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A.

Jahrbücher

für

Geschichte.

 


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I.

Ueber

die Caselier in Meklenburg,

von

G. C. F. Lisch.


D er größte und berühmteste Mann, welcher unter der ruhmreichen Regierung des Herzogs Johann Albrecht I. 1 ) aus Meklenburg hervorging, war ohne Zweifel Johannes Caselius, welcher als ein Mann von tiefer Gelehrsamkeit, feinem Geschmack, vielseitiger Bildung und edlem Charakter einen europäischen Ruf nicht allein bei seinem Leben besaß, sondern in der gelehrten Welt auch noch heute hat, so daß der berühmte philologe Joh. Scaliger von ihm sagen konnte, "daß nichts Herrliches genannt werden könne, was seinen großen Eigenschaften gleichkomme", 2 ) und der große Isaac Casaubonus ihn den "Vater aller gelehrten Bildung" ("omnis eruditionis parentem") nannte. So vielfach bearbeitet und bekannt nun auch die Wirksamkeit dieses großen Mannes ist, so dunkel ist doch dessen Jugend=Geschichte und Bildung und namentlich die Veranlassung, welche ihn unserm Vaterlande Meklenburg und dessen hochherzigem Fürsten Johann Albrecht zuführte und lange erhielt, was für uns allerdings ein sehr großes Interesse hat. Diese Dunkelheit hat zunächst und vorzüglich ihren Grund in der Wandelbarkeit des Namens, welchen Johannes Caselius in seiner Jugend, und namentlich sein Vater führte, ehe Johannes


1) Die geistige Bewegung am Hofe des Herzogs Johann Albrecht I. habe ich in meiner Abhandlung: "Andreas Mylius und der Herzog Johann Albrecht I." in Jahrb. XVIII. S. 1 flgd. zu schildern versucht. Auf diese Abhandlung beziehe ich mich in allen Fällen, wo man hier eine ausführlichere Schilderung jener Zeit erwarten könnte.
2) "Nihil tam magnificum praedicari posse, quod eius summae virtutes non superarent."
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Caselius die bestimmte Form Caselius in seinem Namen annahm.

In der Forschung über die Herkunft des Vaters des Johannes Caselius kann ich nur fremden, zuverlässigen Forschungen folgen, da es mit zu großen Schwierigkeiten verbunden, ja unmöglich sein würde, den Quellen dieser fremden Untersuchungen nachzuforschen. In Beziehung auf die Verhältnisse des Vaters und des Sohnes zu Meklenburg habe ich aber das Glück gehabt, viele neue Quellen aufzufinden, welche vollständig Aufklärung geben werden und welche ich hier zu eröffnen beabsichtige. Es liegt nicht in meiner Absicht, das ganze Leben des Johannes Caselius und seine große wissenschaftliche Wirksamkeit zu schildern; dies würde ein Werk sein, welches weit über die Grenzen der meklenburgischen Geschichte hinausgehen würde und der Gelehrten=Geschichte angehört. Mein Zweck ist, die Caselier als Meklenburger und ihre Stellung zu dem Herzoge Johann Albrecht I. in unsere Geschichte einzuführen, welche dadurch ohne Zweifel eine große Bereicherung erhalten wird.


I. Mathias Bracht Chesselius,

Vater des Johann Caselius.


1) Lebensabriß des Mathias Bracht Chesselius.

Johannes Caselius 1 ) stammte aus einer alten und angesehenen adeligen Familie, der Chesselier oder vonChessel in dem Herzogthume Geldern, von denen noch in der Mitte des 17. Jahrh. eine an den Ufern der Maas auf einem Hügel erbauete Burg Namens Chesselium erwähnt wird. Der Urgroßvater Johann's war Volquin von Chessel, welcher Petronella, eine Tochter des reichen Bürgers Peter Enden zu Bracht, zur Frau hatte. Der Stammbaum des Johannes Caselius gestaltet sich von hier an folgendermaßen:


1) Vgl. folgende Schriften über Johannes Caselius:
1) De vita Johannis Caselii, von Johann Sigfried, Helmstädtische Univers. Leichenrede von 1613, wieder gedruckt in Jonannis Caselii Epistolae, Hanoverae, 1718.
2) De Johannis Caselii erga bonas litteras meritis, epistola scripta a Jacobo Burckhard, Wolfenbutteli, 1707.
3) Ueber Johann Caselius in Krey Andenken an die Rostockschen Gelehrten, Zweites Stück, 1815, S. 29 flgd.
4) Spiel und Spangenberg Vaterländ. Archiv für das Königreich Hannover, Jahrgang 1824, S. 253 flgd.
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Stammbaum Johannes Caselius

Der Vater des Johannes Caselius, der fünfte Sohn des Gotthard von Chessel, hieß Mathias, welcher sich, wir wissen nicht aus welchem Grunde, nach seiner Großmutter Bracht nannte und sich auch wohl den Beinamen Chesselius zulegte. Ich werde Gelegenheit haben, dies im Verfolge der Untersuchung bestimmt zu beweisen, muß das Resultat der Forschung aber vorausschicken, um die für uns wichtige Geschichte des Vaters unsers Johannes einleiten zu können. Johannes Caselius nennt auch selbst in einem Briefe 1 ) vom Jahre 1610 seinen Vater Mathias Caselius von Bracht ("Mathias Caselius Brachtonus"). Gewöhnlich nennt sich sein Vater Mathias Bracht oder Mathias Bracht Chesselius.

Wegen der Religionsverfolgungen und des Verlustes seines Vermögens, auch auf Zureden angesehener Männer verließ der junge und talentvolle Mathias Bracht, welcher um das J. 1492 geboren sein wird, sein Vaterland und verweilte längere Zeit in England und Schottland und ging sogar nach Spanien. Als sich aber der Protestantismus in Deutschland mehr und mehr Bahn brach, wandte er sich nach Deutschland, wo er freilich viele Jahre hindurch ein sehr bewegtes Leben führte.

Zuerst finden wir ihn sicher 1533 als Lehrer zu Göttingen, wo in diesem Jahre sein berühmt gewordener Sohn Johannes Caselius geboren ward. Er wird hierher um das J. 1530 gekommen sein, da er im J. 1552 sagt, daß er 20 Jahre Lehrer gewesen sei. Sein Sohn Johannes Caselius sagt in einem Briefe an den Rath der Stadt Göttingen, daß seinem Vater die Schule daselbst anvertraut worden sei zu der Zeit, als Johannes Sutelius dort die Reformation gepredigt habe, dessen er sich noch aus seiner Kindheit erinnere; 2 ) Sutelius ward aber


1) Vgl. Joh. Caselii epistolae, p. 523.
2) "Tum tenerae aetatis primam euram demandaverant patri meo, Mathiae Caselio, quo tempore populum docebat Joannes Sutelius, quem ego post adolescentulus docentem saepe audivi." Joh. Caselii epistolae p. 514.
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als der erste protestantische Prediger an der Nicolaikirche zu Göttingen dort 1529 eingeführt.

Darauf ward er, "Mathias Bracht", bei der Einführung der Reformation in der Stadt Nordheim als Capellan, d. i. Prädicant oder zweiter Prediger, im J. 1539 dem Pfarrer Jürgen Thomas beigeordnet. Er diente hier von Ostern 1540 bis Michaelis 1541 gegen ein Jahrgehalt von 52 Gulden 1 ). Er kam zunächst von Witzenhausen, da er aus der Kämmerei "2 Gulden vor Furlon von Witzenhusen na Northeim" erhielt. Dies läßt schließen, daß ihn der berühmte Superintendent Anton Corvin, der wackere Kämpfer für die Reformation, begünstigte, indem dieser damals an der Pfarre zu Witzenhausen stand. Es ist sicher außer Zweifel, daß dieser Capellan "Mathias Bracht" mit dem im J. 1555 in Nordheim wieder auftretenden "Mag. Mathias Caselius Bracht" dieselbe Person sei, da alle Zeitrechnungen und Lebensumstände dafür sprechen.

Von Nordheim mag Mathias Bracht wieder nach Göttingen zurückgegangen sein, da er einige Jahre aus der Geschichte verschwindet. Es ist nämlich bei dem Mangel an sichern Quellen nicht zu ermitteln, ob unser M. Bracht der im J. 1543 zum Superintendenten in Gandersheim ernannte "M. Mathias Brachius" 2 ) sei.

Als im J. 1547 die Mönche zu Nordheim wieder zum Papismus zurückgefallen waren, sandte der Superintendent Anton Corvin ihnen den "Herrn Mathiam Bracht", welcher persönlich zu Corvin nach Pattensen gekommen war, als Prädicanten zu, um die Reformation in der Klosterkirche durchzuführen; Corvin schrieb, Pattensen 1. Nov. 1547, an den Rath der Stadt Nordheim, er "habe sonderlich mit gemelten Herrn Bracht geredt, daß in der Klosterkirche für den münchen, damit inen ire Unwissenheit bekandt werde, zur Beßerung der Catechismus und die Kinder=Lahr fürgenohmen und für und für getrieben werden solle". 3 ) Er war sicher noch im Februar 1548 in Nordheim. Wir erkennen in dieser Berufung deutlich die vorherrschende Begabung Bracht's zum Amte eines Lehrers, welches er so viele Jahre an verschiedenen Orten verwaltete.

Von Nordheim kam Mathias Bracht gleich darauf nach Gandersheim als Rector der dortigen Schule. Dies sagt Johannes, welcher die Schule zu Gandersheim besuchte, selbst in


1) Vgl. Brönnenberg Vaterländ. Archiv für Niedersachsen, Jahrg. 1840, S. 379.
2) Vgl. Schlegel Kirchen= und Reformationsgeschichte der hannoverschen Staaten II, S. 192.
3) Die Quellen hierüber sind eröffnet in Brönnenberg Vaterländ. Archiv, a. a. O. 1840, S. 379, die Briefe über diese Berufung sind abgedruckt daselbst S. 367 flgd.
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einem Briefe 1 ) Von hier mußte er aber in Folge des Interims noch im J. 1548 weichen.

Die Zeit seines Aufenthalts von 1548-1555 ist bisher unbekannt gewesen. Er war aber nach den vor mir entdeckten Quellen in dieser Zeit in Meklenburg, wo er etwa 5 bis 6 Jahre, sicher 1551-1554, wirkte.

Da aber seine Stellung in Meklenburg für den Unterhalt seiner Familie nicht ausreichend war und er mit vielen Widerwärtigkeiten zu kämpfen hatte, so suchte er eine andere Stelle welche er auch bald fand. Er kam zum dritten Male nach Nordheim. "M. Mathias Caselius (quem et scholae quaedam antiquo cognomine Bracht appellant) war Capellan zu Nordheim an Lüder Goldschmidt's oder Aurifaber's Stelle vom August 1555 bis Mich. 1559 und bezog hier ein Gehalt von 88 Mark. In den nordheimer Kämmerei-Registern erscheint er nur unter dem Namen Bracht." 2 ) Es leidet jetzt wohl keinen Zweifel, daß dieser Bracht mit dem Mathias Bracht, welcher früher schon zwei Male in Nordheim predigte, dieselbe Person war. Von Nordheim ging er nach Göttingen.

Entweder kurz vor oder nach diesem seinen letzten Aufenthalte in Nordheim, oder nach seiner Auswanderung aus Gandersheim im J. 1548, hatte er auf kurze Zeit das Predigtamt zu Catlenburg. 2 ) Es ist über diese Anstellung jedoch nichts Näheres bekannt geworden. - Er kam von Nordheim nicht gleich nach Göttingen, indem A. Mylius am 15. März 1560 an den Herzog Johann Albrecht schreibt, daß "des M. Johannes Caselius Vater ohne Anstellung in Nordheim lebe" (vgl. unten).

Endlich gelangte Mathias Bracht nach einem viel bewegten Leben zur Ruhe, indem er nach Göttingen als Prediger an der Kreuzkirche berufen ward. Hier lebte er an 20 Jahre, indem er erst im J. 1580 in dem hohen Alter von 88 Jahren starb.


2) Wirksamkeit des Mathias Bracht Chesselius in Meklenburg.

Nachdem hier der viel bewegte Gang des Lebens dieses tüchtigen Mannes in einem bestimmten Umrisse dargestellt ist, wird sich seine bisher unbekannte Stellung in Meklenburg, so


1) "Sub bellum videlieet id erat, quod Germanicum postea dictum fuit quando puer admodum, frequentans ludum Gandershaemensem, "- - gubernantte illa omnia patre meo Mathia Caselio Brachtono, - - habebam in caeteris aequalibus tres fratres Strubios." Joh. Caselii epistolae p. 523.
2) Die Quellen hierüber sind erst eröffnet in Brönnenberg Vaterländ. Archiv, Jahrg. 1840, S. 381.
2) Die Quellen hierüber sind erst eröffnet in Brönnenberg Vaterländ. Archiv, Jahrg. 1840, S. 381.
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wie der erste Schritt seines berühmten Sohnes ins bürgerliche Leben klarer erkennen lassen. Daß dies früher schwer möglich gewesen ist, liegt theils in der großen Dürftigkeit der auf uns gekommenen Nachrichten, theils darin, daß Vater und Sohn in früherer Zeit einen anderen Namen führten. Der Vater führte früher nur den Namen Mathias Bracht, erst in Meklenburg erscheint er mit dem Namen "Mathias Bracht Kesselius". Sein berühmter Sohn ließ freilich den Namen Bracht aus seinem Namen fort, nannte sich aber in seiner ganzen Jugendzeit immer "Johannes Chesselius" (statt Caselius) und ward auch von adern Chesselius oder Kesselius genannt. Erst dadurch, daß die Gleichheit dieser Namen ermittelt ist, ist die Erforschung des Zusammenhanges zwischen den in Rede stehenden Personen möglich gewesen.

Bald nachdem Mathias Bracht wegen der Vollstreckung des Interims aus Gandersheim 1548 hatte weichen müssen, kam er nach Meklenburg und ward hier der erste protestantische Prediger in Fürstenberg (im jetzigen Großherzogthume Meklenburg=Strelitz). Ohne Zweifel ward er durch den ächt und kräftig evangelisch denkenden Herzog Johann Albrecht, welcher seit dem Anfange des J. 1547 regierte, ins Land gerufen, vielleicht durch den Herzog selbst auf dessen Reisen zur Beförderung des Protestantismus vom Interim (1548) bis zum oberländischen Kriege (1552), vielleicht durch einen seiner geistreichen protestantischen Diener. So viel ist gewiß, daß er im Dec. 1551 in Fürstenberg wirkte, da der Herzog damals des "Prädicanten von Fürstenberg" Sohn in seinen Studien unterstützte, unter welchem kein anderer als Johannes Caselius verstanden werden kann. Wir besitzen über die Anstellung des Mathias Kesselius zu Fürstenberg aber eine vollständige und ausreichende Quelle, freilich nur eine, nämlich einen Brief des "Mathias Bracht Kesselius", 1 ) welcher erst vor kurzer Zeit in zurückgelegten, ungeordneten Papieren des schweriner Archives aufgefunden ist. Leider ist dieser Brief nicht datirt; er kann aber wohl nur im Jahre 1552 geschrieben sein, da der ganze Verlauf der Begebenheiten für dieses Jahr spricht. In diesem Briefe klagt nun "Mathias Bracht Kesselius, "Diener des Wortes Gottes zu Fürstenberg", daß die ihm endlich anvertrauete Gemeinde zu Fürstenberg durch die Nachlässigkeit und Verderbtheit seiner papistischen Vorgänger so tief gesunken sei, daß er kaum einige Ordnung herstellen könne, wenn nicht des Herzogs hülfreiche Hand eingreife. Da nun


1) Vgl. in dem Anhange, Beilage Nr. 1.
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dazu seine Familie von neuen Leiden heimgesucht werde, so werde er um so mehr von Niedergeschlagenheit gequält, da er in seinem Amte nichts Fruchtbarliches ausrichten könne. Er bittet daher den Herzog dringend, ihn von Fürstenberg an eine andere Kirche zu versetzen, wenn möglich an eine solche, mit welcher eine öffentliche Schule verbunden sei, da er dieser gerne täglich eine oder die andere Stunde gönnen wolle, da er, nachdem er ungefähr 20 Jahre Lehrer gewesen sei, aus Erfahrung wisse, daß auf diesem Wege das Reich Christi am meisten erweitert werde. Man erkennt in dieser Aeußerung nicht allein den eifrigen Lutheraner, sondern auch den unverwüstlichen Schulmann. Er bittet den Herzog um eine Visitation zu Fürstenberg, um dort die gänzlich zerrütteten kirchlichen Verhältnisse 1 ) zu regeln. Aus dem Briefe geht auch hervor, daß Mathias Kesselius noch nicht lange ("temporis plusculum") in Fürstenberg gewesen war.

Durch eine Nachschrift überreicht Mathias Kesselius dem Herzoge eine Ausarbeitung ("ingenii specimen") seines Sohnes und bittet, daß er dieselbe gnädig aufnehmen und dessen Studien zum Nutzen der Kirche und des Vaterlandes befördern wolle. Dies ist der erste wichtige Schritt, den der junge Johannes Caselius auf seiner ruhmreichen Laufbahn that, da er sich hiedurch dem edlen Herzoge näherte, welcher ihn für eine große Wirksamkeit würdig ausbilden ließ.

Der Wunsch des Mathias Kesselius ward sehr bald erfüllt. Er ward um Pfingsten des J. 1553 2 ) als Schul=Rector ("Schulmeister") nach Neu=Brandenburg berufen und sein Sohn ihm als Lehrer (" Schulgeselle") beigeordnet. Mathias Kesselius muß ein tüchtiger Schulmann gewesen sein. Sein Sohn Johannes sagt von ihm in einem Briefe 3 ) an den Rath der Stadt Göttingen: "Mein Vater war ein braver und pflichtgetreuer Mann, und so viel es in jener Zeit möglich war, nicht ungelehrt; als einer aus der Schule des Alexander Hegius und dessen Genossen, welche die ersten Keime der Wissenschaften


1) Kesselins schickt dem Herzoge zugleich ein Sündenregister der Fürstenberger über deren Thaten, die sie in einigen Wochen während der Abwesenheit des Marschalls Andreas Buggenhagen ausgeübt hatten. Kesselius nennt den Andreas Buggenhagen irrthümlich des Herzogs Marschall; die Buggenhagen waren pommersche Marschälle. Dagegen ist es gewiß, daß Andreas Buggenhagen damals meklenburgischer Vogt zu Fürstenberg war.
2) Der Nachfolger des Kesselius in der Pfarre zu Fürstenberg war Hermann Stake aus Paderborn, welcher im J. 1553 von dem Superintendenten eingeführt war; der herzogliche Vogt zu Fürstenberg, Andreas Buggenhagen, hatte ihn im Sept. 1553 eigenmächtig seiner Stelle entsetzt und ward deshalb von dem Herzoge zur Verantwortung gezogen. Daraus folgte 1571 M. Heinrich Timann, vorher Rector der Stiftsschule zu Schwerin.
3) Vgl. Joh. Caselii epistolae p. 514-515.
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in jenem Theile Deutschlands legten, hatte selbst davon etwas in sich aufgenommen. Daß er aber besondern Fleiß in der Unterweisung der Jugend aufwandte, lehrt die Erfahrung, da aus jener ersten, damals erst entstehenden Schule (zu Göttingen) Männer hervorgegangen sind, welche auf den Universitäten die gelehrten Studien mit Glück verfolgten und unter dem Beifalle des Vaterlandes diesem zur Zierde gereichen".

Der Vorgänger des Mathias Kesselius in Neu=Brandenburg war Johann Kolradt. Bei der Visitation vom J. 1552 ward bestimmt: "Demnach der jetzige Schulmeister Johann Kolradt ziemlich gelehrt und bis in das 21. Jahr getreulich bei der Schule gedient und viel Gutes geschafft, sehen wir es für billig an, daß er die Zeit seines Lebens der Supremus und Magister scholae sei und bleibe und daß ihm die Bestallung auf 50 Gulden zur Ergötzung seines angewandten Fleißes, so lange er am Leben bleibt und der Schule dient, folge."

Johann Kolradt behielt diese Stellung aber nicht lange, indem er schon im J. 1553 durch Kesselius verdrängt ward und dafür mit dem Rathe und andern Altgesinnten gegen die neue Ordnung der Dinge conspirirte.

Das großherzogliche Archiv bewahrt einen interessanten Bericht 1 ) des herzoglichen Richters Licentiaten Erasmus Behm vom 7. Mai 1553 über den plötzlichen Tod des als Protestanten, Theologen und Dichters berühmten Superintendenten (vom 19. Oct. 1552 † 5. Mai 1553) Dr. Erasmus Alberus zu Neu=Brandenburg, welcher zugleich über die Anstellung der beiden Kaselier in Neu=Brandenburg vollständige Aufklärung giebt. Der Licentiat Erasmus Behm mußte unter andern am 2. Mai 1553 im Namen des Herzogs von dem alt gesinnten und widerspenstigen Rath der Stadt fordern, daß "der Rath und E. Behm den zum Schulmeister annehmen sollten, welcher Kirchherr zu Fürstenberg gewesen sei", worauf der Rath die "stolze Antwort" gab: "sie hätten denselbigen Mann von Fürstenberg sammt seinem Sohn zum Schulmeister angenommen und wollten sich mit ihm wohl vergleichen und bedürften des Doctors und des Licentiaten Handlung nicht". Darauf habe E. Behm den Superintendenten mit dem angenommenen Schulmeister sammt dem jungen Casselio und noch einem Schulgesellen in sein Haus zum Mittagsmahl gebeten". E. Behm berichtet weiter, am 3. Mai 1553 sei Dr. Alberus, den die Brandenburger haßten


1) Vollständig nach einer Archiv=Abschrift gedruckt in F. Boll's Erinnerungen aus der Geschichte von Neu=Brandenburg, im Wochenblatt für Mecklenburg= Strelitz Neu=Brandenburg, 1849, Nr. 38, S. 150 flgd.
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und versäumten, "mit dem angenommenen Schulmeister und Schulgesellen nach der Mahlzeit spazieren gegangen, gesungen und fröhlich gewest". Als nun am 4. Mai der Rath mit Alberus verhandeln wollte, berief dieser die Prädicanten, sammt dem neuen Schulmeister und die Schulgesellen zum Handeln, in Hoffnung, die Schule und Kirche zu der Ehre Gottes und Besserung gemeines Nutzens in Einigkeit zu bringen". Dagegen habe aber der alte Pfarrer Martinus Wendt und der alte Schulmeister sammt den vier Burgenleistern und dem Stadtschreiber neben etlichen ihren Jüngern und Anhängern conspirirt, so daß der Dr. Alberus dadurch in große Aufregung gekommen sei. In der darauf folgenden Nacht vom 4. auf dem 5. Mai rührte den Dr. Alberus der Schlag. Um 4 Uhr Morgens ließ er "den neuen Schulmeister rufen und sagte zu ihm: O lieber Herr Casselius, der liebe Gott will mich aus diesem Trübniß erlösen, ich habe speciem apoplexiae ich werde sterben müssen". Am 5. Mai Abends 9 Uhr starb der große Mann in Kraft und inbrünstiger Ergebenheit.

Aus diesem Berichte ergiebt sich klar die Anstellung und der Geist des wackern Mathias Kesseluis, der einem so bedeutenden Manne, wie Erasmus Alberus, lieb und werth war. Auch in Neu=Brandenburg blieb Mathias Bracht Kesselius nicht lange. Schon im Aug. 1555 ging er als Capellan zum dritten Male nach Nordheim, von wo er nach Mich. 1559 nach Göttingen berufen ward.

So sagt die bisher bekannte Geschichte. Nach einem eigenhändigen Briefe des M. Andreas Mylius an den Herzog vom 15. März 1560 verhält sich die Sache anders. Mathias Kesselius war aus Neu=Brandenburg durch das Unrecht des Rathes der Stadt verdrängt und lebte damals ohne Anstellung in Nordheim. Der Herzog beabsichtigte 1560, in die damals noch ganz katholischen Leibgedingsämter seiner streng papistischen Mutter Anna endlich die Reformation einzuführen und suchte namentlich einen tüchtigen Prediger für die Stadt Crivitz. A. Mylius schlug dazu den Mathias Kesselius vor:

"M. Chesselii pater, iniuria Brandenburgensium eiectus, uacans conditione, Northemi est, vir grauis et doctus. Illum Criuitzii existunarem collocandum. Si uidebitur, mittat Celsitudo Tua literas M. Joanni Chesselio, eius filio; Furstenbergum uenturum spero".

Jedoch trat im J. 1561 darauf Michael Bramburg als Pradicant zu Crivitz auf.


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II. Johannes Caselius
in seinen Beziehungen zu Meklenburg.


Das Leben des Johannes Caselius erhält erst durch die Darstellung des Lebens seines Vaters seine rechte Begründung. Johannes Caselius, der älteste von den Söhnen des Mathias Bracht Kesselius, war am 17. Juni 1533 zu Göttingen geboren, als sein Vater daselbst erster protestantischer Schulmeister war, daher nennt er sich auch bei seinen ersten Auftreten wiederholt "Goettingensis". Seinen Jugendunterricht erhielt er auf den Schulen zu Göttingen, Nordheim und Gandersheim und durch seinen Vater, der an diesen Orten längere Zeit wirkte, 20 Jahre lang als Lehrer diente und gelehrt und geschickt genug war, um junge Leute zur Universität vorzubereiten. Auch soll er nach älteren biographischen Nachrichten eine Zeit lang auf der Schule zu Nordhausen gewesen sein, wo er den Unterricht des damals berühmten Michael Neander genoß.

Während seiner ersten Jugendstudien schreibt er sich beständig "Johannes Chesselius Göttingensis".

Im J. 1551, als sein Vater Prediger zu Fürstenberg in Meklenburg geworden war, bezog er die Universität Wittenberg, vorzüglich um Melanchthon zu hören. Hier ward er am 3. Sept. 1551 immatriculirt: 1 )

1551. "Johannes Kesselius Göttingensis. 3. Sept."

Nota adscr. "Caselius, J. U. D. Professor Rostochiensis".

Der scharf blickende Herzog Johann Albrecht muß schon früh auf den reich begabten Jüngling sein Auge geworfen haben; denn als er im Decbr. 1551 in Folge des lochauer Bündnisses eine Reise zu dem Kurfürsten Moritz nach Dresden machte, schenkte er, nach der Reiserechnung, 2 ) auf seiner Rückreise durch Wittenberg am 23. Dec. 1551

"2 Goldgulden des Prädicanten von Fürstenberg Sohn, der zu Wittenberg studiret".

Hierunter kann nur Johannas Caselius verstanden werden. Bemerkenswerth ist, daß der Herzog keine andere außerordentliche Ausgaben in Wittenberg machte, als diese eine, was dafür zeugt, daß er sich bei seiner großen Eile um keinen andern kümmerte.


1) Vgl. Album academiae Vitebergensis ed. Foerstemann, Lipsiae, 1841, p. 269 a.
2) Bemerkenswerth ist, daß in dieser Rechnung das Jahr sicher noch mit Weihnacht begonnen wird. Die Einnahmen und Ausgaben werden bis zum 24. Dec. unter dem J. 1551, von da an (25. Dec. 1552) unter dem J. 1552 aufgeführt.
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Daß der Herzog ihn schon früh unterstützt habe, geht aus dem Reverse 1 ) des Johannes Caselius vom 19. Juni 1560 hervor, in welchem er selbst bekennt, daß er für die "Fülle der Wohltaten, mit denen der Herzog ihn von Jugend an überhäuft habe ("beneficiorum, quibus me idem princeps a pueris cumulate est prosecutus"), dankbar verpflichtet sei". In einem spätern Briefe 2 ) an Petrus Victorius zu Florenz sagt er, daß er den Dienst des Herzogs Johann Albrecht nicht verlassen könne, da er von Jugend 3 ) auf bei ihm gelebt habe und von ihm freigebig unterhalten worden sei ("neque tamen a duce Megapolitano discedere volui, apud quem et a puero vixissem et a quo fuissem habitus paene liberaliter."). Ferner sagt er in der Einladung zu seiner Hochzeit an den Herzog vom 20. Sept. 1571, daß er vom Anfange seiner Jünglingsjahre an von dem Herzoge unterstützt worden sei ("tibi gratias agam, quod ab ineunte adolescentia non solum subleuasti munificentia tua tenuitatem meam, verum etiam semper mihi tribuisti plurimum").

Hiemit stinunt denn auch eine Aeußerung in einem seiner ersten Briefe 4 ) vom J. 1554 überein, nach welcher ihm einige gelehrte Männer gerathen hatten, nach Wittenberg zurückzukehren ("qui mihi fuerunt autores Vitebergam redeundi"). Hier in Wittenberg erfreuete er sich als ein ergebener Schüler Melanchthon's der besondern Gunst dieses ausgezeichneten Mannes.

Vermuthlich aber waren seine Mittel zu schwach, als daß er sich auf der Universität hätte erhalten können. Er ging, wahrscheinlich im Herbste des J. 1552, zu seinen Aeltern nach Fürstenberg zurück und empfahl sich von hier aus dem geistreichen Herzoge, welcher junge Talente mit Liebe unterstützte, durch eine Ausarbeitung, 5 ) welche sein Vater dem Herzoge mit folgenden Worten 6 ) überreichte:

"Ingenii specimen filius offert, quod precor ut Tua Celsitudo clementer accipere ejusque studia in Christi ecclesiae et Tuae Celsitudinis usum paterne fovere dignetur".


1) Vgl. Beil. Nr. 5.
2) Vgl. J. Caselii epist. p. 184.
3) In der Dedication seiner Leichenrede auf den Andreas Mylius an die Herzoge Adolph Friedrich und Johann Albrecht sagt er (1611), daß er noch den Herzog Heinrich den Friedfertigen in einem Alter von 70 Jahren als junger Mensch (also ungefähr 1550) gesehen habe:
"Henricum ducem ego septuaginta annorum principem peradolescens vidi."
4) Vgl. Beil. Nr. 3.
5) Wahrscheinlich hangt hiemit der erste Brief des Caselius im Anhange zusammen.
6) Vgl. Beil. Nr. 1.
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Dies ist der erste wichtige Schritt zu der glänzenden Laufbahn, welche J. Caselius seitdem verfolgte, indem er sich einen fürstlichen Gönner erwarb, wie es deren wenige gegeben hat.

Der Herzog Johann Albrecht hatte im J. 1552 die allgemeinen politischen und kirchlichen Verhältnisse geordnet und fing im J. 1553 an, dem Einzelnen seine Sorgfalt zuzuwenden; namentlich legte er einen sichern Grund zu seinem großen Gebäude in der Stiftung gelehrter Schulen, in die er vor allen Dingen geistreiche Männer als Lehrer einzuführen suchte; zugleich befriedigte der edle Fürst dadurch seine Hauptneigung, die Beschäftigung mit den Wissenschaften. Im Jahre 1553 stiftete er als Musterschule die Fürstenschule zu Schwerin und berief zu der Einrichtung schon vorher zum Rector seinen nachmaligen Liebling Mathias Dabercusius. Zu gleicher Zeit nahm er an vielen andern Orten die Reformation des Schulwesens vor. Johann Albrecht blickte sehr tief in das menschliche Leben; er begnügte sich in Beziehung auf die Schulen nicht damit, Anstalten zu gründen und ihnen eine befriedigende Einrichtung zu geben: er ging viel tiefer in die Sache ein, und holte schon die jungen Schüler hervor, indem er sie aufmunterte und belohnte und sich von ihren Eigenschaften und Kenntnissen selbst überzeugte. In der richtigen Ansicht, daß seltene Männer sehr - selten sind, suchte er selbst verborgene Talente auf und ließ sie nach seinen Wünschen ausbilden. So zog sich Johann Albrecht selbst für sich und seine Nachkommen und den Staat eine große Schaar wackerer Männer heran, auf die er sicher rechnen konnte und durch deren Wirksamkeit ihm im reifern Alter das Leben verschönert ward.

Zu diesen Talenten, welche der Herzog selbst hervorzog und begünstigte, gehört vor allen Dingen Joh. Caselius. Sein Vater Mathias Kesselius, welchem der Herzog vor kurzer Zeit die Pfarre zu Fürstenberg verliehen hatte, fühlte sich hier nicht glücklich, da er bei der Versunkenheit der Gemeinde nicht viel Frucht schaffen konnte, und bat den Herzog um Versetzung, namentlich an eine Pfarre, mit welcher eine öffentliche Schule verbunden sei. Am 19. Oct. 1552 setzte der Herzog den berühmten und geistreichen, viel geschmäheten und verfolgten, damals flüchtigen Dr. Erasmus Alberus zum Prediger und Superintendenten in Neu=Brandenburg ein, wo er alsbald den alten Sauerteig auszufegen begann und neue Einrichtungen schuf, namentlich die Schule neu gestaltete. Wahrscheinlich war Erasmus Alberus die Veranlassung, daß er den alten, wenn auch verdienten Rector von der Schule entfernte und den gewiegten Schulmann Mathias Kesselius von Fürstenburg zum

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Rector (Schulmeister) der Schule in Neu=Brandenburg und dessen Sohn, unsern Johannes Caselius, zum Lehrer (Schulgesellen) daselbst um Pfingsten des J. 1553 beförderte (vgl. oben S. 9.). Leider lebten beide mit E. Alberus nur wenige Tage zusammen, da diesen schon am 7. Mai 1553 ein plötzlicher Tod hinwegraffte. So war Joh. Caselius schon in seinem zwanzigsten Jahre Lehrer an der Schule zu Neu=Brandenburg.

Als er ein Jahr in Neu=Brandenburg gelebt hatte, klagte er einem Gönner, wahrscheinlich dem M. Andreas Mylius, seine Noth 1 ) und bat um Fürsprache bei dem Herzoge. Er wünschte seine angefangenen Studien fortzusetzen; "er sehe jetzt, wie groß die Schularbeiten seien; er fliehe zwar die Beschwerden nicht, wenn er auch jämmerlich gequält werde, aber er sehne sich, sich in den Wissenschaften zu vervollkommnen, damit er einst, zu etwas Höherem berufen (ad majra vocatus), der Kirche Gottes und dem Staate nützen könne. In Brandenburg, wo er den Winter nicht ohne großen Schaden gelebt habe, habe er keine Aussicht sich fortzubilden". Welche Folgen die Berufung der beiden Kesselier nach Neu=Brandenburg hatte, beweiset z. B. die Matrikel der Universität Wittenberg, 2 ) auf welcher in den nächsten Jahren folgende Neubrandenburger immatriculirt wurden:

1553. Angelus Berstein Neobrandenburgensis. 14. Junii.
1554. Erasmus Bohemus junior Neobrennopyrgensis. 8. Oct.
Josua Petri Neobrennopirgensis. 8. Oct.
Balthasarus Gotteschalckus Brennobirgensis. 8. Oct.
1555. Petrus Techatius Brandenburgen. Megalop. 14. Maii.
1556.       Bernhardus Sperwackt Neobrandeburgensis. 5. April

Johannes Caselius scheint aber so bald seine Wünsche nicht erreicht zu haben; wahrscheinlich mußte er noch längere Zeit in Neu=Brandenburg bleiben. Sein Vater zog im Aug. 1555 als Prediger nach Nordheim. Ihn selbst finden wir einige Jahre darauf wieder in Wittenberg, wo er sicher im J. 1558 lebte. Unterm 21. Juni 1558 finden wir in der Matrikel der Universität Wittenberg 3 ) eine sonderbare Immatriculirung;

(Kesselius)
1558.       "Johannes Redelsen Hussensis (Holsatus)".

1) Vgl. Beil. Nr. 3.
2) Vgl. Album, acad. Viteberg. 1. c. p. 282-326.
3) Vgl. daselbst p. 347 b.
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Das Wort Kesselius ist übergeschrieben und das Wort Holsatus beigeschrieben. Es waltet hier allerdings gewiß ein großer Irrthum ob; aber durch die Ueberschrift des Namens Kesselius wird sicher bewiesen, daß Johannes Caselius 1 ) damals in Wittenberg war.

Daß Johannes Caselius sicher seit dem J. 1558 in Wittenberg lebte, geht aus seinem Briefe 2 ) von Wittenberg vom 1. Dec. 1559 bestimmt hervor. Der Herzog hatte ihn freilich ansehnlich unterstützt; diese Unterstützung war aber beim gänzlichen Mangel eigener Mittel nicht ausreichend gewesen. Johannes Caselius hatte also zu Wittenberg eine Privatschule ("domesticam scholam") gehalten und einige Jahre lang Söhne adeliger oder sonst anständiger Aeltern unterrichtet, und sich dadurch freilich unterhalten, aber mit Schwierigkeit und zum Nachtheil seiner Ausbildung; er war alfo gewissermaßen Privat=Docent gewesen. Er hatte sich daher aufgerafft ("collegi ipse me") und war zu den Wissenschaften zurückgekehrt, um so mehr, da er glaubte, daß dies von ihm erwartet werde, und wissenschaftliche Arbeiten vorgenommen. Er hatte ein Gedicht über den Maulbeerbauni des Zachäus (Lucas 10, 1 flgd.) oder vielmehr über den Zachäus auf dem Maulbeerbaum drucken lassen, welches er dem Herzoge Johann Albrecht widmete. Die Schrift führt den Titel:

Συκομωραiα Ζαχαiου

carmine descripta ad illustrissimum principem ac dominum d. Johannem Albertum etc. a Johanne Chesselio. Witebergae anno 1559, mense Junio.

Auf dem Titel nennt er sich noch Chesselius; die Dedication ist aber unterschriebene Ιωάννης Κ ασήλιος, also Caselius: in dieser Schrift tritt er zuletzt mit dem Namen Chesselius und zuerst mit der Namensform Caselius auf, welche er von jetzt an beibehält; die Form Chesselius gebraucht er nicht mehr. - Der Herzog liebte vor allen andern Dingen die Heilige Schrift in classisches Latein oder Griechisch übersetzt oder umschrieben. In demselben Jahre 3 ) erschien noch: "Jo. Chesselii epicedion scriptum Joach. Mullero Hamb. Senatori. Witteb. 1559. 4°".

In Wittenberg war Caselius Magister geworden, da


1) Am 1. Sept. 1554 war ein "Joannes Chesselius Bernicensis" in Wittenberg immatriculirt worden; vgl. Album acad. Viteb. p. 297 b. Dieser gehört ohne Zweifel zu einer andern Familie.
2) Vgl. Beil. Nr. 4.
3) Noch am 30. März 1564 wird von dem Kammer=Secretair Joachim Plesse des Johannes Caselius Bruder Christoph noch "Chesselius" genannt.
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er 1563 in die Rostocker Universttats=Matrikel als "artuim magister Wittebergensis" eingetragen wird.

Er überreichte dem Herzoge von Wittenberg aus am 1. Dec. 1559 nicht allein diese Schrift, sondern auch zwei andere handschriftliche, eine griechische und eine lateinische, welche jedoch noch nicht ganz vollendet waren, und gab sich ganz der Unterstützung des Herzogs hin ("Trado autem me Tuae Celsitudini totum petoque, ut meis musis sua honitate, ope, subsidio et liberalitate non desit"). Zugleich hatte er dem M. Andreas Mylius anvertraut, wie er wünsche, daß ihn der Herzog im nächsten Sommer nach Frankreich schicken möge, damit er sich dort in den Wissenschaften und Sprachen vervollkommnen könne. Sein Wunsch, auf Reisen zu gehen, ward auch schon im nächsten Sommer erfüllt. - Ungefähr um dieselbe Zeit gewann sein Vater eine bleibende Stelle in Göttingen.

In den älteren Beschreibungen des Lebens des Caselius wird gesagt, daß er längere Zeit auch zu Leipzig, Rostock und Frankfurt a. O. studirt habe. Die Quelle, aus welcher diese Angabe herrührt, ist das Doctor=Diplom, 1 ) welches Caselius am 28. Jan. 1566 zu Pisa empfing. Hierin wird, ohne Zweifel nach den Angaben des Caselius selbst, gesagt, daß

"Johannes Caselius, Mathiae filius, Gottingensis, - - in celeberrimis Lipsiaca, Rostochiana. Francofordiana ad Viadrum atque Bononiensi academiis - - per plures annos legibus insudavit."

Caselius hatte aber ohne Zweifel am längsten in Wittenberg studirt, und doch wird dieser Universität in dem Diplome gar nicht gedacht. Auch ist in den brieflichen Quellen von andern Universitäten, als der wittenberger und den italienischen, nicht die Rede. Zu langen Studien auf den übrigen Universitäten fehlte es dem Caselius an Geld, und es bleibt für dieselben kaum Zeit übrig, da seine Studienzeit fast ganz von seinem Aufenthalt in Wittenberg ausgefüllt wird. Dennoch wird er kürzere Zeit auf diesen Universitäten verweilt haben, um hier die bedeutendern Männer kennen zu lernen, da er in einem Schreiben an die meklenburgischen Landräthe 2 ) vom J. 1610 selbst sagt, daß er mehrere Universitäten besucht habe.

"Statim enim de universa studiosa iuventute mereri studebam, neque id vulgari modo, cum et plures academias adiissem et clarissmios


1) Vgl. Joh. Caselii epist., Hanov. 1718, Vorwort.
2) Vgl. Joh. Caselii epist., p. 171.
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doctores audivissem, etiam in Italia et me et sapientissimam vetustatem retulissem."

Ohne Zweifel ging Caselius von Wittenberg auf einige Zeit nach Leipzig, wo er sich das Wohlwollen des berühmten Professors Joachim Camerarius erwarb, in dessen Hause er fortan vertrauter Freund war. Möglich ist es, daß er sich kurze Zeit auch zu Frankfurt a. O. aufhielt; jedoch wird dies nicht lange gedauert haben. Zu Rostock wird er auch, vielleicht einige Male, kürzere Zeit studirt haben, da er ein Schützling des Herzogs Johann Albrecht war und sein Vater in Meklenburg wohnte. Man kann aber annehmen, daß J. Caselius wesentlich ein Zögling der Universitäten Wittenberg und Leipzig war.

Im Frühling des J. 1560 ging Caselius nach Meklenburg zurück. Bei seinem Abgange von der Universität Wittenberg gab er im J. 1560 eine Elegie an die Universität, seine Freunde und Genossen heraus. Am 3. Jan. 1560 bat Andreas Mylius den Herzog um 20 rheinische Goldgulden für den "Wittenberger Magister", unter welchem sicher Johannes Caselius zu verstehen ist; A. Mylius beklagt sich beim Herzoge, daß der Cabinets=Secretair Joachim Plesse, nach der Weise der Cassenverwalter, wieder gesagt habe, "daß er kein Geld habe":

"Joachimus Plessen pecuniam se negat habere, quod siue ita est, sine consuetudinem suam in negando seruiat, ego Magistrum Vuitebergensem cum aliqua eius molestia tenere cogor. Rogo autem Celsitudinem Tuam, ut mihi 20 Renanos mittat, quos ille nomine Celsitudinis Tuae reddam".

Im März 1560 ward Caselius in Fürstenberg erwartet. Andreas Mylius schreibt am 15. März 1560 an den Herzog:

"M. Chesselii pater, iniuria Brandenburgensium eiectus, uacans conditione Northemi est, vir grauis et doctus. Illuin Criuitzii existimarem esse collocandum. Si uidebitur, mittat Celsitudo Tua litteras M. Joanni Chesselio, eius filio; Furstenbergum venturum spero".

Um Ostern 1560 war er zu Rostock, da er zu dieser Zeit für die Universität ein kleines griechisches Gedicht auf das Veilchen herausgab Epigramma de viola Johannis Caselii, gedruckt in Scripta in academia Rostochiensi publice proposita, ed. a Joh. Posselio, Rostochii, 1567, fol. 24. Er fing hier, nach unsern Begriffen als Privat-Docent, an zu lehren. Er sagt im J. 1610 in seinem Briefe an die meklenburgischen Landräthe, daß er vor 50 Jahren an der Universität Rostock zu lehren angefangen habe:

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"Testis mihi est academia Rostochiana ab anni fere quinquaginta".

Nachdem er auch in Schwerin bei dem Herzoge gewesen war, kam er mit demselben dahin überein, daß dieser ihn zur höhern Ausbildung nach Italien und Frankreich schicken wollte. Am 19. Juni 1560 stellte er zu Schwerin dem Herzoge einen lateinischen Revers 1 ) aus: "daß er aus besonderer Verehrung der Tugenden des Herzogs und aus Dankbarkeit für die großen Wohlthaten, die derselbe ihm von Jugend auf erwiesen, diesem sein Leben zu weihen verheißen habe; da nun seine ganze Lebensrichtung es wünschenswerth mache, der Herzog es auch für gut befunden habe, daß er auf drei Jahre nach Italien und Frankreich gehe, der Herzog auch die dazu nöthigen Mittel herzugeben beschlossen habe, so verspreche er, nach drei Jahren zu dem Fürsten zurückzukehren und ihm in dem ihm zu Theil werdenden Lebensberufe, vorzüglich aber durch Beredsamkeit, in Treue, Fleiß und Aufrichtigkeit zu dienen: er hoffe sicher, sich so ausbilden zu können, daß er im Stande sein werde, die edle Reinheit des Herzogs schirmen, zieren und gegen Verläumdungen schützen und alles das darbringen zu können, was ein gebildetes Leben fordere".

Caselius rüstete sich auch sofort zur Abreise. Der Herzog schrieb eigenhändig in sein Tagebuch:

"210 Thaler Johanni Chesselio vf dreijerige vnterhaltunge zum studio in welschland vnd frankreich gegeben zu Schwerin".

Am 16. Sept. 1560 schrieb 2 ) Caselius von Nürnberg an den Herzog, da dieser ihm befohlen hatte, so oft als möglich zu schreiben. Er meldet dem Herzoge, daß er beschlossen habe, zuerst nach Italien zu gehen, und bat ihn, ihn nicht zu verlassen, da die Reise groß und schwierig sei, worüber er an Andreas Mylius geschrieben habe.

Er ging zuerst nach Bologna und studirte hier, auf der berühmten Schule des römischen Rechts, die Rechtswissenschaft, vorzüglich aber unter dem berühmten Carl Sigonius die classische Literatur. Doch bald zog ihn das feinere Leben und der gelehrte Petrus Victorius, 3 ) Lehrer der griechischen und lateinischen Sprache, nach Florenz, welches ihn so sehr fesselte, daß er nicht zur Reise nach Frankreich kam.


1) Vgl. Beil. Nr. 5.
2) Vgl. Beil. Nr. 6.
3) J. Caselius nennt in seiner Leichenrede auf den Herzog Johann den "Petrum Victorium magnum illum litterarum athletam".
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Zu gleicher Zeit war an denselben Orten Samuel Fabricius, der Sohn des Schweriner Reformators Egidius Faber, den der Herzog ebenfalls auf Schulen und Universitäten ausbilden ließ und nachher zu seinem Archivar, dem ersten meklenburgischen Archivar, und Bibliothekar machte. Samuel Fabricius war noch im J. 1558 auf der Schule zu Schwerin und bei dem Rector Dabercusius in Pension. Am 12. Aug. 1560 erhielt der Herzog Nachricht aus Bologna von einem deutschen Kaufmann Othmer Buochschor, welcher mit Augsburg Verbindungen hatte, wohin der Herzog in Geldverbindungen stand:

"Samuel Fabritzy hellt sich zimlich woll. Er wartt seinem study, auch der wälschen sprach zimlich wol aus, so ist er auch gott sei lob frisch vnd gesund".

Am 14. Febr. 1561 wurden

"264 3/4 Thaler - - nach Bononien an Otmer Puscher (d. i. Buochschor) geschickt, soll Samuel Fabritius zu seinem Studio haben".

Am 6. März 1563 schrieb der Herzog in sein Tagebuch:

"40 vngerische Ducaten bey Petro dem Trumeter dem Samueli Fabricio gen Florentz geschickt zu seiner Unterhaltung".

Am 18. Sept. 1561 schickte der Herzog an Caselius für ihn und Fabricius Geld, 150 Thaler für Caselius und 100 Thaler für Fabricius, und lobte ihre Studien ("vtriusque autem studia probamus - - uosque in eo genere usui nobis et ornamento fore speramus").

Außer andern Bekannten schloß sich auch der Sohn des leipziger Professors Joachim Camerarius 1 ) an J. Caselius.

Johannes Caselius stand schon jetzt in Italien, wie in Deutschland, in großem Rufe. Vorzüglich liebte ihn der große Petrus Victorius, der ihm mit inniger Freundschaft zugethan war und ihn überall als einen ungewöhnlich braven, gelehrten, feinen und mit allen Gaben des Geistes herrlich gezierten Mann pries 2 ).


1) Im Juli 1562 schickte der Herzog Johann Albrecht den Philipp Chitlerus, einen von den preußischen Knaben, welche er mit aus Preußen gebracht hatte ("de quo magnam spem habemus"), nachdem er ihn 6 Jahre lang unter des Rectors Daberensius Leitung auf der Schule zu Schwerin hatte vorbilden lassen, auf die Universität Leipzig und stellte ihn hier unter die Leitung des Joachim Camerarius.
2) So schreibt Petr. Victorius IV. Kal. April. 1563 an den Markgrafen Joachim Friedrich von Brandenburg:
"Pervenil tandem Caselius Florentiam. Ejus adventus multis de caussis fuit mihi gratissimus. Nam diligo valde hominem, et non sine causa diligo. Praeter enim suavissimos mores. summam probitatem, singularem doctrinam, quibus omnibus ingenii dotibus prae- (  ...  )
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Nachdem Caselius im J. 1562 zu Bologna einen Brief an den Markgrafen Joachim Friedrich von Brandenburg herausgegeben hatte ("Epistola ad ill. princ. Joachim. Frid. march. Brand., Bononiae, 1562", auf der rostocker Universitäts=Bibliothek), machte er im Herbste des J. 1562 noch eine Reise durch Italien und schickte sich dann zur Heimkehr 1 ) zum Herzoge Johann Albrecht an. Dieser schreibt 1562 in sein Tagebuch:

"1562. 40 vngerische Gulden dem Cesselio bey seinem brudern geschicket zur Zerung herausser aus Italia 1. Septbris"
     "50 thaler ihm dem Cesselio zur zerung hinein vnd zum klepper, Goldberg am 2. Sept.".

Nach des Casilius Heimkehr schreibt der Herzog in sein Tagebuch:

"1563. 67 thaler Bartholomeo dem ferrarischen Secretario zugestellt, die er für dem Kesselio ausgelegt".

Am 9. Jan. 1563 war er auf der Reise in Leipzig bei Joachim Camerarius, von dem er um so herzlicher aufgenommen ward, da er sich seines Sohnes in Italien angenommen hatte. Camerarius gab ihm einen Brief 2 ) an den Herzog Johann Albrecht mit:

"cum Johannes Casselius, quo filius meus multum in Italia usus esset, ad te, Illustrissime princeps, reuertens et me salutasset",

in welchem er bedauert, daß Caselius so sehr eile und er deshalb dessen Mittheilungen nicht nach Wunsch genießen könne.

Gleich nach seiner Heimkehr nach Meklenburg ward er Ostern 1563 3 ) Professor der griechischen Sprache und der Philosophie an der Universität Rostock. Er ward während des Rectorats des Dr. Laurentius Kirchhof vom Herbste 1561 bis Trinitatis 1563 in die Universitäts=Matrikel 4 ) gegen das Ende dieser Zeit eingetragen:

"Joannes Caselius Gottingensis, poeta laureatus, artium magister Wittebergensis, propter virtutis et eruditionis splendorem honoratus".

Dabei geschrieben ist:


(  ...  ) clare instructus est, intellexi illum et multis signis plane cognovi magnum amatorem mei esse et quasi praeconem quendam meae laudis et nominis". J. Caselii epistolae, p. 99; vgl. 190 etc.
1) Vgl. Beil. Nr. 8.
2) Vgl. Beil. Nr. 7.
3) Vgl. Beil. Nr. 9.
4) Vgl. Rostocker Etwas, 1740, S. 205.
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"I. U. D., Professor Graecae Linguae et Philosophiae",

ohne Zweifel von späterer Hand, da Caselius erst im J. 1566 zu Pisa Doctor juris ward.

Er hielt in Rostock am 1. Sept. 1563 seine Antrittsrede: 1 ) λόγος εiς φιλοσοφiαν, oder: Oratio pro studiis bonarum litterarum ed. 1577. K. Jan.

In Rostock wirkte er in seinem Berufe mit Eifer und Glück. Als aber im J. 1565 in Rostock zu den politischen Unruhen noch die Pest 2 ) verheerend einbrach, war an ein erfolgreiches Wirken nicht zu denken, und Caselius sehnte sich nach Italien. Der Herzog Johann Albrecht ging gerne auf seinen Wunsch ein und verhieß ihm wieder Unterstützung zu dieser Reise. Am 16. März 1565 bat er, als die Pest immer näher kam, den Herzog um das verheißene Geld und die Briefe, die er mit nach Italien nehmen solle, da seine Abreise nahe bevorstehe. Caselius ging zuerst nach Bologna, wo er jedoch in eine lange und gefährliche Krankheit fiel. Am Ende des Jahres ging er wieder nach seinem Lieblingsorte Florenz, wo Petrus Victorius 3 ) sich seiner mit der treuesten Liebe annahm; dieser schreibt 4 ) am 31. Dec. 1565 an den Markgrafen Joachim Friedrich von Brandenburg:

"Pervenit tandem Caselius Florentiam, cum Bononiae prius longo et periculoso morbo conflictatus esset. Ejus adventus multis de caussis fuit mihi gratissimus" etc.

Caselius selbst schreibt 5 ) von Florenz am 14. Jan. 1566 an den Herzog Johann Albrecht:

"uix enim ab aestiuo morbo uitam eripui et huic retinendae iam incumbo".

In einem am 3. Febr. 1566 geschriebenen Nachtrage zu diesem Briefe schreibt er dem Herzoge, daß er nach Pisa gereiset gewesen sei, um sich dort unter die Zahl der Juristen einschreiben zu lassen:

"Pisas abii ibique egi. ut ceteris iuriscon-


1) Vgl. Krey Beitr. zur meklenburgischen Kirchen= und Gelehrten=Geschichte, I, S. 126.
2) Im Juli 1565 war die Universität in Rostock ganz aufgelöset: alle Professoren und Studenten waren geflohen. Der Handel hörte ganz auf; ja es wurden keine Rathssitzungen gehalten.
3) Petrus Victorius war, bei allen großen Verdiensten, ein sehr eitler Mann, welcher stolz auf Caselius war und sich dessen zu seiner Verherrlichung bedienen wollte, warum er ihn in jedem Briefe bittet. Als nun Victorius alt ward, mochte dies unerträglich werden. so daß Caselius selbst 1567 dem Victor Bassewitz räth, nicht bei dem alten Victorius" zu hören. Vgl. J. Caselii epist. p. 155.
4) Vgl. J. Caselii epist. p. 99.
5) Vgl. Beil. Nr. 10.
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sultis adscriberer: non tamen his studiis, quae ego nemine negligentius colui atque, ut doctis uidear, excoluii, desertis. - - Etsi autem me, ut debeo, metior: tamen omnibus suffragantibus adeptus fui quodl uolebam, ut in ordinem hunc amplissimum reciperer et omnia mihi eiusdem insignia contribuerentur".

Er ward nämlich am 28. Jan. 1566 zu Pisa im erzbischöflichen Pallaste unter sehr ehrenvollen Lobsprüchen zum Doctor der Rechtsgelehrsamkeit 1 ) erhoben, machte jedoch in der Folge keinen amtlichen Gebrauch von dieser Wissenschaft. Unter den Zeugen dieser Promotion zu Pisa steht oben an: "dominus Joachimus Bassevicius Megapolitanus", aus Lewetzow, 2 ) mit welchem Caselius sehr vertraut war und an den mehrere Briefe in der Briefsammlung 2 ) gerichtet sind.

Dieser "Joachim von Bassewitz zu Lewetzow" ward wegen seiner Bildung am 9. Febr. 1577 zum Hofmeister des Prinzen Johann bestellt und begleitete denselben nach Leipzig auf die Universität.

J. Caselius war mit der meklenburgischen Familie v. Bassewitz sehr vertraut; sie wird in seinen gedruckten Briefen oft genannt und in seiner Briefsammlung ist (pag. 150) eine eigene Abtheilung von Briefen "Ad nobiles a Bassewitz". Mit Joachim v. Bassewitz von Lewetzow, aus dem Hause Thorstorf, und Vicke v. Bassewitz (von Dalwitz?) hatte er in Italien studirt. Den jungen Lüdeke v. Bassewitz von Dalwitz (?) hatte er nach seiner ersten italienischen Reise im Jahre 1563 zu Rostock bei sich im Hause gehabt. Des J. Caselius jüngster Bruder Daniel datirt einen Brief vom 29. Jun. 1567 von "Lukow", ohne Zweifel Hohen=Lukow bei Rostock, wo er sich also bei den v. Bassewitz aufhielt.

Caselius lebte nun bis in das J. 1567 vorzugsweise in Florenz, besuchte aber auch andere Städte, namentlich wiederholt Bologna, und trat hier überall mit den berühmtesten Männern seiner Zeit in Verbindung, wie mit Manutius, Muretus, Roborteuo u. A. Der Herzog Johann Albrecht schickte ihm fleißig Geld, um das er jedoch dringend anhalten mußte. Auch verkehrten mit ihm die Meklenburger, die sich in Italien aufhielten; namentlich wohnte mit ihm in einem Hause der gebildete Joachim Hahn, Sohn des Otto Hahn, aus dem Hause Basedow,


1) Das Doctordiplom ist in Joh. Caselii epist. Hannov. 1718, im Eingange vor der Vorrede abgedruckt.
2) Vgl. J. Caselii epst. p. 150 sq. und 164.
2) Vgl. J. Caselii epst. p. 150 sq. und 164.
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"Joachimus Han, Othonis filius, iuuenis animo ita exculto, cuiusmodi ego Megapolitanos esse complures uelim".

Joachim Hahn reisete im Dec. 1566 1 ) von Florenz nach Meklenburg zurück.

Caselius strebte jetzt nach Hause zurück, es fehlte ihm aber an Geld; es war die Schattenseite im Leben des Herzogs Johann Albrecht, daß er für seine Freigebigkeit und seine großartigen Pläne nie Geld genug hatte. Der Herzog schickte dem Caselius im März 1567 zwar 100 Thaler; diese reichten aber lange nicht hin zur Bezahlung seiner Schulen und zum Reisegelde. Caselius reiste nach Bologna, um dort Geld aufzunehmen; hier verweigerte ihm aber der "bekannte Kaufmann" (wahrscheinlich Othmer Buockschor) bestimmt und erzürnt jede Hülfe. Das Wechselgeschäft von Schwerin nach Bologna über Augsburg war schwierig und gefährliche sowohl der Herzog als der Kaufmann hatten früher Verluste erlitten. Caselius klagte daher am 3. April 1567 dem Herzoge seine Noth 2 ) und bat dringend um Geld.

Im Anfange des Monats Juli 1567 trat Caselius endlich seine Rückreise nach Meklenburg an. P. Victorius, der ihm im täglichen vertrauten Umgange sehr lieb gewonnen hatte und seine hohen Gaben bewunderte, meldete 3 ) am 28. Juni dem Markgrafen Joachim Friederich von Brandenburg seine bevorstehende Abreise:

"Cum redeat ad vos Caselius, vir probus et magnis ingenii dotibus ornatus, committendum mihi non putavi, iuvenis illustrissime, quin ad te scriberem. - - Ut autem in mihi valde jucundo Caselii nomine epistolam terminem: cum antea quoque ipsum valde diligerem eximiasque ipsius dotes bene cognitas haberem; in hac tamen nova nostra colisuetudine (fuit enim ille fere omni hoc tempore mecum) melius eas perspexi atque omni ex parte probavi".

Caselius reiste von Florenz über Bologna nach Venedig, von hier durch Tyrol nach Inspruck. Von Inspruck ging er nach Wien, da er gerne die Stadt sehen wollte, welche schon eine Kaiserstadt geworden war. Am 8. Sept. schrieb er dem Herzoge, 4 ) daß er einige Tage in Wien verweilen und erst im


1) Vgl. Beil. Nr. 10.
2) Vgl. Beil. Nr. 12.
3) Vgl. J. Caselii epist. p. 102.
4) Vgl. Beil. Nr. 13.
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October in Meklenburg werde ankommen können. In Wien traf er den Bartholomäus Gryphius, den der Herzog vor kurzem als lateinischen Geheimen und Legations=Secretair in Dienst genommen hatte. Er schrieb jedoch noch am 21. Oct. 1567 aus Wien 1 ) an P. Victorius. Er hatte nämlich in Wien die Liebe des berühmten und einflußreichen kaiserlichen Leibarztes Johannes Crato 1 ) gewonnen, durch dessen Empfehlung der Kaiser Maximilian ihn in den Adelsstand erhob, oder vielmehr ihm die Erneuerung seines Adels und einen neuen Adelsbrief 2 ) verlieh, welcher am 14. Dec. 1567 ausgefertigt ward. Nachdem Caselius zu Dresden gewesen war, hielt er sich am 7. Dec. 1567 zu Leipzig auf, von wo er einen Brief 3 ) an Victor von Bassewitz schrieb, welcher in Florenz studirte; er meinte, er würde vor Januar 1568 nicht in Meklenburg ankommen.

Im Anfange des J. 1568 kam Caselius wieder in Meklenburg an und wirkte in Rostock als Professor und Schriftsteller.

Doch er ward dieser Stellung schon nach einigen Jahren wieder entrückt. Der Herzog Johann Albrecht hegte natürlich den Wunsch, von den Früchten seines begeisterten Strebens auch persönlich etwas zu genießen und seinen Kindern das zu Theil werden zu lassen, was er seinem ganzen Lande und vorzüglich den bevorzugten Geistern zum Nutzen des Landes schenkte.

Die beiden jungen Söhne des Herzogs, 12 und 9 Jahre alt, hatten 7 Jahre lang den M. Georg Volrath aus Wittenberg zum "Pädagogen" gehabt. Der Herzog hatte ihn mit einem, im J. 1572 zahlbaren Geschenke von 1000 Thalern und einem lebenslänglichen Gehalte von 50 Thalern bedacht. Die Wahl war aber keine sehr glückliche gewesen. Der Rector Dabercusius 4 ) hatte einen Theil des Unterrichts übernehmen müssen; schon am 4. Aug. 1566 bat A. Mylius den Herzog, daß er der treuen


1) Vgl. J. Caselii epist. p. 199-200. - In der Leichenrede auf den Herzog Johann sagt Caselius: "Audieram de hac re (educatione principum) disserentes eximios viros, vt Petrum Victorium, - - Joannem Cratonem trium imperatorum archiatrum: qui architecti siue magistri humanae vitae esse poterant, tam vsu longo rerum quam ex studiis sapientiae".
1) Vgl. J. Caselii epist. p. 199-200. - In der Leichenrede auf den Herzog Johann sagt Caselius: "Audieram de hac re (educatione principum) disserentes eximios viros, vt Petrum Victorium, - - Joannem Cratonem trium imperatorum archiatrum: qui architecti siue magistri humanae vitae esse poterant, tam vsu longo rerum quam ex studiis sapientiae".
2) Dieser Adelsbrief ist gedruckt in Caselii epist., Hanov. 1718, vor der Vorrede. Der in demselben dem J. Caselius bestätigte Wappenschild: "im goldenen Schilde fünf rothe, ins Kreuz gestellte Rauten", führt J. Caselius beständig schon seit dem J. 1560, ohne Helm. Außerdem ward ihm in dem Adelsdiplome noch eine Helmzier gegeben: "zwei rothe Adlerflügel, auf deren jedem der Länge nach ein goldener Balken uut drei rothen Rauten unter einander steht". Dieses Siegel mit Schild und Helm führt er nach seiner Erhebung in den Adelsstand, sicher seit dem Anfange des J. 1569. Seinen Brief ans Wien vom 8. Sept. 1567 siegelt er mit einem größern Siegel, mit einem ovalen, von Renaissance=Verzierungen umgebenen Schilde und der Umschrift: JOANNES. CASELIVS.
3) Vgl. J. Caselii epist. p. 150.
4) Von Dabercusius bewahrt das schweriner Archiv noch einen lateinischen Stundenplan für die Prinzen.
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Dienste des Dabercusius, namentlich auch um die Prinzenerziehung ("pro fideli puerorum principum institutione") gedenken möge ("si reliquum vitae spatium docendo, instituendo principes contriverit"). Bei der erneuerten Bestallung des A. Mylius Michaelis 1569 ward dem Rector Dabercusius wiederholt zur Pflicht gemacht, die Prinzen neben dem ordentlichen Lehrer alle Tage in der lateinischen Sprache zu unterrichten, und dem Rath A. Mylius die Aufsicht über den Unterricht und die Prüfung der Prinzen übertragen. Bald ward Volrath mehrerer Laster beschuldigt und ihm am 12. Jan. 1570 die Verschreibung abgenommen, er selbst auch des Dienstes entlassen. Volrath erhob darüber bei dem Reichskammergerichte einen Proceß, welcher im J. 1575 durch Bernhard Hederich und Tilemann Stella dahin verglichen ward, daß Volrath sich mit 2300 Thalern abfinden ließ.

Da nun die Prinzen geistreichern Unterricht haben mußten, Dabercusius auch schon alt ward, so berief der Herzog, ohne Zweifel auch auf den Rath seines Freundes A. Mylius, der alle Angelegenheiten dieser Art leitete, den Dr. Johannes Caselius, den geistreichsten, gebildetsten und erfahrensten Gelehrten des Landes, an seinen Hof als Lehrer seiner beiden Söhne, der Herzoge Johann und Sigismund August, auf 4 Jahre. Am 1. Aug. 1570 ward er förmlich zu diesem Amte bestellt. Zugleich ward aber das ganze Erziehungswerk der beiden Prinzen genauer organisirt. Johannes Caselius leitete, unter der eigenen Aufsicht des Herzogs und dem Beistande des Rathes Andreas Mylius und dem Beirathe des Rectors Dabercusius, die geistige Ausbildung der beiden Prinzen, unterrichtete persönlich aber vorherrschend nur den älteren Prinzen Johann. Zur Unterweisung des jüngeren, wenig befähigten Prinzen Sigismund August ward daneben seit Ostern 1572 Heinrich Siberus 1 ) als Lehrer angestellt. Zur Regierung des Hofstaates


1) Heinrich Siberus stammte, nach dem Album acad. Viteberg., aus Zwickau, da er am 10. Oct. 1540 als "Henricus Siberus Cygneus" zu Wittenberg immatriculirt ward. Sein Bruder Adam Siberus, der erste Rector der Fürstenschule zu Grimma, war 1516 zu Schönau bei Zwickau geboren († 1584); im J. 1556 datirt dieser einen Brief "ex ludo electoriano Saxonico Grimmensi". Heinrich Siberus war ein Freund des Andreas Mylius; dieser und beide Siber waren Schüler des Mathias Marcus Dabercusius gewesen. Heinrich Siber war, nach brieflichen Nachrichten des schweriner Archives, nach vollendeten Universitäts=Studien zuerst Lehrer der Söhne des Grafen Johann Georg I. von Mansfeld=Eisleben gewesen und hatte mit denselben 1 Jahr in Straßburg, 1 1/2 Jahre in Padua und 2 1/2 Jahre in verschiedenen Städten Frankreichs gelebt und war hier während fast der ganzen Zeit der Hugenottenkriege in große Noth und Gefahr gerathen, während der junge Graf Ernst an einer sehr schweren Krankheit darnieder lag. Im J. 1567 war er wieder zurück in Mansfeld. Darauf ward er Lehrer der beiden Söhne des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen=Weimar, der Prinzen Friedrich Wilhelm und Johann. Von Weimar ward er im Anfange des J. 1572 zum Lehrer des Prinzen (  ...  )
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und zur leiblichen und hofmäßigen Ausbildung der beiden Prinzen bestellte der Herzog ebenfalls am 1. Aug. 1570 denHeinrich Pelican zum Hofmeister. Heinrich Pelican war 1 ) ein märkischer Edelmann, welcher in der Jugend in Frankreich in Kriegsdiensten gestanden und darauf, ungefähr seit 1555, lange Zeit am schweriner Hofe gedient hatte, ein einfacher, mäßiger, pflichtgetreuer Mann, der französischen Sprache mächtig und, wenn auch nicht gelehrt, doch gebildet und von der Liebe zu den Wissenschaften beseelt. Er lebte seinem Amte mit der größten Gewissenhaftigkeit und mit Joh. Caselius in einer vertrauten Freundschaft, welche zwischen beiden nie erlosch. - Nach dem J. 1574 ward er herzoglicher Rath; er diente dem Herzoge Johann Albrecht von seiner besten Jugend an 21 Jahre lang, war viel auf Reisen geschickt und sonst in Anspruch genommen gewesen. Er hatte seine Erbgüter in der Mark und außerdem eine kleine Besitzung bei der Stadt Parchim. Im J. 1586 war er Obermarschall des Herzogs Johann, seines Zöglings.

Die geschäftsmäßigen Bestallungen wurden auf gewöhnliche Weise ausgefertigt und sind noch vorhanden. Außerdem trat aber, wie sich denken läßt, Caselius mit dem Herzoge in engere, vertraulichere Beziehungen. Am 15. Juli 1570 überreichte er dem Herzoge eine lateinisch geschriebene Darlegung seiner Ansichten über die Erziehung der Prinzen und außerdem einen ebenfalls lateinisch geschriebenen Plan zur Ordnung des Unterrichts. In der ersten Schrift sagt er:

"Quod mihi munus nobilissimos filios tuos insttuendi imponis, id in me recipio: recipio autem animo sane lubenti, non tam quod illi ab omni parte me parem esse existimem, quam quod fidem animumque meum tibi gratissimum singulari desiderio probatum cupiam. Tanta enim tua in me extant beneficia, vt nihil non vltro debere me subire intelligam, quod quidem sustinere vel aliquo modo, summa etiam cum difficultate queam; hoc est profecto quod me ad mandata tua paratissimum praesto: iam vero etiam policeor omnia, quae a mea tenuitate proficisci possunt: diligentiam autem et fidem sine vlla exceptione


(  ...  ) Sigismund August, dem ein junger Edelmann zur Gesellschaft gegeben ward, nach Schwerin berufen. - Heinrich Siber war ein ausgezeichneter und bewährter Jugendlehrer und trieb in seinem Leben bis zum hohen Alter nichts anders als Jugendunterricht. - Er war mit Christoph Hofmann, welcher im J. 1567 als Hofprediger nach Schwerin berufen ward, vertraut, so wie mit Cyriacus Spangenberg und andern mansfeldischen Gelehrten.
1) Nach Joh. Caselius Leichenrede auf den Herzog Johann.
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tibi policeor, spero etiam futurum aliquando, vt ex re ipsa videas, te in me deligendo prudentissime fecisse eosque, qui huius consilii auctores tibi extiterunt, rectissime consuluisse. - - Ita sum inflammatus cum verum videndi et sequendi, tum tibi et fidelissime et rectissime inseruiendi cupiditate".

Wenn auch die ganze Anstellung geschäftsmäßig geordnet war, so gab doch Caselius dem Herzoge, sehr bezeichnend für das Verhältniß beider zu einander, am 23. Aug. 1570 einen kurzen lateinischen Revers, 1 ) "daß er mit allem Sinnen, Streben und Walten unermüdet in seinem Amte verharren wolle".

In Schwerin wirkte nun J. Caselius nicht allein in seinem Amte, sondern auch im Vereine mit A. Mylius für die ganze geistige Cultur nach allen Kräften. David Chyträus nennt beide des Herzogs Vertraute ("Celsitudinis Vestrae familiares d. Mylius et d. Caselius"), als er am 7. Sept. 1571 den M. Laurentius Rhodomannus zum Schulamte empfahl.

Das Werk der Erziehung des Prinzen Johann ward mit dem heiligsten Ernst betrieben. J. Caselius 2 ) hatte studirt, was Plato, Aristoteles, Xenophon, Plutarch und die bewährtesten Schriftsteller bis auf seine Zeit über Erziehung geschrieben, er hatte darüber den Petrus Victorius und den Johannes Crato gehört, er hatte die Erziehung der Söhne des Kaisers Maximlian II. beobachtet, er hatte sich darüber sorgfältig mit den Erziehern des Markgrafen Joachim Friederich von Brandenburg und des Großherzogs Franz von Medicis unterhalten. Der Vater des Prinzen ließ keinen in den Kreis der Bildung, den er nicht selbst geprüft hatte. Dabercusius wohnte oft dem Unterrichte bei ("aderat saepe Dabercusius"), und Mylius war beständig beiräthig. Zum täglichen Dienste und zum Umgange lebten am Hofe junge Edelleute von reinen Sitten und wissenschaftlicher Bildung, und unter diesen einige mit so großer Gelehrsamkeit ausgerüstet, daß sie Fürstensöhnen den Unterricht hätten ertheilen können, wenn Fürstenbildung allein durch Unterricht zu erreichen wäre.

Caselius verwaltete sein Amt mit der gewissenhaftesten Treue nach dem von ihm vorgelegten und von dem Herzoge gebilligten plane. Als der Herzog nach einiger Zeit, im Anfange des J. 1571, Aenderungen in der Methode anordnen wollte, widersetzte sich Caselius in einem herrlichen Briefe vom 5. März 1571 3 )


1) Vgl. Beil. Nr. 14.
2) Hierüber berichtet J. Caselius selbst in seiner Leichenrede auf den Herzog Johann.
3) Vgl. Beil. Nr. 15.
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mit der größten Entschiedenheit. Er schreibt, er habe bisher mit der größten Anstrengung und Treue den Unterricht nach dem wohlüberlegten und gebilligten Plane besorgt, und könne eine Aenderung unter keiner Bedingung gut heißen; das würde ihm zur Schande gereichen und seine Ehre schwächen, da er die Aenderung unter keiner Bedingung billigen könne, und wenn sie ihm befohlen würde, so würde er es nicht thun, selbst wenn er große Verluste und sogar den Tod zu fürchten hätte. - Aber selbst solche entschiedene Aeußerungen schadeten ihm bei dem Herzoge nicht.

Außerdem gab Bartholomäus Gryphius dem Prinzen täglich Unterricht in den neuern Sprachen. B. Gryphius ("Uringerius", aus "Woringen" am Rhein im Erzbisthume Cölln, auch "Belga" genannt), ein gelehrter Mann, mit vieler Sprachkenntniß und Lebenserfahrung begabt, 1 ) hatte früher bei dem Herzoge Alfons von Ferrara in Spanien und Italien gelebt. Er stand schon im J. 1564, als er aus Italien kam, mit dem Herzoge Johann Albrecht in Verkehr. Am 3. Febr. 1567 ward er von dem Herzoge als "geheimer lateinischer Secretarius am Hofe oder außerhalb Landes in legationibus, nicht weniger auch unsern söhnen in allen sprachen, so der in erfahren, mit Fleiß zu instituiren und mit hoflichen sitten zu unterweisen", in Dienst genommen. Er ging sogleich für den Herzog nach Wien und späterhin vielfach auf Gesandtschaftsreisen. Seit dem J. 1570 lebte er vorherrschend am Hofe zu Schwerin, um Theil an der Ausbildung der Söhne des Herzogs zu nehmen. Jedoch ging er mitunter auf Reisen; so war er z. B. im Jan. 1572 zu Bayonne und wollte weiter nach Spanien. Er zog im J. 1576 nach Wismar und starb im J. 1592 in Frankreich zu S. Vallier (?) am Fieber. 2 )

So wirkte ein Verein seltener Kräfte zur Erziehung der jungen Fürsten an einem Hofe, dem in jenem Jahrhundert nur der Hof der Medicäer an Bildung gleich kam. Betrübend ist es freilich für den Geschichtsfreund, daß nach dem Tode des Herzogs Johann Albrecht alle diese Bestrebungen nicht die unmittelbaren Früchte trugen, die man davon zu erwarten berechtigt war. Aber das Beispiel wirkt nach drei Jahrhunderten so kräftig, wie es nur vor drei Jahrhunderten wirken konnte.

Joh. Caselius verwaltete das Amt eines Prinzenlehrers in Schwerin während der vertragsmäßigen Zeit von 4 Jahren,


1) "Accedebat item quotidie Bartholomaeus Gryphius Belga, vir doctus, multis ipse linguis magnoque vsu rerum praeditus, qui apud Alfonsum ducem Ferrariae, patre Hercule adhuc imperante, in Hispania et post in Italia vixerat". J. Caselius Leichenrede auf den Herzog Johann.
2) "Quem his diebus in Gallia ad Samualerianum febri extinctum accepimus". J. Caselius Leichenrede auf den Herzog Johann.
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vom 13. bis in das 17. Lebensjahr des Herzogs Johann, also während der Zeit, in welcher es angemessen ist, eine sichere Grundlage zur höhern Bildung zu legen. Im J. 1574 "in den Pfingstfeiertagen" ward der Mag. Hiob Magdeburg zum Präceptor des Prinzen Johann bestellt. Hiob Magdeburg, geb. 1518 zu Annaberg, auch ein Schüler des Dabercusius, in der Pfingstwoche 1540 ("Joh. Magdburgk Annebergensis") zu Wittenberg immatriculirt, früher Lehrer zu Freiberg und Meißen, war damals seit Mich. 1570 Rector der Katharinenschule zu Lübek 1 ) und ließ sich, obgleich zu Jahren und des Hoflebens unkundig, durch Heinrich Siber bewegen, da er schon früher mit dem schweriner Hofe in Berührung gekommen war, die schwierige Stellung 2 ) anzunehmen.

Nach einigen Jahren, nachdem der Herzog Johann Albrecht im J. 1576 gestorben war, sollte der Prinz Johann auf die Universität gehen. Caselius wollte ihn, in Uebereinstimmung mit dem Herzoge Ulrich von Güstrow, auf die Universität Rostock haben; aber einer der Vormünder, der Kurfürst August von Sachsen, erreichte seinen Wunsch, daß der Prinz auf eine sächsische Universität geschickt ward. Um Ostern des J. 1577 ging der junge Fürst, in Begleitung seines Lehrers Hiob Magdeburg, 3 ) auf die Universität Leipzig 4 ) und vollendete sowohl hier, als am kursächsischen Hofe in den nächsten zwei Jahren seine Universitäts=Bildung; am 26. Febr. 1578 schreibt der schweriner Rector Bernhard Hederich, daß "der Herzog Sigismund mit des Churfürsten zu Sachsen Sohn studire", und beider Fürsten preceptor D. Paulus Vogelus" sei.

Da der bisherige Hofmeister und herzogliche Rath Heinrich Pelican es zu beschwerlich fand, mit seiner Familie nach Leipzig überzusiedeln, so erhielt der Prinz einen andern Hofmeister. Am 9. Febr. 1577 ward "Joachim v. Bassewitz zu Lewetzow", ein gelehrter und hochgebildeter Mann, 5 ) welcher 1560


1) Vgl. Deecke: Das Catharineum zu Lübek vor 1800, eine Jubelschrift, 1843, S. 49.
2) Joh. Caselius läßt sich in seiner Leichenrede auf den Herzog Johann sehr diplomatisch über Hiob Magdeburg aus: "Praeerat tum ludo litterario Lubecae Jobus Magdeburgensis, bonus senex, non minus Graecis, quam Latinis litteris eruditus: de eo dux cognouerat: cum eo per Siberum egit: persuaderi sibi passus fuit, δώροισiν τ άγανοĩσι, λογοiσι τε αiμυλiοισιν aulae ad senectam expers: quod in ipso non positum fuisse, quius intelligit, nec ex eo carpi ille potest. Vt in aulam venit, videt quae ibi gererentur: etiam tum ibi eram propediem rediturus in academiam: nec ille me sua, nec ego illum mea amicitia indignum censui, quam tuermur in hunc diem".
3) Hiob Magdeburg starb als Privatgelehrter zu Freiberg am 20. Febr. 1595 im 77. Jahre; vgl. Deecke a. a. O.
4) "Electori Angusto id datum fuit, vt mitterentur Lipsiam cum magistro." Joh. Caselius in der Leichenrede auf den Herzog Johann.
5) Joh. Caselius sagt in der Leichenrede auf den Herzog Johann: "Aulae princi- (  ...  )
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bis 62 zu Wittenberg und darauf zu Bologna und weiter in Italien mit Joh. Caselius studirt hatte und dessen Vertrauter Freund 1 ) war, zum Hofmeister des Prinzen ernannt.

In Leipzig nahm der Kurfürst August den jungen Fürsten scharf in Obacht; auch der Herzog Ulrich ließ ihn genau beobachten, namentlich durch den Professor Dr. Veit Winsheim zu Wittenberg, welcher 1576-1594 des Herzogs "Rath von Haus und zu Gesandtschaften" war. Schon damals neigte sich der Prinz zur Schwermut; 2 ) Veit Winsheim schreibt am 5. Febr. 1578 an den Herzog Ulrich von dem Prinzen Johann, "daß unser Student etwas seltsam wird", und der rostocker Professor Sturcius erzählt von ihm in seiner Leichenrede, 3 ) daß der Prinz während seiner Studienzeit in Dresden, als ihn Jemand nach dem gefragt habe, was seiner Brust so tiefe Seufzer entlocke, geantwortet habe: "Das was ich in tiefer Brust berge und mit starker Brust tragen muß".

Der Hofmeister Joachim v. Bassewitz hatte einen so vortheilhaften Ruf, daß ihn nach der Heimkehr des Prinzen der König Friedrich II. von Dänemark, und darauf dessen Sohn Christian IV. in seine Dienste nahm. 4 )

In Schwerin vollendete J. Caselius das Glück seines Lebens, indem er am 30. Sept. 1571 sich mit Gertrud Mylius, Tochter des einflußreichen und hochgebildeten Rathes M. Andreas Mylius, verheirathete, deren als einer ausgezeichneten Frau häufig gedacht wird. Schon am 9. Aug. 1569, als er noch zu Rostock war, nahm er den herzoglichen Secretair M. Simon Leupold, der ihm "mit Gelde und allerlei seidenem und anderm Gewand zu helfen sich erboten hatte, so er sich etwa zu verändern bedacht sein würde", wegen dieses Versprechens in Anspruch, da er sein Augenmerk auf die Verheirathung geworfen habe ("quandoquidem animum ad nuptias iam


(  ...  ) pum magister datus fuit Joachimus Basseuitius, Megapolitanus, inter aequales et populares doctrina et usu rerum praeclare eruditus; nec alii id munus rectius mandari potuit. Basseuitio quoque amici gratulabantur, et ego in primis, tum propter animorum ex iisdem, siue non admodum dissentientibus, studiis conjunctionem, tum quia inuidiam terga dare gaudebam, quae juvenem ex palaestra uenientem a campo hactenus prohibuerat".
1) "Joachimus Basseuitius, amicus meus summus", sagt Joh. Caselius in einem Briefe an Albert Clampe: Epist. p. 614.
2) Vgl. Jahrb. XV, S. 86. Seine Gemahlin Sophie erzählt von ihm: "Hatte solchs vor eine gewonheit gehatt, da ehr noch bei dem preceptor gewesen", - - und es sein gebrauch von jungk auf zu reden gewesen".
3) "Illud ipsum, quod alto pectore concoquo et forti pectore perferendum censeo".
4) Vgl. J. Caselius Leichenrede auf den Herzog Johann. - Auch schreibt J. Caselius an Albert Clampe: "Joachimus Bassevitius, amicus meus summus, ascitus est in aulam a rege vicino, nec tamen ut in aula perpetuo vivat, praemio perliberali". Epist. p. 614.
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"adjicio", fügt er lateinisch hinzu). Am 10. Septbr. 1571 mahnt er seinen Schwiegervater 1 ) um die Hochzeit:

"ut scilicet maturentur nuptiae. Quid enim malim, quam nos et his curis quamprimum expediri et voti quamprimum compotes fieri? Quando igitur filia tua a te mihi desponsa est, quid malimus jam? sponsaliane an nuptias? ego sane non illa jam, sed has expecto. Puto etiam eodem animo esse et vos et filiam. - - Noster enim amor, quantum possum animadvertere, inter filiam tuam et me crescit occulto velut arbor aevo".

Sein Wunsch ward erfüllt. Am 20. Sept. 1571 lud er 2 ) den Herzog Johann Albrecht und seine beiden Prinzen Johann und Sigismund August zur Hochzeit ein; diese Bitte ward ohne Zweifel gewährt, um so mehr, da der Herzog seinen Freund A. Mylius dadurch ehrte und diesem seinen Besuch schon zugesagt hatte. Caselius schreibt an den Herzoge

"quod nuptiis certo interfuturus sis Mylii causa et rogatu, iam cognouimus: cui vt primam maximi huius honoris partem lubens concessero; ita, neque enim infitiabor, eius aliquam mihi libentissime vendicem, quam ille cum pro veteri suo in me amore, tum pro hac nouissima nostra coniunctione minime mihi inuidebit".

Dem Prinzen Johann, seinem Zöglinge, füllte er zu Gemüthe, daß wer seinen Lehrer ehre, dadurch seine Verehrung der edlen Wissenschaften an den Tag lege:

"Qui enim doctorem suum colit, multo magis ingenuas litteras videtur colere, quarum dignitas ipsum nobis principio deuinxit. Sed de suauitate et probitate tua mihi persuadeo, hoc studii officiique non tam rogatu meo, quam sponte tua te in me promptissimo animo collaturum".

Der Herzog schenkte dem Andreas Mylius, und ohne Zweifel dem J. Caselius, zur Hochzeit ein Ehrenkleid ("vestis honoraria anno 1571 in nuptiis filiae meae data est"), und zur Aussteuer: 1 Ochsen, 3 Schweine, 6 Hammel, 2 1/3 Drömt Malz, 1 1/2 Drömt Roggen, 6 Scheffel Waizen und 1/4 Tonne Butter.

Der Herbst des J. 1571 war für Andreas Mylius eine sehr bewegte Zeit. Am 23. Nov. ward ihm ein Sohn geboren; sein Bruder Peter war zu der Zeit aus Meißen ge=


1) Vgl. J. Caselii epist. p. 503.
2) Vgl. Beil. Nr. 16, 17, 18.
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kommen und hatte viel bestelltes Hausgeräth und Lebensmittel mitgebracht; für seinen Bruder Nicolaus sollte er für die Hochzeit sorgen.

Da das Gehalt des J. Caselius für einen eigenen Hausstand in der Residenz wohl nicht ausreichte, so verschrieb ihm der Herzog am 1. Febr. 1572 "in Betrachtung seiner treuen Dienste und Gelegenheit zu Hülfe seiner Haushaltung" zum jährlichen Deputate "3 Drömt Roggen, 3 Drömt Gerste, 3 Schweine, 3 Hammel, 1 Ochsen und 1/2 Tonne Butter".

Doch Joh. Caselius sehnte sich nach der wissenschaftlichen Freiheit und Wirksamkeit zurück. So geistig bewegt das Leben auch am schweriner Hofe war und so vertraut er auch mit dem Herzoge Johann Albrecht und seinem Schwiegervater A. Mylius lebte, so fühlte er doch die große, hemmende Last, welche mit dem Unterricht junger Fürsten 1 ) verbunden war, wenn er sich auch Zufriedenheit des Gemüthes zu erwerben wußte:

"Ipsum sedes transferre grave est, gravissimum praeterea munus docendi principum filios, quod, cum nunquam dubitassem, his annis expertus sum. - - Sic ego me paravi, ut conditione, qua sum, contentus sim, quod non obscure prae me fero".

Er ging daher nach Ablauf der vertragsmäßigen 4 Jahre im J. 1574 nach Rostock zurück und entfaltete hier noch 15 Jahre als Universitätslehrer und Schriftsteller eine bedeutende segensreiche Wirksamkeit

"In aulam accitus, docebam et disciplina regia educabam heri beneficentissimi filios principes Joannem et Sgismundum Augustum. Fide illic praestita ipsos annos quatuor et relato praemio, reversus ad munus academicum, pergebam bene mereri de juventute". 2 )

Bald darauf betrieb der Herzog Julius von Braunschweig, ein gebildeter Fürst, der auch die Wissenschaften liebte und beförderte, in dessen Lande Caselius geboren war und sein Vater lebte, mit allem Eifer die Stiftung der Universität Helmstädt, welche im J. 1576 eröffnet ward. Der Herzog Julius suchte für diese den J. Caselius zu gewinnen. Er lud ihn daher zu sich nach Braunschweig ein, wo er sowohl von den Fürsten, als den Edlen des Landes ungewöhnlich ehrenvoll aufgenommen ward. Der Herzog überlegte mit ihm die Erziehung seiner


1) Vgl. J. Caselii epist. p. 185.
2) Vgl. das. S. 173.
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Kinder welche er fortan schriftlich berieth, und seine Berufung nach Helmstädt. Aber seine Liebe, seine Dankbarkeit und sein Ehrgefühl sträubten sich dagegen, den Herzog Johann Albrecht und dessen Pflanzungen zu verlassene er konnte sich nicht entschließen, aus Meklenburg zu gehen, 1 ) wenn es ihm der Herzog nicht erlaubte. Dieser verweigerte aber dem Herzoge Julius die Erfüllung seines Wunsches.

J. Caselius blieb daher in Rostock; die Universität Helmstädt ward im J. 1576 ohne ihn eröffnet. Aber schon am 12. Febr. 1576 starb sein gnädiger, väterlich gesinnter Fürst Johann Albrecht, und damit schwand der eigentliche Reiz aus dem Leben des J. Caselius. Zwar war des Herzogs Bruder, der Herzog Ulrich von Güstrow, ein gediegener, hoch gebildeter Mann, welcher ebenfalls die Wissenschaften ehrte und beförderte; aber das ganze Leben ward förmlicher, enger, beschränkter, und nach und nach immer ärmlicher: es schwand immer mehr das, was das Leben des Gebildeten über Alles erfrischt, die freie und geistreiche Behandlung des Lebens, und der Kreis der geistreichen Männer, welche Johann Albrecht in so großer Zahl ins Land gerufen hatte, ward immer enger, und die Dogmatik der Theologen gewann die Oberhand über den freien Geist der christlichen Reformation und der antik=classischen Bildung. Auch das häusliche Leben des J. Caselius ward kümmerlichere der alte fürstliche Gönner fehlte. Seine geliebte Frau Gertrud starb schon am 10. Febr. 1583, kaum 30 Jahre alt, im neunten Wochenbette, und er heirathete nicht wieder. Zwar genoß er manche Begünstigung; z. B. wurden seine beiden älteren Töchter im Kloster Dobbertin erzogen und die jüngste bei der Großmutter in Schwerin; aber seine Mittel wurden in Rostock immer geringer. 2 )

"Meae res sunt, ut erant. - - Πλούτος elapsus est, Πενiα adhaesit vel inhaesit potius."

Im J. 1585 war sein Zögling, der Herzog Johann von Meklenburg=Schwerin, volljährig geworden und zur Regierung gekommen. Der Herzog Julius von Braunschweig erließ zum dritten Male einen Ruf 3 ) an ihn und die Sache ward zu Schwerin verhandelt. Aber auch dies Mal konnte Caselius seine Entlassung nicht erhalten.

Da starb am 3. Mai 1589 der Herzog Julius von Braunschweig und es folgte ihm in der Regierung der wackere Herzog Heinrich Julius, dessen Erziehung Caselius hatte mit leiten


1) J. Caselii epst. p. 8 et 125.
2) Das. p. 623.
3) Das. p.624.
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helfen. Der Herzog ruhete nicht eher, als bis er ihn noch im J. 1589 für die Julia zu Helmstädt losgebeten 1 ) hatte. Am 24. Aug. 1589 nahm J. Caselius von der Universität Rostock Abschied 1 ) und empfahl zu seinem Nachfolger den Albert Clampe, welcher jedoch ebenfalls von Heinrich Julius für Helmstädt gewonnen ward und zugleich mit J. Caselius dahin kam. Noch im Nov. 1589 zog J. Caselius nach Helmstädt; er ward hier am 24. Jan. 1590 aufgenommene

"Ordini professorum adscriptus est d. 24. Jan. 1590 vir. cl. Joa. Caselius ex acad. Rostoch. accitus".

Hier entfaltete er, ungefähr 56 Jahre alt, noch fast ein Vierteljahrhundert lang in reger wissenschaftlicher Muße eine große und glänzende Wirksamkeit bis an seinen Tod, der ihn am 5. April 1613, in einem Alter von ungefähr 80 Jahren und in heiterer Ruhe, von dem Schauplatze seines Wirkens abrief, in demselben Jahre, in welchem der Herzog Heinrich Julius starb. Caselius "starb ganz eigentlich in Hunger und Kummer" 2 ) und ward in der Hauptkirche zu Helmstädt begraben.


III. Die Brüder des Jahannes Caselius.

Mathias Bracht Chesselius hatte vier Söhne, von denen Johannes Caselius der älteste 3 ) war; die übrigen waren Christoph, Samuel und Daniel. Da diese ebenfalls den größten Theil ihres Lebens in Meklenburg zubrachten, so verdienen sie einer kurzen Erwähnung, um so mehr, da sie ihrem Bruder Johannes zur Last lagen und wesentlich dazu gehören, dessen Leben klarer zu erkennen.

Christoph Caselius.

Christoph Caselius ward um das J. 1561 in die Dienste des Herzogs Johann Albrecht I. von Meklenburg genommen. Es ist nicht viel mehr als seine Entlassung aus diesen Diensten um Ostern 1573 bekannt geworden; in dieser sagt der Herzog, daß "er zwölff Jhar an vnserm hoff vnser bestalter Diener ge=


1) Vgl. Beil. Nr. 19.
1) Vgl. Beil. Nr. 19.
2) Nach den mir mitgetheilten Beobachtungen des Herrn Archivrath Dr. Schmidt zu Wolfenbüttel.
3) J. Caselius schreibt 1561 an seinen Vater aus Bologna: "Ipse qui maximus inter eos natu sum, exemplo meo frafribus praeeo: studeo et virtuti et sapientiae etc.". Epist. p. 490.
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wesenn vnd sich - - sonderlich in vielseitige verschickung in auswertige Königreich vnd lande, deren sprache er kundig vnd erfaren, jeder Zeit gudtwillig vnd vnverdrossen gebrauchen lassen". Er diente also ohne Zweifel als Secretair, und zwar als Legations=Secretair, wie Bartholomäus Gryphius, um so mehr, da er einige Male auf Gesandtschaften als Begleiter fürstlicher Räthe vorkommt. Am 30. März 1564 quittirte er 1 ) über 12 Thaler anstatt der Hofkleidung und über 20 Thaler für Zehrung (wahrscheinlich auf Reisen). Ungefähr um die Zeit seiner Anstellung schreibt auch J. Caselius am 14. Dec. 1561 von Bologna an seinen Vater, daß er von seinem Bruder Christoph die besten Hoffnungen 2 ) hege. Aus seinen Geldforderungen und andern Andeutungen geht hervor, daß er mit den Räthen Dr. Polei und Dr. Pfeiffer in den livländischen Angelegenheiten wiederholt nach Polen und außerdem auch nach Italien reisete. Christoph Caselius wird aber ein unbedeutender und unzuverlässiger Mensch gewesen sein, da die folgenden Briefe seines Bruders Johannes voll bitterer Vorwürfe 3 ) sind und dieser ihn nur mit Mühe in seiner Stellung erhalten konnte. Um Ostern 1573 ging er von Wismar, wo er damals, wie sein College Bartholomäus Gryphius später, wohnte, ohne Erlaubniß des Herzogs und ohne alle Geldmittel nach Magdeburg und bat hier um seine Entlassung, da er von dem Herzoge "lange Zeit hero gantz wenig gebrauchet worden, welchs nicht alleine ohne meinen nutz vnd frommen vorblieben, sondern auch bei andern leuten nur zum hosten schimpf vnd böser leudt nachreden gereicht". Er wollte "um mehrern Versuchens willen" andere Dienste suchen und bat um Belohnung seiner "langwierigen, schweren Dienste, gefährlichen Reisen und viel gehabter Mühe", indem er zugleich ein ziemlich bedeutendes Schuldenregister einreichte. Er meinte, "das Glück sei ihm gar zuwider" und er müsse sich gegen sein angehendes Alter nach nothdürftiger Unterhaltung umsehen. Der Herzog gab ihm auch sogleich am zweiten Ostertage 1573 einen günstigen Abschied, ohne Zweifel durch Vermittelung seines Bruders Johannes, welcher damals am schweriner Hofe lebte.

Christoph Caselius wird aber nirgends sein Glück gemacht


1) Der Cammer=Secretair Joachim Plesse notirt ihn in der einen Quittung als "Christoffer Casselius" und in der andern Quittung als "Christofer Chesselius", während er selbst sich "Christophorus Caselius" unterschreibt.
2) "Christophorus nostrae spei satisfacit eamque, si, ut spero, patronum liberalem nanciscetur, etiam superabit." Epist. p. 490.
3) Man vgl. die Briefe des J. Caselius von 1564 und 1568, Epist. p. 496, 497, 501. J. Caselius schreibt z. B. an ihn: "Vale, nec mihi pro vobis omnibus semper laboranti et curas suscipienti irascere" etc.
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haben. Im J. 1587 klagt sein Bruder Johannes, daß er schon in das zweite Jahr bei ihm im Hause lebe und keine Aussicht habe. 1 )

Samuel Caselius.

Samuel Caselius war ein sehr ausgezeichneter Mensch, der aber früh zu Grabe ging, vielleicht durch seine Reizbarkeit und Leidenschaftlichkeit. 2 ) Sein Bruder Johannes schreibt im J. 1561 seinem Vater von ihm, daß er frühreif herrliche Beweise der Tugend und Gelehrsamkeit gebe. 3 ) Im J. 1561 studirte er zu Wittenberg; sein Bruder Johannes ermahnt ihn von Bologna aus 2 ) väterlich, seinen Leidenschaften Zügel anzulegen. Im Sommer 1563 erwartete er ihn von Wittenberg zurück. 4 ) Im J. 1564 war Samuel bei seinem Bruder in Rostock. 5 ) Aber schon im J. 1565 6 ) raffte ihn der Tod hinweg, wahrscheinlich durch die Pest, die damals in Rostock wüthete und welcher sein reizbarer Körper wohl nicht widerstehen konnte.

Daniel Caselius.

Daniel Caselius, der jüngste Bruder des Johannes, war auch kein bedeutender Mensch. 7 ) Im J. 1563 lebte er zu Rostock. 8 ) Nach zwei ungedruckten Briefen lebte er noch 1567 und 1569 bei seinem Bruder in Rostock. Im J. 1567 war er zum Besuche zu Hohen=Lukow bei den v. Bassewitz, mit welchen sein Bruder in vertrauter Freundschaft lebte (vgl. oben S. 23). Weiter ist von ihm nichts bekannt geworden.


1) "Nec enim fratri Christophoro, qui in alterum annum domi meae vivit, consilii, quod habebat, aperuit." Epist. p. 623.
2) Vgl. J. Caselii epist. p. 474.
3) Samuel aetate praematura, vel recte potius matura, egregium de se et virtutis et eruditionis specimem edit.". Epist. p. 490.
2) Vgl. J. Caselii epist. p. 474.
4) Vgl. J. Caselii epist. p. 495.
5) Vgl. das. p. 496.
6) "Fratrem meum Samuelem Caselium in alterum jam annum lacrymis prosequor", schreibt J. Caselius in Epist. p. 151, vgl. p. 161.
7) "Danielis progressus mihi incogniti sunt, quod ad modum; tamen bene de ipso spero et eum jam exhortor diligenter epistola quadam, ut et nostrum exemplum sequatur et satisfaciat voluntati parentum", schreibt Joh. Caselius an seinen Vater 1561. Epist. p. 490.
8) Vgl. J. Caselii epist. p. 494.
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Beilagen.


Nr. 1.

Mathias Bracht Kesselius, Prediger zu Fürstenberg, in Meklenburg, an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. [1552]


Gratiam et pacem in Christo. Antecessorum Papistarum cum negligentia, tum impostura, atque adeo fascinatione Furstenbergensem ecclesiam fidei mee tandem concreditam m Christiana religione maxime rudem et informem facile probauero, siquidem in hac eadem, ubi singula exactius inspexi, turbata, confusa et contentionum adeo deprehendo plena, ut vix, nisi T. C., illustrissime princeps, adiutrices accedant manus, in ordinem cogi valeant. Interim familia mea nouis calamitatibus affligitur. Ipse [moe]rore consumor, eo potissimum, quod improbus hic in vinea domini parum labor [me]us promouerit. Cuiusmodi nempe erga Christi euangelion ipsi ciues Furstenbergenses [habeant] afflatum, paucarum denique hebdomadarum clari herois domini Andreae Bugg[enha]gen T. C. marschalci absentia clarius luce prodidit, veluti haec chartula eorum nonnihil recenset. Hinc est, o illustrissime princeps, quod T. C. per Christum obsecro, me hinc transferri iubeat in ecclesiam aliam, quae scholam quoque apertam habeat, cui quidem ego, cum plus minus viginti annis tenerae praefuerim aetatulae, lubens operam meam quotidie horam atque alteram usui tradam, qua via multo maxime

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satanae regnum destruitur, regni Christi pomeria dilatantur, expertus scio. Absit nempe aliud in delegati mei muneris functione quaeram, quam ut in docendo et formando rudem iuuentam respublica bene constituatur, in praedicando euangelion ecclesia pulchre aedificetur. Porro me totum, quantulus sum, in hac vocatione mea ecclesiastica T. C. voluntati permitto, etsi optem, ut iam memini, pro hac, in qua temporis nunc plusculum sine fructu tristis egi, aliam Spartam fide et diligentia mea ope diuina mihi ornandam per T. C. clementiam nancisci, modo hoc ipsum m Christi et Dei gloriam fieri T. C. visum fuerit; sin minus, tum per visitationem, quae summe hîc Furstenbergae necessaria est, propediem fieri, turbata apud nos sedentur, confusa in ordinem redigantur, contentionum plena T. C. iubeat quamprimum componanturque diiudicenturque, atque inde nouo T. C. diplomate mihi atque successoribus ordinata vitae sustentatio partibus redituum fructuumque annuorum distincte expressis confirmetur, quo ventura cum confusionum, tum contentionum incommoda haud difficulter vitari cauerique valeant. Illustrissimam T. C. in afflictae ecclesiae consolationem plures annos tueatur Deus Optimus Maxmus incolumem, faustam atque foelicem. Amen.

T. C.

deditissimus

Mathias Bracht Kesselius     
Furstenbergensis verbi minister.

Ingenii specimen filius offert, quod precor ut T. C. clementer accipere eiusque studia in Christi ecclesiae et T. C. terrae usum paterne fouere dignetur.

Illustrissimo principi ac domino domino Johanni Alberto, duci Megapolensi etc. domino principi et patrono suo clementissimo.

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin. Eine Stelle hat durch Moder sehr gelitten; die ganz unleserlichen Stellen sind in [ ] ergänzt.


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Nr. 2.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. [1552.]

Illustrissimo principi ac domino
domino Johanni Alberto,
duci Megalopyrgensi etc. ., domino suo clementissimo.

Εύ πράττειν.

