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Die Pfarrkirche zu Güstrow.

Die Pfarrkirche zu Güstrow erscheint als ein im Aeußern sehr unschönes, im Innern sehr verworrenes Kirchengebäude: das Aeußere erscheint unschön durch die weiten Fenster in den niedrigen Seitenschiffen und die vielen neben einander gestellten Langschiffe, jedes mit einem eigenen Dache und eigenen Giebeln, — das Innere erscheint verworren durch die Menge völlig ungleichartiger Schiffe und den scheinbaren Mangel an der Durchführung eines bestimmten Grundplanes. Die Kirche würde daher keiner besondern Aufmerksamkeit werth sein, wenn nicht eine Hauptkirche in einer nicht unbedeutenden Stadt des Vaterlandes wenigstens in chronologischer Hinsicht eine Besprechung verdiente.

Die Kirche besteht aus fünf Schiffen, welche ohne alle Gliederung des Grundplanes neben einander gestellt sind und an der Ostseite in einer geraden, ungegliederten, oben in spitzen Giebeln abgeschlossenen Wand liegen; ein besonderes Chorgebäude fehlt ganz. Die beiden niedrigen, äußersten Schiffe, mit ihren sehr weiten Fenstern, sind ohne Zweifel junge Bauten und wahrscheinlich erst im Anfange des 16. Jahrh. nach dem großen Brande vom J. 1503 angelehnt und im J. 1508 vollendet (vgl. Thomas Analecta Gustrov. p. 119). Die eigentliche alte Kirche besteht also aus dem mittlern Hauptschiffe und den beiden innern Seitenschiffen. Man sieht dies noch sehr klar an der östlichen Altarseite und der westlichen Thurmseite, wo noch jedes Schiff das ursprüngliche, alte Fenster hat. Hiernach scheint dieser Mittelbau der alten Kirche aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts zu stammen. Auch im Innern des mittlern Hauptschiffes sind noch manche Ueberreste von dem alten Bau, z. B. die halbkreisrunden Pilaster an der Altar= und der Thurmwand, die Bogen zum südlichen Seitenschiffe.

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Das mittlere Hauptschiff ist noch ziemlich in seiner früheren Eigenthümlichkeit erhalten, jedoch war es in alter Zeit vielleicht nicht so sehr hoch, wie jetzt: die Wölbung ist jung (wohl 1503-1508).

Von den beiden innern Seitenschiffen ist das südliche auch noch ziemlich erhalten, wenigstens in seiner Höhe und in seiner Wölbung: es ist sehr niedrig. Das nördliche innere Seitenschiff, welches mit dem südlichen gleiche Breite hat, ist aber völlig außer dem Style der Kirche: es ist mit dem mittlern Hauptschiffe zu gleicher Höhe hinaufgeführt und mit diesem (1503-1508) in gleicher Weise gewölbt. Man sieht diese jüngere Erhöhung deutlich an den Giebeln, namentlich an den östlichen Giebeln.

Durch den Anbau der beiden niedrigen, äußersten Seitenschiffe sind nun die Außenwände der alten Kirche in diese zu stehen gekommen und aus diesen die Pfeiler modellirt: an den vielen unförmlichen Seiten und Ecken der äußern Pfeiler des innern südlichen Seitenschiffes ist dies noch klar zu sehen; eine thurmartige Treppe, welche jetzt an der südwestlichen Ecke des innern südlichen Seitenschiffes in der Kirche steht, stand in alter Zeit an der Außenwand der Kirche.

Durch die Erhöhung des nördlichen innern Seitenschiffes bis zur Höhe des mittlern Hauptschiffes, wodurch die Kirche zwei Hauptschiffe zu haben scheint, und durch die unförmliche Breite des nördlichen äußersten Seitenschiffes wird nun die Erkenntniß des Grundplanes der Kirche auf den ersten Anblick ganz getrübt; man muß die hiedurch sehr verunstaltete Kirche häufig und scharf beobachtet haben, wenn man sich einigermaßen zurecht finden will.

Im Mobiliar besitzt die Kirche nichts Bemerkenswerthes als den Altar; aber dieser gehört auch zu den seltensten Kunstwerken im Lande. Er ist freilich jung und ohne Zweifel nach dem Brande der Stadt und der Kirche von 1503 angefertigt und im J. 1508 geweihet (vgl. Thomas a. a. O.), aber in seiner Art vielleicht einzig im Lande. Es ist ein Altar aus Holzschnitzwerk mit einer Mitteltafel und zwei Flügeln. Er zeichnet sich dadurch aus, daß er nicht einzelne Heiligenbilder unter Baldachinen auf platten Tafeln enthält, sondern in bedeutenden Vertiefungen personenreiche, lebendige Gruppen in perspectivischer Darstellung. Gegenstand der Darstellung ist die Leidensgeschichte Christi in verschiedenen Abtheilungen, in der Mitte die Kreuzigung. Das Werk ist zwar in Beziehung auf Zeichnung kein Meisterwerk erster Größe in Deutschland, aber ganz ungewöhnlich reich, lebhaft und ausdrucksvoll. Am Fuße des Altarschreines steht der Heiland mit den 12 Aposteln, über den Gruppen

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unter der Krönung eine Reihe von Heiligenbildern. In der Darstellung der Kreuztragung Christi auf dem linken Flügel steht auf dem Schwerte eines Kriegsknechtes in großen römischen Unzialen der Name:

IAN . BORMAN.

ohne Zweifel der Name des Künstlers.

Im nördlichen Seitenschiffe liegt noch ein alter Leichenstein mit folgender Inschrift am Rande umher:

Umschrift

und oben in drei Zeilen zu Häupten an drei Seiten:

Umschrift

[Anno domini M]CCCCXCIII in vigilia nativitatis Christi (24. Dec.) obiit providus vir Hans Clevena, proconsul Gustrowiensis. Orate deum pro eo et pro Katharina uxor bis (statt ejus (?) was jedoch nicht dasteht).

In der Mitte des Steines ist ein Schild mit einer heraldischen Lilie in einer Einfassung, wie sie die gemalten Wappen in den Fenstern der Kirche zu Dargun aus der Mitte des 15. Jahrh. haben.

Der Leichenstein ist oben zerbrochen und daher die Inschrift in der Jahreszahl lückenhaft und undeutlich; man kann im Anfange der ersten Längsseite lesen: xiiii oder xliii oder xciii; das erstere steht scheinbar da, das letztere ist wahrscheinlich. Ein Haus Klevena war im J. 1484 Burgemeister in Güstrow (vergl. Thomas Anal. Gustrov. p. 132).

Unter dem Schilde steht in römischen Unzialen des 16.-17. Jahrhunderts:

LORENTZ . KLEVENA.
V. S. V. S. E.

Die Familie Klevena war in Güstrow eine alte und angesehene Patricierfamilie, welche ein Wappen führte (vgl. Thomas Anal. a. a. O.).

G. C. F. Lisch.