Donnerguge, Donnerpuppe, Feuerkäfer, Feuerschröter, Feuerträger, Börner, Eichkäfer und Eichochse genannt. Man glaubt, daß er mitunter eine Kohle zwischen den Hörnern trage, sein Geweih als Zahnstocher gebraucht, schützt gleich dem Donnersplitter vor Zahnschmerz. Wer ihn entführt, dem schlägt der Blitz ins Haus. - Der Marienkäfer (Coccinella) heißt bei uns auch Sonnenkäfer, Sonnenpferd, Gottespferdchen und Johanniskäfer. Ihn zu tödten, bringt Unglück; unsere Kinder setzen ihn auf die Hand und bitten ihn auszufliegen und gut Wetter zu holen (Herr Gotts Pierdken fleg ut, unn bring mi godes Weder mit!). - Ob auch Schmetterlinge, namentlich die Tagfalter, die Bienen, die Ameisen, die Spinnen u. a. hieher zu ziehen sind, bin ich zweifelhaft. Von den ersteren, bei uns Sünnenvagel oder Bottervagel genannt, weiß ich sonst nichts beizubringen als den bekannten Kindergesang, wodurch das Thier eingeladen wird, sich zu setzen. Ein Bienenschwarm bedeutet Gäste, nach andern Feuer, wenn er sich an ein Haus setzt 2 ). Gegenstände, welche bei sympathetischen Kuren gebraucht sind, vergräbt man in einen "Emken= oder Mirenhupen", d. h. Ameisenhaufen. Vgl. auch


1) Die Rede: Es kräht kein Hahn darnach! ist wohl eine Anspielung auf die Geschichte des Apostels Petri.
2) Andere abergläubische Meinungen in Bezug auf die Bienenzucht finden sich in der N. Monats=Schrift von und für Meklenburg 1793, St. 3, S. 83.
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Gr., Aberglaube Nr. 88 und 98. Eine kleine Spinnenart bringt Glück (Glücksspinne). Spinnengewebe legt man auf Wunden, um das Blut zu stillen, auch hilft dasselbe gegen das Fieber; Spinnengewebe in der Küche deutet auf Verliebtheit der Köchin. Der Mettensommer (Mädchensommer), d. h. das im Frühling und Herbst über's Feld ziehende Spinngewebe, anderswo Mariengarn und in Schweden Zwergsnetz (dwärgsnät) genannt, hatte jedenfalls eine mythische, wenn auch jetzt nicht mehr zu erkennende Bedeutung (Gr., S. 454).

Zahlreich sind wieder die auf den Thorscultus bezüglichen Pflanzen. Vor allem war die heilige Eiche bei allen heidnischen Völkern Thor's Baum. Die christlichen Missionaire erwähnen wiederholt der heiligen Donnereiche (robur Jovis), der das Volk göttliche Verehrung zollte (Gr., S. 44 und 45). Noch jetzt glaubt das Volk, daß die Nähe einer Eiche gegen Blitz sichere, und schreibt derselben außerordentliche Heilkraft zu. Kinder läßt man durch den Spalt einer alten Eiche kriechen, damit sie Gedeihen (Däg) haben mögen, und Lahme und Sieche hoffen davon Heilung ihrer Leiden. Noch vor einigen Jahren wanderten Tausende gläubiger Kranken aus allen Gegenden des Landes zu einer solchen heiligen Eiche in der Nähe von Grevesmühlen, bis der Eigenthümer sie fällen ließ, und andere, wenn auch minder berühmte Bäume der Art gab es viele im Lande, z. B. bei dem Dorfe Rom bei Parchim, welche Thor selbst vor einigen Jahren zerschmettert hat. - Von der Linde ist mir nichts Bemerkenswerthes bekannt, obwohl man es fast erwarten sollte; eben so wenig von andern Bäumen. Dagegen ist die mythische Bedeutung des Dornstrauchs schon oben hervorgehoben. Hier ist noch anzuführen, daß die erste Blüthe des Schwarzdorns ein Fiebermittel ist. Nach Grimm's Untersuchung pflanzte man auf die Grabhügel der Todten einen Dornstrauch oder wilde Rose. Die Rose findet man bekanntlich noch jetzt sehr gewöhnlich auf Gräbern, aber sie ist nicht bloß Todesblume, sondern zugeich Blume der Liebe. Das Rosenöl ward früher äußerlich gegen Augenentzündung, Zahnschmerzen, Ohrenschmerzen, und innerlich gegen Fieber und Flüsse angewendet. Der durch einen Insectenstich erzeugte moosartige Auswuchs an den wilden Rosen heißt Schlafsdorn. Er soll gegen Zauberei schützen, namentlich legt man ihn Kindern in die Wiege, welche verrufen sind, daß sie nicht schlafen können. Man darf aber nicht über Wasser gehen, wenn man ihn pflückt. - Ueberhaupt scheinen alle stachlichen und brennenden Gewächse von Thor zu kommen; man verglich diese Eigenschaft ohne Zweifel der Wirkung des Feuers, und der Stachel der Pflanze schien überdies dem Horn der Thiere zu

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entsprechen. Hieher gehört namentlich die große Brennnessel (urtica dioica), bei uns Dunner = oder Hirre=Nettel genannt (von hyr=Feuer, daher Hyrrekin, der Name einer Riesin, was nach Gr. igne fumata bedeutet). Von dieser Nessel glaubte man nach Franck (A. u. N. M. I, S. 59), daß sie dem Donner widerstehe, weshalb man sie zum frischen Biere legte, damit es sich nicht breche 1 ). Junge Nesseln gehörten zu dem Grünen=Donnerstags=Kohl. Hühner peitscht man mit Nessel, um sie zum Brüten zu bringen; warum man aber jungem Federvieh die Füße damit peitscht, weiß ich nicht, denn der mir angegebene Grund, daß man es an den Nesselbrand gewöhnen wolle, ist zu einfältig, als daß man nicht einen andern voraussetzen dürfte. Vergleiche auch oben über den Zusammenhang des Nesselfiebers mit den Hühnern. - Außer den eigentlichen Getreidearten mit den stachlichten Aehren, welche nothwendig dem Gotte des Ackerbaues gehörten, sind hier unter den eßbaren Pflanzen auch die Schotenfrüchte, Erbsen und Bohnen, zu nennen. Früher hielt man die Erbse für ein Mittel gegen Zahnschmerz, indem man den kranken Zahn damit berührte und sie dann in fließendes Wasser warf. Eben so vertrieb man die Warzen. Sie durften in den Zwölften nicht genossen werden, sind aber das eigentliche Donnerstags=Gericht. Die mythische Bedeutung der von einem Pockennarbigen gebräuchlichen Redensart, der Teufel habe Erbsen oder Bohnen in seinem Gesichte gedroschen, verstehe ich nicht, wenn eine darin liegt. - Hieran schließen sich endlich noch eine ganze Reihe von Pflanzen, welche ihre Verwandtschaft mit dem Gotte oder den ihm heiligen Thieren schon durch ihren Namen verrathen, aber dieselbe größtentheils auch durch besondere Eigenschaften bewähren. Dahin gehören vor allen, außer der besprochenen Donnernessel, folgende Donnerkräuter: Donnerbart (Sempervivum tectorium), auch französisch Joubarb (barba Jovis), der Hauslauch, den man bei uns überall auf Stalldächern sieht, weil er dem Vieh Gedeihen bringt und dasselbe gegen Krankheiten schützt. Nach Andern schützt er aber auch das Haus gegen den Blitz (Gr., S. 125). Die saftigen Blätter sind Heilmittel gegen Brandwunden.


