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Inhalt:

B.

Jahrbücher

für

Alterthumskunde.

 


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I. Zur Alterthumskunde

im engern Sinne.


1. Vorchristliche Zeit.

a. Zeit der Hünengräber.


Hünengrab von Stuer, Nr. 1.

Bei der Aufgrabung des Begräbnißplatzes von Sukow am plauer See (vgl. unten) waren an einem Nachmittage mehrere Badegäste aus Stuer gegenwärtig. Einige dieser Herren faßten den Entschluß, nach ertheilter Erlaubniß von Seiten des Herrn Gutsbesitzers Hagemeister auf Stuer, eigenhändig einige Gräber zu Stuer zu untersuchen. Ihre erste Unternehmung war, von einem Hünengrabe, das noch unversehrt und mit 2 großen Decksteinen belegt war, den einen Stein abzuwälzen und von oben in das Grab hinein zu graben. Die Kiste war mit mächtigen Steinen umstellt und mit sehr lehmhaltiger Erde angefüllt. In einer Tiefe von 4 Fuß hatten sich Kohlen und Knochenfragmente gezeigt, so wie mehrere gespaltene rothe Sandsteine, auch flache Stücke Granit zum Vorschein gekommen waren; zugleich zeigte sich ein aufrecht stehender, gespaltener Stein, welcher auf eine Abtheilung nahe dem Urboden deutete. Diese Umstände, und daß sie (wie sehr natürlich) keine solche Masse von Urnen, wie sie zu Sukow gesehen hatten, hier vorfanden, bewog sie, mit ihrer Untersuchung inne zu halten und mich davon in Kenntniß zu setzen. - Im Interesse des Vereins erkannte ich die Nothwendigkeit, mich sogleich nach Stuer zu begeben, und während ich die Herren an der Grabstelle belehrte, daß in solchen Hünengräbern hauptsächlich Steinwaffen zu suchen und solche vielleicht aus Unkunde schon mit der Erde hinausgeworfen seien, fand in der frisch ausgeworfenen Erde der hiesige Küster Herr Rubach eine Pfeilspitze aus Feuerstein, ich selbst entdeckte eine noch unten im Grabe liegende und noch einer der Anwesenden fand in dem Auswurfe eine dritte Pfeilspitze, der aber die

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Schaftzunge fehlt. Zugegen waren dabei die Herren: Pastor Mussehl aus Kotelow, Bau=Conducteur Krüger aus Plau, Advocat Lemcke aus Retzow, Wasserarzt Kahl zu Stuer, Küster Lange aus Karbow und Küster Rubach aus Vietlübbe. Darnach schien das Grab noch mehr zu versprechen, und um zugleich auch andere dortige Gräber nicht von unkundigen Händen durchgraben zu lassen, so wie den Steinbrechern zuvorzukommen, welche für Chausseen Steine in der Nähe des plauer Sees und besonders bei Stuer ausbrachen, ließ ich meine Arbeiter von hier dahin gehen und leitete die Aufgrabung selbst für den Verein. - Das Grab hatte innerhalb der Steinsetzung einen Raum von 8 Fuß Länge von Osten nach Westen und 5 Fuß Breite; im Norden und Süden standen 2, in Osten und Westen ein Stein; von den beiden Decksteinen war der westliche abgewälzt. Die sehr lehmhaltige Erde war in der Steinkammer bis an die Decksteine 5 Fuß hoch über dem Urboden angehäuft; im Grabe war über dem Urboden eine Steinsetzung von gespaltenen Steinen 1 Fuß hoch und 2 Fuß vom westlichen Ende queer durch das Grab; in dieser westlichen Abtheilung waren die Pfeilspitzen ausgegraben. - Nachdem die ausgeworfene Erde noch einmal genau untersucht war, ließ ich von Westen aus, weil hier schon bis zum Boden hineingegraben, auch der Deckstein hier abgewälzt war, weiter graben, wobei die Erde in der Tiefe immer lehmhaltiger ward, so daß sie nahe am Urboden beinahe aus reinem Thon bestand. Ganz nach Osten hin zeigten sich Scherben einer Urne ohne Verzierung in einer Höhe von 2 Fuß über dem Boden und etwas darunter Reste eines menschlichen Schädels, dann aber erst, über dem Urboben 3 Fuß vom östlichen Ende in der ganzen Breite des Grabes, eine Brandstelle, die also 3 Fuß breit und 5 Fuß lang war. Diese Stelle war mit kleinen Steinen, besonders ausgeglüheten Feuersteinen bedeckt, bestand aus einer übel riechenden, schmierigen, mit Asche und Kohlen durchmischten Masse und war kaum von der darüber liegenden Thonschicht zu trennen. 1 1/2 Fuß von Osten und eben so weit von Norden lag auf der Brandstelle eine durchbohrte Streitaxt, aus Hornblende, wie Frid. Franc. Tab. I, Fig. 2, und ganz in der nordöstlichen Ecke war eine Urne ohne Verzierung, ganz wie die vorher in Bruchstücken gefundene; sie lag mit der Oeffnung gegen Süden und war fest in Thon gepackt, daß ich sie herausschneiden mußte; ihr Inhalt war thonigte Modererde, stark mit Asche vermischt. Die Urne ist 6 3/4 Zoll hoch, hat eine Basis von 2 3/4 Zoll, eine Bauchweite von 6 1/4 Zoll und eine Oeffnung von 5 Zoll im Durchmesser. - Für Naturforscher die Bemerkung: in der Nähe der Urne hatte eine Kröte

