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Bronzewagen von Frankfurt a. O.
und
Räder von Frisack.

Beim Bau der Chaussee von Frankfurt a. O. nach Drossen ward vor ungefähr zwei Jahren der auf S. 262 in halber Größe abgebildete Wagen gefunden, welchen der Herr Graf von Zieten auf Wustrau bei Neu=Ruppin für seine Sammlung anzukaufen Gelegenheit fand. Der Wagen ist von alter Bronze, voll und in allen Theilen gegossen, ohne Rost, also wahrscheinlich im Moor gefunden, 9" lang und 4 1/2" hoch.

Der Wagen hat eine Deichsel, welche zuerst am Ende kurz, weit und hohl ist, mit einem durchgehenden Nagelloche zur Seite, also zum Einstecken eines längeren Stockes, dann aber in eine Gabel gespalten, welche auf der Einen Achse, welche der Wagen nur hat, befestigt ist. Auf der Achse laufen drei vierspeichige Räder, von denen zwei außerhalb der Gabel, das dritte innerhalb der Gabel steht. Am Ende der Deichsel, am Anfange der Gabelspaltung und auf jeder Gabelzinke steht auf einer perpendiculairen Stange die Gestalt eines Vogels mit breitem Schnabel: im Ganzen sind also vier solcher Vögel vorhanden. Auch die beiden Gabelzinken biegen sich mit einer Verlängerung nach hinten perpendiculair aufwärts und sind am Ende zu eben solchen, jedoch größern Köpfen gestaltet, wie die Vögel sie haben, aber auf dem Hinterkopfe oder Nacken mit zwei Hörnern oder Flügeln verziert.

Dieser Wagen, welcher der Bronze=Periode angehört, ist eine überaus wichtige und merkwürdige Erscheinung in der Alterthumskunde. Da der Verein für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde zuerst in den Besitz eines ähnlichen Wagens gekommen ist, so hat es der Ausschuß des Vereins für seine Pflicht gehalten, die Literatur über diesen und verwandte Gegenstände weiter zu führen und namentlich den Frankfurter Wagen, von dem der Herr Gymnasial=Lehrer Masch zu Neu=Ruppin mit Bewilligung des Herrn Grafen von Zieten, welche beide Mitglieder unsers Vereins sind, eine getreue Zeichnung genommen und dem Vereine geschenkt hat, in Abbildung mitzutheilen.

Vor allen Dingen wird es von Wichtigkeit sein, eine Uebersicht über die bisher aufgefundenen alterthümlichen Denkmäler ähnlicher Art aus der Bronze=Periode zu geben.

Zuerst ward im J. 1837 bei Wismar am Meeresstrande das zu Jahrb. III abgebildete und in Jahresber. das. S. 67 beschriebene Heerhorn gefunden, auf welchem, neben Ruder=

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Halbe Größe.

Bronzewagen
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schiffen, ein Mal 4 vierspeichige Räder im Viereck und zwei Male 2 vierspeichige Räder neben einander durch Gravirung abgebildet sind. Schon in Jahrb. a.a.O. S. 75 ward darauf aufmerksam gemacht, daß diese vierspeichigen Räder oder "Kreise mit Kreuzen" Wagen zu bedeuten haben.

Im J. 1843 hatten wir das Glück, zu Peccatel bei Schwerin in einem unzweifelhaften, merkwürdigen und reich ausgestatteten Kegelgrabe 1 ) aus der Bronze=Periode einen solchen aus Bronze gegossenen Wagen, der in Jahrb. IX, S. 373, beschrieben und abgebildet ist, in der Wirklichkeit zu finden. Dieser Wagen hat vier vierspeichige Räder, und Achsen und Langbäume wie ein Joch (oder eine Glocke) gestaltet, und hatte ohne Zweifel die Bestimmung, eine große, darauf befestigte Bronzevase hin und her zu fahren.