1) Dieser Sitte liegt aber auch zugleich eine Erinnerung an Thor als Trinkgott zu Grunde. Mit seinem Hammer ward der Kelch (Trinkhorn) geweihet, und er selbst wird als der stärkste Trinker dargestellt, der Ströme leert und ein Mal fast das Meer ausgetrunken hätte (Wirkung der Sommerhitze). Ueberdies war ja das Gedeihen des Korns, woraus das Hauptgetränk des Nordens gebrauet ward, seine Gabe. Eben so stand der Hopfenbau unter seiner Obhut, weshalb derselbe am Donnerstage ruhen mußte.
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Das Donnerkraut (Sedum telephium), die fette Henne, bei uns Heil aller Wunden, dänisch Tordensur, französisch Joubarbe des Vegnes genannt. Außer Wunden soll es auch Brandschaden, Geschwüre und Hautflecken heilen. Die Donnerbohne (Ophrys ovata, auch die Orchis?), sonst Wundkraut, Bruchkraut, Knabenkraut. Der Donnerflug (Fumaria officinalis), der Erdrauch, soll auch Albrauch und Albraute genannt werden. Heilkräftig gegen Milzkrankheiten, Gelbsucht, Blattern und Scorbut (Scharbock). Mädchen stecken die zufällig gefundene Pflanze in den Busen, dann begegnet ihnen der künftige Geliebte. Aber auch die Osterluzei (Aristolochia), sonst Fieberwurz, Hohlwurz, führt diesen Namen. Sie ist gleichfalls ein vielgebrauchtes Heilmittel gegen Wunden, Geschwüre, Krätze, Feuermale, Augenübel, die fallende Sucht, Schlag und Krämpfe. Die Wurzel um die Hüfte gebunden, befördert die Geburt u. s. w. Die Donnerdiestel (Eryngium campestre). Die Donnernelke, Bartnelke (Dianlhus barbata?). Die Donnerrebe (Hedera terrestris), Erdepheu, auch Grundrebe, Gundelrebe und Gundermann genannt. Sie ist heilkräftig gegen Wunden, Lungen= und Nierenübel, Gelbsucht, Taubheit u. s. w. Ihr Geruch, wenn man sie in den Händen zerreibt, schützt in Pestzeiten gegen Ansteckung und stärkt das Gedächtniß. Wenn im Frühling die Kühe zuerst ausgetrieben werden, soll man sie durch einen Kranz von Gundermann melken. Wer Walpurgis einen solchen aufsetzt und damit zur Kirche geht, kann alle Hexen sehen (Gr., Aberglaube Nr. 462 und 463). Der Donnerbesen ist ein struppiges, nestartiges Gewächs auf den Baumästen, welcher dem Blitze zugeschrieben wird. Das dänische Tordenskraeppe versteht Grimm von der Klette (Aretium Lappa); nach andern Angaben ist es der Lattich (Tussilago, von tussis, der Husten), eine officinelle Frühlingsblume, besonders bei Brustkrankheiten, Entzündungen und Fieber; eine Art derselben (Petasites) galt für ein Pestmittel und wird daher Pestilenzwurz genannt. Uebrigens ist auch die Klette officinell. - Hieran schließen sich endlich die nach den Thorsthieren genannten Pflanzen. Bocksbart ist der deutsche Name verschiedener Pflanzen: 1) Tragopogon ist officinell, besonders gegen Brustübel; 2) Origanum vulgare, der Majoran oder Dost, auch Wohlgemuth, gleichfalls officinell; 3) Spiraea aruncus, Waldbocksbart, Geisblatt. Die Bocksbeere, die Ackerbrommbeere und andere Berren tragende Sträuche. Die Bocksbohne (Menyanthes trifoliata), auch Bocksklee, Fieberklee, Bitterklee und Lungenkraut, officinell gegen Fieber, Brustübel, den Scharbock u. s. w. Bocksdiestel (Astragalus tragacantha), auch

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Bocksdorn, Tragant, officinell gegen Brustübel und Augenkranheiten, Bocksdorn (Lycium); eine Art (L. europaeum) gilt in Italien für den Strauch, woraus die Dornenkrone Christi gflochten war, - der heilige Dorn. Bockshorn (Foenum graecum sativum), auch Schön=Margarethe, eine Schotenfrucht, officinell, gegen Brustübel, Augenübel, Geschwulst etc. . Bockspeterlein (Sanguisorba officinalis, auch Saxifraga?), Bockspimpinell, Bockspetersilie, das Blutkraut, Sperberkraut, Wiesenknopf; an der Wurzel soll mitunter eine rothe Beere wachsen. Officinell, gegen ansteckende Krankheiten, vertreibt Sommerflecken, Zahnschmerz etc. ., vortreffliches Wundkraut. Das Bocksgeil und Bockskraut weiß ich nicht zu bestimmen. Der Beifuß (Artemisia) heißt auch der rothe und weiße Buck (Bock?) oder St. Johannisgürtel. Officinell gegen Mutterbeschwerden und allerhand Frauenkrankheiten. Ein Kranz um den Nabel der Wöchnerin, hilft in Kindesnöthen. Im Schuh der Reisenden schützt es gegen Müdigkeit. Das Salz der Asche ist ein Pestmittel. An der Wurzel des Krauts liegt eine Kohle, welche gegen Epilepsie hilft. Geisfuß (Aegopodium). - Nach dem Storche werden in Meklenburg genannt: die Adebarsblom, auch in andern niedersächsischen Gegenden Heilebartsblom, Aebérsblom, die Storchblume (Iris palustris, auch Pseudo - Acorus und Acorus adulterinus), die Schwertlilie. Die Slaven nannten die Iris überhaupt perunica, nach dem Donnergotte Perun. Adebarsbrod (Geranium Robertianum), das Ruprechtskraut. Der allgemeine Name für Geranium ist Storchschnabel, nach der Gestalt der Saamenkapsel. Adebarsnippen (Delphinium consolida), Rittersporn, auch Lerchenfuß, Lerchenklaue, ist heilkräftig. - Schwalbenkräuter sind: Schwalbenwurz (Asclepias Vincetoxicum), auch Heilkraut (Gr., Aberglaube Nr. 217) und Schwalbenkraut (Chelidonium), auch Maikraut, bei uns Schöllkraut, gleichfalls heilkräftig. - Unter den Hahnkräutern hat der Hahnenkamm (Rhinanthus) seinen Namen nur seiner Gestalt zu verdanken; ebenso vielleicht der Hahnenkopf (Hedysarum). Der Hahnenfuß (Ranunculus) dagegen hat wohl andere Bedeutung; eine Art (R. bulbosus) heißt Brennkraut, Brennwurz, wegen des scharfen, Blasen ziehenden Saftes. Der Hühnerdarm, auch Hühnerbiß und Hühnersalbe (Alsine media), ward früher gegen Entzündung, Ausschlag und Milchbeschwerden der Frauen gebraucht.

Diese Beispiele genügen, um den innigen Zusammenhang der alten Arzneikunde mit dem heidnischen Götterglauben, namentlich mit dem Thorcultus, darzuthun. Aber auch hier, wie in Bezug auf die Heilkraft des Feuers, bestätigt sich die voran=

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gestellte Bemerkung, daß es nur bestimmte Gattungen von Krankheiten waren, gegen welche man bei diesem Gotte Hülfe suchte, weil man grade ihn als den Urheber derselben betrachtete, so daß er also nicht etwa als ein nordischer Aesculap aufzufassen ist. Noch eine letzte Bestätigung findet diese Ansicht dadurch, daß auch dem Blitze selber und dem nach dem Glauben des Volkes als Kern des Blitzes zur Erde niedergeschleuderten Donnersteine, also dem unmittelbaren Einschreiten des Gottes, dieselben Wirkungen zugeschrieben werden, als den unter seiner Herrschaft stehenden irdischen Elementen, Thieren und Pflanzen. Dieser Stein, auch Donnerhammer, Donneraxt oder Donnerkeil genannt, ferner Albgeschlost und Teufelsfinger, Strahlstein, Schürstein u. s. w., dänisch Tordensteen und Storksteen, d. i. der Belemnit 1 ), soll sich bei jedem neuen Donnerschlage allmählich wieder aus der Tiefe der Erde empor heben und nach sieben Jahren die Oberfläche wieder erreichen. Sein Schwitzen verkündet das Herannahen eines Gewitters; er schützt nicht nur das Haus, in welchem er aufbewahrt wird, gegen den Blitz, sondern auch den, der ihn in der Tasche trägt, jedoch nur den Keuschen; er widersteht ferner allen Zaubereien und befreiet vom Albdrücken; auch verleiht er seinem Besitzer Stärke und läßt ihn im Kampfe überwinden; Kindern in die Wiege gelegt, befördert er den Schlaf und schützt sie gegen Brüche; als Pulver zerrieben, ward er früher von den Aerzten als Wundmittel, gegen den Stein, Milzstechen, Gelbsucht u. s. w. empfohlen. Eben so lindert ein Splitter des vom Blitze getroffenen Baumes den Zahnschmerz, also immer und immer wieder dieselben Uebel, die wir überall in dem Bereiche des Wirkungskreises dieser Gottheit gefunden haben.

Nun erst werden wir im Stande sein, die an den Festen des Gottes üblichen Gebräuche und den vielfachen daran hangenden Aberglauben zu verstehen.

Unter den Wochentagen ist dem Thor bekanntlich der 5te heilig; altnord. Thôrrsdag, angels. Thunresdag, dän. Tordensdag etc. . Auch in Deutschland findet sich neben Donnerstag häufig eine mehr oder weniger contrahirte Form, z. B. Dornstag, in unsern älteren Acten sehr gewöhnlich, ebenso in Schlesien Dornst'g oder Durnst'g, in Thüringen Dornstig, Dorstig, Thorstig oder Thurstig, und im Hennebergischen Thorstag. Schon der heilige Eligius († 659) eiferte gegen die Feier dieses Tages durch