Deus pro sua sapientia politias, studia litterarum et reliquias generis humani inter tristissimas imperiorum ruinas conseruat, ut filio colligat agmen, celebraturum ipsum in omnem aeternitatem, et propterea nonnulla heroica ingenia exuscitat, quorum alia defendunt et alunt ecclesiam, alia variarum rerum cognitione, quarum vsus in docendis hominibus de vera religione est plane necessarius, se instruunt. Agimus igitur Deo aeterno, patri domini nostri Jesu Christi, gracias ex animo, quod et te, illustrissime princeps, esse σκεύος έλέους et per Tuam Celsitudinem et honestas artes et veram doctrinam de patefactione diuina in his tuis regionibus voluit instaurari. Cum igitur tanta tua sit virtus, recte ad te confugiunt in hac languida et effoeta mundi senecta, quotquot studiis suis prodesse aliis voluit. Proinde non mea temeritas, sed tua in omnes pios et literatos clementia facit, vt ad te audacter accedam. Hanc audaciam auget et confirmat singularis liberalitas, qua te meis studiis nusquam defuturum aliquoties ostendisti. Rogo igitur, illustrissime princeps, vt, si fieri potest, me clementer audias. Ego vicissim dabo operam, vt Tuae Celsitudinis expectationem de meis studiis conceptam non modo non fallam, sed et aliquando dante Deo superem. Deus, in cuius manu est cor regis, Tuam Celsitudinem ad reipublicae, musarum et ecclesiae catholicae conseruationem et propagationem multos annos seruet incolumem. Amen.

Tuae Celsitudinis deditissimus cliens

Johannes Chesselius     
Gotthingensis.          

Nach dem Originale im großherzogl. Geh. u. H. Archive zu Schwerin, auf demselben Papier und von derselben Handschrift, wie beides der Brief an den M. Andreas Mylius von [1554] zeigt: beide ändern sich im Laufe der Zeit.


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Nr. 3.

Johannis Caselius (an den M. Andreas Mylius).

D. d. [1554.]


Εύ πράττειν. Etsi te, doctissime vir, plurimis negociis occupatum esse scio, tamen tua singulari humanitate et in μούσας καi φιλομούσους amore fretus, spero hanc meam interpellationem minus tibi molestam fore. Breue et facile est quod cupio. Scit tua humanitas, ab Hesiodo tria hominum genera depingi, quorum primi honestis consiliis, nec sibi, nec aliis desunt; his vicini sunt, qui, cum non semper prospiciant, quid in rem suam sit, aliorum consiliis et fidelibus admonitionibus vtuntur; de eo tandem, qui et ipse rerum ignarus est et aliorum recta consilia spernit, ibidem recte dicitur όδ' αύ άχρήϊος άνήρ. Ego itaque cum sim consilii inops, malo id ab aliis petere, cumque aliquoties intellexerim, te meis studiis fauere, nihil vnquam de tua m me voluntate dubitaui.

Quae mea sit aetas, vides, et quae meorum studiorum ratio, scis. Haec feliciter fortassis inchoata fatebere, illa dum vernat (tacite autem pede, iuxta poëtam, labitur), exacuendum mgenium et a studiis non deficiendum temere non negabis. Sed quibus rationibus coeptorum studiorum cursum continuare Brandeburgi possim, non video, vbi hac hyeme non sine horum graui iactura vixi, siquidem ibi non est, neque esse potest, vbi me exerceam, locus. Praeterea, quanti sint labores scholastici, iam video. Eas molestias non tam fugio, etsi me misere macerarunt, quam in literis progredi cupio, vt aliquando ad maiora vocatus ecclesiae Dei et rebuspublicis vsui sim. His difficultatibus impulsus consului aliquot homines doctos, qui mihi fuerunt autores Vitebergam redeundi. De tua autem sententia et de tuo consilio et illustrissimi principis mandato quicquid facturus sum fiet. Quare etiam atque etiam rogo, vt auf suffragio aut consilio tuo me iuues. Nosti illud Graeci poëtae μηδέ δόμον ποιών καi τά λοιπά. Profecto, vir doctissime, nisi has artes, quas ego vix attigi, integre et fideliter didicisses, ad tantum fastigium munusque euectus fuisses. Si est igitur, vt, quod vis, velis consultum meis Musis et me proficisci Vitebergam, velis quaeso tantum, ut indices nostro principi meum institutum, apud quem te plurimum valere scio. Ego certe dabo

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operam, ne principis clementia multis meo nomine sumptibus grauetur. Quodsi me tibi curae esse sensero, id erit mihi gratissimum. Τάχιοτα. έρρωσο, καi εύτυχέοτατα πράττων διατέλει.

Joh. Chesselius.     

Nach dem Originale im großherzogl. Geh. u. H. Archive zu Schwerin, wie der Brief vom J. [1552]. Ohne Zweifel ist dieSer Brief an den M. Andreas MyliuS geschrieben.


Nr. 4.

Johannes Caselius an den herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Wittenberg. 1559. Dec. 1.


S. Cum singulari clementia et liberalitate, illustrissime princeps, me ante annos aliquot in studiis T. C. fouerit egoque magnitudinem eius in me beneficiorum animo repeterem: dedi operam, vt intelligeret T. C., non in ingratum clientem, sed eum, qui et T. C. esse uelit, et se ei uel vitam debere fateatur, quidquam collatum esse. Quare post meam domesticam scholam, quam hic, quando auf nobilibus familiis aut alioquin honestis parentibus natos adolescentes fideliter erudii, aliquot annos non sine difficultate et meorum etiam profectuum impedimento aperui, cum uiderem, iis operis non solum interrupta fuisse mea studia, sed et aetatis aliquam partem, cum qua vna ingenium hebesceret et interiret, elapsam: collegi ipse me putauique a me expectari hoc ab omnibus, vt ita in disciplinis reliquis praestarem et ne umbram gloriae ex eruditione mihi quaesiuisse viderer et ut vtiliter T. C., cuius me clientem agnoscerem, aliquando inseruirem, si ad quaecunque negocia, quibus idoneus iudicarer, ne aliquando adhiberet. Caeterum cum id perfecturum me sine vlteriore ope T. C., ut qui neruis essem destitutus, diffiderum, vt ad eam commodius redirem, edidi T. C. auspiciis de Sycomoraea carmen accurate tam rerum, quam ποιήσεως habita ratione a me scriptum. Id T. C. obtuli eamque et meum conatum et carmen probasse non dubito; placuit vtrumque Mylio: quos ego censores meae diligentiae si habeam propicios, nihil est

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quod uereor ceterorum iudicia, quae tamen, si et docta et candida sint, non defugiam. Mitto etiam nunc ad T. C. libellos du'os incoatos quidem a me, alterum Graece, alterum Latine scriptos, sed neque adhuc perfectos neque expolitos, quos tamen mutilos ea de causa T. C. mittere non erubui, vt videret, et in qualibus studiis quotidie versarer, et quantum diligentia mea praestarem. Veritus enim sum quicquam ad T. C. dare literarum, nisi simul et ingenii specimen, qualecunque id esset, afferrem. Inspiciat igitur T. C. quae mitto, et si quae merentur, probet; sin quaedam lima indigebunt, mihi in praesentia, partim quod hac aetate plaeraque a me videri nondum queunt, partim quod plaeraque adhuc emendaturus sum, ignoscat. Trado autem me T. C. totum petoque, vt meis Musis sua bonitate, ope, subsidio et liberalitate non desit: quod si faciet, maiori etiam ornamento et vsui T. C. esse potero. Hoc me assecuturum non diffido, si, vt coepi pergam, quod faciam, nisi me fortunae inconstantia a felici studio retraxerit; ne retrahat, per T. C. totum stabit. Aperui uero copiosius animum meum Mylio, me cupere, vt a T. C. ad futuram aestatem in Galliam mittar, vbi me literarum finguarumque cultura vberiore expoliam atque iστορική, ή χάρ πλεiστον τής πολ/#953;τικών τε καi έκκλησιαστικών γνωσεως περιεiλμφεν, recte instruam. Si igitur et iam benigne me sumtu T. C. iuuabit et me eo literarum gratia mittet, quod me impetraturum spero, habebit T. C. propediem eum clientem, cuius eruditio, fauente Christo, neque obscura, neque inutilis T. C. futura sit, quod ipsum, si aliquanto prolixius polliceri uideor, non id iactabundae superbiae, sed acri verae laudis Studio tribuendum puto, quod et Deo non improbari certo mihi persuasum habeo. Atque idem T. C. quoque gubernationem, quod cum ecclesiae et scholis tuta hosptia praebet, tum pios doctores et bonae spei scholasticos clementer fouet, sine dubio diuina benedictione cumulate fortunabit. Datae Vitebergae, cal. Decembris anno 1559.

T. C. seruus

Johannes Chesselius     
p. l.               

Illustrissimo principi ac domino, domino Johanni albert o duci Megapolitano, principi gentis He-

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netae in littore Baltico, comiti Suerinensi, domino Rostochii et Stargardiae, domino ac Mecaenati suo clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenb. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 5.

Johannes Caselius verschreibt den Herzoge Johann Albrecht von Meklenburg, welcher ihn zur Ausbildung auf 3 Jahre nach Italien und Frankreich schicken will, seine Dienste auf Lebenszeit.

D. d. Schwerin. 1560. Juni 19.


Ego Johannes Caselius Gottingensis testimonio huius syngraphae fateor, me et singulari commendatione virtutis, quae de illustrissimo principe Johanne Alberto, duce Megapolense etc. ., domino meo clementissimo, iam multos annos percrebuit, et magnitudine beneficiorum, quibus me idem princeps a pueris cumulate est prosecutus, adductum, postulante illustrissimo principe, quodcunque vitae meae reliquum tempus est, id summa voluntate eius Celsitudinis imperio voluntatique permisisse. Sed cum vitae meae, in primis autem studiorum ea ratio sit, vt, quae res praestantissimis ingeniis celebritatem et prudentiae et rerum et linguarum cognitionem attulit, adeundam mihi esse Italiam et Galliam illustrissimus princeps sapienter iudicarit et sumptus ad eam rem necessarios decreuerit, exeunte triennio reuersurum me, et in quocunque me Deus Optimus Maximus vel praesidio vel statione vitae et officii genere cotlocarit, inprimis autem quoniam vi naturae et amicorum consiliis, iussu etiam illustrissimi principis facultatem oratoriam persequendam mihi esse iudicaui, in eo genere fidem, diligentiam, integritatem me illustrissimo principi probaturum esse sancte Deoque teste confirmo. Magna autem in spe sum, a cuius virtute hoc coniunctionis initium extitit, eiusdem dignam principe mtegritatem in me iuuando, ornando et contra calumnias vindicando, procurandis denique rebus omnibus ad vitam honeste

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transigendam necessariis, nullo loco mihi esse defuturam. Huius igitur scripturae verbalem confirrnans syngrapham manu scriptam mea obsignaui. Actum Suerini Anno 1560. 19. Junii.

(L. S.)

Nach dem Originale, von des J. CaseliuS eigener Hand, im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin. Der Revers ist untersiegelt mit einem kleinen Siegel mit einem Schilde, auf welchem 5 Rauten Stehen, über dem Schilde mit den Buchstaben: J. C.


Nr. 6.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Nürnberg. 1560. Sept. 16.


S. Etsi, clementissune princeps, nihil erat, quod ad T. C. multitudine negociorum occupatam perscribendum ipse putarem, tamen mihi T. C., quae me quam saepissime literas ad se dare mandauit, parendum fuit. Quod ante placuit T. C. (etsi ea nobilium adolescentum causa clementer Gallicum deinde concessit), ut in Italiam iter susciperemus, accidit, quod ut ne T. C. nunc quoque displiceat, etiam atque etiam rogo. Quae praeterea a Tua C. exoptanda potius, quam petenda sunt, nisi verecundiae limites totus transilire uelun, ad dominum Mylium scripsi. Intelligit et T. C. difficultatem itineris et magnitudinem necessariorum sumptuum. Meum est ut omnium de me expectationi satisfaciam et in primis operam dem, ut T. C. sim ornamento et usui, quorum utrumque, si uiuam, spero futurum quod ad eruditionem iam accesserim, quae si non in primis, certe in mediocribus non sit contemnenda. Valeat tua illustris clementia. Noribergae, anno 1560, 16. Septembris.

T. C. obsequentissimus
cliens               
Ι.  Κασήλιος       

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Illustrissimo principi ac domino, domino Johanni Alberto, duci Megapolitano, principi uetustae gentis Henetae in littore Baltico etc. ., domino ac patrono suo clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 7.

Joachim Cameraris an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Leipzig. 1563. Jan. 9.


S. D. Cum Johannes Casselius, quo filius meus multum in Italia usus esset, ad te, Illustrissime princeps, reuertens et hac transiens me salutasset, et eum libenter uidi deque studiis nostris ac iis, qui in Italia haec exercerent atque colerent, per mihi iucundae fuere narrationes ipsius, et si quid ei litterarum ad Illustrissimam Clementiam tuam dedissem, cum mea persuasione, turn affirmatione ipsius adductus, gratum id acceptumque tibi fore existimaui. Sane Casselii consuetudine diutius frui cupiebam, neque non ipse meae aliquem etiam usum magnopere expetere uisus est. Sed ne expectationem Illustrissimae Clementiae tuae frustraretur, et properauit ipse discedere, neque remorari illum ego debui. Tuae quidem illustrissimae liberalitatis beneficia in hunc, ac si quem alium praeclare collocata esse iudico, teque ex ipsius moderatione, humanitate, eruditione doctrinae saepe uoluptatem esse percepturum confido. Dedi litteras ad Illustrissimam Clementiam tuam ante menses aliquot quas redditas esse, ut spero, sic intelligere nondum potui. De rebus Gallicis uaria et dissentanea rumoribus dissipabantur. Sed quibus ego fidei haberem plurimum, ea Gallice ad me perscripta putaui Illustrissimae Clementiae tuae mittenda esse, quemadmodum acceperam. Sunt iterum hic edita κατηχητικά nostra, quae conspecta Casselius eleganter esse expressa arbitratus est. Haec ei, si

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uideretur, afferenda Illustrissimae Clementiae tuae tradita. Illustrissima Clementia tua bene ualeat. Vale. Lipsiae, V. Id. Jan. Anno Christi Jesu MDLXIII.

Illustrissimae Clementiae Tuae
addictissimus

Joachim. Camerarius
Pabeperg.          

Illustrissimo principi ac Domino, Domino Johanni Alberto, Duci Megalopurgensi etc. . Domino et Principi suo Clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 8.

Herzog Johann Albrecht von Meklenburg an den Professor Petrus Victorius zu Florenz.

D. d. Neustadt. 1563. März 4.


Joannes Albertus dei gratia dux Megapolensis etc. .

S. Valde eruditos illos tuos omnibusque numeris perfectos in Demetrium Phalereum commentarios, quos istinc ad nos proficiscenti Joanni Caselio, ciui nostro, dederas, superiori mense accepimus, atque ita accepimus, non vt munus exile, etsi tu pro literata tua modestia te ipsum extenuas, sed profecto reipsa magnum teque philosopho eximio dignissimum. Itaque nunc, vt idipsum nobis grauissimum esse intelligeres, ad te scripsimus, et vt eadem opera tibi gratias ageremus, qui et huc Caselium nostrum, quem diximus, a te doctiorem melioremque remiseris, et etiamnum apud te nostrates quosdam adolescentes nobiles literis haud vulgaribus, virtutem de se prudentiamque humano generi vnice salutarem progenerantibus magno labore summaque fide expolias, omnisque praeterea genens officiis iuues atque ornes. Magnam et ex libri tui lectione, quem aliquoties iam, quando a publicis

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curis nonnihil feriaremur, in manus sumpsimus, et ex hoc tuo in gentem nostram nobili liberalique studio voluptatem, vt par fuit, accepimus. Cum vero singulos grato in te animo esse futurosque perpetuo speramus, tum de nobis sic tibi persuadeas, optare nos occasionem, qua plene nostram in te tuosque voluntatem comprobemus, de ea lubenter etiam nos moneri a te patiemur, et ipsam alioqui captabimus. Nunc primum alterum apud te beneficium quaerimus: vt id semper facias, quod facis: tibique porro Germanos adolescentes (audio enim nonnullos istic esse) caros esse velis. Nominatim autem tibi commendo Bernardum Buggenhagium, Joachimum Hanium et Samuelem Fabricium, ciues meos: quos ita, vti volumus, philosophiae veraeque eloquentiae perquam studiosos esse, libenter cegnouimus; ipsis autem quae a te praestari velimus, non tibi praescribimus, summo humanae vitae rectissimorumque morum et consiliorum doctori; priores duo iam sunt Florentiae, tibique ante noti et cari: et adest fortasse Fabricius; sin abest adhuc, meo tamen iussu ad vos quamprimum veniet, tibique cum caeteris operam dabit. Literas tuas eruditissimas, nihil enim aliud a te proficiscitur, tuosque quos bonis literis, nobis et posteritati libros edis, expectamus. Vale clarissime Victori. Ex arce nostra Neostadiensi, IIII. Non. Mart. MDLXIII.

J. A. H. z. M.     
Manu propria     
sst.               

Clarissimo viro domino Petro Victorio, ciui Florentino, nobis plurimum dilecto.
                               Florentiam.

(L. S.)

Nach dem von der Hand des Johannes CaseliuS geschriebenen Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


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Nr. 9.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Rostock. 1563. Aug. 17.


S. D. Quod iussus abs te Gustrouii eram quodque ne obliuiscerer, rationes meae non tacite me monebant; id feci, scripsi aperte, ut decet alumnum, mihi tua munificentia opus esse ad dissoluendum aes alienum, quod his mensibus contraxissem et rem meam familiarem literariamque sit instituendam, ut te tanto patrono meque homine nobilium literarum non vulgariter studioso dignum esset. Iubeor nunc iterum per fratrem, odiosam illam petitionem et mihi cumprimis duram iterare. Id facio, utque me tua liberalitate subleues, et breuiter et quam humiliter debeo, rogo. Non grauabitur Chytraeus scholae nostrae rector, ad me quodcunque respondebitur referre. Ego quae ad me pertinent et docebo et discam sedulo, nee committam, ut quis eo loco, quo sum quoue unquam futurus sum, tibi merito suo me graciosior esse possit. Vale, illustrissime patrone, alumni tui non immemor. Rostochio, XVI. Cal. Sept., MDLXIII.

Tuae Celsitudinis

Ι. Κασήλιος     

Illustrissnno Joanni Alberto, duci Megap., principi Vandalorum etc. . domino et έυεργέτη suo clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 10.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Florenz. 1566. Jan. 14. u. Febr. 3.


S. D. Et fama percrebuit, et hanc nonnullorum literae confirmarunt, te, Illustrissime Joannes Alberte, animaduersa diuturna Rostochiensium dissensione, certo

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que ipsorum ceruicibus periculo imminente praeuiso, ipsam tuam urbem praesidio occupasse, ut et ingruentem calamitatem omniumque domus penetrantem miseriam auerteres, et tuis ciuibus magistratum, leges, quietem publicam, dignitatem atque omnem denique felicitatem restitueres atque conseruares. Hunc ego nuncium, cum ad te alioquin scribere in animum induxissem, silentio praeterire non potui, sed, cum quando hoc rectum est, tum quando tuus sum, tibi toto animo gratulor, et a Deo optimo maximo, ut haec tua perpetua uirtus atque clementia et summos mortalibus fructus ferat et immortalitati te consecret, precor. Cum enim et omnibus natura, et tibi singulari tua in me munificentia deuinctus sim, quid uel populis tuis gratius et magis salutare, uel tuae amplitudini praestantius atque exoptabilius possim praecari? Sed haec hactenus. Priuatis uero meis rebus commemorandis, tuis maximis de republica curis molestiae nihil adiiciam, uerum illis deteriore iam loco quam uellem (uix enim ab aestiuo morbo uitam eripui et huic retinendae nunc iucumbo) positis, ut subuenias, et rogare te audeo, et exspectare debeo: cum quod me tuum esse uoluisti, tum quod et beneficiis a te ante cumulatus sum, et nemo, honeste quidquam a te petens, tristis indonatusue e conspectu tuo discessit. Rationes autem itineris mei atque studiorum hac tibi aestate coram reddam, atque initurum me apud te eam gratiam, et cui ego studere debeo et quam tuo iure tribues, mihi penitus polliceor. Si qua mandata mihi dabis, ea ad me perscribi iubebis; hic enim literas istinc exspectabo. Vale princeps clementissime. Florentia, postridie Id. Jan., Anno MDLXVl.


Nihil erat, uel quamobrem hanc epistolam mutarem, uel quod ipsi adiicerem. Sed uno alteroque die occasione aliquid accessit, quod ad me pertineret, quod tibi significare me oportere arbitrabar. Pisas abii, ibique egi, ut ceteris iurisconsultis adscriberer, non tamen his studiis, quae ego nemini negligentius colui atque ut doctis uidear excolui, desertis. Quae me mouerint, multa sunt, quibus ulinam accedere tam celeriter potuisset siue consilium siue mandatum tuum. Sed morae locus non fuit: at potius metuendum est, ut difficultas repente

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quaedam obiiciatur, praesertim τούτου άρχιερέως όντος quam amoliri nemo ualeat. Etsi autem me, ut debeo, metior: tamen, omnibus suffragantibus adeptus fui, quod uolebam, ut et in ordinem hunc amplissimum reciperer, et omnia mihi eiusdem insignia contribuerentur. Jam, clementissime princeps, quando honori huic meo faues, quod ego penitus mihi persuadeo, adiunges etiam, ut meae difficultates postulant, huius tui in me animi argumentum, ut eundem ex tua liberalitate m me alii quoque perspiciant. Quam tibi usui sim futurusque sim ignoro; hoc certe egi agoque, ut uirtutes tuae passim terrarum primis quibusque hominibus innotescant, in quo nostrae eruditioms non leuissimas esse partes non dubitamus. Vale iterum. Flor. III. Non. Febr.

Tuae Celsitudini

addictissimus cliens    
Joannes Caselius.     

Illustrissimo principi ac domino, domino Joanni Alberto, Duci Megapolensi, principi Vandalorum etc. . domino et έυεργέτη suo clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin. Dieser Brief iSt von einer fremden Hand geschrieben, alSo wohl von J. CaseliuS in Seiner Krankheit dictirt.


Nr. 11.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Florenz 1566. Dec. 8.


Joanni Alberto illustrissimo Megapolensium duci S. D.

Hommi tuo, qui mihi abs te, benignissime patrone, epistolam perclementer scriptam reddidit, meam ad te statim dedi, ex qua et ubi essem et quid me teneret et quid agerem et me tua mandata exsecuturum relaturumque tibi quamprimum coram de singulis intelligeres. Eodem uero scribendi officio nunc quoque fungi me debere ar-

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bitratus sum, cum hinc ex eodem tecto recta domum proficisceretur ciuis tuus Joachimus Han, Othonis filius, iuuenis animo ita exculto, cuiusmodi ego Megapolitanos esse complures uelim, quod te auctore futurum spero fierique adeo (plures enim hodie, quam olim, de iudicio potissimum tuo, filios suos bonis litteris imbuendos iubent) uideo et gaudeo, quod ubi quamplurimi ad uirtutem et sapientiam educantur, ibi ad nostrum finem et beatam uitam aliquanto propius acceditur, a qua plerique mortalium absunt et quotidie magno cum generis humani iniuria atque dedecore recedunt longius. Dedi igitur amico huic atque so dali in iisdem studiis meo hasce litteras, quas cum [ul]lius argumenti propemodum esse necesse esset, arripui aliud, uel potius diu mecum deliberatum persecutus sum, quo tibi placere mirifice cupio, placiturumque haud dubie, neque id iniuria, mihi persuadeo. Cum enim scirem, iam multos annos de optima uia, qua heroicae spei filiolus tuus ad hoc fastigium, in quo tu hodie refulges, educaretur, cogitationem paternam te suscepisse, non dubitaui, quin et omnes alios, qui idem optarent et adiuuare conniterentur, et me praesertim, qui tuae bonitati meipsum quoque deberem, multum laudaturus, atque et in tuis et in reipublicae amicis habiturus esses. Si enim ex ulla re elucet gratus animus atque erga patriam amor, is certe, qui beneficiis adfectus non bene merenti solum ipsi, sed et his, quorum ab illo ortus ducitur, bene uult et, quoad potest, facit, gratissimus, et qui principem reipublicae futurum omni uirtute summa summaque sapientia informari atque perfici desiderat, patriae felicitatisque mortalium haud dubie amantissimus studiosissimusque est. Vtroque ego respiciens (neque enim mihi me satisfacere statuebam, nisi cum m exquisitissimis litteris uersarer, in exquisitissimarum quoque uirtutum Studio essem) uide, quaeso, clementissime princeps, et proba quod facere ausus fui. Homerum filiolo tuo dono mitto, non ignarus, pauca esse, quae ab inferioris loci et fortunae hominibus vobis regibus donari debeant, et plerosque eos, qui uos muneribus adficiunt, hac uia multo ampliora a uobis beneficia flagitare, quod mihi facere, cui tua liberalitas prae multis patet, necesse non est, neque adeo pulchrum. Nomine igitur hoc donum sit, re uero apposita ad epistolam occasio. Hinc enim exordium lineamentaque epistolae duxi, et cum illo de litteris, quantum ipsius captus nunc

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haurire uideretur, coepi colloqui: non aliam ob caussam, quam ut eas, quibus nihil est admirabilius atque ad uestrum locum tuendum firmius, a teneris unguiculis amare disceret, aut si iam amaret, hanc ego ipsi uoluptatem augeret. Quam indolem, quod est principium rerum maximarum gerendarum, cum in puero cernes teque tui tam praeclaram ueram uiuamque imaginem, si sic Deo uisum erit, post te relicturum esse auguraberis: te tanta uoluptate, quanta ex ulla re tibi polest exoriri maxima, perfundi credibile est et, ut animi mei cogitata non dissimulem, uerissimum. Neque igitur opus est, ut hoc meum factum a te probari rogem, quod approbatione tua anticipas: tamen qua sum atque esse debeo in te obseruantia, idipsum uehementer rogo. Vix autem etiam mihi tempero, quin in hac re, quam praelibaui, prolixior sim, quod tamen facere [uereor], ne potius insolenter, quam officiose hoc molitus uidear: quando et tua sapientia excellis et uiris prudentissimis abundas. In his tamen cogitationibus me esse, te et scire uolui et probare libenter recteque credo neque me deterreri fortunae ludibrio ab iis et similibus patior: quae cum in uitam meam süperbe et crudeliter ante illuserit, nunc ioculariter mihi nolenti uolenti . . . . . nectit. Nihil enim penitus, neque mihi, neque cuiquam istinc sodalium ex mercatu Lipsico huc perscriptum est: cr[edo], quod, ut accepimus, pestis passim ad Albim tum saeuiens tuarum urbium negoliatonbus iter interclusit, adolescentem enim meum extra culpam esse certo scio. Hoc uero malum per mihi graue est, quando qui uelint me subleuare aut ipsi instructi non sunt, aut sunt eiusmodi, quos pudor me cormpellare uetet; qui possint atque olim facere soliti sint, non mihi solum, sed et aliis, qui aeque hisce creditoribus nitebantur, praecise negant. Itaque a Cal. Jan. pendemus, quae quod mihi attulerint, ex eo de reliquis consilium capiam, atque quamprimum in Megapolin tuam, in conspectum potissimum tuum reuertar. Vale εύεργέτα clementissime. Florentia. VI. Id. X br. Anno MDLXVI.

Tuae Celsitudini

addictissimus ειεργετοiμενος
Joannes Caselius.          

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Illustrissimo Principi ac Domino, Domino Joanni Alberto, Duci Megapolensi, Principi Vandalorum, Comiti Suerinensi, Domino Stargardiensium et Rostochiensium, εύ§εργέτη suo longe clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 12.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Florenz 1567. April 3.


Clementissime Dux.

S. d.

IIX. Cal. April. accepi munus tuum C. Joachimcorum, id est, ut nunc erant, scutatos LXII, reliquam autem pecuniam, quam in necessarios quoque mihi usus curari a puero meo iusseram, non itidem. Tamen ut non diutius hie haererem, V. cal. hinc Bononiam ueni, ut a noto mercatore mutuum acciperem, quo et soluerem reliquum et tua mandata expedirem et uiaticum haberem. Is uero, nescio quae iactitans, non solum omnem mihi opem praecise negauit, uerum etiam abiurauit iracunde. Itaque Bononia ad te scripsi teque rogaui rogoque etiam atque etiam, ut uetus tuum beneficium, quo me munifice adfecisti, confirmes mandesque sumptuum scholae tuae Rostochiensis quaestori, ut puero meo Philippo ducenos florenos de m[eo] stipe[ndio] mihi absque mora curandos numeret: geminaueris, mihi crede, tuam liberalitatem. Quam pecuniam cum alia, quam istic amici mihi promiserunt, ut habebo, tum me honeste hmc mouere potero: et certe quoque me in iter dabo, ad uos recta rediens, quando Gallicum iter necessitas iampridem mihi e manibus excussit. In XVII mensem paene άχρήματος hic sum; sed ego me supra modum solicite innumeris epistolis apud te excusaui, quanquam ipsum fatum pro me loquitur, quod amici mei nobilissimi iuuenes,

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qui interea hinc istuc profecti sunt, testabuntur et pro tua quoque prudentia perspicis. Loco non ingrato inuitus sum, primum quia huiusmodi mea est conditio, deinde quia officii mei est, ut istic sim, si possim. Iterum igitur multumque mihi rogandus es, ut absentiae huic meae ignoscas, quae quidem diuturnior fuit, quam aut unquam sperarem aut uellem. Vtinam praesentia tanto maiori usui aliquando tibi esse possit. Vale, illustrissime princeps, atque ut ad tuam in me bonasque litteras beneuolentiam quotidie aliquid accedat, clementer patere. Florentia III. non. April., anno σωτήρος MDLXVII.

Tuae Celsitudinis

εύεργετούμενος     
Joannes Caselius.     

Illustrissimo principi domino domino Joanni Alberto duci Megapolensi etc. ., dommo et εύερέτη suo longe clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Sehr durch Moder beschädigten Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 13.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Wien. 1567. Sept. 8.


[Illustrissime clementissimeque princeps.] Non requiris, neque huius loci est, ut dicam, quoties, quibus de rebus ad te scripserim, non possum tamen non recordari postremarum duarum epistolarum, quarum priorem Florentia dedi sub abitum meum, posteriorem Bononia, qua me iter istuc relegere coepisse significaui. Volui uero etiam Venetiis ad te iterum scribere, partim ne ullum meae in te obseruantiae signum praetermitterem, partim quod semper dubitarem, si superiores recte perferrentur: sed iis diebus, quibus Venetiis eram, nulla nisi lubrica et satis incerta mihi occasio sese obtulit.

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Nunc autem cum nuncius tuus hinc ad te iret, hanc breuem atque extemporaneam epistolam scripsi. Nudius enim tertius, quando nauiculam ad Oenipontem pridie kal. conscenderam, primum adueni. Cum autem cogitem, regiam hanc uidere et, si quid huius fieri possit, cognoscere, complusculos hic dies commorabor, nec esse nisi Octobri in Megapoli potero. Multorum regum, ducum, rerumpublicarum legati adsunt, ut fit: in reliquis autem splendidissimi Britannici, qui, ut aiunt et ad aures tuas haud dubie peruenit, de nuptiis Caroli archiducis et suae reginae agunt, idque certo rerum successu, ut est omnium opinio. Cetera, et cum primis, quae ad te pertinent, Bartolomaeus Gryphius accuratissime et summa fide perscripturum se ipse mihi dixit. Ea igitur et hac de caussa et quia dum omnium paene rerum ignarus sum, praetereo. Vale, benignissime dux, et me absentum adhuc praesentemque propediem tua clementia ista singulari et ueteri complectere. Vienna VI. id.

VII br. , an. MDLXVII.

T. C.

addictissimus

Joannes Caselius.     

Illustrissimo principi ac domino domino Joanni Alberto duci Megapolensis etc. . domino suo et εύερέτη clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenb. Geh. u. H. Archive zu Schwerin, besiegelt mit einem neuen großen Siegel mit einem runden, mit RenaiSSane=Verzierungen umgebeneu Schilde mit fünf Rauten, mit der Umschrift: JOANNES. CASELIVS.


Nr. 14.

Dienstrevers des Johannes Caselius als Lehrers der Söhne des Herzogs Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Schwerin. 1570. Aug. 23.


Ego Joannes Caselius D. posteaquam illustrissimus Megapolensium dux Joannes Albertus me illustrissi-

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morum suorum filiorum praeceptorem in quadriennium mercede praemioque proposito constituit, sancte policeor, me omni cogitatione, conatu et opera perpetuo in officio futurum. Idipsum chirographo hoc meo testatum facio. Actum Suerini, X. kal. Sept., an. MDLXX.

(L. S.                Joannes Caselius          
manu pp.                 

Nach dem Originale, auf einem Quartblatte Papier, mit dem untergedruckten Siegel des J. Caselius mit Schild und Helm.


Nr. 15.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Schwerin. 1571. März 5.


Illustrissime clementissimeque dux.

Vellem consilium illud rectum, quod ante inuenisses, potius sequerere, quam nouam quandam opinionem tuam, mihique ita permitteres omnem docendorum nobilissimorum filiorum tuorum rationem, vt mihi eam credendam tum censuisti. Ego enim hactenus non solum omni fide, diligentia, laboribus, cura, sollicitudine, omnibus rebus relictis, vti debeo, hoc officio fungor, sed etiam sequor id, quod solum et vnicum hac in re rectissimum est quodque a sano homine aliter numquam geretur. Quoniam etiam omnia tibi debeo, nullam operam vel in rebus minutissimis declino: immo minutiora fui consectatus, quam quisquam ceterorum ante me fecerit. Hac conscientia et egregia voluntate cum sim, nullo pacto sic possum subscribere sententiae tuae, eam vt probem, quod haec ipsa mutatio, si eam serio vrgebis, primum non solum mihi apud clarissimos quosque viros, qui iam cognouerunt, quae tu mecum egeris et partim eorum cum mihi, tum filiis tuis, populis tuis, immo Germaniae missis ad me litteris gratulati sunt, dedecori futura erit, dignitatemque meam, qua bonorum virorum nemini quidquam carius esse debet, magnopere imminuet, deinde educationi filiorum tuo-

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rum perniciosa, quod cum pluribus hic frustra disputarem, relinquam euentui conuincendum, qui est minime prudentium magister. Probare igitur eam nullo pacto possum, nisi aliud dicam et aliud sentiam et adulatorie mentiar, quod tu virtutis acerrimus vindex non vis, et si mihi a quoquam imperaretur in re parui momenti, nedum tam ardua, quae ad salutem omnium tuorum pertinet, non facerem, et non solurn nullam commodorum, sed ne quidem vitae amissionem pertirnescendam mihi arbitrarer. Ne tamen haec contendendi potius tecum, quam veritatis studio scribere, et magis rem meam, quam quod publice interest, spectare videar: de tota re constituendi summum consilium non nego tuum esse, et pareo πειδανάγκη tuae, quando aliud facere non possum, et si conarer, viri docti cum philomela Hesiodea me compararent reluctanti potentiae accipitris. Prolixe fuit heri mecum locutus Mylius: qui quamquam poterat ornnia tibi referre, tamen haec, quando ipsi ita visum fuit, scrips, quae si accurate considerabis, non poteris irnprobare, ea es et prudentia et clementia. Vale dux illustrissime. Ex arce tua Suerinia, III. Non. Mart., Anno MDLXXI.

Ill mae. . Cels. Vestrae

obsequentissimus

Joannes Caselius.     

Illustrissimo Principi ac domino, domino Joanni Alberto, Duci Megapolensi etc. ., domino suo longe clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 16.

Johannes Caselius an den Herzog Johann Albrecht von Meklenburg.

D. d. Schwerin. 1571. Oct. 21.


Illustrissime clementissimeque Princeps.

Quod a perpetua humanitate tua et beneuolentia in me principe digna petere constitui, id dispicio, non tam

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quibus argumentis impetrem, quod te sponte mihi largiturum mihi persuaserim, quam quibus verbis, ne indecore rogasse videar, rogem. Sed cum nihil inueniam, quo aliquo saltem mihi modo satisfaciam, nouo vtar genere petitionis, vel potius contrario, tibique gratias agam, quod ab ineunte adolescentia non solum subleuasti munificentia tua tenuitatem meam, verum etiam semper mihi tribuisti plurimum, quod ego profecto non quadam impotenti laudis auaritia stimulatus, sed veritate ipsa inductus, eoque gloriae desiderio, quod ne sapientes quidem vituperant, libenter dico mihique gratulor. Dignum enim me beneficiis tuis existimasti, et quamobrem existimares, quae prudentia tua est, sed multo magis alterum, quod in sententia annos quam plurimos perseuerasti, meque m dies magis magisque augendum ornandumque censuisti. Non enim solum, quibus opus fuit, et quae volui, verum etiam plura a te mihi saepe tributa, minime obliuiscar. Praefectum uero me esse nobilissimis filiis tuis, qui mea diligentia et consuetudine meliores doctioresque fiant, et ad iuste praeclareque imperandum erudiantur, hoc ego, quamquam habet in se curarum et perpetui laboris plurimum, tamen pro summo beneficio habeo. Est enim uel primum testimonium tui de me iudicii et propensissimae in me voluntatis. Mearum iam esse partium intelligo, hanc vt tuear, illud vt minime fallam. Vtrumque fuero consecutus, si, quod hactenus fecisse me profiteor, quemadmodum mihi conscius sum, agam sedulo, quod agendum mihi credidisti. Sic igitur ego faciam; tu uero pristmum tuum in me animum conseruabis, quaeque me velle intelliges, benigne facies, quando ad hunc modum ipse me comparabo, vt ne quidem optaturus aliquid sim, quin idem te velle, et si scires, sponte praestaturum arbitrer. Huiusmodi plane erat, quod iam rogatum veniebam, quod ego non tam rogo, tibi, vt facias, quo persuadeam, quam vt me existimare mei honoris magnopere interesse, intelligas. Intererit enim, ni fallor, honoris mei plurimum, quod opto, teque facturum spero, quodque quanta subiectione animi debeo et possum et quanta tu vis, rogo, ut hic pridie Kal. Octob. nuptias meas coram mea quoque caussa cohonestes, nam quod iis certo interfuturus sis Mylii caussa et rogatu, iam cognouimus, cui vt primam maximi huius honoris partem lubens concessero; ita, neque enim infitiabor, eius aliquam mihi liben-

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tissime vendicem, quam ille cum pro veteri suo m me amore, tum pro hac nouissima nostra coniunctione minime mihi muidebit. Habes petitionem meam, cui locum te daturum spero: omnia mea obsequia tibi non deferre, sed praestare debeo, et facio perpetuo. Vale. Suerino, XII. Kl. IIX br. , Anno MDLXXI.

               Illustrissimae Celsitudini Vestrae

omnibus obsequiis
          addictissimus

Joannes Caselius.     

Illustrissimo Principi ac domino Joanni Albertio Duci Megapolensium, principi Vandalorum, Comiti, Suerinensium, Rostochiorum Stargardiorumque domino, Principi ac domino suo clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenb. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 17.

Johannes Caselius an den Prinzen Johann von Meklenburg.

D. d. Schwerin. 1571. Oct. 21.


Illustrissime clementissimeque Princeps.

Rationes meae aliquid me abs te cogunt petere, quod tibi sit facile, mihi perhonestum. Mylius mihi filiam suam in matrimonium dat, quod non ignoras. Nuptiis dictus dies est huius mensis vltimus, quas cupio praestantium et amicissimorum liominum frequentia celebrari, tua vero ornari praesentia. Vtrumque est sane aequissimum, vt ego, qui te quotidie doceam, hoc rogem: tu, qui a me docearis, meae petitioni morem geras. Quare etiam peto a te mirum in modum, vt ipsemet nuptiis meis intersis hilaremque te nobis praebeas. Quod si facies, non solum ipse intelligam, quanta me beneuolentia prosequaris, sed etiam intelligent omnes tuae prouinciae homines, quanti facias haec litterarum

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studia, quibus informandum te fratremque tuum mihi tradidit sapientissimus parens vester. Qui enim doctorem suum colit, multo magis ingenuas litteras videtur colere, quarum dignitas ipsum nobis principio deuinxit. Sed de suauitate et probitate tua mihi persuadeo, hoc studii officiique non tam rogatu meo, quam sponte tua te in me promptissimo animo collaturum. Gratius nunc mihi facere non potes. Alterum perpetuo gratissimum facies, si diligenter discendo, bene intelligendo, recte sentiendo, iustissime agendo quotidie plurimum proficias: qua de re, prout meae partes sunt, quotidie tecum agam quam potero accuratissime. Vale. Suerini, XII. Kl. IIX br. , Anno MDLXXI.

Illustrissimae Celsitudini Tuae
       obsequentissimus

Joannes Caselivs.     

Illustrissimo Principi ac Domino, domino Joanni, duci Megapolensium, principi Vandalorum, comiti Suerinensium, domino Bostochiorum et Stargardiorum, Principi ac domino suo clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 18.

Johannes Caselius an den Prinzen Sigismund August von Meklenburg.

D. d. Schwerin. 1571. Oct. 21.


Illustrissime clementissimeque Princeps.

Cum in omnibus, quae tibi vmquam mandauerim ad te erudiendum pertinentia, mihi facilime parueris, in spem venio, te in vna quapiam re, ad me pertinente, cum aequa, tum facili, pari facilitate gratificaturum. Tu enim cum litteras tantopere ames, non potes non facere, quod tuo earum doctori gratum esse intelligas, atque insuper honorificum. Sed cum de voluntate tua dubium mihi

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nullum sit, iam ipsam petitionem accipe. Magnopere te etiam atque etiam rogo, ut nuptias meas pridie kalendis Octobribus coram cohonestes ipsarumque dies nobiscum hilariter transigas. Hoc erit mihi gratissimum, quod omnibus obsequiis deinceps testatum fecero. Vale. Suerini, XII kl. IIX br. , anno MDLXXI.

Illustrissimae Celsitudini Tuae
               obsequentissimus

Joannes Caselius.     

Illustrissimo Principi ac Domino, domino Sigismundo Augusto, duci Megapolensium, principi Vandalorum, comiti Suerinensium, domino Rostochiorum et Stargardiorum, Principi ac domino suo clementissimo.

(L. S.)

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.


Nr. 19.

Johannes Caselius zeigt der Universität Rostock seinen Abgang an und schlägt zu seinem Nachfolger den Albert Clampe vor.

D. d. Rostock. 1589. Aug. 24.


S. Magnifice domine Rector, Reverendi, clarissimi doctissimique viri, collegae amicissimi mihique omni observantia colendi.

Quod ad meum negotium, plerisque vestrum, ut opinor, satis notum, scio vos pro vestra sapientia et in me benevolentia dicturos facturosque omnia, quae ad dignitatem almae huius Academiae et rationes etiam collegae vestri pertineant. Quod enim unusquisque vestrum sibi, si opus sit et res ita ferat, negari non velit, id mihi sine dubitatione tribuetis. Itaque vos officii monere neque debeo, neque volo: non possum autem non vos rogare, etsi non opus esse intelligo. Non minus enim hic de existimatione mea laboro, quam de commodis. Illustris-

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simusque dux noster Johannes audita petitione mea non iniqua lectisque Illustrissimi ducis Brunsuig. etc. . Henrici Julii litteris satis liberaliter mihi respondit, ita tamen, ut Academiae dignitatem tueri et autoritatem patrui plurimum valere velle diserte ostenderit. Quare etiam cum in Megapolin rediisset, statim adeundum censui Illustrissimum ducem Vlricum, cuius equidem Celsitudo nihil mihi negavit, sed sollicitudinem paternam prae se ferens, hunc scrupulum iniecit, quis interea loco meo quae ego solitus fuissem doceret. Quare, ne mihi ipsi deessem, in me eam curam statim suscepi, cogitandi de viro bono et bonis litteris praeclare erudito, cui haec provincia tradi a me possit. In qua consultatione animi tantum me ad dignitatem nostrae Academiae et utilitatem respexisse, ex re ipsa intelligetis. Neque alius mihi venit in mentem magis idoneus, quam vir bonus idemque doctissimus Albertus Clampius, plaerisque vestrum etiam bene notus, ut hac de caussa non admodum sollicitus esse debebam quibus eum verbis commendem, neque necesse habeam meum de eo iudicium m discrimen adducere, cum vos de eo non aliud iudicaturos confidam, quam mihi videatur. Valde adhuc puer missus fuit in ludum litterarium Lunaburgensem, ex ea recta ad nos venit: quin eum quoque illius scholae moderator doctissimus et solertissimus Lenicerus nobis diligenter commendavit: apud nos, ni fallor, non minus annis x vixit, quibus et modestiam suam nobis probavit et diligentiam, cum plaerumque etiam se minores quospiam sedulo et recte erudiret; juvenis porro cum adolescentibus nobilibus Megapol. Basileam se contulit, Basilea Patavium, ubi operam etiam dedit (extmcta enim erant quatuor in studiis humanioribus lumina, Manutius, Muretus, Sigonius, Victorius) clarissimo in eodem genere omnium Antonio Riccobono: ipseque adeo Riccobonus aliquoties ad me scribens Clampii honorificam mentionem fecit. Sed longinquis testimoniis huic viro opus non est, cum sit instructus plena cognitione Latini et Graeci sermonis utriusque linguae scriptores optimae notae legerit, et legat quotidie et explicare etiam dextre ingeniosis adolescentibus possit: etiam ut versus bonos elegantesque, si velit, condat, et pure copioseque latine scribat. Ita etiam versatus est in arte dicendi et studiis civilibus, ut ρηδορικά καí πολιδικά docere, et Graecis et Latinis fontibus, quod munus mihi in hunc diem incumbit, si quid ego intelligo, cum lande possit,

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Nec praetereundum duco, etsi hoc ex superioribus intelligi potest, et maximam partem vestrum scire arbitror, quod publicae quietis amicus est, et ίδιοπραγεί et maiores observare norit. Quare eum, nihil profecto, nisi publicum bonum spectans, vobis velim esse commendatissimum, vosque rogo, ut ita praestantem virum, non iam de mea laudatione, quam de vestra censura ornare, ne dubitetis, meaeque sententiae, si vera est, ut sentio, libenter ipsi quoque suffragemini. Et bene merebimini de nostra schola, et beneficium conferetis in hominem dignum et gratum. Ego denique habebo vobis gratiam singularem, utque et vobis liberisque vestris aliquid gratiae referam, semper enitar sedulo. Valete. Rostochii, IX. Calend. Septembris, Anno MDXIC.

Magnificentiae et

dignitatis vestrae

obsequentissimus et studiosissimus
Joannes Caselius.             

Nach einer gleichzeitigen Abschrift im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin.

 

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II.

Tilemann Heshusius

und

Johann Draconites.

Der Streit um die Sonntagsheiligung, die Verbindlichkeit des Gesetzes und die Uebung der Kirchenzucht
(1557-1561).

Nach den Acten dargestellt

von

Julius Wiggers.


E ine Darstellung des Streites wegen der Sonntagshochzeiten und verschiedener anderer sich daran knüpfenden Fragen, welcher zu Rostock bald nach der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts durch Heshusius und seinen Collegen Eggerdes angeregt und nach dessen gewaltsamer Vertreibung durch die übrigen Geistlichen zu Rostock weiter geführt ward, gewährt außer dem kirchen= und dogmengeschichtlichen ein nicht geringes staats= und culturgeschichtliches Interesse. Geist und Sitte einer Zeit, in welcher die neue Gestaltung von Kirche und Staat und ihres gegenseitigen Verhältnisses noch in den Anfängen der Entwickelung begriffen war, treten in diesem Streite nach verschiedenen Richtungen hin lebendig und anschaulich hervor. Die Verhältnisse des kirchlichen Regiments zu dem weltlichen waren um jene Zeit noch sehr wenig geordnet. Die Grenzen der beiderseitigen Rechte waren noch so unbestimmt, daß dadurch für beide Theile, die weltliche Obrigkeit und das geistliche Amt, ein Anlaß zu Versuchen möglichster Ausdehnung derselben gegeben war. Die Handhabung der Kirchenzucht stand noch nicht unter der Herrschaft fester Grundsätze und

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es fehlte zur Regelung derselben noch an consistorialen Behörden und an einem deren Wirksamkeit ordnenden Statut. Einer gleichen Unbestimmtheit unterlag das Verhältniß von Obrigkeit und Gemeinde, sowohl in politischer wie in kirchlicher Hinsicht. Zu den Kämpfen, welche das durch die Reformation hervorgerufene Bedürfniß einer neuen Ordnung auf diesen Gebieten herbeiführte, gesellten sich dann noch weiter die mannigfaltigen Streitigkeiten zwischen den Landesherren und der Stadt Rostock, welche die Grenzen der beiderseitigen Herrschaft theils in weltlicher, theils in kirchlicher Hinsicht betrafen. In letzterer Beziehung handelte es sich vorzüglich um die Frage wegen des Patronatrechts über die rostocker Kirchen und wegen des Aufsichtsrechts über das Kirchenwesen und die kirchlichen Güter. Auch das Verhältniß der Universität als kirchlicher Corporation zu der Stadt bedurfte einer neuen Feststellung. Mitten in alle diese Kämpfe hinein, welche theilweise in dem ersten rostocker Erbvertrage von 1573 ihren vorläufigen Abschluß fanden, führt uns der durch Heshusius angeregte, durch die Mehrzahl der übrigen rostocker Geistlichen fortgesetzte Streit wegen der Entheiligung des Sonntags durch die Sonntagshochzeiten und der Verbindlichkeit des Gesetzes für die Christen. Die ausführliche Darstellung dieses Streites, welche hier unter Benutzung der im Archive des rostocker geistlichen Ministeriums aufbewahrten, in Band XI, ferner in den Bänden III, X und XV dieses Archivs enthaltenen Acten gegeben werden soll, gewährt neben dem Einblick in den kirchlichen Charakter jener Zeit auch ein sehr anschauliches Bild der Sitte und des gesellschaftlichen Verkehrs zwischen den verschiedenen Ständen und Classen, und vorzüglich diese letztere Seite des hier behandelten Gegenstandes ist es, worauf ich die Rechtfertigung der Ausführlichkeit der Darstellung gründen möchte.


I.

An der Jacobikirche zu Rostock wirkten im J. 1556 zwei lutherische Geistliche, welche durch ihren Eifer um Beförderung eines dem göttlichen Gebot entsprechenden Lebenswandels sich auszeichneten, Peter Eggerdes und der durch sein sturmreiches Wanderleben allgemein bekannte Dr. Tilemann Heshusius. Von ihnen war der erstere, schon ehe Heshusius ihm als Pastor an die Seite trat, durch die Art, wie er das Amt der Schlüssel verwaltete, dem Rath der Stadt Rostock so verhaßt geworden, daß dieser ihn seines Amtes entsetzte. Der Rath hatte es schon

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übel empfunden, daß Eggerdes verschiedene Male die in notorischen Sünden Lebenden vom Abendmahl und die "gotteslästerlichen Papisten" und erklärten Feinde der Lehre der lutherischen Kirche von der Taufzeugenschaft ausgeschlossen hatte, während bis dahin jeder ohne Unterschied zugelassen war. Noch mehr aber fand er sich verletzt, als Eggerdes einige vornehme Leute, welche am 1. März 1556 des "gottlosen und gotteslästerlichen, unbußfertig gestorbenen Dompfaffen" Detlev Dankwardi Leichenbegängniß mitgemacht hatten, auf der Kanzel bei Namen genannt und ihr Verhalten gemißbilligt hatte, und er hielt sich für ermächtigt, deshalb die Amtsentsetzung über Eggerdes auszusprechen. Dadurch ward der Grund zu einer Verstimmung zwischen Rath und Geistlichkeit und zur Bildung einer strengeren und einer milderen Partei gelegt. Unter andern Geistlichen nahm M. Andreas Martinus (Martini, Martens), welcher damals Rector der Universität war und der Hebung wegen für die Studenten in der Jacobikirche zu predigen pflegte, sich des abgesetzten Eggerdes an und billigte öffentlich am Ostertage (5. April) 1556 dessen Verhalten, während er die Sünde des Raths anklagte. Dabei forderte er seine Zuhörer auf, um die Wiedereinsetzung des treuen Predigers zu bitten und, wenn die Männer keine Sorge um das Heil der Kirche hätten, so sollten die Weiber bei Rathe einkommen. Zugleich erklärte er, daß er sich bewogen sehe, hinfort seine Predigten einzustellen.

Der Rath ließ sich jedoch durch die entstandene Aufregung nicht irre machen, sondern sandte den Dr. Draconites, um den Gottesdienst in der Jacobikirche zu versehen. Kaum aber hatte die Gemeinde diesen erblickt, als die meisten Männer und Weiber die Stühle zusammenklappten und die Kirche verließen. Draconites trat seit diesem Vorfall in der Jacobikirche nicht wieder auf. Doch fand sich ein anderer bereit, nach dem Willen des Raths die Predigten in der Jacobikirche zu übernehmen, M. Lucas Randow, Prediger am Heil. Geist, welcher ohne Berücksichtigung der durch die Absetzung von Eggerdes gegen das geistliche Ministerium geübten Eigenmacht des Raths mehrere Monate lang in der Jacobikirche predigte.

Ein Versuch, welchen Herzog Ulrich machte, den Rath in Güte zur Wiedereinsetzung von Peter Eggerdes zu bewegen, blieb erfolglos. Herzog Ulrich sandte nämlich am 4. Juli seinen Superintendenten zu Güstrow Gerhard Oemeke und den M. David Chyträus mit dem Auftrage an den Rath, diesen zu bitten, daß er den gegen Eggerdes gefaßten Unwillen fahren lassen möchte. Da jedoch der Rath in gespanntem Verhältnisse zu dem Herzoge stand und von dieser Einmischung eine Schmäle=

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rung seiner kirchlichen Rechte besorgte, so ließ er sich zur Erfüllung der Bitte des Herzogs nicht willfährig finden, 1 )

Herzog Ulrich hielt sich jedoch für berechtigt, das, was im Wege der Bitte nicht zu erreichen stand, mittelst eines Befehles durchzusetzen. Am 26. Juli ward auf Befehl des Herzogs Eggerdes durch den Superintendenten Oemeke wieder in seine Stelle eingesetzt. An demselben Tage ward Dr. Tilemann Hehusius als Pastor an der Jacobikirche eingeführt und ein auf beide bezügliches landesherrliches Schreiben von der Kanzel verlesen.

Dr. Tilemann Heshusius, geboren zu Wesel im Clevischen am 3. Nov. 1527, hatte auf verschiedenen Universitäten, unter anderen zu Paris, studirt und war dann längere Zeit in Frankreich, England, Dänemark, Deutschland und den österreichischen Staaten auf Reisen gewesen. Im J. 1550 ward er Magister und 1553 Doctor zu Wittenberg, letzteres auf Kosten der Stadt Goslar, wo er seit 1552 als Pastor primarius und Superintendent wirkte. Am 6. Mai 1556 dieses Amtes entsetzt, ging er nach Magdeburg, von wo er zwei Monate später als Professor der Theologie und Pastor an St. Jacobi nach Rostock berufen ward.

Heshusius verfolgte nun in Gemeinschaft mit Eggerdes, was die Auffassung und Anwendung der Kirchenzucht betrifft, denselben Weg, welcher diesen bereits in eine schroffe Stellung zu dem Rath gebracht hatte. Es gab um diese Zeit in Rostock, namentlich unter den Geschlechtern, noch manche Freunde des Papstthums. Diese wurden von Heshusius oft scharf zurechtgewiesen und als unbußfertige Sünder von der Theilnahme am Sacrament ausgeschlossen, gleich den Gotteslästerern, Ehebrechern, Wucherern und mit ähnlichen Lastern Behafteten. Auch die unbußfertig gestorbenen Feinde der Wahrheit und Gotteslästerer sollten mit der Kirchenzucht nicht verschont und nicht wie andere


1) Zu den verschiedenen andern Streitpunkten zwischen den Landesherren und der Stadt Rostock war noch um Ostern 1556 dadurch ein neuer hinzugekommen, daß, als um die gedachte Zeit Dr. Georg Venetus, vom Herzoge Johann Albrecht zum Pastor an St. Marien und Professor an der Universität berufen, mit Familie in Rostock eingetroffen war und nach des Pastors Matthäus Adeler (Eddeler) Tode († 6. Mai 1556) dessen Amtswohnung beziehen wollte, der Rath ihm dies versagte. Noch in denselben Jahre gab die Reise, welche Dr. Georg Venetus in Begleitung von M. David Chyträus am 18. August im Interesse der Universität nach Sternberg auf den Landtag machte, Anlaß zu der Beschuldigung, daß diese beiden es darauf abgesehen hätten, die Stadt ihrer Privilegien und Freiheiten zu berauben, und die Waffen der Fürsten gegen die Bürgerschaft anrufen wollten. Dies Gerücht entstand, nachdem Peter Brümmer und der andere auf dem Landtage anwesende rostocker Bürgermeister über die Schritte der beiden Professoren zu Sternberg Bericht eingesandt hatten. Zur Aufdeckung der Grundlosigkeit dieser Berleumdung ließen diese letzteren darauf ihre Bittschrift drucken, in welcher sie bei den Fürsten eine gewisse Dotation der Universität beantragten und um deren Unterstützung sie die zu Sternberg versammelten Stände gebeten hatten.
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Christen mit christlichen Gesängen und gewöhnlichen Ceremonien begraben werden, sondern, nach dem Ausdruck der Schrift, des Esels Begräbniß zu erwarten haben. Ein anderer Gegenstand seiner Aufmerksamkeit und Bekämpfung war die aus der alten Zeit herübergekommene und besonders bei den Vornehmeren beliebte Sitte, die Hochzeiten an einem Sonntage zu veranstalten und große Gelage mit denselben zu verbinden, wodurch der Gottesdienst erhebliche Störungen erlitt. Es wurden dadurch 500, 600, bisweilen sogar 1000 Menschen am Besuch der Kirche verhindert, darunter viele, welche die Wochenpredigten nicht besuchen konnten. Diese Gelage begannen Mittags und dauerten mindestens bis Nachmittags vier oder fünf Uhr, häufig aber bis tief in die Nacht hinein. Der Vormittag ging mit der Zurüstung hin. Nachdem Heshusius ein volles Jahr hindurch diesen Mißbrauch gerügt hatte, erklärte er endlich im Juli 1557 offen heraus, daß er sowohl wie sein College Peter Eggerdes nicht länger jene mit dem dritten Gebote streitende Sabbathsentheiligung durch ihren Dienst und Verrichtung der Copulation begünstigen und fördern könnten und daß sie daher beide zu dem Entschlusse gelangt wären, mit Anfang des nächsten Monats eine Copulation am Sonntage nicht mehr zu verrichten.

Dieser Schritt war dem Rath, welcher die bisherige Gewohnheit beizubehalten wünschte, sehr mißfällig, und einer der Bürgermeister, Peter Brümmer (Ratsherr seit 1536, Bürgermeister seit 1552), äußerte sich darüber in einer Versammlung der Bürgerschaft auf eine Weise, welche den Anfang sehr stürmischer Ereignisse und endlich eines entschiedenen Zerwürfnisses zwischen Rath und Geistlichkeit bildete. Diesen Vorgang und seine nächsten Folgen schildert Heshusius in einer Schrift, welche später noch nähere Erwähnung finden wird, folgendermaßen.

Nachdem er erwähnt hat, daß der Rath zu Rostock ihn wegen seiner doch durchaus in Gottes Wort gegründeten Lehre bereits etliche Male vor dem Fürsten von Meklenburg, Herzog Ulrich, "mit unverschämten Lügen" verklagt habe, fährt er fort: "Insonderheit aber am 12. Tage Augusti, des Donnerstags nach Laurentii (1557), hat sich zugetragen, daß die ganze Gemeine aufs Rathhaus gefordert ist, mit dem Rathe zu schließen, was man den Fürsten auf dem Landtage zum Sternberge von wegen der bewilligten Hülfe solle antworten".

"Daselbst hat Peter Brümmer, Bürgermeister, vor der ganzen Gemeine das Wort gehalten. Was er nun von Sachen, die Stadt betreffend, geredet, ficht uns nicht an. Das aber wissen sich alle Bürger zu erinnern, daß er mit vielen beschwerlichen Worten uns Prediger bei St. Jacobi hat angegriffen und

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die Gemeine mit bitteren, giftigen Worten wider uns hetzen wollen, auf daß sie desto unwilliger wären, dem Herrn Dr. Georgio Veneto, welchen die Fürsten von Meklenburg (als die Patroni aller Kirchen binnen Rostock) zur Lieben Frauen für einen Pastoren haben verordnet, dieselbe Pfarre einzuräumen, und unter anderen stinkenden Lügen hat Peter Brümmer die groben und unverschämten Lügen dürfen reden, daß wir Prediger zu St. Jacobi uns hätten geweigert, die Kindlein auf den Sonntag zu taufen, welches er doch als ein schändliches Lügenmaul und ein Feind der Prediger aus des Teufels Befehl und Eingeben hat erdichtet und in Ewigkeit nicht kann wahr machen."

"Ueber das hat der unbedächtige Mann seine Feindschaft wider Gott und sein Wort daselbst vor der ganzen Gemeine noch klarer an den Tag gegeben, denn, unangesehen daß er gewußt, daß wir eine heilsame, reine, ungefälschte, tröstliche Lehre haben geführet von allen Artikeln des Glaubens, wie uns die ganze Gemeine wird Zeugniß geben (denn wir haben nicht heimlich gepredigt); dennoch hat er sich nicht gescheuet, diese gotteslästerlichen Worte zu reden, daß die Prediger zu St. Jacobi eine neue pharisäische Secte anrichten, über welcher Gotteslästerung und Schmähung des Evangeliums, so wir gepredigt, viel frommer Bürger sich entsetzt und etliche gesagt haben: das heißt dich der Teufel reden. Als nun die Bürger vom Rathhause gekommen, haben uns etliche fromme Christen mit großem Herzeleid diese Lästerung und Schmähwort wider die heilsame Wahrheit angezeigt und uns auch hoch vermahnet, daß wir uns auch vor der Gemeine sollten verantworten. Wiewohl nun diese grausame und teuflische Lästerung uns hoch betrübt und wir für nöthig geachtet, solchen Lästerern zu antworten; so haben wir doch eine Zeit lang Geduld getragen und erstlich fleißig danach geforschet, welche Worte Peter Brümmer habe geführet. Da haben viele Bürger gleiches Lauts bekannt und bezeuget, daß Peter Brümmer vor der ganzen Bürgerschaft uns Prediger zu St. Jacobi mit vielen beschwerlichen Schmähworten habe angegriffen, und ausdrücklich gesagt, die Prediger zu St. Jacobi richteten eine neue pharisäische Secte an."

"Als wir nun durch vieler Bürger Zeugniß, welche alle übereinstimmen, die Wahrheit befunden, haben wir als Diener des Evangelii unsere Lehre vertheidigt und dem Gotteslästerer geantwortet."

"Und ist das der Inhalt meiner Antwort gewesen: Zuerst habe ich der Gemeine Gottes vorgehalten, was die Pharisäer bei den Juden für Leute gewesen, welche schreckliche Irrthümer sie gelehrt und wie grausame Feinde Christi sie gewesen seien;

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dagegen habe ich die Gemeine erinnert, daß sie bedenken wollen, was ich das ganze Jahr über von allen Artikeln des christlichen Glaubens hätte gelehrt, und that dazumal mein Bekenntniß von den vornehmsten Artikeln. Zuletzt zeigte ich der Gemeine Gottes an, welche grausame Sünde Peter Brümmer in dem begangen hätte, daß er unsere heilsame und christliche Lehre als eine pharisäische Secte verdammt hätte; nemlich daß er solche Worte als ein lügenhafter, ehrloser und gotteslästerischer Mensch geredet habe und daß er damit habe angezeigt, daß er sei ein Kind des Teufels, ein Feind des heiligen Geistes und ein Verfolger des Predigamts, und wo er nicht Buße thäte und diese Gotteslästerung sich ließe leid sein, so habe er keine Seligkeit, sondern ewiges höllisches Feuer zu getragen; da er aber wollte Buße thun und sich bessern, so sollte ihm die Thür der Gnaden nicht verschlossen sein."

"Desgleichen hat auch mein Mithülfer Er Peter Eggerdes auf den Nachmittag in der Gemeine den Gotteslästerer gestraft und fast einerlei Worte gebraucht, nur das dazu geredet, daß Peter Brümmer nicht allein als ein Gottloser und Lügner, sondern auch als ein Eidvergessener geredet habe; denn er habe mit seiner Lästerung wider den Eid, den er dem allmächtigen Gott in der Taufe gethan, gehandelt."

"Ueber dieser unserer Verantwortung und Strafpredigt ist der Rath fast toll und unsinnig, wüthend und tobend geworden; unangesehen daß sie in unserer Kirche nicht zu gebieten gehabt und wir uns keines Rechten geweigert, sind sie doch mit dem teuflischen Trotz fortgefahren und haben unsere Kirche, darin die Fürsten von Meklenburg das jus patronatus haben, verschlossen und durch zween Stadtknechte mir und Herrn Peter Eggerdes die Stadt verboten.

"Diese grausame Gewalt haben wir unserm gnädigen Herrn Herzog Ulrich angezeigt mit Erbietung, daß wir zu Recht stehen wollen, darauf Seine Fürstl. Gnaden dem Rath ernstlich geboten, uns die Kirche einzuräumen und uns an unserem Amt mit nichten zu hindern, uns aber, daß wir uns in Ihrer Gnaden Stadt Rostock enthalten und mit Predigen und Lehren unseres auferlegten Amtes wahren sollten. Doch wären Ihre Gnaden bedacht, die Sache den Brümmer betreffend aufs Förderlichste verhören zu lassen."

"Auf diesen Befehl sind wir in der Stadt Rostock geblieben; der Rath aber hat den Befehl verachtet und die Kirche noch weiter beschlossene

" Sechs Wochen aber nach dieser Zeit haben sie nochmals uns durch einen Stadtdiener und zween Bürger die Stadt zu

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räumen gebieten lassen, mit Anzeigung, da wir nicht weichen wollten, würden sie das thun, das uns nicht gefallen sollte. Solches haben wir abermals unserem gnädigen Herrn schriftlich zu erkennen gegeben."

"Ehe wir aber beantwortet sind, haben die von Rostock öffentliche Gewalt an uns geübt. Denn als sie auf den Sonnabend den 9. October die zwei Bürger mit dem Stadtknecht auf den Mittag zu uns schicken und hören, daß wir ohne Befehl des Fürsten nicht weichen wollen, hat der Rath eine ganze Rotte, in die dreißig Mann, Diener und Bürger, mit Büchsen, Stangen und Spießen gewaffnet, allerding wie die Juden im Garten zum Herrn Christus eingefallen sind, abgefertigt, welche mitten in der Nacht um Zeigers Elf meinem Bruder und Mithülfer Herrn Petro ins Haus mit großem Getümmel und Geschrei gefallen sind und die Thür mit Stangen aufgebrochen; und da die ehrliche und tugendsame Frau des Predigers Gemahl, welche durch Gottes Segen groß Leibes schwanger gehet, hoch erschrecket und jämmerlich schreiet, haben die ehrlosen Buben solche Gelegenheit nicht angesehen, sondern sie mit harten Worten gedräuet, auch einer ihr den Spieß vor die Brust gehalten und also den Mann aus dem Hause weggeführt und alsbald aus der Stadt, nicht wieder darin zu kommen, verweiset und ihn in die drei Meilen von der Stadt gefüllt und bei Nienkirchen gehen lassen."

"Als ich nun über diesem Getümmel erwachte und sammt meinem Gesinde in Herrn Peters Haus komme, meines Bruders Gemahl zu trösten, kommt alsbald Claus Kock mit feiner Rotte wieder, und als er mich dort findet, zeigt er an, er habe Befehl, auch mich hinwegzuführen wie Herrn Peter, aber er wolle es auf sich nehmen und mir Zeit gönnen bis an den Morgen um acht Schläge. Des anderen Morgens kommt alsbald ein anderer Stadtdiener und zeigt an, da ich nicht würde ziehen, so würde ein Rath auch mit Gewalt dazu thun."

"Dieweil ich denn sah, daß sie ganz toll und unsinnig und mit dem Teufel auf dem Rathhause besessen waren, habe ich mein Weib und Kindlein und meines Bruders Herrn Peters Weib hinausgeführt. Also sind die von Rostock umgegangen, desgleichen nicht gehört ist in den Städten, da das Evangelium wird gepredigt, sint der Zeit Lutherus hat angefangen zu predigen". Im Wesentlichen stimmt mit dieser Darstellung des Heshusius selbst ein Bericht überein, welcher unter dem Titel De dissidiis in ecclesia Rostochiana et primis eorum fontibus vera narratio in Band XI. der Acta min. Rost. (S. 1 flgd.) enthalten ist. Es läßt sich jedoch aus diesem Bericht die Darstellung des Heshusius noch in einigen Punkten ergänzen. Der

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Sonntag, an welchem die beiden Prediger an St. Jacobi dem Bürgermeister Brümmer öffentlich den Zorn Götter verkündigten, war der 22. August. Die scharfen Worte, durch welche Eggerdes den Heshusius noch überbot, werden ausführlicher dahin angegeben: Peter Brümmer habe seinen in der Taufe abgelegten Eid gebrochen, und wenn er auch vor der Welt große Ehre und Würde genieße, so habe er doch vor dem lebendigen Gott und allen frommen Christen, wenn er sich nicht bekehre, keine andere Ehre, als Hannas, Kaiphas und Judas vor Christus und den Aposteln gehabt hätten. Der bei Heshusius erwähnte Claus Kock wird in diesem Bericht als der Stadtwachtmeister (praefectus vigilum) bezeichnet. Als der Ort, wohin Heshusius sich nach seiner Ausweisung begab und wohin Eggerdes vorausgegangen sei, wird das Städtchen Schwaan (Cygnea) genannt, welches ungefähr eine Meile Östlich von dem in der Erzählung des Heshusius erwähnten Ort Nienkirchen liegt.

Was nach längerer Zögerung den Rath bestimmt zu haben scheint, die schon früher den beiden Predigern gebotene, von diesen aber verweigerte Räumung der Stadt jetzt mit Gewalt durchzusetzen, ist folgender Vorfall, der jener Vertreibung der Prediger um wenige Tage voranging. Ein Rostocker Magister wollte seine Hochzeit feiern. Als diesem die Studenten, der damaligen Sitte gemäß, ein Hochzeitsgeschenk, bestehend in einem silbernen Becher, verehren wollten, brachten sie auf den Rath von M. Arnold Burenius die Geldbeiträge unter der Bedingung zusammen, daß die Hochzeit nicht an einem Sonntage gehalten würde. Der Bräutigam unterwarf sich auch dieser Bedingung. Aber ein Verwandter der Braut, ein rostocker Bürgermeister, bestand darauf, daß die Hochzeit an einem Sonntage stattfinde, und setzte seinen Willen durch. Die Hochzeit ward am Sonntag den 3. October gehalten. Von den Professoren und Studenten fanden sich aber dabei nur wenige ein und das übliche Geschenk ward Seitens der letzteren nicht gereicht. Dieser Vorfall gab dem Widerwillen des Raths gegen die beiden Prediger an St. Jacobi neue Nahrung und ihre gewaltsame Vertreibung erfolgte noch in derselben Woche.

Einmal im Zuge, kündigte am 11. October der Rath auch dem M. Andreas Martini Gehalt und Stelle, hauptsächlich aus dem Grunde, weil derselbe öffentlich erklärt hatte, er sei ein Freund Tilemanns und seines Collegen und mißbillige deren Sache nicht.

Zur Rechtfertigung seines Verfahrens gegen Heshusius und Eggerdes erließ der Rath am Sonntag den 17. October, acht Tage nach der Vertreibung der genannten beiden Prediger, einen

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"offenen Brief", welcher an den Kirchthüren angeschlagen ward und von den Kanzeln verlesen werden mußte. In diesem Mandat wurden die Rostocker Prediger im Allgemeinen, ohne daß Namen genannt wurden, großer Verbrechen, falscher Lehre und aufrührerischer Bestrebungen in sehr bitterem Tone bezüchtigt und den Bürgern aufgegeben, ihren Umgang und ihre Predigten zu meiden. Das in Placatform auf einem Bogen gedruckte Mandat lautet wortgetreu also:

Wi Bürgermeistere vnd Radt der Stadt Rostock, Entbeden hyr mit dessem vnserm apenen Breue, allen vnd jewelykem, Den Ersamen frommen vnd bestendigen, vnser gemeiner leuer Bürgerschop, vnd sonst allen Ehrleuenden frommen Christen vnd bistenderen des waren Gades wordes, heil vnd alles gudt, Vormanen vorbeden vnd dohen wideres wo herna, anders nichts, dann thom vorstandt des gemeinen besten, vnd jederes syner salicheit, wyder thom frede, eindracht, frommen vnd eheren, tho beholdinge vnserer olden löfflyken Priuilegien, rechten, gebruken, gewonheyden desser ehrlyker guder Stad, wor vor, stedige sorge, flydt vnd betrachtinge vnsers vtersten vermögens tho dregen vnd tho hebben, wy vns schüldich vnd plichtich erkennen, Wes wy ock desses na vnserm geringen verstande einiges weges können, (Godt weith) dat wy vnser jn deme nicht sparen, wat möyhe vnd arbeydes vns solckes, sonderlick in dessen beswerlyken löpen gifft, twyuelen nicht, können alle fromme Verstendyge wol vnd fründtliken affnemen. Dann vns nicht alleine vperlecht, Bürgerlykes gemein Regiment, sonder ock de Vorsorge befalen, vpsicht tho hebben, Dat wy nicht van dem waren worde Gades, vnderem losen schyne des wordes, vnd gefinseder hillicheyt vorföret, vnd gebracht vth Christlyker Euangelischer fryheit, jn Tyrannischen bedruck vnd eigendohm gesettet, wo dann etliche sick vorgenamen vns tho bannen, tho verdammen, tho verwysen, tho besweren, tho beladen, mit affgepredigen Censuren, aggrauationen, einer auer de anderen, vnd ock welcker nicht gelick vorth wolde wo se, Dennen mit der Villekulen tho bedreuwen, darhen alse eynen Esel, Kohe, Perde, vnd andere beeste tho begrauen. Item, de Lichamme vp de Villekulen tho verdammen, vnd de Seelen dem Düuel auerthogeuen, vor welcke Christus vnser einger Heylandt, vnser Eckstein, vnd einiger Middeler twischen Godt dem Vader, vnd armen Minschlykem geschlecht syn dühre Blodt vor=

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gaten. Wo se dar nicht mit gesediget, sonder ock jn vnsere Politisch Regiment getastet, willende van dem hilligen Ehestandt, den Godt de Vater jm Paradiß süluest jngefettet, den syn leuer Sön Christus Jesus süluest mit syner jegenwerdicheyt, ock syner hilger Moder vnd leuen Discipulen geehret, vnd mit synem ersten Mirakel consecreret, Wan solcker hilliger standt, Den der Herr süluest approberet, vp des Hern dach geholden, scholde Sünde, vnd Godtloß dinck syn, allein vnd nergens anders, Dann vmb des Jödisch Phariseeschs Sabbats willen, welcken Sabbat Christus affgedahn vnd vordempet, na bestendiger Doctoris Mariini Lutheri vnd mehr anderer trefflyker Theologen leren, wo in korten dagen (efft Godt wil) volkamener bericht ant licht wurdt breken, gemeyner vnser trüwer Bürgerschop thom besten, Als dann, wat wolde bestendich blyuen, wat gewißheyt konden wy vth aller hilger Schrifft hebben, wenn dat Godtloß dinck scholde syn, welckes Godt süluest jngesettet? Wo men vnderstanden vns de meinunge jnthodringen, jn de erringe schyr mit gewaldt tho bringen, vnd Sabbats knechte, jegen alle vnseren danck, van vns tho maken, vnd also, vns mit solckem anslage, vth Christlyker leue, vth Börgerlykem freden, ruw vnd einicheyt, tho rucken und tho spalden, Selckes ys nicht hemlick noch vorborgen, hebben alles mit der dadt apentlick verspöret. Vnd als wy solcks nicht hebben mögen gehengen edder gestaden, wo ock gemeine trüwe ehrlyke Borgerschop van sick süluest dar van ein schreck vnd affkerendt gehat, vnd noch hefft, vnd dat, vth Gödtlyken, billyken, natürlyken, reddelyken orsaken. Weßhaluen wo se van den Predickstölen vns vthgeschryet, Diffameret, Blasphemeret, jn vnsere gelimp Vnd ehere, so klegelick vnd jamerlick gegrepen, vns swerlykest verhönet, vnd vnder de föthe tho treden vnderstanden, geswygen noch den vnuorschemeden homodt, stoltheyt, trotze, vorkleininge vnd vorachtinge, so se vns hebben doruen vorstellen. Darlegen wo sedich, Maneerlick, lanckzam vnd lyderlick, wy Vns wedder hyrinne getöget, vnd nicht, dan, dar se van sick süluest gedechten, van vns tho wyken, begeret, Dar ehnen, na Recht, eine sware straffe geböret. Woruor de Ouericheyt tho holden, vnd der tho gehorsamen, leret Paulus thon Römeren am 13. Cap.: Welcker der Ouericheyt (secht he) weddersteit, de weddersteit Gade, vnd welcker weddersteit, bekumpt sick de vordammenisse.

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Wo se den spröke gefolget, ys apenbar befunden, Wat se anderen tho predigen plegen, breken süluest. Wowol dem allem so, vnd gemeiner ehrlyker Borgerschop allenthaluen bewust, vnd wowol de gemeine, fromme, trüwe, ehrlyke, Borgere, hyrinne mit vns ein trüwlick mitlydent gedragen, vnd noch hebben, vnd jn deme sick bewysen, als ehrleuenden, welcke ere Ouericheyt, na der lere Pauli, der Christlyker Basunen, vprechtlykes gemötes vor ogen holden, Des wy vns jegen allen vnd jewelyken bedancken. Dannoch sind etlyke Prediger, de ock mit vnser geduldt nicht thofreden syn können, welcke sick vornemen laten, als hedden wy vnrecht gehandelt, wünschen desser Stadt Helschführ, blixem vnd donner, vordömen vnd vormaledyen, springen vnd slaen vp den stölen als vnsinnige. De ander darss sick hören laten, Dat desse Stadt mit Tyrannischer Ouericheyt besettet, reitzen vnd kratzen jo so veninich, hetisch vnd betisch, als de verfremmeden: Vorsöken sick, efft se noch ychtes eynen vproer konden erwecken, Auerst de Almechtige Godt wurdt vns, vnd de trüwe Christlyke Borgerschop, wol in eynicheyt, ehren vnd freden erholden. Tyrannen sint, de gein Recht, gein ehr, gein redelicheyt ansehen, Sonder, eren eigenen stößferdigen kop folgen, welcke eres eigenes forssens willens, vnd halsstarricheyt gebruken vnd fetten vor de Gesette vnd Rechte, welcke dat rechtferdiges Blodt vorgeten, de vnschüldigen morden vnd vmmebringen, wo Nero gedahn, vnd der Köninck Dyonysius van Syracusa, vnd mehr andere Tyrannen. Vor alsolcken, hebben vns noch de anderen doruen so gahr vnuorschemet vthschryen, welcker könheyt sick wahrlick alle Christen Minschen mögen vorwunderen, van dennen, de dat wordt Gades handelen, Dat de also, eine Ehrlyke fromme Ouericheyt doruen schelden vor Tyrannen: Wo hefft Christus jewerle solckes geleret edder gedahn ? Wor fint mens jn der hilligen Schrfft? Effte desse Lüde des hilligen Geistes sint, vthwyfen desse dingen Weme ys binnen Rostock, so lange Rostock gestanden, Tyrannie beyegent? Jdt meinen etlyke bywylen, ehnen geschehe dorch vnseren Rechtspröke Vnrecht, so steyt dennen doch apen de wech der Apellation, vnd wat sonst Stadtrecht vnd KeyserRecht vormach, Darna hebbe wy stedes fort gefaren, Darna vnd anders nicht richten wy, wat ock apener schynbarer bekanter dadt ys, richte wy alles na solcken rechten vnd anders nicht. Vnd dat ys gein

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Tyrannie, Auerst vnerkanter saken, Jtem, sick süluest to Richteren setten, eigener authoritet, sick auer Lyff vnd Seel macht vnd gewaldt antomaten, tho bannen, to plagen, mallicks Conscientz tho besweren, to vorwunden, ja tho vormorden, vp de Villekule tho verdammen, dem Düuel de Seel to geuen, jn eyner Ehrlyker fryen Stadt, coniuration, conspiration, vnd vordechtige archwanige Conuenticulen tho hebben, sick to befluten, mit wat Düuelschem grym, vnder gestaldt eins Engels, dat Führ vth vnd jn den gemeynen Man to blasen, Dat ys Tyrannie, dat ys (mach men anders de warheyt seggen) rechte ware Tyrannie. Dewyle wy solcker Tyrannie wedderstan, vnd, dal, vnsern Eiden vnd plichten na, to donde, vns schüldich erkennen, nu byten se hinder sick vmme, vnd schelden vns vor Tyrannen. Wat nu, van solcken leidtsprekeren vnd blasphemischen Minschen tho holden, vnd efft se werdt, de Predickstöle henfürder tho bekleyden, edder ere ehrenrörige Sermone anthohören syn schölen, stellen wy in eins jeders frommes, trüwes Borgers, eigene gericht vnd geweten, wy willen ock (wil Godt) jn desser saken guder vornufft gebruken, Dat ydt wordt Gades vns lutter vnd reine, jn warem fruchten, rechtem gelouen, leue vnd einicheyt, nicht dorch solcke blasphemische Muler, sonder sedige Ehrleuende Lüde geprediget werde, vnd daran mögelykes flytes syn, Wente vns gein gudt der Werldt vor vnsere Salicheyt tho setten. Vnd vorstanden, dat vnsere gemöte darhen gericht vnd alle ehrlyke trüwe vnd fromme Borgerschop, desses mit vns vnd wy mit ehnen, einich, sindt wy dannoch jn warheit berichtet, dat erer etlyke mit densüluesten Predicanten scholden holden, jn solckem erem scheldent, vorhönent, vnd blasphemerende, willen vnd gefallen dregen, erer Coniuration deilhafftich syn, mögen velichte, vth simpelheyt, vnd einfoldt, vnderem schyne der hillicheyt vnd vordeck des Euangelij, vorföret vnd dar by gebracht syn, welcke nicht vth bösem grunde gesündyget, Dennen wy solckes, vth Christlykem mitlyden, tho gude richten vnd holden, De vortredinge dythmahl, Vaderlykes gemötes nageuen, vnd willen vth dem süluesten, jederen by deme Borgerlykem Eidt vnd plichten vns gedahn, Christlyken fründtlick vns ernstlick vormanet hebben, sick erer tho entholden, der vorbadenen vprörischer anslegen mötich tho gahn, geiner vndüchtiger worden vnd vpspraken auer vns sick forder hören tho laten, einicherley

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wyse edder gestaldt, Wo wy jn gelykem, allen anderen jnwaneren, wo se ock gestaldt, van wat wesendt se syn, wo ock dat süluest jn sick ehrlick, billich vnd recht ys, vperlecht vnd jngebunden willen hebben, vnd hyr mit jn krafft desses Mandats jegenwerdich vperleggen vnd jnbinden. Vnd, dar se solckes hörden edder erfören, vns stracks, wo se schüldig, anbröchten vnd nicht vorheleden. So dann hyr jegen nu vorth mehr emandts dohn würde vnd hyrinne wedder synen Borgerlyken Eydt vud ehre würde handelen (dar wy doch nemande so vorgeten achten) hefft to erkennen dat desülffeste jn hoge straffe vorfallen, de wy alßdan, einem anderen thom Exempel, mosten vornemen, Wor vor wy hyrmit eynen jewelyken, trüwlick willen gewarnet hebben, Doch, der straffe vnbegeuen, welcke wetentlick, vpsetlick, vch bösem grunde vnd affecten, erer Eyde vnd plichten vorgeten, mit ehnen gestanden, ju solckem Radt wedder vns gewesen, vnd de handelinge hebben mit helpen stofferen. Darna sick wolde ein jewelick weten tho richten, Gegeuen vnder vnserem Segel, den 15. Octobris, Anno 1557.

II.

In derselben Woche, wo der Rath mit seinem Mandat gegen die Prediger hervorgetreten war, suchte er durch Einsetzung des Dr. Johann Draconites als Superintendenten eine Stütze gegen die rostocker Geistlichkeit zu gewinnen, von welcher er besorgen mußte, daß sie die Sache ihrer vertriebenen Collegen zu der ihrigen machen würde. Um sich einen desto größeren Einfluß auf die Geistlichen zu sichern, verfügte er zugleich, daß die Versammlungen der Prediger nie anders als in Gegenwart von zwei Rathsherren abgehalten werden und alle Verhandlungen und Beschlüsse von diesen beaufsichtigt werden sollten. Den Predigern ward befohlen, dem Dr. Johann Draconites als Superintendenten zu gehorchen.

Zur Lebensgeschichte dieses vom Rath der Geistlichkeit aufgedrungenen ersten rostocker Superintendenten möge hier Folgendes bemerkt werden. Johann Draconites oder eigentlich Drach war 1494 zu Carlstadt im Würzburgischen geboren. Er studirte zu Erfurt, wo er später Magister ward und Vorlesungen hielt, und zeichnete sich besonders im Hebräischen aus. Im J. 1520 machte er eine Reise in die Niederlande, um Erasmus kennen zu lernen. Von Erfurt ging er nach Wittenberg, hörte hier

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Luther, Melanchthon und andere, promovirte zum Doctor der Theologie und blieb hier, bis er 1522 ein Pfarramt zu Miltenberg im Mainzischen erlangte. Hier brachte ihn aber schon im folgenden Jahre die papistische Geistlichkeit zum Weichen, worauf er sich nach Werthheim und von da nach Nürnberg, Erfurt und endlich wieder nach Wittenberg wandte. Auf Luthers Empfehlung erhielt er 1525 ein Pfarramt zu Waltershausen bei Gotha. Drei Jahre später gab er jedoch diese Stelle wieder auf und widmete sich mehrere Jahre hindurch in Eisenach gelehrten Arbeiten. Im J. 1535 ward er an die Stelle von Erhard Schnepf nach Marburg als Professor und Prediger berufen. Während seines dortigen Aufenthalts war er 1536 auf dem Fürstentage zu Frankfurt am Main, 1537 zu Schmalkalden und 1541 bei dem Religionsgespräche zu Regensburg. Im J. 1547 gerieth er in heftige Streitigkeiten mit seinem Collegen Theobald Thamer. Während des schmalkaldischen Krieges folgte er seinem Fürsten als Feldprediger. Nach seiner Rückkehr entbrannte der Streit mit Thamer noch heftiger als zuvor. Draconites erklärte auf der Kanzel, Thamer sei ewiglich vor Gott verdammt und als ein Uebelthäter öffentlich mit Ruthenstreichen aus der Stadt zu treiben, und übergab dabei alle Papisten, Wiedertäufer und Werkheiligen mit Thamer dem Teufel. Diese Streitigkeit und der Wunsch, für eine gelehrte Arbeit über die Verheißungen, Figuren und Gesichte einen Verleger und Drucker zu gewinnen, führten ihn von Marburg noch im J. 1547 hinweg. Er ging zunächst nach Nordhausen und Braunschweig, ward von hier durch den Rath dem Rath von Lübeck empfohlen und an dem letztgenannten Ort bei seiner Ankunft im J. 1548 sehr freundlich aufgenommen. Hier fand er auch den gesuchten Verleger für sein Werk. Ein Anerbieten Melanchthons, ihn nach Kopenhagen zu empfehlen, ward von ihm abgelehnt. Neben der Beschäftigung mit seiner gelehrten Arbeit wirkte er zu Lübeck auch durch sehr beifällig aufgenommene Vorlesungen über den Propheten Haggai, die später ebenfalls im Druck erschienen sind. Im J. 1551 ward er bei dem Streit zwischen Lorenz Mörske und den anderen Predigern zu Lübeck über die Nothwendigkeit guter Werke mit als Schiedsrichter zugezogen. Noch in demselben Jahre ward er von dem Rath zu Rostock als Professor der Theologie berufen. Er predigte hier zugleich in der Johanniskirche, welche damals noch keinen eigenen Prediger hatte.

Von diesem Manne erwartete nun der Rath, daß er als von ihm eingesetzter Superintendent ihn gegen die rostocker Geistlichkeit schützen und diese in diejenigen Grenzen zurückweisen werde, welche der Rath für die rechten hielt. An gutem Willen

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fehlte es ihm dazu auch nicht. Indessen war doch weder er selbst die geeignete Persönlichkeit, um der seiner Einsetzung zu Grunde liegenden Absicht zu genügen, noch die damalige Geistlichkeit zu Rostock aus so biegsamem Holz geschnitten, um dem wider sie in Bewegung gesetzten Einschüchterungs= und Zwangsversuche nachzugeben. Vielmehr knüpfte sich an seine Einsetzung ein Streit, welcher Jahre lang allen Vermittelungsversuchen Trotz bot.

Schon der Act seiner Einführung, welcher am 21. Octbr. 1557 stattfand, ward durch einen sehr stürmischen Widerspruch einzelner Geistlicher bezeichnet. Es waren nämlich dazu die Rostocker Geistlichen und die Pastoren von Kessin, Bentwisch und Rövershagen auf die Schreiberei zu 8 Uhr Morgens vor den Rath geladen. Ausgeschlossen von dieser Ladung waren jedoch die beiden Geistlichen an St. Nicolai, der Raster M. Georg Reiche und sein Sacrist (Diakonus) Joachim Bansow. Reiche fand sich jedoch, nach einer Besprechung mit Joachim Schröder, Pastor an St. Petri, dennoch ein und ließ sich in seinem Vorsatze, diese Gelegenheit zu benutzen, um eine kräftige Verwahrung gegen die Handlungsweise des Raths einzulegen, nicht stören durch die Versuche, welche der Rathsschreiber M. Peter Radke machte, um ihn wegzunöthigen. Als dieser den Versuch bereits mehrmals wiederholt hatte, sprach Reiche, wie er selbst in einem darüber aufgesetzten Bericht erzählt, wiederum mit großer Heftigkeit: "Ich gehe nicht also weg, sondern bitte: geht noch einmal hinein und sagt E. E. Rath, daß ich um Gottes Ehr und Namen willen bitte, sie wollten mich hören, daß ich nicht Ursache habe, andere Unruhe vorzunehmen, das vielleicht E. E. Rath nicht lieb sein möchte". Nun ward er vorgelassen und bat zunächst, drei oder vier Prediger als Zeugen zuzuziehen, was jedoch nicht gewährt ward. Nach Anführung einiger Sprüche in Betreff der rechten Führung des obrigkeitlichen Amtes sprach er laut seines Berichtes weiter: "Dieweil euch nun der allmächtige Gott so hart und ernstlich anredet und ermahnet, daß ihr ein recht Gericht sollet halten und Niemand sollet Gewalt noch Unrecht thun (da nahm ich ihr Mandat unter meinem Rock herfür) : wie kommt denn E. E. Rath dazu, daß er ein solch greulich, lästerlich Mandat hat lassen ausgehen wider die armen unschuldigen Prediger, damit nicht allein die Prediger, sondern die heilige göttliche Majestät, der Sohn Gottes und das ganze heilige liebe Predigtamt aufs Höchste geschmähet und geunehret wird, und weil ihr die Prediger nennet, so bin ich hier gegenwärtig, als ein armer unwürdiger Prediger, und begehre zu wissen, welchen E. E. Rath hiemit meinet, ob ihr auch mich

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damit meinet und mich der Laster zeihet, welche in eurem Mandat ausgedrückt sind". Als Bürgermeister Hinrich Gültzow (Rathsherr seit 1534, Bürgermeister seit 1542) hierauf eine ausweischende Antwort gab, hob Reiche noch einmal an: "Nicht also, meine Herren. Ihr sollt namhaft machen, welchen ihr meinet, daß nicht der Unschuldige mit dem Schuldigen verdammt und gelästert werde. Ich habe durch Gottes Gnade meine alten grauen Haare so weit bracht mit Ehren und hoffe zu Gott, daß mich Niemand mit Wahrheit meiner Lehre oder meines Lebens einer Schande und Laster überzeugen soll, habe auch ehrliche Freunde, die auch wie ihr am Gerichte sitzen, desgleichen meine armen Kinder, dieselben sollen durch Gottes Gnade und Hülfe keine Schande noch Laster von mir hören noch erleben. - Gott wird solche greuliche Unehre nicht ungerochen lassen, denn man sieht, daß euer Mandat ein lauter papistisch Werk und Verfolgung ist". Zuletzt gerieth Reiche noch mit dem des Papismus verdächtigen Syndicus in einen Wortwechsel, welcher eingestehen mußte, daß er das Sacrament in beider Gestalt in Rostock noch nicht empfangen habe. Hierauf entfernte sich Reiche und ermahnte die übrigen Prediger, ihm in seinem Verhalten gegen das Mandat zu folgen, was auch der Raster an St. Petri that, welcher jedoch kaum zu Worte gekommen war, als ihm Schweigen vom Rath geboten und damit der Schluß gemacht ward, daß Draconites als Superintendent anzuerkennen sei.

Dieser hatte mit der Uebernahme seines Amts selbstverständlich die Verpflichtung auf sich genommen, das Verhalten des Raths in der Angelegenheit der Vertreibung der Prediger zu vertheidigen und damit dann zugleich die Sonntagshochzeiten gegen diejenigen in Schutz zu nehmen, welche dieselben für verwerflich hielten. Er that das letztere, indem er den Gegensatz von Gesetz und Evangelium scharf betonte und die Freiheit vom Gesetz als das durch das Evangelium gewährte Gut darstellte, die Gegner aber als solche bezeichnete, welche einer widerevangelischen Auffassung huldigten. Vom Rath aber redete er überall nur Gutes und niemals hörte man aus seinem Munde auch nur den leisesten Tadel der Vertreibung der Prediger und der in dem Mandat gegen die Geistlichen gerichteten Anschuldigungen. Durch dies alles trat er Von vorn herein in ein feindliches Verhältniß zu der Geistlichkeit, die ihm als Superintendenten gehorchen sollte, sich dessen aber aus mehreren Gründen gleich Anfangs entschieden weigerte.

Das erste, was Draconites nach dem Antritt seines neuen Amtes ins Werk setzte, war, daß er im Auftrage der Bürgermeister und in Gemeinschaft mit dem Syndicus des Raths,

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Dr. Matthäus Röseler, welcher damals Rector der Universität war, die Aufforderung an die Studenten richtete, dem früher erwähnten Magister noch nachträglich das ihm vorenthaltene Hochzeitsgeschenk zu geben. Die Studenten aber ließen sich darauf auch jetzt noch nicht ein, sondern antworteten, wiederum auf des M. Arnold Rath, daß sie sich nicht dazu hergeben könnten, die mit dem dritten Gebote streitende Sitte der Sonntagshochzeiten zu befestigen. Da fiel ihnen Draconites in die Rede und Sprache "Es ist keine Sünde, am Sonntag Hochzeit zu halten, weil den Christen nicht das Gesetz aufliegt und Paulus spricht: Niemand möge euch richten in Speise oder in Trank oder im Sabbat".

Später wiederholte er in der Predigt ähnliche Sätzen "Diejenigen irren, welche uns aus freien Christen zu Knechten des Gesetzes und Sabbaths machen wollen; die Christen dürfen nicht mit dem Gesetz gezwungen werden, sondern man muß warten, bis sie aus freien Stücken und mit freiem Herzen ihre Pflicht erfüllen. Ich bin weder noch will ich sein ein Doctor legis, sondern das Evangelium habe ich im Munde und Christus im Herzen. Die Christen dürfen nicht mit dem Gesetz geschreckt werden. Wer das Gesetz predigt den Christen, der beleidigt Gott im Himmel. Trolle dich, Moses, trolle dich! Wer Andere aus dem Gesetz für Sünder erklärt und selbst ein Sünder ist, der sündigt doppelte Solche Sätze brachte er häufig auf die Kanzel. Anfangs schwiegen die Prediger meistentheils dazu, weil das Mandat und die Drohungen des Raths sie eben so wie die Bürger in Schrecken gesetzt hatten. Nach und nach aber schöpften sie wieder Muth und begannen in ihren Predigten des Draconites Lehre anzugreifen.

Der erste, welcher gegen die Lehrsätze des Draconites und zugleich gegen den Rath wegen Vertreibung der Prediger und wegen des Mandats auftrat, war der unerschrockene und eifrige Pastor an St. Nicolai, M. Georg Reiche. Er ermahnte seine Zuhörer, sich vor des Draconites antinomistischen Irrthümern zu hüten, und bediente sich dabei der Worten er wolle sie vor des losen Heuchlers und höllischen Drachen Heuchelei gewarnt haben. Auch trat er nochmals vor den Rath und machte die Mittheilung, daß er durch sein Amt sich verpflichtet finde, die Gottlosigkeit, welche überall aus dem Mandat hervorleuchte, zur Erweckung eines bußfertigen Sinnes, ihnen vorzuhalten. Der Rath erklärte jedoch, daß es ihm an Zeit fehle, ihn zu hören, und ersuchte ihn, seine Meinung schriftlich vorzutragen. In Folge dessen setzte M. Georg Reiche eine deutsche Schrift auf, welche er drei Tage vor Weihnachten 1558 (d. i. nach der jetzigen Bezeichnungsweise Weihnachten 1557, indem damals das neue Jahr

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schon mit dem ersten Weihnachtstage anfing) dem Rath zustelle. In dieser Schrift machte er damit den Anfang, daß er dem Rath ein fröhliches Neujahr wünschte, und zählte dann, in der Absicht, über seine Handlungen und Aussprüche Rechenschaft abzulegen, nach der Reihe acht oder neun in dem Mandat enthaltene Unwahrheiten auf, womit er eine ausführliche Ermahnung an den Rath verband, um ihn zur Erkenntniß seiner Sünde und zur Buße zu bewegen. Der Rath übergab diese Schrift dem Draconites und den übrigen Predigern zur Begutachtung, in der Hoffnung, dadurch den Streit in die Mitte der Geistlichkeit zu verpflanzen und den Angriff von sich abzulenken. Indessen wenn gleich Draconites die Reichesche Schrift vollständig verdammte, so erklärten doch fast alle übrigen Prediger, daß sie in derselben nichts Unrechtes oder Gottloses finden könnten.

III.

Inzwischen ward auch eine Schrift von Heshusius, in welcher er das Mandat in sehr heftiger Sprache einer weitläufigen Beurtheilung unterzog, hie und da verbreitet. Sie war in beider vertriebenen Prediger Namen abgefaßt und führte den Titeln Antwort Dr. Tilemanni Heshusii und petri Eggerdes auf das lügenhafte, ehrlos und gotteslästerliche Mandat der Bürgermeister und des Raths zu Rostock.

Im Eingange dieser Schrift bezeugt Heshusius seine Freude daß ihn die Verfolger des Evangelii gehöhnt und geschmähet hätten, indem er dadurch Christo ähnlich geworden sei, und spricht seine Hoffnung aus, daß fromme Christen und insbesondere die Gemeinde Gottes zu Rostock daran kein Aergerniß genommen haben würden, indem sie ja aus Gottes Wort wüßten, daß nicht allein den Propheten und Aposteln solches widerfahren sei, sondern auch dem Sohne Gottes Jesu Christo selbst, welcher auch weissage, daß es allen treuen Dienern des Wortes in der Welt also gehen werde. Dann fährt er fort: "Nachdem aber die Bürgermeister und Rathmanne der Stadt Rostock nicht allein als freche und frevele Tyrannen an uns Dienern des Evangelii öffentliche Gewalt geübet, sondern auch ein offenes Lügenmandat im Druck haben ausgehen lassen, darin sie ihre Mißhandlung und geübte Gewalt wider das Predigtamt beschönigen, uns aber aufs höchste verunglimpfen, schmähen unser Amt, verdammen unsere Lehre als ketzerisch und uns mit schändlichen Lügen beschweren, dadurch dann Gottes heiliger Name aufs Aeußerste wird gelästert und der heilige Geist in vielen frommen Christen betrübt, auch etliche schwache und ungegründete Christen

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verwirret sind, als sollten wir etwas dem göttlichen Wort ungemäß haben: so erfordert es nun die hohe Noth, sonderlich auf daß Gottes Name werde verteidiget wider die Lästermäuler und daß die einfältigen Christen einen rechten Bericht der Sachen haben möchten, daß wir auf das lügenhaftige, gottlose und gotteslästerische Mandat des Raths von Rostock etwas antworten. Und damit auch die Christen an anderen Oertern vernehmen mögen, was den Lügen, so die Rostocker in ihrem teuflischen Mandat ohne alle Scheu häufen, zu glauben sei, wollen wir zuvor unser Bekenntniß thun und danach von der Sache reden, so sich zwischen uns Predigern und dem Rath zu Rostock hat erhoben". Es folgt nun dies Bekenntniß, welches sich auf die Schriften der Propheten und Apostel beruft und alles, was der Lehre derselben zuwider ist, "als der Juden Abgötterei, der Türken Blindheit, der jetzigen Juden Gotteslästerung, der Ketzer, als Sabellii, Arii, Samosateni, Pelagii, Montani, Marcionis, Manichäi und aller Ketzer Lügen, der Papisten falsche Lehre, das Interim, Osiandri Irrthum", als "verdammte Lüge, Abgötterei und Gotteslästerung" verwirft. "Die Schrift aber der Propheten und Apostel verstehen wir nicht anders, denn wie sie aufs Einfältigste lautet und wie die Artikel christlichen Glaubens im Symbole Apostolico, Nicaeno, Athanasiano und in der Confession, die dem Kaiser Karl zu Augsburg a. 1530 ist überantwortet, sie erkläret, wie auch dieselbe Lehre des Evangelii ohne Verfälschung in den "Sechtzigisten" Städten als Wittenberg, Magdeburg, Lübeck und Hamburg wird gepredigt." Heshusius beruft sich dann auf die Treue, mit welcher er und sein College ihr Amt geführt hätten, und gelangt damit zu den Sätzen, über welche der Streit sich erhoben hatte, nämlich daß die Unbußfertigen vom Abendmahl auszuschließen seien, bis sie Buße gethan hätten, daß dieselben auch als Gevatter bei der Taufe nicht zugelassen werden könnten, daß sie eines christlichen Begräbnisses nicht würdig seien, und endlich daß die Sitte der Sonntagshochzeiten wider das dritte Gebot streite. Der Verlauf des Streites wird dann in der bereits angegebenen Weise erzählt.