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eine kreisrunde, flache Höhlung ohne Oeffnung, weder seitwärts, noch nach oben; der feste Thon gestattete auch kein Eindringen von Seiten des Thieres; sie lebte, aber zeigte große Unempfindlichkeit beim Berühren und suchte weggestoßen ihr altes Lager immer wieder auf; über die Zehen des rechten Vorderfußes hing lose trockene Haut. Schon früher habe ich in der Tiefe von Kegelgräbern Kröten getroffen; sie starben gewöhnlich innerhalb 24 Stunden. - Nach außen war das Grab zwischen den großen Steinen mit flach gespaltenen, besonders rothen Sandsteinen, welche über einander geschichtet waren, so fest verpackt, daß nichts hineindringen konnte; auch war außerhalb die Erde fast kreisförmig angehäuft, so daß nur die Spitzen der großen aufrecht stehenden Steine sichtbar waren. Diese großen Steine aus festem Granit waren nach innen flach. Weiter fand sich in dem Grabe nichts. Die Lage des Grabes ist südlich von der südlichen Spitze des plauer Sees, auf einer Anhöhe, die sich nach Norden dem See zu abdacht. Einige hundert Schritte westlich liegt ein 7 Ruthen langes Hünengrab.

Vietlübbe, im Julius 1847.

J. Ritter.     

Hünengrab von Stuer, Nr. 2.

Etwa 300 Schritte westlich von dem aufgedeckten Hünengrabe Nr. 1 war ein mit Steinen eingefaßter Hügel von etwas ovaler Rundung, dessen längster Durchmesser von Südwesten nach Nordosten sich erstreckte. Mitten in diesem Hügel lag eine Steinkiste, aus 6 Steinen aufgesetzt und mit 2 Decksteinen belegt. Die innere Länge von Südwesten nach Nordosten maß 7 Fuß, die Breite 4 Fuß; auch war diese Kiste bis unter die Decksteine inwendig mit Sand 6 Fuß hoch gefüllt; die Tragsteine waren von außen 3 Fuß hoch mit Erde angeschüttet. Nach Wegnahme der Decksteine zeigten sich die Fugen der Tragsteine sorgfältig mit gespaltenen rothen Sandsteinen ausgesetzt. Zwischen dem Sande im Grabe zeigten sich keine Spuren von Alterthümern; nur am Grunde waren zwischen einer dünnen Schicht von grobem Kies auch viele ausgeglühete Feuersteine und in der Ecke zwischen der kurzen nordöstlichen und der längeren südöstlichen Seite lag ein schön gearbeiteter, scharf geschliffener Keil aus Feuerstein. Außerhalb der Kammer ließ ich ebenfalls den Hügel untersuchen, aber ohne Erfolg.

Hünengrab von Stuer, Nr. 3.