1) Hin und wieder hält man auch die Feuerstein=Keile in den heidnischen Gräbern für solche Donner=Keile.
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Arbeitslosigkeit; in dem Verzeichniß der verbotenen heidnischen Gebräuche im fränkischen Reiche zur Zeit des Karlmann (um 743) wird namentlich auch der sacra und feriae Mercurii et Jovis, d. h. Wodan's und Thor's gedacht, und eben so erwähnt Burchard von Worms († 1024) der Feier des 5ten Wochentages zur Ehre Thor's (in honorem Jovis). Vgl. Gr., Anhang p. XXX, XXXII und XXXVII. Noch jetzt soll in Esthland der Donnerstag heiliger gehalten werden als der Sonntag. Ebenso hält man in Schweden und Dänemark für unerlaubt, an diesem Tage zu spinnen und Holz zu hacken (Gr., Abergl. Schw. u. Dän. Nr. 55 u. 110), und auch in der Mark wagt man nicht, an demselben zu spinnen (K. und Schw., S. 132). In Meklenburg erließ der Herzog Gustav Adolph im J. 1663 eine Circular=Verordnung an alle Prediger des Landes, über den in ihrer Gemeinde herrschenden Aberglauben zu berichten, zu welchem Zwecke ihnen ein weitläuftiges "Inquisitions=Formular" mitgetheilt ward. Das Formular war jedoch wenig zweckmäßig abgefaßt, und das ganze Examen hatte natürlich geringen Erfolg, da die Gefragten in ihren Antworten die eigentliche Frage zu umgehen suchten. Die 6te Frage lautete z. B.: "Ob, was und warumb man dieses oder jenes auf den Donnerstag, Freytage, Sonnabendt thue oder lasse?" Darauf antwortete die Gemeinde zu Cammin: "Wo sie nicht spinnen am Donnerstage, dürfen sie am Freytage nicht haspeln", und in Jördensdorf: "Sie hätten wohl gehört, daß man am Donnerstage nicht sollte ausmisten oder spinnen, sähen aber keinen Grund davon". Der Herzog erließ hierauf am 11. December 1684 ein offenes Mandat an alle Beamte "zur Ausrottung des Aberglaubens, daß man am Donnerstage nicht spinnen dürfe". Außerdem versichert Franck (A. und N. M. 1, S. 59), daß auch die Beschäftigung mit dem Hopfenbaue an diesem Tage bei dem Volke für unerlaubt galt, indem man zur Strafe der Verletzung dieses Verbots die Ausartung des Hopfens in Nesselhopfen fürchtete. - Als besonderes Donnerstag=Gericht werden Erbsen genannt (K. und Schw., S. 468, Nr. 13).

Wichtiger als diese Wochentagsfeier sind natürlich die hohen Jahresfeste des Gottes im Frühlinge und Sommer. Ursprünglich nämlich feierten ohne Zweifel alle aus Hochasien stammenden europäischen Völker jährlich vier große Feste, welche, durch die vier Phasen des scheinbaren Kreislaufs der Sonne bestimmt, religiösen Ursprungs waren, aber gewiß von Anfang an überall zugleich zu bürgerlichen Zwecken benutzt wurden, da Religion und Staat auf das Engste verbunden waren. Gleichwohl hatte Othin nach dem Berichte der Ynglinga=Saga für den skandina=

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vischen Norden nur drei große Opferfeste angeordnet, nämlich im Herbst, Winter und Sommer, und eben so finden wir auch auf dem germanischen Festlande in den älteren Zeiten nur zwei oder drei allgemeine Volksversammlungen, mit welchen in heidnischen Zeiten natürlich die religiöse Feier verknüpft war. Wenn daher Tacitus den Germanen den Herbst, sowohl der Sache als selbst dem Worte nach abspricht, so mögte Grimm ihnen dagegen den Frühling bestreiten 1 ). Allein von jenen nordischen Opferfesten ward das erste, wie wir gesehen haben, im Herbste zum Empfange des Winters, das zweite in der Mitte des Winters, das dritte aber, wie gleichfalls ausdrücklich gesagt wird, zum Empfange des Sommers (tha fagna their sumari), d. h. im Frühling gefeiert, denn nach allgemeinem germanischen Sprachgebrauche bilden die Sonnenwenden, im Widerspruch mit der astronomischen Eintheilung des Jahres in unsern Kalendern, aber unsern klimatischen Verhältnissen gemäß, nicht etwa den Anfang, sondern die Mitte des Sommers oder Winters (Mittsommer und Mittwinter), während Frühling und Herbst nur Unterabtheilungen des Sommers sind, oder vielleicht nur die Scheidepunkte, den Uebergang von der einen zu der andern Hauptjahreszeit bezeichnen, gleichsam die Morgen= und Abenddämmerung des Jahres. Diesem Sprachgebrauche und dem nordischen Klima gemäß fanden wir denn auch die Feier des Herbstfestes nicht in der Tag= und Nachtgleiche, sondern schon nach beendigter Ernte, und eben so wird das Frühlingsfest von Anfang an bei dem wirklichen Beginne des nordischen Frühlings, im Mai, gefeiert worden sein. In eben diesem Monate hielten die Longobarden ihre allgemeine Volksversammlung 2 ). Im fränkischen Reiche ward dieselbe zwar zur Zeit der Merovinger schon am 1. März gehalten (Campus Martius, Märzfeld) 3 ), allein das beruhte vermuthlich auf römisch=gallischer Sitte. Als daher die deutschen Völker diesseits des Rheines mit dem fränkischen Reiche vereinigt waren, verlegte Pipin die Versammlung im Jahre 755 in den Mai (Campus Majus oder Majicampus, Maifeld), welche Neuerung ausdrücklich mit dem Erscheinen des Baiernfürsten Tassilo in Verbindung gebracht wird 4 ), und damit stimmte auch die Zeit der drei feststehenden ungebotenen Gerichtsversammlungen im Innern Deutschlands überein. Während


1) Tac. Germ. c. 26. - Gr. deutsche Rechtsalterthümer S. 822 und 823.
2) Paul. Diacon. 3, 35.
3) Ann. Mett. ad a. 692 (Pertz, M. G. I, 321).
4) Ann. Patav. ad a. 755 (Pertz, I, 40; Fredegar, cont. 2, app.
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nämlich das Wintergericht in der Regel im Anfang Januars, seltener im Februar gehegt ward, finden wir das Frühlingsgericht fast überall im Mai, seltener schon im April (Ostern), aber fast nie im März 1 ), das dritte aber zu Joannis oder Michaelis, worauf wir noch zurückkommen.

Anderer Seits ist indeß nicht glaublich, daß die germanischen Völker die für die Entwickelung des Naturlebens wichtige Tag= und Nachtgleichen, deren Feier ihnen gewiß aus hohem Alterthume vor ihrer Einwanderung in die nordische Heimath überliefert sein wird, ganz unbeachtet gelassen haben sollten, zumal die ersten Frühlingsboten, wie der Storch und das duftende Märzveilchen allerdings auch bei uns schon im März eintreffen. Sehr wahrscheinlich fand daher schon in diesem Monate eine Art Vorfeier statt, eine feierliche Frühlingsverkündigung, während das eigentliche öffentliche Volksfest bis zum Mai ausgesetzt blieb. Nach Einführung des Christenthums wurden diese heidnischen Feste zwar hauptsächlich durch die christlichen Oster= und Pfingstfeste ersetzt, an welchen deshalb auch in der That die meisten heidnischen Gebräuche haften geblieben sind, allein viele derselben finden wir doch auch in der Fastnachts= und Himmelfahrtsfeier erhalten, und auch der alte Maitag selbst ist noch immer unvergessen. Es ist daher nicht mehr möglich, die ursprüngliche Ordnung dieser verschiedenen Gebräuche zu ermitteln, weshalb ich in dem Folgenden, ohne Rücksicht auf die jetzige Zeitfolge, lediglich das Gleichartige zusammenzustellen mich bemühen werde.

Von höchster Wichtigkeit für die Bedeutung des ganzen Festes ist es nun zuvorderst, daß gerade der Lenzmonat nach dem Donnergotte benannt ward; in Calendarien des Mittelalters findet sich nämlich für den März der Name Thormond, und noch jetzt heißt derselbe in Dänemark Tormaaned. Eben so wurden nach der Predigt des heiligen Eligius schon im 7. Jahrhunderte vorzugsweise im Monat Mai die Donnerstage heilig gehalten, und noch jetzt haften gerade an dem Grünen Donnerstage eine Menge abergläubischer Gebräuche. Allgemein war früher die Sitte, an diesem Tage einen Kohl von neunerlei


1) Vgl. Gr. Rechts=A. S. 823 ff. Unter 22 hier angeführten Beispielen von drei jährlichen Gerichten fiel das Frühlingsgericht 14 Mal in den Mai, 4 Mal in den April, 2 Mal auf Ostern (April) und 1 Mal auf Lätare (März). In einem Falle aber fehlt es ganz. Unsere einheimischen Nachrichten reichen nicht weit genug zurück. Ich kenne nur ein Beispiel von drei ungebotenen Gerichten, nämlich im Kloster Dargun: Weihnacht, Ostern und Michaelis (1262). Die späteren allgemeinen Bürgerversammlungen wurden in der Regel nur 1 oder 2 Mal gehalten. Ueber die Zeit der Landtage ist aus älteren Zeiten gar nichts bekannt.
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Kräutern zu essen; wer es nicht that, bekam sicher das Fieber, während andere fürchteten, noch vor Martini ein Esel zu werden (Gr., Aberglaube Nr. 275 und 940). Ja Franck (A. und N. M. I, S. 59) versichert, daß in Meklenburg Mancher der Meinung sei, wenn er an diesem Tage, da Christus das Abendmahl eingesetzt, nicht solchen Kohl esse, welcher vornehmlich aus jungen Nesseln bestanden, daß es um sein Leben wohl so gefährlich stehen mögte als um die Seele dessen, der ein Verächter des heiligen Abendmahls. Andere essen statt des Kohls Bretzel, noch andere endlich fasten, um sich gegen das Fieber zu sichern (Gr., Abergl. Nr. 44 und 84). Ein am Grünen Donnerstage gelegtes Ei trägt man auf den Boden, um das Haus gegen den Blitz zu sichern. (Ueber dies Gründonnerstagsei und das daraus geschlüpfte Huhn vgl. auch Gr., S. 635.) Ueberhaupt spielten Eier und der Hahn, Thor's Thier, eine wichtige Rolle im Frühlingsfeste: allbekannt sind die Ostereier, und auch die Sitte des Hahnenschlagens um Fastnacht oder Ostern gilt fast durch ganz Deutschland 1 ). In manchen Gegenden tanzt das jubelnde Volk am Ostertage um Thor's heilige Eiche (Gr., S. 45). Endlich war es Thor, der die Heilighaltung des Festes überwachte: sein Blitz erschlägt den, welcher an einem der hohen Festtage im Frühlinge arbeitet oder geflickte Kleider trägt 2 ). Neben Thor wird aber auch seine Gattin nicht vergessen sein. Tacitus nennt zwar die Zeit nicht, wann das von ihm beschriebene Fest der Erdgöttin durch Umführung ihres heiligen, mit Kühen bespannten Wagens, welcher Freude und Frieden brachte, wohin er kam, gefeiert sei. Allgemein wird aber diese Feier, gleich dem ähnlichen Umzuge Freier'e und der Freia in Schweden, in den Frühling versetzt. Sicherer würden die Feste der von Beda genannten angelsächsischen Göttinnen Hrede und Eastra, von welchen jene dem März, diese dem April den Namen gegeben, hieher gehören, wenn die Existenz dieser Göttinnen selbst sicher stände und nicht etwa umgekehrt nur aus dem Namen der Monate und der in ihnen gefeierten Feste gefolgert sein sollte. Eastra, althochd. ôstar, d. h. Osten, scheint im Alterthum der Morgen und der Frühling bedeutet zu haben. Vgl. jedoch Gr., S. 180 ff. und S. 349.