Hierauf wendet Heshusius sich zu der Beurtheilung des Mandats und bemerkt in dieser Hinsicht u. A. Folgendes: "Die verrückten und besessenen Bürgermeister der Stadt Rostock haben auch ein öffentliches Lästermandat ausgehen lassen, darin sie sich gern wollten schmücken und ihre Mißhandlung vertheidigen. Sie zeigen aber gröblich an, wie sie weder Sinn noch Vernunft mehr haben und daß sie dem Worte Gottes gar spinnefeind sind und als die vom Teufel ganz Eingenommenen und Besessenen das Predigtamt gern mit Füßen wollten treten

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und Christum vom Himmel stürzen, welcher sie doch in Ewigkeit wohl werden lassen. So viel unsre Person anbetrifft, mögen wir uns erfreuen, daß die von Rostock solch eine Lästerschrift haben ausgehen lassen. Denn wir zweifeln nicht, es werde ein jeder Christ, der dieses Mandat liest und hört, greifen und fühlen, was unsre Widersacher für Leute sind, wie sie nicht allein ohne alle Liebe und Furcht Gottes sind, sondern auch ohne alle menschliche Vernunft und von vielen Teufeln besessen. Denn sie bekennen mit ihrem Siegel und Briefe, daß sie den Befehl Gottes von Haltung des Sabbaths trötzlich verachten und wollen den Feiertag nach Gottes Gebot nicht heiligen. Damit sie nicht für Sabbathsknechte gehalten werden und daß sie wider Gott und sein Wort wüthen und toben und allen Muthwillen üben, nennen sie eine christliche Freiheit, und wo sie um ihrer Missethat willen gestraft werden, das heißen sie einen tyrannischen Bedruck. Den christlichen evangelischen Bann, den der Sohn Gottes selbst mit seinem Befehl eingesetzt und bestätigt und die Gemeine Gottes zu allen Zeiten wider die Unbußfertigen gebraucht hat, verdammen sie als eine Tyrannei. Dazu ertichten sie so grobe, unverschämte, tölpische, teuflische Lügen, daß der Teufel in eigener Person nicht unverschämter reden mag. Denn da schreibt der Lügenrath von Rostock in seinem Lügenmandat, wir Prediger haben den Ehestand ein gottloses Ding und Sünde geheißen, so doch die ganze Gemeine zu Rostock weiß und zeugen muß, daß wir den heiligen Ehestand allezeit in der Predigt als eine heilige und selige Ordnung des allmächtigen Gottes haben gerühmt und gelobt".

"Zudem siehet man auch der Bürgermeister tyrannisch, teuflisch und mörderisch Herz wider das heilige Predigtamt, sintemal daß sie bekennen, daß sie uns nicht allein haben vertrieben, sondern drohen auch den anderen Predigern zu St. Petri und St. Nicolai, daß sie dieselben auch vertreiben und verjagen wollen, darum daß sie von ihnen zur Buße ermahnt sind."

"Ueber das so beeidigen sie und gebieten sie ihren Bürgern, daß sie der Prediger und ihrer Seelsorger, so sie verloren haben, nicht mit einem Worte gedenken sollten. Das mögen so freventliche, thurstige, trotzige und besessene Tyrannen und Verfolger der Prediger und Verächter der Gemeine Gottes thun. Darum sagte ich, daß wir für unsere Person wohl leiden könnten, daß der Lügenrath von Rostock solche Lästermandat und Lügenbrief wider uns nun viele ließe drucken, hätten auch wohl leiden können, daß sie uns beide mit Namen darin genannt hätten. Denn es ist uns eitel Ehre bei der Gemeine Gottes und frommen Christen, daß uns die besessenen und vom Teufel gefangenen Bürgermeister

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so höhnen und schmähen, wie auch Christus sagt Matth. 5: freuet euch und seid fröhlich, wenn euch die Menschen schmähen und alles übel wider euch reden; selig seid ihr, so sie daran lügen."

"Weil aber nicht allein unsere Person, sondern Gott selbst und sein heilsam Wort in dem teuflischen Mandat geschmähet und auch etliche Artikel göttlichen Worts als Ketzerei verdammet und das ganze Predigamt als aufrührerisch gescholten, wollen wir etliche Punkte des Bubenmandats erklären und die Lästerung der Lügenmäuler widerlegen".

"Anfänglich rühmen sie sich selbst mit vielen Worten, wie die Gottlosen pflegen, wie sie ihrer Gemeinde so wohl und treulich mit aller Kraft vorstehen, und des nicht allein mit gutem Frieden und Regiment wachten, sondern auch Gottes Wort mit allem Fleiß fördern. Was man vom Rühmen halten soll, will ich jetzt gehen lassen, wiewohl ich ihnen viele Artikel vor die Nase halten könnte, damit zu bezeugen ist, daß sie sich allezeit als öffentliche Feinde des Evangeliums und Verfolger der Wahrheit gezeigt haben. Man frage die alten Bürger, wie mit frommen Predigern wie Ern Joachimo Schlüter ist umgegangen, der zu Rostock zuerst das Evangelium hat gepredigt, welchem, da man ihn nicht konnte hinwegbringen, weil man die Gemeine fürchtete, hat man ihm eine falsche "Supffen" zugerichtet und ihn vergeben. Dem Dr. Herrn Henrico Smedenstedt habt ihr verdammte und blutgierige Bürgermeister die Kirche schier ein Vierteljahr verschlossen, und da euch die Fürsten von Meklenburg dazu gezwungen, daß ihr Feinde Gottes dem Doctori die Kirche mußtet wieder einräumen und mit Gewalt nichts durftet vornehmen, habt ihr den frommen, gottseligen und treuen Diener um 30 Silberlinge verkauft. Wie ist mir recht, ihr seid das mal etwas milder gewesen denn Annas und Kaiphas, denn ich habe mir sagen lassen, des Gerechten Blut gestehe euch wohl in die 500 Gulden. Schande ist wahrlich, daß der Diener mehr gegolten hat, denn sein Herr und Gott, wie ihr auch den Herrn Adeler täglich gemartert und geplaget habt mit eurer Tyrannei. Sind noch viel Leute, die es aus seinem Munde gehört haben."

"Auch vor anderthalb Jahren, da ihr Ern Petro (Eggerdes) ohne alle billige Ursache den Predigtstuhl verboten, habt ihr klärlich angezeigt, mit welchem teuflischen Haß ihr das Predigamt verfolget, und daß ihr ja zunehmet in eurer Tugend und väterlichen Sorge, so habt ihr jetzt nicht allein als freventliche und thurstige Tyrannen, sondern als mörderische und blutdurstige Hunde und öffentliche Feinde Gottes und seiner Diener eure Prediger, die Gottes Wort treulich gelehrt, mit

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tyrannischer Gewalt unverhörter Sachen und unerkannter Rechten verjagt und vertrieben, wie oben angezeigt und ihr selbst im jüngsten Gerichte müsset bekennen."

Er wendet sich dann zu der ersten Beschuldigung in dem Mandat. "Zum ersten "spiet" (speiet) und lästert der Teufel durch seine Bürgermeister in seinem höllischen satanischen Mandat wir Prediger haben die Bürger zu Rostock aus christlicher evangelischer Freiheit gebracht und sie in tyrannischen Bedruck gesetzt. Denn wir hätten sie gebannet, verdammet und mit der "villekule" (Schindanger) bedräuet." Indem er dann näher auf diesen Vorwurf eingeht, bestimmt er den Begriff der christlichen Freiheit dahin, daß wir durch den Mittler Jesus Christus von der Tyrannei des Todes und des Teufels, vom Zorn Gottes und ewiger Verdammniß, vom Fluch des Gesetzes und Gewalt der Sünde entfreiet sind, und diese Lehre hätte er und Eggerdes stets gepredigt. Dieser Freiheit aber sei es nicht zuwider, daß sie den unbußfertigen Menschen mit Gottes Gericht gedrohet hätten. Denn wer in seiner Sünde sich verstocke, dürfe sich nicht der christlichen Freiheit rühmen, sondern sei des Teufels und der Hölle Gefangener und des ewigen Todes leibeigener Knecht. Solche Unbußfertige hätten sie nach Laut der meklenburgischen Kirchenordnung und aus Gottes Befehl zum Sacrament des Altars nicht zugelassen und von der Kindertaufe gewiesen und ihnen angezeigt, daß sie des Esels Begräbniß zu gewärtigen hätten. Wer wissentlich einen Unbußfertigen zum Abendmahl gehen lasse, der verachte Leib und Blut Christi und setze sich mit dem Befehl, die Sünden zu lösen und zu binden, in Widerspruch. Die Verreichung des Sacraments an den Unbußfertigen sei eine bewußte Sünde, da man ja wisse, daß ein solcher die Vergebung der Sünde nicht habe, ihm aber vorlüge, daß er sie habe. Anstatt ihm seine Sünde vorzuhalten, bestärke er ihn darin und morde dadurch seine Seele. Ebenso könne Niemand leugnen, daß es Gottes Befehl sei, die Unbußfertigen, welche mit groben äußerlichen Lastern, als Mord, Ehebruch, Diebstahl, Hurerei, öffentlicher Feindschaft, Wucher, Irrthum, Gotteslästerung, Zauberei, besudelt, davon nicht ablassen wollen, nicht lasse Gevatter stehen. Denn man solle nicht mit den Ungläubigen an einem Joch ziehen und keinerlei Gemeinschaft mit den Gottlosen haben. Dies wird durch viele Sprüche und Beispiele der Schrift belegt. Ebenso müsse der Christ von dem Unbußfertigen auch bei dessen Begräbniß sich absondern. Es sei ein Mißbrauch des göttlichen Worts, wenn man die, welche dieses Wort bis in den Tod verachtet haben, mit christlichen Gesängen und Ceremonien ehre. Dadurch mache man Gottes Wort dem Gottlosen

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zum Schanddeckel, gleich als sei der Feind Gottes christlich gestorben und habe auch Hoffnung der fröhlichen und seligen Auferstehung. Zudem sei das christliche Begräbniß ein öffentliches Zeugniß der Gemeine, daß der Verstorbene in Gottes Erkenntniß und Anrufung verschieden sei und die Gemeine gebe daher durch christliche Beerdigung einem Gottlosen ein falsches Zeugniß, als habe er Hoffnung des ewigen Lebens, während er doch zum ewigen, höllischen Feuer von Gott verurtheilt und verdammt sei. Gott drohe auch selbst mit des Esels Begräbniß und "ville kulen", Jerem. 22: "Er soll wie ein Esel begraben werden". Als Zeugnisse in diesem Sinne werden auch angeführt 2. Chron. 22, Luc. 9 u. s. w.

So hätten sie gelehrt, dem Worte Gottes gemäß, aber diesen ihren treuen Dienst verkehrten "die verfluchten Bürgermeister" also, daß sie sie beschuldigten, die Gemeine aus christlicher Freiheit gebracht zu haben. Er wendet sich hierauf zu dem Begriffe, welchen die Gegner mit dem Worte "christliche Freiheit" verbinden:

"Wolan, ihr verdammten Eselsköpfe und höllischen Feinde der Wahrheit, sagt an, was christliche, evangelische Freiheit sei. Ihr denket vielleicht, die christliche Freiheit sei, daß ihr nach eurem frechen Willen möget glauben und leben, alle Sünde ungewehret und ungestrafet thun, daß ihr Gott und sein Wort trotzlich möget verachten, die Lehre des Evangeliums schändlich schmähen und lästern, den Predigern des göttlichen Worts allen Schmach und Hohn anthun, auf den heiligen Feiertag keine Predigt hören, sondern Wirthschaft anrichten, fressen und saufen, den Vogel schießen, in den Schüttingen zechen und den Predigtstuhl reformiren, dazu alle Werke des Fleisches thun, die Kirchengüter an sich bringen und dem Armen in Hospitalen das Brot aus dem Munde nehmen, schändlichen Wucher treiben, Hurenhäuser nicht allein stiften und schützen, sondern auch selbst Hurerei, Ehebruch und allerlei Schande allda treiben und was der Werke mehr sind. Solches thun mögen und dennoch wollen ungestraft sein Von Gottes Wort, ja auch den Himmel und das ewige Leben wollen unversagt haben, soll eine evangelische Freiheit sein".

"Wie dünket dich, lieber Christ, um solche freie Gesellen, meinst du nicht, die von Rostock haben das Evangelium recht studirt in den dreißig Jahren? Aber ihr verdammten Lästerer und Verfolger des heiligen Evangelii, wollet ihr euren verdammten Muthwillen nun christliche Freiheit heißen? Meinet ihr Bösewichter, daß der eingeborene Sohn Gottes darum sei Mensch geworden und habe im Garten Blut geschwitzt, den Zorn Gottes getragen und am Kreuze sich tödten und verfluchen lassen, auf

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daß ihr desto mehr Freiheit hättet, zu sündigen und mit eurem gottlosen Leben den allmächtigen Gott zu zürnen und wider sein Wort zu leben? Nein, nicht also, es ist andere Ursache, darum der Sohn Gottes Blut hat vergossen, und eine andre Freiheit ist uns durch Christus erworben, die euch gottlosen Buben zu Rostock unbekannt ist, und ihr die nicht achtet, die Gemeine Gottes aber kennet und liebet sie als ihren höchsten Schatz." - -

"So auch Christus mit seinem Blut vom Zorn Gottes erlöst und aus der Gewalt des Teufels errettet, so habt ihr nicht eine wolfische, satanische, höllische und rostocker Freiheit zu sündigen, sondern eine rechte christliche evangelische Freiheit." - "Hörst du toller und unsinniger Geist von Rostock, was dir Paulus sagt? Aber du fragest viel nach Paulo. Die christliche Posaune schreiet und schallet dir viel zu hart in die Ohren durchs Predigamt, darum erdenkst du Tücke und Ränke, daß du das Predigamt mit Füßen tretest und suchest sittige, manierliche (wie du redest und geiferst) und sein stille Prediger, die dir nicht so hart posaunen, daß du möchtest von deinen Sünden aufwachen, sondern pfeifen dir sein leise und sanft, daß du ja in deiner evangelischen, ja teuflischen Freiheit sollte ich sagen, nicht gestöret wirst. Aber das sollt ihr wissen, beide Pfeifer und Ehrenspötter, es wird Gott einmal vom Himmel posaunen,

"Des sind wir aber wohl bekannt, daß wir die wolfische, teuflische und höllische vermeinte Freiheit der Teufelsknechte von Rostock nicht billigen noch loben. Sind doch die Heiden viel redlicher und vernünftiger gewesen, denn der unsinnige und besessene Rath von Rostock ist. Cicero lobt den Spruch Crassi: legum servi sumus, ut liberi esse possimus. Denn das ist eine rechte Freiheit, ehrlich, redlich, göttlich nach dem Gesetze leben; so viel Sinn und Vernunft haben die Lasterknechte und Schanddiener von Rostock nicht, denn sie meinen, das sei Freiheit, wenn sie Fleisch fressen, saufen und schlemmen mögen, in keine Predigt gehen, kein Sacrament begehren, alle Schande und allen Muthwillen treiben und gleichwohl von keinem Prediger wollen gestraft sein, ja die Prediger ihres Gefallens höhnen, vertreiben und verfolgen." -

"Also siehst du, wie der Teufel nicht allein die Wahrheit spottet und Gott im Himmel lästert, sondern sich selbst zum Gott setzet mit seinem Gaukelmandat. Aber es plaudere und plärre der Teufel sammt seinen besessenen und gefangenen Bürgermeistern, Hunden und Drachen, was er will, so wissen wir doch, daß er ein Lügenmaul ist." - "Dieweil die

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Bürgermeister zu Rostock Gott lästern, das Predigamt hassen und die Diener Christi verfolgen und vertreiben, so sind sie nicht freie Christen, sondern des Teufels und des Todes gefangene verstrickte Knechte und unter die Sünde verkauft, also daß sie der Teufel treibt und führt, wie etwa ein Jäger eine Koppel Hunde führt oder ein Schweinhirt die Säue forttreibt, wie wir auch täglich erfahren, daß sie der Teufel aus einer Sünde in die andere treibt und von Tag zu Tag mehr rasend und toll macht, bis er sie endlich in die ewige Verdammniß stürzt." -

Heshusius wendet sich in seiner Vertheidigungsschrift dann zu dem zweiten in dem Mandat erhobenen Vorwurf:

"Zum Andern beschuldigen uns die Bürgermeister der Stadt Rostock, daß wir ihnen in ihr politisch Regiment haben gegriffen und gelehret, der Ehestand sei Sünde und gottlos Ding, um des jüdischen pharisäischen Sabbatbs willen. Hie soll sich Niemand wundern, ob er gleich das Widerspiel weiß und versteht, daß die Rostocker grobe unverschämte ertichtete Lügen vorgeben. Denn wir haben droben gehört, daß der Rath von Rostock die wolfische Freiheit hat unverschämt zu lügen, zu fluchen, zu huren, zu morden, zu lästern und allerlei Werke des Teufels zu thun". -

"Was wir vom heiligen und seligen Ehestand gelehrt, weiß die Gemeine Gottes binnen Rostock, welche meine Predigt haben gehört, und das kann uns unser Gewissen Zeugniß geben trotz dem Teufel in der Hölle und allen gotteslästerischen Bürgermeistern der Stadt Rostock, daß wir den Ehestand mit allen Kräften haben geehret und gerühmet, und weiß mich auch zu erinnern, daß etliche Rathmänner dazumal in meiner Predigt gewesen, als ich die Lehre vom Ehestande habe gehandelt und den Rath seines Amts erinnert, daß sie die Hurenhäuser, so binnen der Stadt Rostock sind, abschaffen und die unzüchtigen Personen verweisen sollten. Denn eine Obrigkeit wäre nicht dazu berufen, daß sie sollten Hurenvögte sein, wie sie in vielen Städten sind, sondern Götter nennet sie die Schrift, daß sie an Gottes Statt Zucht und Ehrbarkeit sollen erhalten." -

"Ihr wisset, daß viel irriger Sachen in allen Gemeinen vorfallen und sind bei euch zu Rostock viel betrübte Ehesachen, in welchen die Leute oft Hülfe und Rath begehren. Hie hindert Niemand mehr den Ehestand denn der gottlose Rath, welcher nicht will, daß man ein Consistorium und geistlich Gericht zu Rostock anrichte, wie sie denn dawider auf allen Landtagen protestiren."

"Zudem seid ihr auch durch viele fromme Prediger vermahnet, daß ihr die unzüchtigen Häuser sollt abschaffen. Aber

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dem Ehestand seid ihr also Feind, daß, wo kein Hurhaus wäre binnen Rostock, ihr würdet erstes Tages eines bauen lassen."

Aber so sehr gerade im Gegensatz zum Rath sie den Ehestand als einen von Gott gestifteten ehrten, so müßten sie doch darauf bestehen, daß die Hochzeit nicht auf einen Feiertag angesetzt werde. Denn Gott gebiete: du sollst den Feiertag heiligen. "Auf diesem Grund und Felsen stehet unsere Sache und bieten Trotz den besessenen Bürgermeistern, Doctor Cynicus und Doctor Drach und Otterngezüchte und allen Feinden des Sabbaths, auch dem Satanas in der Hölle. Laß sehen, ob sie diesen Grund werden umstoßen; denn du Gotteslästerer weißt sehr wohl, auch deine Doctores Drachen und Hunde wissens auch, daß solch Gebot nicht von Menschen ertichtet noch von Engeln erfunden sei, sondern die ewige göttliche Majestät, Gott der Vater, Sohn und heiliger Geist haben diesen Befehl auf dem Berg Sinai dem ganzen menschlichen Geschlecht gegeben und verkündiget." -

"Es wissen aber alle gläubige verständige Christen, daß in diesem dritten Gebot "heiligen" heißt: die Zeit mit Gottes Wort zubringen, sich aller äußerlichen Werke, die das Predigamt und Betrachtung göttlichen Worts verhindern, als pflügen, säen, ernten, bauen, Holz hauen, Wirtschaft machen, Vogel schießen, backen, brauen, Kaufhandel treiben, schmieden, Kleider machen und dergleichen, enthalten und dagegen die Zeit über Gottes Wort fleißig hören, lesen, betrachten, lernen, fleißig beten, Gott für seine Wohltaten danken, das Predigamt befördern, die Sacramente gebrauchen, dem Gesinde die Lehre des Katechismus vorhalten und was der Werke mehr sind, damit nicht dem Bauch, sondern der Seele wird gedient." - -

"Solches Gebot haben wir nun Gott zu Ehren und der Gemeine zu ewigem Heil und Seligkeit getrieben und gelehret, daß man die Wirthschaften auf den Feiertag nicht soll halten, weil das Amt des Evangelii wird dadurch verhindert. Das ist nun die große Sünde, darum wir von dem gottlosen Rath zu Rostock sind vertrieben."

"Wer ist denn nun so kühn, daß er thäte sagen, daß die Wirthschaften das Predigamt nicht verhindern?"

"Der Lügenrath von Rostock durch seinen Lästergeist und nach seiner Freiheit that es wohl sagen, aber beweisen kann ers nicht. Denn das müssen alle vernünftige und wahrhaftige Menschen bekennen, daß wenn die Wirthschaften auf den Sonntag gehalten werden, alsdann viele hundert Menschen verhindert werden, daß sie die Predigt nicht können hören. Die Braut und Bräutigam, beiderseits nächste Freunde, die Diener, so Speise und alles müssen zurichten, haben so viel zu schaffen, daß

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sie nicht einmal auf die Predigt gedenken, und wenn man alsbald auf den Nachmittag die Hochzeit anfängt, wie zu Rostock gewöhnlich, da werden die Hochzeitsleute von der Predigt abgehalten. Dies ist ja so klar, daß kein Mensch oder kein Teufel der Hölle, auch der Lügenrath von Rostock nicht, dawider kann reden."

"Solches weiß der gotteslästerliche Teufel wohl. Darum hält er auch so fest darüber, daß die Wirthschaften auf den Sonntag nicht werden abgethan; nicht daß ihm etwas am Ehestand gelegen sei, denn dem ist er Spinnefeind und wollte, daß weder Ehemann noch Ehefrau auf Erden wäre; sondern darum, daß er väterliche Vorsorge trägt, es möchten zu viel Leute zur Predigt gehen und etliche mehr aus seiner Gewalt erlöst und zu Gott bekehret werden. Da hindert er mit allen Kräften, speiet seinen mordlichen Haß wider Gottes Wort in die Bürgermeister, verjaget die treuen Prediger, beschmeißt das Papier mit seinem Lügen= und Lästermandat, schreiet von Freiheit, klaget über Tyrannei, rühmet alte Gewohnheiten und Privilegien, verdammet und ketzert die Prediger als Aufrührer, wüthet und tobt wie ein unsinniger Satanas, daß ihm sein Reich werde genommen." -

"Wenn wir den Teufel und sein Reich so wohl nicht kennten, so würden wir uns verwundern und auch erschrecken, daß ein ganzer Rath einer solchen Stadt sich also auflehnen soll wider das klare und helle Gebot Gottes und so fest halten soll über einer schändlichen, unchristlichen und teuflischen Gewohnheit, dadurch vieler Menschen Seligkeit wird verhindert. Ich rede nicht vom Ehestand, daß du Lügenrath meine Worte nicht verkehrest, sondern von deinem Gebrauch, daß du die Hochzeiten wider das dritte Gebot auf den heiligen Sonntag anrichtest und damit dem Evangelium so großen Schaden thust. Ich habe zu Rostock nur ein Jahr gepredigt und habe dennoch in meiner Pfarre auf einen Sonntag in die sechs oder sieben Paar Eheleute aufkündigen müssen. Wie viele hundert meinst du wohl, daß auf den Sonntag sind verhindert worden, die Predigt zu hören? - -

"Ich bin berichtet, daß sie also von ihrem vermeinten Superintendenten Dr. Drach und von ihrem Cynico Dr. Hundt, Ketzermeister zu Rostock, und anderen Eselsköpfen und Suppenpredigern werden gelehret, das dritte Gebot gehe uns Christen nichts an, wie sie denn in ihrem Mandat des jüdschen Sabbaths der Meinung gedenken, und es sei nicht allein frei zugelassen und willkürlich, auf den Feiertag Hochzeit zu machen, sondern es sei auch ein christliches, herrliches Werk und ein sonderlicher Gottesdienst, und solche ihre Meinung zu bestä=

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tigen, speien und kotzen sie unter die Bürger viel vom Teufel ertichteter Argumente, die Christen wider Gottes Wort irre zu machen." - "Daß der Lügendoctor sein Drachengift ausspeiet und spricht, das dritte Gebot, ja das ganze Gesetz gehe uns nicht an, wie denn der Eselskopf im Consistorio zu den Studenten die Worte hat geredet, thut er wie ein verzweifelter und verdammter Lästermaul und Lügenprediger." - -

"Wie kommt denn der Lügengeist von Rostock dazu, daß er so unverschämt lästert und speiet in seinem Lügenmandat, wir haben den Ehestand ein gottlos Ding geheißen um des jüdschen Sabbaths willen, welches doch beides schändlich erstunken und erlogen ist. Denn wir lehren, daß der Ehestand ein heiliger Stand und Gottes Ordnung ist, wenn gleich die Eheleute auf den Ostertag würden gesegnet. Denn obgleich die Eheleute mit Verachtung des Predigamts sündigen, so bleibt doch der Ehestand von Gott geordnet, heilig und gut, und den jüdischen Sabbath wieder anzurichten, ist uns nicht in den Sinn gekommen, wie das auch alle Bürger binnen Rostock zeugen können, auch die besessenen Bürgermeister selbst, ob sie uns gleich Todfeinde sind, um der Wahrheit willen. Auch wundert mich, wie der Eselskopf Dr. Drach so ein grober "Tulpel" (Tölpel) ist, daß er sagt, das dritte Gebot gehe uns nicht an, so er doch weiß, daß wir nicht vom siebenten Tag, sondern von der Heiligung streiten." - "Zum anderen geben sie vor, unsere Lügenprediger zur Liebfrauen sammt ihrem Doctor Esels, der Ehestand sei ein heiliges Werk; weil denn heilige Werke auf den Sonntag befohlen seien, so ist es recht, Wirthschaft halten." Diese Ansicht wird dann als eine irrige dargethan.

"Darum soll ein jeder fromme Christ sich vor der Verachtung des dritten Gebots hüten. Ists nicht Sünde und Schande, daß wir Christen uns hierin sperren, das uns zu ewigem Heil und Seligkeit verordnet ist. Ich meine, man spüret wohl, wie hoch es die Noth fordere, daß man die Leute reize und führe zum Predigamt. Wie viel sind wohl unter uns Christen, die die christliche Lehre recht gründlich verstehen und rechten Bericht anzeigen können von Artikeln christlichen Glaubens? Woher kommts aber denn, daß man selten zur Predigt gehet und die Feiertage gewöhnlich mit Fressen und Saufen, Spielen, Vogelschießen, Spazieren, Wirthschaft halten, Gastgehen und Banketiren zubringt? Denn der teuflische Wahn ist in vielen Leuten, daß sie denken, wenn sie nur eine Predigt oder das Evangelium gehöret, so sei der Feiertag geheiligt, wenn sie gleich in der Kirche geschlafen oder die Zeit der Predigt mit unnützem Geschwätz zugebracht haben." - "Ein jeder Hausvater ist vor Gott schuldig

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seine Kindlein und Gesinde zu unterrichten im Katechismus; wie viel sind aber der Christen, die das thun? Darum findet man auch so großen Jammer bei dem Gesinde, daß es nicht genugsam zu beweinen ist. Denn da sind wenig Knechte und Mägde, die ihren christlichen Glauben recht wissen. Fragt man sie, wie man Gott soll anrufen, wie man soll selig werden, da sind sie stummer denn kein Fisch. Woher kommt denn dieser Jammer, denn daß man den Feiertag nicht heiliget, das Predigamt nicht liebet. Darum ach und wehe immer und ewiglich über den Lügenrath und Feind des Predigamts, die mit Wirthschaften und anderem Thun der Leute Seligkeit verhindern, dafür sie im höllischen Feuer brennen werden."

"Zudem fluchet und lästert der Lügenrath in seinem satanischen Mandat, man sei der Obrigkeit ungehorsam gewesen, und will hie mit Verlaub ein Theologus sein, führet die Sprache Pauli Röm. 13, dräuet auch mit Leibesstrafe, gibt uns Schuld, wir haben nach Aufruhr gestanden und lästert wie ein unsinniger Teufel aus der Hölle. Es ist aber dem Lügenrath bald zu antworten. Denn so viel unsere Person anlanget, haben wir mit Gottes Hülfe die Obrigkeit geliebet und geehret. So viel aber unser Amt anbetrifft, haben wir nicht allein Bauern und Bürger, sondern auch Bürgermeister und Rathmannen, einen jeden unangesehen, welchen Stand er geführet, gestrafet, da er wider Gott und sein Wort gehandelt. - Daß die Gottlosen aus dem heiligen Geist, der im Predigamt redet, einen Aufrührer machen, ist nicht neu, sondern der Welt alte Gewohnheit und Gebrauch. Christus muß auch ein Aufrührer sein, item Paulus, Jeremias, Athanasius und in summa alle treuen Prediger müssen den Namen führen. Daß aber der Lügenrath meldet, die Prediger haben in einer freien Stadt Conjuration, Conspiration, argwonige Conventicula gehabt, hält sich also, daß wir Prediger zu Rostock alle Wochen auf den Mittwoch zuhauf kommen und uns von der Lehre und danach von den Gebräuchen, so in unserer Gemeine wären, unterreden, wie das nicht allein in allen christlichen Städten gebräuchlich ist, sondern auch mit dem Exempel der Apostel (Act. 15) zu bezeugen und zu bewähren."

"Weil aber der verfluchte und Lügenrath der Stadt Rostock die christlichen Colloquia, d. i. Unterredungen der Prediger, nennt argwonische Conventicula, Conjuration, Conspiration und dazu öffentlich dräuet den Predigern, so sieht ein jeder vor Augen, daß der Lügenrath zu Rostock mit vielen Teufeln muß besessen sein. - Gott, der ein Richter ist des Predigamts, wolle durch seinen lieben Sohn Jesum Christum den verdammten Buben steuern

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und seine betrübte Gemeine ohne Trost seines Wortes nicht lassen."

"Zum letzten beeidigen und gebieten sie auch ihre Bürger, daß sie der Sachen d. i. des dritten Gebots nicht sollen gedenken. Solche teuflische und tyrannische Tücke, damit die Christen zu drücken, wird der Ketzermeister Dr. Hund erdacht haben und ist fürwahr ein schrecklicher, grausamer, teuflischer Griff, darin der Feind Gottes nicht allein die Gewalt der Obrigkeit, sondern auch Gottes heiligen Namen mißbrauchen will zur Vertilgung göttlichen Namens und der Christen Bekenntniß, wie seine Gewohnheit". -

"Bisher haben wir mit Gottes Hülfe auf das verfluchte, satanische und höllische Lästermandat der besessenen Bürgermeister und Lügenraths der Stadt Rostock, so viel wir nöthig achten, geantwortet. Denn daß man ihnen auf ein jedes Schmähwort, das sie aus Eingebung des Teufels und nach ihrem satanischen Haß wider Gott viel ausspeien, sollte antworten, ist von unnöthen. - Wir müssen auch noch etwas antworten Meister Kluglein und seinen Verwandten. Denn es sind etliche des heiligen Geistes Schulmeister, welche die einfältigen Christen mit ihrem Heucheln und unzeitiger, ja teuflischer Klugheit auch irre machen und sich vernehmen lassen, ob sie gleich bekennen, daß die Lästerworte Peter Brümmers grausam sind und zu strafen, dennoch wollten sie gern, daß wir etwas gelinder mit der Sache wären umgegangen und nicht allein auf Gottes Wort gesehen, sondern auch der alten Erzhure Sophiae zum Theil gefolget, welche die Prediger bei Haus und Hof pflege zu erhalten. Auch klagen die verdammten Bürgermeister, man habe ihnen in ihren Glimpf und Ehre gegriffen. - Zum ersten tadeln in unserer Predigt des heil. Geistes Zuchtmeister, die dem heiligen Geist vorbuchstabiren, wie er im Predigamt reden soll, daß wir viele zu harte und ungewöhnliche Worte gebraucht, und sonderlich ficht sie das an, daß ich Tilemannus habe gesagt, Peter Brümmer habe als ein ehrloser Mann die Lästerworte geredet. Denn daraus will folgen, so er ehrlos sein solle, so muß er den Rathsstuhl nicht besitzen. Hie nimmt mich groß Wunder, wie Meister Kluglein sammt seiner Angsthure Sophia so vergessen, ja so blind und verstarret ist, daß er das Wort ehrlos ansieht und das Wort gottlos, welches zehnmal mehr ist, fahren läßt. Da mag ja Jedermann greiflich spüren und merken, wie die verdammte Welt sammt ihrem Hurenkind Tochter Sophia so hoffährtig und trotzig den lebendigen und heiligen Gott im Himmel verachtet, sintemal sie frei bekennt, sie könne und wolle Gottes wohl entbehren. Aber Ehre wollen sie haben, auch unangesehen, daß sie Gott und sein Wort hassen und lästern." - -

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"So ein Dieb und Mörder darum, daß sie ohne Gerechtigkeit, ehrlos sind, viel mehr muß ein Gotteslästerer ein ehrloser Schelm sein, dieweil er nicht allein ohne Gerechtigkeit ist, sondern auch dem Brunnen aller Gerechtigkeit Feind ist. Auch ist kein Diebstahl, kein Mord und Unzucht so groß und greulich, wenn auch gleich ein Sohn den Vater erwürget oder ein Vater seine Tochter beschliefe, denn da ist die Gotteslästerung. Wie ist denn möglich, daß solcher bei Ehren bleibet? Siehe zu, was Moses für ein Urtheil über solche Gotteslästerer fället, der macht ihn nicht allein zum Schelm, sondern er führet ihn zum Rabenstein und ville kule und spricht, Gott habe befohlen, man soll ihn steinigen. Nach welchem Urtheil auch der Aegyptische Mann, der den Namen Gottes hatte gelästert (wie jetzt Peter Brümmer gethan), aus dem Lager geführet ist und von den Kindern Israel gesteiniget".

In seinem Verhalten gegen die Prediger habe Brümmer Gott selbst gelästert, dessen Wort sie verkündigten. "Also siehst du, frommer Christ, wie eine verfluchte, ehrlose und verdammte Sünde Peter Brümmer mit seiner Gotteslästerung beging. Darum ich auch bekenne, daß ich viel zu wenig geredet habe und sollte billig viel mehr und härtere Worte gebraucht haben, damit die grausame Gotteslästerung desto klarer angezeigt würde. Denn welche Sünde das sei, Gottes Namen und heiliges Wort lästern, kann kein Mensch ausreden. Darum wisse Peter Brümmer, daß er nicht allein ein ehrlos Mann sei, so lange er in der Sünde beharret, sondern auch, das mehr ist, ein gottloser, christloser, geistloser, kirchloser, liebloser, friedloser, glaubloser, leibloser, freundloser, zuchtloser, heilloser, treuloser, eidloser, gnadhülf= und trostloser und von Gott verstoßener Mann sei und soll mit Wahrheit ein loser Mann heißen. Denn er von aller Gottseligkeit und Heil los und abgeschnitten ist. Dagegen soll sein Titel sein, daß er voller Sünde und Ungerechtigkeit sei, voller Feindschaft wider Gott und Gotteslästerung, und voller Teufel und höllischen Feuers, und wenn ich noch hundertmal mehr sagen könnte, würde ich dennoch viel zu wenig von diesem Gotteslästerer und Feinde der Wahrheit sagen. Das sei vom ehrlosen Brümmer geredet, darauf auch jeder Christ verstehen kann, daß mein Bruder Er Peter Eggerdes recht geredet hat, daß er ihn einen Meineidigen genömet hat. Denn Peter Brümmer hat in der Taufe einen Eid gethan, bei Gott und seinem Wort zu bleiben. Nun ist er aber von Gott abtrünnig geworden und hat sich als ein Feind, Gotteslästerer, gott= und ehrloser Schelm mit dem Teufel verbunden, die Wahrheit und sonderlich das dritte Gebot Gottes und das Predigamt

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zu verfolgen und zu vertilgen. Zum andern mißfällt den Sanftpredigern, die also Gottes Wort führen, daß die großen Hänse nicht erbittert werden und sie ihre feisten Präbenden behalten, daß wir den Peter Brümmer von der Kanzel mit Namen genömet haben, und meinen, man sollte ihn erst heimlich zur Buße ermahnt haben." Aber es sei ein großer Unterschied zwischen öffentlichen bekannten halsstarrigen und freventlichen Feinden der Wahrheit und schwachen Christen, die aus menschlicher Schwachheit und vom Teufel übereilt sündigen. "Daß Peter Brümmer nicht ein Bruder, sondern ein Feind Christi sei, hat er genugsam bewiesen. Denn dies ist nicht das erste Mal, daß er sich wider das Predigamt hat aufgelehnt. Vor anderthalb Jahren, da Er Peter diejenigen auch strafte, die dem Feind des Evangelii Detlevius nachfolgten im Begräbniß, ist Peter Brümmer ein Ursacher und Anhänger gewesen, daß Er Peter Eggerdes unverhörter Sache und unerkannten Rechts vom Amt entsetzt ward. Solcher Mutwille wider Gottes Diener ist ihm nie leid geworden, ja vielmehr darin fortgefahren und andere darin gestärket. Auch habe ichs das Jahr wohl erfahren, welches Herz er zum Predigamt trägt. Denn er hat sich sammt anderen Rathmannen stets mit allen Kräften dawider gelegt, beide auf Landtagen und auch sonst, daß die christliche Visitation, so die Fürsten vorgenommen, nicht möchte fortgehen, auch daß die hohe Schule von den Fürsten nicht würde bestellet und confirmiret. Item den Dr. Venetum hat er sammt anderen Rathmannen vorhindert, daß er in seinem ordentlichen Beruf nicht möge dienen, und wie er sammt dem ganzen Rath die frommen Diener des Worts binnen Rostock stets habe verunglimpft und geschändet, das weiß ein jeder fromme Christ binnen Rostock. Was soll man nun diesen noch brüderlich vermahnen? Ja, wenn einer donnern könnte im Predigen, wie die Propheten gethan, das wäre bei diesem elenden Menschen wohl nöthig, daß er zurückdächte und Gottes Zorn lernte fürchten." -

"Wenn das Laster offenbar und Jedermann bekannt und stadtrüchtig ist, was will man denn verhalten? Diese Gotteslästerung Peter Brümmers ist nicht heimlich geschehen, sondern vor der ganzen Bürgerschaft, in die 600 oder 700 Bürger haben sie angehört." Daß der Name öffentlich genannt sei auf der Kanzel, dafür werden dann verschiedene Schriftstellen als Rechtfertigung aufgeführt z. B. 1. Tim. 5: Die da sündigen, strafe vor allen, auf daß andere sich fürchten. Dann schließt Heshusius seine Schrift mit folgenden Worten: "Darum sollen die Christen wissen, daß wir Recht daran gethan haben, daß wir den Gotteslästerer Peter Brümmer mit Namen genannt haben

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und noch nennen, auf daß er wisse, die Strafpredigt gilt ihm, und er sich vor Gottes Gericht fürchte und Buße thue; wo er aber verharren will in der Sünde, daß die ganze Gemeine wisse, Gott werde diesem seinen Feind mit dem höllischen Feuer bezahlen. Dies wollen wir dem Lügenrath auf seine Lästerschrift haben geantwortet und bitten Gott, er wolle seine betrübte Gemeine trösten und den blutdürstigen Tyrannen steuern durch Christus, wie er wohl thun kann. Amen."

IV.

Unter dem Einflusse dieser Schrift, so wie der Bestrebungen des Pastor Georg Reiche verstärkte sich die Partei der vertriebenen Geistlichen im Anfange des J. 1558 auch innerhalb der Bürgerschaft sehr ansehnlich und die Erbitterung gegen den Rath und insbesondere gegen den Bürgermeister Brümmer griff immer weiter um sich. Klagend und murrend gedachten die Bürger der Vertreibung der Prediger, und da Brümmer überdies durch seine Theilnahme an der Bewilligung der Landescontribution das Mißfallen derselben erregt hatte, so wußten sie in einer wegen dieser letzteren Sache berufenen Versammlung am 16. April 1558 die Entfernung Brümmers aus dem Rathe durchzusetzen.

Ebenso unbeliebt wie Brümmer bei der Bürgerschaft war, ebenso wenig vermochte Draconites sich bei der Geistlichkeit Eingang und Ansehen zu verschaffen. Die letztere vereinigte sich mit ganz geringen Ausnahmen dahin, nicht ferner sich an Sonntagshochzeiten zu betheiligen. Am 24. April 1558 trat Matthäus Flege (Musca), Prediger an St. Marien, öffentlich mit einer solchen Erklärung auf. Als ihn hierauf der Rath ernstlich und wiederholt aufforderte, von diesem Vorsatz abzustehen, beharrte er trotzdem standhaft bei seiner Meinung und bat, daß man ihn nicht zwingen möchte, etwas gegen das Gewissen zu thun. Nach und nach schlossen sich die meisten übrigen Prediger an, so daß bald nachher die Sitte der Sonntagshochzeiten, durch deren Bekämpfung die beiden Prediger an St. Jacobi ihres Amtes verlustig gegangen waren, gänzlich verschwand. Die letzten beiden Sonntagstrauungen wurden die eine von Draconites am 26. Jun., auf Befehl des Raths, die andere von dem Prediger M. Author Lindemann, Prediger an St. Jacobi, am 3. Jul. 1558 vollzogen. Erzürnt über diesen Widerstand der Geistlichkeit strafte der Rath den Matthäus Flege dadurch, daß er ihn seines Amts entsetzte und dasselbe dem M. Lucas Randow, Prediger am Heil. Geist, verlieh.

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Um diese Zeit, am 11. August 1558, ereignete sich zwischen Matth. Flege (Musca) und Draconites im Hause des M. Strevius, Predigers an St. Jacobi, der beide zur Kindtaufe geladen hatte, in Gegenwart des Dr. Joh. Tunnichäus (Tönnchen), des M. Strevius und des Hrn. Vitus (Veit Berg), Sacrist (Diakonus) zu St. Jacobi, am Ende der Mahlzeit, Nachmittags 2 Uhr, eine heftige Scene, welche für Draconites im höchsten Grade charakteristisch ist und uns in ihm einen Eiferer zeigt, der an Derbheit des Ausdrucks dem Heshusius nichts nachgibt, die hier aber um so gehässiger auftritt, als sie nicht von einem heiligen Eifer um die Ehre des Amts getragen wird, sondern nur aus persönlicher Gereiztheit hervorgeht. Der Verlauf dieser Scene ist von Musca selbst aufgezeichnet und die Treue dieses Berichtes wird von Strevius mit der Bemerkung bezeugt, daß von Draconites noch viel stärkere Worte als die hier niedergeschriebenen gebraucht seien. Der Bericht beginnt:

"Da die anwesenden tugendhaften Frauen sich entfernt hatten, fing Draconites an zu Strevius zu reden: David habe im 18. Psalm einen herrlichen Ausspruch gethan: "cum bonis bonus eris, cum perversis perverteris." Sic etiam tibi accidit, d. Streui, tu etiam cum perversts et inobedientibus conversaris, quare etiam es perversus et inobediens et sophista es. Darauf antwortete M. Henr. Strevius und sprach: Herr Doctor Gevatter, das bin ich nicht, ich bin kein Sophist, ich bin kein homo perversus. Da sprach der Dr. Draconites: Ja, lieber Streui, ich mein euch auch nicht. Darauf antwortete ich (Matth. Musca) (hätt' lieber geschwiegen und weggegangen, wenn ich gewußt, daß solch ein Sturm vorhanden gewesen wäre): Herr Doctor, ihr werdet mich vielleicht meinen, dieweil ihr Streuium und den Herrn Dr. Johannem nicht meinet. Da sprach Draconites: Ja, dich meine ich, du Bube und grober Esel. Darauf antwortete ich: Herr Doctor, das bin ich nicht. Ich muß die Worte nur leiden. Aber was habe ich gethan, daß ihr mich also scheltet? Sprach er: Du hältst mich für einen Antinomum und hast mich dafür gescholten und leugst es mich über, wie ein Bube und Schalk und ein Nebulo. Ein grober Esel, der du bist, der nicht weiß, was Gesetz, was Evangelium ist". Nachdem Musca geantwortet, spricht Draconites weiter: "Was solltest du grober Esel thun, du weißt nichts mehr, et nihil docere potes, nisi quod alii miseri aselli tibi praescribunt. Es ist man Betelwerk mit dir". Musca: damit beleidige er seine Lehrer, Luther, Brenz und Melanchthon. Warum er ihn denn als Superintendent nicht abgesetzt hätte. Später äußerte Draconites noch: "Ja, ja, man weiß

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wohl, was du für ein Bube bist, ich will dich für einen Buben halten, so lange du lebst". Musca habe im Heiligen Kreuz gesagt: Bittet Gott, daß wir ja die zehn Gebote behalten. Musca: für einen Antinomum habe er ihn nicht gescholten; ob er ihn dafür halte, das könne Draconites nicht wissen. Die Worte "Trolle dich, Moses, trolle dich" aber habe er aus Draconites eigenem Munde in der Johanniskirche gehört. Da sprach Draconites: "Das sollst du lügen wie ein ehrloser Schalk und Bösewicht, du grober Esel". M. Strevius bezeugte nun, daß er auch jene Worte gehört hätte. Dr. Tunnichäus ermahnte zum Stillschweigen, da schon ein Zeuge dadurch angelockt sei und noch mehrere kommen würden. Dennoch setzte sich das Gespräch zwischen Draconites und Strevius mit größter Heftigkeit fort. "Da sprach ich (Musca): Seht, Herr Doctor, solch ein lubricus homo seid ihr, der vor der Gemeinde etwas reden darf und wills nicht geständig sein. - Da sprach er: Was sagst du, loser Bube? -- - Was bist du denn? Nur ein Sacrist zu Unserer Lieben Frauen. Ich bin da ein Herr. Man kann dich absetzen, wenn man will, das weiß ich wohl." Musca erklärte, nicht wieder schelten zu wollen, wozu auch Tunnichäus ihn ermahnte. Draconites aber fuhr fort zu schelten. Strevius bemerkte: "Wenn ihrs mir thätet, ich wollte euch mit der Kannen auf den Kopf schlagen". Später wird noch die Aeußerung des Draconites gegen Musca erwähnt: "Du kannst wohl schreien, quando debes concitare plebem adversus magistratum."

Während in Rostock die beiden Parteien sich immer mehr gegen einander erhitzten, verloren die Herzoge den Gedanken an die Wiedereinsetzung der beiden vertriebenen Prediger nicht aus dem Sinne. Als gegen Ende Novembers die Gesandten der benachbarten Städte zu Güstrow über die Beilegung der Streitigkeiten zwischen den meklenburgischen Fürsten und der Stadt Rostock unterhandelten, wurden diese Streitigkeiten in zwölf Punkten zusammengefaßt, von welchen der letzte die Vertreibung der Prediger aus der fürstlichen Kirche und Pfarre betraf, wofür die Herzoge eine Geldbuße von 60,000 Goldgulden forderten. Als diese Sache im December 1558 vor die rostocker Bürgerschaft kam, erklärten die Bürger in Ansehung der vertriebenen Prediger: sie seien ohne ihren Rath und Wissen aus der Stadt vertrieben, und sie würden, wenn deswegen den Fürsten etwas zu zahlen sei, dazu keinen Pfennig beitragen. Sie verbanden mit dieser Erklärung das Verlangen, daß der Rath den Matthäus Musca, welcher schon Unterhandlungen wegen Uebernahme eines Pfarramts in Lübeck angeknüpft hatte, in sein Amt wieder einsetze und den M. Lucas Randow an das Hospital zum Heiligen

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Geist zurück versetze. Auch stellten sie an den Rath das Begehren, daß er den Johann Crispinus (Kruse), einen durch Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und Beredtsamkeit ausgezeichneten Mann, als Prediger anstelle. Dieser war im Jahr vorher aus Dorpat in Liefland von den Russen vertrieben und am 22. Sept. 1558 nach Rostock gekommen, um hier an der Universität an dem Umgang mit Gelehrten seinen Geist zu erfrischen, bis es ihm gelänge, ein neues Amt zu erlangen. Der Rath ging in alle diese Forderungen der Bürgerschaft ein, obgleich dadurch die Partei seiner Gegner sich verstärkte. Denn auch Crispinus, welcher am 18. Decbr. 1558 seine Antrittspredigt in St. Marien hielt und hier jeden Mittwoch die Lehre von der Buße erläuterte, erwies sich bald als einen der hervorragendsten Gegner des Draconites und des Raths.

Als Draconites am Tage Epiphanias (heil. Dreikönigstage) 1559 wiederum in St. Johannis eine Predigt voll heftiger Angriffe gegen die rostocker Geistlichkeit gehalten hatte, fand sich dadurch Crispinus bewogen, des Draconites Lehre öffentlich von der Kanzel als eine Irrlehre zu bezeichnen. Draconites hatte u. a. gesagt: "Der Rostocker Brief und Siegel zeugen, daß ich ein berufener Superintendent bin Unserer Frauen Kirche", und hinzugefügt: Superintendent heiße ein Prediger, der ob dem gewissen Wort hält und mächtig ist, nicht allein zu ermahnen durch solche Lehre, sondern auch die Widersacher zu strafen. Darum begehre er, daß ihm die Rostocker gestatten, in der Kirche zu antworten, wo seine Lehre gelästert sei. Seine Worte: "Troll dich, Moses, aus meinem Herzen in Noth und Tod und komm du, Christus, herein", seien aus dem Zusammenhange zu erklären. Man müsse die Leute nicht überpoltern. Statt seine Predigt richtig auszulegen, komme man wie Straßenräuber, um ihn zu Schanden zu machen in seiner Kirche und nehme aus seiner Predigt nur, womit man ihn fange. Namentlich aber hatte er folgende Sätze aufgestellt, deren Echtheit außer verschiedenen rostocker Predigern auch Jacob, Pastor zu Kessin, bezeugte: "Immer zum Teufel mit den Sabbathsknechten, die da lehren: du sollst am Sabbath allein fromm sein und die Woche über eine Bestia", ferner: "wenn dich einer straft und spricht: du bist ein Sünder, so sprich wieder zu ihm: hörst du, Bube, hab' ich in einem gesündigt, so hast du in dreien gesündigt".

Ungefähr um dieselbe Zeit ließ Draconites auch eine lateinische Oration drucken, in welcher er die "Sonntagsköste" zu vertheidigen bemüht war. Er nannte hier die Gegner parricidas und gab ihnen Schuld, daß sie den Namen der löbl. Universität, auch des Ehrbaren Raths zu Rostock, auch seinen eigenen Namen

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unbillig geschmähet und verunsäubert hätten. Er erwähnt auch Leute, welche anonyme Carmina wider ihn angeschlagen hätten. Gegen diese Oration trat bald darauf Joh. Frederus mit folgender Schrift auf: "Bericht Joh. Freders van dem, wat Dr. Joh. Draconites mit groter Unbeschedenheit in einer Lateinischen Oration van den Sonndages Hochtiden geschreuen vnd wo hart he vnschuldige truwe Dener Christi angetastet vnd sonst sick versündiget hefft" Er bewies in dieser Schrift, daß es falsch sei, was Draconites behaupte, es seien, so lange Rostock stehe, daselbst Hochzeiten am Sonntag gehalten. Alte glaubwürdige Leute hätten ihm berichtet, daß dieselben früher am Sonntag Abend, nach Beendigung aller kirchlicher Ceremonien, angegangen seien. Auch sei selbst dies nicht mit Einwilligung der Kirche geschehen, und auch wenn dieselbe eingewilligt hätte, so könne doch ein evangelischer Prediger sich nicht auf die Billigung des Papstthums berufen. Auch habe man solche "Brautlacht" (Hochzeitsgelage) zu Wittenberg, Braunschweig, Hamburg und in anderen vielen Städten, besonders im Oberlande, allenthalben abgeschafft. Freilich habe man nicht allenthalben diese Abschaffung durchsetzen können. Draconites berufe sich auch darauf, daß Dr. Smedenstede (Smedenstädt), den er als severissimum concionatorum bezeichne, nur den Mißbrauch bei den Sonntagshochzeiten, nicht diese selbst verdammt habe. Dies sei schon an sich zweifelhaft, aber solle es einmal auf Gewährschaften ankommen, so könne man sich auf Luther und alle Wittenberger, auch Brentius, Vitus und viele andere treffliche hohe Leute im Oberlande und Sachsen berufen, welche solches gestraft hätten. Aber auch wenn Smedenstede nur den Mißbrauch strafte, hätte er darin mit den Predigern übereingestimmt. Denn das sei der größte Mißbrauch, daß viele Leute von der Predigt abgezogen würden. Luther habe vor 30 Jahren zu Wittenberg solchen Mißbrauch abgeschafft. Bei dem Ansehen, welches Draconites bei dem Rath genösse, würde es ihm möglich gewesen sein, denselben für die Abschaffung der Sonntagshochzeiten zu gewinnen. Dann würden auch die wenigen Prediger, welche ihm noch anhingen, der Meinung der übrigen treuen Prediger beigetreten und alles einig geblieben sein. Daß Hakendal die anderen Sabbatharios genannt, sei nicht mehr nachzuweisen und habe auch nur dann Bedeutung, wenn seine Bezeichnung Seitens des Draconites als fidelissimus ecclesiae Marianae minister eine berechtigte sei. Wenn aber Draconites behaupte, daß die Prediger die Leute aus christlicher Freiheit in jüdische Knechtschaft bringen wollten, so sei dies "eine graue, schentlicke, dicke, fette, swulstige, gasteryge, stinkede, smelike, vnvorschemede Lügen und Lästerung".

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V.

Am 10. März 1559 gingen endlich acht Prediger mit der Erklärung vor den Rath daß sie den Dr. Draconites als Superintendenten nicht anzuerkennen vermöchten und gaben dafür neun verschiedene Gründe an. Da der Rath die Antwort verzögerte, so traten am 21. Jun. 1559 die Prediger im Hause des M. Joh. Schregelius (Schreyl, auch Cantor genannt) zusammen und beschlossen, drei Deputate an den Rath zu senden, wozu "Hr. Joachim (Schröder) tho S. Peter, M. Joh. Schreyl und Hr. Matthäus (Musca)" bestimmt wurden. Unmittelbar darauf ward dieser Beschluß jedoch dahin abgeändert, daß die Gesammtheit vor den Rath gehen sollte, was am 22. Jun. geschah. Hier führte nun M. Georg Reiche das Wort. Er stellte die Anfrage, ob die Prediger auf die Schrift vom 10. März keine Antwort erhalten würden, und wünschte zu wissen, ob nicht schon Draconites sich auf die Schrift erklärt hätte, und ob man diese Erklärung nicht sehen könne, worauf Bürgermeister Gülzow erwiederte: eine Erklärung von Draconites sei noch nicht eingegangen; sobald dieselbe da sei, solle deren Mittheilung erfolgen. Darauf hob M. Georg eine scharfe und harte Vermahnung an, daß sie einmal bedenken möchten, wie nun schier bei drei Jahre lang der Name Gottes gelästert und das heilige Predigamt von ihnen geunehrt sei, da sie sich demselben als Feinde entgegengesetzt und die Prediger verjagt hätten und noch heutiges Tages auf seine Person, wie auf alle treuen hier gegenwärtigen Prediger hart erbittert seien. Sie möchten sich doch endlich einmal erklären, was sie denn an den Predigern auszusetzen hätten und wie sie es hinfort zu halten gedächten, und ihren Zorn gegen das Predigamt fallen lassen. Wo nicht, so werde der Zorn Gottes über sie kommen; denn man wüßte wohl, wie es in anderen Städten und Ländern ergangen wäre. Sie sollten sich mit dem Predigamt versöhnen und dasselbe von dem Drachen befreien ("des Draken quidt maken"). Diese Rede bekräftigte darauf ein jeder Prediger mit einer sonderlichen Vermahnung. Der Rath ließ sie darauf abtreten und sandte dann den Schreiber Radke zu ihnen hinaus, um ihnen anzukündigen, da die Uhr schon elf und die Sache sehr wichtig wäre, so sollten sie später wieder vorbeschieden werden. M. Georg antwortete: das Vorkommen hätte nun schier das ganze Jahr lang gedauert; es müßte nun einmal ein Ende gemacht und sogleich ein bestimmter naher Termin dazu angesetzt werden. Sonst müsse man sich auf andere Weise gegen den Drachen helfen. Nachdem die Prediger inzwischen noch einige Zusammenkünfte gehalten hatten,

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ließ sie am 29. der Rath zum 30. Morgens 8 Uhr auf die Schreiberei citiren. Hier waren Draconites, Dr. Matthäus Röseler, der als Rathssyndicus fungirte, M. Bernhard Mensing, damals Rector der Universität M. David (Chyträus), M. Johann Possel, imgleichen Herr Author (Lindemann) und M. Lucas (Randow), auch etliche Bürger, wie Claus Paselick, Franz Quant, Henning Beselin, Hans Runge, Claus Hamel, Hinrich Brant und Baltzer Gule.

Als die Prediger eintraten, wollten einige von ihnen dem M. Lucas und Herrn Author die Ehre bieten, zwischen ihnen zu sitzen. Da sprach Draconites: "Lasset die accusatores allein sitzen", was denn auch geschah. Darauf kam Joachim Bansow, welcher sich mit den Gegnern zusammensetzen wollte, worauf M. Georg (Reiche) sprach: "Kommt her zu uns accusatores, quia illi sunt disjuncti a nobis et seducti a Dracone", und M. Lucas erwiederte: "Non sumus disjuncti, praedicamus eundem Christum vobiscum licet disjuncti".

Nachdem sie vorgetreten waren, nahm Dr. Röseler das Wort und verlangte, mit Bezug auf die am 22. Jun. gefallenen Aeußerungen, daß vor allen Dingen die Prediger anzeigen sollten: 1) was denn der Rath für schwere Sünde gethan; 2) welche Mitglieder des Raths Gottes Worte nicht gewogen wären; 3) welche Beispiele von Uneinigkeit in anderen Städten die Prediger im Sinne gehabt hätten. Die Prediger aber wollten sich darauf nicht einlassen, daß zuerst die Sache mit dem Rath vorgenommen würde, und verlangten, daß zuerst über die Angelegenheit mit Draconites verhandelt werde. Da man sich hierüber nicht einigen konnte, mußten sie abtreten, und man sandte ihnen noch den M. Mensing, M. David und M. Johann Possel nach, um sie für die andere Ansicht zu gewinnen. Doch ohne Erfolg, da die Prediger erklärten, daß nur dann eine dauerhafte Verfolgung mit dem Rath werde abgeschlossen werden können, wenn zuvor Draconites seine Entlassung als Superintendent erhalten hätte. Auf die weitere Bitte, von dieser Sache auf der Kanzel zu schweigen, versprachen sie nur, es einen oder einige Sonntage so mit anzusehen.

Als die drei Professoren wieder zum Rath hineingegangen waren, kam Draconites mit Herrn Author, die nun ebenfalls hatten abtreten müssen, zu den übrigen Predigern hinein. M. Lucas war inzwischen nach Hause gegangen. Als Draconites eintrat, grüßte er nicht, die Prediger ihn auch nicht. Er setzte sich stumm nieder und sah gar finster ("byster") aus. Da er eine Weile gesessen hatte, hob er an und sprach: Fratres. quem ego vestrum in tota mea vita vel dicto vel facto laesi?"

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In dem weiteren Inhalt seiner Rede machte er den Predigern wegen der gegen ihn gehegten Verachtung Vorwürfe. Während er noch redete, wurden sämmtliche Versammelte durch den Schreiber Mastenkamp wieder vor den Rath gefordert und hier benachrichtigt, daß der Rath einwillige, zuerst die Sache mit Draconites vorzunehmen; doch sei letzt, da es am Mittage Schlag Elf sei, die Zeit abgelaufen. Sie seien daher für jetzt entlassen, würden aber bald wieder vorgefordert werden. Schon wollten sich nun die Prediger entfernen, als Draconites noch eine Rede anhob. Er sei der Sonntagsköste wegen angegriffen erstens in einer Schrift, in welcher er nebst einem Ehrsbaren Rath und anderen geschmähet werde, zweitens in einer vor der ganzen Bürgerschaft verlesenen Schrift, darin er so hart verklagt sei, daß man geschrieen habe, man solle ihn zum Thor hinausjagen, und er in Lebensgefahr gekommen sei, drittens in einer Schrift, welche sein Amt angehe und seine Absetzung verlange, weil er seinem Amt nicht genüge und ein Bacchant sei. Aufgefordert, darauf schriftlich zu antworten, habe er binnen drei Tagen eine Rechtfertigungsschrift bei Rath eingereicht. Er erbiete sich zu einem schweren Eide, daß ihm Unrecht geschehe. Ihm werde auch zugemessen, daß er von dem heiligen Leiden Christi unrecht gepredigt habe. Hier unterbrach ihn M. Georg mit den Worten: "Draco, concludite, denn wir wollen auch reden", und fragte ihn dann auf sein Gewissen, ob er zu dem Mandat geholfen oder darein gewilligt habe. Draco antwortete: "Nein, so ich von dem Mandat gewußt, ehe ichs an der Kirchthüre stehen gesehen, so thue sich die Erde auf und verschlinge mich". Weiter fragte M. Georg den Draconites, ob der Rath recht oder unrecht gethan habe, die Prediger zu verjagen, worauf Draconites erwiederte, daß er darüber nicht Richter sei, und nöthigenfalls es mit einem Eide erhärten könne, nicht davon vorher gewußt zu haben. Da sprach M. Georg: "Herr Dr. Draco, wir glauben euch und euren Eiden nicht, ihr seid zu leichtfertig"; worauf Draconites: "Das bin ich nicht, ihr thut mir Unrecht, ihr haßt mich ohne Ursache. Wer seinen Bruder haßt, ist ein Mörder und wird bösen Lohn empfangen". Hierauf erwiederte M. Georg: "Fiat tibi secundum verbum tuum" und ging mit den Predigern davon. Herr Johann Crispinus aber wendete sich zu Draconites und zu den über die Rede zugekommenen Bürgermeistern und sprach: "Meine Herren, die Rede, die Draco gehalten hat, die muß und soll zu seiner Zeit genugsam beantwortet werden". Da sprach Draco zu ihm: "Wartet, ich will euch noch eine bringen". Herr Johann antwortete: "Ich wills gewärtig sein". Damit gingen alle von der Schreiberei

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Da der Rath zögerte, die Prediger, seiner Zusage gemäß, bald wieder zusammenzuberufen, so sandten diese am 7. Juli drei Deputirte an den Rath: M. Georg Reiche, Herrn Johann Crispinus und M. Henr. Strevius. Jeder von diesen drei hielt eine scharfe Ermahnung an den Rath und führte ihm alle von ihm gegen Gott und das heilige Predigamt begangene Sünde zu Gemüth.

Zum 24. Juli war eine neue Rathssitzung zur Erörterung der Streitigkeit anberaumt, an welcher von der Universität Dr. Kirchhoff, der Rector M. Mensing, M. Conrad Pegel, M. David (Chyträus), M. Johann Possel und außer den oben genannten Bürgern noch Hans Dumradt, Simon Kölpin, Johann Blaffer, Caspar Lyndenberch, Hinrick Nettelbladt, Hans Bolte, Jochim Wulff und Hinrick Hesse Theil nahmen. Mit Draconites erschienen Herr Author (Lindemann) und ein Freund von Draconites, Namens Carolus (Günther), ein Student.

Nachdem Dr. Röseler den Zweck der Zusammenkunft, die Erledigung der Angelegenheit mit Draconites, dargelegt und bemerkt hatte, daß man noch mehr Herren aus der Universität zugezogen habe, um die Sache desto förmlicher zu vertragen, hielt auch Dr. Kirchhoff eine Rede. M. Georg bat um die Erlaubniß, zunächst eine schriftliche Verantwortung auf die Rede des Draconites verlesen zu dürfen, welche Verlesung demnächst durch Matth. Flege geschah. Im Eingange wurden E. E. Rath und die ehrhaften Bürger ersucht, nachdem sie den Draconites mit besonderer Aufmerksamkeit und Freude ihres Gemüthes gehört, nun auch dasselbe Gemüth der Gegenrede nicht zu vertagen. Dann heißt es weiter: Draconites gebe Worte ohne That, was ihm Gott wohl bezahlen werde. Er sei durch Dr. Venetus, Dr. Heshusius, M. Andreas Wesseling, Peter Eggerdes fleißig und freundlich ermahnt, aber ohne Erfolg. Um so weniger hätten sich die Prediger Erfolg versprechen können, da sie in seinem Herzen und Augen rechte Todtenköpfe seien. So habe er sie mehrmals auf der Kanzel genannt. Die drei von Draconites erwähnten Schriften solle derselbe namhaft machen, worauf er dann Bescheid erhalten werde. Meine er mit der ersten Schrift die von Georg Reiche, so sei derselbe gegenwärtig und erbiete sich zur Antwort. Meine er mit der zweiten Schrift die auf dem Rathhause vor den Bürgern verlesene, welche die Sache des Herrn Matth. Flege wider Draconites betreffe, so sei auch dieser hier und erbiete sich zur Antwort. Flege habe die Verlesung vor der Gemeine nicht angeordnete viel weniger ihn vor der Bürgerschaft angeklagt. Meine er mit der dritten Schrift die

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von den Predigern eingereichte, so wollten sie alle, die hier versammelten Prediger, den Inhalt vertreten. Sie hätten in dieser Schrift die Gründe angegeben, weshalb sie ihn nicht für ihren Superintendenten anerkennen könnten und wollten, und seien ferner zu dem Beweise erbötig, daß die weltliche Obrigkeit keine Macht habe, nach ihrem Gefallen, ohne Consens und Vollmacht ("Vulbort") der Pastoren und Prediger in einer Stadt, einen Superintendenten oder Bischof anzunehmen, zu behalten oder abzusetzen. Es würde dem Draconites besser angestanden haben, dem Rath von Rostock seine Sünde vorzuhalten, als sie alle fromme gottesfürchtige Leute zu nennen, von denen er nichts Böses wisse, und sie dadurch in ihren Sünden zu stärken.

Nachdem hierauf auch noch die früher übergebene Schrift der Prediger Verlesen war, nahm Draconites das Wort und sprach: "Ich muß diesmal den drei Mäulern antworten, nemlich M. Georgio als dem großen Goliath, dem Flegen und Bansowen und den acht Jägern, die das kleine Rebhuhn ("Raphoeneken") erhaschen wollen". Wenn der rostocker Superintendent abgesetzt würde, so wären acht Superintendenten wieder da. Er habe mehr von der Lehre gelesen und geschrieben, auch mehr darüber gelitten, als sie alle acht. Dann fuhr er fort: "Ich habe aber hier ein Buch, daraus ich meine Lehre geschöpft (damit zog er die hebräische Bibel hervor), das gebe ich M. Georgio zu lesen". Er reichte das Buch seinem Freund Carolus, um es dem M. Georg einzuhändigen. Dieser aber fragte: "Was ist es für ein Buch?" Draconites antwortete: er solle es besehen. M. Georg: "Ich wills nicht besehen, sagts was es ist". Draconites: "Es ist die hebräische Bibel". M. Georg: "Ich kann nicht hebräisch". Draconites: "Sieh da, das ist ein Prediger, der einen anderen strafen und reformiren will, und kann noch in der Bibel nicht lesen". M. Georg: "Höret, Draco, der Teufel kann besser hebräisch als Draco, er taugt aber deshalb gar nichts. Wem ist je mit eurem Hebräisch geholfen hie zu Rostock?" Hiemit schloß diese Verhandlung.

In einer neuen Versammlung am 26. Juli, zu welcher nur die acht Prediger vorgefordert waren, nicht aber Draconites und seine Anhänger, ward bestimmt, daß die zugezogenen Mitglieder der Universität die Verhandlungen weiter führen und wo möglich bis Aegidii (1. Sept.) beendigen sollten. Im Falle des Mißlingens der Aussöhnung wollte der Rath die Acten an andere Universitäten oder benachbarte Kirchen zum Urtheil versenden, damit endlich dieser verderbliche Zwiespalt aufhöre. Die Prediger wiederholten hier die Erklärung, keinenfalls den Draconites als Superintendenten behalten zu wollen. Der Rath begehrte, daß

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die Sache inzwischen nicht auf die Kanzel gebracht würde, worauf aber Jochim (Schröder) von St. Peter und M. Georg erklärten, daß bisweilen solche Evangelia kämen, wo man nicht unterlassen könne, die Sünden zu strafen, und daß man in solchen Fällen dem heiligen Geist nicht wehren dürfe. Der Bürgermeister Hans von Harverden (Rathsherr seit 1530, Bürgermeister seit 1552) hielt darauf eine harte Gegenrede, in welcher er den Predigern ihr Verhalten nachdrücklichst verwies.

Acht Tage vor Aegidii übergaben die Unterhändler den Predigern eine Schrift, in welcher vorgeschlagen war, daß man sich des Kampfes über die Lehre vom Verhältniß des Gesetzes zum Evangelium gänzlich enthalte. Draconites solle eine Erklärung auf die Klageartikel abgeben und die Privatsachen sollten durch Etliche der Universität und des Raths friedlich und christlich vereinigt und vertragen werden. Die Frage wegen der Superintendentur werde zu der Obrigkeit Erkenntniß und Erörterung vor stellt. Diese Schrift war unterzeichnet von M. Bernh. Mensing, Rector der Universität, Laurentiuns Kirchhoff, der Rechte Dr., M. Conrad Regel, M. David Chyträus und M. Johann Possel. Die Prediger waren aber mit diesen Vorschlägen nicht zufrieden und wurden nun zu Gegenvorschlägen aufgefordert. Sie thaten dies in einer schriftlichen Erklärung: "wo Dr. Joh. Draconites mit dem heiligen Predigamt möge versöhnet werden", welche unterzeichnet war von M. Georgius Reichius, Joachim Schröder, M. Joh. Schreygel, Joh. Crispinus, M. Henr. Streuius, Vitus Berg, Matth. Flege, Joachim Bansow. Die Prediger begehrten hier: 1) eine Erklärung der in ihrer Denunciationsschrift angeführten Stellen aus der Predigt des Draconites in der Johanniskirche, gemäß der augsburgischen Confession, Apologie und schmalkaldischen Artikeln, und zwar an demselben Orte, wo die Rede gefallen sei; 2) eine gewisse schriftliche Antwort Seitens des Draconites auf die Artikel, in welchen er ihnen bisher widerstrebt habe, nemlich a. ob die Prediger die Sünden öffentlich und insonderheit strafen dürfen, b. ob solche Hochzeiten und Gastgebote, welche den Gottesdienst verhindern, Sonntags gehalten werden dürfen, c. ob E. E. Rath zu Rostock darin recht und billig gehandelt habe, daß er den ehrwürdigen, hochgelehrten und beständigen, der heiligen Schrift Doctorem und Professorem der Universität zu Rostock, Dr. Tilemann Heshusius und seinen getreuen Mitgehülfen Ern Petrus Eggerdes, unverhörter Sachen an ihrem tragenden Amt mit Verschließung der Kirche gehindert, verwiesen, verjagt und weggeführt habe, und ob das Mandat, welches E. E. Rath wider sie und das ganze heilige Predigamt im Druck habe ausgehen lassen, recht und zu billigen oder zu verwerfen

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sei; 3) weil sie nicht allein früher von ihm mit unbilligen und unleidlichen Schmähworten, sondern auch am nächstvergangenen 24. Juli in Gegenwart etlicher Herren der Universität, des ganzen Raths und etlicher Bürger aufs Höchste als untüchtige, unwürdige Personen zum Predigamt ganz höhnisch verachtet, geschmähet und verworfen sind, so begehrten sie, daß er entweder solches beweise oder sie an eben dem Ort ehre, wo er sie verunehret habe, um ihres Amtes willen. Nach Empfang dieser Erklärung werde man sich in aller Gebühr und Billigkeit wohl weiter wissen zu halten.

Da die Prediger auf diese Schrift gar keine Antwort erhielten, so wandten sie sich am 13. Novbr. wieder an den Rath und baten, daß derselbe jenes traurige Aergerniß von der Kirche wegnehmen und dem Draconites Stillschweigen auflegen, auch verhindern möchte, daß derselbe fortfahre, Lügen auszuschütten, deren er in einer Predigt im vorigen Jahr eine ungeheure Menge gleichzeitig vorgetragen hätte. Am 20. Novbr. erschienen sie persönlich vor dem Rath, wo in aller Namen Joh. Crispinus die Bitte vortrug, den Draconites "niederzulegen" und ihm nicht länger zu gestatten, daß er Predige und Schriften herausgebe. Denn Draconites sei verdächtiger Lehre, weil er den vornehmsten Gebrauch des Gesetzes, Sünden und Laster zu strafen, aufhebe und das dritte Gebot nicht achte. Auch habe er eine sonderliche Lehre von der Höllenfahrt Christi, nach welcher Christi Seele nach dessen Tode in der Hölle höllische Marter und Pein gelitten habe, was jeder Christ bei Verlust seiner Seligkeit zu glauben schuldig sei. Ferner widerstrebe Draconites der Kirchenzucht, welche er doch vor etlichen Jahren selbst gebilligt habe, gewähre den Gottlosen ein christliches Begräbniß und den öffentlichen Sündern die Zulassung zum Sacrament. Endlich rügte er seine böse Nachrede gegen die Prediger, woraus auch Zwist und Parteiung in der Bürgerschaft entstehe, indem jeder Theil seinen Anhang habe.

Der Rath versprach eine baldige Antwort, worauf Seitens der Prediger die Bemerkung erfolgte, daß sie für den Fall weiterer Verzögerung andere Wege einschlagen würden. Sie würden 1) Christum um Schutz anrufen und auf allen Kanzeln für diesen Mann bitten, daß ihn Gott bekehren wolle oder diese Gemeine von ihm erlösen, und 2) zur Darlegung der Ursachen dieses Gebots den ganzen Handel erzählen, auch sich der Druckpresse bedienen, die ihnen ja so gut wie dem Draconites zu Gebote stehe, um die umliegenden Städte über die Angelegenheit zu unterrichten. Diese schriftlich abgegebene Erklärung war unterzeichnet von Andreas Martinus, Rector der Universität, Georg Reiche, Joachim Schröder, Joh. Schregelius, Joh. Crispinus, Henr.

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Streuius, Matth. Musca, Vitus Berg, Joachim Bansow, Thomas Johannes. (Der letztere war Prediger an St. Georg.)

Unterdessen war Draconites sehr geschäftig, unter der Bürgerschaft und den Studenten für seine Sache zu wirken. Er wurde hierin von Dr. Lorenz Kirchhoff unterstützt, welcher ungefähr zwanzig Bürger, darunter viele Papisten und offenbare Feinde des lutherischen Bekenntnisses, aber Anhänger von Draconites um sich versammelte, um sie gegen die Prediger aufzuwiegeln. Lorenz Kirchhoff verlangte ihre Unterstützung des Gesuches, daß Draconites auch des Sonntags predigen möchte. In einer anderen am Tage darauf gehaltenen Versammlung, bei welcher auch eine Anzahl von Studenten zugegen war, von welchen aber viele nie einen Vortrag des Draconites gehört hatten, wiederholte er seine Ansprache und fügte hinzu, daß auch diese Studenten die Reinheit der Lehre des Draconites bezeugten und den Wunsch hegten, daß Draconites nicht bloß predige, sondern auch an der Universität seiner exegetischen Vorlesung ein Collegium über hebräische Grammatik beifüge. Er führte auch zwei Studenten vor den Rath, welche bezeugen mußten, sie hätten von ihrem Lehrer Dr. Philippe (Melanchthon) gehört, daß Draconites kein Antinomer sei, aber die übrigen Prediger zu Rostock seien, wenn auch keine Antinomer, so doch ipsissimos asinos.

Am 14. Decbr. war der ganze Rath nebst mehreren Bürgern ("Claus Paselick, Bartol. Willebrant, Andr. Lange, Hinr. Brant, Bülow, Caspar Lindenberg, Henning Goldenisse, Hinr. Nettelblat, Simon Kaffmester, Hans Moller ein Boddeker, Jochim Stolteuot, Vincent Gladow, Bernd Rheder, Baltzer Gule, Caspar Nacke, Jacob Rathe") wieder mit den Predigern zusammen. Der Syndicus theilte diesen mit: Draconites sei vorgefordert, habe aber alle Beschuldigungen für unbegründet erklärt, wäre auch bereit, sich jederzeit zu verantworten. Denn er hätte schon eher sich auf Reichstagen sehen lassen und hier die Lehre vertheidigt. Auch lobte der Syndicus den Draconites als einen gelehrten und trefflichen Mann, des ihm viele Zeugniß gäben. Es sei am 7. Novbr. Dr. Lorenz Kirchhoff mit einer guten Anzahl ehrliebender Bürger vor dem Rath gewesen, die das auch bezeugt und den Draconites gebeten hätten, er möchte auch des Sonntags predigen aus den Propheten, darin er einen solchen Verstand hätte, wie man noch nicht gespürt. Am 28. Novbr. wäre er wieder da gewesen mit vielen Studenten und hätte gebeten, man möchte ihn noch einige Collegia halten lassen. Die Studenten begehrten auch von ihm ordinirt zu werden. Eben so wäre auch Dr. Lambert Kirchhoff mit einer guten Zahl Bürger vor dem Rath gewesen und hätte ein gleiches Begehren wie

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Lorenz Kirchhof gestellt. Es sollte noch einmal durch unparteiische Unterhändler ein Vergleich versucht werden. Gelänge dies nicht, so wolle man beider Theile Rede und Gegenrede an andere Universitäten schicken, als Wittenberg, Erfurt, Marburg, Leipzig und Frankfurt, und darauf erkennen lassen.

Die Prediger behielten sich hierauf die Antwort vor. Es nahm aber noch M. Jochim von St. Peter das Wort in Betreff der beschwerlichen Rede des Bürgermeisters von Harverden gegen M. Georg. Der Bürgermeister vertheidigte sich gegen die ihm gemachten Vorwürfe und suchte die Ausweisung der Prediger zu rechtfertigen. Dieselben hätten etlichen Mitgliedern des Raths in Ehre und Glimpf gegriffen. Der Rath hätte Trost und Hülfe bei den Fürsten gesucht, aber nichts erlangt. Sie hätten sie durch Bürger, Diener und andere davon abmahnen lassen, aber nur spöttische Antworten erhalten. Dr. Tilemann sei übrigens von Peter Eggerdes dazu verleitet worden. Der Rath hätte endlich ans Nothwehr zur Ausweisung schreiten müssen. Die Sache sei jetzt beim Kammergericht anhängig; an dem hier zu fällenden Urtheil wollten sie sich genügen lassen, und das sollten die Prediger auch thun. Danach redete auch Bürgermeister Gülzow: "Ich sitze hier und habe hier gesessen eine lange Zeit als ein armer, elender, betrübter Sünder und weiß nicht, wie lange der Herr mich will leben lassen. Denn ich wäre schier jüngsthin ("negest") auf den Kirchhof niedergefallen und wäre mir gegangen wie Matth. Adeler, der starb auch gleich. Sollte man darum sagen, daß er ein böser Mensch gewesen. Und wenn man so hinstürbe, sollte man begraben werden wie Unchristen. Daß weiß ich nicht, ob es recht ist. Denn ich bin kein Mörder oder Todtschläger. Auch weiß ich nicht, daß ich ein Kind womit erzürnt hätte, und hätte eher geglaubt, daß mir der Himmel sollte auf den Kopf gefallen sein, ehe man mir das Sacrament als einem Christen geweigert hätte".

Hierauf hielt der Rector (Andr. Martinus) eine harte und scharfe Ermahnung, daß der Rath das doch nicht so gering achten sollte, was er gethan. Sie sollten Buße thun, damit sie an jenem Tage bestehen könnten und dort nicht ewige Schmach ("smaheit") und Schande haben möchten. Bürgermeister von Harverden erwiederte: man sollte sehen, was man sage, und nicht von Schmach und Schande reden. Sie hätten nichts der Schande Werthes gethan. Sie hätten ein Mandat ausgehen lassen, welches die Prediger ein Schandbuch nennten. Das wäre aber so böse nicht, wie man es darstelle, und nur in der Absicht erlassen, gemeine Bürger damit zu unterrichten und zu stillen. Die Prediger aber hätten daraus etwas ganz Anderes gemacht.

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VI.

Schon um die Mitte des J. 1559 waren von Hamburg aus mit Joh. Crispinus Verhandlungen eingeleitet, denselben für die dortige Petrikirche zu gewinnen. Joh. Crispinus ließ sich auch bereit finden, die Berufung dorthin auf Neujahr 1560 anzunehmen. Damit drohete den Predigern zu Rostock, für deren Partei Crispinus eine wesentliche Stütze gebildet hatte, ein großer Verlust, welchen abzuwenden oder wenigstens zu verzögern sie sich nach Kräften bemüheten. Am 18. Sept. 1559 erließ das geistliche Ministerium zu Rostock ein Schreiben an das Ministerium zu Hamburg mit der Bitte, daß man den Crispinus den Rostockern noch lassen und ihn seines Versprechens, nach Hamburg zu gehen, entbinden möge. Derselbe ward in diesem Schreiben als ein guter Helfer in den kirchlichen Wirren gerühmt, welche vor zwei Jahren mit der Vertreibung des Dr. Tilemann hereingebrochen seien. Jetzt seien zwar die meisten von diesem gerügten Mißbräuche beseitigt, unter Zustimmung der Mehrzahl der Bürgerschaft, jedoch unter Widerstreben mehrerer Rathsmitglieder. Würde aber Crispinus gehen, so würde der Teufel wieder losbrechen. Mit der Ueberbringung dieses Schreibens nach Hamburg ward M. Andreas Martinus nebst dem Ratsherrn Jürgen Bunger (seit 1555) und zwei Bürgern, Hinrich Dose und Franz Quant, beauftragt, welche zugleich ein Gutachten des hamburger Ministeriums über die Sonntagshochzeiten und ihr Verhältniß zum dritten Gebot einholen sollten. Nachdem die Deputation in Ansehung des Crispinus mündlich eine abschlägige Antwort zurückgebracht hatte, kam um Michaelis ein Schreiben des hamburger Superintendenten Paul von Eizen an, in welchem dieser Namens der hamburger Geistlichkeit die Mißbilligung der Sonntagsgastereien aussprach, so daß der Rath zu Rostock sündige, wenn er sie gestatte. In Betreff der ebenfalls angeregten Begräbnißfrage ward auf eine Schrift des Dr. Joh. Anpinus verwiesen. Ein neues Gesuch, den Crispinus nur noch auf ein oder zwei Jahre den Rostockern zu lassen, welches Andr. Martinus am 25. Oct. 1559 nach Hamburg absandte und in welchem er unter anderem klagt, daß die Mitglieder der Universität, welche der Geistlichkeit beistehen sollten und könnten, theils sich um diese Fragen nicht bekümmerten, theils mit giftigem Munde in Versammlungen und in Briefen an ihre Lehrer und Andere die Prediger verleumdeten. In Hamburg wollte man jedoch auch auf dies Gesuch nicht eingehen, sondern sich höchstens dazu verstehen, später, wenn es nöthig sein sollte, den Crispinus auf einige Wochen den Rostockern zu leihen. Diese

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Antwort des Superintendenten Paul von Eizen (vom Freitag nach Allerheiligen 1559) ward in einem Schreiben der hamburger Pastoren Joachim Westphal und Johannes Bötker an M. Andr. Martinus vom 7. Novbr., so wie durch ein Schreiben derselben an das rostocker Ministerium von demselben Tage noch weiter begründet. Auch die "Swaren" (Geschworenen, Juraten) "des Carspels St. Petri binnen Hamburg" erließen in dieser Angelegenheit ein Schreiben vom 8. Novbr., in welchem sie sich auf ein Antwortschreiben des hamburger Raths an den rostocker Rath beziehen, welches letzterer der Geistlichkeit wohl mittheilen werde, die daraus die Gründe der ablehnenden Antwort entnehmen könne. Ein nochmaliger Versuch, den Crispinus wenigstens bis Ostern in Rostock zu halten, mißglückte ebenfalls, indem die Antwort der Juraten (7. Dec. 1559) die Ablehnung von Neuem aussprach.

So mußte denn Crispinus an seine baldige Abreise denken. Einige Wochen vorher war er noch Ohrenzeuge eines sehr heftigen Ausfalls, welchen Draconites in einer am 15. Decbr. 1559 gehaltenen Predigt über Psalm 23 sich gegen die übrigen Prediger erlaubte, und er nahm darüber in Gemeinschaft mit Matth. Musca, Joachim Bansow, Heinr. Duuerlich und Joh. Stüdemann, die gleichfalls der Predigt beigewohnt hatten, ein Document auf, demzufolge Draconites sich also geäußert hatte: "1) Da man höhnet, schändet und lästert, da läuft man gerne hin. Aber da man tröstlich den Weg zur Seligkeit predigt, da will man nicht hinkommen. Aber da fraget Christus und das Evangelium nicht nach und ich auch nicht. Ich will viel lieber drei fromme Zuhörer haben, als zwei oder drei tausend lose Herzen. 2) Sie wollen Kirche und Gemeine regieren und den Menschen gebieten, was sie thun und lassen sollen, und können ihr eigen Herz nicht regieren, bannen, schänden, lästern und richten alle Getümmel und Aufruhr an, so sie doch nicht werth sind, die losen Buben, daß sie denen, die sie strafen, die Schuhriemen auflösen sollten".

Nachdem von Seiten der rostocker Geistlichkeit dem Crispinus am Weihnachtsfest 1559 (in feriis natalibus filii Dei inchoantibus annum 1560) ein Zeugniß ausgestellt war, unterschrieben von Andreas Martinus, Rector, M. Georg Reichius und M. Joh. Schregelius, hielt er am Nachmittage des Neujahrstages 1560 seine Abschiedspredigt über den Text Ap. G. 20: so habet nun Achtung auf euch selbst. Am Mittwoch darauf (3. Jan.) Mittags begab er sich unter dem Geleite einer großen Menge trauernder Anhänger in feierlichem Zuge vor das Thor, wo ein von der Stadt Hamburg gesandter Wagen auf ihn wartete. Er ging in der Mitte von M. Andreas Martinus und M. Georg

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Reiche. Außerdem waren von der Geistlichkeit M. Henr. Strevius, Matth. Flege und Joachim Bansow im Gefolge, auch viele Studenten und Bürger. Crispinus ermahnte die Versammlung noch vor dem Thor, sich zu hüten vor des Drachen Gift. Viele Männer und Frauen weinten bei dieser Rede bitterlich. Auch M. David (Chyträus) war draußen und hatte noch eine Unterredung mit Crispinus.

In der noch an demselben Tage gehaltenen Versammlung der Prediger ward beschlossen, dem Rath zu erklären, daß er ohne Willen und Wissen der Prediger keinen Nachfolger von Crispinus anstellen solle. Wahrscheinlich hegte man die Besorgniß, daß der Rath den Draconites an die Marienkirche setzen würde. Jener Beschluß ward am Tage darauf dem Rath durch zwei Prediger zur Kenntniß gebracht und der Rath erklärte sich dazu auch bereit. In einer noch am 4. Jan. gehaltenen Versammlung der Prediger ward eine gemeinschaftliche Erklärung von der Kanzel über die Streitigkeiten mit Draconites auf den nächsten Sonntag verabredet. Die erwähnte Predigt des Draconites am 15. Dec. hatte den Streit zu neuer Heftigkeit entzündet.

Die am nächsten Sonntag von den Kanzeln verlesene Erklärung stellte drei Anklagen gegen Draconites auf: in Betreff der Lehre, der Kirchenzucht und des Lebens. Als ein ungewöhnlicher Schritt ist noch zu erwähnen, daß M. Georg einige Tage vorher in die Johanniskirche gegangen war und nach beendigtem Gottesdienst sich mit des Draconites Zuhörern unterredete, um sie von ihrer Anhänglichkeit an dessen Lehre zurückzubringen.

Als nun M. Andreas Martinus die verabredete Erklärung über Draconites auf der Kanzel abgegeben hatte, war auch der Anhänger des letzteren, Dr. Lorenz Kirchhoff gegenwärtig, welcher ihn nach dem Gottesdienst draußen erwartete und bis auf den Markt vor sein Haus begleitete, um ihn zur Rede zu stellen. Beide griffen zu harten Worten, was Kirchhoff bewog, den M. Andreas vor dem Rath zu verklagen. Ein Termin ward in dieser Sache am 11. Jan. auf der Schreiberei abgehalten, wo die beiden Gegner sammt beiderseitiger Freundschaft erschienen, außerdem aber auch die übrigen Prediger sammt einigen Studenten sich einfanden. Kirchhoff erklärte hier, mit dem Predigamt wolle er nichts zu thun haben, sondern nur mit Andreas Martens, den er durchweg so schlechthin bei seinem Namen nannte, ohne ihm den gebührenden Titel Magnificus Dominus Rector oder Magister oder Pastor zu gönnen. Er müsse auch gegen etliche Bürger protestiren, die wider Recht zusammenliefen und ihm den Hals zu brechen droheten. Er habe Herren und Fürsten gedient und sei der Prediger Unterhändler gewesen bei Herzog Franz.

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Andreas Martens, den er seinen gewesenen Freund nannte, habe ihn überfahren auf einer freien Straße. Derselbe habe alle Bücher und Lehren des Draconites verdammt, auch gesagt, daß etliche Doctores und Studenten, welche dem Draconites anhingen, des Teufels wären. Andreas Martens hätte sich unterstanden, die Augen der Gemeine auf ihn zu werfen, und er hätte darauf begehrt, daß derselbe ihm die Doctoren und Studenten, die er im Sinne gehabt, namhaft mache. Dieser aber habe ihn eine grobe Bestie gescholten.

Man beschloß zwar, diese Verhandlung, da sie nicht an diesem Tage beendigt werden konnte, am folgenden weiter zu führen. Inzwischen kam jedoch durch die beiderseitigen Freunde ein Vergleich zu Stande.

Bald darauf nahm die Pparteiung einen noch leidenschaftlicheren Charakter an. Am Mittwoch den 11. Jan. 1560 predigte Draconites wiederum gegen die rostocker Geistlichkeit. Der Predigt wohnten aber einige Anhänger der letzteren bei, welche dem Draconites laut widersprechend ihn in seiner Predigt unterbrachen. Auch führten einige von ihnen Knittel und Steine bei sich, in der Absicht, sie gegen ihn zu gebrauchen. Als die gerade auf der Schreiberei versammelten Prediger dies hörten, schickten sie aus ihrer Mitte Jochim (Schröder) von St. Petri hin, um das Volk on solchem Unfug abzumahnen, was ihm auch gelang. Nach dem Schlusse der Predigt gesellte sich auf der Straße Caspar Nacke zu Herrn Jochim und redete gegen ihn harte Worte. Dies gewahrten einige Bootsleute und Jungen und meinten nicht anders, als daß Herrn Jochim Schade zugefügt werden solle, weshalb sie mit Steinen und Unrath nach Nacke warfen, so daß dieser Gott dankte, als er in ein Haus sich flüchten und dadurch vor weiterer Verfolgung, die seinem Leben Gefahr drohete, sich retten konnte. Später wagte er sich auf den Marienkirchhof, um sich zu entschuldigen, worauf aber eine neue Verfolgung gegen ihn entstand, der er endlich durch die Flucht in sein eigenes Haus sich entzog.

Noch bedenklicher ward der Zustand, als die Bürger vernahmen, daß Dr. Kirchhoff auf die Absetzung des M. Andreas vom Predigamt angetragen habe, und sich nun in der Marienkirche versammelten, um zu hören, wie die Sache ablaufen werde, während die Prediger auf der Schreiberei vor dem Rath versammelt waren. Ein Geselle Brant (Bernd?) Smyt, der zu der Rathspartei gehörte, trat hier zu den Bürgern und rief in die Versammlung hinein: diese Unruhe würde nicht früher gestillet werden, bis man etliche aus dem Haufen heraus "kippen" würde, die dies Spiel also trieben. Von den Bürgern ward

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ihm geantwortet: er wüßte wohl, wie er seinen Vater gekippt hätte, womit sie darauf hinwiesen, daß er vor einigen Jahren seinen Vater und Mutter geschlagen hatte, weshalb er auf einige Jahre aus der Stadt gewiesen war. Darum wäre er werth, daß man ihn kippte. Man schickte sich darauf zu Thätlichkeiten an, und er mußte froh sein, sich in die Schreiberei flüchten zu können. Da nun der Rath von der ausgebrochenen Unruhe hörte, sandte er aus seiner Mitte Thom. Gerdes (Ratsherr seit 1558), die Bürger zu beschwichtigen. Dieser aber fand kein Gehör. Hierauf kam ein Diener zu den in der kleinen Stube ("staue") auf der Schreiberei versammelten Predigern gelaufen und sprach: Liebe Prediger, hier werfen sie mit Steinen auf dem Kirchhof. Da ging Herr Jochim von St. Peter zu den Bürgern in der Kirche. Diesem schenkten sie Gehör. Es ward still und jeder ging nach Haus.

Eine Frucht dieser Bürgerversammlung war, daß am folgenden Sonnabend die Bürger an die Prediger die Bitte um eine Zusammenkunft richteten, worauf denn sechs Bürger vor den Predigern erschienen, nemlich Dynniges Sirckmann, Hinr. Dosse, Herm. Nagel, Baltzer Gule, Hans Bolte und Hinr. Hoedt (von denen Dosse noch 1560, Gule 1567 in den Rath gelangte), und die Anfrage stellten, ob es den Predigern recht wäre, wenn sie als die Bürger sich ihrer Sache annähmen. Sie wollten dieselbe zu Gottes Ehre, zur Erhaltung des heiligen Predigamts und Liebe und Eintracht dieser Gemeine zu Ende führen. Die Prediger nahmen dieses Anerbieten dankend an.

VII.

Bereits im J. 1558 hatten die Herzoge, welche durch das eigenmächtige Verfahren des Raths gegen Heshusius und Eggerdes sich in ihren Rechten beeinträchtigt fanden, die Angelegenheit der Vertreibung der beiden Prediger vor den Kaiser (das Reichskammergericht) gebracht und von diesem war ein Befehl ergangen, welchen die Rostocker befolgen oder sich sonst verantworten sollten, weshalb dies nicht geschehe. Der Rath zu Rostock hatte das letztere vorgezogen und (1559) einen Bericht erstattet, in welchem er die beiden Prediger beschuldigte, "daß dieselben über Gottes und apostolischen Befehl getreten, den gemeldeten Rath öffentlich auf der Kanzel mit höhnlichen und solchen lästerlichen Worten zu mehreren Malen angegriffen, die wohl anderen hätte sein müssen crimen laesae majestatis. Wiewohl sie oft freundlich ersucht, das Wort Gottes lauter und rein zur

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Bauung und nicht zur Störung zu predigen, ist doch alles vergebens gewesen, zuletzt sich verdreistet und einen unserer Bürgermeister, Peter Brümmer genannt, bei Namen und Zunamen, der eine Prediger Vor=, der andere Nachmittag auf Sonntag in großer Menge des Volks zum Schändlichsten und Heftigsten angesprengt, an sein Ehr und Glimpf und ihrer aller guten Leumund getastet und als unehrliche Leute gescholten. Darüber schier eine ganze Stunde mit zugebracht, in keiner anderen Verhoffnung, denn wider die Obrigkeit einen Aufruhr zu erwecken. Darum und um Verhütung weiteren Unglücks willen haben wir ihnen Kirche und Predigt müssen verbieten lassen, wie geschehen, aber sie haben es wenig geachtet und ihres Vorhabens geblieben, was sie nicht in der Kirche vermocht haben, in den Häusern ausgerichtet. Ob wir wohl ihnen ansagen lassen, der Stadt selbst auszuziehen, dessen zu mehrmalen vermahnet, haben sie für und für getrutzt und den Rath da nicht für wollen ansehen. Was ein ungehört Calumniren und Blasphemiren sie da für sich genommen, wie sie auch ein gar schändliches Libell über den Rath gestellt und publiciret, ist jetzt zu lang, wird zu gelegener Zeit davon an das Licht kommen. Als sie im Fürstenthum Meklenburg genugsam getobet, sind gen Heidelberg gekommen, da sie nicht lange verhalten und haben es wie zu Rostock vorgenommen, also daß sie jetziger Kurfürst der Pfalzgraf von dannen auch verjagt. Darauf sie gen Bremen gekommen, und heben es da, wie man sagt, gleicher Gestalt an, sonderlich der Tilemann, und nicht ohne, das sich vernehmen lassen, in das Fürstenthum Meklenburg und also wieder binnen Rostock zu kommen, halten es dafür, der gemeine Mann würde ihnen zufallen, sie einholen, wider allen Willen und Dank des Raths, welche wenn sie das Haupt dahin wendeten, also ergehen könnte, daraus dann großer Jammer und Elend, auch Verwüstung und Verstörung der guten Stadt, ja des ganzen Fürstenthums und umliegender Städte und Lande wollte entstehen." Schließlich bat der Rath um einen ernsthaften Befehl an die Herzoge, die beiden Prediger, welche "ihre Mund nicht zäumen" können, nicht wieder in das Land zu verstatten.

Dieser Proceß versprach jedenfalls nur langsam zum Ziele zu führen und die Herzoge schlugen daher im J. 1560 noch ein anderes Verfahren ein, um ihre kirchliche Autorität in Rostock wiederherzustellen. Ein Schreiben der Herzoge Johann Albrecht und Ulrich (d. d. Güstrow, 10. Jan. 1560) an M. Andreas Martini, M. Georg Reiche und andere Prediger machte diesen die Anzeige, daß die Fürsten zur Beilegung des Streites mit Draconites in Güte oder Recht folgende Commissarien ernannt

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hätten: Joachim Krause zu Verchentin, Lütke Bassewitz zu Lühburg, Joh.Bowken, der Rechte Dr., Hubertus Sieben, der Rechte Lic., M. David Chyträus und M. Arnold Burenius. Diese sollten am Sonntage Sexagesimä, den 18. Febr., in Rostock ankommen. Bis zum Austrage der Sache sollten sich die Prediger alles Schmähens, Schimpfens und Abrufens von den Kanzeln sowohl gegen Draconites als andere Bürger und Studenten, auch Einwohner zu Rostock enthalten, "bei Verlust ihrer Dienste und Unserer Stadt Wohnung, auch bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade und Strafe".

Bald darauf traf in Rostock ein fürstliches Mandat (d. d. Güstrow, 13. Jan. 1560) ein, welches am 21. Jan. öffentlich von den Kanzeln verlesen werden mußte und Befehl für die Prediger enthielt, sich in allen Punkten nach der meklenburgischen Kirchenordnung zu richten oder sonst das Land zu räumen.

Der Rath, welcher die Einmischung einer fürstlichen Commission höchst ungern sah, wollte versuchen, ob nicht die Streitigkeit sich vorher ausgleichen ließe, und ließ daher die städtische Commission ihre Thätigkeit von Neuem am 19. Jan. beginnen. Zu dieser Commission wurden Seitens der Universität M. David Chyträus, M. Mensing und M. Joh. Possel verordnet, Seitens des Raths Hinrich Poppendick, Joh. Drewes, Peter Sasse, Hinr. Dassow, Bernt Pawels und Thom. Gerdes, auch mehrere aus der Bürgerschaft. M. David forderte die Prediger auf, ihre Klage gegen Draconites wegen seiner Lehre in kurze Artikel zu fassen, was auch geschah. Diese Schrift ward am 24. Jan. den Unterhändlern auf der Schreiberei mit der Bitte übergeben, sie dem Draconites mitzutheilen und diesen zu einer Antwort anzuhalten.

Eine neue Vorladung erging auf den Abend vor Mariä Reinigung (1. Febr.) Morgens 7 Uhr. Die Verhandlung begann jedoch erst um 10 Uhr. Die Zwischenzeit brachten die Prediger in dem Hause zu, wo früher Joh. Kruse (Crispinus) wohnte. Von den Unterhändlern ward angezeigt, daß Draconites eine Schrift übergeben hätte, die aber nicht so wäre, wie sie sein sollte, keine eigentliche Antwort auf die Schrift der Prediger. Die letzteren baten wiederholt um Mittheilung der Schrift, aber vergeblich. Als Grund der Weigerung gab Dr. Röseler an: es wäre auf ihren Handel nicht mit einer Silbe geantwortet. Draconites schwöre darin, daß er ein gelehrter Mann fei, der vor Kaisern, Königen, Fürsten und Herren gestanden, er versichere, daß auch Philippus (Melanchthon) etwas auf ihn halte u. s. w. Die Unterhändler mahnten zur Geduld und versprachen, sich weiter bei Draconites um eine Antwort zu bemühen. Da standen

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die Aelterleute auf, die aus etlichen Aemtern zu Theilnehmern an der Commission verordnet waren und sprachen: wenn es so hergehen solle, daß man dem einen mehr als dem anderen helfen wolle, so wollten sie nicht dabei sein. Hatten die Prediger ihre Schrift dem Draconites gegeben, so sei es nur in der Ordnung, daß ihnen die Schrift des Draconites wiedergegeben werde. Damit wollten sie aufbrechen. Den Predigern war dieses Verhalten sehr tröstlich und erfreulich, und des Draconites Anhänger beklagten, daß er solche Schrift gemacht habe, die man nicht vor die Leute bringen dürfe. Die Verhandlung hatte hiemit für diesen Tag ein Ende.

Am 6. Febr. beschlossen die Prediger, jeden Nachmittag um 4 Uhr zusammenzutreten und gemeinschaftlich zu beten, so lange diese wichtige Sache verhandelt werde.

Eine neue Vorladung vor die städtische Commission fand auf den 16. Febr. statt, wo M. Mensing im Namen der Commission den Predigern endlich eine schriftliche Verantwortung des Draconites mit der Bitte einhändigte, daß sie noch denselben Nachmittag ihre Antwort darauf abgeben möchten. Draconites war in dieser Rechtfertigungsschrift bemühet, den Zwiespalt auf ein möglichst unscheinbares Maß zurückzuführen, und nahm, wie Gryse im Leben Slüters (zum J. 1560) richtig bemerkt, in derselben manche seiner früher aufgestellten Behauptungen gänzlich zurück, indem er ohne Zweifel auch für seine Person den Wunsch einer Beilegung des Streites vor dem Einrücken der fürstlichen Commission mit dem Rath theilte. Doch gelang wegen Kürze der Zeit diese Beilegung nicht mehr.