Oestlich von dem Hünengrabe Nr. 1 liegt ein Hünengrab oder Riesenbett von 7 Ruthen Länge, eingefaßt von mächtigen, aber mehr runden als langen Granitblöcken, auf einer natür=

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lichen Anhöhe. Die innere Breite zwischen den Steinen von Norden nach Süden mißt 10 bis 12 Fuß und ist der Sand verkehrt muldenförmig 3 bis 3 1/2 Fuß über dem Urboden angehäuft. Durch ebenfalls große Granitblöcke war am östlichen Ende eine Länge von 12 Fuß von dem übrigen Grabe zu einer Art Kammer abgesondert, und grade in der Mitte des übrigen längeren Theiles lag queer über dem Grabe ein großer Stein von ungefähr 6 Fuß Länge und 4 Fuß Breite, auf dem oben und zu beiden Seiten queer über eine Rinne 1 Zoll tief und 2 Zoll breit läuft, offenbar künstlich gearbeitet, da sie weichere und härtere Stellen des Granits gleichmäßig durchschneidet. - In dem sorgfältig untersuchten Grabe fanden sich nur hin und wieder Bruchstücke von Urnen, sonst aber weder Spuren von Brand, noch Reste von Knochen; auch keine gespaltene Sandsteine. Ueberhaupt scheinen in den mit bloßem Sande aufgeworfenen Hünengräbern solche Ueberreste der ursprünglichen Bestattung, welche der Verwesung leicht unterliegen, z. B. Holz, nicht gebrannte Knochen u. dgl., selten gefunden zu werden.

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Hünengräber von Stuer, Nr. 4, 5, 6.

Grade östlich von dem vorigen längeren Hünengrabe lagen in einer und derselben Richtung drei Steinkisten, unter einander und von dem Hünengrabe ungefähr 30 Schritte enfernt. Der Bau derselben war ganz gleich. Die längeren, von Norden nach Süden laufenden Seiten waren aus 2 inwendig ziemlich graden Tragsteinen, die kürzeren Seiten aus einem einzigen Steine gebildet; sie schlossen einen Raum von 7 Fuß Länge und 4 Fuß Breite ein; darin waren sie also mit dem Hünengrabe Nr. 2 übereinstimmend, wichen aber dadurch ab, daß sie nicht von Hügeln umgeben waren. Die Decksteine fehlten allen drei Grabstätten. Hier fanden sich allenthalben die gespaltenen rothen Sandsteine, auch über dem Urboden eine Schicht kleiner Steine, mit weißen Feuersteinen untermischt, aber keine Knochen und keine Steinwaffen. In der mittleren dieser drei Kisten war aber 1 Fuß über dem Urboden eine ganze Lage von Urnenscherben, deren innere Seite nach unten lag, mit Sorgfalt gelegt. Es war ganz dieselbe Erscheinung wie in dem Hünengrabe von Moltzow Nr. 4 (Jahrb. X, S. 265), nur daß hier zu Stuer die Urnenscherben durchaus ohne Verzierung und aus grobkörniger Masse bereitet waren. Schließlich bemerke ich noch, daß diese Aufdeckungen nöthig waren, weil hier die Steine, die sich irgend zu Tage liegend zeigen, durch die Arbeiter des Kaufmanns Herrn Daries zu Plau ausgebrochen werden, um zu Chausseebauten verwandt zu werden.

Vietlübbe, im August 1847.

J. Ritter.     

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Hünengräber von Klink.

Beim Bau der Chaussee von Röbel nach Waren wurden auf der Feldmark des Gutes Klink bei Waren sehr viele Begräbnisse aller Art zerstört. Der Gutsbesitzer Herr Kähler konnte nur mit großer Mühe etwas von dem Inhalt der Gräber retten; man vgl. unten bei den Kegelgräbern. Außer mehreren Alterthümern aus Kegelgräbern gelang es ihm auch, einige steinerne Alterthümer zu gewinnen, welche an einer andern Stelle in Urnen gelegen hatten, welche aber alle zertrümmert waren; die Auffindung auf Begräbnißplätzen und in Urnen ist jedoch sicher. Herr Kähler schenkte dem Vereine aus diesem Funde:

eine Streitaxt aus Hornblende, wie Frid. Franc. Tab. XXVIII, Fig. 6, mit erhabenen Streifen facettirt;

einen ganz kleinen Keil aus grauem Feuerstein, nur 2 3/4"lang, 1 1/2" breit und 3/4"dick;

einen vielleicht zu einer Halschmuckperle benutzten Feuerstein, von rundlicher Gestalt und weißgelber Farbe, dem Ansehen nach einem Opal ähnlich und sehr fettig und ganz glänzend, ungefähr 1 1/2" im Durchmesser, von Natur durchaus regelmäßig, aber nicht glatt durchbohrt, ohne Zweifel durch Verwitterung eines eingeschlossen gewesenen Belemniten.