1) In Frankreich opferte man dem Wassergeiste einen Hahn, welcher aus einem an einem Donnerstage des Monats März gelegten Ei geschlüpft war (Gr., S. 566).
2) Haltau's Jahreszeitbuch der Deutschen, S. 251 - 255. Vgl. Gr. Abergl. Nr. 517, 703 und 772. Der Gott hielt überhaupt was auf Ordnung: Wer sich das Zeug auf dem Leibe flicken läßt, verliert das Gedächtnis. Das Gedächtniß war aber Thor's Gabe.
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Das also waren die Gottheiten des wiederkehrenden Sommers, denen das Volk sich mit Jubel zuwandte. Aber wie das Herbstfest, so hatte auch die Frühlingsfeier einen doppelten Charakter. Nach der Edda ward das Sommeropfer zugleich für den Sieg (til sigrs) dargebracht und hieß Siegesopfer (sigrblôt), was ich eben von dem Siege des wieder erwachenden Lebens über den Todesschlaf des Winters verstehe. Dieser Rückblick auf den scheidenden Winter tritt daher noch jetzt in zahlreichen Gebräuchen hervor und giebt dem Feste seinen eigenthümlichen Charakter. Hierauf beziehe ich namentlich das nochmalige Wiedererscheinen Wodan's mitten in dem Jubelfeste des Frühlings. Nach mehren Angaben hält nämlich der Wode mit seinem nächtlichen Gefolge seinen letzten Umzug um Fastnacht, und um eben diese Zeit, oder in einigen Gegenden der benachbarten Mark gar erst um Pfingsten, wiederholt sich die bei den Weihnachtsgebräuchen geschilderte Mummerei des Schimmelreuters (K. und Schw., S. 369 u. 384. Märkische Sagen, S. 308). Schwerlich aber ist diese Erscheinung dem Festzug des Gottes um Mittwinter zu vergleichen, vielmehr glaube ich dieselbe nur auf dessen Abzug, wie seine erste Erscheinung im Herbste auf seinen Einzug, deuten zu müssen 1 . Wie nämlich nach nordischen Sagen Thor beim Eintritt des Winters dem Othin die Herschaft abtrat und zum Kampfe mit den Riesen nach Osten zog, so wird auch Othin dem siegreich wiederkehrenden Sommergotte das Feld geräumt und sich mit der ganzen Schaar seiner bösen Wintergeister weiter nach Norden oder in die höheren schneebedeckten Bergregionen zurückgezogen haben. Darauf beziehen sich die in verschiedenen Gegenden üblichen Gebräuche zur Vertreibung der bösen Geister, z. B. im Altenburgischen am Abend vor der Mainacht durch Schlagen mit brennenden Besen, im Harze zu derselben Zeit durch Schießen, unter jubelndem Lärm, und in Hessen zu Fastnacht durch Knallen mit der Peitsche. Dies Peitschenknallen bald am Oster=, bald am Pfingstabend ist auch in der Mark (K. und Schw., S. 376, 377 und 381), sowie in Meklenburg Sitte, namentlich in Parchim, wo die Hirtenknaben


1) Im Herbste und Frühling ging daher der Zug durch die Luft, während der Gott in den Zwölften auf der Erde jagte. K. und Schw., S. 427, Nr. 244 und S. 428, Nr. 253. - Der erste Umzug der wilden Jagd, ihr Einzug, fand nach einigen am Bartholomäustage statt, demselben Tage, an welchem früher unser Erntebier gefeiert ward, und der zugleich ein Hexentag war. Gr., 2te Ausg. 883 - 884 und 1003. K. und Schw., S. 300, Nr. 112 - 114. Merkwürdig ist auch die Oldenburger Sage, wornach im Herbste auch die Störche nach dem Blocksberge ziehen, wie im Frühjahr die Hexen, K. und Schw., S. 400, Nr. 116.
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und Pferdejungen der gesammten Kämmereidörfer am Pfingstabend in die Stadt kommen und mit mächtigen Peitschen knallend die Straßen durchziehen, wofür sie sich eine Gabe erbitten. Doch ist man sich des in Hessen angegebenen Grundes hier nicht mehr bewusst.

Aus dieser Ansicht erklärt sich ferner die wunderbare Hexenfahrt in der Nacht des ersten Maitags, an welcher das Volk in Schweden und Dänemark, wie in ganz Deutschland mit unerschütterlichem Glauben festhält und sie fast in jedem Dorfe durch eigenthümliche Sagen und Märchen zu bekräftigen weiß. Auch bringt die Sage diese Hexenfahrt hin und wieder noch mit dem Schmelzen des Schnees in Beziehung, ohne doch den rechten Sinn zu treffen (K. und Schw., S. 376). In Schweden und Norwegen nennt man die Zusammenkunftsorte böse Felder (balvolde, campus malus), welche auf Bergen liegen, z. B. auf Trommenfjeld, einem Berge der Insel Tromsö, oben an der Finnmark, oder auf Blakulla, einem einsamen Meeresfelsen zwischen Seeland und Oeland. In Dänemark geht der Zug zum Hekla auf Island (Hekkelfjelds oder Haekenfeld), welcher Name des Hexenberges: Hekelvelde sich merkwürdiger Weise auch in Niedersachsen wiederfindet 1 ). Der berühmteste Hexenberg in ganz Norddeutschland ist aber bekanntlich der Blocksberg oder Brocken, die höchste Spitze des Harzes, während in Mittel= und Süddeutschland verschiedene Höhen des Thüringer Waldes, Riesengebirges, Schwarzwaldes u. s. w. seine Stelle vertreten. In dieser unheimlichen Nacht ist es rathsam, sehr auf der Huth zu sein, damit die vorbeiziehenden Hexen den Menschen und dem Viehe keinen Schaden zufügen, weshalb man auf dem Lande Haus= und Stallthüren häufig mit Kreuzen bezeichnet, oder durch sonstige Hexen scheuchende Mittel sichert. Uebrigens ziehen die Hexen, als irdische Zauberer, nur zur Theilnahme an dem großen Festschmause ihres Meisters, des Teufels, nach dem Blocksberge und kehren am Morgen mit dem ersten Hahnenkrat oder nach anderen am 12ten Tage zurück. Daß aber andere böse Geister ihren bleibenden Aufenthalt dort haben, scheint schon aus dem unchristlichen Fluche zu folgen: "Fahre zum Blocksberg", oder dem Wunsche, einen lästigen Plagegeist los zu werden: "Ich wollte, er säße auf dem Blocksberge", wie man ganz


1) (Gr., S. 561 und 592). Könnte vielleicht auch der im Harze und andern Gegenden Niedersachsens statt des Wode als Führer der wilden Jagd genannte Hackel= oder Heckelberend, Heckelberg oder Heckelblock, welches Gr. S. 519 von dem nordischen hökull und als femin. hekla=Gewand, Mantel, ableitet, hieher zu ziehen sein?
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eben so in Dänemark sagt: fara til Hekkelfjelds, oder gaa du dig til Hekkenfjelds (Scheer dich zum Teufel)!