Mit diesem Wagen von Peccatel ist nun der bei Frankfurt a.O. gefundene Wagen an Größe, Metall, Arbeit, Rädern, kurz in den hauptsächlichsten Einzelnheiten ganz gleich, nur die Einrichtung und Verzierung ist ganz anders. Der ganz vollständige Wagen von Frankfurt hat nämlich nur Eine Achse und drei Räder auf derselben, und nichts weiter, kann also wohl nicht dazu gedient haben , etwas zu tragen; ferner ist die Deichsel mit Vögeln verziert, welche auf perpendiculairen Stangen stehen. Der Wagen hat also überall Hindernisse, welche es unmöglich zu machen scheinen, daß etwas auf denselben hat gesetzt werden können. Auch ist nach genauer Untersuchung ohne Zweifel festgestellt, daß nirgends etwas abgebrochen und nirgends eine Spur zu finden ist, daß früher auf irgend einem Theile des Wagens etwas befestigt gewesen sei.

Die Vergleichung dieser beiden merkwürdigen Bronze=Wagen von Peccatel und Frankfurt, welche in kurzer Zeit nach einander gefunden sind und bis jetzt ihres gleichen nicht haben, führt schon ziemlich weit, indem sie wenigstens der Bronze=Periode eine nicht ganz gewöhnliche Geläufigkeit in Darstellung verschiedener Wagen zuweiset. Wir können aber der Deutung durch Vergleichung anderer Denkmäler vielleicht noch einige Schritte näher kommen.

Auf dem Kivik=Monumente, einem alten Begräbnißhügel mit einer Steinkiste in Schonen, auf welchem alte bildliche Darstellungen eingegraben sind, abgebildet in Suhm Hist. af Danmark, I, S. 529, Tab, I und II (vgl. Jahresber. III, S. 75, und Jahrb. XI, S. 373), ist auch ein Sieger, wie es


1) Dieser Aufgrabung folgte im J. 1845 die Aufdeckung eines benachbarten Grabes, welches fast noch merkwürdiger war; vgl. Jahrb. XI, S. 366 flgd.
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scheint, auf einem Wagen stehend dargestellt. Dieser Wagen hat eine gabelförmige Deichsel und zwei vierspeichige Räder an derselben; der Mann steht auf der gabelförmig gespaltenen Deichsel.

bildliche Darstellung eines Wagens mit gabelförmiger Deichsel und zwei vierspeichige Rädern

Auch die Vögel auf der Deichsel des frankfurter Wagens finden jetzt eine Vergleichung. Die der Bronze=Periode angehörenden Hütchen oder Buckel von Vietgest, welche in Jahrb. XV, S. 268, beschrieben sind, tragen auf der Spitze einen

Ganze Größe.

Vögel von Vietgest

Vogel, welcher den Vögeln auf der Deichsel des frankfurter Wagens sehr ähnlich ist. Die Vögel von Vietgest sind die ersten sichern Figuren, welche aus der Bronze=Periode bekannt geworden sind.

So trifft alles höchst günstig zusammen, um den Weg zur Erklärung des frankfurter Wagens zu bahnen.

Kleine Bronzewagen scheinen in der Bronze=Periode, nach den neuesten Entdeckungen, nicht so sehr selten oder beispiellos gewesen zu sein , wie es noch vor kurzer Zeit den Anschein hatte, wo noch kein einziger bekannt war.

Im J. 1846 wurden auf einem Berge bei Frisack die in Jahrb. XII, S. 414 beschriebenen und verglichenen, ebenfalls in den Besitz des Herrn Grafen von Zieten auf Wustrau gekommenen Bronzen aus der mittlern, reinen Bronzezeit,

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nämlich ein Messer, ein Armring, eine Nadel von einer Heftel mit zwei Spiralplatten und zwei Räder gefunden. Die Räder

Halbe Größe.