Da die gedachte Schrift des Draconites, auch wenn sie ihren Zweck allerdings verfehlte, doch manches neue Licht auf den Verfasser selbst, wie auf die damaligen Verhältnisse wirft, so ist hier auf deren Inhalt noch etwas genauer einzugehen. Die Prediger waren in der von ihnen am 24. Jan. 1560 überreichten Schrift ("Artikel up dat korteste vorvatet, de gades erhe, reine lerhe vnd christliche Discipline vnd frede bedrepen, Dr. Draconites haluen, den heren vnderhandlern van den Predigern tho Rostock auergegeuen") von dem ihnen durch den Rath zur Verlesung von den Kanzeln mitgetheilten fürstlichen Mandat ausgegangen und hatten bemerkt, daß sie sich stets treulich nach der Kirchenordnung gerichtet hätten, und daß daher der größte Theil der Uneinigkeit als gehoben angesehen werden dürfe, wenn auch Draconites dem fürstlichen Mandat gehorsam sein wolle. "So aber Jemand, was die Kirchenordnung belangt, Ausflucht suchen will, daß diese Artikel im ersten Druck, zu Wittenberg ausgegangen, vom Herrn Philippe nicht wären mit hineingesetzt, so ist doch des Herrn

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Philippus Zeugniß vorhanden, der, als ihm diese Artikel zuvor, ehe sie hier zu Rostock gedruckt wurden, zugeschickt waren, mit seiner eigenen Hand auf dieselbe Schrift sein Judicium mit diesen Worten geschrieben hat: Judico habentes notoria peccata non admittendos esse, ut sint testes baptismi et a coena domini plane arcendos esse. So hat auch der Herr Philippus erst vor einem Monat in einer Oration diese Worte ausdrücklich gesetzt: Optandum est omnino, ut censura divinitus instituta severe exerceatur in ecclesia et arcendi sunt a coeua domini omnes, qui in delictis ulterius perseverant pugnantibus cum voce divina, de quibus convinci possunt. (Diese Worte stehen in der bei der Promotion von Paul Eber und drei anderen Theologen am 7. Dec. 1559 gehaltenen Rede.) Wenn nun Draconites so große Lust zur Einigkeit hat, so wird er ohne Zweifel die früher von ihm bestrittenen vier Artikel (betr. die Sonntagsköste, den Ausschluß der Unbußfertigen vom Abendmahl, von der Taufzeugenschaft, von der Gewährung eines christlichen Begräbnisses) für recht erkennen und uns deshalb nicht mehr als Gesetzesprediger, Tyrannen, Herrscher über die Gemeine Gottes, doppelte Sünder, Buben und Schelm men schelten".

Hieraus antwortete Draconites: er habe neun Jahre lang zu Rostock die fürstliche Kirchenordnung gebraucht, wenn er ordinirt habe, und werde sie auch, so lange er in Rostock lebe, gebrauchen. Er wisse auch von gar keinem Streit von Sonntagskösten, Ausschluß der Unbußfertigen vom Sacrament und christlichem Begräbniß, wider der Landesfürsten Kirchenordnung, den er mit den Predigern jemals gehabt hätte, auf der Kanzel, in der Schule oder sonst. Gott wisse, daß er immer nach Einigkeit getrachtet habe, aber Niemand außer Peter Hagenthal (Hakendal), wie dessen Schrift ausweise, habe ihm treulich dazu geholfen. Der Sonntagsköste Mißbräuche und Hindernisse des Worts habe er allezeit verdammt, die Sonntagsköste selbst aber nicht, die mit Verwilligung geschehen und ohne Hinderniß des Worts. Die Leute von der Taufe und dem Altar zu weisen oder zum Sacrament zu zwingen, wie geschehen sei, indem man eine Person mit dem Kinde deshalb von der Taufe gewiesen habe, weil sie nicht habe geloben wollen, über acht Tage zu communiciren, könne er nicht loben, sondern eine Synode habe darüber zu erkennen, welche Gottlose zu nennen und vom Sacrament zu verstoßen seien, und welchen ein christliches Begräbniß zu versagen sei. Daß ein Unterschied im Begräbniß der Gottseligen und der Gottlosen gemacht werde, mißbillige er nicht. Wie er Dr. Tilemann geantwortet habe, da er begehrte einen

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Bann anzurichten, daß er gern mit ihm und dem Synode rathschlagen wolle über Einführung einer Kirchenzucht, so habe er auch jetzt nichts dagegen.

Hinsichtlich der Heiligung des Sonntags bemerkte Draconites, er wolle davon nichts anders halten und lehren, als die Propheten und Apostel und in dem Verstande, welchen er mit Luther, Philippus, Brentius, Pomern (Bugenhagen), aller protestirenden Stände Theologen und Prädicanten unterschrieben habe zu Schmalkalden. Da nun die rostocker Prediger schrieben, sie lehrten wie Luther, Philippus, Brentius, so stimme er mit ihnen überein. Er müsse der Stadt Rostock Zeugniß geben, daß sie den Sabbath alle Sonntag Vormittage heilige dreifaltiglich, "denn man prediget um 6, um 7, um 8 das Evangelium Gottes". Dazu würden auch noch die Sacramente gereicht. Wer nun nach dieser Heiligung Nachmittags hochzeitliche Werke thue in Zucht und Ehren, der sei nicht zu verdammen. "Wie Luther im Evangelio von der Hochzeit in Galiläa schreibt: also kann es auch den Fürsten und Herren nicht verwehrt sein, wenn sie von dem dem Predigamt zu Ehren erlassenen Verbot der Sonntagsköste dispensiren, wie unsere gnädigen Fürsten in verschienenen Tagen zu Wismar Barolden erlaubten, Sonntagskost zu halten, als mir der hochgelahrte Dr. Kirchhoff angezeigt." Weiter äußert er sich noch über die ihm gemachten Vorwürfe wegen Verachtung des dritten Gebots, daß er über das letztere den Studenten im Commentar über die hebräische Bibel folgende Auslegung vorgelesen habe: "Obschon des jüdischen Sabbaths Gehorsam oder Heiligung am christlichen Sonntage hangen bleibt, so muß doch des jüdischen Sabbaths Fluch an dem Tage nicht hangen bleiben". - "Für meine Person möchte ich wohl leiden dem Predigamt zu Ehren, daß der Rath zu Rostock am Sonntag Thor, Weinkeller, Schütting und Krüge zuschlösse und alle Hausväter ihr Gesinde zum Worte Gottes vermahneten und hielten", indessen müsse der Christ allenthalben nicht genöthigt, sondern frei sei. Das Wort "Sabbathsknechte" habe er nie gebraucht und von Niemand gehört sein Leben lang als von Peter Hakendal in der Marienkirche.

Draconites kommt auch noch einmal auf seine Oration zurück, welche zwar nicht vor die Unterhändler, sondern vor das Concilium gehöre, auf welche er aber doch, da Georg Reiche ihn lästere, daß er mit einem Apfel zu gewinnen und mit einem Ei zu kaufen sei, zur Widerlegung der ihm gemachten Vorwürfe eingehen wolle. Es sei zunächst ganz falsch, daß er seine Oration heimlich an fremde Orte versandt habe. Er habe dieselbe zur Vertheidigung des Raths, Conciliums und seiner Ehre

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drucken lassen, und dieselbe wissend keinem Menschen außer Rostock gesandt, mit Ausnahme des trefflichen Helden Joachim Camerarius zu Leipzig, dem sie dedicirt sei. "Bin ich nicht auch lutherisch, von Luthern zum Doctor promovirt 1525? Hab' ich nicht der Universität Wittenberg Brief und Siegel eines guten Zeugnisses?" Was er von dem friedseligen Hakendal, bei welchem er gewesen, da er seinen Geist dem Herrn befahl, geschrieben, sei zum Theil mündlich von demselben geredet, zum Theil mit dessen Handschrift zu beweisen. Sein Ausruf: O praeclarum intellectum mandati tertii, luce dominica in ganeum ire malle, quam ad convivium nuptiale, werde schändlicher ausgelegt als in dem Hause geschehe, das er nenne. "Es stand einer im Concilio, der begehrte vom Rector, daß ihm M. Possel deshalb das im voraus gegebene Hochzeitsgeschenk zurückgebe, weil dieser an einem Sonntag Hochzeit machen wolle. Er aber war berüchtigt, daß er am Sonntag nach dem Orte ginge, dahin er nicht gehen sollte. Wie es aber unbillig war, das Geschenk wieder fordern, also war es unter diesen zweien besser zur Hochzeit gehen, denn am Sonntag gehen an den Ort, dahin das sechste Gebot zu gehen Verbietet."

Endlich bemerkt er über seine Lehre vom Gesetz, daß er auch hierin mit der Schriftlehre und den von ihm 1538 unterschriebenen schmalkaldischen Artikeln übereinstimme. "Weil aber das Gesetz alle Menschen zugleich angreift - und öffentlich zu Rostock kein unchristlicher Gottesdienst gehalten wird und weltliche Obrigkeit den gottlosen Mönchen und Nonnen gar nicht gestatten sollte, heimlich Abgötterei zu treiben, so muß ich die ganze Zahl schwacher Christen, so das Wort Gottes hören und nicht lästern, unter die zählen, von denen Jesaias weissagt, daß Christus das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen wolle, und sagen, daß die Schwachgläubigen immer zu vermahnen und mit evangelischer Predigt zu locken seien. Ich bezeuge vor dem künftigen Richter der Lebendigen und der Todten und vor seines Leibes Gliedern den hochgelahrten Dr. Lambert Kirchhoff, Dr. Laurenz Kirchhoff, Dr. Johanne Tonnechenn, Dr. Laurenz Bankelow, und dem wohlgelahrten M. Author (Lindemann), evangelischem Prädicanten, und den gelehrten Studenten Carl Günther, Hilbrant, sammt anderen, und den gottesfürchtigen Bürgern Henning Beselin, Heinr. Brant, Joh. Blaffert, Heinr. Brenger und anderen, und den gottseligen Seelen Margarita Kirchhoffisch, Justina Kirchhoffs, Anna Crons, Anna Lawens, Engel Goldenitzs und anderen mehr, daß ich des Gesetzes rechten Brauch also getrieben habe, als sichs gebührt." - "Gehe ich zu Rostock mit Papisten

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und Sündern um, so thue ichs nach dem Spruch Pauli: den Schwachen bin ich geworden ein Schwacher. - Ist nun zu Rostock kein papistischer Gottesdienst öffentlich und keine öffentliche Sacramenterei, Gotteslästerung und Verfolgung des Evangelii, und doch alle Papisten und Sünder zu Rostock vor den Prädicanten (ausgenommen Lucas und Author) mehr Friede haben denn der einige Draconites, vor Gott ein armer Sünder nach dem Gesetz wie alle Rostocker, vor seiner christlichen Kirche auf Erden aber in Christo Jesu beständig und rein in allen Artikeln des Glaubens und rechter Lehre, so will ich nicht in meinem, sondern in Christi Namen begehren, daß von mir hinfort nicht gesagt noch geschrieben werde: er lobet, stärket, vertheidigt Papisten, Sacramentirer, Gotteslästerer und Verfolger des Predigamts."

Vor der Hand wurden jedoch diese Verhandlungen der städtischen Commission durch das Eintreffen der fürstlichen unterbrochen, auf welche sich die Prediger schon am 13. Febr. durch die Anfrage an den Rath vorzubereiten anfingen, ob sie sich mit den fürstlichen Commissarien einlassen dürften oder nicht, indem sie in Betreff der Privilegien der Stadt nicht gern zu viel oder zu wenig thun möchten. Die Abgesandten der Prediger, welche mit dieser Anfrage vor dem Rath erschienen, waren der Rector M. Andreas (Martinus), Herr Jochim (Schröder) zu St. Peter, M. Joh. Schreygel und M. Henr. Strevius. Der Rath erbat sich Bedenkzeit und ließ darauf am 19. Febr., an dem Tage, wo die fürstliche Commission ihre Wirksamkeit beginnen sollte, die Prediger auf der Schreiberei zusammenkommen, wo der Bürgermeister von Harverden ihnen mittheilte, daß der Rath die Verhandlung mit der fürstlichen Commission gestatte, jedoch die Prediger ersuche, auf dieselbe nur mit der Verwahrung einzugehen, daß diese Handlung den Privilegien der Stadt nicht nachtheilig sein solle. Der Rath habe Dr. Röseler, Hans Drewes, Thomas Gerdes und etliche Bürger erwählt, daß diese von Seiten der Stadt ebenfalls protestiren sollten. Das fürstliche Mandat werde von dem Rath nicht als ein Gebot aufgefaßt. Zugleich wies der Bürgermeister darauf hin, daß mit der Abweisung vom Abendmahl u. s. w. nicht viel Gutes ausgerichtet werde. Wenn das Volk sich nicht wolle zähmen lassen, so könne es auf andere Weise in Zwang gehalten werden, und wenn die Leute dann nicht wollten sich weisen lassen, so sollte man es dem Rath anzeigen; dann gebe es ja noch "Bödeleien", mit welchen man sie zähmen könne. Der Bürgermeister Göldenitz äußerte über das fürstliche Mandat dieselbe Ansicht und forderte die Prediger auf, mit dem Rath Hand in Hand

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zu gehen. Die Prediger stellten darauf noch die beiden Fragen: ob der Rath auch leiden könne, daß die fürstliche Commission in dieser Sache richterlich handle, und ob der Rath sie auch für treue Diener Christi erkennte, die bisher ihr Amt recht ausgerichtet hätten, worauf die Antwort ertheilt ward: die Prediger müßten erst hören, in welcher Art der Handel sollte vorgenommen werden, und könnten sich dann nöthigenfalls mit dem Rath besprechen, und, was den zweiten Punkt angehe, so sei dies eine unfreundliche und ungütige Frage, auf die sie später zu gelegener Zeit Antwort erhalten sollten. Sofort nach dem Schlusse dieser Verhandlung begaben sich die Prediger, in Begleitung der zur Einlegung der Protestation beauftragten Rathsherren und Bürger, vor die fürstliche Commission.

Hier übergaben die Prediger eine Schrift, datirt vom 18. Febr. 1560, welche folgende acht Punkte betraf: 1) die Sonntagshochzeiten, 2) die Auslegung des dritten Gebots, 3) ob man das Gesetz predigen solle in der Gemeine, 4) ob Papisten und andere unbußfertige Sünder zur Taufe und zum Abendmahl zuzulassen, 5) ob Wiedertäufer und Verstockte Papisten christlich zu begraben, 6) was man von dem Bann halten solle, 7) von Christi Höllenfahrt, 8) daß man den Draconites nicht als Superintendenten annehmen könne.

In Ansehung der Sonntagshochzeiten ward außer dem oft wiederholten Vorwurf gerügt, daß er dem Drucker seiner Oration strenge verboten habe, irgend einem zu Rostock ein Exemplar davon zukommen zu lassen, sondern alle Exemplare "meuchlings" gen Leipzig und andere Orte geschickt habe. In dieser Oration verunglimpfe er die Prediger mit zehn oder zwölf öffentlichen Lügen. Dieselben hätten von Draconites kein Exemplar bekommen können und sich endlich mit Mühe eines aus Holstein verschaffen müssen. Auf Blatt B 1-4 dieser Schrift habe er sich gegen die länger als ein Jahr vorher publicirte Kirchenordnung erklärt und die Sonntagsköste mit "losen, nichtigen Fratzen" vertheidigt und unter Anderem (B 3) behauptet: quod Deus unus et trinus per ministerium, magistratum saecularem, ecclcsiam Christi constituerit, approbarit et sanciverit nuptias dominicales.

Hinsichtlich der Ausschließung von den Sacramenten bemerken sie: "Wir wissen und bekennen, daß man ohne vorhergehendes Verhör und Erkenntniß des Consistorii oder Synodi um Ungewisser und dunkler Beschuldigung willen, die nicht notorie oder öffentlich zu beweisen, Niemand mit Namen in den Bann thun soll, sondern man muß den Proceß halten, Matth. 18 vorgeschrieben. So pflegen wir auch allewegen diese, so

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notoria peccata haben, zuvor privatim zu ermahnen, daß sie sich erkennen und bessern, und wo sie das nicht zusagen wollen, werden sie erst erinnert, daß man sie zu des Herrn Nachtmahl und bei der Taufe Gevatter zu stehen nicht zulassen wolle". Ueber das den Unbußfertigen zuzuerkennende stille Begräbniß erklären sie sich dahin, daß dasselbe, wie es auch stets gehalten sei, auf dem Kirchhof stattzufinden habe.

In Bezug auf den Kirchenbann enthält die Schrift Folgendes: "Wir haben nie Jemand in den öffentlichen Bann gethan, ist auch nie Jemand von uns genannt als Dr. Draconites, mit welchem wir den Proceß Matth. 18 für überflüssig gehalten haben. Denn er ist vor zwei Jahren, als Dr. Tilemann vertrieben ward, von vielen privatim admonirt, erstlich von Dr. Ge. Veneto, der ihn treulich gewarnt hatte, daß er nicht sollte des Raths Schanddeckel sein, danach ihn Herr Jochim Schröder, M. Joh. Schreygel, Herr Matth. Musca und M. Henr. Streuius oft und vielmals ermahnt". Darauf, länger als vor einem Jahre, hätten sie alle schriftlich ihre Anklage gegen Draconites verfaßt und dem Rath zugestellt, auch noch vieles Andere versucht. "Als aber wir mit unserem demütigen Begehren nichts anderes ausgerichtet haben, denn daß etliche fürnehme Bürger und Studenten wider uns erreget, welcher Worte Herr Dr. Lorenz Kirchhoff vor dem Rath geredet und uns als muthwillige Leute und grobe Esel höchlich und dazu mit vielen Unwahrheiten beschweret, so hat uns die hohe unvermeidliche Nothdurft dazu gezwungen, daß wir uns vor der ganzen Kirche Gottes, die uns befohlen, entschuldigt haben und Dr. Draconites also mit Namen genannt, doch nicht verbannt, sondern die Zuhörer gewarnt, daß sie sich vor seinen ärgerlichen Reden und bösen Händeln und Lügen wider uns hüten und den nicht Glauben sollten geben."

Aus den Gründen gegen die Anerkennung des Draconites als Superintendenten will die Schrift nur einige hervorheben. Es wird angeführt, daß er keine ordentliche Versammlung und Synode der Prediger halte, sondern etliche fordere, andere zu Hause bleiben lasse, wie es ihm gerade beliebe; daß er nicht allein untüchtige, leichtfertige Leute ordinire, sondern auch kein rechtes Examen halte; daß er dazu die Prediger von Rostock nicht zuziehe, sondern "grobe Gesellen vom Lande"; daß er sich der Schul= und Kirchendiener nicht annähme, damit sie den nöthigen Unterhalt hätten und nicht ohne genügende Ursachen leichtlich abgesetzt und verjaget würden; daß er öffentliche Sünden und Laster, in dieser Stadt gebräuchlich, weder mit dem Worte strafe noch bei der weltlichen Obrigkeit um deren Abschaffung anhalte, sondern dazu stillschweige und wohl noch gar öffentliche Sünde

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und Mißbräuche vertheidige; daß er unnöthige Neuerungen und Veränderungen wider der ordentlichen "Kaspelkirchen" Gerechtigkeit, ohne der Pastoren Vollmacht und Bewilligung, verrichte, daß er aus der Kapelle zu St. Johannis eine Kaspelkirche mache und die Leute ermahne, da zum Sacrament zu gehen, auch dort ordinire "ohne Besein aller treuen Prediger". Aus der Predigt des Draconites vom 11. Jan. 1560 wird hier noch folgende Stelle angeführt: M. Andreas hätte ihn aus der Kirche getrieben, da er vorher drei Jahre Prediger gewesen und nicht mehr als drei Tonnen Bier bekommen; jedoch hätte er Briefe vom Rath, daß er sollte Pastor zu Unserer Lieben Frauen sein, imgleichen Briefe, daß er zu St. Jacobi sollte Pastor sein und wäre nirgends angenommen; endlich könnten die Prediger auch nicht leiden, daß er zu St. Johannis predige, so er doch von E. E. Rath und frommen Bürgern gebeten sei, daß er auch auf den Sonntag einen Propheten predigen sollte, welches er auch verhoffte, bald zu thun.

Die fürstlichen Commissarien ertheilten auf diese Schrift folgende Antwort: Der Gegenbericht des Draconites sei noch nicht eingelaufen und daher müßten die Beschuldigungen gegen ihn zur Zeit auf ihrem Werthe beruhen. Was die Superintendentur betreffe, so hätten die Commissarien keinen Befehl, den Draconites als Superintendenten zu bestätigen, viel weniger wollten sie, um viel wichtiger Ursachen willen, die Prädicanten damit beschweren, den Draconites als Superintendenten anzuerkennen. Die Lehre der Prediger sei recht und der heil. Schrift und Kirchenordnung gemäß. Aber über die Ordnung und Weise des Verfahrens bei dem Ausschluß vom Sacrament müsse die Commission auf die Beobachtung folgender Grundsätze dringen. Norm des Verhaltens sei Matth. 18. Man solle Niemand öffentlich mit Namen in den Bann thun, der zuvor nicht ernstlich ermahnet und danach ordentlich vor dem Kirchengericht beklaget und überwiesen und verurtheilt sei, es wäre denn die Gotteslästerung so greulich und das Factum so notorisch, daß ein gottseliger, eifriger Pastor einen sonderlichen Ernst dazu gebrauchen müßte, zumal wenn kein ordentliches Kirchengericht bestellet sei. Die Sünder seien dabei natürlich im Allgemeinen zur Buße zu ermahnen. Bekennten sie ihre Sünde und gelobten Besserung, so seien sie zum Abendmahl zuzulassen. "So sie aber ihre Sünde und Gotteslästerung vertheidigen und die Vermahnung trotziglich verachten und keine Besserung zusagen würden, so sind die Prediger schuldig, sie von des Herrn Nachtmahl, von der Taufe und der christlichen Kirchengemeinschaft abzuweisen, bis daß sie sich bekehren. Jedoch soll man einen

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solchen nicht alsbald von der Kanzel ausrufen und öffentlich verbannen, es sei denn, daß er per sententiam consistorii verurtheilt sei oder sonst andere Umstände einen solchen Ernst erforderten". Die Gevattern sollten den Predigern einen Tag vorher angezeigt und dann vorher und nicht mehr öffentlich in der Kirche abgewiesen werden. Unter dem Ausdruck "Verfolger des Prdigamts" solte man nicht diejenigen begreifen, welche mit einem einzelnen Prediger in Privatstreitigkeit lebten.

Mit diesem Bescheid hatten die Prediger bereits in allen wesentlichen Punkten den Sieg errungen. Ihre Lehre war für recht erklärt und Draconites auch von den fürstlichen Commissarien als Superintendent nicht anerkannt, wie schon darum zu erwarten war, weil die Herzoge überhaupt dem Rath das Recht der Bestellung eines Superintendenten nicht zugestanden. Nach Gryse im Leben Slüters (zum J. 1560) ward dieser erste Bescheid später noch dahin erweitert, "daß man Dr. Draconites wegen seiner Unrichtigkeit vom Superintendenten= und Predigamte entsetzen sollte". Wenige Tage darauf reiste Draconites ab und räumte für immer die Stadt. Er starb am 18. April 1566.

VIII.

Mit dem Abgang des Draconites war zwar ein großes Hinderniß der Versöhnung der Parteien beseitigt. Es blieb aber dessenungeachtet noch immer ein Zwiespalt zurück, welcher auf Seiten der Prediger darin seinen Ausdruck fand, daß sie fortwährend alle diejenigen, welche an der Vertreibung des Heshusius und Eggerdes sich betheiligt hatten, und namentlich Peter Brümmer, als unbußfertige Gotteslästerer von der Theilnahme am Sacrament ausschlossen. Was Peter Brümmer betrifft, so ersieht man die Stellung zu ihm aus folgendem vom 1. Aug. 1560 datirten und "alle Diener der Kirche Christi zu Rostock" unterzeichneten Actenstück:

"Erbar weiser Herr Peter Brümmer. Nachdem E. E. W. am nächsten Dienstag dem 23. Jul. von dem würdigen Herrn Matthäo Flegen, Prediger zu Unserer Lieben Frauen, erstlich begehret hat, Ursache zu wissen, warum man E. E. W. zu des Herrn Nachtmahl und bei der Taufe Gevatter zu stehen, nicht zulassen wollte; so haben wir die vornehmste Ursache, so uns dazu bewogen, kürzlich in dieser Schrift gefasset, welche wir E. E. W. zustellen und bitten, E. E. W. wolle sie mit Fleiß durchlesen und bewegen, wünschen auch von unserem Herrn Gott,

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daß E. E. W. ihre Sünde erkenne, wahrhaftig Buße thue und ewig selig werde".

Es werden dann zunächst verschiedene Sprüche angeführt, welche zur Ausschließung der Gotteslästerer vom Sacrament verpflichten (1. Kor. 5, 2. Kor. 6, Matth. 16, Joh. 10), so wie auch die Lehre der Wittenberger und ein Gutachten Melanchthons. "Nun wissen sich E. E. W. zu erinnern, mit was großer, greulicher und öffentlicher landrüchtiger Gotteslästerung und Verfolgung der treuen Prediger E. E. W. befasset ist, welche Sünden E. E. W. (das noch das Gefährlichste und Greulichste ist) nicht allein nicht erkennen, sondern auch noch für recht und löblich halten und vertheidigen will. Denn es ist ja unleugbar, daß E. E. W. am 12. Tage Augusti a. 1557 vor der ganzen Bürgerschaft diese Gotteslästerung öffentlich geredet hat, daß die Prediger zu St. Jacobi (welche doch die heilsame, reine und unverfälschte Lehre des Evangelii von allen Artikeln des Glaubens geführt haben, welche auch, was die Abweisung der Gottlosen von der Taufe und vom Abendmahle, die Sonntagsköste und Unterschied im Begräbniß zu halten belanget, recht und christlich gelehret haben, wie E. E. W. eigener Prophet Dr. Draconites, der E. E. W. und den ganzen Rath in dies Spiel mit geführt hat, jetzt selber ohne seinen Dank und wider seine vorige Rede bekennen muß) eine neue pharisäische Seele anrichten."

Auch habe Peter Brümmer dasselbe Mal die Prediger zu St. Jacobi "mit dieser öffentlichen unverschämten Unwahrheit verfolget, daß sie sich geweigert hätten, die kleinen Kindlein auf den Sonntag zu taufen". - "Dazu hat E. E. W. die frommen und treuen Prediger zu St. Jacobi, nachdem sie ihre christliche Lehre und Handlungen wider E. E. W. ernstlich verantwortet haben, nicht allein mit lästerlichen Worten, sondern auch mit Gewalt verfolget und erstlich die Kirche zu St. Jacobi sechs ganzer Wochen zugeschlossen und darin Gottes Ehre, die Predigt des heiligen und allein seligmachenden Wortes Gottes, die Reichung der heiligen Sacramente und andere Gottesdienste verhindert, gleichwie der gottlose König Ahab die Thüren des Tempels zu Jerusalem zugeschlossen und die wahren und von Gott befohlenen Gottesdienste abgethan hat. Hiemit ist E. E. W. noch nicht gesättigt gewesen, sondern hat auch dahin gedrungen, daß die treuen und beständigen und aus sonderlichen Gnaden Gottes dieser Stadt gegebenen Prediger Dr. Tilemannus und Herr Peter Eggerdes ohne alle vorgehende Erkenntniß ganz unchristlich aus der Stadt verjaget. Dadurch denn nicht allein dieso Stadt bei allen frommen gottesfürchtigen Leuten einen schändlichen bösen Namen

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bekommen, sondern auch Gottes Ehre und dieser Stadt und der umliegenden Kirchen Wohlfahrt vielfältig ist verhindert worden. Es sind auch E. E. W. sammt etlichen anderen mit dieser schändlichen und unchristlichen Verjagung der treuen Prediger noch nicht zufrieden gewesen, sondern haben noch dazu ein unwahrhaftiges und gotteslästerliches Mandat wider die entfremdeten und alle anderen treuen Prediger und alle christlichen Bürger, die es mit ihnen hielten, in den Druck gegeben, anschlagen und von der Kanzel ablesen lassen. Und wiewohl dies Mandat unter eines ganzen Ehrbaren Raths Namen ausgegangen ist, so ist dennoch dieses offenbar, daß E. E. W. "garnach" die vornehmste Ursache ist dieses großen Jammers, Elends und der greulichen Verfolgung und Verjagung der treuen Prediger, dadurch diese Stadt in Gottes Zorn und ewige Schande und Unehre, auch bei den Nachkommen gebracht ist."

"Denn erstlich als der gottlose, unzüchtige und schändliche Canonicus und Gotteslästerer Detlevus Danquardi gestorben, wissen sich E. E. W. zu erinnern, daß der würdige treue Diener Christi Herr Peter Eggerdes vor des Detlevi Begräbniß E. E. W. und die anderen Bürgermeister christlich ermahnet und auf das demütigste gebeten hat, daß sie einen Unterschied zwischen des gotteslästerlichen Canonici und der frommen Christen Begräbniß halten wollten, und den Schulmeistern und Küstern befohlen, daß sie des Detlevi Leichnam nicht sollten mit christlichen Gesängen, Läuten und anderen Ceremonien bestätigen, wie auch der würdige Herr Matthäus Adler, Herr Jochim Schröder und andere Prediger ebendasselbe zur selben Stunde für recht und christlich erkannt und Herrn Peter gerathen haben. Wider diese christliche und demütige Vermahnung hat E. E. W. aus Trotz den treuen Predigern und dem Predigamt zuwider nicht allein den Schulmeistern und Küstern ernstlich befohlen, daß sie alle gewöhnlichen Ceremonien, damit man fromme Christen zu ehren pflegt, auch diesem Canonico erzeigen sollten, sondern ist auch selber am allerersten dem gottlosen Gotteslästerer nachgefolgt."

"Zum andern als garnach alle Prädicanten öffentlich bezeugten, daß Herr Peter recht und christlich gehandelt hätte, und E. E. W. baten, daß sie sich an ihm nicht vergreifen sollten, ist E. E. W. sammt den anderen gleichwohl muthwillig fortgefahren und den gottseligen treuen Diener Christi Herrn Peter Eggerdes seines Predigamts entsetzt."

"Zum dritten als unser gnädiger Herr und Landesfürst Herzog Ulrich zu Mecklenburg eine gnädige Vorbitt für Herrn Peter Eggerdes gethan, daß er wieder in sein Amt eingesetzt

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würde, habend E. E. W. auch getrieben und dahin befördert, daß solches ganz ist abgeschlagen worden."

"Zum vierten als nun Herr Peter wiederum in sein Amt von Unserem gnädigen Herrn ist eingesetzt worden, haben E. E. W. mit allen Kräften danach gestanden, daß die frommen, treuen und beständigen Prediger Dr. Tilemann und Herr Peter Eggerdes ihres Amts wiederum beraubt würden, wie auch Gott erbarms letzlich geschehen ist."

"Zum fünften sind E. E. W. mit allem diesem unchristlichen Handeln nicht gesättiget, sondern unterstehen sich noch, dasselbe als recht und löblich zu vertheidigen und haben sonderlich den Spruch Christi vor vier Jahren etliche Male und nun am nächsten auch gegen Herrn Matthäus im Beisein Herrn Jochimi Schröders eingeführt: Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet, damit E. E. W. zu beweisen sich unterstehet, daß die Prediger Niemand von den Sacramenten abweisen und ohne christliche Ceremonien sollen begraben lassen." - -

"Dieweil nun E. E. W. mit dieser öffentlichen Gotteslästerung und Verfolgung der treuen Prediger und anderen Sünden wider die andere Tafel behaftet ist und dieselbe Sünde nicht allein nicht erkennen und bekennen, sondern auch noch für recht vertheidigen wollen, so können wir Diener der Kirche Christi zu Rostock vermöge unseres Amts und ernsten Befehls der ewigen göttlichen Majestät mit gutem Gewissen E. E. W. und andere, so zu dieser Lästerung und Verfolgung des Predigamts wissentlich gerathen und geholfen haben, und sich nicht erkennen, als Christen gebührt, zu des Herrn Abendmahl und anderem Sacrament und christlicher Ceremonien Gemeinschaft nicht zulassen und wollen die Gefahr, so uns darauf stehet, unserem Herrn Jesus Christus, der uns diesem Amt treulich vorzustehen berufen hat, befehlen."

"Welches wir E. E. W. auf ihr ernstliches Anfordern zur Antwort nicht haben können verhalten. E. E. W. sind wir in allem, was wir mit Gott und gutem Gewissen thun können, zu willfahren geneigt und wünschen E. E. W. von Herzen, daß E. E. W. als die jetzt auf der Gruben geht ihre Sünde erkenne und wahrhaftig Buße thue und an den Sohn Gottes glaube und ewig selig werde."

Auch mit den übrigen Mitgliedern des Raths, welche an der Vertreibung der beiden Prediger sich betheiligt hatten, verzögerte sich die Versöhnung noch längere Zeit, wie aus einem Actenstück (in den Acten des geistl. Min. zu Rostock Band XI. S. 433 ff.) ersichtlich ist, welches, datirt Rostock am Tage Concordiä 1561, die Ueberschrift führt: "Der Prediger zu Rostock

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letzte Antwort an die Herren Bürgermeister und etliche Rathsherren daselbst von wegen des Mandats, so wider das heilige Predigamt öffentlich unter E. E. Raths Namen publicirt ist, und von wegen der verjagten Prediger", und welches folgende eigenhändige Unterschriften von zehn rostocker Predigern trägt: M. Andreas Martinus, M. Georgius Reichius, Joachimus Schröderus, M. Simon Pauli, M. Henricus Streuius, Matthäus Fleghe, Joachimus Bansow, Thomas Johannes, Vitus Berg, Bartoldus Dethardingus.

In dieser Schrift gehen die Prediger davon aus, daß sie den Rath öffentlich auf dem Predigtstuhl mit Gottes Wort gestraft und zur Erkenntniß seiner Sünde und wahrer Buße vermahnt hätten wegen des "unchristlichen Mandats", durch welches er den Herrn Christus öffentlich in seinen Dienern angetastet habe. Danach, als die öffentliche Bußpredigt nicht sonderliche Frucht geschafft, hätten sie noch gebeten, daß der Rath sich mit dem Predigamt versöhnen möge, und zwar in einer anfangs (28. Febr.) 1560 eingereichten Schrift, welche in plattdeutscher Sprache verfaßt, dann eingerückt wird, und in welcher sie sich unter anderem auf zwei Schriften Luthers berufen, die, auf gleichen Fall gestellt, im 9. Bande der wittenberger Ausgabe S. 466 und 469 sich finden. Sie verlangen auch nicht öffentliche Abbitte vor der ganzen Gemeine, sondern nur Bekenntniß im Beichtstuhl, daß sie sich wider Gott und das heilige Predigamt, insonderheit mit dem Mandat und der Handlung wider die treuen Prediger versündigt haben. Auch mündlich hätten sie diese Ermahnung wiederholt. Aber hierauf habe der Rath geantwortet, daß er darin keine Sünde erkenne, und habe sogar die Verfolgung des heiligen Predigamts als eine rechte christliche und löbliche That entschuldigt und geschmückt, auch befohlen, daß die Prediger sich hinfort der Worte enthalten sollten, daß E. E. Rath seine Sünde in diesem Fall erkennen wolle und daß ein greuliches unchristliches Mandat von E. E. Rath publicirt sei. Wiewohl ihnen dies befohlen sei, so erfordere es doch ihr Amt, die scharfe und, wie es Dr. Röseler nenne, grobe Verantwortung E. E. Raths kürzlich aus Gottes Wort zu widerlegen. Die Lehre Tilemanns und sämmtlicher Prediger sei vor der ganzen Bürgerschaft eine pharisäische Secte genannt. "Danach haben E. E. W. diese christliche und gottselige Lehre, die Dr. Tilemann und wir unterschriebenen Prediger mit ihm einträchtig lehren, auch mit einem öffentlich gedruckten und von allen Kanzeln abgelesenen Mandat auf das allerschändlichste und greulichste gelästert und mit vielen öffentlichen Unwahrheiten beschwert und verfolgt." Die vortrefflichsten Diener Jesu Christi hätten sie un=

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verhörter Sache zum Stadtthor hinaus verjaget und den einen mit Spießen und Stangen bei nächtlicher Zeit, wie die Juden den Herrn Christus im Garten, überfahen, aus seinem Haus hinweggerissen und der Stadt verwiesen.

Dann werden die Entschuldigungen des Raths geprüft, welcher in seiner letzten Antwort behauptet hatte, das Mandat habe nicht den Zweck, das ganze Predigamt oder die frommen Prediger anzugreifen, sondern allein die Personen, so sich wider den Rath gesetzt, auch auf die Ausfälle in den Schriften von M. Georgius und Dr. Tilemann gegen den Rath Bezug genommen hatte. "Dagegen befindet sich öffentlich das Widerspiel, wenn man das gedruckte Mandat liest. Denn der Buchstabe des Mandats durchaus beweiset, daß es wider alle Prediger ausgegangen sei, welche die Verunheiligung des Sabbaths und den Mißbrauch der Sonntagsköste gestraft und den Unterschied frommer Christen und gottloser Lästerer im Begräbniß und anderen christlichen Ceremonien gehalten haben, und auch wider alle Prediger, die sich vernehmen lassen, daß E. E. W. mit der Verfolgung der treuen Prediger unrecht gehandelt haben. Nun müssen wir unterschriebene Prediger uns alle dazu von Gottes wegen bekennen, daß wir der verfremdeten Prediger Lehre und die Abschaffung der Sonntagsköste und anderer Mißbräuche für recht und christlich halten. So muß ja das Mandat wider uns alle sämmtlich publicirt sein, sonderlich dieweil etliche unter den Predigern, insonderheit als M. Georgius, M. Johannes Schregelius, Er Matthäus, E. E. Rath gebeten haben, daß man ihnen sagen wollte, ob sie damit gemeint würden. Man hat ihnen aber nichts eigentlich, weder ja noch nein antworten wollen. So sind Er Joachim Schröder und M. Georgius und andere also im Mandat abgemalt, daß man sich leichtlich kennen kann. Daraus öffentlich ist, daß das ganze Predigamt in dieser Stadt oder ja alle Prediger in dem Mandat gemeinet und darin als Verführer, Tyrannen, Aufrührer, Mörder und blasphemische Leidsprecher gelästert und geschändet werden. Und ist darum keiner namkundig gemacht, damit sie allzumal verdächtig gehalten und geschändet werden. Denn daß man vorgibt, es sei das Mandat allein wider die Prediger gestellet, die sich wider E. E. Rath gesetzt haben, da müssen wir dieses bekennen, wenn eine Obrigkeit außer ihrem Amt schreitet und öffentlich unrechte Sachen wider Gott und sein heiliges Predigamt vornimmt, daß in diesem Fall nicht allein die Prediger, sondern auch die anderen Unterthanen nicht sollen ihrer Obrigkeit gehorsam sein, nach dem Spruche Petri: Oportet Deo magis obedire quam hominibus. Item: Time dominum, mi fili, et regem."

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In Betreff der Schriften von Tilemann und Reiche bemerken die Prediger, daß diese Verantwortungen durch das gotteslästerliche Mandat hervorgerufen wären, und daß man Gott, welcher den Rath durch M. Georgium zur Buße vermahnt habe, demüthiglich hätte folgen sollen.

"Was nun den anderen Artikel, von der Vertreibung Dr. Tilemanni und Er Peter Eggerdes belanget, haben E. E. W. erstlich durch Dr. Röseler reden lassen, daß wir den Anfang bedenken sollten. Eggerdes hätte ein neu Regiment (mit den Sonntagskösten, mit Abweisen von der Taufe, mit dem Unterschied im Begräbniß) wollen anrichten, ohne der anderen Prediger Wissen und Willen, derer noch etliche in unserem Mittel wären. Dagegen wissen sich E. E. W. zu erinnern, daß zuvor, ehe denn Er Peter Eggerdes abgesetzt ward, die ältesten Prediger als Er Matthäus Adler, Er Peter Hakental, Er Jochim Schröder, auch M. Andreas Martinus allhie auf der Schreiberei gewesen und vor E. E. W. öffentlich Er Peters Lehre und Handlung vertheidigt haben; und hat sonderlich Adler gesagt, was Er Peter Eggerdes gelehret hätte, das hätte er auch gelehret und wäre Gottes Wort. Auch sagt der alte Er Peter Hakental, daß er vor zwanzig Jahren also gelehret hätte, daß man sollte einen Unterschied zwischen gottesfürchtigen und gottlosen Leuten im Begräbniß halten, und man sollte sich an dem jungen Manne nicht vergreifen, er hätte hohe Gaben, er hätte den heiligen Geist. Dasselbe haben auch Er Jochim Schröder und M. Andreas da vor dem ganzen Rath öffentlich bekannt."

"Darum nimmt uns Wunder, daß E. E. W. dieses reden darf, daß Er Peter Eggerdes ein neues Regiment ohne der anderen Prediger Wissen und Willen angefangen habe, so es doch alle Prediger, die dazumal vor E. E. W. vorgefordert waren, für recht erklärt und bewilligt haben. Daß aber hernach der alte Er Peter (Hakendal) abfiel und zu der treuen Prediger Verfolgung half, das lassen wir Gott richten."

"Was nun E. E. W. von dem Proceß haben reden lassen, daß Er Peter Eggerdes wider die Notel, so uns von den fürstlichen Commissarien ist zugestellet, gehandelt habe, kann sich E. E. W. erinnern, daß von den fürstlichen Commissarien unsere Lehre und angefangene Disciplin ausdrücklich für recht und christlich erkannt ist. Wir haben uns auch nie anders mit dem Proceß gehalten als in der Notel vorgeschrieben ist, allein dieses ausgenommen, daß wir die Gevattern unterweil in der Kirche angesprochen haben, welches die Commissarien nicht als unrecht strafen, sondern allein, damit weniger Ursache zur Verbitterung wider das Predigamt gegeben werde, für gut angesehen, daß

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man die Gevattern nicht in der Kirche, sondern wo es Noth wäre, privatim ansprechen und berichten soll."

"Daß man aber dieses sehr hoch aufmutzt, daß Er Peter etliche, so dem gottlosen Detlevo gefolgt, mit Namen von der Kanzel genennet hat, wissen E. E. W., daß Er Peter vor dem Begräbniß die Herren Bürgermeister vermahnet hat, daß sie den gottlosen Lästerer nicht sollten wie einen anderen frommen Christen begraben. Aber man hat den Predigern und dem Predigamt zuwider und zum Trotz, den Gotteslästerer mit allen Ceremonien, damit man fromme Christen zu ehren pfleget, bestätiget. So hat auch Herr Peter Niemand in den Bann gethan, sondern allein geklaget, daß dieselben seine Schäflein, die christliche Gemeine, so öffentlich geärgert hätten, und ob er schon darin etwas zu viel gethan hätte, so können wir in solchen göttlichen Sachen, die Gottes Ehre und der Menschen Seligkeit belangen, mit St. Paulo sprechen: thun wir zu viel u. s. w. Und folget darum ganz und gar nicht, daß man deshalb einen frommen treuen Prediger, der da seines Herrn Christi treuer Diener und in der Lehre und Leben unsträflich ist, sollte der Ursache halben seines Amtes entsetzen und zum Thor hinausführen."

"Daß man auch vorgibt, die Entschuldigung gelte nicht, daß man den Rath einmal zuvor darum begrüßt hätte, man sollte drei= oder viermal vor den Rath gekommen sein, wissen sich E. E. W. selbst zu erinnern, wie oft die Prediger zu derselben Zeit begehrt haben, mit E. E. Rath zu reden, daß man sie noch nicht gut dafür geachtet hat, daß man sie vorlassen ("furstaden") wollte, und sind in einer Woche dreimal abgewiesen worden, bis daß sie hintennach damit Audienz erhalten haben, daß sie anzeigen ließen, wo sie E. E. Rath nicht hören wollte, so würden sie es unserem Herrn Gott und der christlichen Kirche öffentlich klagen."

"Es hat auch Dr. Röseler und andere den 83 Canonem Apostolorum, wie man sie unverschuldet nennt, angezogen, daß die weltliche Obrigkeit eigene Macht habe, solche Prediger, die wider die Obrigkeit handeln, abzusetzen und zu bestrafen: Quisquis Imperatorem auf magistratum contumelia affecerit, supplicium luito, et quidem si clericus sit, deponitor, si laicus, a communione removetor. Nun ist noch dieses ganz disputirlich, ob der, so der Obrigkeit Sünden Amts halben straft, die Obrigkeit höhne und lästere, und ob schon dem also wäre, so folgt aus diesem Canone noch nicht, daß ihn die weltliche Obrigkeit darum absetzen soll. Denn daß er nicht von der weltlichen Obrigkeit Strafe rede, scheint daraus, daß er die Laien, so ihre Obrigkeit lästern, nur von dem Sacrament weisen heißt, welches nicht der weltlichen Obrigkeit, sondern der geistlichen

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Obrigkeit als dem Bischof oder Pastor zusteht. Aber wenn wir aus den Canonibus hievon handeln wollen, möchten wir auch wohl Canones zusammensuchen, die viel anders lauten, als 17. 9. 4. cap.: Si quis suadente diabolo in clericum violentas manus iniecerit, anathematis vinculo subjaceat, et nullus Episcoporum illum praesumat absolvere, nisi mortis urgente periculo. Aber bei uns Christen soll Gottes Wort billig höher denn alle Canones geachtet werden, welches also spricht: Fürchte den Herrn von ganzem Herzen und halte seine Priester in Ehren" u. s. w.

"Daß aber E. E. W. sich allezeit vernehmen läßt, daß sie nicht Verfolger des Predigamts und Gottes Worts können gescholten werden, dieweil sie nun über die dreißig Jahre Gottes Wort haben predigen lassen und demselben allezeit alle mit einander von Herzen zugetan und gewogen sind gewesen, da wollen wir auf diesmal, größere Verbitterung zu verhüten, nicht von handeln. Es wird sich aber E. E. W. gleichwohl zu erinnern wissen, wie ihrer etliche viele Jahre her gegen das Evangelium und die treuen Prediger, die fast alle über E. E. W. als Verfolger der treuen Prediger stets heftig geklagt haben, gesinnt gewesen sind, und wie man mit Er Jochim Slüter, mit Er Adler, mit Dr. Smedenstet, mit Er Jochim Schröder, mit Dr. Tilemann und uns anderen, die wir noch hier sind, gehandelt hat, das ist jedermänniglich bekannt."

"Und daß E. E. W. den gefaßten Haß und Neid und die Verfolgung wider die treuen Diener Christi Dr. Tilemann Heshusius und Er Peter Eggerdes noch nicht fallen lassen, ist daraus offenbar, daß ihr sie nicht allein hie giftiglich und feindlich ohne alles Aufhören lästert, sondern auch noch neulich an die Römisch Kaiserliche Majestät ein Schreiben habt stellen lassen, darin ihr sie auf das allerbeschwerlichste und heftigste angebet und darum fordert, daß man sie nicht wiederum in dieses Land und sonderlich nicht in die Stadt Rostock einkommen soll lassen."

"Nun wisset ihr ja selber aus Gottes Wort, wenn ihr schon in allen anderen Sachen löblich gehandelt hättet, daß ihr gleichwohl, so lange ihr in Haß und Neid lebet und euch mit eurem beleidigten Widersacher nicht vertragen habt, das Sacrament nicht würdiglich empfangen könnt. Daß E. E. W. aber spricht, wir sollen euch das Sacrament reichen und euch dafür sorgen lassen, ob ihr es würdiglich oder unwürdiglich zu eurem Gericht empfanget, das ist zumal unbedächtig geredet. Denn gleich wie allen Christen empfohlen wird, daß sie sich selber prüfen sollen, daß sie nicht unwürdig den Leib Christi essen, also ist allen treuen Seelsorgern befohlen, daß sie Niemanden, den sie

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wissen, daß er es unwürdig und zu seinem Gericht empfangen würde, das Sacrament reichen sollen. Dieweil ihr nun in öffentlichen und landrüchtigen Sünden, in Verfolgung, Haß und Neid der treuen Diener Jesu Christi lebt, und darin verharret und dieselben weder erkennen noch bessern wollt, so erfordert unser von der göttlichen Majestät uns auferlegtes Amt, so wir dasselbe als treue Haushalter ausrichten und nicht von euertwillen verdammt sein wollen, daß wir euch zu der Gemeinschaft des hochwürdigen Sacraments des Herrn Nachtmahls nicht zulassen können, ehe wir gewisse Anzeigung von euch haben, daß sich E. E. W. diese Verfolgung der treuen Prediger lasse leid sein und sich mit den beleidigten Predigern ernstlich zu versöhnen begehren."

"Nun haben wir keinen Zweifel, es werden in eurem Mittel ja noch etliche fromme gottesfürchtige Herren sein, die sich den heiligen Geist werden regieren lassen und diese unsere Bußpredigt und treue Vermahnung zu Herzen nehmen und ihnen herzlich lassen leid sein, daß sie zu der Verfolgung des heiligen Predigamts und der treuen Prediger geholfen oder gewilligt haben. Dadurch unser Herr Christus heftig erzürnet und viele fromme heilige Leute in dieser Stadt und anderswo geärgert und herzlich betrübet und diese Stadt im ganzen Deutschland einen bösen Namen bekommen hat."

"Wo nun etliche aus E. E. W. Mittel sich also christlich gegen uns Diener Christi in diesem Handel erklären werden, so wollen wir uns auch wiederum, als ihren lieben und treuen Seelsorgern gebührt, gegen sie christlich und freundlich erzeigen, also daß sie selbst ein christliches und freundliches Gefallen daran haben sollen. Wir wünschen auch allen E. E. W. von Herzen, daß sie diese unsere treue und ernste Vermahnung, dabei wirs forthin wollen bleiben lassen, fleißig betrachten und zu Gemüth führen und sich vor der ewigen göttlichen Majestät und unserem Heiland Jesu Christo herzlich demüthigen, ihre Sünden erkennen und forthin das heilige Predigamt und die treuen Diener lieb und werth halten und zu Gottes Ehre und der Kirche und ihrer selbst Wohlfahrt alle ihre Handlungen richten. Da wird unser Herr Gott wiederum seine Gnade, Segen, Ehre und Glück und alle zeitliche und ewige Wohlfahrt E. E. W. und dieser ganzen löblichen Stadt reichlich verleihen. Amen."

Durch die Vermittelung des pommerschen Superintendenten Dr. Jacob Runge, welcher im Jahr 1561 zu Rostock anwesend war und hier den M. David Chyträus und M. Simon Pauli zu Doctoren der Theologie promovirte, gelang es endlich, eine Aussöhnung zwischen Geistlichkeit und Rath zu Stande zu bringen, welche am Sonntage Cantate, den 4. Mai

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1561, in der Marienkirche am Schluß der Predigt folgendergestalt durch Dr. Runge öffentlich verkündigt ward: "Lieben Freunde in Christo. Nachdem in dieser Kirchen Uneinigkeit und Irrung zwischen dem Ehrbaren Rath und dem Predigamt etliche Zeit gewesen, so hat der allmächtige liebe Gott seine göttliche Gnade verliehen, daß solches alles christlich und wohl ist vertragen; daß Gottes Ehre gepreiset und die Conscientien gestillet sind. Und hat E. E. Rath sich dermaßen erklärt, daß die Prediger mit dem Rath und wiederum der Rath mit den Predigern wohl zufrieden sind. Als aber an solcher gottseligen Vereinigung unserer lieben Obrigkeit mit dem heiligen Predigamt unserem Herrn Jesu Christo, der lieben Kirche und der ganzen Stadt groß gelegen, sollen alle Christen von Herzen Gott dem Herrn dafür danken und bitten, daß er mit seinem heiligen Geist, das er angefangen, wolle stärken und bestätigen. Amen".

 

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III.

Ueber

die Fürstin Woizlava,

Gemahlin des Fürsten Pribislav von Meklenburg,

und

die Kapelle zu Althof,

von

G. C. F. Lisch.


Mit 2 Tafeln in Farbdruck und 1 Holzschnitt.


1. Bauzeit der Kapelle zu Althof.

D ie kleine Kapelle zu Althof bei Doberan, deren Geschichte in den Jahrbüchern des Vereins für meklenburgische Geschichte II, S. 1 flgd. so genau wie möglich erforscht und dargestellt ist, galt in ihrem Ganzen in neuern Zeiten für das älteste Gebäude in Meklenburg=Schwerin, da hier das Christenthum zuerst Wurzel geschlagen hat, - obgleich schon im Jahresber. VII, S. 60, gesagt ist, daß die Kapelle durch die verschiedenen Restaurationen im Laufe der Zeit so sehr gelitten habe, daß sich ein alter, bestimmter Baustyl nur mit Mühe herausfinden lasse. Im Frühjahr 1851 unterwarf ich, nach gewonnener reiferer Erfahrung in den Eigenthümlichkeiten des meklenburgischen Ziegelbaues, die Kapelle noch einmal einer sorgfältigen Prüfung und muß in Folge derselben bekennen, daß das Gebäude in seinem Ganzen und in seiner jetzigen Gestalt aus der Reihe der alten Bauten im Rundbogenstyle zum größten Theile ausscheiden muß. Zwar ist es wohl nicht zu bezweifeln, daß die Kapelle an der Stelle, ja zum größten Theile auf den Fundamenten des ältesten Gotteshauses in Meklenburg=Schwerin und der ersten doberaner Klosterkirche steht, daß Pribislav's Gemahlin Woizlava, welche vom Norden her das Christenthum nach Meklenburg brachte, in dieser

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Kirche begraben ward und daß die Kapelle sicher noch Reste des ältesten Baues enthält, wie fast alle Kirchen, welche im 14. und 15. Jahrhundert restaurirt, erweitert und erhöhet sind; aber der Bau in seinen meisten Theilen, so wie er jetzt dasteht, gehört dem Spitzbogenstyle des 15. Jahrhunderts an.

Diese Kirche hat ursprünglich ohne Zweifel ein einfaches Oblongum, mit einer halbkreisförmigen Altarnische im Osten, gebildet. Der Eingang war, wie noch heute, in der westlichen Wand, welche einen hohen, dreiseitigen Giebel hat.

Bei der Untersuchung muß man strenge diese Giebelwand und die übrigen Ringmauern scheiden.

Die jetzige Grundform der Kapelle ist ein einfaches Oblongum mit dreiseitigem Chorschlusse; die sehr kurzen und weiten Fenster sind im Spitzbogen gewölbt; zwischen je zwei Fenstern steht an den Außenwänden ein kräftiger Strebepfeiler; die Außenwände haben hervorstehende, gegliederte Sockel. Die Gewölbe haben Gewölberippen; die Gewölbe sind niedrig und etwas flach, weil die Kapelle niedrig und weit ist. selbst die Pforte ist rein spitzbogig geworden. Alle diese Eigenthümlichkeiten reden ganz bestimmt und sicher für den zur Zeit des Baues längst ausgebildeten Spitzbogenstyl.

Die westliche Giebelwand stammt dagegen sicher aus der Zeit des ersten Baues, aus dem 12. Jahrhundert, und ist das älteste Ziegelmauerwerk in Meklenburg=Schwerin, wenn auch, wie sehr häufig geschehen, die Pforte im Spitzbogenstyl verändert ward. Man sieht es dem ganzen Mauerwerk und der ganzen Construction des Giebels an, daß dieser Giebel uralt sei. Ueber der Pforte steht auf der Außenwand ein Fries von kräftigen Halbkreisen, das charakteristische Kennzeichen des Rundbogenstyls. Freilich sind diese schwarz glasurten Halbkreise bei der Restauration im J. 1823 neu eingesetzt, aber nach dem Muster der alten; den beweis liefern noch die kleinen Ziegelconsolen, auf denen die Halbkreise ruhten: diese sind alt, eigentlich das allein und sicher alte Ornament an der Kapelle. Die kleinen Kreissegmente, durch welche die Bogen oben verbunden sind, stammen vielleicht aus der neuesten Restauration; es läßt sich wenigstens nicht mehr ermitteln, ob sie früher da waren. Die kleinen Fenster hoch in der Wand und die Rose im Giebel, welche jetzt freilich mit hölzernem Maaßwerk gefüllt ist, zeugen ebenfalls für eine alte Anlage. Im Innern der Kirche stehen in den Langwänden zunächst bei der Pforte unter dem ersten Gewölbe über einander zwei rundbogige Nischen, von denen die oberen sich dicht unter der ersten Gewölbekappe

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wölben und die beiden ersten Fenster der Kapelle zu beiden Seiten am Eingänge überdecken. Es ist daher anzunehmen, daß die westliche Giebelwand, mit dem eigenthümlichen Thurme in der südlichen Ecke derselben, mit Ausnahme der Spitzbogigen Pforte, und die allein rundbogig aufgemauerten Anfänge der Seitenwände, so weit das erste Gewölbe reicht, allein von dem ersten Bau aus dem 12. Jahrh. stammen; die Alten liebten es, bei Restaurationen Reste des alten Baues in den neuen aufzunehmen.

Sicher ward die Kapelle schon in den kriegerischen Zeiten im Anfange des 14. Jahrh. unter dem Fürsten Heinrich dem Löwen von Meklenburg hart mitgenommen (vgl. Jahrb. II, S. 8) und darauf zum ersten Male restaurirt. Hiefür zeugen, außer dem ausdrücklichen Zeugnisse, auch die Ziegel mit der Inschrift auf die Fürstin Woizlava, deren Schriftzüge bestimmt auf das erste Viertheil des 14. Jahrh. deuten. Sicher wird aber diese Inschrift schon damals von einer alten copirt und restaurirt sein. Es waren zwei Inschriften gleichen Inhalts vorhanden. Die eine war schwarz glasurt; mehrere Steine von derselben mit dem Hauptinhalt der Inschrift fanden sich in der Außenwand der Kapelle im Gesimse verkehrt eingemauert. Diese Steine haben einen viel älteren Charakter und stammen wohl sicher wenigstens aus dem 13. Jahrhundert; sie sind schon bei der ersten Restauration der Kapelle im Anfange des 14. Jahrh. wieder vermauert. Die andere Inschrift besteht aus unglasurten, sehr sorgfältig gearbeiteten und geölten Ziegeln, in welche die Inschrift mit sehr schönen, aus dem ersten Viertheil des 14. Jahrh. stammenden Unzialen eingeschnitten ist. Diese Ziegel fanden sich im Innern der Kapelle und sind ohne Zweifel von der alten glasurten Inschrift, welche in dem Mauerkranze der alten Außenwand saß, copirt. Die unglasurte Inschrift (vgl. Jahrb. XV, S. 166) war also im Innern der Kapelle angebracht und ist schon ein Beweis für das jüngere Alter der Kapelle, so wie sie jetzt erscheint.

Es lassen sich aber auch urkundliche Andeutungen über die verschiedenen Restaurationen und Mutationen der Kapelle beibringen.

Zuerst litt Althof wiederholt in den kriegbewegten Zeiten des Fürsten Heinrich des Löwen ungefähr in der Zeit von 1312 bis 1318, indem nach den Schadensrechnungen das Kloster wiederholt entschädigt wird für die "Schäden, welche es zu Althof erlitten: pro dampnis in Antiqua Curia". Damals wird aber noch nicht das Mauerwerk der Kapelle bedeutend gelitten haben; jedoch wird gleich nach jener Zeit bei der Re=

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stauration der Kapelle auch die unglasurte Inschrift restaurirt worden sein.

Der Umbau der Kapelle im Style des 15. Jahrhunderts geschah ohne Zweifel um die Zeit von 1450, und aus dieser Zeit stammt denn auch die Kapelle in ihrer jetzigen Gestalt. Am 20. Juli 1450 gab nämlich der Bischof Nicolaus von Schwerin dem Kloster Doberan einen Ablaß für alle diejenigen, welche nicht allein die Klosterkirche, sondern auch die Kapelle an der Pforte der Kirche zu Doberan, (d. i. die kleine Heilige Bluts=Kapelle vor der Nordpforte der Kirche) und die "Kapelle zu Althof" innerhalb eines Jahres in Andacht besuchen und mit Gaben bedenken würden:

"ecclesiam in Dobbran ac capellam m porticu ipsius monasterii, necnon eciam capellam in Antiqua Curia Antiquum Dobbran nominata."

Es geht hieraus ("nominata") zugleich hervor, daß der bei der Kapelle, als einer alten ehrwürdigen Reliquie, stehende Hof damals noch Alt=Doberan genannt ward.

Dieser Ablaß muß aber nicht hinreichend Früchte getragen haben, denn am 26. Oct. 1461 wiederholte der Bischof Werner von Schwerin den Ablaß mit denselben Worten, als er an diesem Tage die in dem Schreine des Hochaltares ("in cimborio summi altaris ecclesie") der Klosterkirche zu Doberan stehenden silbernen Bilder der Apostel Johannes und Jacobus weihete.

Die damals wahrscheinlich verfallene Kapelle zu Althof wird also in der Zeit von 1450 bis bald nach 1461 umgebauet sein, da Ablaß gewöhnlich verliehen ward, wenn ein kirchlicher Bau begonnen oder ausgeführt werden sollte. Und hiemit stimmt denn auch der jetzige Styl der Kapelle im Allgemeinen vollkommen überein.

Bei der Restaurirung der Kapelle im J. 1823 ist ein Versehen gemacht, welches jetzt, nachdem die Geschichte der mittelalterlichen Baukunst so bedeutende Fortschritte gemacht hat, sehr lehrreich geworden ist. Im Style der großen doberaner Ziegelkirche sind die Wände verständiger Weise roth übertüncht und weiß quadrirt, als Nachahmung des Ziegelbaues; der Rohbau konnte nicht hergestellt werden, da die Wände und die Gewölbe sehr durch Rauch gelitten hatten, indem die Kapelle Jahrhunderte lang zum Backhause benutzt worden war. Es sind aber auch die Gewölbekappen eben so decorirt; dies ist aber ganz gegen den Styl des Ziegelbaues und so auffallend und störend, daß man jetzt augenblicklich begreift, daß es nicht so sein muß. Die Gewölbe der Ziegelkirchen wurden in alten Zeiten stets mit Kalk überputzt und blieben in diesem naturfarbenen Putze stehen oder

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wurden auch mit Fluren oder Arabesken bemalt; die Gewölberippen aber ließ man entweder im Rohbau stehen, oder übermalte sie, wenn die Gewölbekappen gemalt wurden, mit bunten Bändern oder ändern bunten Verzierungen.


2. Denkmäler der Kapelle zu Althof.

Nach vieljährigen Forschungen wurden im J. 1852 auf Befehl Sr. Königlichen Hoheit des regierenden Großherzogs Friedrich Franz II. die geschichtlichen Denkmäler der Kapelle zu Althof in angemessener und würdiger Weise wieder hergestellt und mir die Leitung der Arbeiten Allerhöchst übertragen.

Im J. 1164 vermählte sich der Fürst Pribislav von Meklenburg mit "des Königs von Norwegen Tochter Woizlava", nahm, von seiner Gemahlin geleitet, den Christenglauben an, zerstörte das heidnische Heiligthum auf dem fürstlichen Hofe Doberan, d. i. jetzt Althof, und begann den Bau des ersten Gotteshauses in diesen Landen, der Kapelle zu Althof. Im J. 1170 stiftete Woizlava das Cistercienser=Mönchskloster Doberan neben dieser Kapelle zu Althof und Pribislav bestätigte, gründete und vollendete das Kloster. Darauf zog Pribislav 1171-1172 mit dem Sachsenherzoge Heinrich dem Löwen nach dem Heiligen Grabe. Während der Zeit starb im J. 1172 Woizlava und ward in der von ihr erbaueten Kapelle zu Althof begraben. Nach dem am 30. Dec. 1178 erfolgten Tode Pribislav's zerstörten die wieder vom Christenthume abgefallenen Wenden das Kloster zu Doberan oder Althof. Im J. 1186 stellte der Fürst Borwin I. das Kloster wieder her und verlegte es zugleich nach dem wendischen Dorfe Doberan, wo die Kirche noch jetzt steht. seit dieser Zeit ward der Klosterort schlechtweg Doberan und der fürstliche Hof Doberan, wo früher das Kloster stand, Alt=Doberan oder Alt=Hof genannt. In Althof wohnte späterhin immer ein Hofmeister des Klosters, welcher ohne Zweifel die Kapelle zum Gottesdienste benutzte. Aber schon seit dem J. 1312 litt die Kapelle während der kriegerischen Bewegungen unter der Regierung des meklenburgischen Fürsten Heinrich des Löwen, und in der Zeit von 1450-1461 war sie schon so baufällig, daß sie umgebauet werden mußte. Jedoch verfiel die Kapelle schon vor der Reformation, und bereits im J. 1522 mußte der Herzog Heinrich der Friedfertige selbst die Kapelle an

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einem wilden Orte wieder entdecken. In der Reformationszeit ward das Gotteshaus aber ganz vergessen und schon im J. 1610 ward es als Backhaus benutzt; an der Stelle des Altars stand der Backofen. So blieb es bis zum 9. Aug. 1822, als ein Blitzstrahl das Dachwerk entzündete und der von Doberan herbeigeeilte hochselige Großherzog Friedrich Franz I. mit seinem historischen Scharfblick die Kapelle wieder entdeckte und deren Herstellung sogleich anordnete. Während des Baues, den der hochselige Herr beaufsichtigte und häufig besuchte, entdeckte Höchstderselbe in den Mauern der Kapelle nach und nach die Inschriftziegel, welche zu Jahrb. II. auf einer lithographirten Tafel mitgetheilt sind, und vor dem Altare die Gebeine der Fürstin Woizlava in einem Grabe, welches der Herzog Heinrich der Friedfertige im J. 1522 noch selbst gesehen und durch die Inschrift bezeichnet gefunden hatte. Der Großherzog Friedrich Franz I. nahm Alles, so wie es nach und nach gefunden ward, mit sich nach Doberan, um es zu entziffern, und bediente sich dabei häufig der Hülfe des dem einsichtsvollen Fürsten in geschichtlichen Dingen vertrauten wail. Professors Schröter zu Rostock, welcher damals mit Begeisterung in die meklenburgische Geschichte eindrang. Die Studien gingen in den ersten Jahren sehr lebhaft. Schröter reiste im Sommer oft nach Doberan, wohin ich, als ein jüngerer Freund desselben, ihn mehrere Male begleitete; ich sah und verfolgte Alles genau und half mit meinen schwachen Kräften; wiederholt nahmen wir für den Winter Ziegel mit nach Rostock. Es mußte aber Alles immer wieder nach Doberan zurückgebracht werden, da der hochselige Großherzog Alles Höchstselbst in seinem Cabinet zu Doberan bewachte. Kaum war die Angelegenheit der Veröffentlichung nahe gebracht, als Schröter im J. 1825 plötzlich seinem Wirken entrissen ward. Nun ruhete alle Forschung auf längere Zeit, da Niemand im Lande war, der sich in so weitschichtige Studien, als sie dieser Gegenstand erforderte, versenkt hatte. Der Großherzog wünschte von Jahr zu Jahr, die geschichtlichen Denkmäler Doberans wieder zu Ehren zu bringen, jedoch unterblieb dies immer, weil es ihm an kundiger Hülfe fehlte, bis Er selbst darüber hinwegstarb. Während der Zeit ward ich im J. 1834 zum Archivar berufen und im J. 1835 der Verein für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde gestiftet. Der Verein nahm nun sogleich die höchst wichtige Forschung wieder auf; der hochselige Großherzog Friedrich Franz I. beförderte sie lebhaft, und ich veröffentlichte in dem II. Jahrgange der Jahrbücher des Vereins im J. 1837 die angestellten Forschungen zugleich mit einer lithographirten Abbildung der Inschriftsteine. Noch waren diese

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Jahrbücher nicht ausgegeben, als der Großherzog Friedrich Franz I., welcher Doberan so innig, und mit Recht, liebte, am 1. Febr. 1837 zu seinen Vätern ging. Ich erhielt nun nach seinem Tode den Auftrag, alle meklenburgischen Merkwürdigkeiten aus den Schlössern, welche Friedrich Franz I. über 50 Jahre lang bewohnt hatte, nach Schwerin in die öffentlichen Sammlungen zu bringen, und so versetzte ich dahin auch die Denkmäler von Doberan. Ich fand in Doberan in dem Arbeitscabinete des hochseligen Herrn die Gebeine der Woizlava und in einem andern Zimmer die Inschriftziegel so sorgfältig aufbewahrt, wie ich sie seit 13 Jahren gekannt und aufmerksam verfolgt hatte. In Schwerin bewahrte ich diese Reliquien wieder 15 Jahre mit der gewissenhaftesten Sorgfalt. Während der ganzen Zeit ging die Forschung lebhaft weiter, wie die ununterbrochenen Berichte in den Jahrbüchern des Vereins für meklenburgische Geschichte andeuten, bis ich, treu von meinen gelehrten Freunden, namentlich den Professoren Deecke zu Lübeck und Wiggert zu Magdeburg unterstützt, die Sache beherrschen zu können glaubte.

Da nun die Forschung bis zur möglichen Klarheit gediehen war, so beschloß der regierende Großherzog Friedrich Franz II., welcher mit glühender Liebe und bedeutenden Opfern die stylgemäße Wiederherstellung der erhabenen Kirche zu Doberan, des schönsten und edelsten Kunstwerkes Meklenburgs, verfolgt, die Herstellung der geschichtlichen Denkmäler der Kapelle zu Althof und beehrte mich mit dem hohen Auftrage der Ausführung, welche im Sommer des J. 1852 vollendet ward.

1) Vor dem Altare wurden die Gebeine der Fürstin Woizlava wieder in eine Gruft gesenkt und auf dieselbe eine große, dicke Platte von festem, bräunlichgrauen nordischen Marmor gelegt, mit der Inschrift:

Inschrift
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Zu Häupten des Grabes, von dem Leichensteine bis zur Altarstufe, sind von den sehr merkwürdigen, kleinen, glasurten Mosaikziegeln, welche früher den ganzen Altarraum und die Grabstätte bedeckten und von denen weiter unten ausführlich die Rede sein wird, als Monument zwei kleine Quadrate zusammengesetzt und mit dem um den Leichenstein gelegten Fries von Ziegelsteinen in angemessene Verbindung gebracht.

2) In die innere Kirchenwand links vom Altare, zur einen Seite des Leichensteines, wurden die unglasurten Inschriftziegel eingemauert, und zwar in 4 Reihen, da die Forschung unbestreitbar ergab, daß die Inschrift aus leonimschen Hexametern bestanden hatte. Auf Allerhöchsteigenen Befehl Sr. Königlichen Hoheit wurden an den fehlenden Stellen nur glatte Ziegel gesetzt und auf diese die fehlenden Buchstaben der Inschrift gemalt, um künftige Forscher nicht irre zu leiten. Zwar mag die Inschrift noch nicht völlig sicher und vollständig, ja an dieser und jener Stelle im Versmaaße fehlerhaft sein; etwas Anderes und mehr war durchaus nicht zu erreichen, und man muß sich mit der Ueberzeugung beruhigen, daß der Hauptinhalt der Inschrift zuverlässig und vollständig ist. Die Inschrift, von welcher die hier mit großen Buchstaben gesetzten Stellen alt, die mit kleinen Buchstaben gesetzten Stellen durch Malerei ergänzt sind, lautet jetzt folgendermaßen:

Inschrift

Die diese Inschrift ergänzenden, älteren, schwarz glasurten Doubletten dieser Inschriftsteine mit den Worten:

Inschrift

sind unter dem Gesimse der Außenwand, wo sie in alter Zeit saßen und wohin sie gehörten, über dem Altarfenster eingemauert.

Die Bruchstücke mit D A - und - e c I e - ließen sich nirgends unterbringen.

3) An der Innern Kirchenwand rechts vom Altare, zu der andern Seite des Leichensteines und der Ziegelinschrift gegenüber, ward eine weiße Marmortafel befestigt, in welche die Inschrift auf die Restauration der Kapelle mit vergoldeten Buchstaben eingehauen ist, welche der hochselige Großherzog Friedrich Franz I. nach der Abfassung und Besorgung des Professors Schröter, auf einen Bogen Papier gedruckt, in einem Rahmen unter Glas, im J. 1823 dort aufhängen ließ, eine Art und

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Weise der Denkmalsetzung, welche der Dankbarkeit der Nachkommen nicht würdig und dauerhaft genug erschien und deshalb durch eine Marmortafel ersetzt ward. Die Inschrift lautet:

Inschrift

Die Steinlieferungen und Steinhauerarbeiten sind von der J. G. Tiedemann'schen Steinhauerei zu Rostock sehr vorzüglich ausgeführt.

4) Der Zufall veranlaßte die Setzung eines vierten interessanten Denkmals. Im Sommer des J. 1851 ward nahe bei der Kapelle, auf der Ziegelei, ein Stein ausgegraben, welcher mehr als jeder andere Stein die Vermuthung für sich hat, daß er ein heidnischer Opferstein gewesen sei. Dieser Stein ist ein roher, fester, feinkörniger Granit von ziemlich regelmäßiger viereckiger Gestalt: die Oberfläche bildet ein Quadrat von ungefähr 2 Fuß, die Höhe beträgt ungefähr 1 1/4 Fuß. In die sehr ebene und feste, und wie es scheint nachgeglättete Oberfläche des Steines ist eine sphärische Vertiefung von etwa 10 Zoll Durchmesser, wie ein vollkommener Kugelabschnitt oder eine Schale, sehr regelmäßig und vollendet eingeschliffen. Es läßt sich freilich über diesen merkwürdigen Stein nichts mit Bestimmtheit behaupten, aber doch annehmen, daß wenn irgend ein Stein in Deutschland ein heidnischer Opferstein sein soll, dieser Stein es sein muß. Aehnliche Steine sind bisher nur auf der Insel Rügen, auf den Höhen vor der Stubbenitz, dem Walde vor der Stubbenkammer, namentlich bei Quoltitz, bemerkt worden. Da nun zu Althof nach der alten Chronik ein heidnisches Heiligthum des "Gütigen" war, wie Doberan auf deutsch heißt, da Ernst von Kirchberg sagt: "zu Alden Doberan dy abgode warf er (Pribislav) heszlich nider", so lag es sehr nahe, dem Steine einen angemessenen Platz zu geben, so daß durch ihn die Restaurations=Inschrift mit dem Anfange: "An der Stätte eines heidnischen Heiligthums" u. s. w. eine sichtbare Bedeutung erhielt. Der Stein ward daher, um die Denkmalssetzung vollständig zu machen, vor der Kapelle neben der Eingangspforte aufgestellt

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3. Die Herkunft der Fürstin Woizlava aus Norwegen.

Herkunft der Fürstin Woizlava.

Die Kapelle zu Althof ist eines der ehrwürdigsten Denkmäler Meklenburgs, theils weil sie, wenn auch vielfach restaurirt und umgebauet, das älteste Gotteshaus in den meklenburg=schwerinschen Landen ist, theils weil in ihr die Stammmutter unsers alten Fürstenhauses, Woizlava. 1 ) die Gemahlin Pribrislav's und die Mutter Borwin's, begraben liegt, welche ihren Gemahl zur Annahme des Christenthums vermochte und das erste Kloster Doberan zu Althof neben dieser Kapelle stiftete. Der Name dieser Fürstin ist nicht allein in der meklenburgischen Reimchronik des Ernst von Kirchberg (1378), sondern auch in den beiden noch ältern Ziegelinschriften auf ihr Begräbniß in der Kapelle aufbewahrt.

Nach den Chroniken soll die Fürstin Woizlava die Tochter eines Königs von Norwegen gewesen sein. Die Quelle dieser oft wiederholten Nachricht ist die Chronik des Ernst von Kirchberg, welche zwar erst zwei hundert Jahre nach dem Tode der Fürstin geschrieben, aber aus alten Nachrichten, vorzüglich des Klosters Doberan, geschöpft ward. E. v. Kirchberg sagt:

Nach den cziden quam es sus,
das konig Prybislauus
wolde elichir dinge phlegin.
Der konig von Norwegin
gab ym syne tochter da,
dy waz geheiszin Woyzlaua,
dy waz eyne gude cristen.
Mit allen yren listen
dy frowe dar nach dachte,
wy sy tzum glouben brachte
iren herren Prybisla (cap. Cl).
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Dy konygin Woyslaua
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
sy wart mit suchede vnd mit swere
beuallin vnd mit krangheit sere,


1) Die Geschichte der Kapelle zu Althof und der Fürstin Woizlava ist in den Jahrbüchern II, S. 10 flgd. ausführlich dargestellt.
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daz sy dar von den tod entphing.
Ir bygraft snel dar nach irging
gar wirdiglichen sundir wan;
man grub sy zu Alden Doberan (cap. CXI).


Normannische Mosaikziegel in der Kapelle zu Althof.

An eine unmittelbare urkundliche Bestätigung dieser Nachricht ist nicht zu denken, da Pribislav keine Urkunde hinterlassen hat. Es würde daher von großer Wichtigkeit sein, wenn irgend andere Denkmäler vorhanden sein sollten, welche diese Nachricht mittelbar zu bekräftigen im Stande wären. Diese haben sich nun auf eine überraschende Weise in den kleinen Mosaikziegeln gefunden, mit denen der Altarraum sowohl der Kapelle zu Althof, als der Kirche zu Doberan gepflastert ist.

Diese Ziegel, welche sich, so viel bekannt ist, bisher nirgend weiter in Deutschland gefunden haben, erregten zwar in neueren Zeiten die Aufmerksamkeit 1 ) der Beobachter, fanden aber keine wissenschaftliche Anwendung irgend einer Art, da sie ganz vereinzelt dastanden und man nichts mit ihnen anfangen konnte.

Jetzt haben diese Ziegel sich aber auch unter den Ruinen des Cistercienser=Klosters Hovedöe bei Christiania in Norwegen gefunden, und damit ist die Möglichkeit gegeben, die Wanderung der Cultur im Norden zu erkennen und Schlusse auf die Herkunft der Fürstin Woizlava zu ziehen.

Der Verein für Erhaltung nordischer Alterthumsdenkmäler zu Christiania hat in seinem Jahresberichte für das Jahr 1849, Christiania 1850, die Klosterruinen von Hovedöe und deren Aufräumung beschrieben und die Beschreibung mit zahlreichen Abbildungen begleitet, so daß diese Mittheilungen zu Forschungen mit Sicherheit benutzt werden können.

Der Cistercienser=Orden verbreitete sich schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts über England nach Norwegen. Das erste Kloster war Lyse=Kloster bei Bergen, welches im J. 1146 von englischen Mönchen aus Fountain bei Jork gestiftet ward. Das zweite Kloster ward nach 1147 auf der Insel Hovedöe von englischen Mönchen von Kirkestad in Lincoln gestiftet. Die Insel Hovedöe liegt im Meerbusen von Christiania, nahe bei der Stadt Christiania. Dieses Kloster Hovedöe ward im J. 1532 in der Grafenfehde zerstört, da sich der Abt des


1) Vgl. Jahrbücher II, S. 25.
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Klosters auf des vertriebenen Königs Christiern II. Seite geschlagen hatte. Das niedergebrannte Kloster blieb in Ruinen liegen, bis der Verein zu Christiania um das Jahr 1846 die Aufräumung der Ruinen begann.

Die alte, um die Mitte des 12. Jahrhunderts erbauete Klosterkirche von Hovedöe bestand in ihren ältesten Theilen, wie die Kapelle zu Althof, aus einem kleinen Schiffe von oblonger Grundform, ohne Seitenschiffe, und einem in Halbkreisform daran gelehnten Altarraum. Dieser halbkreisrunde Chor ist jedoch im Laufe der Zeit abgebrochen und statt dessen im 15. Jahrh., frühestens am Ende des 14. Jahrh. ein anderer hoher Chor angebauet, dessen Grundform ein gleicharmiges Kreuz ist und dessen Ausdehnungen länger sind, als die Länge des alten Schiffes. "Der alte Bau ist in dem romanischen Style mit den Eigenthümlichkeiten, welche die anglonormannische Architektur entwickelte", in der Mitte des 12. Jahrhunderts wohl mit Sicherheit durch englische Baumeister und Arbeiter ausgeführt. Der Fußboden in dem östlichen Arme dieses jüngeren, östlichen Chores, die Altarstelle, war mit kleinen, quadratischen, glasurten Mosaikziegeln, von 4 1/2 Zoll im Quadrat, belegt, von welchen der Verein zu Christiania eine Auswahl auf drei Tafeln in Farbendruck zu seinen Jahresberichten bekannt gemacht hat. Das spätere Schiff der Kirche, die ehemalige alte Kirche, war mit größern, 9 1/4 Zoll im Quadrat großen, Ziegeln belegt, welche eine gelbe oder schwarze Farbe haben und nicht mit Mosaikmustern verziert sind. Der norwegische Verein stellt die Ansicht auf, daß bei der Vergrößerung der Kirche durch den östlichen Anbau die alten Mosaikziegel vielleicht aus dem Raume der alten Kirche in den neuen Chor versetzt worden seien, und der Herr N. Nicolaysen, Vorstand des Vereins zu Christiania, theilt mir brieflich mit, daß man "Grund habe zu vermuthen, daß die Mosaikziegel ursprünglich einen andern Platz gehabt haben", und zwar passender Weise im Chore der alten Kirche. - Eben so sind in den Kirchen zu Althof und Doberan die Mosaikziegeln bei allen Bauten und Mutationen immer auf die Altarstelle hinauf gerückt worden. - Die beiden Kreuzarme des Chores von Hovedöe sind mit gewöhnlichen Ziegeln gepflastert.

Ohne Zweifel stammen diese Mosaikziegel von Hovedöe aus der Zeit des ersten Baues der alten Kirche im romanischen Style.

Diese Mosaikziegel von Hovedöe haben eine seltene Beschaffenheit. Es sind viereckige Ziegel, gut 3/4 Zoll dick und 4 1/2 Zoll im Quadrat groß. Gewöhnlich, mit seltenen Ausnahmen, stellt jeder Ziegel 4 weiße Figuren auf rothem

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Grunde dar, von denen jede mit einer weißen Einfassungslinie am Rande umgeben ist, so daß immer 4 Muster oder kleine Steine von 2 1/4 Zoll im Quadrat einen Pflasterstein bilden. Die Einfassungslinien haben ohne Zweifel eine Richtschnur für die Arbeiter bilden sollen, um die Steine innerhalb derselben nach Bedürfniß in kleinere Stücke zu zerschneiden. Dies sieht man sowohl an den Steinen von Hovedöe, als auch an den von Althof sehr deutlich, indem die Arbeiter gewöhnlich nicht diese Linien hielten, sondern oft bis gegen die Linien oder über dieselben hinaus schnitten, wie gerade ihre Maaße es verlangten. Die Steine von Hovedöe haben immer 4 Muster, im Ganzen 4 1/2 Zoll im Quadrat; aber auch diese scheinen, nach den von Christiania eingesandten Originalen, aus größern Platten geschnitten zu sein, indem die Einfassungslinien nicht gehalten und an einer Seite oft ganz abgeschnitten sind, während an der entgegengesetzten Seite über die Einfassungslinien hinaus gegangen ist. Dieselbe Erscheinung bemerkt man an den zu Althof und Doberan liegenden Ziegeln, welche freilich alle zu kleinen Steinen von 2 1/4 Zoll im Quadrat zerschnitten sind.

Die Mosaikziegel von Hovedöe haben folgende Beschaffenheit. Der Grund, wie die ganze Masse, ist hell ziegelroth; in diesen Grund sind mit weißem Thon allerlei Figuren und eine Einfassungslinie eingelegt; endlich ist die ganze Oberfläche mit einer durchsichtigen, etwas gelblichen Glasur (Glasglasur) überzogen. Die eingelegten Bilder stellen Lindwürmer, Centauren, Löwen, Lämmer, doppelköpfige Vögel, menschliche Figuren, rundbogige architektonische Ornamente u. dgl. dar. Nach den Rändern sind diese Ziegel aus Ziegelerde zuerst in Formen gedrückt und dann mit weißem Thon ausgelegt und glasurt.

Diese Mosaikziegel sind, nach brieflichen Mittheilungen des Herrn Nicolaysen, auch "anderweitig in Norwegen" gefunden.

Es steht zur Frage, wo diese Ziegel von Hovedöe gemacht sind. Da die norwegischen Klöster von England aus gestiftet wurden, so liegt die Vermuthung nahe, daß diese Mosaikziegel, oder doch die Arbeiter, aus England nach Norwegen gekommen seien. Auch Herr Nicolaysen zu Christiania schreibt, es sei große Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß die Ziegel von England aus eingeführt seien, von wo auch das Kloster gestiftet sei, da man in England Mosaikziegel finde, welche auffallende Aehnlichkeit mit den Ziegeln von Hovedöe haben und "deren Alter mit gutem Grund weit über hundert Jahre über die Zeit gesetzt wird, als der Theil der Klosterkirche von Hovedöe,

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in welchem die Mosaikziegel gefunden sind". Das wäre freilich noch nicht viel, da der neue Chor der Kirche zu Hovedöe um das Jahr 1400 gebauet ist.

Es wird vor allen Dingen nöthig sein, die alten Mosaikziegel in England 1 ) zu studiren. In England sind diese Mosaikziegel freilich wiederholt Gegenstand der Forschungen gewesen, jedoch scheinen diese, so viel mir bekannt geworden ist, nicht auszureichen. Namentlich sind solche Ziegel in dem Archaeological Journal, published of the Archaeological Institute of Great Britain, Vol. III, 1846, beschrieben und abgebildet, z. B. S. 128 Ziegel von Woodperry bei Oxford, S. 152 Ziegel in der Haccombe=Kirche in Devonshire, S. 277 Ziegel aus der Abtei Neath in Wales. Diese mit Weiß in Roth eingelegten englischen Ziegel scheinen meiner Ansicht nach viel jünger zu sein, als die norwegischen, nämlich aus dem 14. Jahrhundert, zeigen aber doch noch die Technik der alten Ziegel: sie haben ungefähr 5 Zoll im Quadrat und sind ebenfalls durch eingelegte Einfassungslinien in vier gleiche Theile getheilt, von denen jeder ein Bild zeigt, gewöhnlich zwei und zwei gegenüber gleich, häufig Wappen. Der englische Berichterstatter vermuthet ebenfalls, daß die Einfassungslinien zur Richtschnur für die Arbeiter zur etwanigen Theilung vor dem Brennen bestimmt gewesen seien.

Höchst wahrscheinlich haben diese Mosaiken alle dieselbe Quelle in uralter Zeit. Der Herr Regierungsrath von Minutoli zu Liegnitz theilt mir zwei Beispiele mit, welche höchst beachtenswerth sind. "Sie sind auf französischen Boden, und zwar in dem Theile Frankreichs, wo sich der Einfluß der Normannen am meisten geltend machte. Es sind die Kirchenpflaster der Kirche St. Pierre sur Dive und der alten Kathedrale von St. Omer. Jenes Pflaster ist mosaikartig zusammengesetzt und von gelber und schwarzer Farbe. Der Styl ist der des 12. Jahrhunderts; auch stimmt die angegebene Entstehungszeit damit überein: doppelköpfige Adler, Löwen und Lilien bilden den Schmuck. Das zweite Beispiel zu St. Omer besteht ebenfalls aus musivisch gefügten Fliesen. Die Darstellungen bestehen aus allerlei Figuren: Rittern, Geistlichen; auch Centauren kommen vor und Elephanten mit Thürmen, also wieder Entlehnung von Motiven aus dem Orient und dem Alterthum. Und der Grundriß des betreffenden Theils der Kathedrale zeigt entsprechend vollständig den frühgothischen Styl."


1) Die Fabrication dieser Ziegel zu Fußböden ist in neuern Zeiten in England wieder belebt; sie werden jetzt häufig in die Rheinlande ausgeführt.
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Mit allen diesen Beobachtungen stimmen auch die Forschungen des Herrn de Caumont in seinem werthvollen, mit den trefflichsten Holzschnitten ungewöhnlich reich verzierten Werke: Abécédaire ou rudiment d'archéologie, Paris et Caen, I, 1851, II, 1853, überein. Er sagt I, p. 309, daß die Fußböden im 13. Jahrh. häufig gemustert waren, freilich zu derselben Zeit, als in den Kirchen die Leichensteine anfingen sich zu vermehren und die Anordnung großer Muster störten. Er theilt mehrere Muster aus dieser Zeit mit, namentlich den prachtvollen Fußboden aus dem hohen Chor von St. Pierre sur Dive u. a., indem er dabei richtig bemerkt, daß diese verzierten Fußböden in Wechselwirkung zu den gemalten Fenstern standen Eben so treffend bemerkt er (II, p. 164), daß die verzierten Ziegelfußböden in weltlichen Gebäuden im 14. Jahrh. überall in Gebrauch waren, und theilt mehrere Muster mit, welche mit den in England bekannt gewordenen mehr übereinstimmen, namentlich die Pflastersteine aus dem Capitelsaal von Bayeux. Von größerer Wichtigkeit sind einige verzierte Ziegel, welche der Herr de Caumont I, p. 318 darstellt. Er sagt dabei: "Wenn in Frankreich nur noch eine sehr kleine Zahl von verzierten Fußböden übrig geblieben ist, so ist es nicht zweifelhaft daß die Mehrzahl der Kirchenpflaster erneuert worden ist und die Leichensteine in vielen Fällen die Stelle der verzierten Fußböden eingenommen haben; diese wiederum verschwanden, um den armseligen Fußböden unserer Zeit Platz zu machen. - Man besitzt in einem Dorfe nahe bei St. Omer einige andere ähnliche Platten, welche aus Ruinen von Therouane stammen, welche aber unglücklicherweise in einem fast völligen Zustande des Verfalles sich befinden". Er theilt nun 6 dieser Ziegel in Abbildung mit und schreibt sie dem 13. Jahrh. zu. Diese Ziegel von Therouane gleichen von allen bekannt gewordenen am meisten denen von Hovedöe und von Althof; sie haben ebenfalls Einfassungslinien und zeigen ähnliche Bilder und ähnliche Technik: so sind zwei Centauren, allerdings etwas anders gestaltet, dargestellt; der doppelköpfige Vogel gleicht aber ganz dem, welcher auf den Ziegeln von Hovedöe vorkommt. Diese Ziegel von Therouane möchte ich nach der Zeichnung, Technik und Aehnlichkeit mit andern älteren Ziegeln für die ältesten in Frankreich halten und sie noch dem Ende des 12. Jahrh. und normannischem Einflusse zuschreiben.

Mit ganz denselben alten Mosaikziegeln, wie die Kirche zu Hovedöe, ist der Altarraum in der Kapelle zu Althof (und auch in der Kirche zu Doberan) gepflastert. Es liegen hier Ziegel dieser Art ganz von derselben Beschaffenheit an

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Mosaikziegel der Capelle zu Althof
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Material, Größe, Farbe, Glasur und Bildwerk, wie in der Kirche zu Hovedöe.

Die Größenverhältnisse der Ziegel sind freilich an beiden Orten nicht ganz gleich; denn

1) finden sich in Althof und Doberan die Mosaikziegel nur in kleinere Viertheilsplatten von 2 1/4 Zoll im Quadrat zerschnitten und keine aus 4 solchen Platten zusammengesetzte, wie sie in Hovedöe allein vorkommen; aber 4 doberaner Ziegel zusammen haben genau die Größe eines nicht zerschnittenen Ziegels von Hovedöe. Dieso kleinen Ziegel von Althof haben theils rothen, theils dunkel gefärbten Grund; im Uebrigen sind sie aber, namentlich im Bildwerke, denen von Hovedöo ganz gleich. Das Zerschneiden in kleine Platten, welches man deutlich wahrnehmen kann, macht aber keinen wesentlichen Unterschied; das Zerschneiden ist ohne Zweifel deshalb vorgenommen, weil Fliesen von kleinerem Formate haltbarer sind, als große. Die Ziegel waren hier ebenfalls mit weißen Linien regelmäßig eingefaßt, sind aber nicht genau nach denselben zerschnitten, sondern der Schnitt ist bald vor, bald hinter der Einfassungslinie, und oft sehr unregelmäßig.

2) Außerdem liegen in Althof glasurte Mosaikziegel von quadratischer Form und derselben Arbeit, welche an Flächeninhalt grade noch einmal so groß sind, als die kleinen Ziegel, und grade ein Hypotenusen=Quadrat zu zwei gleichen Katheten=Quadraten der kleinen Ziegel bilden; die Seiten dieser größern Ziegel sind 3 1/2 Zoll lang. Diese größern Ziegel scheinen in Hovedöe ganz zu fehlen; sie sind in den Beschreibungen und Abbildungen von Hovedöe nicht erwähnt. Auf meine Anfrage hat der Herr Nicolaysen die Ruinen von Hovedöe noch einmal durchforscht und einen Ziegel "von etwas minderer Größe", als die aus vier figuierten Platten zusammengesetzten Ziegel, gefunden; dieser ist aber ohne Bildwerk und mag vielleicht nicht zu den alten Ziegeln gehören. Diese größeren Ziegel von Althof und Doberan unterscheiden sich von denen zu Hovedöe dadurch, daß sie einen dunklen Grund haben. Der Grund ist nämlich ein angenehmes, dunkles Grün mit eingelegten weißgelben Flecken und kleinen schwarzen Punkten; auf diese Weise ist der Porphyr auf eine ganz vortreffliche, leichte und täuschende Weise nachgeahmt. Es finden sich in Althof und Doberan aber auch viele kleine Ziegel mit Porphyrgrund. Die vortreffliche Nachahmung des Porphyrs durch Glasur schien unmöglich. Einige zerschlagene Steine haben nun gelehrt, daß die ganze Masse porphyrartig gemischt ist, indem man eine dunkelgefärbte Masse mit unregelmäßigen weißen Thon= und Feldspath=

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stückchen durchknetet und dann die Ziegel mit Glasglasur überzogen hat.

Diesen Porphyrgrund haben die meisten der kleinen Ziegel in Althof und Doberan.

Die eingelegten Bilder sind auf vielen Ziegeln in Hovedöe und Althof gleich. Am häufigsten kommen Lindwürmer, Centauren, Löwen etc. . in beiden Kirchen vor. Es finden sich in Althof und Doberan Bilder, z. B. Hirsche, Gänse, Hähne, Pfauen und allerlei Unthier, wie Kamele, denen die Vorderfüße fehlen u. s. w., welche in Hovedöe nicht vorkommen, wenigstens in den Mittheilungen nicht abgebildet sind, und in Hovedöe finden sich Bilder, z. B. doppelköpfige Vögel, Agnus Dei und viele rein architektoniashe Ornamente, welche in Althof und Doberan gar nicht vorkommen. Ein Bruchstück mit einer heraldischen Lilie, wie sie in Hovedöe erscheint, hat sich auch in Althof gefunden.

Dagegen ist die Uebereinstimmung in der Zeichnung der eingelegten Figuren auf den Ziegeln in den Kirchen zu Hovedöe und Althof und Doberan höchst merkwürdig. Diese Uebereinstimmung zeigt sich namentlich in zwei Bildern, deren Ursprung in uralten Zeiten wurzelt; diese sind:

ein Centaur, mit einem runden Schilde in der aufgehobenen linken und einem Schwerte in der ausgestreckten rechten Hand,

und

ein Lindwurm mit Vogelhals und Kopf, zwei erhobenen Flügeln, zwei Vogelfüßen und einem unter die Füße zurückgebogenen Schlangenschwanze.

Diese Figuren 1 ) finden sich nur auf Ziegeln in Althof (nicht in Doberan), und zwar sowohl auf kleinen, rothen Ziegeln von 2 1/4 Zoll im Quadrat, welche mit den kleinen Viertheilsstücken von Hovedöe so identisch sind, daß eine Abbildung derselben ganz unnöthig ist, als auch auf den größern Platten von 3 1/2 Zoll im Quadrat mit Porphyrgrund. Auf den kleinen rothen Ziegeln von Althof ist jedoch der Lindwurm in der Ansicht rechts hin (heraldisch links) gekehrte während die Ziegel von Hovedöe


1) Vgl. die beigegebenen zwei Tafeln in Farbendruck. Es ist beabsichtigt, auf einer dieser Tafeln zwei Mosaikziegel von Hovedöe nach den Abbildungen des Vereins zu Christiania, auf der andern zwei Mosaikziegel von Althof, welche mit jenen in der Zeichnung übereinstimmen, einen Greifen und einen Centauren, in Farbendruck mitzutheilen. Zu den Ziegeln von Althof sind die größeren Ziegel mit Porphyrgrund gewählt, um zugleich eine andere Eigenthümlichkeit zur Anschauung zu bringen. Während des Druckes dieser Abhandlung sind diese Tafeln in Arbeit und es läßt sich noch nicht sagen, ob die Nachbildung des Porphyrgrundes gelingen wird. Sollte diese nicht möglich sein, so wird der Grund der Tafel mit den althöfer Steinen auch ziegelroth gedruckt werden müssen.
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Mosaikziegel der Klosterkirche zu Hovedöe
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den Lindwurm in der Ansicht links hin gekehrt haben. Die Bilder auf den größern althöfer Ziegel sind aber in Stellung und Bildung denen von Hovedöe ganz gleich. In Doberan finden sich außerdem noch kleine Ziegel, welche den Oberleib des Centauren mit Schild und Schwert, aber statt eines Pferdeleibes einen Fischschwanz (auch ohne Vorderbeine) darstellen.

Das Merkwürdige bei dieser Sache ist aber, trotz aller kleinen Abweichungen, die völlige und genaue Uebereinstimmung, welche sich in der ganzen Technik zwischen den Ziegeln von Hovedöe und Althof offenbart. Die ganze Auffassung der Bilder, die Umrisse, die eigenthümliche Darstellung der Schattenlinien, selbst alle Einzelnheiten in den Conturen, in den leisesten Biegungen und Auszackungen, kurz alles ist so identisch, daß es nur eines Blickes bedarf, um sich von der völligen Gleichheit zu überzeugen. Man kann daher nur annehmen, daß dieselben K ue nstler und Arbeiter die glasurten Fußbodenziegel mit eingelegten Bildern von Hovedöe und Althof gemacht haben. Es müssen also entweder die Künstler von Norwegen nach Althof gekommen oder die Ziegel von dort hierher eingef ue hrt sein. Es ist nicht denkbar, daß zu jener Zeit Kunststyl, Bildung, Hülfsmittel und Erfahrung allgemein so herrschend gewesen sein, daß durch sie in so weit entfernten Ländern dieselben Erzeugnisse hervorgebracht werden konnten. Es ist nicht denkbar, daß nur in Folge eines gewissen Kunststyls, selbst wenn er weit verbreitet gewesen wäre, sich dieselben Maaße, dieselben Bilder, dieselbe Technik so genau an so weit von einander entfernten Orten sollten wiederholt haben können. Ja, es ist selbst heute, bei den großartigsten Hülfsmitteln, nicht glaublich, daß ein Kunststyl an verschiedenen Orten identische Erzeugnisse hervorbringen sollte.

Zu jener Zeit, als die Kapelle zu Althof gebauet ward, lag Meklenburg noch im dicken Heidenthume, welches durch die Kreuzzüge Heinriche des Löwen ausgerottet werden sollte. Die heidnischen Wenden machten keine Ziegel, und Ziegelöfen und Töpferöfen waren ihnen ganz unbekannt. Die Kapelle zu Althof war der erste Ziegelbau, welcher in dem Bisthume Schwerin (oder Meklenburg) ausgeführt ward. Daß die erste Ziegelfabrikation sich ohne fremde Hülfe gleich zu der Höhe von sehr ausgezeichneten glasurten Ziegeln mit eingelegter Arbeit sollte emporgeschwungen haben, ist schlechterdings unglaublich und unmöglich.

Es bleibt daher keine andere Annahme übrig, als daß die glasurten Mosaikziegel von Norwegen nach Althof eingeführt oder die Künstler von dort hierher gekommen

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seien. Welche von diesen beiden Annahmen wahrscheinlicher sei, ist wohl schwer zu entscheiden (und am Ende auch ohne Gewicht); jedoch scheint der Thon der Ziegel etwas verschieden zu sein und die Glasur eine andere Färbung zu haben, so daß sich aus dieser Abweichung schließen lassen könnte, es seien die Künstler vom Norden nach Meklenburg gekommen.

Man könnte freilich annehmen, die Mosaikziegel seien von England nach Meklenburg eingeführt worden, da sie zu jener Zeit vielleicht von dort auch nach Norwegen eingeführt sein könnten, indem die norwegischen Klöster von englischen Klöstern gestiftet sind; aber es ist keine Andeutung vorhanden, daß zu jener Zeit irgend eine Verbindung zwischen England und Meklenburg sollte bestanden haben. Dagegen ist es durch glaubwürdige Nachrichten bezeugt, daß Woizlava eine norwegische Königstochter war und die Kapelle zu Althof, das erste Ziegelbauwerk in Meklenburg, gründete, und daher möglich, daß die Ziegel ihren Weg nach Meklenburg von Norwegen nahmen. Von großer Wichtigkeit würde es sein, wenn nachgewiesen werden könnte, daß sich in England noch Mosaikziegel derselben Art befänden, welche älter waren, als die norwegischen. Es ließe sich jedoch auch annehmen, diese Art von Cultur sei von Norwegen eben so nach England gewandert, als nach Meklenburg, da in jenen Zeiten die Technik in Norwegen sehr ausgebildet war.

Daß diese Mosaikziegel aus sehr alter Zeit stammen, wird durch den Umstand bewiesen, daß sie an den heiligsten Stellen uralter Kirchen geschützt und noch in der katholischen Zeit verschüttet wurden. Die Ruinen von Hovedöe haben dort die Ziegel über 300 Jahre eben so geschützt, wie fast eben so lange in Althof ein Backofen, welcher an der Altarstelle über den Ziegeln aufgeführt war.

Sehr alt sind diese Mosaikziegel jedenfalls. Dafür zeugen die Figuren, welche ihren Ursprung in fernen Zeiten des classischen Alterthums und des Orients finden. Namentlich zeugen der Lindwurm und die vielen drachenähnlichen Gestalten für eine Verwandtschaft mit den ältesten Zeiten des Nordens, der Centaur für Erinnerung aus dem classischen Alterthum. Der Centaur findet sich öfter in Bauwerken romanischen und normannischen Styls, z. B. auf den oben erwähnten Ziegeln in der Kathedrale von St. Omer, an den Kapitälern der uralten Holzkirche zu Urnes in Norwegen u. s. w.; an der Iffley=Kirche in England bemerkt man Kämpfe von Centauren, sphinxartigen Thieren, Drachen u. s. w. (vgl. v. Minutoli's Dom zu Drontheim S. 10 b. und 47 b.).

Daß diese Mosaikziegel mit dem Bau der Kapelle zu Althof

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im J. 1164 zusammenfallen, dafür redet der merkwürdige Umstand, daß sie sonst in Meklenburg nicht weiter vorkommen, als dort, wo sich eine Wanderung der Cultur nachweisen läßt, und daß sie in Deutschland nirgend anderswo beobachtet sind, als an einigen Stellen Meklenburgs, wo sich ein Verkehr mit Norwegen nachweisen läßt. Mosaikziegel aller Art, wenn auch nicht mehr sehr zahlreich, finden sich zunächst in Althof. Von hier wanderten sie nach Doberan, wo der ganze Altarraum und einige andere Stellen des Chores damit gepflastert sind; jedoch fehlen hier manche der charakteristischen Bilder. Nach der Zerstörung der Kapelle zu Althof oder Alt=Doberan durch die wieder ins Heidenthum zurückfallenden Wenden nach Pribislav's Tode im J. 1179 und nach der bald darauf erfolgten Wiederherstellung des Christentums ward das Kloster Doberan im J. 1186 von der fürstlichen Domaine Doberan, später Alt=Doberan oder Althof genannt, wo die Kapelle steht, nach dem eine halbe Stunde davon entfernten Dorfe Doberan, dem jetzigen Flecken Doberan, verlegt. Von der damals erbaueten, ersten Kirche ist ein im einfachen Rundbogenstyl aufgeführter Giebel in die Südwestecke der in ihrer jetzigen Gestalt aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. stammenden großen Klosterkirche zu Doberan aufgenommen und noch wohl erhalten. Damals, als im J. 1186 der Bau des neuen Klosters begann, müssen entweder noch die nordischen Arbeiter oder ihre Schüler gelebt haben und zum neuen Bau wieder nach Doberan zurückgekehrt sein, wo sie nach alter Weise wirkten, - oder es müssen sich noch so große Vorräthe von alten Mosaikziegeln gefunden haben, daß man den Altarraum der neuen Kirche in Doberan damit pflasterte; denn viele der Mosaikziegel in Doberan und Althof sind ganz gleich. Trotz eines großartigen Umbaues der Kirche zu Doberan im 14. Jahrh., welche damals einen vielseitigen Chorschluß im ausgebildeten Spitzbogenstyl erhielt, sind doch diese Ziegel besonders werth gehalten und wieder auf den Altarraum gelegt, wo sie sich, ungeachtet vieler Restaurationen, bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Aus diesem Beispiel kann man auch wohl folgern, daß auch zu Hovedöe am Ende des 14. Jahrh. die Steine aus der alten Kirche in den damals neu erbaueten Chor versetzt worden seien.