Unzweideutiger ist dieser Sieg des Sommers über den Winter in den von Grimm, S. 440, aus verschiedenen Gegenden Deutschlands gesammelten Gebräuchen am Maitage dargestellt, unter welchen das feierliche Maireiten in Schweden und Norddeutschland den ersten Rang einnimmt, und welches in älterer Zeit auch in Meklenburg wohl bekannt war. In den Städten Schwedens und Gothlands pflegten nämlich im Mittelalter nach alter Sitte zwei Reiterschaaren junger Bürger am ersten Mai zu einem Festspiele auszureiten, der Führer der einen Schaar in Pelz und Winterkleider gehüllt, mit dem Speer bewaffnet, der andere aber, Blumengraf genannt, unbewaffnet und mit Laub und Blumen geschmückt. Dennoch überwindet der Blumengraf seinen Gegner im Kampfe, an welchem auch das beiderseitige Gefolge Theil nimmt, indem er ihn zu Boden rennt, worauf das umstehende Volk ihm feierlich den Sieg zuerkennt. Dies Fest, dessen weiterer Verlauf nicht mitgetheilt wird, galt in mehren Städten für wichtig genug, um zu seiner Begehung förmliche Maigrafengilden zu gründen. Ein solches Maireiten und die Maigrafschaft war nun auch im nördlichen Deutschland mit geringeren oder größeren Abweichungen wohlbekannt, namentlich in Stralsund, Greifswald, Hildesheim, Köln u. s. w. 1 ). Eben so finden wir auch in Wismar unzweideutige Spuren desselben Festes, welches hier in der Pfingstwoche von der sogenannten Papegoyengesellschaft, einer schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts bestehenden, ziemlich reich dotirten Zunft der wohlhabendsten Bürger der Stadt, gefeiert ward und dadurch noch an Interesse gewinnt, daß damit zugleich ein Papegoyen= oder Vogelschießen verbunden war, welches wenigstens in späterer Zeit als Hauptzweck der Innung erscheint. Aus den ältern Zeiten fehlt uns leider jede genauere Nachricht über den Verlauf dieses Festes, allein eine Schilderung des Festzuges aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts 2 ) läßt im Vergleiche mit der angeführten schwedischen Sitte keinen Zweifel über dessen Bedeutung zu. Am Morgen des Pfingstmontags begab


1) Ueber das Stralsunder Maireiten s. Jahrb. VIII, S. 229 ff., wo Beispiele aus dem 15. Jahrhundert gegeben werden. 1564 ward es, nachdem es längere Zeit nicht gehalten, wieder eingeführt. Vgl. auch Baltische Studien, Jahrgang 1841.
2) Dietr. Schröder (Diacon. zuWismar), Beschreibung der Stadt und Herrschaft Wismar, S. 134 ff. (1743). Vgl. Jahrb. VII, S. 179 ff. und VIII, S. 228 ff.
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sich nämlich die Gesellschaft in folgender Ordnung zu dem Schießplatze vor dem Lübschen Thore hinaus: voran ein reitender und auf's Beste geschmückter Knabe, von zwei Rathsdienern geführt; ihm folgte zu Fuß der vorigjährige König in der Mitte der beiden Bürgermeister, darauf der ganze Rath, und hinter diesem der sogenannte Maigraf, von zwei Schaffnern der Gesellschaft begleitet, endlich die gesammten Zunftgenossen, sämmtlich zu Fuß. Auf dem Platze angelangt, begann sofort das Vogelschießen, nach dessen Beendigung sich die Brüderschaft in demselben Zuge, dem sich diesmal auch die Frauen und Töchter anschlossen, anscheinend jedoch ohne den zugführenden Knaben, zum Tanze nach dem sogenannten Thiergarten vor dem Altwismarschen Thore hinaus begab, wo zuvörderst zwei Jungfrauen dem neuen König einen silbernen Becher überreichten, demnächst aber der alte und der neue König nebst drei Bürgern und vier Gesellen und eben so viel Frauen und Jungfrauen den ersten Tanz aufführten, den zweiten aber der Maigraf und seine Zugeordneten. Am folgenden Donnerstage oder Freitage gab endlich der neue König, nach einer sehr unvollständigen Aufzeichnung der Statuten der Gesellschaft aus dem Jahre 1379, ein Gastmahl (Krud), auf welchem auch der neue Maigraf für das folgende Jahr gewählt ward. Ueber den Zweck dieser Wahl giebt weder jene Aufzeichnung, noch irgend eine andere Nachricht die gewünschte Auskunft. Aus seinem Namen erkennt man jedoch mit Sicherheit den Repräsentanten des Sommers, während der allein in der ganzen Gesellschaft berittene Knabe an der Spitze des Zuges ursprünglich ohne Zweifel den Winter vorstellte. Beide aber werden schon Morgens auf dem Schießplatze den alterthümlichen, mit der Besiegung des schwächeren Winters endenden Kampf ausgefochten haben, wodurch die ursprüngliche Veranlassung und die eigentliche im 18. Jahrhundert längst vergessene Bedeutung des Festes charakterisirt ward.

Ein solches Vogelschießen am 2ten Pfingsttage war aber in allen meklenburgischen Städten althergebrachte Sitte 1 ). In Rostock ist dasselbe gleichfalls schon im 15. Jahrhundert nachgewiesen, indem die 1466 gegründete Landfahrer=Krämercompagnie daselbst unter anderm zu ihrer Belustigung auch ein Vogelschießen hielt, was aber nicht das einzige war, indem wenigstens im 17. Jahrhundert auch die sogenannten Stadtjunker und selbst


1) Eben so in den Nachbarländern in den Städten und auf dem Lande, wobei häufig auch der bekannte Schimmelreiter auftritt, während auffallender Weise sein Gegensatz, der Maigraf, vergessen ist. K. und Schw., S. 381 - 382.
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die "Gesellen" in der Pfingstwoche oder an dem folgenden Trinitatis=Sonntage gleiche Feste feierten 1 ). In den kleineren Städten ward dasselbe wenigstens im Anfange des 16. Jahrhunderts mit den Schützenzünften verbunden, wenn es nicht zu deren Gründung Veranlassung gegeben haben sollte 2 ). Der älteren Maigrafschaft finde ich nirgends weiter gedacht. Wichtig ist aber, daß der abzuschießende Vogel auch in Rostock als ein Papegoi bezeichnet wird; und eben so kommt in Brüel 1502 urkundlich ein "Papegojenbom" vor. In einer Supplik der Schützenzunft zu Gadebusch vom Jahre 1707 heißt es, ohne Zweifef nach älteren Nachrichten in der Schützenlade, daß die Zunft schon vor mehr als 100 Jahren, "als man noch mit stählern Bogen nach dem sogenannten Gojen geschossen", bestanden habe, und noch zu Franck's Zeiten war der Ausdruck "Gojen=Schießen" im allgemeinen Gebrauche (A. und N. M. III, S. 24). Schon Nic. Gryse, welcher des Vogelschießens zu Pfingsten mehrmals gedenkt, leitet dasselbe, gleich Franck und Andern, aus dem Heidenthume ab, betrachtet dasselbe aber sonderbarer Weise als eine Verspottung des heil. Geistes, indem er annimmt, daß der abgeschossene Vogel ursprünglich eine Taube gewesen sei. In späteren Zeiten war derselbe vielmehr allgemein ein Adler. Der Name Goje aber hatte sehr wahrscheinlich eine mythische Bedeutung. In der Edda kommt eine mythische Jungfrau Gôi vor, nach welcher in der nordischen Sprache der letzte Wintermonat Februar benannt ward und von welcher auch unser Schützenvogel den Namen haben könnte; ja man könnte ihn direct auf den Namen des Wintergottes selbst zurückführen, da sich für Wodan in mehren Gegenden auch die Form Woe, Woje und für Fru Goden eben so Fru Goen, Goje findet. Dieser Wodansvogel auf hoher Stange als Zielscheibe jubelnder Schützen wäre also wiederum ein Symbol des unterliegenden und verspotteten Winters, welchem gegenüber dann zugleich Thor's Hahn, den man im Alterthum, namentlich in Schweden, an demselben Feste auf die Spitze eines grünen Maibaumes pflanzte, als Symbol des Sommers eine höhere Bedeutung gewänne.

Dieselbe Bedeutung hatte der im Frühlinge von der fröhlichen Jugend umgetragene Hahn oder ein anderer Sommervogel, zum Theil künstlich aus Papier geschnitzt, und neben demselben eine Krähe oder ein vierfüßiges Winterthier, z. B. Fuchs, Iltis


1) Jahrb. VII, S. 188 ff.
2) Polizei=Ordnung von 1516, Tit. "Van Schuttengilden", wo denselben ausdrücklich erlaubt wird, "in de Pfingst=Weke den Vagel af tho scheten".
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oder Marder, welches demnächst getödtet ward. Doch weiß ich dafür kein einheimisches Beispiel anzuführen, weshalb ich der Sitte nur im Vorbeigehen zur Vergleichung erwähne 1 ).

Die hohe Wichtigkeit der Frühlingsfeier und der Charakter derselben als eines allgemeinen Freudenfestes prägt sich am bestimmtesten in dem bei uns noch unvertilgten Volksglauben aus, daß die Sonne selbst bei ihrem Aufgange am Ostermorgen freudig tanze. Der heidnische Ursprung dieses Glaubens ist freilich zweifelhaft; wenn man ihn mit dem Ausspruche der heiligen Schrift zusammenhält, daß sich die Sonne bei dem Tode des Gekreuzigten verfinstert habe, so scheint der Gedanke an eine freudige Bewegung derselben am Auferstehungsmorgen dem christlichen Gemüthe allerdings nahe zu liegen. Anderer Seits aber paßt diese tanzende Sonne doch auch so trefflich zu dem fröhlichen Siegesfeste des Sommers, daß es schwer wird, eine bestimmte Entscheidung zu fällen. - Sicherer gehört ein anderer, an eben diesem Morgen übliche, Gebrauch dem Heidenthume an. Wie nämlich nach Tacitus die Mutter Erde selbst an ihrem Jahrestage zu einem geheimnißvollen Bade geführt ward, so glaubte auch der Sterbliche durch ein kühles Bad am Morgen dieses Festes den Körper stärken und von allerlei Ausschlag und andern Uebeln reinigen zu können (Gr., Aberglaube Nr. 776 und 1014). Auch das Vieh treibt man an vielen Orten am Ostermorgen vor Sonnenaufgang zu gleichem Zwecke ins Wasser; andere aber bewahren das an eben diesem Morgen schweigend geschöpfte Wasser sorgsam auf, in dem Glauben, daß es das ganze Jahr hindurch nicht verderbe und ein kräftiges Heilmittel sei, namentlich gegen das Fieber; und im Stargardischen endlich fängt man auch den in der Osternacht gefallenen Thau in leinenen Tüchern auf, mit welchen man sich am Morgen gleichfalls zur Heilung verschiedener Krankheiten zu waschen pflegt. Aehnliche Kraft schreibt man auch dem Märzschnee oder an andern Orten dem Märzregen zu 2 ).