vierspeichiges Rad

werden ebenfalls zu einem Gestell, d.h. zu einem Wagen, gehört haben, das aber zerbrochen und verloren gegangen ist, wie

vierspeichiges Rad

denn überhaupt der Fund nicht ganz vollständig in die Hände des jetzigen Besitzers gekommen ist: von der Heftel mit zwei Spiralplatten, zu welcher ohne Zweifel die Nadel gehörte, ist nur diese Nadel, und zwar auch nicht mehr vollständig , vorhanden. Diese frisacker Räder sind von demselben Metall, derselben Größe und derselben Einrichtung, wie die Räder an den vorher beschriebenen Wagen von Peccatel und Frankfurt. Die frisacker Räder sind jedoch schon mehr künstlich gearbeitet. Die Speichen scheinen eingesetzt zu sein und die Naben sind sauber und regelmäßig mit Reifen verziert, wie die beistehende Abbildung zeigt. Hiernach scheinen die Räder von Frisack zwar jünger zu sein, als die Wagen von Peccatel und Frankfurt, aber doch noch der guten Zeit der Bronzeperiode anzugehören.

Außerdem ist noch in der Gegend von Warin ein Bronzewagen gefunden, jedoch verloren gegangen (vgl. Jahrb. XV, S. 276).

Es ist nun die große Frage, welche Bestimmung der Wagen von Frankfurt gehabt habe. - Der Wagen von

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Peccatel war dazu bestimmt, eine Vase zu fahren; dennoch scheint etwas Mythologisches oder Traditionelles darin zu liegen, daß die Achsen wie Joche oder Glocken gestaltet sind; so heißt es in einer althochdeutschen Glosse (vgl. Grimm Deutsche Mythologie, zweite Ausgabe, I, S. 138) von den Sternen des großen Bären, daß sie "nach eineme gloccun joche gescaffen sint", was ich nicht, wie Grimm, durch den "horizontalen Tragebalken", an welchem die Glocken hangen, sondern durch die joch= oder glockenförmige Gestalt der Achsen, also wesentlich des Wagens, wie bei dem peccatelschen Wagen, erklären möchte. - Der Wagen von Frankfurt kann aber keinen technischen Zweck gehabt haben. Ich halte ihn daher nur für ein Symbol, - für ein Symbol der höchsten und obersten germanischen Gottheit Wodan oder Odin. "Unsere Vorzeit erzählt von Wodans Wanderungen, seinem Wagen, Weg und Geleite." Daher hieß bei den alten Deutschen das Gestirn des großen Bären nur der Wagen, in der Schweiz herrawaga, in Dänemark, Schweden und England karl= (d.i. Herren=) wagn, im Niederländischen woenswaghen; vgl. Grimm Deutsche Mythologie, a.a.O. S. 138, 686 und 1223, auch Müllenhof in Nordalbing. Studien IV, 2, S. 202. Freilich ward "das Gestirn allgemein auf die höchsten Gottheiten, bald auf diesen, bald auf jenen bezogen", und auch wohl Irminswagen genannt (vgl. Grimm a.a.O. S. 329 und Müllenhof a.a.O.); freilich giebt die skandinavische Sage dem Gotte Thor einen Wagen und läßt die andern Götter reiten: aber die Beziehung auf den Wodan und seine Straße war in deutscher Sage vorherrschend und allgemeiner.

Hiezu stimmen denn auch die Vögel, wenn es Vögel sein sollen, die auf dem frankfurter Wagen, und auch vielleicht die, welche auf den vietgester Buckeln stehen. Dem Wodan oder Odin waren zwei Raben heilig und in Dänemark und Island heißt ein kleiner Wasservogel (tringa minima): Odens fugl (vgl. Grimm a.a.O. S. 134 und 145).