Von großem Interesse für den zur Frage stehenden Gegenstand ist noch eine vor kurzem in der Kirche zu Doberan gemachte Entdeckung. Se. Königliche Hoheit der Großherzog hatten geruhet, den Baurath Bartning und mich mit dem allergnädigsten Auftrage zu betrauen, zur Herstellung der alten fürstlichen Begräbnißkapelle in der Kirche zu Doberan die nöthigen Einlei=

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tungen zu treffen. Nachdem die gegenwärtige Abhandlung schon zum Druck vollendet war, nahm ich vom 1.-5. Nov. 1853 in der Kirche zu Doberan die nöthigen Vorarbeiten und geschichtlichen Forschungen vor. Nach allen Andeutungen der Urkunden, Chroniken und Monumente mußte das alte fürstliche Begräbniß, wo seit der Erbauung der Kirche bis zur Reformation die meisten meklenburgischen Fürsten begraben sind, in dem nördlichen Kreuzschiffe der Kirche zu finden sein. Und wirklich hat das Ergebniß der Forschung 1 ) die Vermuthung und die zahlreichen Andeutungen bestätigt. Ich bin so glücklich gewesen in der Mitte des nördlichen Kreuzschiffes, unter dem mittlern Gewölbe desselben, die Leiche des Fürsten Pribislav aufzufinden. Sie steht gegen 6 Fuß tief unter dem Fußbodenpflaster der Kirche in einem von Ziegeln aufgemauerten Sarkophage von 8 1/2 Fuß Länge und 2 Fuß Höhe gegen Osten schauend. Der Fürst Pribislav fand am 30. Dec. 1178 bei einem Turniere auf dem Kalkberge bei Lüneburg seinen Tod und ward dort in der Kirche des Michaelisklosters begraben. Nachdem im J. 1186 sein Sohn Borwin das Kloster Doberan wieder hergestellt und von Althof nach dem Dorfe Doberan, wo die Klosterkirche noch jetzt steht, verlegt hatte, begann ohne Zweifel bald der Bau einer großen Kirche, im romanischen oder Rundbogenstyle, von welcher noch in der südwestlichen Ecke der Giebel des Seitenschiffes vorhanden ist und welche sicher denselben Grundplan hatte, wie die noch stehende, im 14. Jahrh. im Spitzbogenstyle umgebauete Kirche, mit Ausnahme des vielseitigen Chorumganges. Diese Rundbogenkirche war gewiß schon im J. 1201 zum Theile fertig, als der Fürst Borwin I. seinen in der Schlacht bei Waschow gefallenen Bruder zuerst in der Kirche beerdigte, und im J. 1218, als der Fürst Borwin das Kloster bestätigte, so weit fertig, daß sie im Ganzen benutzt werden konnte, obgleich sie erst am 3. Oct. 1232 als völlig vollendet eingeweihet ward. Im J. 1219 versetzte Borwin die Leiche seines Vaters aus dem Michaeliskloster bei Lüneburg in die Kirche zu Doberan. Nun zeigte es sich bei der Entdeckung der Leiche Pribislav's, daß unmittelbar an dem aus alten Ziegeln aufgemauerten Sarkophage, an der Außenseite desselben, 5 Fuß tief, 25 Mosaikziegel von dem kleinsten Format lagen, welche offenbar bei der Einsenkung der Leiche Pribislav's von dem Fußboden der Kapelle ausgebrochen und in die Tiefe bis an die Seitenwand des Sarkophages hinabgeglitten waren. Sie waren sehr wenig abgetreten und stellen=


1) Eine genauere Ausführung dieser merkwürdigen Entdeckung wird weiter unten mitgetheilt werden.
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weise noch glänzend von der dafür in den vertieften Stellen, so daß sie noch nicht lange gelegen haben können, als sie hinabglitten. Es waren mehrfach 2, 3, ja 4 neben einander zusammenhangend in Kalk gelegt, also noch abgetretene Stücke des alten Fußbodens. Die gefundenen Ziegel hatten dieselben Muster, wie diejenigen, mit denen noch die Altarstätte der doberaner Kirche gepflastert ist. Es geht hieraus mit Sicherheit hervor, daß auch die Fürstenkapelle in der Kirche zu Doberan schon im J. 1219 mit den Mosaikziegeln gepflastert war. Man kann also mit Zuverlässigkeit annehmen, daß die wichtigern Stellen der ersten Kirche zu Doberan im Anfange des 13. Jahrhunderts nach dem Muster der Kapelle zu Althof mit den Mosaikziegeln gepflastert wurden. - Andere Entdeckungen 1 ) für den Bau der Kirche oder den in Frage stehenden Gegenstand wurden nicht gemacht.

Ohne Zweifel hatten diese Ziegel eine besondere Bedeutung. Es sind die Altarräume damit gepflastert. Vielleicht haben diese Ziegel Beziehung zu dem Abendmahle, da Christus zu den Jüngern, die das Abendmahl vorbereiten sollten, sagte: "Und er wird euch einen großen gepflasterten Saal zeigen, daselbst bereitet es". (Marc. 14, 15; Luc. 22, 12.) Es könnte diese Pflasterung mit den Mosaikziegeln hierauf Beziehung haben. Zwar steht im griechischen Texte άνάγαιον έστρωμένον (= coenaculum lectis stratum, tnclinium stratum), und es ist στρώσαι = sternere, mit Polstern und Teppichen ausrüsten, und nicht "pflastern", wie Luther übersetzt. Aber es steht zur Frage, wie im 12. Jahrh. diese Stelle verstanden ward. Ich bin augenblicklich zu solchen Forschungen nicht mit Quellenschriften gerüstet und will hier nur anregen. - Daß man allerlei heidnische Bilder und Unthiere, wie dei der Verzierung der Kapitäler der Kirchen, wählte, hat vielleicht darin seinen Grund, daß man heidnische Darstellungen zur Bekleidung des Fußbodens, den man mit den Füßen trat, 2 ) passend fand, und zwar zu einer Zeit, wo man seit den Kreuzzügen mit antiken und orientalischen Bildnereien wieder bekannt ward. Es ist bekanntlich viel über die sonderbaren und heidnischen Thier= und andern Gestalten,


1) Die 5 Zoll langen starken Sargnägel von dem Sarge Pribislav's waren mit Kalk überweißt und an den Stellen, wo sie geweißt waren, nicht gerostet.
2) Nicht lange vorher, als die Fußböden in Hovedöe, Althof und Doberan gelegt waren, hatte sich der Cistercienser Bernhard von Clairvaux gegen die Verzierung der Fußböden mit Heiligenbildern, ja gegen die Verzierung der Fußböden überhaupt, ausgesprochen, wie überhaupt der Cistercienser=Orden reichen Bilderschmuck verschmähete: man solle nicht mit heiligen Bildern schmücken, was man mit den Füßen trete, und das nicht zieren, was zum Beschmutzen bestimmt sei. Vgl. Otte Handbuch der kirchlichen Kunst=Archäologie des deutschen Mittelalters, dritte Aufl., Leipzig, 1854, S. 23.
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welche häufig in den alten Kirchen zu sehen sind, geschrieben, da das Streben, sie zu deuten, nahe liegt. Es mag am gerathensten sein, den Mittelweg zu wählen und die Bildungen zum Theil für christliche Symbolik (wie die Löwen, Hirsche etc. .) und bildliche Darstellung der Moral (wie z. B. der Tugenden und Laster durch Thiergestalten), zum Theil aber für Phantasiegebilde der Baukünstler zu halten, welche Bilder von nicht christlichen, niedrigstehenden Geschöpfen zum Tragen, also zu Kapitälern, Fußböden etc. ., wählten; es kommen doch häufig Dinge vor, welche durchaus keine christliche Deutung zulassen. Der Herr Dompropst v. Allioli zu Augsburg geht daher in seiner Abhandlung über die Bronze=Thür des Domes zu Augsburg in dem Neunzehnten Jahresberichte des historischen Vereins für Schwaben zu Augsburg, 1853, S. 6 flgd. wohl zu weit, wenn er meint: "Wenn das Heidenthum dem Christen in einem mildern Lichte erscheint, dann giebt es Anknüpfungspunkte zwischen Heidnischem und Christlichem, und ihre Verbindung wird erklärlich. Es kann angenommen werden, daß bei den Heiden schon vermöge ihres natürlichen, nicht ganz erloschenen Lichtes manches wahrhaft Göttliche und darum Christliche (!) im Wissen, wie im Leben, in der Moral, wie in der Gottesverehrung zum Durchbruche gekommen ist. Die ältesten Väter sprechen sich zwar bestimmt über die Verderbtheit des Heidenthums in Lehre und Sitte aus, aber diese Väter verkennen dennoch nicht, daß sich auch Wahrheit in dem Heidenthum finde, daß diese Wahrheit von dem Logos herrühre, welcher im Christenthume ganz erkannt werde, und daß das Heidenthum in dieser Hinsicht Christenthum (!) sei. Die ältesten Christen haben also das Heidenthum nicht als etwas durchaus Verwerfliches, sondern als etwas selbst christlichen Sinn Bergendes angesehen. Es ist darum auch gar nicht zu verwundern, wenn die heidnische Symbolik, soweit sie christlichen Gehalt hatte, auch in die christliche Plastik eindrang".

Zu dieser Ansicht mag man wohl gelangen, wenn man die Bilder auf der Bronzethür des Domes zu Augsburg erklären will, was übrigens nicht ganz gelungen zu sein scheint; sie kann aber nicht leitend sin für die vielen Bildungen ähnlicher Art. Freilich ist dies Ansicht vorzüglich gegen Kugler ausgesprochen, welcher die Sache von der andern Seite zu leicht zu nehmen scheint und nur "decorirend spielende Sinnbildnerei, 1 ) abenteuerliche Phantasieen roher Künstler und Verunstaltungen der De=


1) Vgl. Kugler's Kleine Schriften zur Kunstgeschichte, Stuttgart, 1853.
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coration" 1 ) in diesen Bildern erkennen will. Aber auch von Allioli geht nicht tief in die Sache ein, die er allein behandelt. So erklärt er das Bild des Centauren, welches auch auf der augsburger Bronze=Thür vorkommt, S. 25 flgd. also: "Nach der christlichen Lehre ist der gefallene Mensch ein Thiermensch, der in seinen obern Kräften das Gute erkennt und will, nach unten aber zum Bösen gezogen wird und ein Thier ist. Durch die erlösende Kraft wird er bestimmt, in der Macht des Geistes das Thier zu überwinden und nicht nur sich selbst, d. i. den thierischen Theil, sondern auch alle Versuchungen von außen, die das Thier unterstützen. Der Centaur stellt also den Zustand des erlöseten Menschen vor" (!). - Eine historische Untersuchung über die Zeit des Vorkommens dieser Bilder würde ersprießlicher gewesen sein.

Weiter ist keine spur von diesen eingelegten oder Mosaikziegeln von der beschriebenen Beschaffenheit entdeckt. Jedoch hat in jüngern Zeiten das Beispiel an einigen Orten Nachahmung, wenn auch in anderer Weise, gefunden. Man findet nämlich größere Ziegel, in welche Bilder in schwachem Relief auf vertieftem Grunde eingedrückt sind, der Arbeit der Leichensteine nachgeahmt. Solche Steine finden sich in der Kirche des Cistercienser=Mönchsklosters Dargun in Meklenburg. Das Kloster Dargun ward im J. 1172 gestiftet und vorzüglich von Mönchen aus dem Kloster Doberan bevölkert; jedoch hatte auch das dänische Kloster Esrom Theil an der Stiftung, und daher machte der Abt dieses Klosters Ansprüche an die Paternität über Dargun, welche ihm jedoch im J. 1258 von dem General=Capitel des Ordens abgesprochen und dem Kloster Doberan zugesprochen ward (vgl. Lisch Meklenb. Urk. I, S. 115, vgl. S. 3, 10, 12, 24 etc. .). Die Kirche ward ebenfalls im 14. Jahrh. umgebauet. In dem Pflaster der Kirche zu Dargun liegen noch ungefähr 50 solcher Reliefziegel von 9 Zoll im Quadrat, in welche Reliefs von 5 Zoll im Quadrat eingedrückt sind; diese stellen theils ein schreitendes Thier, theils eine gothische Verzierung im Style des 14. Jahrh. dar.

Aehnliche Ziegel finden sich auch in einigen Kirchen Nordfrankreichs (vgl. de Caumont I, p. 315). In der Kirche zu Doberan finden sich auf dem Grabe des Fürsten Heinrich des Löwen von Meklenburg († 1329) und auf den Fürstengräbern in der fürstlichen Begräbnißkapelle sehr große Wappenziegel, von 15 Zoll Fläche im Quadrat und 4 Zoll Dicke, in welche der Stierkopf in schwachem Relief mit vertieftem Grunde eingedrückt


1) Vgl. Kugler's Kleine Schriften zur Kunstgeschichte, S. 195.
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ist; die Ziegel sind schwarz glasurt, der vertiefte Grund ist mit weißem Kalk ausgefüllt gewesen, so daß sich der Stierkopf von der weißen Fläche und dem rothen Rande schars abgehoben hat. Ja es giebt ganze Figuren, welche aus solchen Reliefziegeln zusammengesetzt sind. In der Abtei zu Fontenay bei Caen findet sich die Figur eines Ritters, welche aus gebrannten Ziegeln von 8 Zoll im Quadrat zusammengesetzt ist (vgl. de Caumont I, p. 315). Auch in der Kirche zu Dargun befindet sich, in einem Pfeiler eingemauert, ein Marienbild, welches aus Reliefziegeln zusammengesetzt ist.

Eben so haben sich in der alten Kirche des Fleckens Klütz an der Ostsee im westlichen Meklenburg Reliefziegel gefunden. Als bei der Restauration der Kirche der Taufstein gehoben ward, fand man den Fußboden mit Reliefziegeln von 9 Zoll im Quadrat belegt; sie hatten in vertieftem Grunde schwache Reliefs von Verzierungen von architectonischen Ornamenten und waren grünlich glasurt.

Dies sind einige Beispiele von der Fortpflanzung einer gewissen Cultur in Meklenburg, aber auch alle, so viel ich weiß. Andere Spuren von der directen Verbindung mit dem Norden werden sich bei näherer Aufmerksamkeit vielleicht noch finden. so wird der ausgezeichnet schöne Taufstein romanischen Styls aus nordischem Kalkstein in der Kirche zu Proseken 1 ) bei Wismar in Skandinavien gemeißelt sein.


Der Baustyl der Kapelle zu Althof.

Aber nicht allein die Mosaikziegel sind es, welche auf einen directen Verkehr mit Norwegen in den ältesten Zeiten deuten, - auch der Baustyl der Kapelle selbst weiset auf einen solchen Verkehr hin. So einfach auch der Styl der Kapelle ist, so ganz ungewöhnlich erscheint er doch, wenn man ihn ruhig betrachtet. Die Kapelle bildet ein Oblongum ohne Seitenschiffe und hat ursprünglich ohne Zweifel einen halbkreisförmigen Chorschluß im Osten gehabt. Im Westen steht die Hauptgiebelwand mit der


1) Es giebt in Meklenburg noch sehr viele alte, große Taufsteine ("Fünten") aus der ersten Zeit des Christenthums. Fast alle sind aus dem einheimischen Granit, sehr kräftig, oft roh verziert. Es giebt nur sehr wenig alte, künstlerisch verzierte "Fünten" aus Kalkstein, und diese sind häufig so schön und eigenthümlich verziert, daß man es ihnen gleich ansieht, sie seien in einem Lande gemacht, wo der Werksteinbau zu großer Ausbildung gelangt war. So liegt z. B. an der neustädter Kirche zu Röbel die Schale eines alten Taufsteins mit einer vortrefflichen Einfassung von Weinlaub.
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einzigen Pforte, zwei kleinen Fenstern hoch über derselben zu beiden Seiten und einer Rose in dem dreiseitigen Giebel; in der rechten südwestlichen Ecke dieses Giebels, rechts an der Pforte, steht ein schlanker, achteckiger Thurm. Diese Eigenthümlichkeit findet sich an keinem andern kirchlichen Gebäude 1 ) in ganz Meklenburg und ist gewiß überhaupt höchst selten. Dieser Styl

Kapelle zu Althof

scheint ebenfalls normannischen Ursprunges zu sein. So ist in dem Jahresberichte des Vereins zu Christiania von 1848, Christiania 1849, der Grundriß der Ruinen der alten Kapelle von Huseby abgebildet, welche dem Grundrisse der Kapelle von Althof sehr ähnlich ist, mit Ausnahme des Chorschlusses, welcher zu Huseby noch halbkreisförmig, in Althof im 15. Jahrh. aber


1) Die Kirchen Meklenburgs haben nach den verschiedenen Bauperioden alle einen bestimmten Charakter. Am meisten verbreitet ist der Uebergangsstyl; Kirchen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. sind selten. In Rostock, Wismar, Schwerin, Doberan, Dargun, Bützow u. s. w. herrscht der ausbebildete Spitzbogenstyl des 14. Jahrh. Kirchen aus dem 15. Jahrh. sind nicht sehr häufig; jedoch finden sich häufig Anbauten und Erweiterungen aus diesem Jahrhundert.
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zu einem Dreiseit umgebauet ist. Dieser Styl scheint aber einen noch entferntem Ursprung zu haben. In einem englischen Werke: The ecclesiastical Architecture of Ireland, anterior to the Anglo-Norman Invasion, comprising an Essay on the origin and uses of the round towvers of Ireland, by George Petrie, Dublin, 1845, welches im Archaeological Journal of the archaeological Institute of Great Britain, Vol. III, 1846, p. 166 sq. angezeigt ist, ist nachgewiesen, daß die in Irland öfter vorkommenden, alten, runden Thürme von 50 bis 150 Fuß Höhe und 40 bis 60 Fuß Umfang in der Basis christliche Bauwerke sind. Sie wurden nie ohne Zusammenhang mit alten kirchlichen Stiftungen aufgeführt und dienten zugleich als Glocken= und Befestigungsthürme vor der Eroberung Englands durch die Normannen. Im Archaeol. Journal p. 170 ist Finend Church at Clonmacnoise abgebildet, der Westgiebel einer romanischen Kirche mit einem Thurme in der rechten Ecke, welcher in der Construction ganz dem Giebel der Kapelle von Althof gleich ist, nur daß der irische Thurm höher ist als der althöfer. In demselben Journal S. 388 ist Darent Church, in der Grafschaft Kent, aus der normännischen Periode, abgebildet, welche denselben Giebel, mit zwei hohen, kleinen Fenstern und einer Rose, hat, wie die Kapelle zu Althof, jedoch keinen Thurm.

Zu diesen directen Beweisen für den nordischen Einfluß auf Meklenburg kommt noch eine andere Andeutung, welche höchst bedeutend ist. Meklenburg besitzt einen außerordentlichen Reichthum von schönen Kirchen im Ziegelbau, welche aus der Zeit des Ueberganges vom Rundbogenstyle zum Spitzbogenstyle stammen. Diese Erscheinung hängt ganz natürlich mit der historischen Thatsache zusammen, daß grade in dieser Zeit (1220 bis 1240) das Christenthum in Meklenburg seine Befestigung erhielt und die meisten Kirchen gebauet wurden. Aber die wichtige Frage ist, woher der Styl dieser Kirchen nach Meklenburg kam. Die Antwort scheint ganz einfach die zu sein, daß er aus dem Westen, aus dem Erzbisthume Bremen, gekommen sei, zu welchem Meklenburg gehörte. Doberan ward von Mönchen aus dem Kloster Amelungsborn bevölkert, das Collegiatstift Güstrow ward nach dem Muster der Kirche zu Hildesheim eingerichtet u. s. w. Aber es scheint auch nordischer Einfluß geherrscht zu haben. A. v. Minutoli hat vor kurzem in seinem großen Werke: Der Dom zu Drontheim und die mittelalterliche christliche Baukunst der scandinavischen Normannen, Berlin, 1853, die Ansicht ausgesprochen, daß der alte Spitzbogenstyl oder der Uebergangsstyl, wie er gewöhnlich genannt wird, eine Erfindung der skandinavischen Normannen, zuerst in dem Dome

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zu Drontheim, dem größten Kunstwerke seiner Zeit, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zur Anwendung gekommen und von Norwegen in die deutschen Küstenländer, namentlich in das Erzthum Bremen, verpflanzt sei; er hält den Styl, den er den normannischen nennt, für ein Product, welches aus der Vermischung und Anwendung arabischer, griechischer und normannischer Elemente erwachsen sei. Er hat die Ansicht, daß die Kirchen zwischen Weser und Oder unter dem Einflusse des normannischen Styles stehen, namentlich von Bremen und Magdeburg aus, wenn sich auch nicht leugnen lasse, daß eine Einwirkung von anderer Seite her, Von der Normandie, unverkennbar sei, namentlich seit der weiteren Entfaltung des Spitzbogenstyls. Diese wohl nicht ganz unbegründete Ansicht so neu und überraschend sie auch ist, hat gewiß viel für sich, wenn sich auch die wegwerfende Kritik Lübke's in dem Berliner Kunstblatt, 1853, Nr. 26 und 27, sehr hart dagegen ausspricht. Wie es den Begründern aller neuen Ansichten zu gehen pflegt, mag auch Minutoli, von der Erhabenheit seines Stoffes hingerissen, in manchen Stücken etwas zu weit gegangen sein; nichts desto weniger scheint der Kern seiner Forschungen kräftig und gesund zu sein. Mag auch die erste Entwickelung des Spitzbogenstyls vom Westen her bedeutend befördert sein, so wird man doch nordischen Einfluß auf Norddeutschland nicht zurückweisen können, zumal in einer Zeit, wo der Verkehr von ganz Norddeutschland mit dem Norden viel größer war, als mit dem Westen, und als man zu glauben gewohnt ist.

Die unleugbare Verpflanzung nordischer Mosaikziegel und wahrscheinlich selbst des Baustyls von Norwegen nach Doberan giebt einen Beweis für die directe Verbindung mit den skandinavischen Normannen zu einer Zeit, wo der Dom zu Drontheim erbauet ward. Und die wiederholte Anwendung dieser Ziegel bei dem Neubau von Doberan im J. 1186 scheint dafür zu reden, daß damals noch normannische Arbeiter in Meklenburg unausgesetzt thätig waren. so läßt sich die Wanderung der ersten Kunst= und Handwerksbildung in das Bisthum Schwerin (und den meklenburgischen Theil des Bisthums Camin) aus Norwegen her ziemlich klar verfolgen, während man wohl annehmen muß, daß der älteste Baustyl im Bisthume Ratzeburg aus dem Braunschweigischen stammt und von dort durch Heinrich den Löwen eingeführt ist, da der Dom zu Ratzeburg "eine mit den für den Ziegelbau nothwendigen Abänderungen versehene, fast wörtliche Kopie des St. Blasien=Doms zu Braunschweig" ist (vgl. v. Quast zur Charakteristik des älteren Ziegelbaues etc. ., Berlin, 1850, S. 18).

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Zu der Annahme der Wanderung des nordischen Kunststyls stimmen denn auch die folgenden chronologischen Uebersichten genau und auf merkwürdige Weise:

1125.   Cistercienser=Klöster zu Fountain und Kirkestad in England.
1147. Cistercienser=Kloster zu Hovedöe in Norwegen.
1164.   Vermählung der norwegischen Königstochter Woizlava mit dem Fürsten Pribislav von Meklenburg.
1164. Stiftung der Kapelle zu Althof durch Woizlava.
1170. Stiftung des Cistercienser=Klosters Doberan zu Althof oder Alt=Doberan.
1172. Begräbniß der Fürstin Woizlava in der Kapelle zu Althof.
1179. Verwüstung der Kapelle zu Althof und des Klosters durch die wieder abfallenden Wenden.
1186. Wiederherstellung des Gotteshauses zu Althof und Verlegung des Klosters nach dem Dorfe Doberan.
1522. Verwilderung der Kapelle zu Althof bis 1822.
1532. Zerstörung des Klosters Hovedöe.
1823. Wiederherstellung der Kapelle zu Althof.
1846. Aufräumung der Ruinen des Klosters Hovedöe.

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Herkunft der Fürstin Woizlava.

Aus der dargelegten unleugbaren Verpflanzung der Mosaikziegel aus Norwegen nach Meklenburg in einer so fernen Zeit, als noch vom Ziegelbau im Bisthume Schwerin kaum die Rede war, läßt sich nun umgekehrt der wichtige Schluß ziehen, daß, wie die Chronik des Ernst von Kirchberg vom J. 1378 berichtet,

die Fürstin Woizlava, die Gemahlin des Fürsten Pribislav von Meklenburg, wirklich eine K oe nigstochter von Norwegen gewesen sei,

da gewiß eine so wichtige Veranlassung, wie die Vermählung Pribislav's mit einer norwegischen Fürstentochter, voraufgehen mußte, um so merkwürdige Baudenkmäler zu schaffen. Wenn auch die Aeltern der Woizlava 1 ) wahrscheinlich immer unbekannt bleiben werden, so reden doch die Ziegel an dem Grabe der Woizlava und ihres Gemahls deutlicher, als Chroniken, daß hier bei der Gründung des ersten christlichen Gotteshauses normannischer Einfluß gewaltet habe.

Vignette

1) Ueber die Herkunft und den Namen der Woizlava ist in Jahrb. II, S. 12, alles beigebracht, was zu erforschen und zu vermuthen möglich war.
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IV.

Kritische Geschichte

der

sogenannten Prillwitzer Idole

von

F. Boll.


D ie auf der großherzoglichen Bibliothek zu Neustrelitz aufbewahrten, angeblich zu Prillwitz ausgegrabenen Idole haben bis jetzt noch nicht aufgehört, das Interesse der Alterthumsforscher auf sich zu ziehen. So entschieden von einer Seite ihre Unächtheit behauptet wird, so entschieden ist auch noch in neuester Zeit durch den zu Anfang des J. 1852 zu Wien verstorbenen Professor Johann Kollàr ihre Aechtheit vertheidigt worden. Bekanntlich war es der im J. 1836 verstorbene berliner Professor Konrad Levezow, welcher in einer im J. 1834 in der berliner Akademie vorgetragenen Abhandlung 1 ) zuerst ein motivirtes Verdammungsurtheil über die Pillwitzer Idole öffentlich aussprach. Außer den innern Gründen, welche Levezow für seine Verurtheilung geltend macht, findet er auch die Entdeckungsgeschichte der fraglichen Idole selbst in mehrfacher Hinsicht verdächtig, und hat deshalb diesen Gegenstand ausführlicher erörtert. Jedoch ist dieser Theil seiner Untersuchung weniger erschöpfend ausgefallen, ja manche Irrthümer sind dabei mit untergelaufen, theils weil Levezow nicht das ganze zu dieser Untersuchung nöthige Material zu Gebote stand, theils weil ihm die genauere


1) "Ueber die Aechtheit der sogen. Obotritischen Runendenkmäler zu Neustrelitz. Eine antiquarische Abhandlung, gelesen in der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 23. Januar und 24. Julius 183 von Konrad Levezow." Berlin 1835.
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Kenntniß der betreffenden Personalien mangelte. Dem Unterzeichneten sind sowohl von Seiten unsers Vereins für meklenburg. Geschichte und Alterthumskunde, in dessen Besitz die von Levezow über die fragliche Angelegenheit gesammelten Actenstücke übergegangen, dieselben, als auch von der großherzoglichen Bibliothek zu Neustrelitz die dort über diese Angelegenheit vorhandenen Actenstücke zur Benutzung anvertraut worden, und da er sie für vollständig genug hielt, um nach denselben eine kritische Geschichte der Prillwitzer Idole zu liefern, so hat er sich dieser Arbeit, zwecks einer Veröffentlichung in unsern Jahrbüchern, gern unterzogen. Die Resultate seiner Untersuchung hat er bereits im Januarhefte des "Archivs für Landeskunde in den Großherzogthümern Mecklenburg" vom J. 1853 dem Publicum vorläufig mitgetheilt.


Einleitendes.

Um den Anfang des J. 1768 kamen die ersten Stücke der Prillwitzer Idole hier in Neubrandenburg zum Vorschein. Es ist zunächst für unsere Untersuchung nicht unwichtig, diejenigen Gelehrten kennen zu lernen, welche sich beeiferten, diese Entdeckung zur Kenntniß des Publicums zu bringen, so wie den wissenschaftlichen Boden zu untersuchen, auf den diese Entdeckung fiel.

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Johann Gottlieb Pistorius war im J. 1708 zu Friedland geboren, woselbst sein Vater Prediger war. Er studirte die Rechte und wurde später Landsyndicus des stargardischen Kreises, und hatte als solcher seinen Wohnsitz in der Vorderstadt desselben, zu Neubrandenburg. Er war nicht nur ein Liebhaber der Vaterländischen Geschichte und besaß eine reichhaltige Sammlung älterer meklenburgischer Münzen und in die vaterländische Geschichte einschlagender Werke, sondern sammelte auch eifrig Materialien zu einer allgemeinen meklenburgischen Adelshistorie. Seine Berufsreisen nach Rostock hatten hier eine Verbindung mit dem Sohne des Syndicus der meklenburgischen Ritter= und Landschaft J. F. Taddel, dem Licentiaten Heinrich Friedrich Taddel (geb. zu Rostock 1736, gest. daselbst 1782), herbeigeführt, welcher damals die zu Rostock erscheinenden "erneuerten Berichte von gelehrten Sachen" redigirte. In dieser Zeitschrift forderte Taddel (unter dem 29. Octoder 1767) zur Subscription auf das erste, bereits unter der Presse befindliche Stück der

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meklenburg. Adelshistorie von Pistorius auf, welches die Geschichte der von Warburgschen Familie enthalten sollte; wahrscheinlich in der ersten Hälfte des folgenden (1768) Jahres erschien dasselbe, die Fortsetzung des Werkes unterblieb, weil es wohl keine besondere Theilnahme fand. Pistorius starb im J. 1780; seine Münzsammlung und seine Bibliothek wurden in öffentlicher Auction verstreut.

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Gottlob Burchard Genzmer war der Sohn eines Predigers, geb. im J. 1716 zu Hohen=Lübbichau in der Neumark. Als er zu Berlin das Gymnasium des grauen Klosters besuchte, schloß er hier schon Freundschaft mit Samuel Buchholtz, dem bekannten Geschichtschreiber der Kurmark Brandenburg, welcher im J. 1717 zu Pritzwalk geboren und ebenfalls der Sohn eines Predigers war. Beide studirten dann zu Halle, und Genzmer ward zuerst (1740) als Conrector zu Havelberg, Buchholtz im J. 1744 als Conrector zu Werben angestellt, und unterhielten beide fortwährend einen regen wissenschaftlichen Verkehr. Ein Bruder Buchholtzens war Cantor in Havelberg, und wenn im Winter die Elbe zugefroren war, wanderte dieser mit Genzmer hinüber zu Buchholtz nach Werben, und alle drei begaben sich dann nach Seehausen zu Winkelmann, welcher damals hier Conrector war und später als Kunstkritiker sich einen europäischen Ruf erwarb. Mit diesem blieb Genzmer auch späterhin in beständiger Verbindung, und Winkelmanns vertrauteste Briefe sind an ihn gerichtet. - Genzmer schied zuerst aus dem altmärkischen Freundeskreise; er ging nach Mirow als Erzieher der Kinder des Prinzen Carl Ludwig, dessen ältester Sohn Adolf Friedrich der muthmaßliche Erbe seines Oheims, des kinderlosen Herzogs Adolf Friedrich III. von Strelitz, war. Von hier aus veranlaßte Genzmer seinen Freund Buchholtz, der sich vorzugsweise auf das historische Fach gelegt hatte, eine kürzere, aber vollständige Geschichte von Meklenburg zu schreiben, welche geeignet wäre, beim Unterrichte zu Grunde gelegt zu werden, und versah ihn zu dem Zwecke mit den nöthigen Materialien. Dieses Werk: "Versuch in der Geschichte des Herzogthums Meklenburg", erschien im J. 1753 zu Rostock im Druck, in demselben Jahre, in welchem auch die ersten Bände von David Francks bekanntem alten und neuen Meklenburg ans Licht traten. Schon im Jahre zuvor, 1752, war Genzmers Zögling als Adolf Friedrich IV. seinem Oheime in der Regierung gefolgt und Genzmer ward im J. 1756 für seine Dienste mit der Präpositur zu Stargard belohnt. Auch Buchholtz kam bald ihm näher, indem er im J. 1759 Oberpfarrer zu Lichen ward; hier begann er im J. 1765 die Herausgabe seiner bekannten Ge=

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schichte der Kurmark Brandenburg und trat in wissenschaftlichen Verkehr mit Pistorius, dem er Urkunden zu seiner meklenburg. Adelshistorie mittheilte. Genzmer schrieb keine größeren Werke, schriftstellerte aber fleißig in Journalen, besonders im Fache der Naturwissenschaften, die er mit großem Eifer trieb; ausgezeichnet für jene Zeiten war seine Sammlung von Folien. Beide Freunde erreichten kein hohes Alter: Genzmer starb schon am 20. April 1771, und Buchholtz zu Kremmen, wohin er im J. 1768 auf des großen Friedrichs Befehl befördert war, am 29. April 1774. Der gelehrte Briefwechsel, den beide geführt und der unter dem Titel: "Kritische Briefe aus den Gegenden am Belt" zur Herausgabe bestimmt war, ist ungedruckt geblieben. (Heynatz in der Vorrede zum 5. Bande der Buchholtzschen Geschichte S. 21.)

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Andreas Gottlieb Masch war im J. 1724 zu Beseritz geboren, woselbst sein Vater Prediger war. Er studirte zuerst (1744) zu Rostock und dann (seit 1746) noch vier Jahre lang zu Halle, und bildete sich hier, unter Leitung des berühmten Theologen Baumgarten, zu einem fruchtbaren theologischen Schriftsteller. Im J. 1752 war er seinem Vater adjungirt worden, wurde aber schon 1756 zum Stadtprediger und Consistorialrathe nach Neustrelitz berufen und hier 1761 zum Hofprediger und 1765 endlich zum Superintendenten des Großherzogthums befördert. Er erlebte am 24. Januar 1802 sein Amtsjubiläum, und starb erst, bis wenige Tage vor seinem Hinscheiden noch wissenschaftlich thätig, am 26. October 1807.

In wie regem wissenschaftlichen Verkehre diese Gelehrten grade um die Zeit, als die Entdeckung der Prillwitzer Idole erfolgte, mit einander standen, lernen wir aus den Briefen des Engländers Thomas Nugent kennen, der in den letzten Monaten des J. 1766 Meklenburg bereiste und einige Zeit am strelitzer Hofe sich aufhielt. 2 ) In Neubrandenburg suchte er sogleich Pistorius auf, an den er schon Empfehlungen von Rostock mitbrachte, und verweilte einige Tage hier, um die Stadt, ihre Umgebungen, ihre Einrichtungen und Geschichte durch Pistorius genauer kennen zu lernen. In Neustrelitz lernte er zunächst den dort zufällig anwesenden Präpositus Genzmer kennen, und dieser


2) Die jüngste Schwester Herzog Adolf Friedrichs IV., Sophie Charlotte, war seit 1761 mit König Georg III. von England vermählt, und so hatte Meklenburg einiges Interesse bei den Engländern gewonnen. Der Literat Dr. Thomas Nugent gab im J. 1766 den ersten Band einer history of Vandalia heraus, und kam nach Mekleburg, um Dedicationsexemplare dieses Werkes an den Höfen zu Schwerin und Strelitz zu überreichen. Er beschrieb seine Reise durch Meklenburg sehr ausführlich in Briefen, die zwei Bände füllend im J. 1768 im Druck erschienen. Eine deutsche Uebersetzung derselben (mit Anmerkungen) lieferte im J. 1781 F. Ch. L. Karsten, der Zeiten Lehrer am herzoglichen Pädagogium zu Bützow.
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introducirte ihn bei dem Superintendenten Masch, mit dem er während seines längeren Aufenthaltes zu Neustrelitz vorzugsweise in Verkehr blieb. Mit Masch machte er einen Besuch bei Genzmer in Stargard, um dessen Sammlungen in Augenschein zu nehmen, und Pistorius gab ihm ein Rendez=vous in Altstrelitz, wohin ihn Masch begleitete; hier ward auch eine Zusammenkunft mit Buchholtz verabredet, welche Pistorius zu vermitteln versprach; diese fand später bei einem Bruder Buchholtzens, der Rector der Schule zu Altstrelitz war, in Maschens und Pistorius Gegenwart statt.

Von besonderem Interesse für unsere Untersuchung ist es auch, aus Nugents Briefen zu erfahren, wie beliebt damals bei den Gelehrten unsers Landes die Meinung war, daß die berühmte Wendenstadt Rhetra auf der Stelle von Prillwitz an der kleinen Tollense oder Lieps gelegen habe. Nachdem schon eine Menge höchst abweichender Vermuthungen über die Lage von Rhetra aufgestellt waren, hatte sich der Rector der neubrandenburger lateinischen Schule Bernhard Latomus (Steinmetz) zuerst in seinem Genealochronikon (1611) für die Lage bei Prillwitz ausgesprochen und behauptet: die Hügel von Prillwitz wären früher von Wasser umflossen gewesen, indem die Tollense einen weit höheren Wasserstand gehabt, so daß das Thal, in welchem jetzt Neubrandenburg liege, ganz unter Wasser gestanden und der See sich bis nach Friedland hin erstreckt habe. Allein diese Hypothese des Latomus war, weil sein Werk ungedruckt blieb, für's erste nicht weiter bekannt geworden, bis sie zuerst Aepinus in seiner Schrift von der meklenburger Bekehrung (1708) erwähnte, und später 1738 der verbesserte Klüver (2, 328) und 1739 Schröder in seinem Papistischen Meklenburg die betreffende Stelle aus der Handschrift des Latomus mittheilten, und endlich das Genealochronikon 1745 im vierten Bande der monumenta inedita des Kanzlers von Westphalen vollständig abgedruckt ward. Buchholtz ließ 1753 in seiner Geschichte von Meklenburg die Lage von Rhetre (so schreibt er) unentschieden; er führt nur an, daß man es sowohl bei Röbel, als bei Stargard, und auch bei Neubrandenburg, "nicht weit von dar am Tollensee" suche (S. 14, 16, 17). Auch Frank führt in demselben Jahre die verschiedenen Meinungen über die Lage von Rethre (so schreibt er) auf und schließt (2, 96): "Latomus suchet diese verlorene Stadt endlich an dem Ort, wo jetzo Prillwitz, so dem Herren von Bredow gehöret, nicht weit von Neubrandenburg, und meinet, der große See sei nachher abgelassen, und die Stadt Neubrandenburg auf den Platz desselben gebaut. Es giebet hiezu eine starke Muthmaßung, daß die ganze Ebene, worauf Neubrandenburg mit ihren Hopfen=Gärten und Korn=

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Feldern lieget, nicht anders anzusehen, als ein abgelassener See, indem rund umher Anhöhen, als Ufer, erscheinen. Hiezu kommt, daß nicht ferne davon Broda liegt, welches auf Wendisch eine Fähre heißt. Denn wozu sollte man eine Fähre daselbst gehabt haben, wenn nicht vordem ein großes Wasser da gewesen wäre?"

Nugent erwähnt diese Meinung zuerst aus Neubrandenburg (1, 249 deutsche Uebersetzung): "Verschiedene Schriftsteller wollen, daß nicht weit von hier an der Tollense die alte Stadt Rethra gestanden". Später, als er mit Masch von Neustrelitz nach Stargard fuhr, erzählt er (2, 167): "hier bei Usadel hatten wir von einer Anhöhe einen vortrefflichen Prospect nach der Tollense und dem dem Herrn von Bredow zugehörigen Gute Prillwitz. von hier ließen wir rechter Hand (?) auf einem Hügel einen Steinhaufen liegen, welches nach des Herrn Masch Bemerkung die Stelle sein soll, wo die vormalige Stadt Rhetra gestanden". Bald darauf besuchte Nugent Prillwitz selbst, um die Ruinen von Rhetra in Augenschein zu nehmen. Er berichtet darüber unter dem 8. November: "Bald nach meiner Zusammenkunft mit Buchholtz und Pistorius zu Altstrelitz nöthigte mich Herr von Bredow, daß ich ihn auf seinem Landgute Prillwitz besuchen möchte. Man hatte mir schon viel von der angenehmen Lage dieses Orts erzählt, allein meine Neugierde ward dadurch noch mehr gereizt, daß ich hier Gelegenheit haben würde, die Rudera eines alten Tempels des heidnischen Gottes Radegast zu besehen. Ich machte mich also an einem Sonnabend Nachmittag mit Hauptmann Pleß auf den Weg. Anfangs ist der Weg überaus sandig. Wir fuhren durch Weisdin, Blumenholz und Usadel, und in etwa anderthalb Stunden erreichten wir Prillwitz, das ungefähr 2 Meilen von Strelitz gerechnet wird. Prillwitz ist ein feines Dorf und hat eine schöne Lage an der Tollense. Man hat hier einen überaus reizenden Prospect; rechts und links läuft eine Reihe von Hügeln ununterbrochen fort, und am andern Ende des Sees liegt Neubrandenburg, gleichsam im Hintergrunde der Landschaft. Herr von Bredow empfing mich überaus gütig". - "Den andern Morgen schlug Herr von Bredow einen Spaziergang nach den berühmten Ruinen vor. Es war diesen Morgen schönes heiteres Frostwetter, daher präsentirte sich die Tollense mit den angrenzenden Wäldern, die auf den Seiten der Hügel zu schweben schienen, überaus prächtig. Der Berg, den wir hinaufzusteigen hatten, war so steil, daß ich beinahe müde ward, ehe wir die Spitze erreichten. Herr von Bredow sowohl, als auch viele andere Gelehrte dieses Landes behaupten, daß die alte Stadt Rhetra auf eben der Stelle gestanden, wo jetzt Prillwitz liegt, und daß auf diesem Berge der Tempel des Radegast

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gestanden. So viel ich indessen aus der ganzen Gestalt des Berges urtheilen konnte, schien er mir nicht die mindeste Spur eines vormaligen Tempels zu zeigen, vielmehr schienen mir die verfallenen Gräben, Wälle und Mauern sichtbare Ueberbleibsel eines alten Schlosses zu sein. 3 ) Dergleichen Schlösser oder Rittersitze gab es im mittlern Alter sehr viele, und vielleicht werden Sie auch von dieser Art Schlösser, die vormals in England gewesen sind, etwas gelesen haben. Ich sagte meine Meinung offenherzig, welches dem Herrn von Bredow gar nicht zu behagen schien, denn er war zu sehr für die Meinung eingenommen, daß dies vormals ein Tempel gewesen; überdies wollte er noch aus gewissen Merkmalen behaupten, daß hier ein Schatz vergraben wäre, den er schon längst gehoben haben würde, wenn er nicht befürchten müßte, daß der Herzog als Lehnsherr mit davon participiren wollte." - Nach Neustrelitz zurückgekehrt, stattete Nugent dem Herzoge über die Reise Bericht ab, "und dieser ergötzte sich nicht wenig über den Herrn von Bredow, daß er aus Furcht vor ihm den im Berge verborgenen Schatz nicht heben wollte".

Auch hatte bereits vor Entdeckung der Prillwitzer Idole die zuerst von Latomus aufgestellte Hypothese: die Tollense habe sich früher durch das ganze Thal bis nach Friedland hin erstreckt, - diejenige Erweiterung erfahren, in welcher sie später von Masch vorgetragen wurde, um dadurch zu erhärten, daß das wasserumflossene Rhetra auf der Stelle von Prillwitz gelegen habe. Ein Aufsatz in den "Nützlichen Beiträgen zu den Strelitzischen Beiträgen" Nr. 32 vom 6. August 1766 unter der Ueberschrift: "Von der natürlichen Historie von Meklenburg" sagt darüber S. 254: Hätten wir alte Erdbeschreibungen von Meklenburg, so würden wir darin lesen, daß die Ostsee, die jetzo nur an unsere Gränzen spület, einen großen Arm mitten durch Meklenburg gestrecket habe. Wie unglaublich würde dieses sein? Und dennoch ist es bis aufs höchste wahrscheinlich. Die Tollense, welche bei Prillwitz ihren Anfang nimmt, und bei Neubrandenburg zu einem Strome wird, hat noch jetzo einen Zusammenhang mit der Ostsee. Sie schicket ihr Wasser vermittelst des Stromes bei Demmin in die Peene, durch diese in das Haff und endlich in die Ostsee. Diese Ströme sind ein Denkmal von der vormaligen Verbindung der Tollense mit der Ostsee, so daß die Tollense ein Arm von der Ostsee gewesen. Wenn man sich


3) Nugent urtheilte ganz richtig: diese angeblichen Ruinen des Tempels zu Rhetra sind nichts anders als die Ueberbleibsel des Schlosses Prillwitz, welcher im 13. Jahrh. erbaut war, und erst im 16., wenn nicht gar im 17. Jahrh. zerstört wurde. Siehe meine Geschichte des Landes Stargard l, 164.
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auf die Höhe über Prillwitz stellet und alsdann die Tollense die Länge herunter siehet, so findet man auf beiden Seiten ein hohes Ufer, welches das vollkommene Bette eines großen Meeres ist. Die Anhöhen theilen sich bei Neubrandenburg und ziehen sich auf der einen Seite herum nach Friedland, auf der andern Seite aber nach Treptow, und von da bis an die Peene. Bei Neubrandenburg erhebet sich gegenüber wieder eine solche Anhöhe, die auf beiden Seiten herumgehet und den jetzo noch sogenannten Werder bildet. Zwischen diesen gesammten Anhöhen findet sich eine Ebene, die mit der Tollense mehrentheils horizontal liegt. Neubrandenburg selbst liegt in dieser Ebene. Wenn man dieselbe nachgehet, so zeiget das in der Mitte der Ebene noch beständig fließende Wasser, welches den ganzen Werder umgiebet, daß die jetzige Ebene oder Wiesen in dem Bette einer See liegen, die den größten Theil ihres Wassers verloren hat. Wäre es möglich, daß man den Ausfluß des Haffes bei Wolgast und Swinemünde stammen könnte, so würde in kurzer Zeit die ganze Ebene, worauf Neubrandenburg liegt, nebst allen den Wiesen, die in einer Horizontallinie durch Meklenburg und Pommern auf den Seiten der Peene sich erstrecken, unter Wasser gesetzet und das alte Bette des Armes der Ostsee wieder mit Wasser angefüllet sein". - Dieses sind so gänzlich die später von Masch vorgetragenen Ansichten, daß ich nicht anstehen würde, ihn für den Verfasser dieses Aufsatzes zu halten, wenn er nicht mit der Chiffre Z. unterzeichnet wäre. Nugent hat sich den Inhalt dieses und anderer Aufsätze der "Nützlichen Blätter" angeeignet und die eben mitgetheilte Stelle zum Theil wörtlich seinem letzten Briefe einverleibt.

Endlich darf auch nicht unerwähnt bleiben, daß schon vor der Entdeckung der fraglichen Idole die Ansicht geltend geworden war: die Wenden in Meklenburg hätten als Schriftzeichen sich der sogenannten Runen bedient. Der verbesserte Klüver (1, 262) sagt darüber: "Die Schulen waren bei den Wenden im schlechten Stande, dennoch die Priester Schullehrer, und unter ihren Buchstaben, die Runische genannt, folgender Gestalt beschaffen" (folgt ein Runen=Alphabet). Auch Buchholtz legt in der Geschichte von Meklenburg S. 88 den Wenden die runische Schrift bei, und S. 93 lernen wir, daß diese Behauptung ursprünglich von Schurtzfleisch herrührte, der in seiner Dissertation de rebus Slavicis von einer wendischen Schule zu Demmin gehandelt hatte, "wo der Jugend Unterricht in der Runischen Schrift, Sprache und Weisheit gegeben worden" (!)

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Die ersten Entdeckungsberichte von Hempel, Pistorius und Genzmer.

Es muß um den Anfang des Jahres 1768 gewesen sein, als der doctor medicinae Hempel zu Neubrandenburg, ein Sohn des damaligen herzoglichen Leibarztes, von dem Goldschmiede Sponholtz daselbst 35 Stücke der vielbesprochenen Prillwitzer Alterthümer durch Kauf an sich brachte. Diese interessante Entdeckung wurde sogleich durch öffentliche Blätter dem Publicum mitgetheilt. Es sind darüber vier gedruckte Berichte in verschiedenen Zeitschriften vorhanden. Bisher sind immer nur zwei derselben berücksichtigt worden, nämlich der vom Präpositus Genzmer im Altonaschen Merkur und der durch Taddel in den Rostockschen gemeinnützigen Aufsätzen veröffentlichte, weil Masch in seinen obotritischen Alterthümern (S. 4) nur diese beiden Entdeckungsberichte erwähnt und die Betheiligung von Hempel und Pistorius an dieser Angelegenheit aus Gründen, die weiter unten erhellen werden, mit Stillschweigen übergangen hatte. Deshalb kennt und erörtert Levezow auch nur jene beiden gedruckten Berichte, obwohl er aus den Streitschriften Sense's und Genzmer's (siehe das folgende Capitel) hätte ersehen können, daß nicht zwei, sondern vier gedruckte Berichte über die Entdeckung der Prillwitzer Idole vorliegen müßten. Dafür veröffentlicht Levezow zwei alte handschriftliche Entdeckungsberichte, welche er von Maschens Schwiegersohne, dem Pastor Rudolphi zu Friedland, mitgetheilt erhalten hatte, deren einen er für einen Originalaufsatz Hempels, den andern für von Genzmer verfaßt, vielleicht den ersten Entwurf der Anzeige im Altonaschen Merkur, hielt. Als ich beide Actenstücke aus Lewezows Nachlaß durch Herrn Archivar Dr. Lisch mitgetheilt erhielt, erkannte ich in dem letzteren sogleich die mir wohlbekannte Handschrift des Pistorius, in dem ersteren aber nur eine andere (wahrscheinlich spätere) Redaction des bereits durch Taddel in den Rostockschen gemeinnützigen Aufsätzen veröffentlichten Berichtes. Diese Sache verhielt sich so.

Als der Doctor Hempel jene 35 Stücke von den Prillwitzer Alterthümern im Hause des Goldschmiedes Jacob Sponholtz entdeckte und käuflich erwarb, theilte er diesen interessanten Fund sogleich dem ihm befreundeten Landsyndicus Pistorius mit, der als Historiker und Antiquar den wissenschaftlichen Werth dieser Alterthümer besser beurtheilen konnte, als Hempel, der eigentlich nur Sammler von Naturalien war. Beide besorgten sogleich

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eine vorläufige kurze Anzeige dieser Entdeckung in Nr. 26 des Hamburger Correspondenten vom Jahre 1768, die wohl eigentlich von Pistorius verfaßt und von Hempel nur niedergeschrieben war, denn Genzmer unterscheidet nachher ausdrücklich ihren Concipienten und den Schreiber. Indessen hatte auch Genzmer von dem Funde vernommen, kam von Stargard nach Neubrandenburg herüber, untersuchte die Alterthümer bei Hempel und trug sich Notizen darüber in seine Schreibtafel ein. Mit seinem gewohnten Eifer machte er sich sogleich daran, nach diesen Notizen eine Beschreibung der Alterthümer zu entwerfen, welche in Nr. 34 des Altonaschen Merkurs vom J. 1768 abgedruckt wurde; sie ist indessen sehr ungenau, oft falsch, da die aufgeschriebenen Notizen nicht überall durch ein treues Gedächtniß unterstützt wurden, ist aber insofern von Werth, als wir daraus erfahren, welche Alterthümer Hempel zuerst von Jacob Sponholtz erhandelt hatte. Es befinden sich unter diesen 35 Stücken 4 ) der bekleidete Radegast (bei Masch Fig. 3) der Podaga Fig. 5, der Perkunust Fig. 6, der Zibocg Fig. 11, die Sieba Fig. 15, die namenlose Göttin Fig. 16, der Zernebocg Fig. 12, die Stange mit 3 Köpfen Fig. 10, der Lelus und Poletus Fig. 20, die von Masch als Untergötter bezeichneten Nr. 7-12, die Halbgötter Nr. 1-3, die Zirnitra Fig. 34, der sogenannte Götterthron (eigentlich ein Hängeleuchter) Fig. 35, und die sämmtlichen bei Masch als Denkmale aufgeführten Stücke, mit Ausnahme des Mita. - Allein kaum hatte Genzmer seine Beschreibung abgesendet, als er erfuhr, daß Dr. Hempel neuerdings noch mehrere Alterthümer von Jacob Sponholtz an sich gebracht habe; Genzmer mußte also wieder hinüber nach Neubrandenburg und aufs Neue besichtigen und beschreiben. Er schilderte die neu erworbenen Alterthümer in einem zweiten Sendschreiben im Altonaschen Merkur Nr. 44 vom Jahre 1768; es waren 10 Stücke, nämlich 4 Opfermesser, 2 Opferschalen, die Idole Vodha Fig. 4, Ipabocg Fig. 9, Schuaixtix Fig. 13, und der Hund mit der Aufschrift Mita.

Inzwischen hatte sich auch Hempel daran gemacht, mit Pistorius Beihülfe eine ausführliche und genaue Beschreibung seiner Alterthümer aufzusetzen. Sie scheint noch im Februar 1768 vollendet zu sein, erschien aber nicht sofort, wie verheißen war, im Druck, vielleicht weil man den befreundeten Genzmer nicht compromittiren wollte, dessen flüchtige und oft falsche Beschrei=


4) Genzmer giebt in seinem ersten Sendshreiben zwar die Zahl der zuerst von Jacob Sponholtz erworbenen Alterthümer ausdrücklich auf 37 Stücke an, allein er hat sich theils verzählt (Nr. 22 fehlt), theils einen abgebrochenen Arm einer Figur Nr. 23 besonders gezählt.
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bung gegen diese, die sehr genau war und auch schon die Runen=Legenden meistens richtig mittheilte, sehr würde abgestochen haben. Von dieser Pistorius=Hempelschen Beschreibung liegen zwei Exemplare vor, ein geschriebenes, wahrscheinlich von Hempels Hand, * ) welches Levezow von Pastor Rudolphi erhalten hatte, und das durch Taddel in den Rostockschen gemeinnützigen Aufsätzen vom J. 1769 veröffentlichte. Der inzwischen auf die Prillwitzer Alterthümer erfolgte Angriff des Pastor Sense zu Warlin machte nämlich die Bekanntmachung einer richtigen und genauen Beschreibung nöthig, um auf diese eine Vertheidigung der Alterthümer zu gründen. Zu diesem Zwecke hatte wohl Pistorius sein Exemplar an Taddel mitgetheilt; es ist, im Vergleich mit dem von Hempels Hand geschriebenen, das ältere. Denn obwohl beide nur in unwesentlichen Kleinigkeiten von einander abweichen, so machen doch in dem Taddelschen Abdrucke die beim zweiten Kaufe von Jacob Sponholtz erworbenen 10 Stücke die letzten 10 Nummern aus (Nr. 36 bis 45), während sie in dem geschriebenen Exemplare schon mit unter die andern Alterthümer nach der Sachordnung eingereihet sind. Das Vorwort des geschriebenen Exemplars ist vom Hornung (Februar) 1768 datirt, es ist also wohl nur eine später von Hempels Hand genommene Reinschrift. Sie enthält auf dem Rande einige Zusätze und Berichtigungen von Pistorius Hand: so war z. B. in dem Taddelschen Abdrucke das Idol Vodha noch als Pidha gelesen, in Hempels Handschrift aber Vidha, wozu Pistorius auf dem Rande bemerkt: "die kleinen Querstriche an den Runen o sind noch zur Zeit nicht zu entdecken, daß man Vodha herausbrächte". - Obwohl nun einstweilen die Bekanntmachung dieser genauem Be=


*) Nachdem bereits der erste Theil dieser Abhandlung nach schwerin abgegangen war, hat mir ein glücklicher Zufall noch einen ziemlichen Vorrath alter Papiere aus dem Nachlasse der Verkäufer der Prillwitzer Alterthümer in die Hände gespielt, unter denen sich auch auf unsere Frage bezügliche befanden. sie wurden für mich Veranlassung, mir von großherzogl. Justiz=Canzlei zu Neustrelitz auch die Acten eines im J. 1775 geführten Processes des Verkäufers gegen den Käufer zu erbitten. Ich muß nach diesen Papieren hier einige Punkte des ersten Capitels meiner Arbeit theils genauer bestimmen, theils berichtigen. - Der Dr. Hempel hat die zuerst von dem Goldschmiede Jacob Sponholtz ihm überlassenen 35 Alterthumsstücke, welche Genzmer im ersten Sendschreiben beschreibt, für 100 Thlr. Gold erstanden und über diese Summe im Antoni=Termine 1768 einen Wechsel ausgestellt. Nicht lange darauf, im Laufe des Februar, tauschte Dr. Hempel die im zweiten Genzmerschen Sendschreiben beschriebenen 10 Alterthumsstücke von dem jüngsten Bruder des Goldschmiedes, von Gideon Sponholtz, für eine Conchilien=Sammlung ein. Zu berichtigen ist: die ausführliche Beschreibung dieser 45 Alterthumsstücke, welche sich bei den schweriner Acten im Manuscript befindet und deren Vorwort in Hempels Namen aufgesetzt ist, ist nicht von Hempels eigener Hand, sondern vom Copisten des Landsyndicus Pistorius geschrieben.
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schreibung unterblieb, so hatte doch (wahrscheinlich) Pistorius sein Manuscript schon gleich nach der Abfassung an Taddel mitgetheilt, nach welchem dieser eine vorläufige Nachricht in das achte Stück der "Erneuerten Berichte von gelehrten Sachen" unter dem 25. Februar 1768 einrücken ließ.

Da nun diese für die Geschichte der Prillwitzer Idole so wichtigen Actenstücke in Zeitschriften aufgesucht werden müssen, welche jetzt nicht mehr überall leicht zugänglich sind, so theile ich hier dieselben mit; von der ausführlichen Pistorius=Hempelschen Beschreibung werde ich indeß von dem geschriebenen Exemplar nur das Vorwort geben, da die geringen Varianten in der Beschreibung selbst zu unwesentlich sind. Durch Taddel erfahren wir übrigens, daß Pistorius beabsichtigte, in einem ausführlicheren Kupferwerke diese Alterthümer zu beschreiben und zu erläutern. Der Anfang dieser Arbeit, von welcher wahrscheinlich nie mehr aufs Papier gekommen ist, hat sich erhalten; Pistorius übersandte ihn (im Brouillon) an Genzmer, als dieser sich anschickte, auf den Senseschen Angriff zu antworten. Ich theile diese Reliquie des wackern Mannes hier mit, dessen Eifer für die Geschichte seines Vaterlandes bei seinen Zeitgenossen die Theilnahme nicht fand, welche er verdiente. Aus diesen Actenstücken allein läßt sich ein sicheres Urtheil über die wohl hin und wieder geäußerte Behauptung fällen, als ob einem vielleicht mit den Prillwitzer Idolen gespielten Betruge entweder Genzmer oder Pistorius selbst nicht fremd geblieben wären.


1. Erster Bericht.

Aus dem Hamburgischen unparteiischen Correspondenten, 4b ).

1768, Sonnabend den 13. Febr., Nr. 26.

Neubrandenburg, im Mecklenburgischen, den 7. Febr.

Man kann zur Aufklärung der Historie, und anderer dahin einschlagenden Umstände, dem Publico folgende Nachricht nicht unangezeigt lassen: Bisher sind die Geschichtschreiber sowol wegen der Lage der ehemaligen Stadt Rhetra, als wegen des daselbst vorhandenen Götzen Radegast, uneinig gewesen. Nunmehr aber lassen sich diese Verschiedenheiten deutlich bestimmen. Auf einem im Mecklenburg=Strelitzschen, harte an dem großen See Tollensee belegenen Guthe, ist auf einem hohen mit alten Graben versehenen Berge ein kupfener


4b) ) Die Mittheilung dieses und des folgenden Actenstückes verdankt der Verein dem Herrn Archivar Lappenberg zu Hamburg, dem wir hierdurch öffentlich dafür unsern Dank sagen.
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Grapen gefunden, und dem dortigen Geistlichen zugestellet worden. Es befanden sich in demselben an die 30 Götzen, nebst den dazu gehörigen Opferschaalen. Von diesem Geistlichen sind gedachte Stücke durch Erbschaft an einen Bürger hier in Neubrandenburg gekommen, der sie, weil er diesen Schatz nicht kannte, dem in den Alterthümern erfahrenen Herrn Hempel, der Arzneykunst Doctoren, zeigte. Der Herr Doctor kaufte ohne Anstand alle Stücke an sich. Der größte darunter befindliche Götze ist der Radegast von einer ziemlichen Höhe, auf dessen Rücken mit Rhunischen Buchstaben ganz deutlich zu lesen, Radegast Rhetra. An den vielen andern Götzen, worunter die Nemesis, Pan, Zernebock und der Drache etc. . gleichfalls mit vielen Rhunischen Buchstaben bezeichnet, ist das Wort Rhetra gleichfalls ganz deutlich zu sehen. Kenner der Alterthümer können diese Originalstücke, welche noch alle die eruginem nobilem an sich haben, nicht genug bewundern. Alle Stücke halten beinahe den Strich von Kronen=Gold, und wiegen zusammen 15 Pfund. Es ist hiebei zu bemerken, daß die Beschreibung des Radegast von den Geschichtschreibern nicht getreffen worden. Er hat eine ganz andere Figur, wiewol es mit der Gans auf dem Kopfe, jedoch ohne ausgebreitete Flügel, seine Richtigkeit hat.

Der Herr Doctor Hempel wird ehestens eine vollständige Beschreibung von dieser wichtigen Entdeckung, die so viele Aufklärung in den Alterthümern macht, mittheilen; und es ist zu wünschen daß beregte Stücke, als die einzigen Monumenta in ihrer Art, allgemein bekannt, und auf immer aufbehalten werden.


2. Zweiter Bericht.

Aus dem Altonaschen Merkurius,

1768, Nr. 34 und 44.

Herrn Gottl. Burch. Genzmers Praepos. zu Stargard im Mecklenburgischen, vorläufige Nachricht von einigen neulich entdeckten Götzenbildern und Alterthümern des nördlichen Heydenthums, in einem Sendschreiben an den Herrn D. Schütze in Hamburg, vom 15. Februar 1768.

S. T.

Hochgeschätzter Freund und Gönner,

Ich kann nicht umhin Ihnen je eher je lieber von einem merkwürdigen Vorfalle in meiner Nachbarschaft Nachritt zu ertheilen, der Ihnen so wenig, als allen Liebhabern und Forschern der Alterthümer, sonderlich der Nordischen und Deutschen, gleichgültig sein kann; zumal da derselbe zu einer Quelle mancher wichtiger Entdeckungen * ) und Berichtigungen vieler in diesem Theile der Gelehrsamkeit von andern begangenen Fehler werden kann. Es ist nämlich meinem Freunde, dem Hrn. Dr. Hempel, med. Pract. zu Neubrandenburg im Mecklenburgischen, neulich geglückt, einen sehr beträchtlichen Schatz von Alterthümern des nördlichen Heydenthums bei einem dortigen Goldschmiede, der sie


*) Z. B. Wo die alte berühmte Stadt Rhetra gelegen? Was dieser und jener Götze der Wenden und Obotriten eigentlich für eine Gestalt gehabt? u. d. g. deren in den von Alterthümern handelnden Büchern befindliche Bilder, vermuthlich blos aus Hörsagen, nach der Einbildung, und nicht nach dem Leben gezeichnet sind.
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bisher aus mehr als einer Ursache * ) ungemein geheim gehalten hatte, zu entdecken, sich zu eigen zu machen, und dem Schmelztiegel zu entrücken, durch welchen er sonst zu unwiderbringlichem Schaden für die Alterthumskunde auf ewig zerstöret sein Würde. ** ) Es sind in allem 30 bis 37 Stück theils Statüen und Götzenbilder, theils Opfergeräthe, theils Fußgestelle, deren Theile und Zierrathen noch vorhanden, und in seine Hände gekommen, nachdem solche zu Anfang dieses Jahrhunderts, folglich vor etwa sechszig Jahren zu Prillwitz, einem Dorfe zwo Meilen von Neubrandenburg am südwestlichen Ende des großen Sees, der zwischen beiden gedachten Orten lieget, und der Tollense *** ) heisset, in einem großen metallenen Grapen zusammengepackt liegend, aus der Erde gegraben, und von dem damaligen dortigen Prediger seinem Bruder, einem Goldschmiede in bemeldeter Stadt und Großvater des bisherigen Besitzers, zugewendet worden. Der Grapen aber, worin diese Sachen verwahret gewesen sind, ist bereits vor mehreren Jahren beim Umguß einer Glocke in Neubrandenburg eingeschmolzen worden. 5 )

Diese sämmtlichen Alterthümer bestehen aus Metalle, und zwar die grössern Stücke aus goldgelbem, das auf dem Probierstein den Strich vom Mittelgolde hält, die kleineren aber aus einem solchen, das mehr ins blasgelbe und weißliche fällt, und sind durchgängig mit hellgrünem Roste bedecket. Welcher sie hin und wieder verstellet und etwas unkenntlich machet, auch wohl zuweilen zerfressen hat; ) an einigen kleinern Stücken aber dem edlen Rost alter Münzen nahe kömmt und einem glänzenden überzogenen Firnisse, oder dünnen glatten Kruste von Schmelzwerke, ähnlich siehet. Sie können aber durch das Aufsieden von demselben völlig gereiniget, und in ungemeinem Glanze und Schönheit dargestellet werden, welches bereits an Nr. 11 probiret worden ist, auch wohl bei den meisten andern nöthig sein dürfte, um die vielen darauf befindlichen Runischen Buchstaben kenntlich zu machen.

Und eben diese Buchstaben, welche diesen Alterthümern einen besondern Vorzug, und deren Forschern zu ihrer Erklärung sowol, als manchen andern beiläufigen Entdeckungen sichern Anlaß geben, und meistens, sonderlich an den größeren Stücken, vertieft, und mit einem Meißel derb eingeschlagen; welches um so viel leichter hat bewerkstelliget werden können, da solche, wie bekannt, meist aus lauter geraden Strichen bestehen. Und nur auf einigen wenigen kleineren Stücken erscheinen solche erhaben, und in vertiefte Formen abgegossen; und eben daher sind solche auch merklich größer und gröber.

Nachdem ich dieses vorläufig erinnert habe, so will ich die einzelnen Stücke herrechnen und beschreiben, so viel ich mich davon aus flüchtiger Besichtigung derselben und Aufzeichnung einiger Umstände mit wenigen Worten in meine Schreibtafel, zu erinnern weiß, um Ihre sowol, als anderer Liebhaber der deutschen Alterthümer gereizte Neugier nur einigermaßen zu befriedigen; bis


*) Vielleicht aus Hoffnung, der Entdeckung eines Mittels, das in diesen Alterthümern steckende edlere Metall von dem unedlern zu scheiden, vielleicht auch daher, weil der Besitzer nicht eben nöthig gehabt, sie zu Gelde zu machen und zu verkaufen.
**) Dergleichen Unfall ist bereits vor mehreren Jahren einer von diesen Puppen (wie man sie bisher genannt hat) begegnet, man weiß sich aber nicht mehr zu besinnen, wie solche eigentlich aussehen.
***) So möchte man nur immer diesen Namen schreiben, anstatt Tollensee, um die hiesige Aussprache desselben genauer auszudrücken, in welcher die mittlere Sylbe lang ist; obgleich das letztere der Abstammung gemäßer ist.
5) Im J. 1751 wurde die dritte von den Glocken im Thurme der Marienkirche zu Neubrandenburg umgegossen, dieselbe, welche im J. 1841 abermals eines Neugusses bedurfte. - F. B.
†) Doch rühren nicht alle diese Beschädigungen dieser Alterthümer vom Roste her; sondern die glatte Abschmelzung bei einigen fehlenden Theilen scheinen deutlich anzuzeigen, daß sie bereits ehedem vor ihrer Verwahrung in dem gedachten Grapen eine Feuersbrunst und große Hitze müssen ausgestanden haben.
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etwa der gegenwärtige gelehrte Hr. Besitzer selbst, durch eine in den Druck zu gebende umständliche, und mit nöthigen von allen Seiten her genommenen in Kupfer gestochenen Abbildungen begleitete Beschreibung, solches völlig bewerkstelligen wird. Es sind folgende:

1) Ein Fußgestell, (Piedestal), drittehalb Pfund schwer, sechs Zoll hoch, in seiner grossesten Dicke 3 Zoll im Durchschnitte breit, und fast wie der Schaft eines alten messingenen Altarleuchters gestaltet. Es bestehet selbiges aus lauter auf einander stehenden Knäufen und Scheiben, davon die grösseste am Rande umher mit Runischen Buchstaben bezeichnet ist; die ganze Axe aber ist hohl, weil vermuthlich eine eiserne Stange zu dessen Aufstellung hindurch gereichet hat.

2) Ein runder glatter hohler Knauf, der vermuthlich auf Nr. 1 oben drauf gesessen und gepasset hat, einen Zoll hoch, und drei im Durchschnitte dick, auf welchem gleichfalls umher Runische Buchstaben stehen, unter welche man u. i. d. deutlich erkennet.

3) Eine Opferschaale, an dem glatt abgeschnittenen Rande aussenher geriefelt, etwas dick und grob gearbeitet, und daher ein halbes Pfund schwer, ob sie gleich nur drei Zoll im Durchschnitte hat und etwa einen Zoll hoch ist. Auf deren glattem Boden erscheinet inwendig ein erhaben gearbeiteter fortschreitender Hahn, auswendig aber eine geriefelte Tellerschnecke von vier Wendungen, wie ein Ammonshorn, recht sauber gearbeitet Sie ist umher mit Runischen Buchstaben bezeichnet, aus welchen man Riadegast deutlich zusammenlesen kan. Troilus Arnkiel hat demnach so ganz unrecht nicht, wenn er den Namen diese Götzen in seinem cimbrischen Heidenthume beständig Ridegast schreibet.

4) Ein darauf passender halbkugelförmiger Deckel, (denn dafür möchte ich ihn lieber ansehen, als für ein Klöcklein, das beim Gottesdienste gebrauchet worden; wenigstens müßte sodann die Oehse zur Befestigung des Kleppels, durch das Ausschmelzen des gleich anzuführenden Loches verloren gegangen sein;) gleichfalls stark gearbeitet, aussenher mit vier gleich weit von einander stehenden vorwärts sehenden und etwas grobförmigen erhabenen Menschenköpfen gezieret. In dem bäuchigen ziemlich starken Boden, aber doch nicht recht in der Mitte, erscheinet ein Loch, worin man einen kleinen Finger stecken kann. Welches gewiß nicht mit Fleiße gemacht, sondern vermuthlich zufälliger Weise eingeschmolzen ist; und dieses macht mich, nebst einigen andern Merkmalen, glauben, daß diese sämtliche Sachen schon vordem eine Feuersbrunst ausgestanden haben müssen.

Diese vier bisher angeführten Stücke scheinen von schlechterem und ganz gewöhnlichen Metalle gearbeitet zu sein; aber nun kömt etwas feineres.

5) Der Zernebock, ein Pfund schwer, in Gestalt eines aufgerichteten und auf seinem Hintern sitzenden Löwens, 6 Zoll hoch, dessen Mähne in ausgekämmeten und mit lauter Parallelstrichen bezeichneten schräg über einander gelegten Locken, gleich einer gewissen Art geflochtener Körbe, nicht sonderlich gearbeitet ist; wie denn überhaupt die sämmtlichen größeren Stücke eine noch in ihrer Kindheit und ersten Anfängen stehende Bildungskunst zu verrathen scheinen. Auf dem Rücken stehen drei Zeilen Runischer Buchstaben der Länge nach herunter, davon die mittlere den Namen Zernebock deutlich lesen lässet; oben auf dem Kopfe am Nacken Rhetra, und unten am Hintern stehen gleichfalls drei Runische Buchstaben, darunter ein a. deutlich zu erkennen ist. Ein Loch eines guten Fingers dick gehet der Länge nach am Rücken durch den ganzen Leib hindurch; vermuthlich zu einer eisernen Stange, vermittelst welcher dieses Götzenbild auf einem Fußgestelle, mit einer darüber angebrachten Schraube oder Niete befestiget gewesen ist.

6) Der alte berühmte Radegast. Man hat im Mecklenburgischen, wie ich mehrmals gehöret habe, eine alte Sage und Ueberlieferung, daß dieses Abgottes goldenes Bildniß in Lebensgröße in der Tollense, oder in dem Malchinischen, oder ich weiß nicht, welchem See, versenket liege; (jenachdem man der

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Stadt Rhetra an einem von diesen Seen ihren Standort angewiesen hat, der doch nunmehro sehr wahrscheinlich nach obgedachtem Dorfe Prillwitz hinverleget Werden muß;) daher einem Fischer vielleicht das Glück aufbehalten sei, das Bild mit seinem Netze einmal heraus zu ziehen, und dadurch reich zu werden. Vielleicht ist dieses das Bild; jedoch mit starker Einschränkung des Ausdruckes: Lebensgröße und golden; denn es halt nur, wie vorher bereits gedacht worden, den Strich vom Mittelgolde, * ) und ist nicht viel über eine Spanne lang, aber doch ziemlich derbe (massiv) ausgearbeitet. so daß es gegen drei Pfund wieget. Seine Gestalt kommt mit der vom Arnkiel, Arnold und Francken gelieferten Abbildung ziemlich überein; ausser daß theils sein Gesicht ein gleichsam aus einem grossen platten Menschenantlitze hervorsteigender - ich weiß nicht, soll ich sagen Ochsen= oder Löwen= oder Hundskopf, mit kurzen abgestumpften tütenförmigen Ohren und etwas gekrümmten Haaren bedecket ist; theils der Vogel auf dem Kopfe zwar in Absicht des Anschauenden linkshin gekehret, und nach des Bildes Schulter gerichtet ist; aber weder aufgehobene Flügel, noch deutliche fortschreitende Füsse hat; sondern jene liegen platt an dem Leibe, und diese sind gar nicht zu sehen; daher ich mir einigen Zwang anthun muß, ihn für einen Hahn anzusehen und ihn lieber für eine sitzende Gans oder Ente halten möchte. Die rechte Hand ist nach dem auf der Brust befindlichen Schilde, mit dem deutlichen erhabenen Büffelskopfe bezeichnet, hingekehret; der linke Arm aber nebst dem Spieße oder Hellebarde vermutlich verloren gegangen. Hinten auf dem Kopfe ist Radegast (nicht Riadegast, wie vorher,) und Rhetra, imgleichen auf den Schultern Belbog, d. i. guter Gott, in Runischen Buchstaben deutlich zu lesen, dergleichen auch noch viele auf den Falten des Kleides nach der Länge herunter zu sehen sind.

7) Ein Sonnenbild [bei Masch: Percunust], (man erlaube mir, als einem in den nordischen Alterthümern nicht recht geübter, nur immer diesen Ausdruck, den ich hier gebrauche, um mich kürzer auszudrücken, nicht aber etwas zuz entscheiden) in Lebensgröße, einer Spanne lang, mit einem alten bärtigen Mannskopfe, an welchem hinten der beim Radegast beschriebene zweifelhafte Kopf gleichfalls befindlich ist, mit starken herumstehenden Strahlen, und einem langen bis über die Knie reichenden Rocke. Auf dem Rücken stehen Runische Buchstaben, aus welchen man unter andern Nemusia zusammenlesen will. Unter dem Nabel gehet ein dreieckiges senkrecht stehendes metallenes Brett von der Dicke eines Guldens, wie ein umgekehrter Zeiger (gnomon) einer senkrechten Sonnenuhr hervor, das sich unten am Bauche im spitzigern Winkel endiget, auf welches die rechte Hand geleget ist.

8) Noch ein grösseres Sonnenbild [bei Masch: Podaga], gleichfalls mit sieben starken Strahlen um seinen Kopf, mit zweien Gesichtern, die wie am Jano bifronte stehen, etwas über eine Spanne lang und drittehalb Pfund schwer. Das eine Gesicht zeiget den beim Radegast angeführten mir zweideutigen Kopf, mit vielen Haaren über und über bedecket, davon der Knebelbart auf beiden Seiten sich mit den Spitzen neben den Augen vorbei bis oben nach den Ohren hinauf ziehet; das andere aber ist ein gräßliches Menschengesicht mit vielen Haaren bewachsen, woran sich die Spitzen des Knebelbartes herunterwärts senken; der Kinnbart aber endiget sich in eine starke Locke oder Flechte, die nach dem linken zum Kinne hinaufgebogenen Arme bis an den Ellenbogen seitwärts herunter reichet, in welche ein wildes Schwein zu beissen scheinet, das die Figur mit dem rechten Arme hält. Aus den Seitenschössen des bis über die Knie herunter reichenden Rockes gehen noch zu beiden Seiten zween starke Strahlen schräg niederwärts


*) Dieses versichern nicht allein der bisherige Besitzer, sondern auch andere, die den Strich verstehen.
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hervor, und auf der Seite des Kleides stehet mit Runischen Buchstaben Potlaga; imgleichen Rhetra. Diese drei Stücke Nr. 6, 7, 8 sind die größesten.

9) Ein Götzenbild, ohngefähr in der Gestalt eines verkappten Grönländers, 6 ) vier bis fünf Zoll hoch, voll Runischer Buchstaben, mit ausgestreckter linker Hand, die noch damals, als die Sachen gefunden worden sind, einen Pfeil senkrecht stehend gehalten hat, der aber nachher verloren ist. Die rechte Hand ist an den Leib geleget, und oben auf dem Kopfe sitzet eine kleine Kreatur, wie ein Affe, fast in der Positur, wie er in Bilderfibeln stehet.

10) Ein Drache, einer Spanne lang, mit etwas aufgethanem und schräg in die Höhe gekehrten Rachen voller Zähne, ohngefähr wie ein Crocodilsmaul sich zeichnet. Er hat einen nach Maßgebung seines Körpers nur sehr kleinen Flügel auf der rechten Seite; (doch bemerket man eben nicht, daß er auf der linken dergleichen gehabt, und verloren habe;) welcher an einem gleich daneben mitten aus dem Leibe emporsteigenden holen Cylinder, eines Fingers dick, und einen Zoll lang, voll Runischer Buchstaben angeleget ist. Seine zween kurzen dicken Füsse, welche auf einem unbildsamen Klumpen Metall ruhen, gleichen fast den Löwentatzen, und auswärts ist der linke mit einem kleinen hervorsteigenden Menschenköpchen, und der rechte mit einem großen platt gehaltenen Käfer mit ausgesperrten Füssen gezieret, wie dergleichen zuweilen unter den Egyptischen Hieroglyphen vorkömmt. Der Schwanz ist mit einem großen Kreise (gyratione) gedrehet und zusammengeschlungen, und dessen Spitze ist pfeilförmig. Aus dem Knoten des geschlungenen Schwanzes, oder da, wo dessen dünneres Ende vor dem dickeren vorbeigehet, steiget ein starkes Brustbild von der Grösse einer länglichen mittelmässigen Wallnuß, mit zweyen Gesichtern, schräg hinterwärts gebogen, empor, davon das eine links und das andere rechts hinsiehet. Am Leibe stehet auf der rechten Seite mit Runischen Buchstaben Zirnitra; und auf der linken: Zica.

11) Ein zum Sitzen gekrümmter Pan, oder Waldgott [bei Masch: der Satyr], eines guten Fingers lang, und Daumens dick, mit höckeriger Nase, zum Lachen aufgezerrtem Maule, hervorkeimenden Hörnern und spitzigen Ohren, doch ohne Schwanz, mit zween Runischen Buchstaben. Dieses Stück ist, in Vergleichung mit den vorigen, sehr sauber modelliret und gearbeitet, und bestehet aus zween mit weiserem Metalle der Länge nach zusammen gelötheten Hälften.

12) Ein Kopf, oder Brustbild, eines Fingers lang, und einen guten Zoll im Durchmesser dick, mit zweien Gesichtern, davon das eine ein ziemlich gut gearbeitetes Frauenzimmergesicht, auf welchem ein Hahn mit dickem Kamme, gleich einer Krone, den doch andere lieber für einen gekrönten Adler ansehen, mit etwas aufgehobenen Flügeln sitzet. Das andere aber ist der vorher erwähnte zweifelhafte Kopf wieder, mit abgestumpten Ohren.

Nun will ich noch die übrigen kleineren aus weislichem Metalle ganz dünn gearbeiteten Stücke ganz kürzlich anführen, durch deren hin und wieder abgeschmolzene Kanten, oder Ränder, und dünne Theile die oben geäusserte Muthmassung, daß sie eine Feuersbrunst ausgestanden haben, noch mehr bestätiget wird.

13) Eine halb bekleidete Frauensperson, eines Fingers lang und breit, von der Dicke eines Federkieles.

14) Ein Säbel, eines halben Fingers lang.

15) Eine Traube, von der Größe einer kleinen Haselnuß.

16) Ein kleines Opfergefäß, oder vielleicht nur ein Zierrath oder Theil eines Bildes, als ein Hunds= oder Löwenkopf gebildet. Andere sehen diesen


6) Dies soll die Sieba sein, welcher Name in vollkommen deutlichen Runen auf dem Rocke zu lesen ist; diese scheinen damals noch durch den bedeckenden Rost unkenntlich gewesen zu sein. - F. B.
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mir zweifelhaften Kopf für einen Büffelskopf an; allein die Hörner fehlen, und die Ohren sind nicht spitzig, sondern abgestumpft.

17) Ein Bildchen, fast wie Nr. 13, halb erhoben gearbeitet, und auf der hintern platten Seite stehen erhobene Runische Buchstaben.

18) Eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger, 1 Zoll lang.

19) Ein fliegender Mercurius, einen Finger lang, sehr spillerig gearbeitet; wenigstens hat er grosse Flügel an den Füssen.

20) Ein Dudelsackspieler, eines Fingers lang, mit einem langen zwischen den Beinen herabhängenden Beutel, und einem Degen, oder Hirschfänger, an der linken Hüfte. Hinten auf der platten Seite stehen erhabene Runische Buchstaben, aus welchen Mifitzd herauszubringen zu sein scheinet.

21) Eine sich erhebende Figur, welche die rechte Hand mit einer hinter dem Kopfe herumgehenden ausgebreiteten Decke empor hält; der linke Arm aber fehlet gänzlich, wie denn auch der eine Fuß unter dem Knie, und der andere hart über dem Knöchel abgebrochen und verlohren ist.

23) Ein ausgestreckter linker Arm, eine ausgebreitete Decke haltend, der wahrscheinlich zur vorigen Figur gehöret, ob er gleich nicht daran passen will; vielleicht weil er abgeschmolzen, oder wenigstens der Bruch rund zugelöthet ist.

24) Ein Genius, mit deutlicher Schaam, (dergleichen man an den vorigen Stücken nicht bemerket) einen Palmenzweig in der Linken haltend, und die Rechte auf den Rücken legend, sehr gut gearbeitet und eines halben Fingers lang.

25) Ein dergleichen auf einer Pfeiffe spielend.

26) Ein weidender oder äsender Hirsch, drei Viertel Zoll hoch, halb erhoben gearbeitet, mit erhobenen Runischen Buchstaben auf der platten Seite.

27) Eine stehende Frauenfigur, von hinten anzusehen, eines Fingers lang und breit, ganz dünne gearbeitet, trägt einen Bogen und Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken, und zeiget auf der vordern ganz platten Seite erhabene Runische Buchstaben.

28) Das Bild eines alten Mannes, einen Finger lang, hinten mit dem Kopfe des Pans oder eines Satyrs versehen, und oben auf dem Kopfe ist noch ein schräg liegendes Menschengesicht.

29) Ein ganz nackender sehr sauber gearbeiteter Genius, zween Zoll lang, auf dessen Kopfe sich zween Vögel paaren oder treten.

30) Ein dergleichen, als tanzend gebildet, hält in der Rechten eine Opferschaale, und die Linke ist gleichfalls ausgestreckt, und auch sehr gut gearbeitet.

31) Eine kleine Gruppe, auf welcher sich zwo neben einander stehende und fast als Läufer gekleidete Personen umfassen, mit einem Fußgestelle, zusammen einen Finger lang und gleichfalls sehr gut gearbeitet.

32) Eine Platte, eines Guldens groß, aber nicht völlig so dick, als ein abgerundetes Quadrat gestaltet, worauf zwo tanzende Personen halb erhoben gearbeitet sind, und deren platte Seite erhobene Runische Buchstaben enthält.

33) Eine dergleichen, die eine Enthauptung vorstellet, indem ein Mann in der rechten Hand ein Schwerdt empor hebet, und in der linken einen abgehauenen Menschenkopf hält, und zwischen seinen Füßen liegen der Rumpf und Körper; ist hinten ganz glatt, und ohne Buchstaben. Das Uebrige sind unbildsame Trümmer und Kleinigkeiten. Ich bin etc. .


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Zweites Sendschreiben an Sr. Hochw. Hrn. Doctor. Schütze in Hamburg, welches einen Beitrag zu der neulich im ersteren ertheilten vorläufigen Beschreibung der vor kurzem zu Neubrandenburg im Mecklenburgischen entdeckten Götzenbilder und Alterthümer des nördlichen Heydenthums enthält.

Nachdem der nunmehrige Besitzer demjenigen Schatzes von Alterthümern, von welchem ich Ihnen neulich eine vorläufige Nachricht ertheilet habe, aus verschiedenen ihm zu Ohren gekommenen Anzeigen in Erfahrung gebracht hatte, daß der Goldschmied in Neubrandenburg, der ihm solchen überlassen, die allergrösseste Puppe noch zurückhalte und vor ihm verberge; so ruhete er nicht eher, als bis er auch diese gesehen, und sie nebst dem dabei befindlichen Reste der gottesdienstlichen Alterthümer, zusammen zehen Stück, käuflich an sich gebracht, dadurch diese ganze noch übrige Sammlung, welche ehedem in zween metallenen (vermuthlich Opfer=) Kesseln eingepackt, zu Prillwitz gefunden und ausgegraben worden, unzertrennet dem Schmelztiegel entrissen hat, ausser einem oder zween kleinern Götzenbildern, welche bereits vor geraumer Zeit das für alle Kenner und Liebhaber der Alterthümer so sehr zu bedauernde Schicksal des Einschmelzens erfahren haben. Da ich nun diesen Rest gleichfalls gesehen und in Händen gehabt habe. so halte ich mich für verbunden, durch gegenwärtigen Anhang zu meiner vorigen Beschreibung, Ihnen gleichfalls Nachricht davon zu geben, und dadurch jene zu ergänzen. Und ob auch gleich der jetzige gelehrte Herr Besitzer dieses Schatzes eine vorläufige Beschreibung davon zur Bekanntmachung entworfen, so glaube ich doch, durch diese meine geringe hierunter genommene Bemühung, bei Ihnen sowol, als bei andern, einigen Dank zu verdienen; zumal da es doch meistens einigen Nutzen hat, wenn mehrere Personen eine und dieselbe Sache nach einer genauen Besichtigung, auch allenfalls ohne beigefügte Abbildung, deutlich und umständlich beschreiben; weil doch gemeiniglich der eine mehr davon, als der andere, zu bemerken pfleget.

Was ich Ihnen also hier beschreiben will, sind vier Opfermesser, zwo Opferschalen, und vier Götzenbilder; welche gesammte zehen Stücke, ausser den beiden letztern, mancherlei, und wol mehrere Beschädigungen, als die in meinem vorigen Briefe beschriebenen, von einem ausgestandenem Brand erlitten haben.

Die Opfermesser sind sämmtlich von etwas weißlichem Metalle, und von verschiedener Länge, drei bis sechs Zolle lang, und drei davon sind etwas gekrümmet, oder genauer zu reden, sie erscheinen zwischen dem kurzen Handgriffe und dem zweischneidigen Messer selbst, zu einem stumpfen Winkel eingeknickt, und sind ganz dichte (massiv) ohne einige Höhlung. Die Handgriffe sind länglich rund, oder walzenförmig, eines Fingers dick, und die Lämmeln, Laminae, lanzenförmig, oder wie eine große Lichtflamme gestaltet, an den beiden grössesten beinahe einen Zoll breit, und laufen am Ende ganz spitzig zu, haben noch ziemlich scharfe und dünne Schneiden, die von der Dicke eines kleinen Fingers (welche auf beiden Flächen einen gleichfalls etwas scharf sich erhebenden Strich der ganzen Länge nach ausmachet,) etwas hohl und bogenförmig ausgeschweifet sind. Ihre ganze Oberfläche aber ist löcherig und als zerfressen, ohngefähr so, wie das Kupfer auf dem hohen Ofen aussiehet, aus welchem das darin enthaltene Silber ausgeseigert ist. Doch lieset man auf einem der grössesten noch den Namen: Sieba, ganz deutlich, mit eingestochenen Runischen Buchstaben.

Die beiden Opferschalen sind, die eine Oval= und die andere Zirkelrund, von der Grösse eines harten Thalers, beide einen Zoll tief, und mit den waagrecht stehenden bogenförmigen Handhaben gegen sechs Zoll lang, deren jene an jedem Ende eine hat; diese aber hat drei dergleichen gehabt, davon eine grössere an dem einen, die andern beiden kleinern aber an dem andern Ende nahe bei

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einander gesessen haben; doch ist von letztern nur noch eine vorhanden, die andern aber abgeschmolzen. Ueberhaupt aber sind diese Handhaben nur ganz grob und mit schräg überlaufenen Strichen obenher gearbeitet. In der runden Schale erscheinet auf dem Boden die in meinem vorigen Schreiben schon vorgekommene Affenfigur, nebst dem dabei stehenden Worte Sieba mit Runischen Buchstaben; in der ovalen aber ein ziemlich gut erhoben gearbeiteter Menschenkopf mit einem Helm und starken Barte, von welchem sieben bis acht Strahlen, oder vielmehr gleich dick erhabene Striche oder Stäbchen gerade bis zum Rande des Bodens auslaufen; doch ist der eine davon unter dem Kinne, wegen eines ausgeschmolzenen Loches nicht mehr zu sehen.

Nun komme ich zu den vier Götzenbildern, welche nicht minder beträchtlich sind, als die in meinem vorigen Briefe beschriebenen, und, weil die beiden erstern hohl gearbeitet und gegossen sind, hin und wieder eingeschmolzene Löcher, sämmtlich aber an ihren dünnen Theilen und Rändern starke Beschädigungen an sich zeigen.

Das erste stellet eine bis über die Knie bekleidete Menschenfigur vor, einer mäßigen Spanne oder sechs Zoll lang; hat vorn ein Mopsgesicht, und über demselben in der Mitte eine vorwärts fast spitzig hervortretende Beule, fast wie ein kurzes Horn eines Rhinoceros gestaltet, und an der rechten Seite des Kopfes befindet sich eine niederwärts auslaufende Verzierung, fast wie ein kurzes und breites niederhangendes Ziegenhorn, dergleichen auf der linken Seite abgeschmolzen zu sein scheinet. Die starker Barthaare endigen sich mit zween dünnen und schlangenförmig bis auf den Gürtel herabhangenden, auch ganz grob nur mit einem Striche gearbeiteten Flechten. Hinten am Kopf aber erscheinen zwei kleinere neben einander stehende halbe und erhobene Menschengesichter, von welchen das eine zur Rechten noch ziemlich deutlich, das andere aber sehr beschädiget und undeutlich gemacht ist. Die darunter befindlichen Haare laufen in eine ebenmäßige Flechte zusammen. Welche schlangenförmig auf dem Rücken bis gegen den Gürtel herunter reichet, und von da gekrümmet etwas hinaufgeboben sich in eine pfeilförmige Spitze endiget. Beide Arme sind ausgestreckt und vom Leibe abgehalten, und zwar der rechte niederhangend, der linke aber etwas emporgehoben. An diesem Bilde erscheinet mit Runischen Buchstaben der Name: Voda; und darunter Rhetra.

Das andere ist vermuthlich ein Jagdgott, siebentehalb Zoll hoch und vor andern gar sehr beschädiget. Er hat ein Mopsgesicht, mit vielen Haaren umgeben, um welches in einer bogenförmigen Linie kleine spitzige gerade hervorstehende Stacheln, etwa einen Viertel Zoll lang, vorwärts gekehrt herumstehen, von denen auf der linken Seite noch vier, auf der rechten aber nur einer, übrig sind, so daß wenigstens vier weggeschmolzen zu sein scheinen. Die in Vergleichung mit dem Körper sehr groß gearbeitete rechte Hand, welche nur noch allein übrig ist, lieget vorn an dem Bauche, doch nicht vest nieder, und weil sie etwas gekrümmet ist, scheinet sie einen fast kugelförmigen Körper zu halten. Unten aus dem linken Schoosse des Kleides, welches bis über die Knie herunter hänget, raget wagrecht ein dickes aufwärts gekrümmtes Horn hervor, welches vermuthlich die eine Hälfte der Mondfigur ist, womit Diana auf dem Kopf abgebildet zu werden pfleget; die andere aber zur Rechten ist weggeschmolzen; wie denn auch wirklich oben an der linken Seite des Kopfes ein ebenmäßiges aufwärts gekrümmetes, doch kleineres Horn hervorraget, welches man für ein Eselsohr halten könnte, dafern die Krümme nicht dawider wäre; auf der linken Seite aber fehlet dergleichen ebenfalls. Diese beide hornförmige Zacken, wie auch die runden seulenmäßigen Füsse sind reihenweise der Länge nach mit kleinen spitzigen Puckelchen besetzt, welche ihnen eine gurkenähnliche Oberfläche geben. Oben auf dem Rücken und zwischen den Schultern erscheinet ein ovales Jagdbild, ziemlich gut gearbeitet, welches einen Hirsch vorstellet, der von Hunden angefallen und gehalten wird. Unten auf den Schössen des

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Rockes stehet ein ebenmäßiges Jagdstück, worauf ein wildes Schwein, das von Hunden angefallen wird, abgebildet ist. Von welchen letzteren der eine, der die Bestie an das eine Ohr fasset, obenher in der Luft und mit den Füssen hinaufwärts gekehret erscheinet. Hinter dem sich umsehenden wilden Schwein aber stehet eine Menschenfigur, die ihm einen Sauspieß entgegenhält, als bereit, ihm einen Fang damit zu geben, oder es aufladen zu lassen. Zwischen diesen beiden Jagdstücken endlich stehet auf dem Rücken der Name Ipabog mit eingegrabenen Buchstaben deutlich zu lese.

Das dritte Bild ist vor andern gut und unbeschädigt erhalten, und sechs Zoll lang. Es stellet dasselbe einen ziemlich wohlgearbeiteten liegenden Mopshund, gegen drei Zoll lang, und zween hoch, mit aufgerichtetem Kopfe, breitem Maul, und einem Halsbande, vor, auf einem oben breiten und unten etwas schmaler zusammenlaufenden, platten, und mit scharfen Kanten oder Schneiden versehenen Fußgestelle, 4 Zoll hoch. Welches man für einen Fischschwanz ansehen kann. Oben ist solches beinahe drei Zoll breit und einen Zoll dick; unterwärts ziehets sich allmählig zu einer Breite von drei Viertel Zoll zusammen, wird auch hier merkwürdig dünner; ganz unten aber wirds wieder etwas breiter und dicker. so daß dessen Grundfläche, die aber doch nicht glatt, sondern umgeben und abgeschmolzen erscheinet, eine längliche Rauten= oder Weckenfigur, einen Zoll lang, und einen halben breit, bildet. Auf beiden Seitenflächen ist es mit drei bis vier Reihen scharfer und spitziger kleinen Puckelchen der Länge nach herunter besetzt, die ihm eine gurkenförmige Gestalt geben, oder es einer Reibe ähnlich machen.

Das vierte und beträchtlichste Bild endlich [bei Masch: Schuaixtix] ist ein durchgehends dichtes oder massives Kniestück, sieben Zoll hoch, über drei Zoll breit, und zween Zoll im Leibe dick, daher es auch sieben und ein Viertel Pfund wieget. Es ist selbiges eine ziemlich gut gearbeitete geharnischte Mannsgestalt mit einem nach Verhältniß etwas zu klein gehaltenen Kopfe, der ein vorwärts gekehrtes Hundsgesicht mit spitziger Schnauze zeiget. Die Gewandung oder das Paludament hänget hart unter dem Kopf über die Brust und rechte Schulter nach dem Rücken hinüber geschlagen herum, und der Harnisch ist mit einigen Zierrathen, sonderlich vor dem Bauch unter dem Gürtel, gearbeitet. Der rechte Arm ist seitwärts niedergesenkt, und unten etwas vom Leibe abgebogen; der linke aber in die Seite gesetzet; doch so, daß der Raum zwischen beiden Armen und dem Leibe mit einer dünnen Wand von Metall ausgefüllet ist, welches von der damals noch schlechten Kunst zu modelliren zeuget. In der rechten Hand hält dieses Bild einen starken aufgerichteten Stab, eines Fingers lang, der sich oben mit einer gestreiften und etwas abgeschmolzenen Spitze endiget und für eine brennende Fackel angesehen werden könnte; daferne man nicht lieber einen beschädigten und unkenntlich gewordenen Scepter daraus machen wolte; ein Schwerdt aber ists gewiß nicht; denn dessen Gefäß erscheinet auf der linken Hüfte, als ganz gerade herunterhangend. Weiter aber reichet auch diese Figur nicht, als bis auf die Mitte der Lenden, wo sich das aufgeschlitzte und als mit verschiedenen ledernen Riemen herabhängende Panzerhemd in einem abgestumpften Klumpen dergestalt endiget, daß theils deutlich daran wahrzunehmen ist, es sei nicht länger gewesen, und die Füsse seyn keinesweges etwa durch einen Zufall abgeschmolzen; theils aber, daß das aufgerichtete Bild auf dieser Grundfläche nicht gerade stehet. sondern auf die rechte Seite etwas überhänget. Auf dem Rücken erscheinen Runische Buchstaben, aus welchen man theils: Schuaym oder, wie andere wollen: Schugatz; theils Rhetra zusammenlesen kann. Die ganze Oberfläche ist übrigens ziemlich glatt und sehr wohl erhalten, und die Zusammensetzung des Metalle hält durchgehends den Strich mit sechslöthigem Silber; ausser einem kleinen Puckelchen, das sich oben auf dem Kopfe, nach der rechten Seite zu, befindet, und den Strich des reinen Geldes zeiget, auch daher vermuthen lässet, daß vielleicht eine goldene Krone, oder ein anderer Kopfputz, hier ehedem aufgelöthet gesessen habe.

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Darf ich hier noch eine Vermuthung von der verschiedenen Zusammensetzung des Metalles wagen, woraus die sämtlichen Sachen und Alterthümer bestehen, so rühret solche vielleicht daher, weil man vermuthlich zu verschiedenen Zeiten jedes Stück von demjenigen gegossen hat. Was mehrere Personen dazu an Hausrathe, Kleinodien und Schmuck, den sie bisher gebrauchet hatten, zum Einschmelzen zusammengebracht und hergegeben haben.

Dieses ists, was ich aus flüchtiger, doch aufmerksamer Besichtigung dieser übrigen neu hinzugekommenen Stücke Ihnen melden kann; und ich könnte hier schließen, wofern ich nicht noch ein paar Worte von der kurzen und allgemeinen Anzeige dieser gesammten Entdeckung hinzufügen hätte, welche in das 26ste Stück des Corresp. d. J. eingerücket worden; um aller besorglichen Mißdeutung derselben zuvor zu kommen.

Ueberhaupt und im Ganzen betrachtet, hat es mit derselben seine völlige Richtigkeit, und dasjenige, was einige darin, zumal bei Vergleichung mit meiner umständlichen Nachricht, als unrichtig bemerken möchten, wird durch folgende wenige Einschränkungen und Zusätze sich leichtlich berichtigen, und in völlige Uebereinstimmung setzen lassen: 1) Zuvörderst ist zu merken, daß solche eher entworfen worden in, als die jetzt von mir beschriebene zehn Stücke zu den damals bekannten 37 hinzugekommen sind. 2) Die eingeschlichenen Schreibfehler, da Rhunisch zweymal, und erugo einmal vorkömmt, sind nicht auf des Concipienten, sondern desjenigen Rechnung zu setzen, dem jener den ganzen Aufsatz, aus Bewußtsein seiner eigenen unleserlichen Hand, in die Feder dictiret hat; und was 3) von einem kupfernen Grapen dort gemeldet worden ist, das hat nachher bei genauerer Erkundigung seine nähere Bestimmung dahin erhalten, daß sämmtliche Stücke in zween gegossenen metallenen Kesseln eingepackt gefunden worden sind, und zwar 4) bei Prillwitz, welcher Name durch einen Zufall wider die Absicht des mir bekannten Concipienten ausgelassen worden ist; da dessen Beifügung zu der gleich anfänglich gedachten nähern Bestimmung der eigentlichen Lage der ehemals so berühmten grossen Stadt Rhetra, oder wenigstens des darin befindlichen Pantheons, nöthig war. 5) Daß diese sämmtliche dort gefundene Sachen damals sofort dem dortigen Geistlichen zugestellt worden sind, erhält, auf eingezogene genauere Erkundigung, seine nähere Zeitbestimmung dahin, daß solches weit länger, als vor 70 Jahren, geschehen sein müsse; da derselbe bereits 1689 gestorben ist. 6) Was von dreyßig Götzen und den dazu gehörigen Opferschalen daselbst gemeldet wird, ist einschließungsweise, und von diesen sämmtlichen Stücken des Alterthums zu verstehen, welche Anzahl doch nunmehr durch die eben von mir beschriebene andere und letzte Entdeckung bis auf 47 Stücke vermehret worden, worunter freilich nur kaum der dritte Theil eigentliche Götzenbilder vorstellet. Wenn auch 7) Radegast für das grösseste ausgegeben wird, so rühret solches aus Mangel der Vergleichung der gesammten Bilder her, die der Concipient damals noch nicht alle gesehen hatte; denn der Augenschein zeiget, daß der Podaga sowol damals schon, als auch nunmehro, der Jagdgott Ipabog, und der siebenpfündige Schugatz, an Grösse den Radegast merklich übertreffen, und dessen angegebene ziemliche Höhe, ist vergleichungsweise mit den meisten andern kleinern Stücken zu verstehen, und auf 6 Zoll einzuschränken. 8) Die angefühte Nemesis ist etwas zu bestimmt und entscheidend ausgedrückt, und rühret lediglich von den damals erst herausgebrachten Anfangsbuchstaben des Namens Nem. her; welcher sich hernach bei genauerer Untersuchung zu Nimusai entziefern lassen. 9) Was von dem an allen Stücken befindlichen edlen Roste (aerugine nobili) gemeldet wird, solches findet bereits im Anfange meiner ersten Nachricht seine nöthige Einschränkung und Bestimmung; und wenn 10) allen Stücken ein Strich, beinahe dem Kronengolde ähnlich, auf eine etwas allzumilde Weise, beigeleget wird, so sind davon theils die in meiner ersten Nachricht beschriebenen kleinern Stücke auszunehmen, und der Ausdruck: Kronengold, auf Mittelgold einzu=

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schränken. Ueberhaupt aber bemerke ich hier nur noch, daß bei weitem noch nicht alle einzelnen Stücke auf dem Probiersteine gestrichen und mit einander verglichen sind, und daß insbesondere die Angabe des Mittelgoldes und sechslöthigen Silbers nicht etwa bloß auf die Aussage des Verkäufers beruhe. 11) Das angegebene Gewicht der gesammten Alterthumsstücke zu 15 Pfund wird nunmehr wenigstens auf 25 Pfund gesetzet werden müssen. Und wenn endlich 12) beim Schlusse behauptet wird, daß diese Stücke die einzigen Monumente dieser Art seyn, so werden solches billige Leser von selbst von den bisher dem Concipienten bekannt gewordenen Originalstücken von Götzenbildern des nördlichen heydnischen Alterthums verstehen, da man sich übrigens freilich wohl wird zu bescheiden wissen, theils, daß damit den hier und da in den Alterthumssammlungen befindlichen Stücken von Waffen, Hausrathe und gottesdienstlichen Geräthschaften, ja auch Götzenbildern der alten Deutschen ihre erweisliche Aechtheit und Authenticität gar nicht abgesprochen sei, theils, daß der ächte Püsterich zu Sondershausen aufbehalten werde. Ueberhaupt aber scheinen mir diese Stücke, welche von allem Verdacht einer vorsetzlichen Betrügerey entfernet sind, und ihren vornehmsten Werth durch ein hinzugefügtes Notariatsinstrument über die Wahrheit ihrer Auffindung und bisherigen Gefangenschaft und Verbergung erhalten müssen. Weit mehreres Ansehen und grössere Wichtigkeit in Bestimmung der wahren Gestalt des Radegast's, Zernebocks, Podaga etc. . zu haben, als alle bisher bekannt gewordene Beschreibungen und Abbildungen dieser Götzen, welche sonder Zweifel nur aus mündlicher Ueberlieferung und Hörensagen, nicht aber aus dem Augenschein, entworfen und verfertiget worden. Ich bin etc. .