Das Hauptopferthier in dem Frühlingsfeste scheint der Stier gewesen zu sein. Am Donnerstage oder Freitage vor Pfingsten ward nämlich früher bei uns der für das Fest bestimmte fette Ochse von den Schlächtern feierlich durch die Stadt geführt, mit einem Blumenkranze um das Haupt,


1) Gr., S. 439. Märkische Forschungen I, S. 300 - 301.
2) Die jährliche Wasserweihe der katholischen Kirche, d. h. die Einsegnung der mit Wasser gefüllten Taufbecken, fand nach Gryse am Grünendonnerstage statt, ward aber erst Ostern durch dreimaliges Eintauchen der geweiheten Kerze vollendet, wodurch das Wasser wunderthätig ward.
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die Hörner mit Gold= und Silberschaum belegt und einer Citrone auf der Spitze, endlich auch der Schwanz mit Blumen und bunten Bändern geschmückt, welche während des Zuges noch durch die Mädchen vermehrt wurden; kurz, in dem ganzen Aufzuge, welcher z. B. in Parchim erst vor wenigen Jahren wegen seiner Gemeingefährlichkeit (!) von der Obrigkeit verboten ward, war der festlich geschmückte Opferstier nicht zu verkennen. Dieser Pfingstochse, oder wie er in Rostock und Güstrow heißt "Pîp=Oß", ist auch in andern Gegenden Deutschlands, namentlich in Thüringen, wohlbekannt, und der durch ganz Norddeutschland geltende Vergleich: "geputzt wie ein Pfingstochse", beweis't die frühere weite Verbreitung der Sitte. In der Mark herrscht in den Dörfern der Gebrauch, um Fastnacht oder Pfingsten statt des wirklichen Stieres, einen in eine Kuhhaut gekleideten Burschen, dem man einen Topf vor das Gesicht bindet und mit Kränzen und Blumen reich schmückt, als Ochsen umher zu führen und endlich unter Scherz und Jubel zu schlachten, indem man den Topf mit einem Knittel zerschlägt. - Mit diesem am Pfingstsonntage verzehrten Opferstier bringt Mantzel 1 ) das Lümmelbier, wie das Pfingstgelage genannt werde, in Verbindung. Lümmel ist nämlich bekanntlich bei uns ein Spottname des Stiers, mit welchem die Knaben ihn zornig zu machen suchen. - In Hannover und Braunschweig scheint man wenigstens früher am Maitage vorzugsweise Kälber geschlachtet zu haben 2 ). Andere Festspeisen im Frühjahre sind außer den schon besprochenen Gründonnerstagsgerichten und den Ostereiern und Oterkuchen, namentlich in der Fastnacht, Schinken, geräuchertes Rindfleisch und Knackwurst, sowie die sogenannten Hêtwecken. Der letztere Name, dessen erster Theil bald durch Hêden (Heiden), bald durch Hêde (Flachs) u. s. w. erklärt wird, bedeutet wahrscheinlich ganz einfach heiße Wecken (Semmel), da man sie, mit Butter, Zucker und Gewürz gefüllt, heiß aufträgt und in heißer Milch genießt, während gewöhnliche Wecken nur kalt gegessen werden. Ihre Form ist bei uns viereckig, wie die der Kröppeln in Thüringen, worin man ein Kreuz erkennen will, in der Mark aber werden sie länglicht rund gebacken, im Harze dreieckig, und noch anderswo vertritt der Pfannkuchen oder Eierkuchen die Stelle derselben.

Unter den Festspielen und Volksbelustigungen im Frühlinge standen früher die Fastnachtsgebräuche fast oben


1) Bützowsche Ruhestunden, Thl. 7.
2) Leibnitz, scriptor. rer. Brunsw. III, p. 262.
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an, sind aber jetzt bei uns fast ganz vergessen. Aus den "Fastelabendssammlungen" des Prof. J. P. Schmidt zu Rostock geht hervor, daß es damals (1742) noch allgemeine meklenburgische Sitte war, zu Fastnacht Tannenbäume vor die Häuser zu pflanzen und sich gegenseitig mit grünen Sträußen zu beschenken, während arme Kinder mit solchen Sträußen von Haus zu Haus zogen, und unter dem Gesange:

Ich bring' zum Fastelabend einen grünen Busch,
Habt ihr nicht Eier, so gebet mir Wurst!

um eine Gabe baten, was man "den grünen Fastelabend bringen" nannte. Ferner suchten die jungen Bursche am Fastnachtsmorgen die Mädchen im Bette zu überraschen, wo sich dann diese durch das Versprechen eines Hêtweckenschmauses von dem angedrohten Peitschen mit einer birkenen Ruthe befreien mußten, während man sich in den höhern Ständen mit zierlichen Ruthen aus Silberdraht beschenkte, auf welchen Bündel=Kinder, schnäbelnde Täubchen, ein Storch mit einem Kinde im Schnabel u. dgl. dargestellt waren. Jenes Hetweckenstäupen ist auf dem Lande noch jetzt vielfach in Gebrauch, und in Schwerin zogen die Müllergesellen noch bei Menschengedenken am Fastnachtsmorgen mit Sträußen und einer mit Band gezierten Ruthe bei den Bäckern und ihren sonstigen Kunden umher, um ein Geschenk zu erbitten 1 ). Endlich waren zu Schmidt's Zeit die Fastnachtsmummereien, welche in südlichern Ländern, und in Deutschland vorzugsweise am Rhein, mit so großem Aufwande an Geld und Witz getrieben werden, auch bei uns noch in allgemeinem Gebrauche, wogegen das Schlagen der Hunde um eben diese Zeit ausdrücklich als eine fremde Sitte bezeichnet wird. - Ferner gehört zu diesen Frühlingsfesten auch das Austreiben der Kuhheerde am alten Maitage, woran auf dem Lande und in den kleineren Städten die ganze Bevölkerung Theil zu nehmen pflegt. Früher pflegten die Kühe wohl auch mit Maibusch, d. h. mit grünenden Birkenreisern, geschmückt zu werden, die letzte aber wird von den Hirten zur Verspottung der wartenden Magd mit einem Strohkranze versehen, und ward früher, wenn ich nicht irre, "Dauslepersch" genannt, ein Name, welchen ich mit Beziehung auf die häufige Zusammenstellung von


1) In dem alten Rom rennten zur Zeit der Lupercalien (15. Februar) die Priester des Pan oder Lupercus (der Wolfszwinger) nackt mit einer Schürze von Bocksfell in den Straßen umher und geißelten die ihnen begegnenden Weiber mit Striemen von Bocksfell, was für ein Mittel gegen die weibliche Unfruchtbarkeit galt. Man pflegt unsere Fastelabends=Ruthen von dieser römischen Bocksgeißel abzuleiten und überhaupt die ganze Fastnachtsfeier auf jene Lupercalien zurückzuführen, worin wenigstens Uebertreibung liegt.
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"Dag und Dau" (Tag und Thau), z. B. "vör Dag und Dau", d. h. vor Tages Anbruch, durch Langschläferin erklären mögte, welcher aber in der Mark in einem andern Sinne vorzukommen scheint. Im Felde findet sodann unter großem Zulaufe der Einwohner ein Bollenstoßen (Stierkampf) statt, wobei hie und da auch ein Preis für den Eigenthümer des Siegers ausgesetzt ist. In Dörfern, wo nur ein Stier bei der Heerde ist, pflegt man zum Theil auch ein Stoßen der Ochsenheerde zu veranlassen. Vgl. K. und Schw., S. 388 und 389. - Das Bestecken der Hausthür und der Flur am Pfingstmorgen mit Maibusch ist, wie in ganz Deutschland und Skandinavien, auch bei uns Gebrauch; die anderswo übliche Errichtung eines Maibaumes ist hier jedoch unbekannt, und eben so wird das Bestreuen der Gassen mit Laub und Blumen in den Städten bis zu dem Auszuge der Schützenzunft zu ihrem Königsschusse verspart. Letzteres, an die Stelle des ehemaligen Vogelschießens getretene Fest, ist nun allgemein ein Scheibenschießen, welches im Frühjahre, aber nicht gerade immer um Pfingsten, gefeiert wird, mehre Tage dauert und überall mit Würfelspielen unter Zelten im Freien, sowie mit einem Balle der Schützen verbunden ist. Jenes Würfelspiel findet sich aber häufig auch ohne den Königsschuß am 2ten Pfingsttage erhalten. - Auf dem Lande findet an diesem Tage auch noch häufig ein Pferderennen statt, theils bloß unter den Pferdejungen, theils so, daß diese und die jungen Knechte zwei besondere Geschwader bilden, welche neben einander nach dem gesteckten Ziele jagen. Der Preis besteht aber bloß in Eßwaaren und Getränken, welche vorher von den Bauern erbeten, am Ziele auf einer Tonne aufgestellt und gemeinschaftlich verzehrt werden. Eigenthümliche Benennungen des Siegers und sonstige etwa an das alte Mairennen erinnernde Gebräuche habe ich nicht erforschen können.