G. C. F. Lisch.     

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Hünengrab von Vietlübbe.

Auf der Feldmark von Vietlübbe, A. Lübz, nicht weit von dem Wege nach Plau, liegen mehrere, zum Theil wohl schon früher durchgrabene und durchsuchte Hünengräber. Eins derselben, welches freilich ohne Deckstein, aber zwischen den aufrecht stehenden Granitpfeilern noch gut mit Erde über dem Urboden angefüllt war, ließ ich, da die Steine zu anderweitigem Zwecke ausgebrochen werden sollten, untersuchen. Unter einer Erddecke von 3 Fuß Höhe zeigte sich eine mit vielen, kleinen, weiß und röthlich ausgeglüheten Feuersteinen belegte und untermengte Brandstelle, aber keine Spur von Urnen. Der Raum zwischen den Steinen betrug 6 Fuß in der Länge von Nordost nach Südwest, in der Breite aber 5 Fuß. Etwa 1/2 Fuß über der Brandstelle fand sich nahe an einem der südlichen, aufrecht stehenden Steine ein etwas hohl geschliffener Keil aus Feuerstein. Weiter fand sich keine Spur von Alterthümern; auch die gespaltenen Sandsteine fehlten.

Vietlübbe, den 17. Junius 1847.

J. Ritter.     

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Hünengrab von Rothenmoor.

Auf dem an Moltzow grenzenden Gute Rothenmoor bei Malchin, an einem Berge an dem Gr. Stüder=See, ward im J. 1847 ein schon zerstörtes Hünengrab abgetragen. In demselben fanden sich nur die von dem Reichsfreiherrn Albrecht Maltzan auf Peutsch eingereichten Scherben von zwei gänzlich zertrümmerten Urnen, welche jedoch dadurch merkwürdig sind, daß sie den zu Moltzow ausgegrabenen, in Jahresber. VI, S. 135 beschriebenen und in Jahrb. X, S. 254 - 256, a. b.c. abgebildeten Urnen an Arbeit, Form und Verzierung völlig gleich sind, namentlich in den zur Verzierung angewandten Gruppen senkrechter Parallellinien, also unzweifelhaft aus derselben Zeit und Werkstätte stammen.

G. C. F. Lisch.     

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Steinalterthümer aus dem Torfmoor von Rogahn bei Schwerin.

Der Herr Gymnasiallehrer Dethloff zu Schwerin hat dem Vereine folgende steinerne Alterthümer geschenkt, welche sämmtlich in dem großen, in der Nähe von Schwerin bei Rogahn und andern Dörfern liegenden rogahner Torfmoor gefunden sind:

1 Keil aus Grünstein, 6 3/4" lang und 1 1/2" dick, von ganz ungewöhnlichen Formen: das Ganze ist überall geschliffen und plattrund abgeschliffen, in elliptischem Durchschnitt; das Bahnende läuft spitzig aus; das Beilende ist 2 1/4" lang und 1" dick stumpf abgeschnitten und geschliffen.

1 Keil aus dunkelgrauem Feuerstein, 7" lang, dünne, platt und breit.

1 Keil aus hellgrauem Feuerstein, 6" lang, 1 1/2" dick in der Mitte.

1 Keil aus hellgrauem Feuerstein, 4" lang.

1 Dolch aus hellgrauem Feuerstein, 8 1/4" lang, mit viereckigem Griff.

1 Dolch aus hellgrauem Feuerstein, 5 1/2" lang, ebenso.

1 Lanzenspitze aus bräunlichem Feuerstein, 4 1/2" lang, mit plattem Schaftende.

1 Pfeilspitze aus hellgrauem Feuerstein, 3 1/2" lang, roh zugehauen.

1 Paar halbmondförmige Messer aus hellgrauem Feuerstein, 5 1/4"und 4 1/4" lang.

1 Paar halbmondförmige Messer aus dunkelgrauem Feuerstein, das eine 3 1/4" lang, das andere zerbrochen 2 1/2" lang.

G. C. F. Lisch.     

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Streitaxt von Kambs.