G. B. Genzmer.     

Stargard, im Mecklenburgischen den 7. März 1768.


3. Dritter Bericht.

Aus den Erneuerten Berichten von Gelehrten Sachen,

Rostock, 1768, den 25. Februar, 8. Stück.

Es ist zwar freylich der Geschmack an der Forschung der Alterthümer zu unsern Zeiten noch lange nicht so algemein, daß man hoffen könnte, eine dahin gehörige Nachricht werde den Beyfall aller Leser erhalten. Es giebet, zur Schande unserer sonst aufgeklärten Tage, noch immer Gelehrte, (denn so wollen sie wenigstens heissen, mit welchem Rechte, das mögen sie selbst wissen,) die die Bemühungen der Geschichts= und Alterthums=Forscher mit der Brodwage abwägen; und, da sie alsdann natürlicher Weise zu leicht befunden werden, sehr schnell das Urtheil der Verdammniß über sie aussprechen. Doch, diese Leute sind schon dafür bestraft genug, daß sie sich selbst eines Vergnügens berauben, welches alle diejenigen, die es kennen, für eines der grössesten in dem weiten Reiche der Wissenschaften halten. Wir wollen uns nicht die Mühe nehmen, sie zu bekehren; sie mögen immerhin in ihrem Maulwurffs=Stande bleiben; sie sollen nicht an das Licht kommen, dessen Schönheit sie doch nicht zu erkennen vermögend sind. Es giebet aber doch auch noch mehrere Gelehrte, wenn gleich ihre Anzahl gegen die andern sehr geringe ist, welche den ächten innerlichen Werth der Geschichte und Alterthümer besonders der vaterländischen zu schätzen wissen und diejenigen verehren, welche weder Mühe noch Kosten scheuen, diesen

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Wissenschaften ein neues Licht anzuzünden. Unter unsern Lesern werden sich gewiß auch einige dergleichen finden. Und diesen sei die folgende Nachricht gewidmet:

Im vorigen Jahrhunderte, wieweit man das eigentliche Jahr, bey dem inzwischen erfolgten Absterben derer, die dabey intereßirten, nicht genau angeben kann, wurden zu Prilwitz, einem Guthe des Herrn von Bredow am Süder Ende des Tollenser Sees eine beträchtliche Anzahl solcher Alterthümer ausgegraben, die alle Kennzeichen der ächten wendischen an sich haben. Einer Tradition nach, die sehr unschuldig und aufrichtig scheinet, wurden sie von dem damaligen Besitzer dieses Guthes, vermuthlich einem Hn. von Blankenburg, seinem Prediger Sponholtz zu Prilwitz geschenket. Von diesem wurden sie auf eine in der Stadt Neubrandenburg wohnende Goldschmidts=Familie gleiches Nahmens vererbet. Diese wuste keinen weitern Gebrauch davon zu machen, als sie zum Andenken eines alten Vetters aufzuheben. Niemand sonst hat davon etwas gewust, weil die Besitzer es nicht der Mühe werth geachtet, davon zu erzählen. Nur ganz kürzlich kam der in der Forschung der Alterthümer, so wie der Naturlehre unermüdete dortige Arzt, Herr Dr. Hempel, ganz von ohngefähr auf die Spuhr und kaufte die ganze Sammlung, welche etwa aus 45 Stücken bestehet, an sich. Weil die Besitzer verschlagen genug waren, ihm seine ädle Neugierde anzumerken; so muste er sie theuer genug bezahlen. Genug, sie sind nunmehr in den Händen eines Mannes, der sie zu schätzen weiß. Der Herr Land=Syndicus Pistorius, ein Mann, dessen Känntniß von dergleichen Sachen unsers Lobes nicht bedarf, ist in Untersuchung dieser Seltenheiten ein Gehülfe des Herrn Dr. Hempel geworden. Beyde würdige Gelehrte haben sich vereint bemühet, die Figuren selbst zu erklähren, die Runischen Inschriften derselben zu entziffern und die Wendischen Worte zu erklären. * ) Eine vorläufige, an einen unserer Mitglieder übersandte Beschreibung erreget das Verlangen nach der Erfüllung des Versprechens, das Resultat der Untersuchungen dem Publicum mitzutheilen. Die gefundenen Alterthümer selbst sind von allerhand Arten von Metall, von verschiedener Grösse und Schweere. Es ist darunter eine von rothen Metall gegossene Statue des Radegast, 6 1/2 Zoll rheinländischer Maaße hoch und 1 Pf. 12 Loth schwehr; eine Statue des Zernebog von vermischten Metall, 5 Zoll hoch, 1 Pf. 11 Loth schwehr; das Wapen der Wenden von vermischten Metall, 1 Pf. 13 Loth schwehr; die Statue des Podaga von vermischten Metall, 6 1/4 Zoll hoch, 2 1/2 Pf. schwehr; die Statue der Sieba, 5 Zoll hoch, 20 1/4 Loth schwehr und viele andere dergleichen, deren Beschreibung für diese Stelle zu weitläuftig seyn würde. Es ist fast keine Figur, die nicht mit Runischen Aufschriften versehen wäre. Sie dienen alle vortreflich dazu, den Helmold, den Adam von Bremen, den Bischof Dithmar von Merseburg und andere alte Geschichtschreiber in sehr vielen Stellen zu erläutern; insonderheit aber das Problem von der Lage der Stadt Rhetra mit einer Wahrscheinlichkeit, die der Gewißheit sehr nahe kommen muß, solchergestalt aufzulösen, daß es auf der südlichen Spitze des Tollenser Sees müsse gelegen haben.

Dies ist nur eine entfernte Anzeige, und ein mehreres wollte der Raum nicht verstatten. Unser Endzweck ist erfüllet, wenn wir nur einen oder andern Kenner nach der vollständigen Abhandlung, die wir von dem Herrn Pistorius über diese Alterthümer zu erwarten haben, begierig gemacht. Mögte sich doch ein Verleger finden, der großmüthig genug wäre, die Kosten zu denen dabey nöthigen Kupferstichen und dem Druck der Runischen Buchstaben, ohngeachtet der wenigen Liebhaber zu dergleichen Sachen, zu übernehmen.



*) weswegen auch Herr Pisiorius bereits einen Briefwechsel mit dem Herrn M. Körner in Bockow, dessen Abhandlung von der Wendischen Sprache im 37. St. dieser Berichte vom vor. J. angezeiget worden, angefangen.
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4. Vierter Bericht.

Aus den gemeinnützigen Aufsätzen

aus den Wissenschaften für alle Stände, zu den Rostockschen Nachrichten,
1769, Achtes bis Zwölftes Stück, 22. Febr. bis 22. März.

Kurze Beschreibung verschiedener Wendischer Alterthümer, welche im Mecklenburgischen seit geraumer Zeit aus der Erde gegraben und etwa vor einem Jahre bekant geworden.

Die Geschichte der in dem folgenden Aufsatze beschriebenen Seltenheiten, ist zwar in dem achten Stücke der hiesigen erneuerten Berichte von gelehrten Sachen vom v. J. bekant gemacht. Da ich aber solche nicht in den Händen aller gegenwärtigen Leser vermuthen kan; so will ich, statt einer Einleitung, dasjenige, was ich dort erzählet habe, alhier kürzlich wiederholen: Im vorigen Jahrhunderte, wiewohl man das eigentliche Jahr, bey dem inzwischen erfolgten Absterben derer, die dabei intereßirten, nicht genau angeben kann, wurde zu Prilwitz, einem Guthe des Herrn von Bredow am Süder=Ende des Tollenser Sees eine beträchtliche Anzahl solcher Alterthümer ausgegraben, bey denen sich alle Kennzeichen der ächten wendischen finden. Einer Tradition nach, die sehr unschuldig und ausrichtig scheinet, wurden sie von dem damaligen Besitzer des Guthes, vermuthlich einem Herrn von Blankenburg, seinem Prediger, zu Prilwitz, Nahmens Sponholtz, geschenket. Von diesem wurden sie auf eine in der Stadt Neubrandenburg wohnende Goldschmidts=Familie gleiches Namens vererbet. Diese wuste keinen weitern Gebrauch davon zu machen, als, sie zum Andenken eines alten Vetters aufzuheben. Niemand sonst hat davon etwas gewust, weil die Besitzer es nicht der Mühe werth geachtet, davon zu erzählen. Nur vor etwa einem Jahre kam der in der Forschung der Alterthümer, so wie der Naturlehre unermüdete dortige Arzt, Herr Dr. Hempel, ganz von ohngefähr auf die Spuhr und kaufte die ganze Sammlung an sich. Weil die Besitzer verschlagen genug waren, ihm seine ädle Neugierde abzumerken; so muste er sie zwar sehr theuer bezahlen. Aber dafür sind sie auch nunmehro in den Händen eines Mannes, der sie zu schätzen weiß. Ein anderer dortiger Liebhaber der Mecklenburgischen Altertümer, ist in Untersuchung dieser Seltenheiten ein Gehülfe des Hrn. Dr. Hempel geworden. Beyde Gelehrte haben sich vereint bemühet, die Figuren selbst zu erklähren, die Runischen Inschriften derselben (denn es ist fast keine Figur, die nicht mit Runischen Aufschriften versehen wäre,) zu entziffern und die Wendischen Worte zu erklähren. Was aber bisher davon bekannt geworden, bestehet in einer vorläufigen kurzen Beschreibung und dem Versprechen eine vollständige Abhandlung über diese Alterthümer herauszugeben, wenn sich ein Verleger finden sollte, der großmüthig genug wäre, die Kosten zu denen dabey nöthigen Kupferstichen und dem Druck der Runischen Buchstaben zu übernehmen. Da aber hiezu noch kein Anschein ist; so ist es vielleicht einem oder andern Freunde von dergleichen Sachen nicht unangenehm, diese kurze Beschreibung alhier abgedruckt zu lesen. Den Nutzen davon sehen Kenner schon ohne mein Erinnern ein. Die gegenwärtige Sammlung empfiehlet sich besonders, wie der Augenschein zeiget, dadurch, daß alle darin anzutreffende Stücke vortrefflich dazu dienen, den Helmold, den Adam von Bremen, den Bischof von Merseburg und andere alte Geschichtschreiber in verschiedenen Stücken zu erläutern, insonderheit aber das Problem von der Lage der Stadt Rhetre mit einer Wahrscheinlichkeit, die der Gewißheit sehr nahe kömt, solchergestalt aufzulösen, daß sie auf der südlichen Spitze des Tollenser Sees müße

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gelegen haben. Die nicht Kenner sind, mögen meinethalben immerhin diese Dinge für Spielwerke der Gelehrten halten; nur müssen sie ihnen diese Spielwerke um so vielmehr gönnen da sie doch wenigstens unschuldig sind. Gönnen diese doch ihnen die ihrigen, die doch sehr oft gefährlich, oder wohl gar schädlich sind. Um einiger, wiewohl ich besorge, weniger Leser willen, muß ich doch anmerken, daß die Entzieferung der Runischen Buchstaben auf diesen Alterthümern nach den Alphabeten vorgenommen worden, welche sich in dem ersten Theile der Klüverschen Beschreibung des Herzgthums Mecklenburg, in dem vierten Theile der Monumentorum ineditorum des Herrn von Westphalen, in Keißlers Antiquitatibus septentrionalibus und in Dalins Schwedischer Geschichte erstem Theile, befinden.

Die bisher entdeckten Stücke sind diese:

1) Eine von rothem Metall gegossene, mit ädlem Rost überzogene Statue, welche 6 1/2 Zoll Rheinländischer Maaß hoch und 1 Pfund 12 Loth schwehr ist. Sie stellet den Leib eines Mannes vor, hat jedoch einen Kopf mit starkem herumhangenden Haaren, der einem Löwenkopfe am ähnlichsten komt und 1 3/4 Zoll breit ist. Auf dem Haupte sitzet ein Vogel mit geschlossenen Flügeln. Auf der Brust zeiget sich ein deutlicher Büffelskopf mit großen seitwärts gehenenden Hörnern, welcher mit der rechten Hand gehalten wird. Von dem linken Arm ist nur noch der oberste Theil daran befindlich, das Uebrige aber abgebrochen und verlohren gegangen. Auf den Vorderfalten des Gewandes, welches bis auf die Knie reichet und mit der altdeutschen Kleidung überein komt, wie auch auf dem untersten Saum desselben finden sich verschiedene Runische Buchstaben, von welchen man zur Zeit folgende Worte herausgebracht: und zwar auf der rechten Seite: ZERN auf der linken Seite: DLAIVENA. Die Füße sind bloß und stehen auf einem dünnen Postement. Hinten am Kopf sind folgende Buchstaben: RADEGAST auf den Schultern stehet: BELBOC unten auf der Breite des Gewandes: RHETRA. Die Statue ist übrigens hohl und durch das Postement gehet ein Loch, wodurch eine Stange zu stecken ist.

2) Ein proportionirter Löwe von vermischtem Metall 1 Pfund 11 Loth schwehr, welcher, wenn man ihn auf den Hintern setzt, 5 Zoll hoch ist, mit aufgesperretem Rachen und sehr deutlich bezeichneten großen Mähnen. Die beyden Vorderpfoten hält er in die Höhe an die Brust. Einen Schwanz hat er zwar jetzt nicht; an dem Orte aber, wo er sitzen sollte, ist ein Loch, woraus er vermutlich ausgebrochen und verlohren ist. Auf dem Kopfe desselben finden sich drey Runische Buchstaben, welche entweder: VMD oder: PMQ heißen. Auf der Mitte des Rückens nach dem Gesäß zu sind nachstehende Runische Buchstaben: ZERNEBORCG An der rechten Seite stehet: RHETRA an der linken Seite: VYA oder auch: PYA Ganz unten am Gesäß ist noch folgender einfache Buchstab befindlich: Y Der Löwe ist übrigens wie Num. 1. gleichfals hohl und so wohl am Hintertheile, als auch auf dem Kopfe befindet sich ein Loch, durch welches, der Erzählung nach, als er gefunden worden, eine Stange Eisen gegangen und auf dem Kopfe mit einer Schraube befestiget, aber vom Roste dermaßen zerfressen gewesen, daß sie gleich zerbrochen.

3) Ein fliegender Drache von vermischtem Metalle, 1 Pf. 13 Loth schwehr, mit aufgesperretem Rachen, in welchem sich, sowohl im obern, als untern Kinnbacken, sehr viele dicht an einander stehende Zähne zeigen. Der Schwanz ist in der Ründe geschlungen, dessen Spitze in die Höhe geht und sich mit gedoppelten Wiederhacken in der Forme, wie ein Runisches Rune endiget. Nächst an dem Kopfe hat er zweene Füße mit starken Klauen. In der Mitte desselben zeigen sich auf dem Rücken an beiden Seiten Brustbilder. Das, was auf der rechten ist, stellet eine Mannsperson vor mit starken Haaren und es scheinet, als wenn er eine Kette um den Hals hängen hätte, welche bis auf die Brust reichet. Das Brustbild auf der linken Seite zeiget einen zierlichen Frauenkopf

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mit gekräußten Haaren und das Gewand ist von der Beschaffenheit, wie man das Römische Frauenzimmer mit der Stola findet. Gleich hinter dem Kopfe im Genicke ist eine erhabene Röhre, die jedoch jetzund etwas ausgebrochen und von dem Anscheine ist, als wenn dies Stück ein starkes Feuer augestanden. Der rechte Flügel des Drachens ist annoch an der Röhre befindlich, der linke aber verlohren gegangen. Zwischen den Füßen gehet diese Röhe herunter und auf derselben erblicket man unter der rechten Pfote einen Käfer, der auf dem Rücken lieget und zwar solchergestalt, daß er den Kopf herunter, den Unterleib aber in die Höhe hat. Unter der linken Klaue zeiget sich wiederum ein kleines Brustbild mit einem männlichen Gesichte und, was er auf dem Kopfe hat, siehet dem Pelzgebräme von einer Mütze ähnlich. Die Röhre ist unten und oben offen und zu einer viereckten Stange aptiret. Auf dem Leibe des Drachen an der rechten Seite sind folgende Runische Buchstaben befindlich: ZIRNITRA Unter seinem Halse sind zwar gleichfals Runische Buchstaben, aber ihrer Undeutlichkeit halber hat man sie nicht zusammen bringen können. Ueber dem linken Fuß ist noch ein Runisches: v zu sehen. Die Länge des Stücks in der gegenwärtigen Positur hält 6 Zoll, wenn aber der Schwanz gerade ausginge; so würde es 9 1/2 Zoll betragen. An der linken Seite findet sich noch eine ovale erhobene Rundung, welche auf der Krümmung des Schwanzes lieget, jedoch nicht die zierliche Glätte hat, als der übrige Leib.

4) Eine Statue von vermischtem Metall 29 Loth schwer und 5 Zoll hoch. Welche eine Mannsperson im langen, bis über die Füße herunter hangenden Rock mit vielen Falten vorstellet. Das Gesicht hat an der Oberlefze einen zu beyden Seiten herabhängenden Stutzbart, sonst aber einen starken, bis auf die Brust herunter reichenden großen Bart. Auf dem Kopfe hat er eine Sturmhaube. Vom Halse an schießen rund um den Kopf neun Strahlen ab und auf der Spitze der Sturmhaube scheinet der zehnte weggebrochen zu seyn. Alle diese Strahlen sind auf dieser Seite platt, auf der Rückseite aber wie eine dreyeckte Pyramide gestaltet. Vor der Brust raget ein gefülleter Triangel 3/4 Zoll hervor, über welchen oberwärts die rechte Hand geleget ist. Der linke Arm ist nicht zu sehen. Auf den Falten des Kleids lieset man folgende Runische Schriften. a) PERCVN oder: VERCUN. Es ist noch ein Buchstabe übrig, welcher vermutlich ein C seyn soll; er ist aber deswegen nicht deutlich zu erkennen, weil daselbst etwas ausgebrochen. b) DEVVDITE. c) NE MVSEI. d) VNDMANA. Ganz unten, seitwärts der rechten Seite, stehen drey Buchstaben, von denen der erste und der letzte ein N und V sind; der mittelste aber ganz unkäntlich geworden. Auf dem zweyten Strahl von unten an der linken Seite stehen sechs Runische Buchstaben. Die beyden ersten sind ein S und A; der dritte ist nicht herauszubringen: die drey lezten aber sind: IDT. Drehet man diese Statue um; so zeiget sich zwar wiederum ein Bild mit einem langen über die Fuße hängenden Gewand, aber mit einem richtigen Löwenkopf, über welchem ein zugespitzter Raum folgende Schriften enthält: VERCVNVST oder: PERCVNVST. Auf den Falten des Kleides stehet folgendes: ENORMAV. Auf eben den Falten des Kleides stehen noch verschiedene Züge von Runischen Buchstaben, welche eine ganze Reihe ausgemacht haben, die aber durch den Brand und das Alter Schaden gelitten also daß nur noch der Buchstab V zu erkennen ist.

5) Eine Statue von vermischtem Metall, 6 3/4 Zoll hoch und 2 1/2 Pfund schwehr, welche auf der Vorderseite einen Menschenleib vorstellet, aber einen Thierkopf hat, der so vielerley Züge enthält, daß man noch zur Zeit sein Geschlecht nicht bestimmen kann. Denn 1. gleichet die Stirne, Schnauze und Maul einem Büffelskopf und 2. über der Stirne zeiget sich etwas Gekräuseltes, wie das Haar der Stirne in der Gegend des Kopfs. 3. von dem Maul gehet auf jedweder Seite eine stark erhabene geritzte Linie über einen Zoll lang, nach dem Platze der Ohren, welche das Ansehen eines Schnurbartes haben. Ohren

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aber sind nicht daran zu sehen. 4. an der Unterlefze erscheinet ein Ziegenbart. An der rechten Seite des Kopfes befinden sich zweene starke gerillt pyramidel=Strahlen und an der linken Seite drey dergleichen. Oben auf dem Kopfe sind Brüche zu sehen, woselbst vermuthlich eben dergleichen befindlich gewesen. Oberwärts der Stirne stehen folgende Buchstaben: VIFGAZ oder: PIFDAZ. Der Leib ist mit einem doppelten Gewand bekleidet, erstlich mit einem kurzen Oberkleide bis auf die Knie, von welchem auf jeder Seite ein Strahl von obiger Art niederwärts abschließt und dann mit einem langen Rock, der über die Füße bis zum Postement reichet. Der rechte Arm träget ein liegendes Thier auf der Brust, dessen Kopf zwar unkäntlich geworden, der Leib aber einem Rehe gleichet. Der linke Arm ist gleichfals an die Brust geleget. Auf der linken Seite des obersten Gewandes stehet: RHETRA. Auf dem untersten Gewande erblicket man 1. vorne: VB oder: PB. An beyden Seiten dieser Buchstaben sind noch andere, die aber wegen des erlittenen Schadens nicht zu erkennen. 2. an der rechten Seite: PODAGA auf der ändern Seite dieser Statue zeiget sich ein Kopf 2 1/2 Zoll breit und eben so hoch, welcher einem Löwengesichte gleichet, so die Stirne in tiefen Runzeln zusammen gezogen, den Rachen offen hat und die Zähne weiset. Jedoch hänget an beyden Seiten des Maules ein starker Schnurbart, einen Zoll lang, zu den Seiten herunter. Rund um den Kopf gehet eine starke Einfassung, welche mit vertieften Linien solchergestalt gezeichnet ist, als wenn sich die empörten Haare des ergrimmten Löwen um den Kopf herum schöben. Unter demselben tritt eine starke neunmal gekerbte Linie hervor, welche 2 1/2 Zoll lang über den Rücken gekrümmet zur Linken bis an das Ende des Oberleibes gehet. Vielleicht soll es einen Schwanz anzeigen. Hieneben zeiget sich ein Schwein oder Hund im vollen Laufe. Die Strahlen um den Kopf sind auf dieser Seite platt und es zeigen sich auf zweenen derselben an der rechten Seite folgende Buchstaben: Auf dem untersten: SAL auf dem zweyten: GHL, so alle nicht recht deutlich zu sehen. Unter dem Kinn stehen diese Buchstaben: ZHVT. Auf dem Oberrock sind folgende Buchstaben befindlich: 1. zur Rechten des Schwanzes: Podaga, zur Linken desselben: BILL. An dem Unterkleid linker Hand sind noch nachstehende Buchstaben zu lesen: LVN. Von beyden Seiten des Postements läuft ein Strahl in die Höhe. Die Statue ist übrigens gleichfalls hohl und durch das Postement gehet ein vierecktes Loch, zeiget aoer alle Merkmale eines ausgestandenen starken Feuers und ist hin und wieder ausgesprungen.

6) Eine gelbmetallene mit dem ädlen Rost überzogene Stange, 3 Zoll hoch 4 1/2 Pf. schwehr, an welcher drey Köpfe sitzen. Einer ist vorzüglich groß und das gewöhnliche Gesicht eines Satyrs mit einem großen Barte. Hinter demselben sitzet ein anderer, welcher etwas kleiner und gleichfals mit einem starken Bart versehen ist, dabey aber eine sehr verdrießliche Miene hat. Oben zwischen beyden lieget der dritte, an den großen gelehnet, eben wohl mit einem starken Bart. Der erste hat bloß ein starkes krauses Kopfhaar und keine Bedeckung. Der zweyte hingegen hat eine sehr erhabene Sturmhaube auf und der dritte ist mit einer kleinen Sturmhaube bedeckt. Schriften sind hierauf nicht zu finden.

7) Eine Statue von obbenantem Metalle, jeoch ganz dünue verzinnet, 20 1/4 Loth schwehr und 5 Zoll hoch, welche ein Frauensbild vorstellet, in einem Gewand, welches nur bis auf die Knie reichet. Das Gesicht ist sehr wohl gebildet und siehet überaus freundlich aus. Zu dessen beyden Seiten sitzen Haarlocken bis an die Wangen. Der Kopfputz ist eine in die Höhe stehende gekrausete Haube. Um den Hals gehet ebenfals etwas dickes krauses in Gestalt der krausen Priesterkragen, welche sich hinten in die Höhe ziehet. Die rechte Hand ist an den den Leib geleget, der linke Arm aber seitwärts ausgestreckt und in der Hand zeiget sich ein Bruch, daß etwas daraus verlohren gegangen; jedoch hänget noch ein kleines unförmliches Stückgen Metall daran. Auf dem

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Kopfe sitzet ein deutlicher Affe, der sich nach der linken Seite gekehret hat, den rechten Arm auf dem Knie stützet mit der linken Hand aber etwas in den Mund stecket. Die Füße der Person sind vom Knie an unbedeckt und die Plattfüße nebst dem Postement abgebrochen. Auf der Vorderseite erkennet man folgende Buchstaben auf dem Gewande: SIEBA. Hinten stehet am Kopfe: IA. Am rechten Arm: SIEBA. Auf den Rücken leidet der daselbst durch das Alterthum geschehene Schade nicht mehr, als: VA zu erkennen und an den Lenden und Fußen auf der rechten Seite: ISTRIN auf der linken: RAZIVIA. Die Statue ist übrigens gleichfals hohl.

8) Ein Kopf von einem Frauenzimmer, weiß Metall, eine Art Zinck, 3 Zoll hoch, 1 3/4 Zoll breit, 22 1/2 Loth schwehr, welcher mit vorgemeldeter Gestalt der Sieba viele Aehnlichkeit hat und so wohl in Ansehung der Haarlocken an den Seiten, als auch der gekräuseten Haube und des Gekrauseten an dem Halse mit jenem überein komt. Auf dessen Scheitel aber finden sich mehrere gekräusete Haare und neben dem krausen Halskragen gehet eine Schnur Perlen von den Schultern auf die Brust herunter. Auf demselben hinter der krausen Haube sitzet ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln, welcher eine Krone auf dem Kopfe hat. An dem hintern Theile desselben zeiget sich ein deutlicher Löwenkopf. Da aber sonsten dies Stück mit dem aerugine nobili stark überzogen, auch an einem Orte ausgebrochen ist; so bemerket man zwar annoch einige kleinere zerstreuete Erhöhungen, die man aber wohl nicht anders, als für ein starkes Brusthaar des Löwen beurtheilen kan. Uebrigens ist dieser Kopf gleichfals hohl und in dem Halse ist eine viereckte Oeffnung.

9) Eine metallene Weintraube 1 Zoll lang und 3/4 Loth schwehr, auf welcher der aerugo nobilis eben so, wie auf vorgemeldetem Kopfe, befindlich ist. Nach dem Verhältniß hat selbiger zu der Statue der Sieba gehören können, wovon obgemeldetes Ueberbleibsel annoch vorhanden ist.

10) Eine rechte Hand von gelben Metall, 1 1/2 Zoll lang, 2 1/4 Loth schwehr, woran der Zeigefinger ausgestreckt ist, die untern drey Finger aber einwärts gebogen sind. Sie ist zwar mit gleichem aerugine nobili, wie die beyden vorigen Figuren überzogen, aber zu groß, als daß sie zu selbigen gehören könne. In Montfancon Alterthümern Tab. CXIIII. sitzet an dem Feldzeichen Fig. 13. ohngefähr eine solche Hand, dergleichen diese im kleinen kann gewesen seyn. Und im übrigen sind auf Num. 8. 9. 10. keine Buchstaben zu entdecken.

11) Ein liegendes vierfüßiges Thier, 2 Zoll lang und 1 Zoll hoch, 13 Loth schwehr, von obgemeldetem Metall, ganz fein überzinnet, oder mit Blei übergossen, woran aber der Kopf, wie auch der hintere Theil und zwar dem Anscheine nach, durch Feuer, so stark beschädiget ist, daß man sein Geschlecht, so wenig nach dem Kopfe, als Schwanze mit Gewißheit bestimmen kann. Indessen scheinet der Körper dem Rindviehe am nächsten zu kommen und am Kopfe zeigen sich in der Gegend, wo sonst die Hörner sitzen, kleine Brüche. Ohngeachtet nun dies Stück auch sonst schadhaft ist; so zeigen sich dennoch auf selbigem folgende Schriften: Auf der rechten Seite: SICGSA auf der Linken: BERSTV. Um den Hals gehen zwey Parallellinien, als wenn es einen Halsband vorstellen sollte.

12) Ein Satyr von gemischtem Metall, 4 1/2 Loth schwehr, 2 1/2 Zoll hoch, der sehr sauber gearbeitet und sonst ziemlich conserviret ist nur, daß die beyden Arme daran fehlen. Der Kopf ist stark vorweg gestrecket und der Leib, wie auch die Knie sind gebogen, in der Stellung, als wenn er eine sehr schwehre Last zu tragen hätte und es lieget ihm auch auf dem Genicke ein länglicht runder Packen, auf dessen Ende zur Rechten: Z und zur linken: V zu sehen. Unter dem rechten Arm an der Brust zeiget sich: L. Längst dem Rücken bis in die Kniebeugung an der rechten Seite stehet: BERSTVON auf der linken Seite des Rückens: CRIVE. Unter dem linken Arm bis in die Kniebeugung lieset man folgendes: VEIDELBOT. Unter dem rechten Plattfusse: S. unter

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dem Linken: v. Dies Stück ist von zwoen hohlen Hälften zusammen gelöthet, welches man sonst bey keinem andern dieser Sammlung bemerken kann.

13) Eine circulirende Schale von vermischtem Metall, im Durchschnitt 6 Zoll und 2 Pfund 28 Loth schwehr, mit einem Rande, der 1 1/2 Zoll hoch ist. Der Boden ist platt und in demselben Mittelpunkt befindet sich ein Kopf, der sonst zwar dem Stierkopfe am ähnlichsten ist, aber keine Hörner hat. Aus dem Maule raget ein Stück Metall hervor, etwa 1/2 Zoll hoch, an welchem aber ein Bruch erscheinet. Von dem Kopfe schießen rund umher zehen schlangenförmige Strahlen nach der Peripherie, zwischen welchen eben so viele punktirte gerade Linien dahin gehen. Auf der inwendigen Seite des Randes lieset man folgende Worte, nämlich unter bemeldetem Kopfe rechter Hand: VRI linker Hand: SIEBA, an der linken Seite des Kopfes: RADEGAST. Gleich darüber stehet: REHTRA; gleich darneben lieset man: PODAGA. Hinter dem Kopfe am Rande der Schale: VI - - VZ. Die beyden mittelsten Buchstaben sind nicht mehr zu erkennen und endlich lieset man noch: PROVE. Unter der Schale findet man folgendes: ZIGHO. Auswärts ist die Schale mit erhabenem Zickzack gezieret und sie stellt auf vier kurzen Füssen. Am auswärtigen Rande finden sich diese Buchstaben: BELMC. Diese Schale hat jedoch hin und wieder Schaden gelitten und aus etlichen schwarzen Stellen lässet sich vermuthen, daß sie ein starkes Feuer ausgestanden.

14) Eine Schale von vermischtem Metalle 25 1/2 Loth schwehr, im Durchschnitt 4 Zoll mit einem Rande 1 Zoll hoch, und einem platten Boden. In desselben Mittelpunkt sitzet ein Vogel mit geschlossenen Flügeln, 1 1/4 Zoll lang, im Neste, um welchen über den ganzen Boden herum kleine länglichte Körner, wie Getreide, liegen. Um das Nest herum stehen folgende Buchstaben: RIADE GAST. Ueber dem Vogel am Ende der Flügel stehen diese beyden Buchstaben: IZ und an dessen Kopfe: IT.

15) Eine metallene Schüssel, 13 Loth schwehr, 2 1/2 Zoll im Durchschnitt, deren Rand 3/4 Zoll hoch und auswärts geriefelt ist. In dem Mittelpunkt des platten Bodens lieget ein Löwenkopf, um welchen folgende Worte zu lesen sind: Ueber dem Kopfe linker Hand: TO von dem rechten Ohr an bis unter den Hals: TSIBAZ. Unten hat diese Schale einen erhabenen Circul zum Fuß, in dessen Mitte sich eine Schnecke findet, bei welcher: R stehet.

16) Eine kleine metallene Glocke von hellem Tone, 2 1/4 Zoll im Durchschnitt, 1 1/4 Zoll hoch, 4 Loth schwehr, in deren Mittelpunkt aber ein Stück ausgebrochen und dadurch inwendig der Hacken zum Klöppel und auswendig der Grif verlohren gegangen. Am inwendigen Rande stehet: RAGDEGAST. Auswärts sitzen, in ungleichen Entfernungen, ein Frauens= und 3 Manns=Brustbilder.

17) Ein Cilinder von vermischtem Metall, 2 Pfund 10 Loth schwehr, 6 Zoll hoch, um welchen kleine und große Stäbe und Platten abwechseln. Eine Platte in der Mitte, welche 3/4 Zoll breit und von 2 Zoll Ausladung ist, hat in ungleicher Entfernung sechs solcher Einschnitte, wie man an den Kronenleuchtern zur Einhängnng der Arme machet. Zwischen selbigen finden sich folgende Worte: TH - ZVG - GAROV - NIGI - OARO - IRIOS -

18) Ein circulrundes hohes Stück von gleichem Metall, wie voriges, 2 1/3 Zoll im Durchschnitt, 3 3/4 Loth schwehr, von solcher Beschaffenheit, daß es an vorgemeldetem Cilinder Nnm. 17. zu einem Stabe kann gedienet haben. Auf demselben findet man folgende Buchstaben: VID.

19) Ein metallener Hacken, 4 1/2 Loth schwehr, welcher auf die Art gebogen ist, daß man es für ein Stück eines Armes an einem Kronenleuchter halten kann. Auf demselben stehen diese Buchstaben: ZI.

20) Eine sehr sauber gegossene kleine metallene Statue auf einem runden Postement, 3 1/4 Zoll hoch und 3 Loth schwehr, welche eine Mannsperson in völliger Kleidung vorstellet, mit einem kurzen, bis auf die Hälfte der Lenden

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reichenden Rock, weiten Hosen, die über dem Knie aufgeschürzet sind, wovon aber dennoch etwas über selbigen schläget. Sein Haupt ist mit einer rauch verbrämten, nach der linken Seite sich neigenden Mütze bedecket. Um den Leib gehet ein Gurt, an welchem auf der linken Seite ein Degen, in Gestalt der heutigen Hirschfänger, perpendiculär herunter, auf dem Bauche aber ein großer Beutel hänget, an welchem man eine, in der Länge herum gehende Vertiefung wahrnimt, als wenn er in zwey Theile abgetheilet wäre. Das Gesicht ist mit einem großen Bart bewachsen. In den Armen hält er an der rechten Seite einen Pfeiffenbock, dessen Windröhre in dem Munde stecket, die Pfeiffe, worauf er spielet, herunter gehet und die Schallhörner über die rechte Schulter gerichtet sind. Hinten ist es platt und, statt auf allen vorhergehenden Stücken die Charaktere mit dem Grabstichel eingestochen sind; so finden sich auf dem Revers dieses Stückes folgende große erhabene Runische Buchstaben gegossen: MISIZLA. Gleich bei dem A ist das Postement zerbrochen, wodurch also der letzte Buchstab des Wortes Zlav (Lob, Ruhm) verlohren gegangen. Es ist dies Stück mit dem aerugine nobili gar prächtig überzogen, durchgehends aber von so verhältnißmäßiger geschickter Zeichnung, daß man die Kunst unserer alten Wenden bewundern muß, und es soll wohl schwehrlich Jemand ein so sauberes und die vollständige Wendische Kleidung zeigendes Stück aufzuweisen haben.

21) Eine dergleichen kleine Statue eines Mannes, 3 Zoll hoch, 3 1/2 Loth schwehr, der sich jedoch von der Rückseite präsentiret, sonst aber eben eine solche Mütze, wie der vorige Wende, auf dem Haupte hat, welches so stark nach der linken Seite gekehret ist, daß man diese Hälfte des Gesichtes erkennen kann. Er hat einen kurzen Rock an, der jedoch bis an die Kniebeugung reichet und, an statt, daß die Ermel des Kleides in der vorhergehenden Statue bis an die Hand gehen; so reichen sie hieselbst nur bis an den Ellenbogen. Von der rechten Schulter gehet ein breites Gehenk nach der linken Seite, woselbst ein breites kurzes Schwerdt nicht ganz perpendiculär daran hänget. Hinter ihm sitzet ein großer Hund, dessen Kopf stark behangen ist. Der Revers ist eben, wie voriger, platt, auf welchem sich oben eine erhabene Figur, wie ein heutiges großes lateinisches A, wenn der oberste Theil etwas rund gezogen wird, aber umgekehrt [Abbildung: umgedrehtes A] zeiget. Unterwärts stehen folgende erhaben gegossene Runische Buchstaben: ZOI. Das runde Postement ist ebenfalls zerbrochen und dadurch vermuthlich einige Buchstaben von deren einem annoch ein Zug zu sehen, verlohren gegangen. Dies Stück ist gleichfalls sehr stark mit dem aerigine nobili überzogen.

22) Eine kleine zierliche Statue von vermischten gelben Metall, voller aeruginis nobilis, 3 Zoll hoch, 4 1/2 Loth schwehr, welche eine Frauensperson vorstellet, die auf einem runden Postement stehet. Auf dem Kopfe hat sie einen Schleyer, unter Welchem eine Schnippe über der Stirne bis an die Augen gehet. Der Leib ist mit einer ordentlichen Runischen Stola umgeben, wobey jedoch der linke Fuß vom Unterleibe an, entblösset ist. Die Hände sind beyde unter der Brust zusammen geleget. Auf der plattem Rückseite sind diese erhabene Charactere zu sehen. STLI.

23) Ein Stück von gleicher Größe und derselben Art berosteten Metall, wie das vorige 3 Loth schwehr, welches eine Frauensperson von der Rückseite vorstellet. Der Kopf ist so weit zur Rechten gekeheret, daß man die Hälfte des Gesichtes wahrnehmen kann. Die Haare sind im Nacken zusammen gebunden und fliegen längst dem Rücken herunter. Der Leib ist mit einer Stola behänget und auf dem Rücken hänget ein Köcher mit dreyen Pfeilen von der linken Seite gegen die rechte Kniebeugung. Unter demselben raget ein deutlicher grosser Bogen hervor, wie ihn die Diana führet. Der Revers ist platt und ohne Buchstaben.

24) Eine berostete, weiße metallene nackte Frauensperson, 3 Zoll hoch, 2 3/4 Loth schwehr, Welche über dem Kopfe einen Schleyer hat, den sie mit der

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linken Hand ausbreitet und in die Höhe hält. An den Füßen hat sie starkausgebreitete Flügel.

25) Eine ebendergleichen kleine Statue, an welcher zwar auf dem Kopfe die Spuhren des Schleyers wahrzunehmen, das ausgespannete Tuch aber abgebrochen ist.

26) Eine kleine Statue von gleicher Art, 2 Zoll hoch, 2 3/4 Loth schwehr, welche eine junge nackte Mannsperson vorstellet, dem ein fliegendes Tuch vom Kopfe vorwärts, unter dem rechten Arm durch, nach dem Rücken gehet, woselbst er es mit der linken Hand fasset. An den Füßen hat er keine Flügel.

27) Eben dergleichen mit ädlem Roste überzogene gelbmetallene kleine Statue auf einem Postement, die einen jungen Knaben mit kurzu krausen Haaren vorstellet, auf dessen Kopfe ein Täuberich die Taube tritt. Di beyden Hände hat er von sich gestreckt und es ist alles sehr proportionirlich gemacht. Es ist 2 1/2 Zoll hoch und 2 Loth schwer.

28) Wiederum ein kleiner nackter Knabe von gelben Metall, stark mit dem ädlen Rost überzogen, 1/2 Zoll hoch, 1 Loth schwehr, auf einem Postement. In beyden ausgestreckten Händen hält er etwas, so nicht zu erkennen ist.

29) Ein Stück von gelben Metall, da Castor und Pollux auf einem Postement neben einander stehen und sich angefasset haben, 2 1/4 Zoll hoch, 1 1/2 Loth schwehr.

30) Ein klein metallen bas relief, 1 Zoll hoch, 1/2 Loth schwehr, da ein nackter Knabe den Dudelsack spielet.

31) Ein kleiner berosteter metallener Hirsch, welcher äzzet, 1 Zoll lang und 1 1/2 Loth schwehr. Auf dessen Revers stehen folgende Züge: KVDII.

32) Ein kleiner metallener Säbel, 1 1/2 Zoll lang, dergleichen unsere Vorfahren bloß als ein Sinnbild von des Verstorbenen Tapferkeit in die Aschentöpfe geworfen. Er ist völlig mit aerugine nobili überzogen und von den bisherigen Besitzern dieser Religion jederzeit hiezu gerechnet. Denn sonst würde es sich freylich nicht der Mühe verlohnen, dieser Kleinigkeit unter solchen ehrwürdigen Alterthümern zu erwähnen.

33) Ein zerbrochener hohler metalllener Löwenkopf, mit starken aerugine nobili, 2 Zoll hoch und breit und 7 Loth schwehr. Obgleich von Num. 23 bis hieher die meisten Stücken ohne Runische Schriften sind; so führen sie dennoch so viele andere Merkmale des Alterthums mit sich, daß man keinen Zweifel tragen kann, sie für einen Nachlaß der Wenden gelten zu lassen.

Folgende zwey saubere Stücke werden sich indessen durch ihr Bild und Ueberschrift selber darzu rechtfertigen:

34) Ein Bas relief von gelben Metall, 1 1/2 Zoll hoch und breit und 2 Loth schwehr, welches, in einer zierlichen Einfassung, die Action vorstellet, da ein Ueberwinder dem zu Boden liegenden Widersacher den Kopf abgehauen hat, welchen er in der linken Hand empor hält, mit der rechten aber annoch das Schwerdt gefasset hat, mit dem rechten Knie auf dem Leichnam sitzet und den linken Fuß, um sich zu stützen, über denselben weggesetzet hat. Die Figuren sind so sauber gearbeitet, daß man es heutiges Tages gewiß nicht besser machen wird. Unter andern ist das hervorsprützende Blut aus dem todten Körper sehr deutlich ausgedrückt. Auf dem platten Revers stehen diese Buchstaben: QAV.

35) Ein kleines zierlicher Bas reief, 1 1/2 Zoll hoch und breit und 1 Loth schwehr, worauf ein Paar Personen tanzen. Die Mannsperson hat eine Mütze auf dem Kopfe und ein kurzes Wams an. Den rechten Fuß hat er vorwärts nach der linken Seite geschlagen, in der Stellung, wie wir heutiges Tages Schwäbisch tanzen. Mit der rechten Hand führet er seine Schöne, die gleichfals eine Mütze auf dem Kopfe hat und ein kurzes Kamisol, nebst einem langen Unterrock mit starken und vielen Falten träget. Auf dem platten Revers zeigen sich diese Charaktere: IIZ.

36) Ein gegossenes Kniestück von weissem Metall, welches nach Ver=

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schiedenheit der Stellen, den Strich von acht, auch sechslöthigen Silber hält, 7 1/4 Pf. schwer, 7 1/2 Zoll hoch und 5 1/2 Zoll breit, welches eine Mannsperson vorstellet. Der Kopf hat eine starke Nase und einen großen Bart. Auf der Scheitel zeiget sich ein Bruch, der ganz über denselben reichet, als wann ein schmaler Zierrath auf demselben gesessen, der von einer Seite bis zur andern gegangen. Daselbst finden sich verschiedene Stellen, welche den Strich von Kronen=Golde halten. Ueber der Brust und den Schultern hänget eine Decke, wie das Römische Paludamenum, welches den rechten Arm bis an den Ellenbogen bedecket, nach der linken Schulter schmal hinauf gehet, hinten aber sich über die Schultern wieder stark ausbreitet. Unter demselben hat es eine förmliche Römische, bis auf die Knie reichende Tunicam über welcher es einen, mit erhabenen, jedoch unkäntlich gewordenen Figuren gezierten Pantzer träget. Um den Leib gehet ein Degengehenk, an welchem an der linken Seite ein breites Schwerdt hänget. Aus dem Paludement gehet der entblössete rechte Vorderarm hervor und hält eine Figur, 4 Zoll hoch, welche einem Zepter gleichet, der nur nicht zierlich ausgearbeitet ist. Der linke Arm ist nur bis auf die Hälfte des Obertheils von den Ermeln des Rocks bedecket und mit der Hand neben den Degen gestützet. Den Rücken bedecket ein langer Mantel. An diesem Stücke sind folgende Runische Schriften zu lesen: Forne rechter Hand auf der Tunica: RHETRA hinten auf dem Rücken auf dem langen Mantel stehet in drey Reihen: SCHUAYM - TIM - BELBOCG. Das Metall dieses Stückes hat einen überaus hellen Klang.

37) Ein gegossenes doppeltes Bild, von vermischtem Metall, 6 Zoll hoch und 2 1/4 Pfund schwehr, welches auf der einen Seite eine Mannsperson mit einem kurzen, bis auf die Knie reichenden Rock darstellet. Auf dessen Kopfe sitzet eine Figur, welche die völlige Form eines Büffelskopfes zeiget. Woran sich auch die Schnauze an der linken Seite noch ziemlich deutlich wahrnehmen lässet. Das ganze Bild aber giebet ein Ansehen, als wenn es in einem heftigen Feuer gewesen und ist an verschiedenen Stellen unkäntlich geworden. Von dem Kinne gehet aus jeder Seite eine erhabene zugeschärfte Linie, schlangenweise, über den Vorderleib bis an den Saum des Kleide, die sich beyde am Ende gegen einander in die Höhe krümmen. An der rechten Seite des Kopfes befindet sich eine aufwärts gekrümmte Figur, wie die Strahlen, welche schon bey andern Bildern vorgekommen. Zur linken aber ist auf dem Parallelpunkt ein Stück ausgebrochen. Beyde Arme sind ausgestrecket, der rechte niederwärts und der linke in die Höhe gekehret. Die Füße sind bloß und unter den Plattfüßen scheinet das Gestelle weggebrochen zu seyn. Oberwärts der Stirne sind folgende Buchstaben befindlich: AY. Auf dem Gewand, die Brust herunter, stehet: ZIR. Die andere Seite hat drey Köpfe, welche aber nach dem Verhältniß gegen den Leib sehr klein sind und, so viel die Undeutlichkeit zu erkennen, übrig gelassen. scheinen sie nur wie Brustbilder gegossen zu seyn, deren mittelstes einen Manneskopf mit krausen Haaren ohne Bart deutlich zeiget, der zur Rechten gerade in Profil ausgebrochen, der zur Linken aber nur noch die runde Maße eines Kopfes sehen lässet, die Gestalt aber verlohren hat. Von demselben gehet eben eine solche Linie, wie die vorigen beyden sind, längst dem Gewand, in Schlangenkrümmung bis auf den Saum des Kleider herunter und deren in die Höhe gekrümmtes Ende hat einen doppelten Wiederhacken. Ueber den Köpfen erscheinet ein undeutlicher Zierrath. Die Arme und Füße sind mit vorigen von gleicher Beschaffenheit. Auf dem Gewande, zur Rechten gedachter Linie stehet: PIDHA und zur Linken: RHETRA.

38) Ein Hund mit einem dicken Kopfe und Gesichte eines Bollenbeißers, der einen langen Schwanz und um den Hals einen Band hat, 1 1/4 Zoll lang, welcher auf einem Postement lieget, den Kopf aber in die Höhe gerichtet nach der linken Seite gedrehet und dabey das Maul offen hat. Das Postement ist 4 Zoll hoch und allenthalben mit vielen Stacheln besetzet. Das Metall ist

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vermischet und wieget 24 Loth. Auf der linken Seite des Hundes stehet: RHETRA und auf der Rechten, welche die Rückseite der Statue ist, lieset man: MITA.

39) Ein Mannsbild von vermischtem Metall 6 Zoll hoch, 2 Pfund schwehr, mit einem Kopfe von dicken Backen, einem staken Schnurbart auf der Oberlefze und einem breiten langen Bart bis über die Brust. Der Kopf ist mit einer Sturmhaube bedecket, auf dessen Rande von der linken Backe an, über die Stirne herum 5 scharfe Stifte hervor schiessen. Die beyden untersten aber neben der rechten Backe sind abgebrochen. Von der linken Seite des Helms schießet ein pyramidalischer Strahl in die Höhe, wie er oben schon etliche mahl beschrieben worden. Im Parallel auf der rechten Seite zeiget sich ein Bruch. Auf der Brust ist ein großes Stück ausgebrochen und allem Ansehen nach ist auch diese Statue im Feuer gewesen. Die sehr große rechte Hand drücket etwas Unförmliches an den Bauch und die linke Hand ist nach den Bart gekehret. Das Gewand ist ein kurzer Rock bis auf die Knie, auf dessen linken Seite ein obbeschriebener Strahl fließet, auf welchem sich drey Linien vorgemeldeter Art Stacheln zeigen. Die Beine sind gleichfals mit dergleichen kleinen Stiften besetzet. An der linken Seite des Postements schießet wiederum ein vorbemeldeter Strahl in die Höhe im Parallel. An der rechten Seite ist ein Bruch. Die Kehrseite lässet folgendes wahrnehmen: Am Kopfe befindet sich ein Hirsch, der an der linken Schulter von einem Hunde gepackt ist, unter dessen Hinterleibe sich ein anderer Hund zeiget. Diese Figuren sind en bas relief gegossen, und mit einer eigenen Einfassung versehen, unter welcher sich wiederum eine Figur zeiget, die zwar etwas unkäntlich geworden, jedoch, allem Ansehen nach, eine auf der Erde sitzende Mannsperson gewesen, der mit der rechten Hand etwas in die Höhe hält, neben sich aber einen dicken Spieß liegen hat. Indessen stehen daselbst folgende Buchstaben: IPABOCG. Auf dem linken Arm, von der Schulter an, stehet folgendes: RHETRA. Auf dem Schoße des Kleides sitzet wieder ein Jagdstück en bab relief in welchem diese Figuren in der Ründung herum gestellet sind: An der rechten Seite wird ein Schwein von einem Hunde verfolget, nach welchen es den Kopf stark zur Linken herum drehet. Oben läuffet ebenfals ein Hund auf das Schwein zu. Zur Linken stehet ein Jäger mit einem langen Spieße, welches auf das Schwein gekehret ist. So unförmlich nun die Vorderseite ins Auge fället; so geschickt sind hingegen die beyden Jagdstücke gerathen, an deren proportionirlicher Zeichnung wohl nicht das geringste auszusetzen ist.

40) Ein Opfermesser von vermischtem Metall, daran die Klinge ein dickes Dreyeck mit scharfen Kanten ist und vorne spitzig zuläuft. Selbige ist 4 Zoll lang und die breiteste Seite hält 1 1/2 Zoll, die andere jedwede 1 Zoll. Der daran befindliche zerbrochene Grif von gleichem Metall stehet nicht in gerader Linie mit derselben; sondern machet einen stumpfen Winkel. Das Metall ist aber nicht von der Art, daß man ihm eine Biegsamkeit zutrauen könnte, wenn es heiß wird, mithin ist dieser Winkel wohl nicht zufälliger weise bey einem Brande entstanden, den sonst das Stück erlitten zu haben scheint, sondern gleich anfangs so gegossen. Es wieget dies Stück 22 Loth. Auf der einen schmalen Seite stehet: SIEBA. In Montfaucon Alterthümern 3 Buch 3 Kap. §. 10 sind dergleichen angeführet und auf der 56. Kupfertafel Fig. 7. 8. 9. gezeichnet. Die gegenwärtige, den Grif ausgenommen, siehet der 7ten Figur am ähnlichsten.

41) Eben dergleichen, dessen Klinge vier Seiten und zwey scharfe Kanten hat. Selbiges ist 4 1/2 Zoll lang und die Seiten sind jedwede 1 Zoll breit. Ein Stück eines Grifs sitzet annoch daran in gerader Linie mit der Klinge, welche jedoch so wohl, als der Grif, sehr durchlöchert und vermuthlich aufgebrannt sind. Es wieget anjetzt noch 23 Loth. Auf einer Seite desselben stehet: RADEGAST.

42) Wiederum eines dergleichen, dessen Klinge 3 Zoll lang ist und 3

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Seiten hat, deren breiteste 1 Zoll, die schmalen aber 1/2 Zoll messen. Hieran sind zwey scharfe Kanten und ein Stück des Grifs ist annoch daran befindlich. Es hat aber gleichfals das Ansehen eines ausgestandenen heftigen Feuers und wieget 5 Loth. Auf einer der schmalen Seiten stehet: PROVE.

43) Annoch eines derselben Beschaffenheit, dessen Klinge 3 Zoll lang ist, welches, dem Ansehen nach, gleichfals ein starkes Feuer ausgestanden hat. Es wieget 5 Loth. Auf der flachen Seite lieset man folgendes:PIDHA.

44) Eine ovale Schale von vermischtem Metall, 6 Zoll lang, 2 1/2 Zoll breit, 1 Zoll hoch, 24 Loth schwehr, mit 2 Henkeln, deren einer gerade am Ende derselben, der andere aber etwas zur Seite sitzet. Auf dem platten Boden, aus welchem an einem Ende ein Stück ausgebrochen, lieget ein behelmter Kopf mit einem großen Bart, hinter welchen sich vier kreuzweise gelegte Spieße zeigen. Am inwendigen Rande stehen linker Hand des Kopfes: PO DAGA. rechter Hand aber: HENT. Auswendig ist sie mit erhabenen Linien Zickzack gezieret.

45) Eine kleine circulrunde Schale von vermischtem Metall, 2 1/4 Zoll im Durchschnitt, 1 1/4 Zoll hoch, mit 2 Henkeln, 24 Loth schwehr, auf deren inwendigen Boden sich ein Mannskopf mit starken krausen Haaren und einem grossen Bart, nebst andern Figuren zeigen, welches alles aber durch Feuer und Alterthum sehr undeutlich geworden. Am inwendigen Rande ist annoch der Name: SIEBA zu erkennen, außer welchem sich zwar noch hin und wieder Züge von ändern Buchstaben zeigen, bey welchen aber Feuer und Alterthum das Uebrige ganz undeutlich gemacht hat.

Diese vorläufige Beschreibung muste ich vorausschicken, um desto gründlicher von dem Nutzen dieser Entdeckung in Erläuterung der Scribenten, welche theils von den Götzen unserer Vorfahren, theils von der Geographie unsers Vaterlandes geschrieben haben, handeln zu können. Dieser Nutzen ist gewiß größer, als er anfänglich zu seyn scheinet. Indessen erfordert er eine weitläuftigere Entwickelung, als, daß ich nicht den Unwillen der Leser, die nun schon verschiedene Wochen herdurch diese für die mehresten nicht interessante Materie mit Geduld aufgenommen haben, befürchten müste. Ich will daher mit dieser vorläufigen Beschreibung diesen Aufsatz abbrechen und das, was ich noch zu sagen habe, versparen, bis mich wiedernm die Reihe trifft, zugleich aber auch alsdenn die Einwürfe des Herrn Pastor Sense zu Warlin, als des Verfassers der in das 21 und die folgenden Stücke der Nützlichen Beyträge zu den Strelitzischen Anzeigen vom vorigen Jahre, eingerückten bescheidenen Zweifel gegen das neulich entdeckte und bekant gemachte angebliche Pantheon der alten Rhedarier und Wenden in Mecklenburg, zu beantworten mich bemühen.

H. F. Taddel.     


5. Das Vorwort

aus dem handschriftlichen Exemplare des vierten Berichtes,

im Besitze des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.

Die Wendischen Alterthümer, welche in folgenden Blädtern vorläufig beschrieben worden, sind im vorigen Jahrhundert zu Prilwitz in Mekelburg=Strelitz gefunden, und von dem damaligen Besitzer dieses Guths an den Prediger Sponholtz daselbst geschencket, von demselben aber auf eine wohlhabende Familie

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gleiches Namens in Neubrandenburg vererbet, welche keinen weitern Gebrauch davon gemachet, als sie zum Andenken eines alten Verwandten aufzuheben, dahero sie so wenig davon gesprochen haben, daß unter Kennern gar nichts hievon bekannt geworden, bis ich endlich Gelegenheit gehabt, selbige neulich anzukaufen, und solchergestalt anjetzo das Vergnügen haben kan, diesen beträchtlichen Schatz aufs neue wiederum ans Licht zu bringen. Sie enthalten so viele zur Erläuterung der Wendischen Geschichte und Erdbeschreibung dienende Merkwürdigkeiten, daß ein Kenner und Liebhaber derselben bereits eine Abhandlung unter der Feder hat, worin er gehörige Anwendung davon zu machen suchen wird. Unter andern ist die Gegend, worin Prilwitz am südlichen Ende des Tollenser Sees lieget, unter dem wendischen Frey=Staate der Retharier oder Rhetherer begriffen gewesen, in welchem Gow, nach einhelliger Beschreibung der Schriftsteller mitler Zeit, die Stadt Rhetra gelegen hat.

Da nun meine Alterthümer, welche samt und sonders alle mögliche Kennzeichen wahrer Originalien haben, eben die Merkmale führen, welche der Bischof Dithmar von Merseburg von den Wendischen Bildern, die im Tempel zu Rhetra aufgestellet gewesen, meldet, daß nämlig die Namen ihrer sogenandten Götzen in selbigen eingegraben wären, und zwar, welches beyläufig zu mercken, mit Runen=Schriften, deren Spuren in unsrer Gegend sonsten so vielfältig vergeblich gesuchet worden, auf gleiche Art aber auch der Name der Stadt Rhetra auf Vielen gezeichnet ist, überdem aber auch noch viel mehrere Umstände aus den alten Schriftstellern sich auf den Ort der Entdeckung passen; So wird, nebst andern hierin stekenden Anfklärungen, nunmehro auch die Aufgabe von der Lage dieses ehemalen so berühmten Orts, über welche die neuern Mekelburgischen Geschichtschreiber sich nicht vereinigen können, mit grössester Wahrscheinlichkeit ihre Auflösung zum Vortheil des von Bredowischen Guths Prilwitz finden können.

Neubrandenburg, im Hornung 1768.

Hempel, medicinae doctor.     


6. Fragment

des von Pistorius begonnenen ausführlichen Werkes
über die Prillwitzer Alterthümer,

im Besitze des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.

§. 1. Rhetra, die ehemalige berühmt Wendische Stadt, ist in Ansehung ihrer Lage den neuern Mekelburgischen Geschichtschreibern jederzeit eine Aufgabe gewesen, über deren Auflösung sie nicht haben einig werden können, weilen wir in den Schriftstellern mitler Zeiten keine genauere Bestimmung derselben finden, als daß Adam, ein Bremischer Canonicus in der Mitte des elften Jahrhunderts, in seiner Kirchenhistorie, und der Merseburgische Bischof Dithmar, der im Anfange desselben gelebet hat, in seinem Chronico, nur melden, diese Stadt hätte im Lande der Rhetarier 4 Tagereisen von Hamburg in einem tiefen See, oder in einem Walde an einem großen See gelegen. Wer ihren Zenith aus dieser unbestimmten Nachricht treffen wolte, der müste gewis sehr künstlich seyn, und hat deswegen ein Jedweder sich berechtiget gehalten, sie hinzulegen, wo es ihm am Besten gedünket hat, dahero sich dieser

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Ort bald nach Rhese an der Tollense, bald nach Röbel an der Müritz, bald nach Malchin, bald gar nach Wolgast und Stettin hat müssen herumtragen lassen. Im Grunde lieget nun freilich nichts daran. solches aufs genaueste zu wissen, denn der Ort ist bereits über 600 Jahr gänzlich zerstöhret, und hat mithin die ganze Sache in unsre jetzige Verfassung nicht den geringsten Einfluß: indessen glaube ich doch, daß es vieleicht etlichen Liebhabern der Geschichte unsers Vaterlandes nicht ganz gleichgültig seyn wird, Ihnen ein und andere Umstände zu melden, welche hierin viele Wahrscheinlichkeit an die Hand geben, zugleich aber auch von der Beschaffenheit sind, daß unsre übrige alte Geschichte dadurch hin und wieder etwas Licht erhält.

§. 2. Es hat nämlich eine wohlhabende Familie zu Neubrandenburg seit vielen Jahren allerhand Alterthümer besessen, die sie zwar jederzeit hiefür erkandt, denn das konten sie ihnen auf den ersten Anblick ansehen, im übrigen aber keinen weitern Gebrauch davon zu machen gewust, als es zum Andenken eines Vorfaren, der sie ehemalen gehabt, aufzuheben. Unter Leuten, die es besser hätten nutzen können, war nun hievon nichts bekandt geworden, bis endlich der Herr doctor Hempel, medicinae practicus daselbst, neulich von ungefähr auf die Spuhr gekommen, und viele Mühe und Kosten angewendet hat, selbige eigenthümlich zu bekommen, und solchergestalt seine übrigen ansehlichen Sammlungen von allerhand Art, als . . . . . . . . . . . . . nunmehro auch mit einer schätzbaren Anlage von Alterthümern zu vermehren.

§. 3. In Ansehung der historischen Gewißheit haben nun die vorigen Besitzer sowohl dem Herrn doctori Hempel, als mir, die Versicherung gegeben, daß alle diese Sachen im vorigen Jahrhundert, da ihr Groß=Vater=Bruder, [Friedrich] Sponholz, Prediger zu Prilwitz gewesen, daselbst in einem Berge gefunden, und von dem damaligen Herrn des Guths demselben geschenket worden von welchem es auf ihre Linie gekommen. Es wäre auch noch ein grosser metallener Topf mit Füssen, den man hieselbst einen Grapen nennet, dabey zugleich ausgegraben, den aber ihr Vater ehemalen hieselbst zum Behuf einer umgegossenen grossen Glocke zum Marien=Thurm, verschenket hätte. Diese Tradition halten sie in ihrer Familie für ganz unzweifentlich, und sie tragen es jederzeit auf eine so unschuldige Art vor, daß man um so weniger an deren Wahrheit zweifeln kan, je weniger sie jemalen Aeusserung gemacht, es gerne anbringen zu wollen, sondern es so viele Jahre hindurch in der Stille besessen haben, um es nur zu besitzen, bis sie endlich anjetzo, wie sie die Leidenschaft eines Mannes voller edler Neugierde und von gutem Vermögen inne geworden, der Gelegenheit wahrgenommen, und es meinem Freunde theuer genug verkaufet haben. Bey diesen Umständen nun, dünket mich, darf man sich keinen Zweifel machen, daß nicht diese Sachen wirklich zu Prilwitz gefunden worden.

§. 4. Dieser Ort ist ein adeliches Guth, welches ehemalen den Herren von Blankenburg, nachhero den Herren von Gamm zuständig gewesen, nunmehro aber den Herren von Bredow gehöret, einer Linie dieses uralten Kuhr=Märkischen Geschlechts, welche auf letztern algemeinen Landtage für alte eingebohrne Mekelburgische vor Adel anerkandt worden. Es lieget solches nach Anleitung der Charte von Mekelburg, welche die Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin A. 1764 auf 4 Blädter herausgegeben, wider deren Orientirung jeooch Verschiedenes zu erinnern seyn möchte, 53 Grad 27 Minuten der Breite und 30 Grad 50 Minuten der Länge, an der Südlichen Spitze des Tollenser=Sees, auf der Hälfte des Weges zwischen Strelitz und Neubrandenburg.

§. 5. Das ganze Ufer dieses Sees bestehet in Bergen, mit welchen andere zusammenhangen, die gegen Norden bis Treptow und Nord=Ost=wärts nach Friedland auf beyden Seiten der Wiesen liegen, An der Westen=Seite desselben, hart an seinem Nördlichen Ende, liegt auf einem hohen Ufer ein Broda, welches in der Wendischen Sprache eine Fähre bedeutet. Diese ganze Beschreibung ist auf gedachter Charte ziemlich deutlich gezeichnet. Wenn man

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nun hiebey bemerket, daß Friedland A. 1240 [richtiger 1244] und Neubrandenburg A. 1248, beyde also erst vor etwa 500 Jahren angeleget worden; so wird man gar nicht Widersprechendes darin finden, daß dieser See vor 700 Jahren, da Adam Bremensis gelebet, einen ungleich größeren Umfang kann gehabt, selbigen aber bei der unzweifentlichen Abnahme des Wassers in der Ostsee (S. Dalins Geschichte von Schweden) nach und nach mittelst seines Ausflusses nach Norden auf Treptow und Demmin in die Pene, und von der Friedlandischeu Gegend durch Pommern ins kleine Haf, verlohren habe. Bey Anschauung der Charten, welche vorgedachte Akademie 1762 untern Titel: Thaetrum belli in Pomerania [herausgegeben], und zwar des 2. und 3. Bladtes, wird man sich hievon sehr leicht ein Bild machen können. Hiezu komt, daß Prilwitz etwa 27 Meil von Hamburg lieget, welches man wol für 4 Tagereisen annehmen kan. Nimt man ferner aus der alten Geschichte und Erdbeschreibung hiebey zu Hülfe, daß der ehemalige Frey=Staat der Rhetharier oder Rhetherer, der sich mit seinem Rhetra so groß dünkte, daß er den Rang über alle verbundene Staaten behauptete, weil daselbst der vornehmste Tempel und der Ort der algemeinen Landtage war, daß, sage ich, dieser Wendische Gow eben die Gegend um den Tollenser=See unter sich begriffen, worin Prilwitz lieget, wie ich mich dann hierüber sicher auf den grossen Abt Gottfried von Gottwik beziehen kan, der solches in dem unschätzbaren Chronico Gottuicensi Part. I. Libr. IV. pag. 738 num. 368 behauptet, und unser Rhetra in der, bei diesem Werke befindlichen prächtigen Charte von den deutschen Gowen, beynahe auf dem rechten Fleck, wo wir es entdeckt zu haben glauben, gezeichnet hat; so dünket mich, kan man sich hiedurch leicht bewogen finden, zu glauben, daß Adam Bremensis, wenn er L. 2 C. II historiae ecclesiasticae die Lage von Rhetra beschreibet, auf die Süder Seite des Tollenser=Sees gedacht, und es dahero diejenigen unter den Neuern immer am besten getroffen, die diese Stadt in der Gegend von Prilwitz vermuthet haben. Da ich mich auf gedachten Adam zu Bremen und etliche andere Geschichtschreiber mitlerer Zeit hin und wieder beziehen werde; so habe ich nicht undienlich erachtet, etliche Auszüge aus selbigen zur geschwinderen Durchsicht in den Beylagen abdrucken zu lassen.

§. 5. So weit hätte ich nun wol aus allerhand datis eine ziemliche Wahrscheinlichkeit begründet. Aus der Betrachtung unsrer Alterthümer gedenke ich aber der Gewißheit etwas näher zu kommen. Denn wenn ich nunmehro erweise, daß selbige die Beschaffenheit haben. Wie Dithmar, ein gebohrner Graf von Walbek und Bischof zu Merseburg, im Anfange des 11. Jahrhunderts, die Zierathen beschreibet, womit der Tempel zu Rhetra ausgeschmückt gewesen, wenn ich erweise, daß die Namen der Wendischen Götzen mit Runen=Schriften darauf eingegraben sind, und wenn ich endlich erweise, daß der Name der Stadt Rhetra auf gleiche Art darauf stehet; so, dächte ich, müste sich an meinem Beweise wol nicht viel auszusetzen finden. Und dieses wil ich anjetzo das Vergnügen haben, dem Leser vorzulegen. Mein Freund hatte nach und nach niemalen ein Stück von diesen Alterthümern erhalten, daß er mir nicht allemal sogleich das Vergnügen gönnte, an seiner Freude Theil zu nehmen, und wir machten uns bald dabey, eine genaue Beschreibung davon aufzusetzen, die wir anjetzo Liebhabern der Mekelburgischen Geschichte, wo Ihnen damit gedient ist, sehr gerne mittheilen.

§. 6. Radegast, welchen Adam zu Bremen den vornehmsten Götzen zu Rhetra, Daemonem principem, nennet, war der erste, der unsre Aufmerksamkeit auf sich zog. Unter Voraussetzung, daß, wo wir sein Wapen, den Büffelskopf auf der Brust, nebst seinem Namen träfen, er uns auch für seine Person einstehen müste, nahmen wir also ein solche Bildnis vor. Wie musten wir aber stutzen, als Wir ihn anjetzo in ganz anderer Gestalt erblickten, wie wir ihn sonsten aus Kupferstichen kannten. Denn anstat er in Westphalen

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monumentis ineditis, in Beehr rebus Mekelburgicis, in Montfaucon Alterthümern, in Bangertu Helmoldo, in Frankens Mekelburg und vielen andern Büchern, als ein wolgebildeter nackter Jüngling mit dem Büffelskopfe auf der Brust, einem Vogel mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Haupte, und einer Hellebarde in der linken Hand vorgestellet ist, so befunden wir ihn in unserm Bilde, welches zwar freilich nicht des Adami Bremensis und Helmolds goldener Radegast auf einem Purpurbette, sonsten aber doch augenscheinlich ein wahres altes Original ist, folgendergestalt: Eine Statue von rothen Metal, 6 1/2 Zoll Rheinländisch Maß hoch, und 1 Pfund 12 Loth schwer, stellet den Leib eines Mannes vor, worauf jedoch ein Kopf mit starken, herumhangenden Hahren sitzet, der einem Löwen=Kopfe am ähnlichsten komt, und 1 3/4 Zoll breit ist. Auf demselben sitzet ein Vogel mit geschlossenen Flügeln. Die rechte Hand hält auf der Brust einen deutlichen Büffels=Kopf mit großen, seitwärts gehenden Hörnern. Von dem linken Arm ist nur noch der oberste Theil daran befindlich, an welchem sich ein Bruch zeiget. Das Gewand reichet bis auf die Knie, und komt mit der Alt=Deutschen Kleidung überein. Auf dessen Vordern Falten, wie auch auf dem untersten Saume desselben, finden sich verschiedene Run=Schriften eingegraben, von welchen man zur Zeit folgende herausgebracht: Auf der rechten Seite: ZERN, wobei jedoch nicht zu merken, daß etwas fehlete. Auf der Linken: DLAIVENA. Die Füße sind bloß und stehen auf einem dünnen Postement. Hinten am Kopfe stehet ganz deutlich RADEGAST auf den Schultern BELBOC unten auf der Breite des Gewandes RHETRA. Die Statue ist übrigens hohl, und durch das Postement gehet ein Loch, welches nichts gebrochenes zeiget, und also wol zum Einstecken einer Stange mit Fleiß gegossen worden. Hier treffen wir nun verschiedene Gegenstände an, welche einer Betrachtung wehrt sind, als

1) muß entweder die bisherige nackte Abbildung des Radegast nicht richtig seyn, oder es müssen unsre hiesige Wenden mehrere Züchtigkeit besessen und ihm einen Rock gegeben haben, weil sie allem Ansehen nach keine Liebhaber von nackten Figuren in ihrem Tempel gewesen, indem sich unter allen unsern Stücken, welche vermuthlich darin aufgestellet gewesen, dergleichen keines findet. Daß aber die bisherige gewöhnliche nackte Abbildung des Radegast mehr wilkührlich, als gegründet sei, solches finde ich mich aus folgenden Gründen bewogen zu glauben: Franke in seinem Alten und Neuen Meckelburg berufet sich Libr. I Cap. XXIII p. 136 auf die Chronik der Sassen von Job. Pomarius oder Baumgarten, welcher Ausgangs des 16. Jahrhunderts anfangs zu Jevern und hernach zu Magdeburg Prediger war, und dessen Buch A. 1589 zu Wittenberg in Folio gedruckt worden. Allein beim Nachschlagen und Durchsehen desselben habe ich befunden, daß darin gar keine Abbildung vom Radegast vorhanden ist. Dahingegen habe ich selbige in der Croniken der Sassen unde Neddersassen getroffen, welche Conrad Botho in recht echter platdeutscher Sprache aufgesetzet, und A. 1492 zu Mainz in Folio drucken lassen. Dieses alte, sehr seltene Buch, welches in der Ritter= und Landschaftl. Büchersammlung zu Rostok vorhanden, ist durchgehends mit vielen Holzschnidten ausgezieret, und in selbigem stehen ad A. 1133 folgende Worte: "unde to mekelenborch der obytriten affgot de heyt Ridegast, da hadde vor der borst einen schilt, darin stod ein swarte Büffelenkop unde hadde in der hant eyue stryd exse unde upp dem kopp eynen vogel". Hierneben erblicket man nun zwar die nackte Abbildung des Radegast, so wie obgedachte Schriftsteller dieselbe haben stechen lassen: allein man wird auch zu bemerken belieben, daß in dem Text kein Wort von einer nackten Figur gedacht, am allerwenigsten die geringste ratio scientiae angeführet worden, welches letztere doch mit Recht verlangt werden kan, wenn solches mit Stücken, die alle Wahrscheinlichkeit eines Originals für sich haben, die probe halten oder gar ein Uebergewigt haben solle. Der Grund dieser Zeichnung ist also entweder in der wilkührlichen Phantasie des Holz=

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schneiders zu suchen, oder, hat Botho solches selber verlanget; so folget anders nichts daraus, als daß er niemalen das Glück gehabt, ein altes wendisches Stück zu sehen, und es ist kein Zweifel, daß wenn unsre Alterthümer ihm zu Gesicht gekommen wären, die Zeichnung gewiß denselben gemäß würde gerathen sein.

2) war den Wenden bei ihrem kriegerischen Staat nicht so Wol mit einem schönen Jüngling, als mit einem tapfern Manne gedient, deswegen setzten sie ihm das Sinnbild der Tapferkeit, einen Löwen=Kopf, auf, und erhoben dadurch

3) seine Stärke, die sie ihm schon allemal durch den Büffelkopf auf der Brust zugeeignet hatten.

4) Dieses uralte Hauptstück des Mekelburgischen Wapens brauchen wir also gar nicht aus den Fabeleyen von Anthyrius und Bucephal herzuholen, sondern wir können uns immer damit beruhigen, daß es von ewigen Zeiten her bey hiesigen Einwohnern so ehrenwerth gehalten worden, daß sie auch die Bilder, die sie als Sinnbilder der Tugenden zur Nachahmung öffentlich ausgestellet, damit ausgezieret haben.

5) In seiner linken Hand wird er ohne Zweifel auch die Streitaxt gehabt haben, deren Botho vorgemeldetermaßen gedenket, um welche er aber im Kriege, in der letzten Belagerung und Zerstöhrung von Rhetra durch Feuer und Schwerdt, wird gekommen seyn.

6) Seinen Vogel, das Bild der Hurtigkeit, führet er gleichfals auf dem Kopfe, und ist jener auf der bißhero bekandten Zeichnung im Fluge begriffen, so erholt sich dieser, um desto schneller zu fliegen. Ob es ein Adler oder Hahn sey, worin, wie ich finde, die Gelehrten noch nicht einig sind, das wil ich gerne ihrer beliebigen Untersuchung überlassen. Meine Hauptsache bestehet nur in den Schriften, die sich darauf finden, und da erblicket man

7) am Kopfe den ganz deutlichen Namen Radegast, und gleich darunter Belboc, Namen, welche in unsrer Mekelburgischen Geschichte bekandt genung sind, und deren letztern man gewöhnlich mit weissen, guten Gott, vieleicht aber auch eben so gut die Gütigkeit Gottes übersetzen könte. Was Radegast nach der Etymologie heisse, solches ist aus Wachteri Glossario germanico zu ersehen, vermöge dessen pag. 1228 Rad in der alten deutschen Sprache schnell, hurtig, und pag. 529 Gast, Fürst, Befehlshaber, bedeutet, mithin dieser Name einen hurtigen muntern Fürsten anzeiget. 7 )



7) Bei diesem Fragment des Pistorius befindet sich noch ein halber Bogen mit der Ueberschrift: "zur Beantwortung der Einwürfe wider die wendischen Alterthümer", den Pistorius sammt jenem Fragment an Genzmer übersandte, um beides bei seiner "anderweitigen Antwort" gegen Sense benutzen zu können. Er beruft sich in diesen Bemerkungen wiederholt auf das "beifolgende Manuscriptum in blau Papier". Dies ist die mit dem Hempelschen Vorwort begleitete Beschreibung der Prillwitzer Alterthümer. Wahrscheinlich kamen diese Papiere bei Genzmers Tode in Maschens Hände, von dem sie auf seinen Schwiegersohn, den Pastor Rudolphi, übergingen; von diesem hat sie Levezow erhalten.
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Der Angriff des Pastors Sense auf die Prillwitzer Alterthümer und die Vertheidigung derselben durch Taddel und Genzmer.

Nicht lange nach Veröffentlichung der beiden Genzmerschen Sendschreiben erschien in Nr. 21, 22 und 23 (vom 25. Mai, 1. und 8. Juni) der Strelitzschen nützlichen Beiträge vom J. 1768 unter der Ueberschrift: "Einige bescheidene Zweifel gegen das neulich entdeckte und bekannt gemachte angebliche Pantheon der alten Rhedarier und Wenden in Meklenburg" ein anonymer Angriff gegen die Prillwitzer Alterthümer, als dessen Urheber der Pastor Sense zu Warlin genannt wurde. Sense bestreitet, wie er es nennt, die "Authenticität" dieser Idole, und leugnet, daß sie "Originalstücke" wären, will aber damit keineswegs etwa diese Alterthümer für untergeschoben und unächt erklären. Viel mehr focht er eigentlich nur die Bedeutung an, welche man, und namentlich Genzmer, diesen Alterthümern beilege. Um für die "Originalgötzen" gelten zu können, welche einst von den Wenden in ihren Tempeln, und namentlich zu Rhetra, angebetet worden, wären diese "Püppchen" viel zu winzig und stimmten durchaus nicht mit der Beschreibung überein, welche die Geschichtschreiber von ihnen gäben, die sie einstimmig von ungeheuerer Größe schilderten; durchaus unzulässig sei es daher, nach diesen Alterthümern die Ansichten berichtigen zu wollen, die man bisher von den Götzen der Wenden gehabt habe. Es sei nicht denkbar, daß man zu Rhetra den Radegast sollte in einer kleinen, nur 6 Zoll langen Puppe mit einem "Hundsgesicht" angebetet haben, während er von allen Geschichtschreibern "als ein Jüngling von schöner, reizender Gestalt und ernsthaften Mienen", wie es einem Helden zieme, beschrieben werde. Auch vermißt er in diesem angeblichen "Pantheon von Rhetra" die Göttin Siva, zumal da doch ein Messer mit ihrem Namen unter den Alterthümern sei; daß die Sieba sich wirklich unter ihnen befinde, war ihm also bei Besichtigung derselben ebensowohl entgangen, wie Genzmern. Uebrigens leugnet Sense durchaus nicht, daß diese Alterthümer zu Prillwitz (wohin auch er Rhetra verlegt) gefunden worden, "weil man daselbst öfters dergleichen ausgegraben habe", und noch im vorigen Jahre der Besitzer von Prillwitz dort eine Schale gefunden, "die einer ovalen Terrine gleiche". Höchts sonderbar indeß ist die Ansicht, welche er selbst von diesen Alterthümern hegt. Die "kleinen und sehr zierlich modellirten Bilder" hält er für "Uberbleibsel von der Beute welche die Wenden andern

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Völkern abgenommen" und hernach zu ihrem "Privatgottesdienste" gebraucht haben, die Idole aber für "unförmliche Copeien von ihren alten höchst beliebten Götzen", welche die Wenden in der Angst und Geschwindigkeit", als sie in den letzten Kriegen mit den Christen "die Originalgötzen vergraben oder versenket", von denselben gemacht, auf der Flucht mit umhergeführt, "nach Rhetra oder in die Gegend dieser Stadt gebracht und daselbst vergraben haben". Dieses, setzt er hinzu, ist das allerwahrscheinlichste, wirft aber selbst noch die Frage auf: ob diese Alterthümer nicht vielleicht "ein Vornehmer des Volks zu seinem Privatgötzendienste" könne gehabt haben, welche Frage er jedoch verneint, weil die herrschsüchtigen Götzenpriester dies nicht würden gelitten haben.

Dieses ist der wesentliche Inhalt des sehr confuse geschriebenen Senseschen Aufsatzes. Klar ist, daß von einem etwa mit diesen Alterthümern ihren Bewunderern gespielten Betruge ihm nicht das Geringste bekannt war. In den Strelitzschen nützlichen Beiträgen erschien keine Erwiderung gegen Sense, obgleich Genzmer eine solche sogleich aufgesetzt hatte. Wie aus einem spätern, bei den Neustrelitzer Acten befindlichen Briefe Maschens hervorgeht, war die Fortführung des Streites in diesem Blatte höhern Orts untersagt worden. Allein nun antwortete von Rostock aus Taddel, ohne Zweifel auf Pistorius Betrieb, auf Sense's Angriff, zu Anfang des J. 1769 in den Rostockschen gemeinnützigen Aufsätzen. Nachdem er die zum vorigen Capitel mitgetheilte Pistorius=Hempelsche Beschreibung in der ausdrücklich ausgesprochenen Absicht vorausgeschickt, um sie bei Beantwortung der Senseschen Einwürfe zu Grunde legen zu können, folgte nun am 19. April 1769 in Nr. 16, 17, 22, 23 von ihm eine "Ehrenrettung" der Prillwitzer Alterthümer wider die von Sense "eingewandten Zweifel". Taddel weiset Sensen manche Widersprüche und unerwiesene Behauptungen nach; bemerkt in Betreff der Kleinheit der Prillwitzer Idole, daß, wenn die Wenden auch zum Theil in ihren Tempeln sehr große Götzenbilder verehrt hätten, es doch auch nicht unwahrscheinlich sei, daß anderer Orten die Bilder dieser Götzen auch im Kleinen wären anzutreffen gewesen; entschuldigt die Ungeschicklichkeit ihrer Bildung durch ihr hohes Alterthum und hält es nicht für unwahrscheinlich, daß die geschickter modellirten Bilder wirklich von fremden Nationen, wie den Römern und Griechen, entlehnt wären. Sowohl zu Anfange, als zum Schlusse weiset er auf die "aus Neubrandenburg [von Pistorius] versprochene vollständige und wichtige Abhandlung" hin, welche über diese Alterthümer hinreichendes Licht verbreiten werde, und erwähnt dazu in einer Anmerkung, wie der Prinz Karl von Meklenburg=Strelitz ein so großes Wohlgefallen an diesen

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Alterthümern gefunden habe, daß er sie durch den Hofmaler Woge habe zeichnen lassen, und nicht abgeneigt sei, sie auch in Kupfer stechen zu lassen, von welchen Kupferstichen dann die Abhandlung des Pistorius würde begleitet werden.

Pastor Sense entgegnete unter dem 18. October 1769 in Nr. 42 und 43 der Rostockschen gemeinnützigen Aufsätze auf die Taddelsche Ehrenrettung. Er hält sich zunächst über die so sehr von einander abweichenden Beschreibungen dieser Alterthümer auf: "So groß die Verschiedenheit dieser Alterthumsstücke ist, welche doch zu einem Pantheon eines Volks gehören sollen: so sehr sind auch die vielen Beschreibungen davon verschieden. Man darf sich nur erinnern, wie dieselben in dem hamburgischen Correspondenten, dem altonaischen Mercur und den eben gedachten rostockischen Aufsätzen sind geschildert worden: so wird die Frage entstehen: Welcher von diesen gelehrten Herren hat sie aus dem rechten Gesichtspunkte betrachtete und welcher ist frei von Parteilichkeit? Freilich! Wo der Patriotismus redet, da wird auch die Herrschaft der Eigenliebe kennbar. Die Tradition von der Entdeckung dieser Alterthümer ist so unschuldig nicht. Es sei aber, wie es sei, diese Alterthümer sind da etc. ." Sense bleibt dabei, die "Authenticität dieser Götzen als wesentlicher Originalstücke" zu bestreiten, und will sie durch diese Bezeichnung von "untergeschobenen und vermeinten Originalstücken" unterscheiden. Denn die eben erwähnte sonderbare Hypothese über den Ursprung der Prillwitzer Idole scheint er jetzt wieder fahren zu lassen und schreibt: Sind die Wenden so geschickt gewesen en migniature recht künstlich zu modelliren, warum so ungeschickt in größern Stücken? Haben sie mehr Kunst verschwendet an Neben= oder Hausgöttern, warum haben sie nicht für die zierliche Ausbildung ihrer großmächtigen Hauptgötter mehr Sorge getragen? Weil nun das erstere seine Richtigkeit hat, so wie das letztere unleugbar ist, daß nämlich die erstem sehr fein und sauber modelliret sind, die letztern aber nur schlechtweg, ja gar grob: so ist und bleibt es höchst wahrscheinlich, daß die ganze Sammlung von gegossenen Figuren mehr ein Mischmasch von allerlei alten Bildern; und die neuern Zierrathen hat der Vater der bisherigen Besitzer derselben, als ein Goldschmied, sich vielleicht auf seiner Wanderschaft gesammelt oder abgegossen und sich zu seinem künftigen Gebrauche und Nachbildung aufgehoben; als ein Pantheon der Hauptgötter eines so großen Volkes ist".

Nun trat endlich Genzmer selbst gegen Sense in die Schranken. Am 2. Mai 1770 erschien in Nr. 18 bis 21 der Rostockschen gemeinnützigen Aufsätze aus Genzmers Feder eine "anderweitige Beantwortung der Einwürfe des Herrn Pastors

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Sense zu Warlin", von welcher auch ein Separat=Abdruck existiren soll. Genzmer sagt, daß er diesen Aufsatz großen Theils schon gleich nach Bekanntmachung der Senseschen Einwürfe niedergeschrieben, seine Veröffentlichung aber nicht für nöthig gehalten habe, weil Taddel in der Ehrenrettung Sense's Einwürfe der Hauptsache nach hinlänglich widerlegt habe. Nachdem aber Sense "diese Alterthümer in einem fast allzu lebhaften Tone bestritten, grade als wenn er Recht übrig hätte", und Taddel sich dahin erklärt habe, ihm das letzte Wort zu lassen: so habe er (Genzmer) sich endlich entschlossen, seinen Aufsatz drucken zu lassen, zumal da mehrere Gelehrte, die denselben gesehen, ihn darum ersucht hätten. Er führt nun den Sense'schen Angriss auf 9 Hauptpunkte zurück, die er zum Theil genügend beantwortet, am wenigsten aber freilich in dem befriedigt, was er zur Rechtfertigung der Kleinheit der Idole sagt. Besonders entschuldigt er auch, daß der Radegast nicht, wie in den bisherigen Abbildungen, nackt, sondern bekleidet dargestellt sei. Bemerkenswerth ist auch, was er in Bezug darauf, daß Sense in diesem angeblichen Pantheon der Wenden doch manche Gottheiten dieser Nation vermisse, sagt: "Und endlich, wenn denn nun auch in dieser Sammlung einige Gottheiten fehleten, selbst von denenjenigen, deren Namen auf den Opfergeräthen stünden: so beliebe man sich zu erinnern, daß diese gesammten Alterthumsstücke, nach den an ihnen allen befindlichen Merkmalen ehedem einen starken Brand ausgestanden haben, bei welchem leichtlich ein und anderes Stück, wenns in starken Flammen gerathen wäre, gar zerschmelzen können; theils, daß von deren ehemaligen Besitzern bereits einige Puppen (die letztern Besitzer wissen nicht eigentlich zu sagen, wie viel?) beim versuchten Scheiden der Metalle, woraus sie bestehen, eingeschmolzen sein; theils endlich, daß die letztern Besitzer und Verkäufer vielleicht und vermuthlich noch einige Stücke für sich behalten haben und noch verhehlen, wovon aber aus ihnen, als sehr geheimnißvollen Leuten, nichts herauszubringen ist". - Am wichtigsten für unsern Zweck ist der Schluß seines Aufsatzes, in welchem er auf Sense's Entgegnung gegen Taddel zu sprechen kommt, und sich folgendermaßen vernehmen läßt: "Die neuen Einwendungen, welche der H. Past. Sense wider die Taddelsche Ehrenrettung dieser Alterthümer ins 42 und 43ste Stück der Rostockischen gemeinnützigen Aufsätze des 1769sten Jahres einrücken lassen, erfordern um so viel weniger eine anderweitige umständliche Beantwortung und Erörterung, je weniger Neues er darinnen zur Bestreitung dieser Alterthümer vorgebracht, sondern vielmehr nur einige von den schon beantworteten Einwürfen höchstens mit

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andern Worten wiederholet, und mit einigen Anzüglichkeiten und kleinen Spöttereien durchwebet, und, seiner Meinung nach, geschärfet hat. Dahin gehöret unter andern, daß er die Tradition von der Auffindung dieser Alterthumsstücke für so gar unschuldig eben nicht will gelten lassen; 8 ) daß er von eigennützigen Absichten des jetzigen Herrn Besitzers [des Dr. Hempel] redet; 9 ) daß er sie für untergeschobene und vermeinte Originalstücke erkläret; 10 ) daß er eine capitolinische Gans als recht wohl auf einen Hundskopf passend ansiehet u. s. w.". - "Die Verschiedenheit aber, welche in den dreien Beschreibungen dieser Alterthümer in dem Hamb. Correspondenten, in dem Altonaischen Merkur und den Rost. gem. Aufs. vorwaltet, und worüber er sich gleich anfänglich so sehr beschweret, sich auch recht viel darauf zu gute thut, ist theils offenbar von ihm übeltrieben, theils war solche gewisser Massen unvermeidlich, weil die mittlere nur aus flüchtigem Anblicke der Alterthümer, die erstere zwar aus näherer Betrachtung, doch aber nur vorläufig und eilfertig entworfen, die dritte hingegen aus eben derselben Feder, doch bei mehrerer Muße und nach genauerer Untersuchung hergeflossen ist; theils endlich rühret sie auch daher, daß nicht immer einerlei Zahlen in Bezeichnung der einzelnen Stücke gebrauchet worden. Sonder Zweifel aber ist die letztere Beschreibung aus angeführter Ursache die genaueste und zuverlässigste; außer, daß der Augenschein bei Betrachtung der Originalien oder den getreulich in Kupfer gebrachten Abbildungen wird entscheiden müssen, ob Hunds= oder mit Haaren stark bewachsene Menschengesichter an den beträchtlichsten Figuren sich finden."

Sense hatte zwar am Schlusse seiner Vertheidigung verheißen, in dieser Streitsache seine Feder nicht wieder anzusetzen. Allein er konnte es doch nicht lassen, in Nr. 37 und 38 der


8) "Man würde sich sehr irren, wenn man daraus schließen wollte, Hr. Past. S. habe Nachricht, daß die Alterthumsstücke wirklich untergeschoben und von einem neuern Künstler betrüglich nachgemacht wären. O nein! so arg ists nicht gemeinet, sondern die ganze Sache betrifft nur eine variantem lectionem. Er bat nur in Erfahrung gebracht, daß solche theils auf eine andere Weise, als die in den Rost. gem. Aufs. bei Beschreibung derselben vorgebrachte Tradition lautet, durch Verkauf an den ehemaligen Neubrandenburgischen Goldschmied Pählken von Prillwitz nach Neubrandenburg gekommen sein; theils aber, daß dieser schon einige Puppen eingeschmelzet habe; welches beides doch in der Hauptsache gar nichts ändert." Genzmer.
9) "Wer dessen Hang nach Seltenheiten von allerlei Art kennet, der wird auch leichtlich begreifen, daß es ihm um die Verkaufung dieser Alterthümer, auch selbst mit merklichem Vortheile und ansehnlichem Ueberschusse über die von ihm bezahlte Summe, so recht sehr eben nicht zu thun sei." Genzmer.
10) "Er hats aber so wenig hier bewiesen, als in dem ersten Angriffe Dieser ganze Groll rühret daher, weil die Götzenbilder nicht so groß und nicht von Golde waren, als er anfänglich gemeinet. Jener reisende Engländee, der zu Frankfurth a. M. sich die güldene Bulle wollte zeigen lassen, ward auch böse, als man ihm ein Buch vorwies, und glaubete, daß man ihn zum Besten haben wolle; weil er eine vorzügliche goldene Größe zu sehen hoffete." Genzmer.
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Rostock, gemein. Aufsätze vom J. 1770 unter dem Titel "Lob alter Original=Götzen wendischer Nation" einen Aufsatz einrücken zu lassen, der kaum verständlich ist, aber offenbar satyrisch sein soll, und wohl vorzugsweise auf Genzmer gemünzt ist; zur Sache enthält er übrigens nichts. Genzmer überlebte diese Fehde nicht lange; er starb im 55. Lebensjahre am 20. April 1771.


Die gottesdienstlichen Alterthümer der Obotriten, erläutert vom Superintendenten Masch, und dessen Gegner.

Schon oben, aus Taddels Ehrenrettung, haben wir erfahren, wie der Prinz Karl (Bruder und Nachfolger Adolf Friedrichs IV., der im J. 1816 verstorbene erste Großherzog von Meklenburg=Strelitz) an den Prillwitzer Alterthümern ein so großes Wohlgefallen gefunden, daß er sie durch den Hofmaler Woge habe malen lassen, und auch nicht abgeneigt sei, sie in Kupfer stechen zu lassen. Damals sollte noch Pistorius der Commentator zu diesen Kupfern sein; allein Genzmer scheint in seiner "anderweitigen Antwort" schon auf einen andern Commentator, nämlich den Superintendenten Masch, hinzudeuten. Der Hofmaler Woge, der Herausgeber des bekannten Kupferwerkes, versichert in der Vorrede, daß auf seine Bitten Masch sich entschlossen habe, seine Zeichnungen "mit einem gründlichen Commentare zu begleiten"; Masch selbst gesteht, 11 ) daß er bereits den Anfang mit dieser Arbeit gemacht, noch ehe Woge ihm einen Antrag deshalb gethan; sein Schwiegersohn Rudolphi hat später in der Gratulationsschrift zu Maschens fünfzigjährigem Amtsjubiläum behauptet, daß Masch "auf Befehl" des Prinzen Karl diesen Commentar geliefert habe. Es kann sein, daß man Masch mehr die Befähigung dazu zutraute, als Pistorius, der mit dem im J. 1768 erschienenen ersten Artikel seiner Meklenb. Adelsgesch., dem Geschlecht von Warburg, kein besonderes Glück gemacht zu haben scheint, denn die Fortsetzung des Werks unterblieb. Genug, Masch, dieser in der Theologie schon viel versuchte Schriftsteller, begab sich nun auf das Feld der Dämonologie. In Nr. 10. der


11) "Ich ließ, schreibt Masch in der Vorrede, hiesige Gelehrte über den Werth und Unwerth dieser ihnen selbst fast gänzlich unbekannten Alterthümer Schriften wechseln: und bemühete mich, diejenigen Nachrichten zu sammeln, welche ich hier vor Augen lege. - Der Anfang meiner Arbeit war bereits gemacht, wie der Herr Woge mir den Autrag that, daß ich ihm meine Ausarbeitung als eine Beschreibung zu den Kupferstichen überlassen möchte. Ich willigte hierin gar gerne."
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Strelitz. nützlichen Beiträge erfolgte schon, vom 19. Mai 1770 datirt, durch Woge die Aufforderung zur Subscription auf das intendirte Werk, und die Nummer vom 18. Juli d. J. brachte schon einen Probeartikel aus Maschens Commentar.

Inzwischen hatte Masch in Erfahrung gebracht, daß in der Sponholtzschen Familie noch mehrere Alterthümer aus dem Prillwitzer Funde zurückgehalten würden, welchen Umstand auch Genzmer in der "anderweitigen Beantwortung" angedeutet hatte. Masch suchte sich nun vor allen Dingen in den Besitz dieser Alterthümer zu setzen. Er schreibt darüber in der Vorrede: "Unterdessen blieb allezeit der Gedanke übrig, daß bei dem Herrn Sponholtz in Neubrandenburg noch mehrere Alterthümer verborgen sein möchten. Der Herr Dr. Hempel, dieser große Freund von dergleichen Seltenheiten der Kunst sowohl als der Natur, wandte sein äußerstes an, sie zu entdecken. Es war aber Alles vergebens. Mir glückte es endlich im abgewichenen Sommer bei einer dahin angestellten Reise, zuerst einige Stücke und bald hernach auch die übrigen auf gewisse Bedingungen zu erhalten". Diese Bedingungen giebt er weiterhin so an: "der andere Theil (der Alterthümer), welchen der Herr Sponholtz, der ehemalige Besitzer dieser ganzen Sammlung, meinen Händen anvertraut hat, ist mir mit dem Versprechen übergeben, daß ich jederzeit den Vorkauf haben solle. Auf diese Bedingung habe ich sie in Verwahrung erhalten. Ich verfahre so aufrichtig, daß ich dieses öffentlich bekannt mache, um zu erfahren, ob sich jemand findet, welcher diesen Rest zu kaufen Lust hat? Findet sich niemand, so werde ich mit demselben in eine nähere Unterhandlung treten".

Die hier erwähnte Reise Maschens nach Neubrandenburg muß im August 1770 stattgefunden haben. Er hatte bei dieser Gelegenheit die Aufmerksamkeit, das Manuscript seines Commentars an Pistorius mitzutheilen, der es ihm am 24. August mit einem höflichen Schreiben zurücksandte. 12 ) Folgende Tags


12) Dies Schreiben ist bei den Schweriner Acten befindlich. Es beginnt: "Ich danke aufs gehorsamste für geneigte Mittheilung des MSti. von unsern Alterthümern, und bezeuge meine aufrichtige Bewunderung der erstaunenden Bemühung, welche Ew. Hochwürden auf Lesung der hierin einschlagenden Schriftsteller verwendet haben, mit dem Wunsche, daß Dieselben völlige Muße bekommen mögen, dieses Werk bald zum Ende zu bringen". Dann äußert Pistorius sein Bedenken, ob anzunehmen sei, daß die Ostsee, wenn sie mit der Tollense wirklich in Verbindung gestanden, in einem Zeitraum von etwa 200 Jahren so gefallen sein solle, daß Prillwitz, Neubrandenburg und Friedland hatten angelegt werden können; Pistorius muß also damals an der Rhetra = Prillwitz Hypothese selbst wieder zweifelhaft geworden sein. Er fährt dann fort: "Das Vorurtheil von unsern Alterthümern in England ist spaßig genug. Da dem Vernehmen nach unser Herr Doct. Nugent anjetzo wiederum in hiesiger Gegend ist, so wird sich dadurch Gelegenheit finden, das kleine Versehen in Bekandtmachung der Vertheidigungen wieder gut zu machen. Ich will hoffen, daß dieser Freund unsern kleinen Ort doch wiederum (  ...  )
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berichtete auch der Pastor Stock aus Neubrandenburg über den Verlauf der Unterhandlungen mit dem Goldschmiede Sponholtz, die bei Maschens Anwesenheit noch nicht zum Schlusse gekommen waren, in einem bei den Schweriner Acten befindlichen Schreiben: "Von Herr Sponholtzen habe ich ein groß Compliment zu versichern. Er verspricht es mit allem Ernst zu betreiben, daß er mit Dr. Hempel auseinander komme, und Ew. Hochwürden dadurch in den Stand gesetzt würden, freyer zu handeln. Indes trägt er jetzt noch Bedenken die Stücke zu veräußern. Er glaubt, wenn sie erst durch den Abdruck bekannt gemacht würden, daß sich alsdenn auch raisonable Liebhaber finden möchten. Tempus docebit. Doch ließ er sich zugleich mercken, daß es wohl am besten sein würde, wenn sein Nahme verschwiegen bliebe und Ew. Hochwürden es lediglich auf sich nähmen. Ich sehe aber nicht, daß dies füglich angehn wird. Inzwischen will ich mir's angelegen seyn lassen, daß künftige Woche die Sache mit Dr. Hempel vorbey sey". Etwas mehr Licht über diese Angelegenheit verbreitet ein noch im Brouillon vorhandenes Schreiben des Goldschmiedes Sponholtz an Dr. Hempel vom J. 1774, welches mir kürzlich mit mehreren Sponholtzschen Papieren zu Handen gekommen ist. Dr. Hempel stand bereits im Handel mit Sponholtz und hatte schon wieder einen "Götzen" empfangen, als Masch dazwischen trat. Nun hatte zwar Hempel die in seinem Besitze befindlichen Alterthümer von Sponholtz für 100 Thaler gekauft, aber über diese Summe im Antoni=Termin 1768 nur einen Wechsel gegeben, den Hempel noch nicht eingelöst hatte; 13 )


(  ...  ) mit seinem Besuche beehren wird, und ich bitte ergebenst, Ihm gelegentlich meine große Empfehlung zu machen". Welches Vorurtheil in Bezug auf die Prillwitzer Alterthümer in England stattfand, vermag ich freilich nicht näher nachzuweisen. Von der zweiten Anwesenheit Nugents in Deutschland spricht auch Heynatz in der Vorrede zum fünften Theile der Buchholtzschen Geschichte der Kurmark und erwähnt, daß man ihn überall sehr kühl aufgenommen, weil man die Beschreibung seiner ersten Reise zu indiscret gefunden habe.
13) Noch im J. 1775 hatte Hempel seinen Wechsel nicht eingelöst und Sponholtz, dessen Anwalt in dieser Sache Pistorius war, verklagte nun wegen dieser Forderung Hempeln bei der Justizcanzlei in Neustrelitz. Hempel wollte den erwähnten Wechsel nebst andern Forderungen Sponholtzens durch Gegenforderung für ärztliche Bemühungen (228 1/2 Thlr. Gold auf 6 Jahre) quitt machen. Es fehlte von beiden Seiten nicht an den gehässigsten Beschuldigungen. So schreibt Sponholtz in dem erwähnten Briefe: "Ob es übrigens himmelschreyend teufflisch und vollenkommen jüdisch gesinnet sey", daß ich die nur von Herzogl. Canzley de dato 12. Oktob. 1772 zuerkannten 34 Thlr. verlange, oder ob es christlicher, für Alterthums=Stücke viehleicht nach 6 Jahren, was uns gefäldt, etwa 140 Thlr., zu geben, da wir schon so lange 300 Thlr., einen kleinen Prosidt! eingefasst, will ich itzo nicht untersuchen, sondern empfehle es Ew. Wohlgeboren zu entscheiden". Hempel erkannt es an, daß er "die aufgeführten 100 Thlr. für einige ihm überlassene metallene Figuren, welche alte Götzen vorstellen, schuldig geworden sei", und erklärte: "die metallenen Figuren, in Ansehung deren ich den Wechsel ausgestellet, gehörten Mutter und Brüdern gemeinschaftlich". Da jedoch in dem Wechsel keine Zahlungsfrist bestimmt war, so wurde Sponholtz mit seinem Antrage auf einen processus executivus gegen Hempel von der Justiz=Canzlei abge= (  ...  )
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dagegen der "reisenable Herr Superintendent", wie Sponholtz schreibt, erbot sich, für weit weniger Stücke weit mehr und zwar sogleich zu geben, als Hempel für weit mehr Stücke noch immer schuldigte. Doch schlug Sponholtz dem Superintendenten Masch noch nicht sogleich zu, sondern verlangte, daß die Stücke öffentlich sollten ausgeboten werden; und wenn dann von irgend woher ein höheres Gebot erfolgte, so sollte Masch wenigstens den Vorkauf haben.