Seinen Höhepunkt aber scheint das Fest im Alterthume mit dem Entzünden des nächtlichen Freudenfeuers erreicht zu haben, welches man am Osterabende, seltner schon um Fastnacht, zu entzünden pflegte. Bei uns ist diese heilige Flamme zwar längst erloschen, aber in vielen Gegenden des nördlichen Deutschlands, z. B. im Harze, Thüringen, Westfalen u. s. w., sieht man sie noch jetzt aus allen Höhen lodern. Die Ableitung dieser Sitte aus dem germanischen Heidenthum ist freilich von Vielen bezweifelt, indem man darin vielmehr eine durch das Christenthum in Deutschland eingeführte Nachahmung der allerdings sehr ähnlichen altrömischen Gebräuche in den zu Ehren der Pales, einer mütterlichen Frühlingsgöttin, am 19. April gefeierten Palilien zu erkennen glaubt (Gr., S. 348). Allein ähnliche Früh=

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lingsfeste, zu welchen z. B. auch das dem christlichen Osterfeste selbst zum Grunde liegende jüdische Pascha gehört, finden wir fast bei allen indogermanischen Völkern in Europa und Asien, ohne daß das eine sie von dem andern entlehnt hätte. Ueberdies sind die Osterfeuer vorzugsweise nur im Norden Deutschlands gebräuchlich, während sie in dem, dem römischen Einflusse zugänglicheren, Süden und Westen in der Regel durch Johannisfeuer ersetzt werden. Die katholische Kirche wußte sich übrigens den heidnischen Gebrauch allerdings schon früh für ihre Zwecke anzueignen, indem die Geistlichkeit, wahrscheinlich nur die Stelle der verdrängten heidnischen Opferpriester vertretend, der am Osterabende entzündeten Flamme, durch welche dann das vorher auf allen Herden sorgsam gelöschte Feuer erneuet ward, förmlich die religiöse Weihe ertheilte, und dadurch die segensreiche Kraft, welche das Volk dieser Flamme zuschrieb, als Wirkung des geistlichen Segens darstellte. Unser Nicolaus Gryse berichtet ausführlich über diese, mit der gleichfalls zu Ostern stattfindenden Kerzenweihe nicht zu verwechselnde, Feuerweihe, ohne jedoch des vom Volke entzündeten Festfeuers zu gedenken, welches also damals in Meklenburg nicht mehr in Gebrauch gewesen zu sein scheint. Die Bitte des segnenden Priesters aber lautete nach ihm: "Godt wolle alle dat by dem sülven hilligen Füre, nevenst dem Für, so van dissem wyder angesticket und gebödt wert, gesaden unde gebraden werd, hilligen, und den kolden Lyff der Menschen, so sick darby wermeden, segnen, ja ock de fürigen Pile des Düvels uthlöschen". Schon hieraus läßt sich schließen, daß das Osterfeuer ursprünglich zugleich ein reines und reinigendes Nothfeuer war, wie dies in Bezug auf das Johannisfeuer ausdrücklich bezeugt wird. Höchst merkwürdig aber ist der alterhümlich=mystische Name "Bocksdorn" für das Osterfeuer, den Grimm (S. 349 **) nicht zu erklären weiß. Wahrscheinlich ist in der von ihm angeführten Belagstelle "Borckshorn" zu lesen; wenn man sich aber erinnert, daß die Götter häufig durch die ihnen geheiligten Thiere vertreten wurden, so scheint der Vergleich der heiligen Flamme des Thor mit dem Horne des Bockes nicht grade sehr ferne zu liegen. Ist das richtig, so würde zugleich das räthselhafte Sprichwort: "Jemanden ins Bockshorn jagen", durch die Hinweisung auf die durch das lodernde Nothfeuer getriebene Heerde eine sehr passende Erklärung finden. Aber selbst die Bezeichnung der Flamme als Bocksdorn scheint mir in demselben Sinne nicht unstatthaft. Auf jeden Fall aber liegt hierin eine neue Bestätigung des Zusammenhanges dieser Feuer mit dem Thordienste.

Ich wende mich jetzt zu dem Mittsommerfeste, worüber ich kürzer sein kann. Unter den nordischen Opferfesten fehlt das=

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selbe, und eben so ist auch auf dem Festlande keine allgemeine Volksversammlung zur Zeit der Sommersonnenwende nachzuweisen. Dagegen ward das ungebotene Ding schon in älteren Zeiten an einzelnen Orten um Johannis gehalten, wogegen dann das gewöhnlichere Herbstding wegfiel 1 ). Hiernach scheint es allerdings, daß man ursprünglich in ganz Deutschland kein Johannisfest kannte und daß es erst später an einzelnen Orten anstatt des Herbstfestes eingeführt sei, und dies wird noch dadurch bestätigt, daß mit Rücksicht auf das nördliche Klima, wie wir gesehen haben, das Frühlingsopferfest überall bis zum Mai verschoben, das Herbstopfer dagegen an das Ende der Ernte zurückgelegt ward, wodurch der Raum zwischen beiden für ein drittes Fest allzu sehr beengt scheint. Allein dies scheint dennoch nur von dem mit einer allgemeinen Volksversammlung verbundenen öffentlichen Opferfeste zu gelten, denn daß man den wichtigsten Zeitabschnitt des Jahres, die Sommersonnenwende, unbeachtet und ohne alle religiöse Feier hätte vorüber gehen lassen, ist kaum denkbar. In der That finden sich denn auch in ganz Europa Spuren einer Sonnenwendsfeier, welche sich in ein hohes Alterthum zurückführen lassen und unbezweifelt heidnischen Ursprungs sind. Auch ist an eine Entlehnung von den heidnischen Römern und die spätere Verbreitung durch das Christenthum um so weniger zu denken, als wir in dem alten Rom kein ähnliches Fest von Bedeutung um diese Zeit kennen und auch in den neueren Zeiten grade in Italien die geringsten Spuren desselben finden, wogegen der Hauptherd desselben in Gallien und demnächst in Deutschland gelegen zu haben scheint.

Der Verlauf dieser Sonnenwendsfeier ist übrigens dem der Frühlingsfeier sehr ähnlich, und nur eine Wiederholung der Hauptmomente der letzteren, namentlich des heiligen Bades am Morgen und des Freudenfeuers am Abende des Festtages. Wie die Frühlingsfeste war auch der Johannistag ein Ruhetag, namentlich mußte die Gartenarbeit ruhen; wer an diesem Tage Kraut holt, bekommt den Krebs und eben so, wer in der heiligen Nacht die Wäsche hängen läßt. Dagegen sammelte man die uns schon bekannten Heilkräuter, namentlich Beifuß, Rittersporn, Lattich, Knabenkraut u. a. m., vorzugsweise am Johannistage,


1) Unter den 22 Ortschaften, aus welchen Grimm die Zeit der ungebotenen Dinge mittheilt, hatten 6 ein Johannisding und darunter nur 2 daneben noch ein Herbstding zu Michaelis und Martini; an einem Orte ward dasselbe im Juli gehegt, an 2 Orten im August, an 40 im September, darunter 7 am Michaelistage selbst, an dreien unbestimmt im Herbst, an einem im October und an zweien am Martinitage.
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wodurch ihre Kraft erhöhet ward; ja der Rauch solcher Johanniskräuter, während eines Gewitters entzündet, schützte das Haus selbst gegen Blitz und Donner und beschwichtigte den Sturm. Wie im Frühlinge unter dem Fuße dessen, der die erste Schwalbe erblickte, so fand man auch am Johannistage an der Wurzel verschiedener Pflanzen eine heilkräftige Kohle, an andern aber einen Blutstropfen. Zu den Volksbelustigungen gehörte namentlich das gleichfalls schon aus dem Frühlingsfeste bekannte Hahnenschlagen. Eigenthümlich sind dagegen die in vielen Gegenden am Johannistage gefeierten Rosenfeste (K. u. Schw., S. 391), worauf sich vielleicht auch die Rosengärten, d. h. öffentliche Belustigungsplätze vor unsern Städten, namentlich Rostock und Schwerin, beziehen mögen 1 ). Ueber das Johannisbad und seine wunderthätige Wirkung handelt Grimm S. 330 ff. Aus unserer Heimath weiß ich nichts Aehnliches beizubringen. Die Hauptfeierlichkeit war aber auch hier das Freudenfeuer, welches noch jetzt in einem großen Theile Europa's, bei den Völkern gallischer und germanischer Herkunft, am Johannisabend zum Himmel emporlodert, so namentlich in dem ganzen südlichen Deutschland und den deutschen Provinzen Oesterreichs, ferner am Unterrhein, dem katholischen Westfalen, am Südharze, in Thüringen, einem Theile von Brandenburg, Meißen, Schlesien und den russischen Ostseeprovinzen. Auch jenseits des Meeres, in Stockholm, war es noch vor wenigen Jahren ein wahres Volksfest und ist es in den schwedischen Gebirgen noch jetzt. In Frankreich erhält dasselbe sogar noch gegenwärtig die kirchliche Weihe, indem die Geistlichkeit in feierlicher Procession zu der Höhe zieht auf welcher der Scheiterhaufen steht, um denselben zu entzünden 2 ). Eben so war es früher in Deutschland, wo das Feuer in den alten Reichsstädten Nürnberg, Augsburg und andern selbst auf öffentlichem Markte unter Theilnahme der Fürsten und des Adels, welche Tänze um dasselbe aufführten, entbrannt ward. Die Entzündung geschah aber durch Reibung, wie bei dem außerordentlichen Nothfeuer. Wie dieses war auch das Johannisfeuer heilkräftig; nicht bloß die Viehheerden jagte man durch die Flamme, sondern auch Menschen sprangen hinüber, um sich gegen das Fieber und andere Gebrechen zu schützen. Erbsen am Johannisfeuer gekocht, heilen alle Wunden (Gr., S. 350).