Was aber grade die drei Räder und die vier (oder sechs) Vögel bedeuten sollen, ist einstweilen schwer zu sagen. Wären es sieben Vögel, so könnte man sie auf die sieben Sterne des großen Bären deuten. - Vielleicht deuten die 6 Vögel aber auf das Siebengestirn der Plejaden, von welchem bekanntlich nur sechs Sterne zu sehen sind. Die Plejaden führen beim Volke in Deutschland, England und Frankreich den Namen: Gluckhenne (vgl. Grimm Mythol. S. 691 und 1223), und es knüpfen sich alte Sagen an die Wanderung des siebenten Sterns (vgl. Arati Phaenomena v. 254 sq.). Die

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Stellung des Fuhrmanns zwischen dem großen Bären (dem Wagen) und den Plejaden beim Stier mag auch nicht ohne Beziehung sein (vgl. Buttmann über die Sternbilder auf der griechischen Sfäre, Abhandl. der berliner Akad. der Wissenschaften vom 8. Junii 1836, S. 38 flgd.). - Die drei Räder mit vier Speichen (also zwölf Speichen) mögen auf die zwölf Monate zielen, in denen der Wagen alljährlich über den Himmel fährt, und auf die drei Jahreszeiten der alten Welt.

Eine mehr sichere Deutung muß künftigen Entdeckungen und gründlichern Forschungen solcher Männer überlassen bleiben, die tiefer in das altgermanische Schriftenthum eingedrungen sind; die antiquarische Seite scheint hinreichend gesichert und erhellt zu sein.

Schwerin, den 10. Dec. 1850.

G. C. F. Lisch.     

Nachdem diese Zeilen niedergeschrieben waren, die ich so wiedergebe, wie sie die erste Forschung gestaltet hat, sandte ich einen Abdruck des während der Zeit fertig gewordenen Holzschnittes von dem Wagen an Jacob Grimm, Mitglied unsers Vereins, und bat ihn um seine Ansicht, die er auch in den folgenden Zeilen, die mit den im Vorstehenden ausgesprochenen Ansichten im Wesentlichen übereinstimmen, bald mittheilte:

Die gegossenen vögel auf dem wagen sind allerdings sehr merkwürdig und für unser alterthum bedeutsam. Ich kann mir nichts anders dabei denken, als dass ein himmelsgestirn darunter vorgestellt werde; vielleicht dass man annahm, alle beweglichen gestirne führen auf wagen, was eigentlich schon das wort rotation sagen will. Am liebsten möchte man an den himmelswagen, wuotanswagen oder donnerwagen, karlwagen denken und die vier grössten sterne der constellation des grossen bären dadurch ausgedrückt glauben. Warum aber sind es vögel? Es kann in verschollnen mythen erzählt worden sein, dass verwandelte menschen dahin an den himmel in vogelgestalt gesetzt wurden. Wem fällt hier nicht das siebengestirn, d.h. die plejaden oder peleiaden ein? Darum braucht kein griechischer mythus statt zu finden. Unser volk macht aus den sieben tauben eine gluckhenne mit ihren küchlein; vgl. das graben der schatzgräber nach der goldenen glocke und den küchlein: mythol. S. 932.

Dabei fällt mir ein, dass an Nestors becher bei Homer (II. XI, 632-635) zwei tauben auf jedem henkel

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sassen und darin eine anspielung auf die plejaden gesehen ward (Athenaeus XI, p, 489. Casaub.). Vielleicht brachten die künstler solche vögel öfter auf gefässen an, wie man aus den vietgester bronzen bestätigt finden könnte.

Dem vogel auf ihr wäre allenfalls noch trotz dem langen halse taubengestalt einzuräumen; die vögel auf dem wagen mit dem langen schnabel schliessen sie aus und begehren gänse zu sein. Augen in den köpfen mangeln überall. Vielleicht berichtet man unter dem volke, das diese bildwerke entstehen liess, von gänsen oder schwänen, die als sterne an den himmel gesetzt worden.

Die zwei handhaben mit ihrer auffallenden krümmung liessen sich allenfalls auch für zwei sterne nehmen, und dann hätten wir sechs sterne, die eigentlich auch im siebengestirne vortreten.

Das ist alles, was mir jetzt beifällt, und ich verzweifle, dass mir künftig bessere gedanken kommen.

Jacob Grimm.