Dem zu Folge erschien denn vom 8. September 1770 datirt eine 10 Quartseiten starke zweite Subscriptions=Anzeige bei Rellstab in Berlin, worin alle Stücke der nunmehr aus 68 Nummern bestehenden Sammlung aufgeführt und die von Sponholtz an Masch überlassenen 22 Stücke durch ein Sternchen kenntlich gemacht waren, ob sich vielleicht noch ein mehr bietender Käufer zu ihnen finden möchte. Ich habe diese gedruckte zweite Subscriptions=Anzeige noch nicht gesehen, 14 ) finde aber bei den Schweriner Acten eine von Maschens Hand geschriebene Anzeige, welche offenbar noch früher aufgesetzt ist, als Sponholtz jene Bedingung stellte. Es heißt darin: "Bei Bekanntmachung des Avertissements waren nur erstlich 45 Stücke bekannt. Da aber die Familie, welche die Alterthümer gefunden und bisher wegen ihres innerlichen Werthes geheim gehalten, sich die Alterthümer getheilet: so hat man jetzt noch 23 Slück entdeckt und erhalten, welche eine neue Zeichnung und Bearbeitung erfordern". Hier zählt Masch zu den 22 Stücken, welche er von Sponholtz erhalten, noch den "Götzen" hinzu, welchen bereits Hempel acquirirt hatte. Es sind aber diese 23 Stücke, welche jetzt zu den 45 Nummern der Pistorius=Hempelschen Beschreibung noch hinzu kamen, folgende in dem Woge=Masch'schen Kupferwerke: 1 und 2, der nackte große Radegast in 2 Exemplaren §. 61. - 3 und 4, der nackte kleine Radegast in 2 Exemplaren §. 71. - 5, Nemisa §. 118. - 6, Zislbog §. 125. - 7, Asri §. 153. - 8, der Götze ohne Namen §. 170. - 9, die Stange mit 6 Köpfen §. 186. - 10, die Opora mit der griechischen Inschrift §. 195.


(  ...  ) wiesen und ihm aufgegeben, das Capital zuvor zu kündigen. Dies muß aber nicht geschehen sein, denn nach Hempels im J. 1804 erfolgtem Tode machten die Gebrüder Sponholtz noch einmal diese Wechsel=Forderung gegen Hempels Erben geltend, haben aber schwerlich etwas erhalten. (Nach den Acten aus der Großherzogl. Justiz=Canzlei.) - Uebrigens war der erwähnte Wechsel nur für die zuerst vom Goldschmied Jacob Sponholtz an Hempel überlassenen (im 1. Genzmerschen Sendschreiben beschriebenen) Alterthümer ausgestellt; die im 2. Genzmerschen Sendschreiben beschriebenen 10 Stück Alterthümer erhielt Hempel von dem jüngsten Bruder des Goldschmiedes, und überließ ihm dafür eine Conchilien=Sammlung. (Nach denselben Acten.)
14) Ich kenne sie nur aus einer Recension Ludw. Giesebrechts in Schmidt's Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1844, 2. Bandes zweites Heft, S. 169.
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- 11, der Götze mit der Krebsscheere §. 197. - 12, der Friedensstab §. 227. - 13, der Opferteller des Radegast §. 243. - 14, der Opferteller des Podaga §. 246. - 15, die gemeinschaftliche Opferschale §. 251. - 16, die Opferschale des Radegast §. 254. - 17, die Opferschale des Zernebocg §. 263. - 19, das Opfermesser des Radegast §. 265. -20, das Opfermesser des Podaga §. 267. - 21, das Opfermesser der Sieba §. 269. - 22, das Opfermesser des Zernebocg §. 270. - 23, das Opfermesser des Swantewit §. 271.

Masch erreichte nun auch die schon länger gehegte Absicht, die Hempelsche Sammlung, und zwar, wie wir oben Anm. 13 vernommen, für 300 Thlr., an sich zu bringen, und so mit den übrigen von Sponholtz vorläufig erwordenen wieder zu vereinigen. Er schreibt darüber in der Vorrede: "Der eine Theil derselben ist bisher in den Händen des Hrn. Dr. Hempel, eines Gelehrten, der sie kennet und schätzet, aufbewahret worden. Hier waren sie freilich sicher. Allein, was nur in Privathänden ist, ist mancherlei Zufällen unterworfen. Die Sammlung, welche in der That die einzige ihrer Art ist, schien mir zu wichtig, als daß ich nicht hätte darauf denken sollen, wie man selbige in Sicherheit bringen möchte, daß sie keiner Zerstreuung unterworfen würde. Hiezu schien mir der einzige Weg zu sein, daß man sie an einem öffentlichen Orte aufstelle. Nach einer freundschaftlichen Unterhandlung ist der Hr. Dr. Hempel diesem Vorschlag beygetreten, und hat derselbe mir seine Sammlung für einen billigen Preis käuflich überlassen, mit der Bedingung, daß sie öffentlich aufgestellet werde. Dieses soll auch geschehen, und da wir jetzo in Neubrandenburg hiezu noch keine Gelegenheit haben, so werden diese Alterthümer so lange auf der zwar nur neu angelegten, aber bereits sehr ansehnlichen öffentlichen Bibliothek der Domkirche in Ratzeburg 15 ) aufgestellet werden, bis sich in Neubrandenburg, wie ich hoffe, hiezu eine ähnliche Gelegenheit darbieten wird". Doch währte es noch einige Jahre, bis die vereinte Sammlung nach Ratzeburg übergesiedelt und dort aufgestellt ward. Noch im J. 1774 schreibt Masch in den Beiträgen zur Erläuterung der Obotrit. Alterthümer S. 13 Anm. 10: "Mein Urtheil von der Verfertigung der Götzenbilder gründet sich auf den Augenschein. Da ich sie seit einigen Jahren in Händen und verschiedene in Metall abgegossen habe, 16 ) so kann ich gewiß behaupten, daß


15) Aus den reichen Fonds der Ratzeburger Domkirche wurden die Alterthümer auch bezahlt. Gratulationsschrift zu Maschens Jubiläum S. 19.
16) Zu diesen von Masch abgegossenen Idolen gehört ohne Zweifel der zu Neustrelitz in der sogenannten Rudolphischen Sammlung befindliche große nackte Radegast.
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sie in Handformen, die nur aus zwei Platten bestanden, abgegossen sind".

Erst um die Mitte des folgenden Jahres 1771 17 ) erschien nun endlich das bekannte Woge=Masch'sche Kupferwerk über die Prillwitzer Alterthümer. Masch theilt darin die Tradition über die Auffindung derselben nach genaueren Erkundigungen S. 3 also mit: "Die ganze Sammlung der noch vorhandenen Alterthümer, nebst einigen Stücken, welche bereits auf eine unersetzliche Art verlohren sind, ist in Prilwitz gefunden worden, und zwar nicht auf dem alten Schloßberge, welcher jetzo mitten im Dorfe lieget, sondern an der Nordseite des Berges nicht weit von dem Ufer der Tollense. Zwey metallene hohle Gefäße oder Grapen haben die ganze Sammlung in sich gefasset. Der eine ist aufrecht gestellet gefunden, und hat die Alterthümer in sich enthalten; der andere ist anstatt des Deckels darüber geleget, damit keine Erde hinein fallen könne. Auf den Grapens oder auf den Opferkesseln sind viele runische Schriften gewesen. An die zwey Centner altes Eisengeräthe hat man neben den beiden Kesseln in der Erde gefunden. Dieser Umstand beweiset deutlich, daß die ganze Sammlung mit Sorgfalt und gutem Vorbedachte vergraben worden. Die Zeit, wann diese Entdeckung geschehen, lässet sich nicht so genau beschreiben, indem der gefundene Schatz eine Zeit lang verhehlet worden. Indessen ist es gewiß, daß es im vorigen Jahrhunderte geschehen, in der Zeit von 1687 bis 1697, in welcher Zeit der Herr von Gamm das Dorf Prilwitz besessen. Der zu der Zeit lebende Pastor Friedrich Sponholtz, welcher 1697 im December gestorben, hat die Entdeckung gemacht. Der Pfarrgarten stößt an die Nordseite eines hohen Berges, der gegen Osten mit einem steilen Ufer an die See grenzet, jetzo aber abgetragen ist, und zur Erhöhung des adelichen Gartens gebrauchet worden. Da nun der Pastor einen Baum in seinen Garten eingraben wollen, und das Ufer gegen den Berg etwas abgestochen, sind diese Schätze entdecket und in Verwahrung genommen. Ob der Herr von Gamm solches zu der Zeit erfahren, ist ungewiß, indessen ist es doch nicht ganz unbekannt geblieben, sondern es hat sich davon ein Gerüchte verbreitet, welches aber geglaubet und bestritten, und niemals untersuchet worden. Wie der Pastor Sponholtz 1697 im Herrn entschlafen, hat die Wittwe während des Gnadenjahres sämmtliche Alterthümer, nebst den beiden Opferkesseln und Eisengeräthe, an den Goldschmidt Paelcke in Neubrandenburg verhandelt. Hier ist das Eisengeräthe verbrauchet die beiden Opferkessel


17) Die Vorrede Woge's ist vom 5. Mai 1771 datirt.
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sind zum Glockengusse gegeben worden, wie in Neubrandenburg eine neue Glocke gegossen worden. Die eigentlichen Heiligthümer aber sind, wo nicht alle, doch größtentheils erhalten worden. Der Goldschmidt Sponholtz in Neubrandenburg, ein Großvaterbruder=Sohn des Pastors Sponholtz zu Prillwitz, ward ein Schwiegersohn des Goldschmidt Paelcken in Neubrandenburg 18 ) und erhielte diese Sammlung durch die Erbschaft von seinem Schwiegervater. In den Händen der jetzigen Frau Wittwe Sponholtzen, gebohrnen Paelcken, und ihres Sohnes, des jetzigen Herrn Sponholtz, eines Goldschmiedes in Neubrandenburg, sind diese Schätze bisher geblieben. Ein Stück, wo nicht mehrere, und vermuthlich der Prove, ist in vorigen Zeiten eingeschmolzen, damit man einen Versuch mache, ob etwas edles Erzt herauszubringen wäre. Es ist aber der Versuch so abgelaufen, daß man es für besser gehalten, die Alterthümer unverletzt zu erhalten. - Ich führe aber diese sämmtlichen Umstände so weitläufig an, um den Verdacht einer Erdichtung abzulehnen". 19 )

Auch die Frage wegen der Aechtheit der Alterthümer berührt Masch mehrere Male, doch nur im Vorbeigehen, weil ihm die von Sense augeregten Zweifel daran zu geringfügig erschienen. "Man hat sich Mühe gegeben, schreibt Masch S. 24, "diese Alterthümer, nachdem man sie etwa ein paarmal flüchtig und obenhin angesehen, 20 ) für unächt oder für unerheblich zu erklären." Er bemerkt dagegen S. 38: "Wären es Puppen, die ein Künstler in neuerer Zeit gebildet, würden sie gewiß in einem ganz anderen Geschmack sein", und S. 41: "Gesetzt, es hätte ein Künstler diese Figuren gebildet, um einen Betrug zu spielen, so würde er doch entweder keine Runen darauf gestochen haben,


18) Am 21. April 1697, also noch vor dem Absterben des Pastor Sponholtz zu Prillwitz, hatte Maria Pälcke, Tochter des im J. 1715 zu Neubrandenburg verstorbenen Bürgermeisters Andreas Pälcke, den Bruder des Pastors Sponholtz, den Schmiede=Altermann und Kämmerer zu Neubrandenburg, Jürgen Sponholtz, geheirathet. Ihr Bruder war der Goldschmidt Johann Pälcke zu Neubrandenburg. Am 24. August 1726 kamen der Kämmerer Jürgen Sponholtz und der Goldschmied Johann Pälcke beim Herzoge um Dispensation zur Heirath von Sponholtzens ältestem Sohne, dem Goldschmiede Andreas Sponholtz, mit Pälckens einziger Tochter Johanna ein. Die Dispensation wurde ertheilt und die Heirath vollzogen. Der älteste Sohn aus dieser Ehe war der Goldschmied Sponholtz, von dem Hempel und Masch die Alterthümer erwarben. Siehe unten den Sponholtzschen Stammbaum. F. B.
19) "Alle diese Nachritten beruhen auf eine sorgfältige Erkundigung bei jetzo noch lebenden Personen, als dem Herrn Sponholtz und dessen Mutter. Die Frau Pastorin zu Badresch, verwittwete Heroldten, ist eine noch lebende Tochter der Wittwe, welche diese Alterthümer nach Neubrandenburg verkaufet hat, und weiß es sich gleichfalls zu erinnern, daß sie in der Jugend es gehöret, daß man bey dem Einpflanzen eines Baumes allerley Metallwerk in dem Pfarrgarten zu Prilwitz gefunden habe." Masch.
20) Hiemit zielt Masch wohl ohne Zweifel auf Sense. Auch Woge in der Vorrede schreibt: "vollends die Authenticität und ächte Beschaffenheit dieser sämmtlichen Alterthumsstücke von einem und dem andern bezweifelt werden wollte: so entschloß ich mich" etc. .
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oder, wenn er auch auf diesen Einfall gerathen wäre, hätte er doch die ausländischen und erstorbenen Sprachen unmöglich kennen können. Welcher Goldschmidt kann wendisch, gothisch und griechische?"

Auch Masch blieb nicht ohne Gegner. Der erste war der Hallesche Professor Joh. Thunmann in seinen "Untersuchungen über die alte Geschichte einiger nordischer Völker, Berlin 1772", deren vierte das Masch'sche Werk ausführlich scharf kritisirte. Aber diese Kritik beschränkte sich hauptsächlich nur auf die historischen und mythologischen Hypothesen und Erläuterungen Maschens, so wie auf seine Deutung der Runen=Legenden; gewiß nicht mit Unrecht warf er in dem letzten Punkte Maschen große Willkürlichkeit vor, der in diesen Runen=Legenden bald wendische, bald gotische, bald griechische Worte erblickte. Die Aechtheit der Prillwitzer Alterthümer bezweifelte übrigens Thunmann nicht. - Noch fataler für Masch war der zweite Angriff, welcher durch das im J. 1773 zu Bützow im Druck erschienene "Rhetra und dessen Götzen, Schreiben eines Märkers an einen Mecklenburger über die zu Prillwitz gefundenen Wendischen Alterthümer", geschah, denn in demselben wurden die beiden vornehmsten Hypothesen Maschens, daß diese Götzen wirklich aus dem Tempel zu Rhetra wären, und daß Rhetra auf der Stelle des Dorfes Prillwitz gestanden habe, - für nicht erwiesen angesehen, und der Gegenbeweis versucht. Es wurde für unmöglich erklärt, daß im 11. und 12. Jahrhunderte noch, wie Masch behaupte, der "See Tollense ein Theil oder Binnenwasser der Ostsee gewesen, wovon noch die Verbindung des Sees mit dem Haff und der Ostsee vermittelst des Stromes Tollense und der Pene übrig sei", weil schon in Urkunden Karls des Großen und Otto's des Großen die Peene als ein Fluß, der zur Ostsee ströme, erwähnt werde; unmöglich könne also die Tollense, welche in die Peene falle, damals ein Binnenwasser der Ostsee gewesen sein, sondern müsse auch damals schon einen nicht viel höheren Wasserstand gehabt haben, als sie noch heutiges Tages habe. Daß aber Prillwitz nicht auf der Stelle von Rhetra liegen könne, wurde aus der im J. 1170 ausgestellten Stiftungsurkunde des Klosters Broda bewiesen; in dieser würden die Dörfer Broda, Wustrow und Prillwitz an der Tollense aufgeführt, und es sei undenkbar, daß bereits wenige Jahre nach dem Zeitpunkte, welchen Masch als den der Zerstörung Rhetra's annehme, hier ein wendisches Dorf solle gelegen haben. Eben so wenig folge aus dem Auffinden der mit der Inschrift "Rhetra" versehenen Idole, daß dieses auf der Stelle von Prillwitz, wo sie gefunden worden, gelegen habe. Gesetzt auch sie wären wirklich aus dem Tempel zu Rhetra, so

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könnten sie hier in weiterer Entfernung (der Verfasser nimmt an, Rhetra habe an der Müritz gelegen) auf der Flucht ins pommersche Gebiet, zu welchem Prillwitz damals gehörte, vergraben worden sein. Die Tempel=Götter aus Rhetra aber wären diese kleinen metallenen Puppen sicherlich nicht gewesen, denn die Tempel Götter der Wenden würden von allen gleichzeitigen Schriftstellern als Kolosse, oder doch wenigstens als in Menschen=Lebensgröße gebildet beschrieben; diese 6= bis 7zölligen winzigen Bilder könne man etwa nur für Hausgötzen irgend eines wohlhabenden Wenden halten.

Der Verfasser dieses Sendschreibens war Buchholtz, der jetzt berühmte Verfasser der Geschichte der Kurmark Brandenburg, den Friedrich der Große zur Belohnung seiner Verdienste um die vaterländische Geschichte hatte als Oberpfarrer nach Cremmen versetzen lassen, und der Freund, an den es gerichtet ist, war ohne Zweifel Pistorius. Wahrscheinlich unmittelbar nach Erscheinen des Woge=Masch'schen Werkes hatte Pistorius Buchholtzen zu einer Beurtheilung desselben aufgefordert, und dieser hatte seinem Wunsche bereitwillig entsprochen. Allein Buchholtz, oder auch Pistorius, nahm anfänglich noch Anstand, das "Sendschreiben durch den Druck zu veröffentlichen. Als man sich späterhin dazu entschloß, arbeitete Buchholtz seine kleine Schrift noch einmal sorgfältig um, und so trat sie denn im J. 1773 ans Licht. Ein Exemplar der ersten Bearbeitung - wahrscheinlich von Buchholtzens eigener Hand geschrieben - ist bei den Neustrelitzer Acten vorhanden. Der Eingang ist in den persönlichen Bezeichnungen noch deutlicher, als die hernach gedruckte Bearbeitung, weshalb ich ihn hier mittheile:

"Mein Liebster Freund! Es ist kein geringer Verlust für mich, seitdem ich meinen Aufenthalt verändern, und die Meklenburgischen Gräntzen verlassen müssen, daß ich der Ehre des angenehmen Briefwechsels mit Ihnen entbehren muß. Wenigstens hat die Entfernung denselben sehr unbequem gemacht, so daß ich des Vergnügens von Ihrer geehrten Hand einige Zeilen zu sehen, allhier in drey Jahren nicht genossen. Ich dachte schon, daß ich bey Ihnen vergessen sey, bis mich Ihre Güte vor einigen Wochen eines andern auf die angenehmste Art überzeugte. Ihr freundschaftlicher Brief ist mir Bürge davor, daß Sie noch der nemliche seyn, der Sie damals waren. Und so kann ich Sie auch versichern, daß mir das Andenken an einen solchen Freund immer neu sey, und ich mich mit Wohllust des Briefwechsels über verschiedene Stücke der Geschichte erinnere, 21 ) damit wir uns da=


21) Er meint hier wohl die mit Pistorius auf Anlaß von dessen Meklenburg, Adelshistorie, geführte Correspondenz.
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mals belustigten. Erlauben Sie, liebster Freund, daß ich denn diesem Vergnügen auch in gegenwärtiger Entfernung von Ihnen nachhänge, und mir schreibende vorstelle, wie frey und vertraulich wir uns damals unsere Gedanken einander eröfneten. Sie sind so gütig und fordern mich selbst dazu auf, ich soll Ihnen meine Gedancken von Alterthümern Meklenburgs mittheilen, deren Entdeckung unsern Tagen aufbehalten gewesen, wenn sie gleich nicht mit Ihren eigenen Gedancken übereinkommen mögten".

"Die "Gottesdienstlichen Alterthümer der Obotriten aus dem Tempel zu Rhetra am Tolenzer See", die Herr Woge gezeichnet und in Kupferstichen der Welt vorgeleget, und der Hochwürdige Hofprediger und Consistorial=Rath Masch erleutert hat, die soll ich beurtheilen! Nun, Sie fordern es von mir, das ist Berufs genug dazu für mich. So sage ich Ihnen dann, daß an den Originalien gewiß ein großer Schatz der alten Welt gefunden worden, ein Schatz, um unsere Historische Erkentnis mehr zu bereichern, als bisher ohne sie geschehen können, ein Schatz, um uns von der Abscheulichkeit des Götzendienstes der Heiden recht zu überzeugen, die so ungestalte Bilder göttlich zu verehren verblendet genug gewesen, und auch physice solche Greuel für Bilder Gottes angenommen. Denn daran kan wohl Niemand zweifeln, daß diese Bilder ein Gegenstand Wendischer Andacht gewesen, so wohl bey den Tolenzern und Rhedariern, als bei den Obotriten; und die Nachwelt wird es sowohl dem Herrn Woge, als besonders Sr. Hochwürden dem Herrn Consistorial=Rath stets zu dancken haben, daß sie sich einen richtigen Begriff von den Götzen hiesiger Wenden machen kan, davon bisher viel unrichtiges gedacht worden."

"Indessen, mein liebster Freund, muß ich doch gestehen, daß ich wünschte, der Hr. Consistorial=Rath hätte seine geäusserte Meinungen von diesen Götzen sowohl, als von der ehemaligen Stadt Rhetra, in deren Tempel sie gestanden haben sollen, so ausgeführet, daß ich, und wer sonst der Geschichte des Nordischen Theils von Deutschland kundig ist, von der Gewißheit seiner Sätze überzeuget würde. Ich kan nicht leugnen, daß ich seine zwo Haupt=Hyothesen 1) daß die Götzen würklich aus dem Tempel zu Rhetra seyn, und 2) daß Rhetra auf der Stelle des Dorfs Prillwitz am Tolenzer=See gestanden, nicht vor so erwiesen ansehe, als er glaubet sie erwiesen zu haben. Einem nunmehr verstorbenen Freunde, 22 ) der mir diese Alterthümer zu allererst bekannt machte, als sie kaum gefunden oder unwissenden Händen halb entrissen waren, und eben das davon dachte, was der Hr.


22) Der Präpositus Genzmer.
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Consistorial=Rath, habe ich schon damals geschrieben, er würde sich vielleicht in beyden Stücken irren: doch hatte ich eben nicht Lust, ihm sonderlich an seiner Belustigung daran zu hindern; und ich würde mir die Mühe nicht genommen haben, die Erleuterungen des Hrn. Consistorial=Raths genauer zu prüfen, wenn Sie, mein liebster Freund, mich nicht dazu aufforderten. Aber es thut mir leid, daß so sehr ich den Fleiß und die Gelehrsamkeit bewundere, die dieser große Mann, sonderlich in der Vorrede, angewendet hat, die angenommene Stelle von Rhetra fest zu setzen, ich in meinen Zweifeln dadurch noch mehr bestärket werde. Ich will Ihnen hiemit meine Anmerkungen darüber liefern, und die werden zeigen, ob meine Zweifel Grund haben. Ich protestire aber feyerlichst, daß dadurch bey mir nichts von der Hochachtung, die ich dieses großen Gottes=Gelehrten unserer Kirche anderweitigen Verdiensten schuldig bin, abgehe."

Maschen war offenbar dieser Angriff auf seine Hypothese über die Lage von Rhetra höchst unangenehm. Er ließ vor läufig eine vom 16. Februar 1774 datirte Widerlegung in Nr. 8 und 9 der Strelitz. nützlichen Beiträge einrücken, in welcher er Buchholtzen als den Verfasser des Sendschreibens nannte. 23 ) Buchholtz las diese Entgegnung noch einige Wochen vor seinem Tode (am 29. April 1774), versicherte aber seinem Freunde Heynatz: "daß ihm eine Gegenantwort leicht sein würde, daß er aber Bedenken trüge, sich weiter in die Sache einzulassen, die er nun dem Publicum gern zur Entscheidung überließe". In demselben Jahre zur Michaelismesse erschien nun auch eine ausführliche Entgegnung von Masch gegen Thunmann und Buchholtz unter dem Titel: "Beiträge zur Erläuterung der Obotrit. Alterthümer". In der vom Todestage Buchholtzens datirten Vorrede behauptet Masch: "Dieser gelehrte Mann hat sogleich, wie 1771 meine Erläuterungen ans Licht traten, seine Gedanken von der Lage der Stadt Rhetra und dem Werth der Götzen=


23) Heynatz in der Vorrede zum 5. Theile der Buchholtzschen Geschichte der Kurmark schreibt S. XX: "Buchholtz hat viel Fleiß an diese kleine Schrift gewandt und sie vor dem Drucke so gar ein mal ganz wieder um gearbeitet. Sie ist auch nicht ohne Beifall geblieben. Der Herr Consistorialrath Masch selbst dankte dem Verstorbenen in einem eigenen Briefe für die Artigkeit, mit welcher er ihm begegnet, und versprach ihm, wenn er noch Zusätze zu der Schrift zu machen hätte, dieselben in den Beiträgen zur Erläuterung der Obotrit. Alterthümer, die er herauszugeben Willens wäre, zu nützen. Ich sehe aus einem Verlagsverzeichnisse, daß diese Beiträge auf gegenwärtiger Michaelismesse erscheinen sollen, und zweifle nicht, daß der Herr Consistorialrath Masch so wol auf die von ihm selbst erkannte artige Begegnung, als auf den Umstand, daß sein Gegner unterdessen gestorben ist, und sich nicht mehr verantworten kann, Rücksicht nehmen werde. Eine kurze Beantwortung, die der Herr Consistorialrath in den Strelitz. nützlichen Beyträgen einrücken lassen, hat der Verstorbene noch gelesen, mich aber noch kurz vor seinem Tode versichert," u. s. w.
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bilder aufgesetzet und selbige einem Freunde zugesendet, in dessen Händen der Aufsatz auch geblieben, bis er nun ohne Vorwissen des Herrn Verfassers dem Drucke übergeben worden. Der Aufsatz hat alle Merkmale, daß ihm die letzte Hand seines Urhebers fehlet". (!) Uebrigens war Maschens Vertheidigung gegen Thunmann schwach, noch schwächer die gegen Buchholtz. Auf das, was dieser aus der Erwähnung der Peene in Urkunden Karl's und Otto's des Großen gegen den supponirt höheren Wasserstand der Tollense als eines Binnenwassers der Ostsee gefolgert hatte, antwortet Masch so gut wie gar nicht; den Namen von Prillwitz sucht er aus der Brodaschen Stiftungsurkunde dadurch zu entfernen, daß er die darin aufgeführten Namen größtentheils für verschrieben erklärt, und z. B. aus Prillwitz das Dorf Priborn jenseits der Müritz macht. Masch hat seitdem noch wiederholt seine Hypothese von der Lage Rhetra's dem Publicum in Zeitschriften zum Besten gegeben, und mit den alten, aufgewärmten Argumenten unterstützt, scheint aber bei dem urtheilsfähigen Theile desselben kein Glück mehr damit gemacht zu haben.


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Gideon Nathanael Sponholtz.

Bis jetzt ist immer nur von dem Goldschmiede Sponholtz die Rede gewesen; es ist aber nöthig, mit seiner gesammten Familie uns etwas genauer bekannt zu machen. Diese bestand zur Zeit, als der Handel mit den Prillwitzer Idolen vor sich ging, aus der Wittwe des im J. 1759 verstorbenen Goldschmiedes Andreas Sponholtz, und deren drei Söhnen: Jacob Ernst Sponholtz (geb. 1734), welcher die Profession des Vaters fortführte, Jonathan Benjamin Sponholtz (geb. 1740), der bei dem Bruder als Gesell arbeitete, und Gideon Nathanael Sponholtz (geb. 1745), der ohne einem bestimmten Berufe sich zu widmen aufgewachsen war, weil er der Liebling der Mutter war, und die Wohlhabenheit der Familie es erlaubte. Das vom Vater hinterlassene Vermögen muß sehr bedeutend gewesen sein, da die Brüder, obwohl sie selbst der Obrigkeit eine klare Einsicht in ihre Verhältnisse zu entziehen wußten, doch einen Belauf desselben von wenigstens 20,000 Thlr. einräumen mußten. Sie blieben nämlich nach dem Tode des Vaters in ungetheilten Gütern mit der Mutter sitzen, welche die Vormundschaft für die beiden noch nicht mündigen Söhne übernahm, ja kraft eines besonderen Familienpactes ließen sie dieses Verhältniß auch noch fortbestehen,

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nachdem sie sämmtlich volljährig geworden waren. Es schien ihnen dies die angemessenste Weise, um das Geschäft des Vaters am einträglichsten fortzuführen. Dieses war nun zwar nominell die Goldschmiede=Kunst, eigentlich aber die Geldnegocianten=Profession; heutiges Tages würden sie eine Familie von Börsenspeculanten gebildet haben, damals freilich standen sie nur auf dem Standpunkte gemeiner Wucherer. Dieses Geschäft scheinen schon Väter und Großväter betrieben zu haben. Um es desto sicherer in der Familie zu erhalten, hatten schon die Großväter, der Kämmerer Jürgen Sponholtz und der Goldschmied Johann Pälcke, eine Ehe zwischen Sponholtzens ältestem Sohne Andreas und der einzigen Tochter Pälckens, Johanna, aufs Tapet gebracht, obgleich die Mutter des Bräutigams die Vaterschwester der Braut war. 24 ) Aus dieser Ehe entsprangen die erwähnten drei Brüder, welche nach dem Tode des Vaters nun im Verein mit der Mutter das in der Familie hergestammte Geschäft fortsetzten.

Auf den ältesten Sohn, den Goldschmied Jacob Sponholtz hatte sich die Neigung des Vaters und der Mutter 25 ) in vollem Maße fortgepflanzt. Er hielt zwar eine Werkstätte, in der seine Gesellen arbeiteten, und trieb einen starken Handel mit altem Gold und Silber, das er sowohl in großen Quantitäten, als auch in gestohlenen Löffeln, abgeschnittenen Tressen u. s. w. aufkaufte und dadurch öfter in ärgerliche Händel sich verwickelte. Aber seine eigentliche Beschäftigung war der Geld=Commerce, den er in großer Ausdehnung betrieb, wovon seine Rechnungsbücher und seine ungemein ausgebreitete Correspondenz noch Zeugniß geben. Große Summen, bisweilen hoch in die Tausende, lieh er an den in Geldverlegenheiten steckenden Adel der Umgegend, aber er verschmähte es auch nicht, kleine Summen auf Pfänder, besonders Gold= und Silbersachen, vorzustrecken, welche er, wenn sie Verfallen waren, sofort einschmolz. Dieser kleine Wucher scheint vorzugsweise seine Liebhaberei gewesen zu sein.


24) Zur genauem Einsicht in die Verhältnisse der Sponholtzschen Familie gebe ich auf der folgenden Seite eine Stammtafel derselben nach einem mir von dem Herrn Pastor Sponholtz zu Rülow mitgetheilten vollständigen Stammbaume der Familie, den ich mit den mir zu Gebote stehenden Familien=Papieren und dem hiesigen Kirchenbuche verglichen habe.
25) Als Curiosum sei hier nur erwähnt ein an die verwittwete Frau Sponholtz gerichtetes Bittschreiben der Wittwe des Bürgermeisters Keller zu Neubrandenburg, worin diese die Sponholtzen ersucht, ihren zu Pfande stehenden schwarzen seidenen Rock ihr auf einige Tage zu leihen, weil sie zum heil. Abendmahle gehen wolle.
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Stammtafel der familie Sponholtz
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Der mittlere von den Brüdern, Jonathan, nachdem er einige Jahre in der Fremde auf der Wanderschaft gewesen, gab, heimgekehrt, seine Profession auf, heirathete im J. 1775 die Tochter des Pastors Barckow zu Peccatel und wählte den Verhältnissen seiner Frau angemessenem Stand eines Brauers und Gastwirths zu Neubrandenburg. Er erhielt zu dem Behufe aus dem gemeinschaftlichen Vermögen 6000 Thlr. "angeliehen", blieb aber Theilhaber des Compagnie=Geschäftes, welches Mutter und Bruder mit eben so vielem Eifer, als gutem Erfolge betrieben.

Der jüngste der Brüder, Gideon, war beim Tode des Vaters erst 14 Jahre alt und verließ die Schule zeitig, ohne irgend nennenswerthe Kenntnisse auf derselben erworben zu haben; übrigens war er ein offener Kopf, schlau und verschlossen. Er blieb bei der Mutter und dem unverheirathet bleibenden Bruder, ohne sich einem besonderen Fache zu widmen, besorgte die Correspondenz der Mutter, schrieb Mahnbriefe und Kündigungen und beschäftigte sich eifrig mit "Versuchen zur Veredlung der Metalle". Noch gegen Ende des J. 1767 schrieb er, daß "der in Stocken gerathener und nunmehro erstorbener Silber Handel ihn zu den festen Entschlus ein Landmann zu werden gebracht", als der bald darauf stattfindende Alterthümer=Handel mit Hempel ihm eine andere Richtung gab. Mit Hempel, Pistorius und Genzmer in Connex gekommen, wurde er Sammler von Profession, vorzugsweise von Naturalien und Alterthümern; eine andere Absicht dabei, als sich den Anstrich eines Gelehrten zu geben und durch seine Sammlungen unter Gelehrten einen Namen zu machen, läßt sich nicht erkennen. Besonders scheint Pistorius, selbst eine Art hagestolzer Sonderling, an dem listigen, versteckten Sonderlinge Gideon Gefallen gefunden zu haben. Seit dem J. 1768 bis an seinen Tod im J. 1780 lebte Pistorius mit Gideon in Freundschaft; als dieser im J. 1775 ein Stammbuch anlegte, schrieb Pistorius in dasselbe: "Diese Welt ist die beste, und in dieser besten Welt wünsche ich meinem besten Freunde Sponholtz jederzeit das beste Wohlergehn".

Allein es genügte Gideon nicht, durch sowohl in der Umgebung von Neubrandenburg, als auch an entfernteren Orten unermüdlich betriebene Nachgrabungen Alterthümer für seine Sammlung zu gewinnen. Sehr schmerzlich vermißte er die Prillwitzer Alterthümer, besonders "seine Götzen" (auch sein Erbantheil war ja darunter), die durch den Bruder in Hempels und Maschens Hände gekommen waren. Da gerieth er (angeblich in den Jahren 1777 oder 1778) auf den Einfall, ob er den Verlust nicht durch Götzen von eigener Fabrikation ersetzen könne. Mit Hülfe des Töpfers Pohl der die Modelle machte, und des

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bei seinem Bruder arbeitenden Gesellen Neumann, der sie heimlich abformte und in Metall abgoß, führte er ihn aus. Neumann mußte nach dem Masch'schen Werke mit dem Schrootpunzen auf die Metallbilder Runen=Legenden schlagen, und Gideon ließ sie dann durch Borax mit grünem Roste anlaufen, um ihnen das Ansehen des Alterthümlichen zu geben. Der älteste Bruder soll zwar die Modelle gesehen, von ihrer eigentlichen Bestimmung aber nichts geahnt haben. Ob Pistorius diese Metallbilder 26 ) gekannt, ob auch er durch Gideon getäuscht wurde, wie Masch, vermag ich nicht zu bestimmen; vor dem Verdachte einer Mitwirkung zu diesem Betruge sollte übrigens Pistorius sein durchaus ehrenwerther Charakter bewahren. Die Runen=Legenden können sehr wohl von Gideon selbst gewählt sein, denn (bis auf einen einzigen) kommen die Namen der Götzen alle in dem Woge=Masch'schen Kupferwerke vor, 27 ) das nach Neumanns Aussage ihm Gideon vorgelegt hat.

Die erste Kunde von diesen neuen Schätzen in Gideons Museum bringt uns Masch. Im Herbste des J. 1779 wurde auf einem den Sponholtzen zugehörigen Ackerstücke bei Neubrandenburg, im sogenannten Küssowschen Felde nahe beim Ilenpôl (Igel=Pfuhl) beim Pflügen ein Grabmal entdeckt, bei dessen Oeffnung Masch selbst zugegen war und den daselbst gemachten Fund in Nr. 16 der Strelitz. nützlichen Beiträge vom J. 1780 beschrieb. Er sagt:

"Selten aber ist es, daß man ein so charakteristisches Grabmal entdecket, wie dasjenige ist, so im vorigen Herbste auf dem Neubrandenburgischen Felde gefunden worden. Bey diesem Grabe finden sich Umstände, welche der Bemerkung würdig sind, und alles zusammen stimmet darinn überein, daß es ein Grabmal eines Mannes gewesen, der etwas wichtiges in Mecklenburg vorgestellet, und wohl nichts weniger, als ein König des ehemaligen hiesigen Volkes gewesen ist. Zu dieser Vermuthung veranlassen mich die außerordentlich schönen und kunstreich gearbeiteten metallenen Urnen, die in den Urnen aufbewahrten schönen Geräthe, Ringe, Angehänge, und die merkwürdigen Steine, welche unter und neben den Urnen geleget waren".

"Wie das Grab entdecket und die Urnen ausgehoben waren,


26) Es waren übrigens nicht alle Götzenbilder, sondern eine ganze Menge von Amuleten, Opferschalen, Opfermessern u. s. w., alle mehr oder weniger mit Runen signirt.
27) Levezow S. 23 wundert sich: "daß auf diesen Bildern Namen von Götzen zu lesen sind, welche sich in dem Mascheschen Werke nicht befinden, als die Namen Othin, Rugewit, Razivia, Zarnevit, Hela u. dergl.". Mit dem Namen Zarnevit hat dies allerdings seine Richtigkeit; für die andern aber nicht, insofern man Gideon nur die Kenntniß zutraut, die entsprechenden Runen auf den Kupfertafeln aufsuchen zu können, denn Othin findet man bei Masch S. 63, Rugewit S. 79, Razivia S. 98, Hela S. 146.
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hat man in der Tiefe weiter nachgesucht, und 4 Steine gefunden, 28 ) welche eine vorzügliche Aufmerksamkeit verdienen. Der größeste ist 15 1/2 Zoll lang, auf der glatten Fläche 7 Zoll breit; die Höhe ist ungleich, und an den mehresten Stellen 6 Zoll. Der Stein ist kein eigentlicher Kiesel, sondern ein blättriger grauer Stein mit vielem Glimmer. Die ebene Fläche weiset uns die Kunst der Wenden in Stein zu arbeiten. Ganz unten auf der Fläche sind die drey Rhunen=Buchstaben RAL gehauen. Ueber diesem Worte stehet das Mecklenburgische Wapen, ein Büffelskopf, welcher von dem Maule bis zwischen den Anfang der Hörner beynahe 4 Zoll lang, und bey den Augen fast 3 Zoll breit ist. Die Hörner sind vom Kopfe bis zur Spitze 2 1/2 Zoll lang. Neben dem rechten Auge stehen drey Rhunische Buchstaben. Die beyden ersten sind in einander gezogen und unkenntlich; der dritte ist ein kenntliches A. Zwischen den Hörnern stehet ein Rhunisches M. Ueber diesem Buchstaben ist eine Figur eingehauen, welche 5 1/2 Zoll lang ist. Dem ersten Ansehen nach ist es ein Vogel, dessen Kopf niederhängt, weil der Stein keine andere Stellung verstattet. Nachdem ich aber den Stein noch einmal ausgewaschen und ein Vergrößerungsglas zu Hülfe genommen, so finde ich hier das Bild eines Ochsen, der Kopf desselben stehet über dem rechten Horn des Büffelkopfes, und hat nur eine hervorragende Spitze, welche ein Horn vorstellen soll. Vier etwas gekrümmte Linien sind die 4 Füße und eine grade Linie ist der Schwanz. Der Kopf ist 1 1/2 Zoll lang und der Leib 2 Zoll dick. Gerade über den Rücken stehet ein Rhunisches S, und über dieses eine gerade Linie über die ganze Breite des Steines. Alles ist eingehauen."

"Der Zweyte Stein ist ein Sandstein, welcher zerschlagen und so gesprungen ist, daß er eine Fläche erhalten, welche 6 Zoll lang, und auf dem einen Ende 4 Zoll breit ist. Auf dieser Fläche sind 3 Buchstaben eingehauen Z I der dritte Buchstabe bestehet aus 2 gehauenen Linien, welche einen spitzen Winkel machen."

"Der dritte Stein ist ein Kiesel, von welchem das eine Ende abgeebnet ist. In dieser Fläche ist eingehauen BEL."

"Der vierte Stein ist ein blättriger Glimmerstein. Es ist Schade, daß von diesem vieles abgesprungen ist. Muthmaßlich hat derselbe eine ganze Inschrift enthalten. Denn auf dem noch vorhandenen Stücke stehet deutlich ZIRA. Diese Steine zeigen Merkmale des Feuers auf, und sind ohne Zweifel mit in dem


28) Die vier hier von Masch beschriebenen Runensteine finden sich auch unter den von v. Hagenow beschriebenen Neustrelitzer Runensteinen Fig. 3, 10, 11, 5.
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Scheiterhaufen gewesen, auf welchem der Held verbrannt worden, welchem zu Ehren diese Inschriften mit Steinen versehen sind."

"Die Entdeckung dieser Steine sowohl als der Urnen und übrigen Geräthe ist sehr wichtig, und giebt zu manchen Betrachtungen eine Veranlassung. Ehe ich aber diese vorlege, muß ich ein kleines Schild beschreiben, welches in der einen Urne gefunden worden. Es ist von Metall und länglich rund, die Länge 1 1/2 Zoll, die größeste Breite 1 1/4 Zoll. Oben ist ein rundes Loch durchgebohret, daß man es mit einem Bande anhängen kann. Unter dem Loche ist ein erhaben gegossener Vogel, etwas über einen halben Zoll lang, und unter diesem stehet in zwey Reihen mit Rhunen=Buchstaben RADE GAST. Die Rückseite stellet ein Gitterwerk vor. Das ganze Stück ist mit dem schönsten edlen Rost überzogen."

Dieses kleine Schild oder Amulet mit dem Vogel und der Runen=Legende Radegast befindet sich zufällig nicht unter dem vom Grafen Potocki (siehe weiter unten) abgebildeten Alterthümern der Gideonschen Sammlung. Es ist aber noch gegenwärtig in der Neustrelitzer Sammlung vorhanden und gleicht in Technik, Charakter und grünem Rost so gänzlich den übrigen von Gideon selbst gefertigten Alterthümern, daß der Verdacht sehr nahe liegt, Gideon habe diese Alterthümer, welche er in Maschens Gegenwart feierlichst aufgrub, vorher selbst heimlich hier eingegraben; daß Runensteine zu solchen Grabmälern gehörten, darüber hatte ja Masch selbst (S. 67 und 86) ihn belehrt. Dieser Verdacht wird dadurch noch mehr bestärkt, daß Gideon später vorgab, nicht nur jenes Amulet mit Vogel hier gefunden, sondern noch zahlreiche andere metallene Alterthümer mit Runen=Legenden hier ausgegraben zu haben. Die kleine Schrift des Pastors Kortüm zu Neubrandenburg: "Beschreibung eines neulich bei Neubrandenburg gefundenen wendischen Monuments (1798)" berichtet darüber S. 24: "Vor mehreren Jahren wurden selbst in der Gegenwart des Herrn S. Masch an einem Orte auf dem Neubrandenburgischen Felde, wo sich etwas vermuthen ließ, Nachforschungen angestellt. Es wurden auch wirklich acht wendische Alterthümer gefunden, aber was recht zu bedauern war, die entscheidendsten Stücke kamen ihm nicht zu Gesichte. In der Sammlung des Herrn Sponholz befindet sich, außer einigen kleinen Geräthschaften mit der Aufschrift Rhetra, die bey dieser Gelegenheit gefunden worden, noch ein kleiner, etwa spannenlanger, sehr silberhaltiger Radegast, der an demselben Ort gelegen. Er hat nur einen Fuß, der wahrscheinlich abgebrochen worden, entweder bey dem Ausgraben oder um den Gehalt zu probiren. Seine ganze Gestalt zeigt es, daß

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er in eben demselben Feuer gewesen, wovon die übrigen in Prilwitz gefundenen Alterthümer so sichtbare Spuren an sich tragen. Er muß sich in der Nähe von bleiernen Geräthschaften befunden haben, denn er hat noch hin und wieder einzelne Stellen, an welchen zerschmolzenes Blei sitzt". 29 )

Nicht lange nachher erschien unter Gideons Aegide eine Chronik von Neubrandenburg. P0istorius halte Materialien zu einer solchen gesammelt, die Gideon nach dem im J. 1780 erfolgten Tode des Pistorius 30 ) aus seinem Nachlasse an sich zu bringen wußte. Nun traute er es sich zwar nicht zu, selbst sie zu bearbeiten und öffentlich als Schriftsteller aufzutreten, aber der Zufall führte ihm einen Gehülfen zu. Ein Baron Gottlob von Hacke auf Biltzingsleben (2 Stunden nördlich von Weißensee, im Regierungsbezirke Merseburg) trieb sich damals als Aventurier in Norddeutschland umher und war im J. 1781 zu Rostock als Mitglied der Tillyschen Schauspielergesellschaft aufgetreten. Im folgenden Jahre kam er nach Neubrandenburg, und


29) Das von dem Pastor Kortüm in der erwähnten kleinen Schrift beschriebene Monument war auf dem St. Georg vor Neubrandenburg entdeckt; er hielt es für einen wendischen Schmelzofen und zwar denjenigen, worin die Prillwitzer Idole gegossen worden, woraus er denn den bündigen Schluß machte, daß Rhetra hier bei Neubrandenburg müßte gestanden haben. Der Pastor Rudolphi schrieb in demselben Jahre (1798) einen kleinen Aufsatz, der sich handschriftlich bei den Schweriner Acten befindet, worin er Kortüm zu widerlegen sucht, und das fragliche Monument, vielleicht richtiger, für ein Grabmal erklärt. In diesem Aufsatze findet sich auch in Bezug auf den oben von Kortüm besprochenen Radegast eine Stelle, die ich hersetzen will: "Doch ich weiß es selbst nicht, woher und warum, daß ich es bis jetzt noch nicht glauben kann, daß dieser Radegast dort wirklich gefunden sei. Daß der Herr Sponholtz dort vielleicht wirklich etwas antiquarisches gefunden und jene Gelegenheit gemißbraucht habe, glaube ich wohl; aber sein Radegast und noch andere Götzen seines verschlossenen Kellers sind noch wohl zurückgehaltene Reste der zu Prillwitz gefundenen Schätze, und aus gewisser Furcht mag er nun wohl von diesen sagen, sie bei Neubrandenburg gefunden zu haben. Wer kann uns da die sichere Wahrheit darthun! Ich weiß nicht, in welchem Jahre jene Nachsuchung und Finden dort geschehen ist: allein daß der Herr Sponholtz noch in den Jahren 1782 bis 83 diesen Götzen und noch mehrere hatte (und da waren doch die Prillwitzschen längst abgegeben und bekannt) und sie nach Hamburg verkaufen wollte: das weiß ich, und habe ich das von dem seel. Baccalaureus Schüler geschriebene und zu versendende Verzeichniß selbst gesehen: nur Schade, daß ich mich damals nicht sehr darum bekümmerte, als ich es jetzt thun, lesen und es mir merken würde". - Ein solches Verzeichniß mag damals wirklich existirt haben, um es nach Hamburg einzusenden, schwerlich aber, um die Götzen zu verkaufen. Wahrscheinlich wird es damit dieselbe Bewandtniß gehabt haben, wie mit der bald zu besprechenden Einsendung an Dreyer.
30) Pistorius hatte schon zwei Jahre vor seinem Tode vom Herzoge die Erlaubniß erwirkt, daß seine Leiche dürfe außerhalb der Ringmauern der Stadt beerdigt werden; er wollte dadurch den Neubrandenburgern ein Beispiel geben, den alt hergebrachten Gebrauch des Beerdigens in den Kirchen und auf den Kirchhöfen, welcher augenfällige Uebelstände mit sich führte, aufzuheben. Als er am 9. December 1780 gestorben war, Wurde seine Leiche Morgens in der Stille bei Fackelschein auf dem sog. langen Walle, unfern des Friedlandschen Thores, wo man einer freien Aussicht in die Umgegend genießt, bestattet. Ein einfacher Leichenstein bezeichnet die Stelle mit der Inschrift: "Landsyndicus J. G. Pistorius, ein Mecklenburger, geboren 1708, gestorben 1780"; darunter lieset man von späterer Hand: "und nie vergessen C. H. z. M. (Carl, Herzog zu Melleuburg)". Noch erinnern sich alte Leute der langen, hagern, aufrechten Figur des Pistorius, wie er im rothen Rocke, mit der weißen Perücke, an dem langen Rohrstocke würdevoll einherschritt, ein Ehrenmann im vollsten Sinne des Wortes.
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machte hier Gideons Bekanntschaft, der ihn beredete (Hacke hatte schon früher geschriftstellert), aus Pistorius Nachlasse eine Chronik von Neubrandenburg zu bearbeiten. In Nr. 37 der Strelitz. nützlichen Beiträge vom J. 1782, datirt vom 20. August, erschien die Ankündigung, worin von Hacke sagt: "die Urkunden, aus welchen ich diese Geschichte zusammentrage, sind von Herrn Sponholtz. Ansehnliches Vermögen, antiquarische Liebe, Fleiß und Glücksfälle haben ihn und seine Vorfahren in den Stand gesetzt, eine ansehnliche Bücher=, Urkunden= und Antiquitäten=Sammlung mancherlei Art anzuschaffen. Wie sehr der Mann wünscht, seine durch Glück und Fleiß erhaltenen Güter gemeinnützig zumachen, beweist er dadurch, daß seine Sammlungen jedem Liebhaber offen stehen, er sogar unter gewissen Bedingungen einen Theil der bekannten zu Prillwitz gefundenen obotritischen Götzen von Rhetra in der Öffentlichen Bibliothek des Doms zu Ratzeburg hat aufstellen lassen, worüber denn auch von den Herren Gelehrten schon vieles geschrieben. Doch wieder auf unsere Urkunden zu kommen: Der selige verstorbene Rath und Landsyndikus Pistorius, dessen verdienstvolles Andenken hier noch jedem heilig ist, lebte, wie bekannt, mit dem Herrn Sponholtz und seiner Sammlung 13 Jahr in genauer Freundschaft. Dieser würdige Mann hatte schon diese Urkunden gewählt, den Plan in Ordnung gebracht, und hie und da viele Erläuterungen eigenhändig beigeschrieben, auch die diesem Werke beigefügte Kupfertafel von der Neubrandenburger Münze stechen lassen, in Willens, das zu thun, was ich jetzo thun werde, wenn ihn der Tod darin nicht unterbrochen hätte. Herr Sponholtz sagte und zeigte mir dieses, mit der Bitte, ob ich nicht das angefangene Werk vollenden wolle". - Die Geschichte der Vorderstadt Neubrandenburg erschien im J. 1783 "gedruckt auf Kosten des Herrn Gideon Sponholtz". 31 )

Gideon befand sich jetzt auf dem Höhenpunkte seines antiquarischen Ruhmes. Nachdem die Mutter 78jährig im J. 1782 verstorben war, wurde im folgenden Jahre die Auffahrt des Hauses überbaut. Dadurch wurde ein großes Gemach oberhalb des Thorweges durch die Tiefe des Hauses gehend gewonnen, welches Gideon zu seinem Antiken= und Naturalien=Cabinette einrichtete. Auf einem Tische in der Mitte stand ein kleiner Tempel, den Tempel zu Rhetra vorstellend, mit thönernen Götzenbildern;


31) Nur der erst Theil, die Geschichte Neubrandenburgs bis zum Anfange des 18. Jahrhunderts befassend, ist erschienen, v. Hacke verließ Neubrandenburg bald darauf und kehrte in seine Heimath zurück, heirathete eine reiche Frau und wurde königl. polnischer Rath und Ritter des weißen Adlerordens.
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die metallenen Idole, Amulete u. s. w. wurden in einem Schranke sorgfältig verschlossen gehalten. Ein Theil derselben, gab Gideon vor, stamme noch aus dem Prillwitzer Funde, und glücklich habe er die wertvollsten Stücke davon den Späherblicken Hempels und Maschens zu entziehen gewußt; die übrigen sollten alle aus jenem Grabmale, das in Maschens Beisein geöffnet war, hervorgegangen sein. In Schränken und auf Repositorien rings umher an den Wänden stand alles voller Urnen, steinernen und metallenen Grabalterthümer, Naturalien und Raritäten aller Art. Selbst Herzog Adolf Friedrich mit seinem Hofe, der zu Rheinsberg residirende Prinz Heinrich besuchten wiederholt sein allgemein bewundertes Cabinet. - Beim Volke galt Gideon für einen Geisterbanner, und nicht mit Unrecht: der von ihm hinterlassene "Höllenzwang" giebt den Beweis, daß er, dem es versagt war, durch die weiße Kunst der Wissenschaft im Reiche des Geistes sich einzubürgern, die schwarze Kunst mißbrauchte, um in das Reich der Geister einzudringen. Auch wurde erzählt und geglaubt, daß Pistorius im rothen Rocke ihm erschienen sei, um, wie er gelobt, ihm Kunde aus dem Reiche der Schatten zu bringen. 31 ))

Im J. 1785 knüpfte Gideon auch eine auswärtige Verbindung, nämlich mit dem Zoll=Inspector Dreyer in Berlin, einem Sammler, an, welche der Kaufmann Hasse zu Neubrandenburg, ein Freund des letzteren, herbeigeführt zu haben scheint, und über welche die betreffende Correspondenz zum Theil noch vorliegt. Gideon hatte am 24. Juni an Dreyer geschrieben und ihm Alterthümer übersandt. In der Antwort vom 13. Juli giebt Dreyer diese an: "In der Schachtel befanden sich einige Bruchstücke von Urnen und Knochen, ein halber Kopf von Metal, ein Stückchen dito so einen Esels=Kopf gleichte, ein Stück weiß Metal mit Hyrogliphen bezeichnet, nebst ein Pappierchen darinn


31) Der achtzigjährige Otto Hartmann (siehe unten) hat darüber im J. 1850 zu Protokoll gegeben: "Wir gaben uns einstmals mittelst Handschrift das Versprechen, daß, wer von uns zuerst sterbe, dem Lebenden Nachricht vom Jenseits bringen solle. Pistorius verstarb zuerst und erschien etwa acht Tage nach seinem Tode bei uns, indem er Nachts 12 Uhr bei Gideon, der eben zu Bette gegangen war, vor seinem Bett gestanden. Gideon rief mich, der ich im Nebenzimmer lag, zu sich und sagte mir, wie ich zu ihm kam: "Herr Jesus, Hartmann, Pistorius ist so eben bei mir gewesen; ich wollte ihn umarmen, und da verschwand er". Ich sah darauf den Pistorius mit seinem rothen Rock, ohne Kopfbedeckung, sonst in seiner ganzen Persönlichkeit, am Ofen in Gideons Zimmer. Ich ging auf ihn zu, indem ich rief: Pistorius, da sind Sie ja! und wie ich ihm die Hand reichen wollte, verschwand er vor meinen Augen, ohne mit mir ein Wort zu sprechen. Ich glaube gerne, daß unsere lebhafte Phantasie derzeit bei diesem Vorgange mit im Spiel gewesen ist". - Vielmehr hat das Gedächtniß dem alten Herrn einen argen Streich gespielt. Pistorius starb am 9. December 1780, und erst 6 oder 7 Jahre später kam der damals 16 jährige Hartmann nach Neubrandenburg, und hat den lebendigen Pistorius niemals gesehen; eine Erzählung, die er oft gehört, hat er endlich für ein eigenes Erlebniß genommen.
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4 Stück kleine silberne Müntzen waren"; er verlangt nähere Auskunft darüber und wünscht zum Behufe des Tauschens überhaupt zu wissen, worin Gideon eigentlich sammele. Gideon giebt die gewünschte Auskunft unterm 27. Juli: "Was meine Sammlung von Alterthümern anbetrift, so hat dieselbe darin für andern den Vorzug, daß ich sie grösten Theils selber aus der Erde habe graben lassen, und Augenzeuge davon bin, wo sie her sind. Die übersanten Urn Stücke waren zum Theil noch ganze Urn. Bey den ausgraben waren sie aber ganz weich, und da die Zeit zu kurz fiel, sie erst an der Luft hart werden zu lassen, zerbrachen sie. Die Mehrsten Urn habe ich auf hiesigen Stadt Felde ausgegraben. Die Knochen, Metall Stücke Lagen in die Urn, die Fincken oder Vincken Ogen, der alt wendischen Münzen lagen dicht bey der Urn. Den übersanten Kopf halte ich fürs Meckelburgsche Wappen, - den BüffelsKopf - nach der Erklährung des Hrn. Consist. Raths Masch in Strelitz, als den grösten Kenner von Alterthümer in hisigen Lande. Vermuthlich ist das Landes Wappen nur in die Urn grosser Helden geleget, den die Urn, worin der Kopf, war besonders mit grossen Steinen umgeben, und halte über 30 Fuder Stein zur Bedeckung, ohne die Menge Sand und Erde. Sie, mein Gönner! beehren mich ferner mit der freundschaftlichen Frage, worin ich eigentlich samle, und worin dieselbe bestehet? Darauf habe ich die Ehre zu antworten, in Naturalien, Versteinerungen, Alterthümer, Münzen, Kunstsachen und alles was gut ist!" Weiterhin heißt es: "Allein ein Schlaglot auf Silber, daß recht leicht fliest und doch hält und sich hammer läst, beschreiben die Herrn nicht, und von so vielen 100 selbst gemachten Versuchen habe ichs noch nicht so gefunden, wie ich es wünschte. Auch die vielen 1000 Versuche, die ich seit 28 Jahren zur Veredlung der Metalle unternommen, sind noch nicht zum erwünschten Ziehl gelanget, ob sie mir gleich manch Vergnügen, aber auch manchen Thaler gekostet. Wann Ew. Wohlgeb. mir Anleitung geben könten zu den neueren Erfindungen in Verbesserung der Metalle, Gehalt der Münzen in dies Jahrhundert, oder Legirung der Metalle in aller Coleur, als die goldene Uhren, Dossen oder sonst was nützliches, so kann ich vieleicht die Ehre haben einige Lücken in Dero Sammlung etwas auszufüllen". Zugleich mit diesem Briefe muß Gideon noch eine Beschreibung seiner Sammlung, vielleicht das von Pastor Rudolphi erwähnte Verzeichniß, mit eingeschickt haben, denn Dreyer dankt in der Antwort vom 5. September nicht bloß für empfangene Alterthümer und Versteinerungen, sondern schreibt weiter: "Das übersandte Verzeichniß habe ich mit der größten Bewunderung gelesen und daraus ersehen, daß Sie einer der

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stärcksten Sammler und gröste Besitzer von Alterthümern in ganz Deutschland sind. Da nun ihre Sammlung vor 6 Jahren schon so starck gewesen ist, um wie viel größer wird sie jetzt nicht seyn. Schade, daß es nicht Gipß=Medaillen seyn, ich wollte gleich anfangen zu tauschen. - Ich habe einen Quartanten von den gefundenen heydnischen Götzen bey der Tollense, wo der Tempel zu Rhetra gestanden hat, mit vielen Kupfern gelesen, Sie sind gewiß der Besitzer der Originale, welche daselbst gefunden worden? Unter Ihrer Beschreibung finde ich aber noch mehrere und größere, davon die Beschreibung nichts sagte, von diesen möchte ich gern Auskunft haben, ob es diejenigen sind, und ob sie sämtlich schon beschrieben oder nicht?" Zu Silber=Schlageloth theilt er ihm 3 Recepte mit, aber "mit Metall Verbesserungen, schreibt Dreyer, gebe ich mich nicht ab, habe auch dazu keine Zeit, zuweilen lieset man aber so etwas, welches einen gefält. Jedoch kan ich nicht leugnen, einen Tomback zu haben, der dem Golde gleichet, und wenn davon ein Ring gemacht wird, derselbe von der Haut des Menschen nicht anläuft, sondern seinen Glantz, wie das Gold behält". - Gideon antwortet erst, sich mit häuslichen Angelegenheiten entschuldigend, am 2. Jan. 1786 und schreibt diesmal kürzer: "Wegen die bey der Tollen See gefundenen Götzen, die in den Quartanten von den Hrn. Sup. Masch beschrieben, hat es seine Richtigckeit. Der Hr. Superindendent hat die beschriebenen mir abgekauft, und in Ratzeburger Dohm aufstellen lassen. Die andern die ich noch habe sind noch nicht beschrieben". Das Silber=Schlageloth findet er nicht besonders; "den Tomback möchte ich wohl gern zu meiner Samlung beyschreiben!" Doch erfolgt diesmal eine reichlichere Sendung an Dreyer, von der das Verzeichniß noch anliegt. Es beginnt: "1) 6 Metall Stück mit Runen, die in oder bey oder unter einer Urn gelegen, 2) ein Abriß von einer meinen Urn, 3) 6 Bogen mit Zeichnungen von 14 meiner noch nicht beschriebenen oder in Kupfer gestochenen Wendischen Alterthümer mit Runen, 4) 1 Stück Muschel Stein, welches mir der Herr HoffRath und Geheimer Archivarius Evers in Schwerin aus der Gegend von Sternberg in Mecklenburg gesant" 32 ) u. s. w. Auch Dreyer antwortet säumiger erst am 29. April: "Für die überschickte 7 Bogen gezeichnete wendische Götzen 33 ) und die große Urne, für die Metal


32) Evers suchte durch den Sternberger=Kuchen Gideon zu körnen, ihm den in seinem Besitz befindlichen Neubrandenburger und Friedländer Schilling zu überlassen. Schreiben desselben vom 27. August 1785.
33) Von wem diese Zeichnungen der Gideonschen Götzen können angefertigt sein, darüber vermag ich nichts zu ermitteln. In Gideons Stammbuche sind aus jenen (  ...  )
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Stücke mit runischen Schriften, Versteinerungen und abgegossene Müntzen sage ich den verbindlichsten Danck! Aber die angeführte Bogen betreffend, weiß ich doch nicht, ob mir dieselben geschenckt seyn, oder ob ich nur daraus die Gestalt der vortrefflichen Alterthümer bewundern soll? Ich bin bei unterschiedene Buchhändler gewesen, sie gezeiget und gebeten, ob einer oder der andere Lust hätte, sie zeichnen und der Welt bekand machen zu lassen; aber es wolle auf eigene Kosten es niemand übernehmen, weil dergleichen zu hoch ins Geld lieffe und nur von wenigen gekauft würde". Das Tomback Recept erfolgt. Gideon scheint schon Besorgniß wegen der lange ausbleibenden Antwort gehabt zu haben, denn Dreyer meldet noch am Schlusse des Briefes, daß "Herr Nix" bei ihm aufgetreten sei, und ihm einen Brief von Gideon nebst einigen Antiken gebracht habe. Weiter kann ich diesen merkwürdigen Briefwechsel nicht verfolgen.

Der hier erwähnte "Herr Nix" war Gideons Factotum, der ihn bei seinen Nachgrabungen begleitete und bei seinen Schreibereien ihm zur Hand ging. Er soll von Profession ein Schneider gewesen sein, ließ sich aber gern "Herr Nix" nennen. Mit dem Obersten von Kaiserling war er als dessen Bedienter nach Neubrandenburg gekommen, und war nach dessen Tode (1780) ohne Beschäftigung. Eine Zeit lang scheint er diese in der Mumm'schen Handlung gefunden, hauptsächlich sich aber doch zu Gideon gehalten zu haben. Als der Herzog Friedrich Franz von Meklenburg=Schwerin damals auch nach Alterthümern graben ließ, wurde Nix durch einen herzoglichen Kammerdiener zur Theilnahme an der "Urnen=Jagd" eingeladen; er erklärt sich dazu bereit und schreibt: "Glück=Ruthen gebrauch ich bey dieser Arbeit gar nicht, sondern meine Augen sind der Magnet, welcher mir die Urn Stellen mit Gewißheit anzeigt". Es scheint aber aus seiner Theilnahme an diesen Nachgrabungen doch nichts geworden zu sein, weil Nix förmlich angestellt zu werden verlangte. Als "Herr Nix" im J. 1811 ungefähr 76 Jahre alt starb, wußte man weder seinen Vornamen, noch seinen Geburtsort. - Außer diesem Gehülfen hielt sich Gideon jetzt aber auch einen förmlichen Amanuensis. Als er im J. 1787 bei Verwandten in Fürstenberg zum Besuche war, lernte er hier den 16jährigen Otto Hartmann, einen Sohn des dortigen Apothekers, kennen, welcher an den Nachgrabungen, die Gideon auch dort anstellte, viel Antheil nahm; er wußte den Vater zu bewegen, ihm den Knaben


(  ...  ) Jahren eine Menge, zum Theil sehr gelungener Federzeichnungen von verschiedenen Händen.
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als eine Art Aufwärter mitzugeben, und dieser blieb gegen 3 Jahre im Sponholtzschen Hause. 34 ) Nach seinem Abgange trat der 15jährige Daniel Boye aus Waren, von dem noch späterhin die Rede sein wird, in seinen Dienst, und blieb fast 7 Jahre lang bei ihm. Diese Amanuensen begleiteten ihn nicht nur auf seinen häufigen Excursionen, sondern mußten vorzüglich auch sein Cabinet beaufsichtigen und den Fremden, die es besichtigen wollten, dasselbe zeigen, wofür ihnen das Trinkgeld zufiel.

Unter den Fremden, welche sein Cabinet besuchten, hat keiner Gideon und seiner Antiquitäten=Sammlung mehr Ruhm gebracht, als der polnische Graf Johann Potocki; durch ihn erreichte Gideon die Erfüllung eines wohl längst gehegten Wunsches, nämlich die Bekanntmachung seiner Alterthümer durch ein Kupferwerk. Der Graf Potocki hatte die Geschichte und Alterthümer der slavischen Nation zu seinem Lieblingsstudium gemacht, und mehrere gelehrte Werke darüber bereits veröffentlicht. Im J. 1794 unternahm er eine Reise nach Meklenburg, um auch hier die Reste des Slaventhums zu studiren, namentlich um zu Ratzenburg die Prillwitzer Idole zu untersuchen. Seine Reise=Aufzeichnungen hat er im folgenden Jahr im Druck herausgegeben 35 ) und die von ihm gezeichneten Alterthümer Gideons in Abbildungen beigefügt. Am 13. August war er in Strelitz und bemerkt hier nur kurz: J'ai passé plusieurs heures dans la societé de monsieur Masch, sur-intendant des églises, sa conversation m'a parue aussi instructive que ses ouvrages. Folgenden Tags schreibt er von Penzlin aus: De Pentzlin j'ai fait une course à Prilwitz, pour voir la place de l'ancien Rhetré; mais comme il y a déjà plus de vingt ans que monsieur Masch l'a d'écrite, j'ai eu de la peine à m'y reconnoître, le noms de Rhetraberg 36 ) et de Tempelberg sont tombés en dessuètude, puis en oubli. Ea colline où étoit le temple, n'existe même plus. Ea terre en a été


34) Dieser Otto Hartmann starb im Laufe des vorigen Jahres, fast 82 Jahre alt, als Pächter auf dem sog. Lenz bei Plau. Im J. 1850 habe ich eine Vernehmung desselben zu Protokoll veranlaßt, welche aber keine erheblichen Aufschlüsse geboten hat; offenbar war Gideon nicht der Mann, sich von so jungen Leuten in die Karten sehen zu lassen.
35) Voyage dans quelques parties de la Basse - Saxe pour la recherche des antiquitès Slaves ou Vendes, fait en 1794 par le comte Jean Potocki. Hambourg 1795. - Exemplare dieses Werkes sind schon selten, da es, weil es keinen bedeutenden Abgang fand, vom Verleger als Maculatur soll verbraucht worden sein. Ich habe mich des unserer Vereins=Bibliothek gehörigen Exemplars bedient. - Der Graf Potocki starb im J. 1816 als Minister des Innern des Königreichs Polen.
36) Masch hatte S. 25 versichert, daß der Berg, auf welchem das Dorf Prillwitz liege, noch bis jetzt der Rhetraberg genannt werde. Schon Buchholtz hatte dazu bemerkt: ob es auch wohl Ritterberg heißen solle? Potocki nun konnte von diesem Namen keine Spur mehr entdecken.
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transportée dans un marais voisin, que l'on vouloit déssecher, l'ancienne forteresse Slave est devenue un jardin anglois, et un Eusthaus a pris la place de l'ancienne tour Saxonne, un cimmetière Slave a été labouré et les pierres, qui y étoient symmetriquement rangées, sont dispersées dans la campagne comme les autres pierres des champs; ce cimmetiére devoit être trés pittoresque, et je me preparois à en faire un dessin, que j'aurois traité dans le gout du Moraï Otaïtien, que l'on voit dans le voyage du capitaine Coock. J'ai beaucoup regreté ce monument unique dans son genre. Aujourd'hui quelques tertres sépulchres attestent seules, que des princes Slaves y ont demeuré et y ont été entèrés. - Deux de ces tertres placés a une trentaine de pas l'un de l'autre, m'ont fourni le sujet d'un paysage. Ils sont couverts de ronces, dont le verd sombre coupe assez heureusement la couleur des terres labourées, qui les environnent; entre eux deux l'on découvre le lac Lips ou petit Tollensée, tout le grand Tollensée avec lequel il communique, la ville de Neubrandenbourg et le deux villages de Brody et Nimirow, dont les noms sont Slaves bien surement. Le nom du lac Lips vient aussi probablement de Lipa, qui veut dire Tilleul, et Brod veut dire gué aussi ce village est il situé précisement a l'endroit, où il y a réellement un gué. - Monsieur Schmidt, ministre du lieu, a eu la complaisance de me conduire jusqu'à Hoch-Zyritz, maison de plaisance du Duc, où il m'a fait voir un de ces tombeaux Slaves, qu'il avoit fait ouvrir en presence du Prince héréditaire. L'on y avoit trouvé, d'abord des urnes de terre remplies de cendres et d'os, qui tomboient en poussière, puis des pierres des champs disposées en rond, puis en creusant plus bas d'autres pierres des champs arrangées en pyramides, enfin un vuide de figure parallepipede également revétu des pierres des champs, et dans ce vuide des cendres, des os et des charbons. J'ai vu chez le concièrge de Hoch-Zyritz des débris de ces os et de ces vases, quelques fragments de ceux ci avoient acquis un dégré de mineralisation; enfin j'ai pris congé du pasteur de Prilwitz et suis retourné à Pentzlin, d'ougrave; je me rendrai à Neubrandenbourg, pour y voir le cabinet de Mr. Sponholz, que l'on m'assure renfermer des trésors d'antiquités Slaves.

Am 15. August schreibt nun Potocki von Neubrandenburg

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aus: Le cabinet de Mr. Sponholtz a surpasse mes esperances et je me suis déterminé à y consacrer quelques jours; und am 16.: J'ai dessiné six idoles, huit patères, autant de couteaux de sacrifices et chaque objet de deux côtés, 37 ) tant à cause que les idoles ont la plus part au moms deux visages, que parceque les inscriptions sont presque toutes sur le dos. Tout ce que j'ai dessiné aujourd'hui a été trouvé à Prilwitz, en même tems que les idoles déjà decrites par Mr. Masch, mais celles, qui sont restées a Mr. Sponholtz, sont massives et entout plus interessantes que les autres. Mais Mr. Sponholtz, pour des raisons, qui tiennent à son caractère moral, ne produisoit à cette époque que la moindre partie de son cabinet, et depuis lors Mr. Masch a negligé la recherche des antiquités Slaves, quoique les succès, qui ont accompagné les commencements de cette passion, eussent du lui inspirer plus de confiance. Desgleichen am 17.: Aujourd'hui j'ai dessiné la seconde partie du cabinet de Mr. Sponholtz, qui consiste en un trés grand nombre de plaques de bronze figurées, qu' il a trouvées dans un champ, qui lui appartenoit, au milien d'un très grand nombre d'urnes, et en général dans tout le pays des anciens Rédaires l'antiquaire n'a pour ainsi dire, qu'à grater la terre. Mr. Sponholtz m'a offert avec beaucoup d'obligeance de me conduire dans des lieux, où il étoit presque sûr de fouiller avec succès.

Nun begab sich Potocki über Malchin (Ivenack), Rostock und Wismar nach Ratzeburg, um hier die von Masch beschriebenen Idole in Augenschein zu nehmen. Er schreibt von hier unterm 23. August: Mon premier soin a été de me rendre à la bibliothéque, pour voir les antiquités Slaves, que l'on y conserve; elles sont dans deux armoires faites en rotonde et surmontées d'idoles Radegasts, qui leurs donnent l'air de temples. La première arnioire renferme les idoles, que Mr. le surintendant Masch a déjà expliquées et peut-être trop expfiquées; un érudit doit amasser des


37) Man hat sich gewundert, wie Potocki diese Menge von Gegenständen (101 Figuren) habe in 3 (richtiger wohl in 2) Tagen abzeichnen können. Das behauptet aber Potocki eigentlich gar nicht, sondern giebt hier ausdrücklich an, daß er von der ersten aus 51 Figuren bestehenden Abtheilung nur 6 Idole, 8 Schalen und 8 Opfermesser gezeichnet habe. Ohne Zweifel theilte ihm Gideon die iu seinem Besitze befindlichen Zeichnungen mit, die wir oben aus dem Dreyerschen Briefwechsel kennen gelernt haben.
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notions et attendre, que de leur nombre naisse d'elle même une explication claire, sensible, incontestable, et pour ainsi dire dirimante. Une seule explication forcée peut faire fort au meilleur ouvrage, et celà surtout en apprêtant à rire à certains esprits, toujours empressées à s'en saisir pour ridiculiser la science entiére; je crois certainement, que si Mr. le surintendant avoit pu s'empêcher d'être aussi ingenieux, il ne se seroit pas dans le tems attirée certains adversaires, dont les ouvrages n'ont pas laissé, que de jetter les antiquités du Mecklembourg dans une sorte de discredit, et ensuite dans l'oubli, que sûrement elles ne meritoient pas. - Ea seconde armoire renferme d'autres idoles et amuletes, qui appartiennent pour la plus pari aux tems, où les Obotrites avoient abandonnée le Christianisme, pour reprendre leur ancienne religion, alors on avoit dejà perdu les anciens modéles. Quelques Radegasts ont la moustache et la petite barbete au menton, comme s'habilloient les anciens seigneurs de ce tems lagrave;; d'autres ont des couronnes à pointes, comme le roi David, que l'on voit dans les églises gothiques, l'on n'y remarque pas ce mecirc;lange de métaux précieux, comme aux idoles trouvées a Prilwitz; au contraire la masse en ressemble tout à fait à celle de nos mortiers à piler le poivre; enfin ils n'ont ni patine ni verd de gris; cependant comme cette dernière époque du Pagamsme n'est pas sans interêt pour l'histoire des Slaves, je me suis détermmé à rester ici toute la journée de demain pour les dessmer.

Am Schlusse geht nun Potocki zur Beschreibung des Gideonschen Cabinettes über, und giebt zunächst, pour ne laisser aucun doute sur l'authenticite des antiques, qu'il renferme, den Auffindungs=Bericht Maschens über die Prillwitzer Alterthümer, welchem er folgende Bemerkungen hinzufügt: Telle est l'histoire des antiques trouvées à Prilwitz et des recherches aux quelles elles ont donné lieu; je pourrois y ajouter en forme de supplement deux critiques de l'ouvrage de Mr. Masch, l'une faite par le professeur Thunmann, l'autre par un Mr. Buchholtz; mais ce dernier ouvrage n'attaque point l'authenticité des antiques, il veut seulement prouver, que Prilwitz n'est point l'ancienne Rhétra, et ses arguments sont assez forts pour avoir laissé la question indécise; quand au premier c'est une suite d'assertions dénuées de citations, défaut ordinaire de cet auteur. - Or donc, ainsi que je l'ai dit plus haut, lorsque

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Mr. le Surintendant Masch rechercha la connoissance des antiques, qui se trouvoient dans la possession de Mr. Sponholtz, celui ci n'en montroit que la plus petite partie, et celà par des raisons, qui tiennent à son caractere moral, ainsi que je l'ai dit plus haut. - Depuis lors Mr. Sponholtz s'est détermmé à ne plus garder son cabinet avec une sollicitude aussi mysterieuse; 38 ) cependant on m'assure, que je suis le premier, à qui il l'ait montré avec franchise et sans reticence aucune, et même il prenoit un plaisir extrème à me voir dessiner, enfin les idoles et autres objets, que j'ai dessinés chez lui, ont été trouvés à Prilwvitz, et font partie de la collection, dont Mr. Masch a fait l'histoire; mais cette partie lui est restée toujours inconnue, et il paroissoit même ignorer l'existence, lorsque j'ai eu l'honneur de le voir à Strelitz; en effet il me récommanda seulement d'aller à Racebourg sans me parler de Neu-Brandebourg, mais en même tems il ajouta: "vous me conduisez sur un champ très vaste, où je n'ai été depuis bien longtems". Dann folgt: Notice des antiques Slaves trouvées à Prilwitz et conservées aujourd'hui dans le Cabinet de Mr. Sponholtz a Neubrandebourg, worunter Fig. 1 bis 51 seiner Tafeln beschrieben werden, hierauf Notice des antiques Slaves trouvées par Mr. Sponholtz dans un champ, qui hu appartient, worin Fig. 52 bis 87 beschrieben werden, mit der darüber stehenden Bemerkung: Ces antiques étoient renfermées dans un vase de cuivre et le vase chargé de pierres des champs, sur lesquelles étoient gravées des Runes, l'on trouva dans les environs plus de cent urnes pleines de cendres et d'os - so weit hatte sich der im J. 1780 von Masch beschriebene Fund indeß vergrößert! - Dann folgen Fig. 88 bis 104 andere, meistens ächte Alterthümer aus Gideons Cabinet, und endlich Fig. 105 bis 118 Alterthümer aus der ratzeburger Sammlung, unter denen ohne Zweifel manche Fabrikate Gideons sind. 39 )

Kurz vor Potocki's Anwesenheit in Neustrelitz war am 2. Juni 1794 Herzog Adolf Friedrich gestorben und sein Bruder Karl ihm in der Regierung gefolgt. Dieser war es, der einst die prillwitzer Idole hatte zeichnen und in Kupfer stechen lassen;


38) Bemerkenswerth ist es, daß von einer Seite über die Unzugänglichkeit der Gideonschen Schätze geklagt wird, von anderer Seite (z. B. durch v. Hacke) die Liberalität gerühmt wird, mit welcher "seine Sammlungen jedem Liebhaber offen stehen". Fürchtete er etwa von einer Seite (Masch) Entdeckung seiner Fälschung?
39) Wenigstens hat einer von den zu Neustrelitz über diese Angelegenheit Vernommenen (Buttermann) ausgesagt, daß Gideon Urnen nach Ratzeburg verkauft habe.
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vielleicht wurde jetzt durch Potocki sein Interesse an denselben neu angefacht. Er kaufte nicht allein im J. 1795 das Gut Prillwitz, sondern brachte auch die zu Ratzeburg auf der Dombibliothek aufbewahrten Prillwitzer Alterthümer an sich und ließ sie nach seinem Lustschlosse zu Hohen=Zieritz schaffen, wo er sie unter die Aufsicht des uns schon durch Potocki bekannten Pastors Schmidt zu Prillwitz stellte, der sich lebhaft für die vaterländischen Alterthümer interessirte. Es wurden auch Versuche gemacht, Gideon zum Verkaufe seiner Sammlung zu bewegen, allein vergebens. Im J. 1798 klagte darüber der Pastor Kortüm zu Neubrandenburg 40 ): "Der jetzt regierende Durchlauchtigste Herzog Karl, selbst Kenner und Liebhaber, ließ bald nach dem Antritt seiner Regierung sämmtliche Alterthümer von Ratzeburg kommen, und wies ihnen seinen Sommersitz Hohenzieritz für die Zukunft zum Aufenthalt an. So waren die alten ehrsamen Götter schon wieder um einen großen Theil dem Orte näher gekommen, wo man einst vor ihnen knieete. Aber noch befinden sich die edelsten, die gehaltreichsten, die entscheidendsten Stücke nicht in ihrer Gesellschaft. Infandum regina jubes renovare dolorem! Sie befinden sich noch in Neubrandenburg in strengerer Gefangenschaft, als einst in dem Kessel zu Prillwitz, und was das traurigste ist: ex infernis nulla redemtio! Alle billige, selbst kostbare Versuche, sie ihren Brüdern zuzuführen, und den Vorsitz unter denselben nehmen zu lassen, sind bisher vergeblich gewesen, und werden auch noch fürs erste vergeblich bleiben. Herr Superintendent Masch glaubt in der Vorrede zu den erläuternden Gottesdienstlichen Alterthümern der Obotriten, daß es ihm geglückt sey, sämmtliche Stücke unter gewissen Bedingungen aus den Händen des Herrn Sponholtz, der sie bisher eigenthümlich besessen, zu erhalten. Wie sehr wäre es doch zu wünschen gewesen! Dann wäre die Erläuterung noch vollständiger geworden, und wir verdankten derselben noch mehrere Belehrung. Dann wäre durch die bloße Nachricht von dem Daseyn dieser Stücke der Einwurf widerlegt worden, daß die ganze Sammlung nicht aus Tempelgötzen, sondern aus Hausgötzen irgend eines vermögenden Wenden bestanden. Schon bedauerte Herr Sup. Masch hin und wieder, daß einzelne Stücke fehlten, die noch einige Aufschlüsse hätten geben können, und vermuthete, daß sie wohl im Feuer ganz geschmolzen seyn möchten. Aber der würdige Mann wußte nicht, daß diese fehlenden, so wie noch mehrere seltene Stücke aller Feuersgefahr entronnen sich in sicherm Verwahrsam befanden. Es gehört hier nicht her, die Ursachen anzugeben, die diese enge


40) In der schon oben benutzten kleinen Schrift: "Beschreibung eines neulich bey Neubrandenburg gefundenen wendischen Monuments" S. 41.
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Sperre veranlaßten und noch fortdauernd erhalten. Ich wollte nur an die historisch richtige Existenz noch mehrerer wendischen Alterthümer erinnern, als wir schon aus der Beschreibung kennen, Es befindet sich unter andern ein sehr ansehnlicher Radegast darunter, bey dessen bloßen Anblick, ungeachtet er hin und wieder mit edlem Rost überzogen ist, man sich nicht versagen kann, unwillkührlich an die Beschreibung des Adam von Bremen zu denken: Simulacrum ejus auro, lectus ostro paratus. -Möge er einst, wie seine gefangenen Mitbrüder in die durch ihr Alterthum ehrwürdige Gesellschaft zurückkehren! Nur die kommende Generation darf sich die Erfüllung dieses Wunsches versprechen. Sie läßt uns denn wenigstens die Gerechtigkeit wiederfahren, daß wir solche Denkmäler zu würdigen verstanden, indeß sie nicht mehr denken darf: quid juvat adspectus, si non conceditur usus". - Eine gleiche Klage erhob der Pastor Rudolphi zu Friedland, der Schwiegersohn Maschens, als dieser am 24. Januar 1802 sein funfzigjähriges Amtsjubiläum beging, in der gedruckten Gratulationsschrift S. 20: "Nur Schade, daß sie (die Prillwitzer Alterthümer) noch nicht alle gesammelt sind, und an einem Orte der Nachwelt aufbewahret stehen. Viele, und vielleicht der größte und beste Theil derselben, lieget noch bey dem Besitzer, Herrn Sponholz, unbenutzt, dem Gelehrten unbekannt und gleichsam vergraben, deshalb zu wünschen stehet, daß eine höhere Hand auch sie aus ihrer Verborgenheit hervorziehen, neben jene aufstellen, und durch eine im Alterthum geübte Feder für die Beschreibung derselben sorgen und sie der gelehrten Welt mittheilen möge".

Uebrigens machten zunehmendes Alter, Kränklichkeit und Cynismus Gideon jetzt immer unzugänglicher. Mein Oheim, der Obermedicinalrath Brückner zu Ludwigslust, hat unlängst eine Schilderung Gideons entworfen, die mit allem, was ich anderweitig über diesen Sonderling von seinen Zeitgenossen gehört habe, so genau übereinstimmt, daß ich mir nicht versagen kann, sie hier zu veröffentlichen. Brückner schreibt: "Es mag im letzten Jahre des vorigen oder ersten dieses Jahrhunderts gewesen seyn, als Dein lieber Vater einige Fremde zu Gideon Sponholtz führte, um die Götzen zu sehen, und Karl v. Oertzen 41 ) und mich mitnahm. Das lebendige Interesse, womit wir beide Alles betrachteten, erwirkte uns die Erlaubniß, den alten Chiromanten am nächsten Sonntag Morgen allein zu besuchen. Wir fanden ihn in einem sehr reducirten bunten Schlafrock im Lehnstuhl neben einem Tisch, auf dem ein Glas mit Blumen stand. Wir


41) Der im J. 1837 zu früh verstorbene Landrath v. Oertzen auf Brunn, der damals mit Brückner von meinem Vater unterrichtet wurde.
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waren damals schon eifrige Botaniker und betrachteten also die Blumen sofort sehr aufmerksam, ohne uns darüber zu äußern. Er nahm dies wohl für ein Zeichen bescheidener Wißbegierde und begann mit seinen vielerlei Kenntnissen in Alterthümern und Naturalien zu prahlen, wobey er auf diese und jene alte Charteken hinwies, die auf Tischen und Schränken im Zimmer umher standen. Auch über die Lachtauben, die links der Eingangsthür bis ans Fenster ein großes Bauer bewohnten und die Luft des Zimmers so verdarben, daß wir fortwährend einen leisen Ekel empfanden, hielt er uns eine Vorlesung. Er ließ sich endlich verleiten zu behaupten, daß er auch alle Pflanzen griechisch und lateinisch zu nennen wisse. Das schlug zu sehr in unsere Profession, als daß wir nicht hätten Zweifel empfinden und ihn um Beispiele seiner Gelehrsamkeit angehen sollen. Er zeigte auf eine vor ihm stehende Aurikel: "die heißt auf lateinisch Primula und auf griechisch Awrikel". Unsere Gesichter mochten doch einigen Zweifel ausgedrückt haben. Er begann schweigsamer zu werden, und wir flüchteten bald aus dieser unheimlichen Atmosphäre".

Endlich gegen Ende des J. 1803 oder zu Anfang des J. 1804 42 ) entschloß sich Gideon, wohl vornehmlich durch die Zerrüttung ihrer Vermögensumstände, die sein Bruder Jacob durch falsche Speculationen verschuldet haben soll, dazu gedrängt, von seinem theuren Schatze sich zu trennen. Für eine Jahresrente, die man wohl übertrieben auf 300 Thlr. angiebt, wurden seine Alterthümer dem Herzoge Karl überlassen, nach Prillwitz geschafft und mit der übrigen kurz zuvor von Hohen=Zieritz hierher übersiedelten Sammlung vereinigt. Paster Schmidt machte sich nun sogleich daran, die neu hinzu gekommenen Alterthümer ausführlich zu beschreiben. Bei den Neustrelitzer Acten befindet sich ein starkes Heft von Schmidts Handschrift, theils aus Entwürfen, theils aus begonnenen Reinschriften bestehend, welche nur die Ueberzeugung gewähren können, daß trotz alles angewandten Fleißes Schmidt der Sache nicht gewachsen war. Für uns von Interesse kann nur die Prillwitzer Tradition über den Fund der Alterthümer sein, welche ich aus Schmidts Vorbericht 43 )


42) Nach der Angabe des Herrn Pastors Masch zu Demern in der 1842 erschienenen Beschreibung der Großherzogl. Alterthümer= und Münzsammlung in Neustrelitz S. 20 geschah die Ueberlassung der Gideonschen Alterthümer an den Herzog Karl im J. 1804, nach einer gleichzeitig niedergeschriebenen Notiz meines sel. Vaters in der letzten Hälfte des J. 1803.
43) Dieser Schmidtsche Vorbericht befindet sich in mehreren Reinschriften von Schmidts Hand bei den Neustrelitzer Acten, und auch in einem Exemplar von Schmidts Hand bei den Schweriner Acten. - Nur will ich noch bemerken, daß schon Schmidt in den Runen=Legenden der neu erworbenen Gideonschen Alterthümer ganz treuherzige "Schreibfehler" bemerkte, z. B. die Vertauschung der beiden ähnlichen Runen für M und Z, so daß man auf den Potockischen Idolen mer für zer, ramivia für razivia liest, ja einmal den sonst stets Rhetra geschriebenen Namen in der corrupten Orthographie des vorigen Jahrhunderts Rhetra!
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hier mittheilen will: "Diese [Alterthümer] wurden größtentheils zwischen denen Jahren 1687 und 1697 zu Prillwitz entdeckt. Herr Samuel Friedrich Sponholtz, damaliger hiesiger Prediger, fand sie bey der Versetzung eines Baumes im Pfarrgarten. Sie lagen theils in, theils neben einem metallenen Gefäße etwa drey bis vier Fuß tief in der Erde verwahret. Das Gefäß war rund mit einem ähnlichen Deckel bedeckt und äußerlich mit einer Inschrift von Runen oder nordischen Buchstaben bezeichnet. Um dasselbe fand man viele in einen Kreis gestellte irdene Urnen, nebst einer Beylage von verschiedenen eisernen Geräthen. Die Urnen wurden zerbrochen, die Geräthe zerstöhret und so der Nachwelt entrissen. Der Prediger Sponholtz starb in dem J. 1697 und seine nachgelassene Wittwe verkaufte diese geerbten Schätze dem Goldschmied Pälcke in Neubrandenburg, von ihm kamen sie an seinen Schwiegersohn, den in der Stadt wohnenden Goldschmied Sponholtz, der das vorhin gedachte Gefäß nebst einigen vormals dabey gefundenen Götzen zum Umgusse einer geborstenen Glocke an die dortige Marienkirche schenkte". Ueber die Wittwe des Pastors Sponholtz, welche die Alterthümer an den Goldschmied Pälcke verkaufte, bemerkt Schmidt in einer Anmerkung: "Diese Frau heyrathete nach der Zeit den Nachfolger ihres seligen Mannes, Herrn Martin Manasse Schernack, dem mein Vater Erdmann Christian Schmidt 1748 adjungirt wurde, und dem ich nach seinem 1779 erfolgten Ableben 1780 gefolgt bin. Von meinem Vater habe ich diese Nachricht, der sie oft von dem Prediger Schernack, dessen Frau schon vor 1748 gestorben war, gehört hatte, erfahren".

Indeß wünschte man höhern Orts, daß eine namhafte Auctorität öffentlich ein Urtheil über die Sammlung aussprechen möge. Masch war zwar für seine Jahre noch rüstig genug, aber sein Ansehen auf diesem Felde der Gelehrsamkeit war durch Thunmann und Buchholtz zu sehr erschüttert worden, als daß man ihn hätte auffordern mögen, noch einmal in dieser Angelegenheit die Feder zu ergreifen. Der herzogl. Kammerherr Graf v. d. Schulenburg, welcher zugleich die Aufsicht über die herzogl. Bibliothek führte, brachte den als Kenner der nordischen Geschichte und Mythologie geschätzten Professor Rühs zu Greifswald in Vorschlag. 44 ) Rühs untersuchte im J. 1805 die Alterthümer zu


44) Der Graf v. d. Schulenburg schreibt darüber unter dem 28. November 1827 an den damaligen großherzogl. Bibliothekar Hofrath Reinicke: "Der verstorbene Großherzog Carl, der die Alterthümer von Ratzeburg zurückgefordert und selbige nach Hohenzieritz hatte bringen lassen, zweifelte zwar so wenig als sonst irgend jemand an der Echtheit derselben, wol aber wünschte der Herzog, da die unkritische Beschreibung und Erläuterung derselben von Masch nicht befriedigte, das Urtheil eines Sachkenners über selbige zu vernehmen, und zugleich, daß eine wissenschaftliche Beschreibung derselben als= (  ...  )
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Prillwitz und setzte ein referirendes Sendschreiben darüber auf, welches im Juni=Hefte des Wielandschen Merkur vom J. 1805 abgedruckt wurde. Es heißt darin: "Das Kabinet des Herzogs besteht aus drei Hauptgegenständen: 1) einer großen Anzahl von Götterbildern, Opfergeräthschaften und andern zum Kultus gehörigen Dingen, 2) einer Menge von Urnen von verschiedener Form und verschiedenem Stoff, und endlich 3) aus mancherlei Waffen und Geräthschaften, die aus der Erde hervorgeholt sind. Die erste Klasse ist natürlich die merkwürdigste. Die meisten Stücke sind vor mehr als 100 Jahren in der Gegend von Prillwitz, einem Dorfe, das jetzt ein Eigenthum des Herzogs ist, entdeckt worden, einen andern geringern Theil hat man späterhin in der Gegend von Neubrandenburg ausgegraben. Die Besitzer haben diese Sachen, aus Furcht, sie ausliefern zu müssen, lange verheimlicht; die ganze Sammlung gehörte einem Goldarbeiter in Neubrandenburg, Herrn Sponholz; durch einen Zufall erhielt der Hr. Superintendent Masch einen kleinen Theil derselben, den er im J. 1771 in seinen Gottesdienstlichen Alterthümern der Obotriten beschrieben und nachher an den Dom zu Ratzeburg verkauft hat. Bei weitem die meisten Stücke blieben aber unbekannt; nur als sich mit der Ueberzeugung des Eigenthümers, daß sie keine edle Metalle enthielten, die Furcht zu ihrer Abtretung gezwungen zu werden, verloren hatte, hörte er auf, aus seinen Schätzen ein Geheimniß zu machen. Der Graf Potocki lieferte in seiner Voyage dans quelques parties de la Basse Saxe, Hamb. 1795, ein Verzeichniß und Abbildungen der meisten Stücke: seine Zeichnungen sind jedoch sehr flüchtig, es hat ihm an Zeit gefehlt, die Runen, womit sie versehen sind, zu entziffern, und oft hilft er sich mit dem Ausdruck charactères magiques aus der Noth. Die Ratzeburgsche Sammlung hatte der Herzog schon früher an sich gebracht. - Die erste Frage, die wir aufwerfen müssen, ist natürlich: sind diese Alterthümer auch ächt? Eh' ich sie selbst gesehen, geprüft und alle darauf Bezug habende Umstände genau erforscht hatte, war ich wirklich geneigt, irgend eine Art von Täuschung zu vermuthen; es ist wahr, der Kritiker kann eine


(  ...  ) dann dem Publicum vorgelegt werden könnte. Zu diesem Ende schlug ich den Universitäts=Bibliothekar der Universität Greifswald, den Professor Rühs, vor, indem ich glaubte, er sei ein Mann, der die Absichten des Herzogs erfüllen könne. Im August 1804 sandte mich der Herzog zu dem Ende nach Greifswald, Rühs nach Hohenzieriz und Neustrelitz einzuladen. Seine Geschäfte erlaubten ihm indessen nicht, der Einladung Folge leisten zu können. Im April 1805 erhielt ich Nachricht von ihm, daß er sich bei seinem Verwandten, dem Pastor zu Roga, ich glaube er hieß Bötticher, aufhielt und bereit sei, auch nach Neustrelitz zu kommen. Ich holte ihn dort ab und brachte ihn zum Pastor Schmidt nach Prillwitz. Während seines kurzen dortigen Aufenthalts hat er die damalige Sammlung zu Hohenzieriz flüchtig durchgesehen; er kam darauf nach Neustrelitz, verweilte daselbst einige Tage und reiste nach Greifswald zurück". (Neustrelitzer Acten.)
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Menge von Zweifeln und Gründen gegen die Authenticität anführen; mehr als ein Umstand rechtfertigt einen Verdacht wider die Entdeckung; aber auf der andern Seite lassen sich an den Denkmälern selbst gar keine Spuren eines Betruges entdecken; um ihn zu einem so hohen Grade zu treiben, wären seltene und ungemeine Kenntnisse erforderlich gewesen, und endlich läßt sich durchaus keine vernünftige Absicht dabei denken. Es ist indessen auffallend, daß die Schriftsteller, von denen diese Sammlung bisher erwähnt ist, an der Aechtheit derselben gar nicht gezweifelt haben: da aber dieser Punkt von der äußersten Wichtigkeit ist, werde ich in meinen Untersuchungen "über die Wohnplätze, die Geschichte, Sitten und Religion der Slavischen Völker im nördlichen Teutschlande, zur Erläuterung der Herzogl. Mecklenb. Sammlung Slavischer Alterthümer", ohne Parteilichkeit und irgend eine andere Rücksicht alles, was sich dafür und dawider sagen läßt, neben einander stellen. Wenn die Authenticität dieser Denkmäler nicht mehr bestritten werden kann, u. s. w.". - Man sieht, Rühs hatte eben so wenig, wie Pastor Schmidt, den ungeheuren Unterschied bemerkt, der in Technik und Styl zwischen den von Masch und den von Potocki beschriebenen Idolen stattfindet.

Gideon überlebte den Verlust seiner Sammlung nicht lange, wiewohl er auch noch nach dem Verkaufe derselben eifrig nach Alterthümern zu graben fortfuhr. Er starb 61 Jahre alt am 22. Januar 1807 an einer Brustkrankheit; acht Tage lang stand seine Leiche über der Erde, und als man sie zum Friedhofe führte, streute man Leinsamen * ) hinter dem Sarge her, um sich vor dem revenant zu sichern. Masch folgte ihm ins Grab am 26. Oct. 1807, beinahe 83jährig, der ältere Bruder Jacob Sponholtz am 8. Sept. 1809 im 75. Lebensjahre. Noch bei dessen Lebzeiten war über sein Vermögen Concurs ausgebrochen, in den nun auch Gideons Nachlaß mit hineingezogen wurde. Am 26. Juni 1810 wurde der Rest von Gideons ehemaligem Alterthums=Cabinette (die werthvollen Sachen scheinen vorher bei Seite geschafft worden zu sein) in öffentlicher Auction versteigert: Nr. 1 "ein hölzerner Tempel zu Rhetra, nach Anleitung des Herrn Superint. Masch, mit seinen Götzen, Heiligthümern und Verzierungen", wurde für 16 ßl. zugeschlagen.



*) Der jetzt schon verschollene abergläubische Gebrauch, hinter der Leiche her, wenn sie aus dem Hause getragen wird, Leinsamen zu streuen, war im vorigen Jahrhunderte in Meklenburg noch gang und gäbe. Siehe darüber den Aufsatz "Spuren wendischer Sitten und Gebräuche unter dem gemeinen Manne in Meklenburg" in der Monatsschrift von und für Meklenburg, 1789, S. 211: "So wie die Leiche aus dem Hause getragen ist, wird vor die Hausthüre eine Hand voll Leinsamen gestreut, oder heiße Asche oder auch glühende Kohlen geworfen, und Wasser darauf gegossen".
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Zweifel an der Aechtheit der Prillwitzer Alterthümer und die Neustrelitzer Untersuchung.

Inzwischen waren in Folge der französischen Invasion im Jahre 1806 die Prillwitzer Alterthümer der größern Sicherheit wegen nach Neustrelitz geschafft und unter die Aufsicht des herzoglichen Bibliothekars gestellt worden. Die Ungunst der Zeiten ließ sie fast ein Jahrzehent lang in Vergessenheit gerathen: so sehr verschlangen die öffentlichen Interessen alle übrigen. Als jedoch die Kriegsstürme sich gelegt, wurden auch die Prillwitzer Idole wieder der Gegenstand gelehrter Erörterungen. Gegen Ende des J. 1815 schrieb Jacob Grimm in einer Recension in den göttinger gelehrten Anzeigen (Stück 52 S. 513) mit unverkennbarer Anspielung auf die Prillwitzer Idole: "Aus glaubwürdigem Munde hat Recensent (und Rostocker Gelehrte sollen mehr davon wissen), daß im vorigen Jahrhunderte ein Mecklenburgischer Goldschmidt kleine Götzenbilder erfunden und gearbeitet habe". Woher Grimm diese Kunde empfangen, vermag ich nicht zu sagen. Auch Rühs hatte in Berlin seine Ansicht über die Aechtheit der Prillwitzer Idole wieder geändert und schrieb in seiner im J. 1816 erschienenen Geschichte des Mittelalters darüber: "die höchst verdächtige Entdeckungsgeschichte und mehrere innere Umstände lassen große Zweifel an der Aechtheit dieser sonst höchst merkwürdigen Alterthümer übrig." Ueber Rühs Sinnesänderung kann uns der Obermedicinalrath Brückner noch Auskunft ertheilen, der darüber an mich schreibt: "In den letzten Tagen des J. 1812 machte ich Abschiedsbesuch bei Prof. Rudolphi in Berlin und traf bey ihm Prof. Rühs. Beide waren höchst aufgeregt durch die eben eingetroffene sichere, aber immer nur heimlich cursirende Nachricht, daß Napoleon auf einem einsamen Schlitten durch Glogau passirt sei. Erst nach längeren Umzügen konnte ich meinen längst gehegten Wunsch in Ausführung bringen, nämlich Rühs Ansicht über unsere Götzen zu erfragen. Er erklärte, daß er, wo nicht alle - es möchten etwa vier auszunehmen seyn -, gewiß die meisten für unächt halte. Er vermißte an ihnen den ächten edlen Rost, hielt den Rost der Götzen, so wie diese selbst für künstlich gemacht, was einem Metallarbeiter nicht schwer werden könne. Auf die Frage, ob er Gideon für wissenschaftlich gebildet genug halte zur Ausführung dieses antiquarischen Betruges, meinte er, es müsse demselben doch an antiquarischen Kenntnissen nicht fehlen, und bedauerte sehr, neulich eine Gelegenheit, hierüber ins Klare zu kommen, verloren zu haben. Hr. Pastor Alban habe ihn näm=

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lich bey Gideon eingeführt, und sie sich über die Götzen unterhalten, er auch geäußert, wie wünschenswerth es sey, solcher Alterthümer mehr zu finden, die gewiß gute Käufer haben würden. Da habe Gideon denn nicht nur die Herbeischaffung mehrerer solcher wendischer Alterthümer für gar wohl möglich gehalten, sondern auch geäußert, er werde ihm vielleicht auch eine Sammlung ägyptischer Alterthümer verSchaffen können. Er - Rühs - sey sofort darauf eingegangen, ihm einen guten zahlfähigen Käufer nachweisen zu wollen. Da habe unglücklicher Weise Hr. Pastor Alban zweifelnd gesagt: Aber, Herr Sponholtz, wo wollen sie denn ägyptische Alterthümer herbekommen? das ist ja gar nicht wahrscheinlich und wohl kaum möglich. Auf diese Rede habe sich denn Gideon sogleich wieder in sein gewohntes Schneckenhaus geheimnißvollen Schweigens zurückgezogen, und alle Mühe, noch etwas über seine antiquarischen Kenntnisse zu erfahren, sey vergebens gewesen".