1) Sollte in dem bekannten, jetzt allerdings sinnlosen Gesange der im Kreise tanzenden Kinder: "Kringelkranz, Rosendanz, Ketel hängt up'n Für u. s. w.", ursprünglich ein Opfergesang am Johannisfeste stecken? Vgl. Müllenhof, S. 484, wo indeß der erste Vers lautet: "Ringeldanz, Rosenkranz etc. ."
2) Grimm, S. 353. Eine sehr anziehende Schilderung des Johannisfeuers in den Pyrenäen=Departements findet man in den Blättern f. literar. Unterhalt., Mai 1843, Nr. 135 und 136.
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Doch genug dieser Einzelheiten, statt deren Häufung ich lieber zum Schlusse noch die einfache Schilderung des Johannisfestes in unseren nördlichen Gegenden aus der letzten Zeit des Katholicismus von unserm Nicol. Gryse mittheilen will. "Wenn S. Johannisdach in Landt kümpt vnd vorhandten ys", sagt der würdige Priester in echt protestantischem Eifer über das heidnische Unwesen, "so geidt man dem sülven under Ogen mit stinkenden Loddeken 1 ), drifft sine Aperye mit Byvoth und sine Gökelye mit S. Johannis=Blode, sampt velen anderen kindischen und närrischen Alefanzeryen affgödischer Wyse, in deme men S. Johannem alse enen Godt hesst angeropen, unde under anderem gesungen: Te deposcimus, ut crimina nostra ac facinora continua prece studeas absolvere. - Ok hefft men S. Johannes=Blomen gewyhet, und de Lüde averredet, dat de sülven gewyheden Blomen gudt weren vor den Donner, dat derselve in dat Hus, dar se weren, nich slan konde. - Ock hefft men an dissem Dage gewyheden Byvoth umme sik gegordelt, edder gebunden und gesecht, dat wenn einer densulven by sik hedde, so werde he nich mode up der Reise, wen he ginge, were ock godt vor de Wehedage des Ruggens. Ja wenn men an dissem Dage um Twolffen in de Erde na syner Art gröve, unde ene Kale unter dem Byvoth fünde, so were de Kale vor dat Feber sehr gudt. - Jegen den Avendt warmede men sik by S. Johannis Lodt=unde Nodtfür, dat men uth dem Holte sagede. Solckes Für stickede men nicht an in Godes, sondern in S. Johannis Namen, lep unde rönnte dorch dat Für, spökede mit demsülven alse Urs unde Molochs=dener, richtete vele Affgaderye uth, dreff dat Vehe dar dorch, und ys dusent fröuden vul gewesen, wenn men de Nacht mit groten Sünden, Schanden unde Schaden hefft thogebracht."

Nach dieser zusammenhängenden Schilderung des Wodans= und des Thorskultus, so weit sich derselbe aus den Sagen, Gebräuchen und Aberglauben des Volkes, verglichen mit den Ueberlieferungen der Edda, noch jetzt erkennen läßt, glaube ich nicht nöthig zu haben, meine Ansicht noch besonders gegen einzelne frühere Irrthümer zu vertheidigen. Oder wäre es nöthig, die Behauptung zu widerlegen, daß nicht nur das Herbst= und das


1) Lorrik, d. h. Lattich (Tussilago) oder die Klette (Aretium). Unter der letztern findet sich nach märkischem Aberglauben die Johanniskohle (K. und Schw., S. 393), nach Gryse und dem noch jetzt in Meklenburg verbreiteten Glauben dagegen, unter dem Beifuß (Artemisia). Das Johannisblut, an dessen Wurzel sich an diesem Tage ein Blutstropfen findet, soll Hypericum perforatum sein.
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Winteropfer zur Ehre Wodans dargebracht seien, sondern auch die Sommerfeste, namentlich die ganze schöne Frühlingsfeier, auf ihn zu beziehen sei, den man als eine allgemeine Sonnengottheit betrachtet (K. und Schw., S. 512 und 513)? Es ist schon auffallend genug, den Gott der Jagd und des Krieges zugleich als den des Ackerbaues und den Spender des Erntesegens dargestellt zu finden; wie man aber gar darauf kommen konnte, den alten Graubart zum Gotte des Frühlings zu machen, scheint in der That unbegreiflich! Allerdings ward auch Thor nicht bloß Vater, sondern auch Großvater genannt, allein das ist der Ausdruck der kindlichen Liebe, mit der er verehrt ward, zugleich mit Bezug auf die Abstammung des Menschengeschlechtes, aber ohne Anspielung auf ein hohes Alter des Gottes, der vielmehr stets in kräftigem Mannesalter erscheint. - Noch tiefer einschneidend ist aber eine Aeußerung Grimm's, wodurch er das Verhältniß beider Hauptgottheiten kurz also bezeichnet: "Gutes von Odhinn, Böses von Thôrr", das wenigstens sei die Ansicht des jüngeren Heidenthums gewesen (Gr., S. 693. Nachtrag zu S. 501). Dies folgert aber Grimm lediglich aus einer Erzählung der Gautrekssage, in welcher Othin das Schicksal des Jünglings Starkadhr in dem Rathe der Götter bestimmen ließ. Dieser Jüngling wird als Othin's Pflegesohn bezeichnet, weshalb dieser ihm ein glückliches Geschick zu verleihen sucht, während Thor seiner Mutter zürnte und deren Schuld an dem Sohne, der übrigens offenbar den Sinn der Mutter geerbt hatte, rächen wollte, weshalb er demselben die von ihm kommenden Gaben entzog. Daraus die allgemeine Folgerung zu ziehen, daß von Thor nur Böses komme, scheint doch allzu rasch. Die Sage ist aber höchst wichtig für die Bestimmung der Gaben, welche der Mensch dem Othin, und welche er dem Thor verdankt. Letzterer, welcher das erste und das letzte Wort hat, verkündigte nämlich dem Jüngling, daß er niemals eignen Grund und Boden erwerben, daß sein Geschlecht mit ihm erlöschen, daß er selbst an Gedächtnißschwäche leiden und in jedem Kampfe schwere Wunden empfangen solle, daß er in jedem Lebensalter eine böse That (nîdhingswerk) begehen, von Habgier geplagt und dem Volke verhaßt sein werde. Dagegen verkündete ihm Othin langes Leben (drei Mannesalter), Tapferkeit und Sieg, die besten Waffen und Kleider, Reichthum an Geld und Gut, die Gabe der Dichtkunst, und Ruhm und Ehre bei den edelsten Männern. Damit stimmt die jüngere Edda (Hyndlul. 3) überein, wornach Othin den Kriegern Tapferkeit und Sieg, den Großen des Volkes Klugheit und Beredtsamkeit, den Dichtern Lieder, andern seiner Söhne Reichthum, und den

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Schiffern günstige Winde verlieh. Nach der Völuspa dagegen verlieh Othin dem ersten Menschenpaare den Geist, Hönir die Vernunft (die Sinne), Lodhr das Blut und schöne Farbe, und eben so kam nach der jüngeren Edda Geist und Leben von Othin, Vernunft und Bewegung von Wile, das Antlitz, Sprache, Gefühl und Gesicht von Ve. Darnach ist Thor später offenbar in die Stelle der fast niemals wieder vorkommenden Brüder Othin's, Lodhr und Hönir, oder Wile und Ve (Feuer und Wasser) getreten. Von selber versteht sich übrigens, daß auch Othin jene Gaben, die er seinen Günstlingen verlieh, andern, denen er zürnte, versagte, wie umgekehrt Thor natürlich denen, die er in seinen Schutz nahm, dieselben Gaben verlieh, die er dem Starkadher absprach. Diese Thorsgaben aber finden wir ohne Ausnahme wieder unter den wunderthätigen Wirkungen, welche der heutige Aberglaube den dieser Gottheit geheiligten Thieren und Pflanzen zuschreibt, selbst das Gedächtniß und die Liebe des Volkes (Schwalbenstein) nicht ausgenommen: gewiß eine überraschende Bestätigung meiner Ansicht über das Wesen und den Charakter des Thor und sein Verhältniß zu Othin.

 

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