Der Herr Pächter Krüger zu Kambs bei Wredenhagen lieferte zu der großherzoglichen Alterthümersammlung eine steinerne Streitaxt, welche auf der Dorfstätte von Kambs gefunden ist. Diese interessante Axt ist von gewöhnlicher Form, aus Hornblende, nicht polirt und noch nicht völlig durchbohrt, also noch nicht fertig; die Bohrung des Loches durch die 1 1/2" dicke Axt ist von beiden Seiten geschehen, fast vollendet, indem jedes Loch beinahe 3/4" tief ist, und geht trichterförmig hinein. Die Bohrung ist zwar ziemlich regelmäßig; man sieht es aber deutlich, daß sie mit großer Mühe, vielleicht durch Reibung mit einem steinernen oder hölzernen Pflock durch Hülfe von Sand, bewerksteligt ist, indem der obere Rand der Löcher durch die häufigere Reibung nicht scharf und regelmäßig ist.

Die von dem Vereine mit zuverlässigen Nachrichten gesammelten nicht vollendeten Streitäxte sind alle trichterförmig angebohrt, z. B. die Streitaxt aus dem Hünengrabe von Malchin (vgl. Jahresber. VI, S. 31 - 32), die Streitaxt aus dem Hünengrabe von Lage (vgl. Jahrb. IX, S. 369) und die Streitaxt von Neu=Bauhof Stavenhagen (vgl. den folgenden Bericht); ebenso sind auch die in der großherzoglichen Sammlung befindlichen Streitäxte trichterförmig angebohrt, mit Ausnahme einer einzigen, welche mit einem hohlen Cylinder angebohrt ist und in einem eingeschliffenen Ringe einen Zapfen stehen hat (vgl. Frid. Franc. Erläut. S. 110 - 111).

G. C. F. Lisch.     

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Streitaxt von Neu=Bauhof Stavenhagen.

Der Herr Schornsteinfegermeister Heinroth zu Stavenhagen fand beim Neuen Bauhof bei Stavenhagen eine angefangene Streitaxt aus Hornblende, die er dem Vereine schenkte. Dieses interessante Stück bildet einen regelmäßigen, überall gleich dicken Keil, in der Gestalt eines Bolzens eines Plätteisens oder eines Dreiecks von 7" Höhe und 2 3/4" Basis, ist in der ganzen Breite 1 3/4" dick und überall geebnet; die Bohrung des Schaftloches ist erst von einer Seite begonnen und besteht hier aus einer trichterförmigen oder fast halbkugelförmigen, regelmäßigen Vertiefung von etwa 3/8"; an der entgegengesetzten Seite ist keine Spur von einer Bohrung zu finden (vgl. den voraufgehenden Bericht).

G. C. F. Lisch.     

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Streitaxt von Bützow.

Eine Streitaxt aus Hornblende ward von dem Herrn F. Seidel zu Bützow geschenkt. Sie soll vor mehreren Jahren bei Bützow vor dem rostocker Thore bei dem Armenkirchhofe auf dem Kampe, wo ein Kloster (zuerst die Elisabethkirche, dann das St. Georgenhospital, nach Jahrb. VIII, S. 5) gestanden haben soll, unter Bauschutt tief aus der Erde ausgegraben sein.

Keil aus Hornblende von Bützow.

Ein Keil aus Hornblende, 5 3/4" lang, überall geschliffen und an der Schneide glatt nachgeschliffen, ward gefunden auf dem Freiensteinsberge bei Bützow (vgl. Jahrb. VIII, S. 4, und IX, S. 404) im J. 1845 beim Kartoffelausgraben, und geschenkt von dem Herrn F. Seidel zu Bützow.

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Keile aus Hornblende von Güstrow.