Allein noch wurden diese verurtheilenden Stimmen kaum beachtet. Im October des Jahres 1819 untersuchte der unter dem Namen des Nordischen Alterthumsforschers bekannte Sonderling Martin Arendt (geb. zu Altona 1769, gest. 1824 auf einem Dorfe bei Venedig) auf der großherzogl. Bibliothek zu Neustrelitz die Prillwitzer Idole; aber nicht die geringsten Zweifel an der Aechtheit des einen oder des andern Theiles derselben stiegen bei ihm auf. 45 ) Folgenreicher für die Untersuchung wurde ein Besuch, den Friedrich von Hagenow im December 1824 auf der großherzogl. Bibliothek zu Neustrelitz machte. Er leitete zuerst die Aufmerksamkeit der Forscher auf die Runen=Steine, welche, ebenfalls aus Gideons Sammlung stammend, fast unbeachtet im Winkel lagen. Er zeichnete sie, und forschte dann in Neubrandenburg vergeblich nach näheren Aufschlüssen über ihren früheren Besitzer. Als er aber später in Erfahrung brachte, daß zu Waren noch einer von den früheren Amanuensen Gideons, nämlich Daniel Boye, am Leben sei, schrieb er dorthin, ließ diesen durch einen Notar über die Runensteine vernehmen, und gab zu Anfange des J. 1826 die Aussagen Boye's nebst Abbildung und Erläuterung der Runensteine heraus. 46 )

Unterdeß war im October 1825 der als Kunst= und Antikenkenner rühmlichst bekannte Professor Levezow aus Berlin nach


45) Arendt hat eine kurze Aufzählung der Idole, mit beigefügter Erklärung der Runen=Inschriften, im J. 1820 zu Minden drucken lassen, die aber wenig wissenschaftlichen Werth hat, da er diese Erklärungen ohne weitere Begründung meistens aus seinen Vorgängern (Masch, Thunmann, Potocki) entlehnt hat.
46) Beschreibung der auf der großherzogl. Bibliothek zu Neustrelitz befindlichen Runensteine und Versuch zur Erklärung der auf denselben befindlichen Inschriften von Friedrich v. Hagenow. Loitz und Greifswald, 1826.
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Neustrelitz gekommen, um die jetzt das Interesse der Alterthumforscher aufs Neue in Anspruch nehmenden Prillwitzer Alterthümer genau zu untersuchen. Levezow, obwohl mit Rühs Zweifeln an ihrer Aechtheit inficirt, verließ nach einer mehrwöchentlichen Anwesenheit Neustrelitz mit der Ueberzeugung von der Aechtheit dieser Alterthümer, obgleich er zugab, daß ein oder das andere Stück mit zu dieser Sammlung gekommen sein möge, das ursprünglich nicht dazu gehört habe, oder wohl gar als verdächtig erscheinen könne. Nicht wenig betroffen war er daher, als er zu Berlin in einer gelehrten Gesellschaft über diesen Gegenstand einen Vortrag hielt, und ihm der Prof. Link, der früher an der Universität zu Rostock gewesen war, den Einwurf machte, daß die ganze Prillwitzer Sammlung ohne Bedeutung sei, da es ja ausgemacht sei, daß Alles auf Fälschung und Täuschung beruhe. Doch schien Link dieses Urtheil nur als auf eine allgemeine Sage sich stützend angenommen zu haben, wies aber auf die rostocker Professoren Siemssen und Eschenbach hin, welche genauere Auskunft zu geben im Stande sein würden, insbesondere Siemssen, 47 ) der an der Spitze der Opposition gegen die Aechtheit der Prillwitzer Idole stehe. Levezow theilte dies nach Neustrelitz mit, und der großherzogl. Bibliothekar, Hofrath Reinicke, erhielt höhern Ortes den Auftrag, bei Siemssen deshalb Erkundigungen einzuziehen; Eschenbach war inzwischen verstorben. Siemssen wies jene Behauptung mit Indignation zurück und erklärte unter dem 7. Februar 1827: "er würde gewiß mit einer Vindication der Aechtheit der Prillwitzer Alterthümer schon längst hervorgegangen sein, wenn die etwa übernommene Widerlegung aller ihm bis jetzt bekannt gewordenen, meist von Nichtkennern hervorgesuchten, schon längst beseitigten Bedenken und Einwürfe, von ihm mit seiner literarischen Ehre zuträglich hätte geführt werden können" (Neustrelitzer Acten). Auf diese unumwundene Erklärung Siemssens mußte Levezow an Reinicke gestehen: "die Sache läuft wieder, wie so oft, auf gelehrtes Weibergeträtsch und Geklätsche hinaus, was gern mit kritischer Miene von denen verbreitet wird, die nicht Lust und auch nicht Zeug dazu haben, die Sache selbst genauer zu prüfen". (Schreiben vom 8. März 1827 bei den Neustrelitzer Acten.)

Inzwischen hatte Maschens Schwiegersohn, der Pastor Rudolphi zu Friedland, der ein reichhaltiges Alterthumscabinet besaß


47) A. C. Siemssen war geboren zu Altstrelitz am 2. Mai 1768 und starb zu Rostock am 17. Juni 1833 er war ein naher Anverwandter des Präpositus Genzmer und mit dem Superint. Masch befreundet, dessen Hypothese von dem Tollense=Thale als einem Binnenwasser der Ostsee er jedoch verwarf. Siemssen hat sich große, seiner Zeit nicht genug anerkannte Verdienste um die vaterländische Naturkunde erworben.
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und mit dem Levezow sich in Verbindung gesetzt hatte, vorgeschlagen, man möge den bereits auf v. Hagenows Betrieb vernommenen Boye von Waren nach Neustrelitz citiren, um ihn noch genauer über Gideons Treiben und die Fundörter der von ihm angekauften Alterthümer zu vernehmen. Levezow erfaßte diesen Plan sehr eifrig, und schrieb darüber unter dem 26. November 1826 an Reinicke: "Ich gestehe aufrichtig, daß ich diesen Vorschlag für sehr zweckmäßig halte, ja für fast unumgänglich, um dies juristische Siegel zur Erhärtung der Wahrheit noch auf die wissenschaftlich=historisch=philologische Beweisführung von der Aechtheit der Monumente zu drücken. - Nach meinen schon erhaltenen Ueberzeugungen ist auch gar nicht zu befürchten, daß der Mann Dinge aussagen werde, welche der Sache im Ganzen nachtheilig werden könnten. Das geht schon aus dem Warenschen Protocoll bei v. Hagenow hervor, aber es würde zu außerordentlicher Erhöhung des Werthes der unbezweifelt ächten Denkmäler dienen, wenn man durch Boye in den Stand gesetzt würde, sicher davon das abzuscheiden, was Sponholtz vielleicht (um seine Sammlung zu vermehren) von dem Seinigen hinzugethan, und wo und unter welchen Umständen das Aechte gefunden worden. Dies zu erforschen ist man Ihrem schätzbaren Museo und der Wahrheit schuldig, und ich bitte Sie, mein theuerster und verehrungswürdiger Freund, dringend, diesen Vorschlag nicht ganz zu verwerfen, sondern vielmehr dazu höhern Orts Einleitungen zu treffen, was Ihnen nicht schwer werden kann. sollte es, wie ich ganz besonders wünschen muß, dazu kommen, so würde ich mir erlauben, Ihnen zum Behuf einer solchen officiellen Vernehmung in Strelitz ein Project von Fragepunkten zu übersenden, deren specielle Beantwortung mir für meine Untersuchung sehr am Herzen liegt, und die vielleicht jetzt Niemand so genau und bestimmt stellen kann, da ich mich jetzt mit der ganzen Lage der Dinge, aus allen noch darüber vorhandenen gedruckten und ungedruckten Actenstücken, hinlänglich vertraut gemacht, und die Gesichtspunkte kenne, die hierbei vorzüglich ins Auge gefaßt werden müssen". (Neustrelitzer Acten.) Diese 55 Fragepunkte für die Vernehmung Boye's theilte Levezow schon am 15. December d. J. an Reinicke mit, und brachte diesen selbst nebst dem Rath Nauwerck, einem erfahrenen Kunstkenner, als Untersuchungs=Commissarien in Vorschlag.

Man ging in Neustrelitz nicht allein bereitwillig auf diese Vorschläge ein, sondern beschloß auch, diese Untersuchung auf alle noch am Leben befindlichen Personen, welche mit den Gebrüdern Sponholtz in näherer Verbindung gestanden, ausdehnen. Dem zu Folge wurden durch die bezeichneten Commissarien nach ein=

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ander vernommen: der Goldschmied Buttermann zu Neustrelitz, der im J. 1785 bei Jacob Sponholtz in die Lehre gekommen und bis zum J. 1791 bei demselben verblieben war; der Goldschmied Neumann zu Altstrelitz, der 1765 zu Jacob Sponholtz gekommen und 6 Jahre als Lehrling und 17 Jahre als Gesell bei ihm zugebracht hatte; der Goldschmied Völcker zu Altstrelitz, der im J. 1777 zu Jacob Sponholtz gekommen und 8 Jahre lang bei ihm gelernt hatte; der Bürger Boye zu Waren, der vom J. 1788 bis 1795 bei Gideon Sponholtz in Dienst gestanden hatte; und endlich der Gelbgießer Wurm zu Wesenberg, dessen Vater, der Gelbgießer zu Neubrandenburg gewesen war, mit Gideon Sponholtz in Verkehr gestanden hatte. - Nur die Aussagen Neumanns waren von wirklicher Bedeutung und lieferten das schon oben vorweg genommene Resultat: daß die vom Grafen Potocki beschriebene Sammlung Gideon Sponholtzens für unächt anzuerkennen sei, indem Neumann die meisten Stücke derselben als durch seine eigenen Hände, nach auf Gideons Geheiß vom Töpfer Pohl gefertigten Modellen, in Metall abgegossen recognoscirte. Ich theile deshalb die wichtigen Actenstücke über Neumanns Aussagen vollständig mit, und werde in Anmerkungen beifügen, was etwa noch in den Aussagen der anderen Vernommenen zur Aufklärung der Sache beitragend erscheint, und gebe zum Schluß den Bericht der vom Großherzoge ernannten Commissarien über das Resultat der Untersuchung.

Neubrandenburg den 4. December 1853.

Franz Boll.     


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Anlage A

Verhör des Goldschmieds Neumann.

Actum Neustrelitz den 15. October 1827, in Gegenwart des Herrn Hofraths Reinike, des Herrn Raths Nauwerck und des Unterschriebenen.

Am heutigen Tage erschien nach voraufgegangener Einladung der zu Altstrelitz wohnende Goldarbeiter Neumann. Nachdem nun mit solchem in Gemäßheit der Einleitung des Protocolls vom 26. v. M., worauf der Kürze wegen hier Bezug genommen wird, verfahren war und solcher mit Handschlag gelobt hatte, überall, wo er gefragt werde, nach bester Erinnerung die Wahrheit treu und redlich anzugeben, so wurden demselben folgende Fragen vorgelegt:

1) Wie er heiße, wie alt und wer er sei?

Antw. Er heiße Christian Friedrich Neumann, sei im 78. Jahre, habe die Goldschmiedekunst erlernt, welche er jedoch, seiner hohen Jahre wegen, jetzt nicht mehr betreibe.

2) Ob er die Gebrüder Sponholz in Neubrandenburg genau gekannt habe und in welchem Jahre seines Alters er zu solchen gekommen?

Antw. Er habe sie sehr wohl gekannt und sei im 15. Jahre seines Alters zu ihnen gekommen, und zwar im J. 1765.

3) Ob er bis dahin öffentlichen oder besonderen Unterricht genossen und worin?

Antw. Er sei in Neubrandenburg, wo er geboren, in eine Privatschule gegangen. Der Unterricht in selbiger habe bestanden in Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion.

4) Womit er sich außerdem während der Schuljahre in seinen Nebenstunden als mit einem Lieblingsgeschäft oder einem besonderen Zeitvertreibe abgegeben?

Antw. Irgend ein Lieblingsgeschäft erinnere er sich nicht betrieben zu haben, in den schulfreien Stunden habe sein Vater, der ein Sattlermeister gewesen, ihn in gute Aufsicht genommen und angehalten, ihm so viel er gekonnt, bei seiner Profession zu helfen.

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5) In welcher Absicht er zu den Gebrüdern Sponholz gekommen? Wieviel der Gebrüder Sponholz gewesen und wie sie in ihren Vornamen unterschieden worden? Ob sie alle in Einem Hause gewohnt? Ob sie alle einerlei Gewerbe betrieben? Ob Befragter als Goldschmidtslehrling oder Geselle, oder zu welchem andern Zweck er zu diesen Gebrüdern Sponholz gekommen?

Antw. Um die Goldschmidtskunst zu erlernen, sei er von seinen Eltern zu dem älteren Sponholz gebracht. Es seien der Gebrüder 3 gewesen, der älteste, der damals etwa 30 Jahre alt gewesen, habe Jacob Ernst geheißen, gewöhnlich nur Jacob, der Zweite Jonathan Benjamin und der jüngste Gideon Nathanael. So lange, bis der zweite Bruder Jonathan seine Brauwirthschaft angefangen, hätten sie alle zusammengewohnt, nach dessen Trennung wären der älteste und der jüngste nur zusammen geblieben. Der älteste sei eigentlich nur Goldschmidtmeister gewesen; Jonathan habe die Zunftmeisterschaft in seiner Goldschmiedeprofession nie gewonnen, sondern sich zur Wirthschaft gewendet; der jüngste habe keinen bestimmten Beruf gehabt, sondern von seinen Mitteln gelebt, und sei vorzüglich aufs Sammeln erpicht gewesen, besonders von Naturalien und Alterthümern.

6) Ob ihm seine Bestimmung im Sponholzischen Hause erst von den Sponholzen selber gegeben? Ob er von ihnen darüber bestimmte Instructionen und Verwarnungen, etwa über das Ausplaudern gewisser unter ihnen obwaltender Geheimnisse erhalten? Und worin etwa diese Heimlichkeiten oder besondere vertraute Geschäfte bestanden?

Antw. Seine Bestimmung ergebe sich aus der vorigen Antwort. Von besonderen Instructionen und Heimlichkeiten sei nie die Rede gewesen.

7) Ob er mit den Sammlungen der Gebrüder Sponholz außer ihren Berufsarbeiten bekannt geworden?

Antw. Von der Münzsammlung des ältesten Sponholz habe er zuweilen wohl einzelne Stücke gesehen, doch nie die ganze Sammlung zusammen. Jonathan habe keine ihm eigenthümliche Sammlung gehabt, Gideon aber habe für sich gesammelt, und da solcher um diese Zeit seine Sammlung erst recht angelegt habe, so sei ihm auch manches davon zu Gesichte gekommen; gehört habe er öfters, daß während seiner Lehrjahre der Hofrath Hempel die alten von den Sponholzschen Voreltern ererbten, angeblich von der Gebrüder Sponholz Großvaterbruder zu Prillwitz aufgefundenen Alterthümer, von ihnen, wie er gehört habe, um 500 Thlr. erstanden habe, wegen welcher Entäußerung der jüngste Bruder Gideon sich nachmals sehr beklagt habe. Diese Sammlung aber, die, wie er vermeine, den Ge=

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brüdern Sponholz gemeinschaftlich zugehört und Jacob in Verwahrung gehabt, habe er, Befragter, doch nie selbst gesehen.

8) Aus welchen Gattungen von Gegenständen die Sammlungen der Sponholze bestanden? und welchen Zweck sie dabei hatten? 48 )

Antw. In Hinsicht der ersten Frage bezog sich Comparent auf seine obige Antworten. - Ueber den Zweck sei ihm nichts anderes bekannt, als daß es sowohl bei Jacob als bei Gideon bloße Liebhaberei gewesen.

9) Wenn aus Alterthümern, aus welchen Gattungen? Aus gebrannten Urnen? Aus Gerätschaften und Vasen aus Stein und Metall? Aus Schmucksachen? Aus Münzen? Aus kleineren und größeren metallenen Figuren?

Antw. Er habe von den genannten Gegenständen allerdings hin und wieder einzelne gesehen.

10) Wenn auch aus anderen Gegenständen, etwa aus Naturproducten? oder auch aus neueren Kunstwerken?

Antw. Naturproducte habe er bei Gideon auch öfter gesehen, z. B. Mineralien, Versteinerungen, ausgestopfte Vögel und andere Thiere, auch Schnecken und Muscheln, die er zum Theil von Hofrath Hempel erhalten. Er habe auch einige Kupferstiche und Gemälde gehabt, so wie sich sein Sammelgeist auf allerhand seltene Sachen erstreckt habe.

11) Welche Gattungen von Alterthümern besaß Sponholz, als der Befragte zu ihm ins Haus kam?

Antw. Im Anfange seiner Lehrzeit habe er eben nichts besonderes gesehen; nach der Ablieferung der oben erwähnten Sammlung an den Hofrath Hempel aber habe Gideon erst recht zu sammeln angefangen.

12) Welche Gattungen derselben kamen in Jenes Besitz während des Aufenthaltes des Befragten in dem Sponholzschen Hause?

Antw. Er habe Urnen, sowohl metallene, als von Thon, steinerne Opfermesser, eine abgebrochene metallene Schwerdtklinge, einige Götzenbilder, Opferschalen und viele ihm im Augenblicke nicht erinnerliche Kleinigkeiten von Metall, auch steinerne Streitkeile und eiserne Pfeilspitzen nach und nach bei ihm gesehen.

13) Auf welche Weise äußerte sich Sponholz gelegentlich und absichtlich, daß er zum Besitz des vom Befragten schon bei ihm Angetreffenen gekommen, z. B. metallener Götzenbilder, Opferschalen, kleiner Täfelchen oder Runensteine?


48) Auf die letzte Frage antwortet Buttermann: "Sein Zweck schiene Befragtem eine Art Prahlerei gewesen zu sein, um sich bei Gelehrten ein besonderes Ansehen zu geben über Dinge, die er großen Theils selbst nicht verstanden habe".
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Antw. Nach des Befragten Meinung habe er, der Gideon Sponholz, im Anfange, wie er ins Haus gekommen, wenig oder nichts von den genannten Gegenständen gehabt, sondern nach und nach erst in der Folge bekommen. 49 ) Geäußert habe Sponholz sich gegen ihn niemals über den Erwerb des einen oder des andern Stückes.

14) Auf welche Weise hat der Befragte selbst gesehen und erfahren, daß Sponholz seine Sammlungen vermehrte?

Antw. Comparent habe gemerkt, daß dem Gideon oft manches von andern zugekommen sei, und namentlich aus Anclam und aus dem Schwerinschen, das ihm in seiner Sammlung angenehm gewesen sei.

15) Etwa durch Ankauf? und von wem?

Antw. Wenn arme Leute ihm, dem Gideon, etwas gebracht, was in seine Sammlung gepaßt habe, so habe er es wohl gekauft, doch könne Comparent sich nicht mehr, wegen der Länge der Zeit, erinnern, von welchen Personen.

16) Etwa durch Tausch? und mit wem? und wofür? Antw. Von Naturalien stehe es ihm zwar vor, daß von Tauschen die Rede gewesen sei mit dem Präpositus Genzmer in Stargard sowohl als auch mit dem Hofrath Hempel, z. B. Versteinerungen und Schnecken. Ganz einzelne Fälle wisse er sich nicht mehr zu erinnern.

17) Etwa durch eigene Ausgrabungen und Entdeckungen? Und zu welcher Zeit? An welchen Orten? in welcher Gesellschaft und Beihülfe?

Antw. Er habe den Ausgrabungen des Gideon Sponholz nie in Person beigewohnt, sondern sich immer zu seinem Berufsgeschäfte gehalten. Daß aber Sponholz gegraben habe, habe er wohl gehört, und besonders von dessen Helfer, dem alten Nix, der ihm denn auch oftmals gesagt, wo sie gegraben, nemlich zu Bargenstorf, auf dem Brandenburger Felde, zu Küssow und anderen Orten. Der Gideon Sponholz habe auch die Freiheit von dem Herzoge Adolf Friedrich IV., der seine Sammlung persönlich besucht, erhalten, überall nachzugraben, wo er wolle und etwas zu finden glaube. Zu seiner Zeit habe Sponholz nur bloß die Hülfe des alten Nix gehabt, der ehemals Bedienter bei dem Obristlieutenant v. Keyserling, nach dessen Tode nichts


49) Völcker deponirt ad 35: "Er müsse bemerken, daß Gideons Sammlung im Anfange seiner Ankunft im Sponholtzschen Hause gar nicht bedeutend gewesen sei, er habe sie nämlich in der gewöhnlichen Wohnstube linker Hand des Hauses aufbewahrt. Späterhin habe Jacob die Auffahrt des Hauses aufgebauet, und da habe Gideon den dadurch erhaltenen Raum des zweiten Stocks nach der ganzen Tiefe des Hauses zur Ausstellung seiner Sammlungen gewählt und benutzt".
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zn thun gehabt und an Sponholz einen Anhalt und Stütze gesucht habe.

18) Welches waren die Alterthümer, die Sponholz auf allen diesen verschiedenen Wegen acquirirte? und kann der Befragte sie in der großherzogl. Sammlung noch genau bezeichnen und bestimmen?

Antw. Alle Alterthümer anzugeben, welche der Sponholz durch Ausgrabungen oder auf andere Weise erworben, sei ihm nicht mehr möglich, wenn er sich auch erinnere, daß ihm derselbe damals öfters Mittheilungen davon gemacht habe. Was er in der hiesigen großherzogl. Sammlung als damals bei Sponholz gesehen jetzt wieder erkannt habe, wolle er gerne angeben. Es sei solches, außer manchen thönernen Urnen, die er aber ganz speciell zu bezeichnen sich nicht mehr getraue, wiewohl viele zu der Gattung gehörten, die er damals gesehen:

a. eine zerbrochene metallene Urne, worauf ein gedruckter Zettel mit der Inschrift sich befindet: "Eine metallene Urne, welche auf dem Neubrandenburgischen Felde gefunden worden", von der er damals auch gehört, daß ein Pflüger sie aus Sponholzens eigenem Acker zuerst entdeckt habe. 50 )

b. In dem Repositorio des zweiten Zimmers neben dem ersten Schranke zeigte er auf verschiedene Töpfe und Gefäße mittlerer Größe, und entsann sich, diese oder ähnliche auch bei Sponholz gesehen zu haben.

c. Von den Gegenständen in dem oberen Theile des ersten Schrankes der sogenannten Masch'schen Sammlung wollte er nichts vorher gesehen haben, da solche schon während seiner Lehrzeit an den Dr. Hempel überlassen sei. Aus der obersten Lade dieses Schrankes fand er auch nichts, das ihm erinnerlich war. In der mittelsten aber behauptete er Streitkeile, unter andern auch geschliffene der Art, wie sie sich dort finden, bei Sponholz gesehen zu haben. In der untersten Lade meinte er das grün angelaufene meisselförmige Instrument, dem ähnlich, was Potocki Fig. 98 abgebildet hat, so wie auch den sogen. Polnischen Hammer bei Potocki Fig. 97 wieder zu erkennen.

d. In dem zweiten Schrank, und zwar in der obersten Reihe, war ihm der größte Radegast bei Potocki Fig. 17., der Swantevith bei Potocki Fig. 8, in der zweiten Reihe der Rogiit bei Potocki Fig. 11, auch eins der sog. Opfermesser, und


50) Dies bezieht sich ohne Zweifel wohl auf die oben besprochene Ausgrabung im Herbste 1779. Völcker deponirt ad 17: "doch erinnere er sich, daß er einige Male aus Neugierde mitgegangen [bei den Aufgrabungen], unter andern auf dem Brandenburger Felde in der Nähe von Küssow, wo mehrere Urnen, aber weiter nichts gefunden worden; bei dem Burgwall vor dem Friedländshen Thore, wo einige metallene Armenschienen gefunden worden" etc. .
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zwar das broncene von prismatischer Gestalt mit der Aufschrift Radegast bei Potocki Fig. 23, und die mit zwei Schlangen umwundene weibliche Figur bei Potocki Fig. 6 bekannt.

Bei dieser Gelegenheit bemerkte er auch, diese letztere Figur durch den sehr geschickten Töpfer Pohl in Thon geformt gesehen zu haben, welches Veranlassung geben wird, diesen Gegenstand weiterhin näher zu erörtern.

In der großen obersten Lade dieses Schrankes hatte er vormals die breiten Armschienen und den gereifelten Ringkragen, weiter aber nichts von den darin befindlichen Gegenständen gesehen. In der mittelsten großen Lade fand er nichts. In der dritten aber erkannte er sehr wohl die fragmentarische metallene Schwerdtklinge. Dies sei alles, dessen er sich jetzt noch entsinnen könne.

Continuatum den 17. October.

19) Hat etwa einer der Sponholzen selbst mehrere von den in der erwähnten Sammlung befindlichen Alterthümer verfertigt? und welche, und in welcher Absicht?

Antw. Auf diese Frage könne er durchaus nichts anderes sagen, als daß Gideon Sponholz ihm einst ein Thon=Modell gezeigt, ganz ähnlich der in der Sammlung befindlichen, bei Potocki Fig. 6 gezeichneten weiblichen mit 2 Schlangen umwundenen Gestalt; auch habe er mehrmals den erwähnten Töpfer Pohl mit Anfertigung anderer Thon=Modelle, unter anderen eines Ziegenbockes, bei dem Gideon gefunden. In der hiesigen Sammlung habe er jedoch außer der schon erwähnten Figur kein anderes Stück gefunden, wovon er ein Thon=Modell gesehen zu haben sich erinnere. Er fügte noch hinzu, daß Sponholz diese Thon=Modelle sehr geheim gehalten und der ältere Bruder ihm öfter Vorwürfe gemacht, mit den Worten: Was willst Du mit den Dingen machen? Er müsse auch gestehen, daß er auf einige, er sagte ein Paar, metallene Puppen mit einem Schrotpunzen Buchstaben nach Mustern, die ihm Gideon aus einem vom Superintendenten Masch verfaßten und erhaltenen Buche vorgelegt, eingeschlagen habe. In welcher Absicht dies alles geschehen sei, darum habe er sich nicht bekümmert und könne deshalb keine weitere Auskunft darüber geben; übrigens setzte er noch hinzu, daß er die obgedachten Thon=Modelle nicht in der Sponholzschen, in dessen Hause befindlichen Sammlung aufgestellt gesehen habe. 51 )


51) In Völckers Vernehmung heißt es ad 18: "Bei Vorzeigung des größten Radegastes im obern Fache erzählte er, daß Gideon in der Mitte seines Sammlungssaales auf einem Tischchen einen Tempel von Holz stehen hatte, in dessen Mitte sich ein Modell von rohem Thon des Radegastes, mit zwei Hörnern auf dem Kopfe und einem (  ...  )
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20) Mit wessen Beihülfe?

Antw. Außer den vorerwähnten wisse er nicht, daß Gideon sich eines Gehülfen bei dergleichen bedient habe.

21) Stand er etwa mit dem einen oder dem anderen Gelehrten in Verbindung, der ihm die Vorstellungen und die Formen dazu angegeben, die Runen vorgeschrieben?

Antw. Die Gelehrten, deren er sich erinnere, mit welchen Sponholz in einiger Verbindung gestanden und deren auch einige wohl zu ihm gekommen, seien gewesen: der Landsyndicus Pistorius, der bei der öffentlichen Schule als letzter Lehrer angestellte Baccalaureus Schüler, 52 ) der bei eben der Schule als Lehrer gestandene Cantor, nachheriger Conrector Bodinus, 53 ) der Präpositus Genzmer zu Stargard und Anfangs auch der Dr. Hempel, mit dem jedoch späterhin eine Spannung eingetreten. Daß diese Gelehrten dem Sponholz Vorstellungen und Formen zu irgend einem Machwerke, oder auch Runenschriften angegeben haben sollten, wisse er zwar nicht, könne er aber auch gar nicht glauben.

22) Ist dem Befragten je ein Verdacht aufgestoßen, daß Sponholz diese Alterthümer, d. h. die Götzenbilder und Runenschriften, früherhin verfertigt haben könne? Oder dessen Vater? Oder der Goldschmidt Pälke?

Antw. Die erste Frage in Bezug auf Gideon Sponholz erledige sich aus des Befragten vorigen Angaben. Von dem Vater der Sponholzen, der des Befragten Pathe gewesen und in dessen 9. Jahre, also im J. 1759, gestorben sei, könne er zwar nichts Bestimmtes hierüber sagen, jedoch habe er immer gehört, daß solcher allgemein als ein rechtschaffener und braver Mann


(  ...  ) Stierkopfe auf der Brust, gefunden hätte. Um diesen Radegast bätten wenigstens 4 andere Götzenbilder von verschiedener Art, gleichfalls von Thon geformt, mit Thierköpfen, besonders auch eins mit einem Hundskopfe, gestanden. Alle diese thönernen Modelle oder Götzenbilder habe der geschickte Töpfermeister Pohl in Neubrandenburg gemacht. Auf Befragen, ob er sich erinnere, jemals metallene Abgüsse dieser Modelle bei Sponholtz oder anderwärts oder in hiesiger Sammlung gesehen zu haben, antwortete er, nein". Und ad 25 erklärt derselbe: "Gideon habe unter andern ein Buch mit Kupfern gehabt, welches er dem Pohl zu dessen Modellirungen mitgetheilt und vorgelegt; was für ein Buch dies gewesen, wisse er nicht; sie hätten ihn nicht dabei kommen lassen, sondern unter sich gehalten".
52) Der Baccalaureus Schüler war aus Altwigshagen bei Anclam gebürtig, wurde ums J. 1765 dritter und letzter Lehrer an der neubrandenburger lateinischen Schule und starb 50jährig im J. 1786. Den Ruf besonderer Gelehrsamkeit hat er nicht hinterlassen.
53) Heinrich Friedrich Bodinus, ein geborner Thüringer, wurde 1766 als Conrector oder zweiter Lehrer an der neubrandenburger lateinischen Schule angestellt und war seiner Zeit ein vertrauter Freund von Pistorius und anfangs auch von Gideon. Auch er steint bei der besprochenen Aufgrabung im Herbste 1779 auf Sponholtzens eigenem Acker zugegen gewesen zu sein, denn bei aus dieser Aufgrabung stammenden Alterthümern in der neustrelitzer Sammlung fanden sich Zettel von Bodinus Hand. Er starb 75 Jahre alt im J. 1813. Sein höchst origineller, aber duchaus biederer und aller Verstellung und Täuschung unfähiger Charakter ist bei seinen Schülern noch in gutem Andenken.
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bekannt gewesen. Den Goldschmidt Pälke habe er nicht mehr gekannt und wisse daher auch nichts von ihm anzugeben.

23) Hat der Befragte in Sponholzens Werkstatt und dessen Hause nicht Spuren von Anstalten, Instrumenten, Formen und Modellen oder Metallmischungen gefunden, welche zu einem solchen Verdachte Veranlassung geben konnten?

Antw. Befragter bezog sich hier auf die oben ad 19 gemachten Angaben und versicherte, daß ihm weiter nichts über diese Sache bekannt geworden sei.

24) Hatte Sponholz eine Büchersammlung? und aus welcher Gattung von Büchern bestand sie? Verwahrte er etwa mit besonderer Heimlichkeit gewisse Papiere?

Antw. Bücher habe er allerdings wohl gesehen; so viel ihm erinnerlich, seien es solche gewesen, die zum Goldschmidtsberufe gehörten, ein Theil wären auch Schulbücher gewesen. Gideon hätte auf eine große Bibel, die er besessen, viel Gewicht gelegt. Von heimlichen Papieren sei ihm nichts bewußt.

25) Waren unter dessen Büchern solche Werke, welche in Abbildungen ähnliche Figuren darstellten, als die in seiner Sammlung befindlichen? Etwa auch Abbildungen von Runenschrift? Erhielt Sponholz Bücher während des Aufenthalts des Befragten bei ihm? Oder war er schon im Besitz derselben vorher gewesen?

Antw. Außer dem Werke von Masch, welches er bei Sponholz wohl gesehen, erinnere er sich nichts weiter von dem ihm hier in Frage gestellten.

26) Deutete Sponholz die Figuren und Namen in seiner Sammlung? oder waren sie ihm selber unlesbar und unerklärlich? oder wurden sie ihm von anderen erklärt und durch wen?

Antw. Seines Wissens hätte Sponholz die Namen der Figuren seiner Sammlung weder lesen noch erklären können; was er davon gewußt habe, sei ihm vom Superintendenten Masch mitgetheilt.

27) Verstand Sponholz lateinische slavisch oder wendisch? etwa polnisch? oder böhmisch? kannte er Runenschrift? las er die auf seinen Alterthümern oder in den Büchern befindlichen fertig?

Antw. Gideon Sponholz möchte in der Schule wol etwas lateinisch gelernt haben. Wie er, Befragter, gemerkt und gehört, müsse es wol nicht viel gewesen sein. Von den andern genannten Sprachen hätte derselbe keine Kenntnisse gehabt, ebenso wenig als von der Runenschrift. Der ältere Bruder Jacob, den dessen Vater durchaus habe wollen studiren lassen, möge auf der Schule wohl etwas mehr Sprachkenntnisse erworben haben, habe

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aber, so wie auch Jonathan, zu allen diesen keine Lust bezeigt, sich nie weiter damit abgegeben und bloß seinem Berufe und der Wirthschaft gelebt.

28) Hat Sponholz wohl zuweilen metallene Sachen aus seiner Sammlung abgeformt und nachgegossen? Und wenn dies der Fall war, befinden sich diese Nachgüsse noch in der großherzogl. Sammlung?

Antw. Von dergleichen Ab= und Nachgüssen sei ihm nichts bewußt, mithin könne er sie auch in der hiesigen Sammlung nicht gefunden haben.

29) Oder hat er sie an andere vertauscht oder verkauft? 54 ) an wen? Hat er sie diesen für Originale oder Copien ausgegeben?

Antw. Befragter bezog sich auf die vorige Antwort.

30) Hat er sich auch mit Abformen und Abgießen alter Münzen abgegeben?

Antw. Jacob habe dies nie gethan, Gideon aber habe, wenn er seltene oder merkwürdige Münzen in edlem Metall mitgetheilt erhalten, sich solche selbst wohl in Kreideformen mit Zinn nachgegossen.

31) Hat der Befragte den jetzt in Waren noch lebenden Bürger und Einwohner Boye im Sponholzschen Hause gekannt und gesehen? In welcher Verbindung stand dieser Boye mit Sponholz? Und wie lange war er bei Sponholz?

Antw. Allerdings habe er den Boye im Sponholzschen Hause nach der Zeit, wo er, Befragter, dasselbe schon verlassen habe, gesehen. Boye sei Aufwärter des Gideon gewesen, wie lange er sich bei Sponholz aufgehalten, wisse er, Befragter, nicht zu sagen.

32) Hat der Boye dem Sponholz bei seinen Alterthümern Hülfe geleistet und welche? Ist er etwa bei dessen Ausgrabungen gegenwärtig und behülflich gewesen? Hat solcher nicht mit dem Sponholz Gräber geöffnet und mit Runenschrift bezeichnete Steine bei solchen Gräbern gefunden? Und welche Steine in der hiesigen Sammlung waren es?

Antw. Befragter habe wohl gehört, daß Boye dem Gi=


54) Diese Frage verneint Boye ad 29: "dergleichen sei Befragtem nie vorgekommen, im Gegentheil sei Gideons Eifer so groß gewesen, daß er nie habe genug bekommen können", und giebt noch ad 48 speciell an: "er sei einst mit Gideon nach Schwerin gereiset und habe da die dortige Sammlung von vaterländischen Alterthümern gesehen, welche ihnen der damalige Archivrath Evers gezeigt, welcher zugleich den Gideon inständigst angelegen, ihm doch, wenn auch nur einige, von seinen Götzenbildern zu überlassen, welches dieser jedoch standhaft verweigert". Buttermaun ad 53 erklärt: "daß Gideon aus seiner Sammlung an andere Liebhaber etwas überlassen hätte, wisse er nicht und glaube es auch nicht, doch sei ihm erinnerlich, daß jener ihm einmal gesagt habe, er hätte einige Urnen nach Ratzeburg überlassen".
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deon bei seinen Nachgrabungen behülflich gewesen, wisse aber nichts Specielles davon zu sagen.

33) Sind dem Sponholz zuweilen von außerhalb Alterthumssachen zugeschickt und überbracht worden? Etwa aus Mainz oder aus Rostock? Hat er solche Sachen gekauft, getauscht, und wogegen? oder sie abgeformt und seiner Sammlung einverleibt? Sind ihm nicht auch aus Pommern und der Mark Brandenburg solche Alterthümer zukommen und welche sind diese in der hiesigen großherzogl. Sammlung?

Antw. Dem Gideon Sponholz seien verschiedentlich wol, aber mehrentheils hier in der Nähe gefundene Alterthumsstücke zugebracht worden; auch erinnere er sich, daß er zuweilen etwas aus Prenzlau, aus Anclam und aus dem Schwerinschen erhalten; Geld habe er dafür nicht gerne gegeben, auch nicht gerne getauscht; das Meiste sei ihm geschenkt. Von Abformungen solcher Sachen sei ihm nichts bewußt, und so finde er auch nichts davon in der hiesigen Sammlung.

34) Warum hat Sponholz so ungerne seine Sammlungen und besonders die obotritischen Götzenbilder an andere Personen gezeigt und damit so heimlich gethan? 55 ) Fürchtete er etwa, daß man irgend einem Betruge auf die Spur kommen möge? Oder hat er sich darüber gegen den Befragten gelegentlich auf andere Weise geäußert?

Antw. Nachdem Sponholz seine Sammlung aufgestellt gehabt, habe er sie immer gezeigt und nicht heimlich damit gethan. Selbst der Herzog Adolf Friedrich IV. sei einige Male mit seinem ganzen Hofstaate dort gewesen und habe dadurch veranlaßt, dem Sponholz die Erlaubniß zum weiteren Nachgraben, wo er es gerathen fände, zu geben.

35) Was hat Sponholz über seine früheren eigenen Entdeckungen vor Ankunft des Befragten im Sponholzschen Hause demselben mitgetheilt? Welche Stücke in der großherzogl. Sammlung sind damals gefunden worden?


55) Auf diese Frage antwortet Völcker: "Es sei ihm gar nicht bewußt, daß Gideon mit Vorzeigung seiner Sammlung schwierig gewesen sei, im Gegentheil wisse er sehr genau, daß er, wenn nicht unüberwindliche Hindernisse eingetreten, z. B. daß er krank gewesen, sich in diesem Stücke, so vielfältig auch die Ansuchungen gewesen wären, sehr gefällig gezeigt habe". Desgleichen Buttermann: "Dieses Betragen sei ihm von Sponholtz nicht bekannt; rechtlichen, unterrichteten Männern habe er nie geweigert, die Sammlung zu zeigen: bloßen Neugierigen habe er es, da er sehr bequem gewesen wäre, freilich wohl abgeschlagen, und wenn er sich nicht hatte entziehen können, sich dadurch entschädigt, daß er ihnen die Haut voll gelogen". Endlich Boye: "Es sei nicht zu leugnen, daß Gideon mit Vorzeigung seiner Sammlung etwas unwillfährig gewesen sei, und zwar aus Furcht, daß, wie oft geschehen, unbescheidene Leute ihm die Gegenstände derselben berührt und zerbrochen, auch wohl manches Stück entwandt hätten. Wenn nun er, Befragter, nicht bei der Hand gewesen, dem die strengste Aufsicht in diesem Stücke zur Pflicht gemacht worden. so habe er die Vorzeigung gewöhnlich verweigert. Von Furcht des Gideon, auf einem Betrug ertappt zu werden, habe er nie etwas gespürt".
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Antw. Im Anfange seiner Ankunft im Sponholzschen Hause wäre nie über diesen Gegenstand gesprochen worden. Zu allererst sei davon die Rede gewesen, als der Dr. Hempel Alterthumsstücke von Sponholz erhalten.

36) Wo sind besonders die Stücke gefunden worden, die Graf Potocki in seinem Werke abgebildet und beschrieben hat? Sind sie zu verschiedenen Malen entdeckt, oder zusammen gefunden, wie die ersten von Masch beschriebenen in Prillwitz? Und wo sind sie gefunden?

Antw. Da er nie bei den Nachgrabungen des Gideon Sponholz gegenwärtig gewesen und sich zu seiner Berufsarbeit gehalten, könne er über diese Dinge, als ihm unwissend, keine Auskunft geben.

37) Wo insbesondere der große Radegast? Antw. Das wisse er auch nicht.

38) Unter welchen Umständen sind die schönen metallenen Urnen und die Bruchstücke davon gefunden? Wo die beiden Grapen in der großherzogl. Sammlung?

Antw. Auch hier wisse er nichts weiter, als was er oben schon ausgesagt, daß nämlich die eine zerbrochene metallene Urne auf einem Ackerstücke im Neubrandenburger Felde gefunden worden, wobei er jedoch auch nicht gegenwärtig gewesen sei. Grapen hätte er zu der Zeit auch nicht bei Sponholz wahrgenommen, er möchte sie späterhin wohl erhalten haben, doch wisse er nicht, woher sie seien.

39) Ist der in der großherzogl. Sammlung befindliche halbmondförmige Ringkragen mit Reifen etwa bei diesen metallenen Urnen gefunden?

Antw. Woher dieser Ringkragen gekommen, könne er auch nicht sagen.

40) Hat Sponholz auch noch andere kleine Erzfiguren besessen, welche nicht in Meklenburg gefunden worden, sondern die er vielleicht auf Auctionen oder aus freier Hand von anderen erhandelt oder sonst bekommen? Hat er diese von der obotritischen Sammlung abgesondert aufbewahrt, oder damit vermischt? und als auch dazu gehörig ausgegeben?

Antw. Es sei ihm nicht erinnerlich, daß Sponholz andere Arten von Erzfiguren besessen, als die er, Befragter, bereits angegeben, auch wisse er nicht, daß derselbe jemals auf Auctionen dergleichen gekauft, so wie er auch über den andern Theil dieser Frage keine Bestimmung geben könne.

41) In welchem Verhältniß stand Sponholz zu dem Superintendenten Masch? Stand er vielleicht mit ihm im näheren Briefwechsel? Hat Masch den Sponholz öfter besucht?

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Antw. Hierüber könne er nichts anderes angeben, als daß Gideon äußerst sparsam und unwillig in und zum Schreiben gewesen sei, und daß er, Befragter, während seiner ganzen Anwesenheit im Sponholzschen Hause den Superintendenten Masch daselbst nie gesehen habe.

42) In welchem Verhältniß stand Sponholz zu dem Präpositus Genzmer in Stargard? Wie äußerte sich Sponholz darüber, als er erfuhr, daß man hin und wieder die Aechtheit der obotritischen Götzenbilder bestritt und in Verdacht zöge?

Antw. Sie hätten über Versteinerungen mit einander verkehrt und sich auch wechselsweise wohl einander besucht. Ueber die Aechtheit der Sponholzschen Alterthumsstücke habe er eben so wenig als von den Aeußerungen des Sponholz darüber etwas vernommen.

43) Hat Sponholz nicht manche der von ihm gefundenen Sachen eingeschmolzen, um vielleicht ihren vermeintlichen Metall=Inhalt zu prüfen? Hat er manche nicht nachbearbeitet, um ihnen vielleicht ein anderes Ansehen zu geben, Runen darauf eingegraben, sie mit Säuren bestrichen, in Urin gelegt, in Misthaufen vergraben, um ihnen dadurch eine grüne, braune oder graue Farbe zu geben?

Antw. Auf den Inhalt dieser ganzen Frage äußerte sich Befragter nur dahin, daß er einstens auf Gideons Verlangen auf einige Puppen Buchstaben eingeschlagen. Von allem übrigen in dieser Frage sei ihm nie etwas vorgekommen.

44) War Gideon Sponholz oder dessen Bruder Jacob im Besitz mehrerer kleiner Modelle von menschlichen und Thierfiguren, Blumen, Blättern, Thiera= und Menschenköpfen, wie sie Goldschmiede und Gelbgießer zu besitzen pflegen, um davon bei ihren Arbeiten in Gold, Silber oder Messing als Verzierungen und Beschläge Gebrauch zu machen? 56 )

Antw. Die Hauptgoldschmiedearbeiten, die während seiner Zeit vorgekommen wären, hätten bestanden in Thee= und Eßlöffeln, Rockknöpfen und Pfeifenkopfbeschlägen, Schuh= und Knieschnallen, Knöpfen an Kleidern, goldenen Ringen und Vergoldungen und silbernen Leuchtern. Zu einigen dieser Gegenstände, als Schnallen und Pfeifenbeschlägen, hätten sie allerdings Formen gehabt und zwar von Blei. Daß er noch andere Modelle im


56) Diese Frage beantwortet Buttermann dahin: "Modelle, welche die Goldarbeiter Patronen zu nennen pflegen, hätte sein Lehrherr Jacob allerdings in ziemlicher Menge gehabt, wovon Comparenc bei den vorkommenden Arbeiten ebenfalls Georauch gemacht, solche auch oft gereiniget habe; er könne aber ganz bestimmt versichern, daß darunter sich durchaus nichts gefunden habe, was mit den Gegenständen der hiesigen Sammlung einige Aehnlichkeit oder Beziehung darauf habe".
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Sponholzschen Hause, besonders solche, deren in der Frage erwähnt wird, sollte gesehen haben, sei ihm nicht erinnerlich.

45) Hat sich Sponholz nie geäußert gegen den Befragten, wie die Prillwitzer Erzbilder und die Geräthe an ihn und seine Familie gekommen? War Gideon in dem alleinigen Besitz derselben, oder hatte sein Bruder Jacob auch Theil daran? Und wie haben sich beide Brüder darüber verglichen?

Antw. Gideon habe sich gegen ihn geäußert, daß die Erzbilder und Geräthe, welche nachher an Hempel überlassen worden, von seinem Großvater ererbt und in Prillwitz gefunden wären. An diesen, habe er, Befragter, wol gehört, hätten alle 3 Brüder Theil gehabt, und Gideon nicht allein; wie sich aber die Brüder darüber verglichen, sei ihm nicht bekannt geworden.

46) Warum wurden dem Dr. Hempel nicht alle Figuren auf einem Male überlassen, sondern der Besitz der übrigen verschwiegen?

Antw. Diese Frage vermöge er nicht zu lösen; es könne wol sein, daß Gideon nach Abgabe der Prillwitzer Stücke an Hempel erst nach und nach wieder in Besitz anderer gekommen sei.

47) Oder sind die übrigen erst späterhin von Sponholz oder anderen fabricirt oder ausgegraben worden?

Antw. Von Fabriciren sei ihm nichts bewußt, und bei Nachgrabungen sei er nie gegenwärtig gewesen.

48) Sind dem Deponenten späterhin ähnliche Bilder und Runensteine auch bei anderen Besitzern in Meklenburg vorgekommen? und etwa bei welchen?

Antw. Er habe nie dergleichen bei irgend Jemand sonst gesehen.

49) Oder ob er auch nur von ähnlichen Entdeckungen bei anderen in Meklenburg gehört? und von welchen und wo? Antw. Auch das nicht.

50) Ob er glaube, daß noch unberührte Grabmäler vorhanden, die noch eine ähnliche Ausbeute, als die früher gemachte, liefern könnten.

Antw. Er habe davon keine Kenntniß, weil er sich nie persönlich damit abgegeben.

51) Ob sich die Grabmäler, worin die Runensteine, Götzenbilder, Geräthe und dergleichen zu finden sein möchten, von außen besonders und vor anderen auszeichnen, und wodurch?

Antw. Darüber könne er auch keine Auskunft geben. Sponholz habe aber sich wol geäußert, daß er die Grabmäler an der Hügelform und Stellung der Steine erkenne. Auch habe derselbe bei seinen Nachsuchungen sich eines Erdbohrers bedient.

52) Wann der Befragte sich von Sponholz getrennt habe, und warum?

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Antw. Nachdem er, Befragter, 6 Jahre als Lehrling und 17 Jahre als Geselle bei Sponholz gestanden, habe er endlich mit demselben brechen müssen, weil er seinen Meister nicht dahin bringen können, mit ihm ordentliche Rechnung zuzulegen. Denn obgleich derselbe ihm zu seinen Bedürfnissen je zuweilen Auszahlungen gemacht, so habe er ihm doch nie seinen Lohn völlig und richtig bezahlt. Wie er, Befragter, gewilligt gewesen, sich zu verheirathen, so habe er nicht länger warten können, habe aber am Ende zufrieden sein müssen mit dem, was er habe erhalten können. So sei er von ihm gegangen und mit seiner nachherigen Frau und deren Vater, einem Fleischer, gezogen, wo er 4 Jahre lang gewohnt und auf seine eigene Hand Brau= und Brennwirthschaft getrieben, da er eingesehen, daß er von seiner Kunst sich in Neubrandenburg nicht füglich hätte ernähren können.

53) Ob er noch späterhin mit Sponholz in Verkehr gestanden? Und dieser nach des Befragten Abgange aus dessen Hause noch seine Nachgrabungen fortgesetzt? Mit wessen Hülfe? Was dadurch gefunden? Und ob das später Gefundene auch in die großherzogl. Sammlung gekommen? Ob nicht der Sponholz auch ein oder anderes Alterthumsstück an andere Liebhaber derselben in oder außerhalb Landes überlassen? Was solches gewesen? Und wohin es gekommen?

Antw. Sein Verkehr mit Sponholz habe nun gänzlich aufgehört und er könne auf den übrigen Theil der Frage nichts angeben.

54) Ob der Befragte sich nicht selbst auf eigene Hand mit Untersuchungen von Gräbern und Nachgrabungen abgegeben? Wo solches gesehen? was er gefundene und wohin solches gekommen?

Antw. Er habe sich nie mit dergleichen abgegeben.

55) Ob Sponholz gefundenes edles Metall, Gold, Silber, eingeschmolzen, zu seinen eigenen Goldschmiedsarbeiten verbraucht oder verkauft habe? Und welche Form und Gestalt dies ursprünglich bei der Entdeckung gehabt? Etwa als Münzen, oder Geräthe, Schmuck, Waffen und dergleichen?

Antw. Er habe nie etwas davon verspürt, glaube auch, daß wohl sehr wenig edles Metall möchte gefunden sein, da er nie davon habe reden hören, außer daß Gideon in der Gegend von Weitin auf dem Wege nach Treptow einst einen Hügel habe ausgraben und daselbst eine Menge Steine habe auswerfen lassen, und endlich einen Griff, dem Anscheine nach, wie gesagt worden, eines Opfermessers gefunden, welcher Griff oben und unten mit Ringen von dünnem Goldblech belegt gewesen. Diese

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Ringe habe Gideon hernach in einer Schachtel auf Baumwolle sorgfältig aufbewahrt. In der hiesigen Sammlung habe er jedoch solche nicht angetroffen. Weiter sei ihm in Gold oder Silber dieser Art nichts vorgekommen.

56) Ob Sponholz bei seinen Ausgrabungen und Nachsuchungen sich auch besonderer Mittel bedient, als z. B. der Wünschelruthe, Zauberbücher, abergläubischer Gebräuche, Beschwörungen, religiöser Ceremonien, Gebetsformeln und dergleichen?

Antw. Von allem diesen habe er niemals etwas bemerkt.

57) Ob derselbe diejenigen, die ihm bei seinen Nachsuchungen und besonders, wenn etwas Bedeutendes gefunden worden, zur Geheimhaltung und strengem Stillschweigen verpflichtet? Ob er sie nicht, wenn sie plaudern würden, bedrohet? und wie und womit?

Antw. Auch hiervon habe er nie etwas bemerken können.

58) Ob Sponholz seine Helfer beim Nachgraben belohnt und wie?

Antw. Sein Haupthelfer, der alte Nix, habe von ihm, dem Sponholz, Essen und Trinken gehabt, was er sonst diesem und anderen gegeben, sei Befragtem nicht wissend.

59) Ob derselbe bei seinen Zeitgenossen in Neubrandenburg und sonst nicht den Namen eines Schatzgräbers bekommen? und wodurch solches wol veranlaßt sei?

Antw. Einige Leute möchten sich das wol eingebildet haben wegen dessen vielfältiger Nachgrabungen, er, Befragter, hätte nicht daran geglaubt.

60) Mit welchem seiner Zeitgenossen Gideon Sponholz am meisten Freundschaft gehalten und verkehrt habe und am vertraulichsten umgegangen sei?

Antw. Außer seinen Helfern bei Nachgrabungen wisse Befragter nicht, daß Gideon sonderlich vertraute Freunde gehabt habe, doch habe er sich mehrere Jahre mit einem seiner ehemaligen Schulgenossen, Namens Keller, jüngstem Sohn eines verstorbenen Bürgermeisters in Neubrandenburg, abgegeben, der so wie Gideon selbst sich ohne bestimmten Beruf und Geschäfte herumgetrieben.

61) Ob Befragtem die Handschrift mancher Zettel und Notizen, welche sich bei einzelnen Stücken und Gattungen der Alterthümer hieselbst befinden, und die ihm vorgezeigt wurden, bekannt sei? Ob Sponholz selbst solches geschrieben habe, oder wer sonst?

Antw. Nein, er kenne sie nicht.

62) Wohin sich Befragter gewendet, als er das Sponholzsche Haus verlassen?

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Antw. Befragter bezieht sich auf vorige Angabe.

63) Ob er auf Reisen und im Auslande Alterthümer der Art, wie sie in hiesiger Sammlung vorhanden, gesehen? Antw. Er habe keine Reisen gemacht.

64) Ob er als sachkundiger Metallarbeiter gewisse Kennzeichen habe, wodurch sich alte ächte Metallwerke, besonders in Kupfer, Messing und Silber, in ihrem grünen, braunen oder grauen Roste von neueren und falschen unterscheiden?

Antw. Gewisse Kennzeichen des Alters wisse er nicht namhaft zu machen, da er sich mit Versuchen dieser Art nicht befaßt habe.

65) Ob er glaube, daß der grüne, sogenannte edle Rost so künstlich nachzumachen sei, daß man ihn von dem durch Länge der Zeit in der Erde von selbst entstandenen nicht unterscheiden könne?

Antw. Beruft sich auf die vorhergehende Antwort, und sei ihm dieser Unterschied nicht bekannt.

66) Bei wem Jacob Sponholz die Goldschmiedekunst erlernt habe?

Antw. Bei seinem Vater.

67) Ob Jacob Sponholz gereiset? Antw. Nein.

68) Bei wem Jonathan, der zweite der 3 Gebrüder Sponholz, gelernt habe?

Antw. Jonathan sei schon Geselle gewesen, wie er, Befragter, in die Lehre gekommen. Bei wem er gelernt, wisse er nicht bestimmt anzugeben.

69) Ob solcher auch gereiset?

Antw. Ja, er sei, so viel Befragter wisse, in Hamburg, Berlin und zuletzt in Danzig bei seinem Onkel ein Jahr gewesen.

70) Wer von den beiden Brüdern, Jacob oder Jonathan, nach des Befragten Meinung wol der geschickteste Goldarbeiter gewesen?

Antw. Jonathan möchte seiner Reisen wegen wol den Vorzug verdient haben.

71) Ob von den Gebrüdern Sponholz noch Kinder am Leben seien?

Antw. Der älteste, Jacob, und der jüngste, Gideon, seien unverheirathet gewesen, Jonathan habe 2 Söhne, davon der älteste noch als Gastwirth in Neubrandenburg lebe, der jüngste ein Landmann sei, dessen Aufenthalt er aber nicht wisse. Außer diesen seien auch noch 3 Töchter gewesen.

72) Ob dem Befragten auch noch andere jetzt lebende Personen hier oder anderwärts bekannt seien, von denen man einige

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Auskunft über das Ganze oder einige Theile des verhandelten Gegenstandes, über das Geschichtliche und Oertliche der Auffindung oder Sammlung der hiesigen Alterthumsstücke und über die besonderen Verhältnisse der Gebrüder Sponholz erhalten könne?

Antw. Außer dem mehrmals genannten, noch in Waren lebenden Boye, dem hiesigen Goldarbeiter Buttermann, dem Goldarbeiter in Altstrelitz seien ihm keine Personen mehr bekannt, die über die Sponholzsche Familie und deren Verkehr genaue Auskunft geben könnten.

Continuatum den 19. October 1827.

73) Ob der Befragte die Mutter des Jacob Sponholz noch gekannt habe?

Antw. Ja, er habe dieselbe sehr wohl gekannt, und zwar noch während 18 Jahre seiner Anwesenheit im Sponholzschen Hause.

74) Aus welcher Familie solche gewesen? Antw. Sie sei eine Tochter des Goldschmidts Pälcke in Neubrandenburg gewesen, welchen er aber nicht mehr gekannt habe.

75) Wann solche gestorben?

Antw. Wie er glaube ums J. 1783.

76) Ob er von solcher nichts über die, wie es geheißen, in Prillwitz gefundenen Alterthumsstücke gehört, und was?

Antw. Nein, die alte Frau habe sich nie hierüber gegen ihn geäußert.

77) Ob er glaube, daß die Frau zu irgend einem Betruge in Betreff solcher Alterthümer mitgewirkt habe?

Antw. Nein, das glaube er nicht, er habe sie nicht anders als eine gar rechtschaffene und brave Frau gekannt.

78) Ob er einigen Verdacht hege, daß solches der Fall von anderen von ihm vorhin genannten und gekannten Personen gewesen sei, z. B. von den Schullehrern Schüler und Bodinus, vom Landsyndicus Pistorius, dem Präpositus Genzmer, dem Dr. Hempel oder anderen, daß nämlich von solchen Alterthumsstücke für alt und ä ausgegeben, die es doch nicht gewesen, um den Gideon Sponholz oder andere damit zu hintergehen oder zu täuschen?

Antw. Niemals habe er irgend etwas gehört, gemerkt oder erfahren, das bei ihm einen solchen Verdacht hätte begründen können, vielmehr habe er alle diese genannten Herren ebenfalls nicht anders, denn als sehr rechtliche und ehrliche Männer gekannt.

79) Ob er solches von seinem Lehrherrn Jacob Sponholz glauben könne?

Antw. Auch von diesem so wenig, als von Jonathan, habe er je dergleichen bemerkt, auch glaube er es nicht.

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80) Ob er von Gideon, dem eigentlichen Sammler, solches glauben oder vermuthen könne?

Antw. Mit völliger Bestimmtheit könne er auch dieses nicht behaupten, da dieser sich mit zu vielerlei Geschäften abgegeben, er, Befragter, sich aber mehr zu seinen Berufsarbeiten gehalten und mit dem Gideon zu wenig in Verhältnissen gestanden habe, um ihn genau genug beobachten zu können. Er wolle, weil es ihm eben beifalle, noch hinzufügen, daß Gideon auch ziemlichen Verkehr mit einem Herrn v. Haacke, welcher eine Geschichte der Stadt Neubrandenburg geschrieben, die auf Gideons Kosten gedruckt sei, gehabt, wiewol es ihm nicht genau bekannt sei, was sie mit einander verhandelt hätten.

81) Was zu seiner Zeit sonst für Goldschmiede in Neubrandenburg gewesen wären?

Antw. Er habe damals als Goldschmiede in Neubrandenburg gekannt: die Herren Oesten, Fehmer, Schröder, Appel, Petschler, auch habe er nach seinem Weggange aus Neubrandenburg wol gehört, daß noch ein Goldschmidt Jacobs aus Friedland sich in Neubrandenburg gesetzt habe.

82) Und welche derselben jetzt noch lebten? Antw. Appel sei zu seiner Zeit noch gestorben; daß Schröder und Oesten auch späterhin während seiner Abwesenheit gestorben, habe er gehört; ob Petschler, Jacobs und Fehmer jetzt noch lebten, wisse er nicht genau.

83) Wie Befragter von Neubrandenburg an seinen jetzigen Wohnort gekommen?

Antw. Da mit seinem Schwiegervater die Vertragsamkeit am Ende nicht die beste geworden, so habe er sich in Neubrandenburg selbst ein kleines Haus gekauft und darin das Gewerbe des Brennens und Brauens etwa 1 1/2 Jahre lang fortgesetzt. Da solches jedoch keinen genügenden Ertrag gegeben, so sei er nach Woldeck gezogen, wo er wieder zu seinem erlernten Berufsgeschäfte gegriffen und solches während 15 Jahre daselbst geübt habe. Wie nun seine Frau Neigung zur Geburtshülfe gehabt und sich darin sehr geschickt gemacht habe, so sei solche Anfangs nach Feldberg und zuletzt nach Altstrelitz berufen, wo er sein Goldschmiedegeschäft, theils wegen Mangels an Arbeit, theils wegen geförderten Alters nicht weiter fortgesetzt habe.

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Actum Neustrelitz den 16. Juli 1828 im großherzogl. Bibliothek=Gebäude in Gegenwart des Herrn Hofraths Reinicke und des Herrn Raths Nauwerck.

Auf eine mir, dem Rath Nauwerck, zugegangene mündliche Anzeige, daß der Goldschmied Neumann in Strelitz allerdings über die Entstehung und Geschichte der zuletzt aus der Sammlung des Gideon Sponholtz in die großherzogl. Sammlung gekommenen, angeblich obotritischcn Alterthümer sichere Aufschlüsse zu geben im Stande sei, da er wohl selbst dem Gideon Sponholtz bei Anfertigung mehrerer solcher metallenen Götzenbilder, wie sie sich in der großherzogl. Sammlung vorfinden, behülflich gewesen, hatte ich, der Rath Nauwerck, mich am 14. d. M. zu dem vorgedachten Goldschmied Neumann in Altstrelitz begeben und ihn über diese Angelegenheit vorläufig befragt. Seine Erklärung ging dahin: daß er in seinen unterm 15., 17. und 19. October v. J. in Gegenwart des Herrn Hofraths Reinicke und meiner, des Raths Nauwerck, zu Protocoll gegebenen Aussagen nicht alle ihm bekannten Umstände und Nachrichten über die fraglichen Gegenstände angegeben und sich nicht so ausführlich geäußert habe, wie er dazu im Stande gewesen. Nach reiferer Ueberlegung aber habe er sich nun entschlossen, das Fehlende nachzuholen und die Wahrheit in ihrem ganzen Umfange ohne Rückhalt vorzutragen, indem er hinzusetzte, daß die zur Untersuchung dieser Sache angeordnete Commission nunmehr Alles erfahren solle.

Diesem zufolge hatten die vorgenannten Commissarien sich heute auf großherzogl. Bibliothek eingefunden und war der benannte Goldschmied Neumann zur Abgabe seiner weiteren Aussagen hierher beschieden und erschienen. Man machte ihm zuvörderst bemerklich, daß seine mehr oder mindere Mitwirkung bei den vielleicht von Sponholtz untergeschobenen Stücken der großherzogl. Sammlung ihm, dem Comparenten, bei seinem Verhältnisse zu den Gebrüdern Sponholtz und unter den Umständen, unter welchen der Gideon Sponholtz seine Hülfe bei dem Gießen von Metallfiguren in Anspruch genommen habe, von billigen Beurtheilern nicht eben zum Vorwurfe gemacht werden könne, da er nicht habe wissen können, daß Sponholtz die etwa angefertigten Bilder dereinst für ächte Alterthümer verkaufen werde; daß er aber, wenn er jetzt die etwanige Verfälschung entdeckte, auch nichts weiter thue, als wozu er nach seinem Gewissen und seiner Unterthanenpflicht, zur Ehre der Wahrheit, ohnehin verbunden sei, und deshalb nicht etwa auf Belohnung Anspruch machen könne, wenn er bereitwillig ein fremdes Verschulden an

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den Tag bringen helfe. Man erinnerte ihn zugleich, daß er seine jetzt niederzuschreibenden Aussagen um so mehr mit Besonnenheit und möglichster Genauigkeit abzugeben habe, da es vielleicht nöthig sein werde, daß er diese Aussagen demnächst noch eidlich zu erhärten habe.

Comparent trug nunmehr vor: Gideon Sponholtz habe es nicht verschmerzen können, daß sein Bruder die ererbten, von dem Superintendenten Masch beschriebenen Alterthümer aus den Händen gelassen; er habe daher gesucht, sich ähnliche zu verschaffen, um dadurch seine Sammlung von Seltenheiten zu bereichern; hiezu sei ihm der damals in Neubrandenburg ansässige Töpfer Pohl behülflich gewesen. Dieser in seinem Handwerke sehr geschickte Mann habe nämlich nach den ihm von Gideon Sponholtz vorgelegten Kupferstichen in einem Buche, welches Comparent aber nicht näher zu bezeichnen wußte, Thonmodelle angefertiget. Diese Arbeiten seien bei den Feierabends=Stunden, auch Sonntags auf dem Zimmer des Sponholtz verfertiget, ohne daß dem Pohl dafür eine Erkenntlichkeit gegeben worden. Von Zeit zu Zeit habe nun Gideon Sponholtz diese Thonfiguren, nachdem er solche gehörig getrocknet, gewöhnlich Sonntags Nachmittags, wenn der Goldschmidt Jacob Sponholtz abwesend gewesen, in die Werkstätte des letztern gebracht, und er, Comparent, habe dann die Thonmodelle in Sand, nach der gewöhnlichen Weise der Goldschmiede abformen und sodann in Metall, wozu Sponholtz alte Kupfer und Messing=Geräthe sich verschaffet habe, abgießen müssen. Auf diese Metallgüsse habe er dann ihm unbekannte Buchstaben oder Zeichen, nach den ihm von Sponholtz gegebenen Vorschriften, die ebenfalls aus dem obenerwähnten Buche genommen seien, mit dem sogenannten Schrootpunzen einschlagen müssen; hiernächst habe Sponholtz diese Metallbilder durch Borax mit grünem Rost anlaufen lassen und darauf in seiner Sammlung aufgestellt. Daß er von diesen Gegenständen schon damals etwas veräußert habe, sei ihm nicht bekannt geworden. Uebrigens seien von diesen Thonfiguren immer nur einzelne Abgüsse in Metall genommen worden, da die Sandformen nur einen Guß aushalten.

Es wurden nunmehr dem Goldschmidt Neumann die zuletzt von Sponholtz erstandenen Gegenstände im zweiten Schrank vorgezeigt und derselbe befragt, ob und welche Stücke er davon selbst gegossen habe? Er bezeichnete hierauf nachstehende Stücke als solche, von denen er sich bestimmt erinnere, selbige nach Thonmodellen gegossen zu haben. Sie sind in dem Werke des Grafen von Potocki unter folgenden Nummern abgebildet:

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ein Radegast Tab. 22, Fig. 78, 57 )
ein Othin Tab. 14, Fig. 32,
ein Othin mit einem Kopfe in der Hand Tab. 1, Fig. 1,
ein Rogeit Tab. 4, Fig. 11,
ein Razivia Tab. 15, Fig. 38,
ein Zarevit Tab. 9, Fig. 18,
eine Hela Tab. 11, Fig. 25,
ein Instrument, wie eine Pflugschaar geformt, Tab. 14, Fig. 34,
eine Metallplatte mit einer Schlange Tab. 30, Fig. 113, 58 ) eine ähnliche mit einem gekrönten Haupte Tab. 23, Fig. 84,
eine ähnliche längliche mit einer Schlange Tab. 21, Fig. 68,
eine ähnliche mit einem Radegast, woneben ein abgehauener Kopf, Tab. 16, Fig. 40,
eine ähnliche mit kleiner Figur des Radegast Tab. 21, Fig. 72.

Die übrigen in diesem Schranke befindlichen Figuren habe er mit wenigen Ausnahmen zwar alle bei Sponholtz gesehen, erinnere sich aber nicht mit Gewißheit, einige davon gemacht zu haben. Die in den Schubladen dieses Schrankes befindlichen Gegenstände habe er zwar ebenfalls bei Sponholtz gesehen, habe aber keinen Antheil an ihrer Entstehung, und halte sie alle für ächte Alterthümer.

Die in dem ersten Schrank aufbewahrten, von Masch beschriebenen Stücke seien bei seiner, des Comparenten Ankunft im Sponholtzschen Hause im J. 1765 noch in den Händen des Goldschmiedes Jacob Sponholtz gewesen, der sie wenig zum Vorschein gebracht, und er, Comparent, erinnere sich nur, einige kleine Stücke derselben an der Wand des Zimmers des Jacob Sponholtz gesehen zu haben. In dem Verlauf der folgenden Jahre seien diese Stücke in den Besitz des Hofraths Hempel gekommen, Gideon Sponholtz habe selbige nie unter Händen gehabt und habe damals überhaupt erst zu sammeln angefangen. Auch sei zu dieser Zeit der Töpfer Pohl noch gar nicht in Neubrandenburg gewesen. Er, Comparent, habe die Veräußerung dieser ersten Sammlung an den Hofrath Hempel hauptsächlich dadurch erfahren, daß Gideon sich über den Verlust derselben lebhaft be= klagt habe. 59 )


57) Dies ist der angeblich aus dem "wendischen Grabe auf dem Sponholtzschen Acker" hervorgegangene Radegast. Siehe oben.
58) Diese Metallplatte fand Potocki in der Sammlung zu Ratzeburg.
59) Auch Hartmann sagt aus: "Das Mißverhältniß der beiden Brüder Jacob und (  ...  )
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Auf die Frage, ob er, Comparent, sich erinnere, zu welcher Zeit er die aufgeführten Abgüsse verfertiget? erwiederte er: seiner Rechnung nach müsse es in den Jahren 1777 und 1778 geschehen sein.

Nach geschehener Vorlesung und Genehmigung hat der Goldschmied Neumann obiges Protocoll zum Zeichen der Anerkennung eigenhändig C. F. Neumann unterschrieben, und ist selbiges damit geschlossen worden.


Actum Strelitz den 28. October 1828 im großherzogl. Stadtgericht in Gegenwart des Herrn Raths Zander, des Herrn Bürgermeisters Rath Siemssen und des Herrn Senators Kruse, betreffend die eidliche Vernehmung des Goldschmiedes Neumann hieselbst auf den Antrag der großherzogl. Commissarien zur Ausmittelung der Aechtheit der in großherzogl. Bibliothek befindlichen obotritischen Alterthümer.

Der Goldschmied Neumann hat sich heute ladungsmäßig eingefunden, von den Herren Commissarien ist aber niemand erschienen. Der erstere erklärte auf Befragen: er heiße Christian Friedrich Neumann und sei 78 Jahre und 9 Monate alt.

Der Zweck seiner Vorladung ist ihm bereits im Allgemeinen durch den Diener mündlich bekannt gemacht und wurde ihm auch hier vor Gericht wiederholt. Sodann ist ihm das in der Anlage C. zu dem Anschreiben der großherzogl. Commission befindliche in dem Bibliothekgebäude zu Neustrelitz unter dem 16. Julii d. J. ausgenommene Protocoll wörtlich vorgelesen worden, worauf Comparent erklärt: daß seine darin gedachte Angabe die reine Wahrheit enthalte, welche er mit gutem Gewissen eidlich erhärten könne und wozu er bereit sei.

Ferner ist man mit ihm die in der Anlage B. zu jenem Schreiben enthaltenen Fragen durchgegangen, und hat er, nachdem er zuvor ermahnt worden, auch hierüber nach der reinsten Wahrheit zu antworten, so daß er auch diese Aussage eidlich zu bekräftigen vermöge, angegeben:

Fr. 1. Da sich unter den obotritischen Alterthümern auf der großherzogl. Bibliothek zu Neustrelitz mehrere Götzenbilder und andere Stücke finden, die denen von ihm, dem Neumann, gegossenen in Ansehen und Arbeit ganz ähnlich und von dem


(  ...  ) Gideon Sponholtz stammte hauptsächlich davon her, daß Gideon sagte, sein Bruder Jacob habe ihm von seinen Götzen (den Masch'schen) gestohlen und versausengert".
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Töpfer Pohl geformt zu sein scheinen, ob Befragter nicht wisse oder doch vermuthe, wer solche in Metall abgegossen habe?

Antw. Es mögen unter den unächten Gegenständen wohl noch mehrere sein, die ich selbst gegossen habe, und wenn ich sie noch mal besehe, mag ich sie auch wohl ausfündig machen können, wenngleich es schon sehr lange her ist. Ob aber noch jemand dergleichen außer mir gegossen hat, weiß ich gar nicht, und habe auch gar keine Vermuthungen darüber.

Fr. 2. Wer zu der Zeit, da Befragter im Sponholtzschen Hause nach den Formen des Töpfers Pohl gegossen, sonst noch in diesem Hause gewohnt oder sich aufgehalten habe?

Antw. Derzeit wohnte in diesem Hause niemand weiter, als die beiden Brüder Jacob und Gideon Sponholtz. Jacob war der ältere und wohnte unten, welcher die Wirthschaft besorgte, und Gideon wohnte oben. Ich bin 23 Jahre in diesem Hause gewesen, zuerst 6 Jahre als Lehrling und dann 17 Jahre als Geselle. Während dieses meines Aufenthaltes hat die Mutter von den beiden Brüdern noch 18 Jahre gelebt, und so lange diese lebte, hatte sie die Herrschaft im Hause; nach deren Tode war ich noch 5 Jahre dort. Während der ersten 9 Jahre meines Aufenthalts war noch auch ein mittlerer Bruder Jonathan Benjamin im Hause, der zwar auch die Goldschmiede=Profession gelernt, sich aber nachher als Brauer in Neubrandenburg niederließ.

Fragen des Gerichts:

  1. Ob zu der Zeit, als er, Comparent, die Götzenbilder gegossen, der Brauer Sponholtz noch im Hause gewesen sei? - Antw. Nein.
  2. ob die Mutter derzeit noch gelebt habe? - Antw. Das weiß ich nicht mehr.
  3. ob etwa der Brauer Sponholtz, da er doch auch die Profession gelernt, auch dergleichen Bilder gegossen habe? - Antw. Nein, der bekümmerte sich darum gar nicht.
  4. wie lange er darauf gegossen? - Antw. Das kann ich auch nicht sagen.

Fr. 3. Welche Gesellen, Lehrburschen, Dienstmädchen, Aufwärter oder sonstige Personen?

Antw. Gesellen waren weiter niemand als ich; der hiesige Goldschmied Völcker ist als Lehrling im Hause gewesen; es kann auch möglich sein, daß es gerade zu der Zeit war, aber er hat nichts davon gewußt. Ein Dienstmädchen war daselbst; ich weiß aber nicht mehr, welches zu dieser Zeit. Sonstige Aufwärter und andere Personen waren im Hause gar nicht.

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Fr. 4. Ob keine von diesen Personen von seinem Metallgießen der Pohlschen Thonbilder etwas gemerkt?

Antw. Nein, kein Mensch.

Fr. 5. Ob er selbst diesen Personen in oder andern außer dem Sponholtzschen Hause etwas davon vertraut oder merken lassen?

Antw. Ich habe auch niemand etwas davon gesagt, außer seit ich jetzt darüber von dem Herrn Hofrath Reinicke und dem Herrn Rath Nauwerck darüber vernommen worden bin. Der Gideon Sponholtz hat mir versprochen, er wolle ein Haus kaufen und ich solle bei ihm einziehen, aber ich solle ihm auch zuschwören, daß ich an niemand von dem Abgießen dieser Bilder etwas sagen wolle, und solches habe ich ihm derzeit auch versprochen.

Fr. 6. Ob er wisse oder glaube, daß der Töpfer Pohl solches gethan habe?

Antw. Das weiß ich nicht, und kann nichts darüber sagen.

Fr. 7. Ob das Metallgießen auch zuweilen wohl außer dem Sponholtzschen Hause geschehen sei?

Antw. Nein, so viel ich weiß, nicht.

Fr. 8. Ob der Gelbgießer Wurm in Neubrandenburg auch Metallbilder nach Pohlschen Formen für Gideon Sponholtz gegossen habe?

Antw. Das weiß ich auch nicht.

Fr. 9. Wo der Töpfer Pohl seine Thonfiguren gemacht habe?

Antw. Manchmal machte er sie bei dem Gideon Sponholtz auf dem Boden, manchmal auch in seinem, des Pohl, Hause, wo sie nun grade zusammen waren.

Fr. 10. Wo derselbe solche erhärtet und gebrannt?

Antw. Das kann ich auch nicht sagen; wenn ich die Formen kriegte, waren sie getrocknet, aber gebrannt waren sie gar nicht.

Fr. 11. Wer dem Pohl zu den in Thon geformten Götzenbildern und andern Stücken Anleitung gegeben?

Antw. Das weiß ich auch nicht anders, als Sponholtz, der das Buch vom Superintendent Masch hatte.

Fr. 12. Wo die vom Töpfer Pohl gemachten Thonfiguren nach dem Metallabgusse geblieben und hingekommen?

Antw. Die sind entzweigeschmissen, weil sie nicht weiter gebraucht wurden.

Fr. 13. Ob von solchen wohl noch etwas vorhanden sei, und wo?

Antw. Nein, diese sind lange alle weg.

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Fr. 14. Ob Pohl selbst oder Gideon Sponholtz diese Figuren des Pohl zerbrochen und vernichtet?

Antw. Das weiß ich auch nicht, wer das gethan hat.

Fr. 15. Da sowohl in hiesigen Gegenden, als auch in der Ferne, z. B. in Rostock und an andern Orten, schon seit vielen Jahren die Rede gegangen, daß manche Götzenbilder und andere Stücke in der großherzogl. Sammlung der obotritischen Alterthümer nicht ächt und in der Erde gefunden, sondern von Gideon Sponholtz oder dessen Gehülfen gemacht seien: wie Befragter es sich erklären könne, daß solche Gerüchte und Reden entstanden, wenn nicht einer oder der andere Theilhaber an solchen Arbeiten geplaudert habe?

Antw. Darüber weiß ich nichts anzugeben. Ich habe zuerst vom Herrn Hofrath Reinicke erfahren, daß ein Professor aus Berlin hier gewesen und sie für unächt erklärt habe.

Fr. 16. Wer sonst, außer ihm, dem Befragten, dem Töpfer Pohl und Gideon Sponholtz, noch von dem vorgeblichen Geheimniß des Thonfigurenbildens und dessen Metallabgießens etwas gewußt habe oder habe wissen können?

Antw. Ich weiß gar nicht, daß außer uns Dreien jemand darum gewußt hat; der Jacob Sponholtz hat zwar auch die Thonformen gesehen und mit seinem Bruder Gideon Sponholtz darüber gescholten, was er mit den alten Dingern machen wolle, aber weiter und wozu sie gebraucht werden sollten, hat er auch nicht gewußt.

Fr. 17. Wenn sonst noch jemand, wer oder welche Personen es gewesen?

(Ist auf die Antwort auf vorstehende Frage 16 Bezug zu nehmen.)

Fragen des Gerichts:

  1. Ob er, Comparent, als Geselle eigentlich bei Jacob Sponholtz in Arbeit gewesen? - Antw. Ja.
  2. ob dieser ihn nie darnach gefragt, oder mit ihm darüber geredet habe, als er die fraglichen Abgüsse gemacht, was er betreibe? - Antw. Nein, das hat er nie gethan.

Fr. 18. Ob er wisse oder glaube, daß seiner, des Befragten, Frau, die im Sponholtzschen Hause in Diensten gestanden, etwas von den hier in Frage stehenden Gegenständen bekannt geworden, und wie und was?

Antw. Nein, als meine Frau dahin kam, war es in den beiden letzten Jahren, wie ich da war, und da war diese Geschichte schon lange vergessen.

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Fr. 19. Ob ihm von dem Bilden der Thonfiguren des Töpfers Pohl aus dem Abgießen derselben in Metall in oder außer dem Sponholtzschen Hause, und von den auf solche Metallbilder eingegrabenen Schriften noch weiter etwas bekannt sei, als was er in dem ihm vorgelesenen Protocoll vom 16. Julii d. J. und auf die ihm so eben vorgelegten Fragen ausgesagt und angegeben habe, und was?

Antw. Nein, davon weiß ich weiter nichts. Nach geschehener Vorlesung und Genehmigung dieses Protocolls erklärt Comparent wieder, daß er auch diese Aussagen beschwören könne, und ist der Gerichtsdiener Jonas substituirt, diese Eidesleistung anzusehen, worauf der Neumann nachstehenden Eid:

Ich Christian Friedrich Neumann schwöre zu Gott dem Allmächtigen, daß ich bei meiner Vernehmung sowohl in Neustrelitz als heute hieselbst die rechte lautere Wahrheit, niemand zu Lieb oder zu Leide, ohne Vermischung einiger Falschheit ausgesaget habe, und dies nicht unterlassen weder aus Freundschaft, Feindschaft, Gunst, Haß, Neid, Gabe oder Nutzen, noch sonst anderer Ursachen wegen, wie Menschensinn erdenken mag: so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort -

nach vorgängiger Verwarnung vor dem Meineide, körperlich, nämlich unter Aufhebung des Daumens und der beiden Vorderfinger der rechten Hand, durch wörtliches Nachsprechen der ihm vorgesagten Eidesformel geleistet hat, womit geschlossen.


Actum Neustrelitz den 10. August 1829 im großherzoglichen Bibliothekgebäude in Gegenwart des Herrn Hofraths Reinicke und des Herrn Raths Nauwerck, als allerhöchst bestellter Commissarien.

Obgleich der alte Goldschmied Neumann aus Strelitz seine unterm 16. Julii v. J. zu Protocoll gegebene verbesserte Erklärung unterm 28. October desselben Jahres nebst commissarischer Seits sowohl, als gerichtlich zugefügten Ergänzungsfragen und Antworten vor dem Strelitzschen großherzogl. Stadtgerichte eidlich bestärkt hatte, womit man damals, wegen des Deponenten hohen Alters und sich damit verbunden habenden nicht ungefährlichen Krankheit eilen zu müssen glaubte, so hat man doch für nöthig erachtet, ihn noch einmal einzuladen, weil man Stücke vorfand, die er zwar im erwähnten Protocoll vom 16. Julii v. J. speciell als sein Gußwerk nicht anerkannt hatte, die aber Formen trugen,

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welche mit andern von ihm anerkannten nicht nur Aehnlichkeit, sondern völlige Gleichheit hatten. Da sich der alte Neumann schon früher und im gerichtlichen Verhör auf seine Unbesinnlichkeit wegen so lange verflossener Zeit berufen hatte, so glaubte man, daß eine wiederholte Ansicht ihm vielleicht doch eins oder das andere ins Gedächniß zurückrufen würde. Man zeigte ihm z. B. eine Schale mit einem Rabenkopf, welcher Kopf mit dem Rabenkopfe auf dem Standbilde Othins von völlig gleicher Form schien. Bei genauerer Ansicht gestand er denn auch, daß er dagegen nichts einwenden könne und er höchst wahrscheinlich die Schale auch gemacht habe; so wie er denn zugleich nach einer noch einmaligen ganz genauen Musterung der im obern Theile des zweiten Schranks befindlichen Alterthumsstücke, zwar mit erneuerter Berufung auf sein durch Zeit und Alter geschwächtes Gedächtniß, doch hinzufügte, daß er nach seiner Kunde des Metalls sowohl als dem äußerlichen, Grünspan ähnlichen Roste, welcher nach des Deponenten Aussage durch Borax bewirkt sei, so wie auch nach den von ihm mit dem Punzen darauf geschlagenen Buchstaben, es für höchst wahrscheinlich halte, daß wohl die meisten dieser Alterthumsstücke mit den von ihm gegossenen gleich falschen Ursprung haben, ja sogar wohl von ihm selbst gemacht sein möchten. Indessen fanden sich doch auch einige, wiewohl verhältnißmäßig wenige Stücke, von denen der Neumann mit Bestimmtheit behauptete, sie nicht gegossen zu haben und sie daher für ächt halten zu müssen.

Zum Ueberfluß wurde ihm nun auch noch einmal der erste Schrank, die von Masch beschriebenen Stücke enthaltend, vorgezeigt, um seine Meinung darüber zu hören. Er wiederholte, wie schon vormals, daß er diese Stücke vorher nie mit Augen gesehen, und fügte noch hinzu, daß er an allen diesen Stücken nichts wahrzunehmen vermöge, was ihm einen Anschein ähnlicher Entstehung, wie der von ihm im zweiten Schrank gegossenen, gebe.

Nach geschehener Vorlesung und Genehmigung hat Deponent dieses Protocoll eigenhändig C. F. Neumann unterschrieben und ist damit geschlossen.


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Anlage B.

Schlußbericht der Untersuchungs=Commission.

Allerdurchlauchtigster Großherzog,
Allergnädigster Großherzog und Herr!

Von Anfang an der Bekanntwerdung der hier bei der Großherzogl. Bibliothek jetzt aufbewahrten obotritischen Alterthümer, scheint ein Geist des Widerspruchs über solche gewaltet zu haben. Ruhte er auch eine Zeitlang, so regte er sich doch von Zeit zu Zeit wieder, wovon sich die Spuren bis in die neueste Zeit gezeigt haben. Der Erstunterzeichnete hat es an Bemühungen nicht fehlen lassen, auf den Grund des Zweifels an die Echtheit der Sammlung zu kommen. Es ist ihm nicht nach Wunsch gelungen. Die Zweifler schienen damit nicht recht dreist hervorgehen zu wollen. Man muß aber hierbei unterscheiden. Die Sammlung enthält ganz gewiß eine große Menge völlig echter Stücke, die es sowohl historisch, als ihrer Eigenschaft nach sind, um so mehr da sich dergleichen auch in andern ähnlichen Sammlungen vorfinden, und allgemein für echt anerkannt werden. Die Hauptfache betrifft besonders die mit Runenschriften bezeichneten Götzenbilder, da unser Vaterland im alleinigen Besitz derselben ist und sich bis jetzt, was zu bedauern ist, nirgend solche oder ähnliche vorgefunden haben.

Im Herbst des Jahres 1825 kam der durch Gelehrsamkeit, und vorzüglich durch Alterthumskunde rühmlichst ausgezeichnete Professor Levezow hieher und widmete mehrere Wochen der genauen Untersuchung der hiesigen Sammlung.

Es bedarf eben keines gar scharfen Auges, um zwischen den Götzenbildern, Opfergeräthen etc. . der sogenannten Mascheschen Sammlung im ersten Schranke und den später hinzugekommenen, vom Grafen Potocki schon früher, als sie noch im Sponholzischen Besitz waren, abgebildeten und beschriebenen im zweite Schranke einen auffallenden Unterschied zu bemerken, der sich sowohl im Styl der Bildung und im Metallgehalt, als auch im Ausdruck, in der ganzen äußern Gattung, in den zwar nicht unrichtigen,

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aber doch anders beschaffenen Runenschriften, wie auch in dem bekannten edlen Rost (aerugo nobifis, patine) zeigt, worauf Erstunterzeichneter auch immer alle diejenigen, welche diese Alterthümer unter seiner Vorzeigung sahen, aufmerksam gemacht hat. Der Herr Professor Levezow war hiermit ebenfalls gleich einverstanden. Dies schien jedoch kein ausreichender Grund zur Anklage und Verurtheilung der letztern Sammlung zu sein, da die Möglichkeit ihrer Entstehung in einer andern, vielleicht spätern Zeit nicht geradehin und ohne trifftige Gründe konnte abgeläugnet werden. Herr Professor Levezow setzte seine Untersuchungen fleißig und ununterbrochen fort und war überdem mit manchen gedruckten und handschriftlichen Hülfsmitteln früherer Zeiten von deren Besitzern hier im Lande unterstützt worden. Fanden sich nun zwar für diesen Kenner hie und da Bedenklichkeiten, so reichten solche doch bei weitem zu einem kräftigen Angriff, weniger noch zu einer bestimmten Entscheidung nicht aus. Als Herr Professor Levezow bei seiner Rückkunft nach Berlin diesen Gegenstand durch eine Vorlesung in einer gelehrten Gesellschaft berührte, so wurde ihm von einem ehemals in Rostock angestellten, nachher aber nach Berlin berufenen Gelehrten darüber ein freundschaftlicher Vorwurf gemacht, mit der Beifügung, daß diese Sache als ausgemacht bedeutungslos und auf Täuschung und Unterschiebung beruhend, keine Aufmerksamkeit weiter verdiene. Jener Gelehrte schien jedoch dieses Urtheil nur als auf eine allgemeine Sage sich stützend angenommen zu haben, ohne besondere Gründe dieser seiner Aeusserung angeben zu können.

Dem gründlichen Forscher aber war nun um so mehr daran gelegen, da sich ohnehin wieder Stimmen für und gegen diesen Gegenstand im Publikum hören ließen, so viel jetzt noch möglich eine förmliche und genaue Untersuchung durch Abhörung solcher Zeugen und Menschen, die mit den vorigen Besitzern dieser Alterthümer in Beziehung gestanden hatten, anzustellen. Er schlug zu dem Ende eine höchsten Orts zu ernennende Commission vor, welche auf demnächstigen allerunterthänigsten Antrag auch sofort allergnädigst, nach dem Wunsche des Herrn Professors Levezow in den beiden Unterzeichneten bestellt wurde.

Mir, dem Hofrath Reinicke, zeigte sich bald, daß der Rath Nauwerk den oben erwähnten Abstich und Unterschied beider Sammlungen sehr lebhaft auffaßte, sich auch geradehin äußerte, daß nach seiner Ansicht, wenn unerwünschte Aufklärungen erfolgen möchten, solche wohl vorzüglich nicht zu Gunsten der zweiten Sammlung ausfallen dürften, während der Erstgenannte seinen alten patriotischen Glauben an die Echtheit des Ganzen noch gerne festhalten wollte, und zwar aus folgenden Gründen:

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1) waren ihm während der Jahrreihe seiner geführten Aufsicht, seines Forschens und oft gemachter Anregungen ungeachtet, doch keine stichhaltige Gründe für das Gegenteil vorgekommen;

2) waren bisher, weder in der Bildung der Götzen und ihren Attributen oder Beizeichen, noch in den Runenschriften Widersprüche unter sich, noch mit den bekannten nordischen und skandinavischen Mythologien zu entdecken gewesen, im Gegentheil schien alles aus denselben ungezwungen sich erklären zu lassen, und mit solchen in Uebereinstimmung zu stehen;

3) hatte der Graf Potocki, ein Mann, der sich durch Herausgabe mehrerer Werke als einen feinen Gelehrten rühmlich bekannt gemacht hatte, in seinem Werke und zwar ganz besonders über den zweiten Theil der Sammlung, der damals noch im Besitz des Gideon Sponholz war, gar keinen Zweifel über die Echtheit derselben geäußert;

4) auch der fast ganz Europa durchwandert habende nordische Alterthumsforscher Martin Friedrich Arendt, der im Jahre 1819 mehrere Wochen sich mit der Untersuchung dieser Alterthümer mit ausgezeichnetem Fleiße hier beschäftigt hatte, und in diesem Fache wohl als ein competenter Richter angesehen werden mochte, hatte weder hier mündlich oder schriftlich, noch nachher irgend nur einen Gedanken oder eine Vermuthung über Unechtheit derselben geäussert;

5) eben so wenig hatte Referent während der Zeit von 14 Jahren, in welchen derselbe schaulustigen Fremden und Einheimischen diese Alterthümer vorgezeigt hatte, worunter, wie das von ihm angelegte Fremdenbuch nachweisen kann, gelehrte und kenntnißreiche Männer waren, auch nur einen Einzigen gefunden, der freimüthig gegründete Zweifel gegen die Echtheit des Ganzen oder gegen einzelne Stücke vorgebracht hätte;

6) so hatten auch die spätern mühsamen Untersuchungen selbst des Herrn Professors Levezow im Herbst des Jahres 1825 keine der Sammlung nachtheilige Entscheidung bewirken können;

7) sollte ja mit Hinsicht auf die zuletzt abgegebene Sponholzsche Sammlung eine Verfälschung haben Statt finden können; so hätte solches nur durch die Gebrüder Sponholz und etwanige Gehülfen derselben geschehen können, welches aber deshalb nicht glaublich war, weil diesen Männern, nach dem Ausspruch aller derjenigen, welche sie gekannt haben, die dazu nöthige Fähigkeit und Kenntniß abging, vorzüglich dem Jüngsten, Gideon, als besondern und eigentlichen Jahaber und fortwährenden Vermehrer seines Cabinets, der als ein verhätscheltes Muttersöhnchen, der Schule frühe entweichend, weder in solcher noch nachher irgend etwas Nützliches gelernt hatte, und welchen Erstunterzeichneter in

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seiner letzten Schulzeit zu Neubrandenburg persönlich gar wohl und aus eigner Erfahrung zwar als einen, Schlauheit und Ueberlistung zum Besten seiner Sammlung nicht schonenden, übrigens aber auch als einen ganz kenntnißlosen und rohen empirischen Sammler gekannt hat. 60 )

Hiergegen ist nun allerdings nicht zu läugnen, daß das Ursprüngliche, Geschichtliche, Urkundliche und unabweislich Beglaubende schon bei der Mascheschen Ausmittelung und Beschreibung der ersten Sammlung sehr vernachläßigt worden, um so mehr, als damals noch manche Personen lebten, die bessere Auskunft, als geschehen, geben konnten; mehr aber war dies noch nöthig bei Uebernahme der zweiten Sammlung der Sponholzischen Götzenbilder, Geräthe etc. ., wo man zu freigebig mit gutem Glauben verfuhr und ohne specielle Nachweisung sich mit des Besitzers allgemeinen Versicherungen, diese Sachen seyen bei seinen oftmaligen Ausgrabungen und Umwühlungen des Neubrandenburger Feldes und dessen Umgegend aufgefunden worden, zufrieden stellen ließ, welches um so weniger hätte genügen sollen, da sowohl damals, als selbst bis jetzt keine einzige Sammlung vorhanden ist, die slavische oder skandinavische Götzenbilder aufzuweisen hat, am allerwenigsten solche oder Opfergeräthe etc. . gar mit Runenschrift versehen.

Abgesehen jedoch hiervon lag es nun der Commission ob, nach höchster Vorschrift dem vorgesteckten Ziele entgegen zu streben und zu bewirken, was jetzt noch möglich war. Es glückte ihr auch, mehrere Personen auszumitteln, welche mit den Brüdern Sponholz in zum Theil enger Verbindung gestanden hatten und selbst mehrjährige Hausgenossen derselben gewesen waren. Dahin gehören:

der hiesige Goldschmied Buttermann,
der Goldschmied Neumann in Strelitz,
der Goldschmied Völcker ebendaselbst,
der Bürger Boie in Wahren,
der Bürger Wurm im Wesenberg.

Nachdem nun der hiesige Notar Gundlach als Protocollführer angenommen war, eröffnete die Commission in der Nähe der Alterthümer in einem Zimmer des Bibliothek=Gebäudes ihre Sitzungen und die Vorgenannten Personen wurden der Reihe nach vorgeladen und ihre Aussagen schriftlich aufgenommen.


60) Als A. F. Reinicke sich als Advocat bereits in Neustrelitz niedergelassen hatte, schrieb er im J. 1775 in Gideons Stammbuch: "Seyd gelinde und erbarmungsvoll gegen die Fehler und Vergehungen, die unsrer cörperlichen Konstitution zuzuschreiben sind, und leget den Tugenden, die aus eben dieser Quelle fließen, kein zu großes Lob bey!" Von seiner Hand befinden sich auch in diesem Stammbuche zwei gelungene Federzeichnungen.
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Die daher entstandenen Abhörungs=Verhandlungen fügen wir hier allerunterthänigst an und zwar, unter

A. die Abhörungen von etc. . Buttermann vom 26. Septbr., 1. 3. 4. 5. 7. October 1827 auf 75 Seiten ;
B. die von etc. . Neumann vom 15. 17. und 19. Oct. desselben Jahres auf 62 Seiten;
C. die von etc. . Völcker vom 22. und 24. Octbr. dess. J. auf 47 Seiten;
D. die von etc. . Boie vom 30. und 31. Octbr. und vom 1. Novbr. dess. J. auf 56 Seiten;
E. die von etc. . Wurm vom 5. Mai 1828 auf 6 Seiten

Bis hieher hatte sich über den Hauptzweck der Commission, die Ermittelung irgend einer vorsätzlichen Täuschung oder Verfälschung, eben noch nichts Entscheidendes in diesen Abhörungen vorgefunden, außer daß der Goldschmied Neumann im Protocoll vom 17. October S. 22 und 23 ausgesagt hatte, er habe auf Verlangen des Gideon Sponholz auf metallene Puppen mit einem Schrootpunzen Buchstaben eingehauen, welches allerdings auffallen mußte, wiewohl sich daraus noch weiter nichts Besonders wollte und konnte machen lassen.

Allein im Monat July 1828 kam mir, dem Rath Nauwerk unter der Hand die Nachricht zu, daß der alte Goldschmied Neumann über die Entstehung und Geschichte der zuletzt aus der Sammlung des Gideon Sponholz in die Großherzogliche Sammlung gekommenen obotritischen Alterthümer bedeutende und bessere Aufschlüsse, als vorher von ihm geschehen, zu geben im Stande sey, weswegen ich mich denn auch sofort am 14. July zu ihm begab und mündlich von ihm das Geständniß erhielt, daß er sich nun eines bessern besonnen und entschlossen sey, der Commission alles, was er wisse, zu offenbaren. Diesemnach wurde er aufs neue vorgeladen und am 16. desselben Monats wiederholt vernommen, da sich denn ergab, wie er nach den von dem Töpfer Pohl in Neubrandenburg angefertigten Modellen viele Götzenbilder etc. ., die von Polocki angeführt sind, auf Verlangen des Gideon Sponholz in Metall abgegossen habe, wie solches nach Bezeichnung der von Potocki angeführten Stücke im Protocoll selbst einzeln sich angegeben findet.

Um nun diesem Geständnisse das gehörige Gewicht und die möglichste Glaubwürdigkeit zu geben, entschloß sich die Commission, diese Aussagen gerichtlich eidlich bestätigen zu lassen und zwar um so eher, da man das Alter des Deponenten in Betracht zog, der obenein damals von einer vielleicht nicht unge=

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fährlichen Unpäßlichkeit befallen war. Dies findet sich in dem Convolut der gerichtlichen Verhandlungen vor dem Großherzogl. Stadtgerichte in Strelitz im October und November 1828 unter

F. , enthaltend:

  1. Ein Anschreiben der Commission an das Strelitzer Stadtgericht, nebst beglaubter Abschrift des hohen
  2. Commissorii, und noch hinzugefügten, dem Neumann zur Beantwortung vorzulegenden Fragen;
  3. dem Protocoll mit der Aussage des Neumann vom 16. July 1828;
  4. die Einladung des Gerichts zur Vernehmlassung und Beeidigung des Neumann;
  5. Mittheilung des über diesen Gegenstand abgehaltenen gerichtlichen Protocolls vom 28. October 1828.

Da der vor dem Gericht befragte Neumann auf die erste demselben mitgetheilte Frage Seite 2 die Antwort gegeben hatte: "es möchten unter den erwähnten Gegenständen, wohl noch mehrere seyn, die er selbst gegossen habe, und wenn er sie noch einmal sähe, wohl ausfindig machen könnte"; so gab dies der Commission Veranlassung, den alten Neumann noch einmal vorladen zu lassen und ihn zur recht genauen An= und Uebersicht des Ganzen und der einzelnen Stücke zu ermuntern. Das Ergebniß der Verhandlungen dieses Tages findet sich unter

G. dem Protocoll vom 10. August dieses Jahres.

Hiernach möchten nun freilich von den Götzenbildern der zweiten Sammlung wohl nicht viele übrig bleiben, die für echt anzuerkennen wären und eben dieses möchte auch wohl von den meisten Geräthen im zweiten obern Schranke gelten, wogegen sich sowohl in den kleinern, als in den großen Schubladen eben dieses Schranks viele Stücke finden, deren Echtheit gar nicht zu verkennen ist, um so mehr, da sich eben solche oder ihnen ganz ähnliche auch in anderen Sammlungen finden und dort als echte Alterthumsstücke anerkannt sind.

So sehr nun auch die zweite Sammlung durch diese Ausmittelung an Werth und Achtung verloren hat, so ist es dagegen um so erfreulicher für den Vaterlandsfreund, daß es mit der ersten oder Mascheschen Sammlung völlig beim Alten geblieben ist und solche durch diese letztem Untersuchungen wenigstens weder Flecken noch Tadel erlitten hat. Sollten wir über diesen Gegenstand noch mehrere und nähere Umbände auszumitteln Gelegen=

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heit finden, so werden wir nicht ermangeln, solches pflichtschuldigst nachträglich einzureichen.

Schließend erlauben wir uns noch die allerunterthänigste Anfrage, ob Ew. Königl. Hoheit nicht geruhen wollen, diesen Bericht, nebst beigefügten Anlagen nach genügendem Gebrauch dem Herrn Professor Levezow in Berlin, der mit mühsamen Fleiß und Aufwendung von Zeit und Kosten sich der Untersuchung der hiesigen Alterthümer gewidmet hat, und sehr wünscht mit seiner Ansicht derselben, so viel möglich aufs Reine zu kommen, allergnädigst unter Bedingung der Rücksendung nach vollendeter Einsicht mittheilen zu lassen?

In der tiefsten Verehrung verharren wir

Ew. Königlichen Hoheit

allerunterthänigst treu gehorsamste
A. F. Reinicke.   L. Nauwerck.   

Neustrelitz den 3. October 1829.

Allerunterthänigster Bericht
des
Hofraths Reinicke und des Raths
Nauwerck zu Neustrelitz, als aller=
höchst ernannten Commissarien
mit Anlagen zur näheren Beleuchtung der
unter obotritischen Alterthümer.
     A. B. C. D. E.        
F. und G.

 

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