Bei Güstrow wurden im Moor bei Erdarbeiten gefunden und von dem Herrn Ober=Inspector von Sprewitz geschenkt:

1 Keil aus Hornblende, mit spitzigem Bahnende, sehr regelmäßig gearbeitet und an der ganzen Oberfläche stark verwittert, und

1 Keil aus Feuerstein.

Aus der Gestalt dieses Keils aus Hornblende, welcher sich mehr der Gestalt der nordischen Keile nähert, möchte sich schließen lassen, daß die Keile aus Hornblende oder Grünstein, welche in Meklenburg sehr selten gefunden werden, entweder eingeführt oder, was wahrscheinlicher ist, in Kämpfen von Fremden verloren sind; diese Keile sind, so viel bekannt geworden, noch nie in heimischen Gräbern gefunden, während Keile aus Feuerstein in Meklenburg in überaus großer Zahl überall vorkommen; die Keile aus Hornblende, deren die schweriner Sammlungen kaum ein Dutzend besitzen, während die Keile aus Feuerstein zu Hunderten gezählt werden, sind alle einzeln gefunden. Vgl. die nächstfolgende Einsendung.

G. C. F. Lisch.     

Keil aus Hornblende von Güstrow.

Ein Keil aus Hornblende, überall geschliffen, ward gefunden bei Güstrow an der Nebel im Moor bei Anlegung des Bahnhofes und geschenkt von dem Herrn Stadtbuchhalter Scheel zu Güstrow. Der vom Hrn. Ober=Inspector v. Sprewitz eingesandte Keil ist diesem sehr ähnlich, jedoch am Bahnende spitzer. Vgl. die voraufgehende Einsendung.

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Keil von Schwan.

Ein Keil aus Feuerstein, bräunlich, überall trefflich geschliffen, halb durchgeschlagen, gefunden im J. 1845 bei Schwan auf dem Kammerberge unter Steinen, beim Steinsprengen, also wahrscheinlich unter einem Hünengrabe, erworben und geschenkt von dem Herrn F. Seidel zu Bützow.

Im J. 1847 ward zu Mirow, A. Schwerin, beim Ziehen von Gräben, tief im Torfmoor, auf dem Sandboden unter der Torfschicht, durchaus ganz derselbe Keil sowohl an Gestalt, Größe, Färbung, Schleifung etc. . gefunden. Abgesehen von den verschiedenen Perioden innerhalb der Steinzeit scheint aus der verschiedenen Gestalt und Bearbeitungsweise der Keile hervorzugehen, daß die verschiedenen Keile zu verschiedenen Zwecken angewandt wurden.

G. C. F. Lisch.     

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Halbmondförmiges Messer von Retzow.

Auf einem steinigten Sandhügel zwischen dem Hofe und Dorfe Retzow, A. Lübz, wo mancherlei Bruchstücke von Feuersteinmessern häufig vorkommen und eine Fabrik derselben vermuthen lassen, fand der Herr Abvocat Lemcke zu Retzow ein halbmondförmiges Messer aus Feuerstein, welches er dem Vereine zum Geschenke machte.

Vietlübbe, 1847.

J. Ritter.     

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Schleuderstein (?) von Schorssow.

Der Herr Schornsteinfegermeister Heinroth zu Stavenhagen hat dem Vereine einen jener räthselhaften Scheiben oder sogenannten Schleudersteine geschenkt, den er auf dem Felde von Schorssow am malchiner See fand. Der Stein, von röthlichem Hornstein, ist wie gewöhnlich und ganz regelmäßig gestaltet, wie Frid. Franc. Tab. XXVII, Fig. 20; er hat die Gestalt einer dicken, abgerundeten Scheibe von 2 3/4" Durchmesser und 2 3/8" Dicke, an jeder breiten Seite eine runde Vertiefung und um den äußersten Rand eine Rille, in welcher man deutlich eine glatte Ausschleifung durch eine Schnur erkennen kann. An einer Seite sind zwei Sechstheile der convexen Oberfläche neben einander zu zwei ebenen Flächen glatt abgeschliffen; an der andern Seite ist dem einen der beiden Sechstel gegenüber ein anderes Sechstel eben so glatt geschliffen; eben so ist zwischen diesen beiden Flächen die Rille glatt weggeschliffen, so daß der Stein in verschiedenen Zeiten zu verschiedenen Zwecken gebraucht zu sein scheint. - Vgl. Jahrb. XII, S. 405.

G. C. F. Lisch.     

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Wetzstein von Faulenrost.

Zu Faulenrost, südlich von Malchin, wo früher sehr viele Hünengräber gestanden haben sollen und noch einige stehen, fand der Herr Schornsteinfegermeister Heinroth zu Stavenhagen an der Stelle eines zerstörten Hünengrabes einen griffelförmigen Wetzstein, den er dem Vereine schenkte. Der Stein ist aus dunkelbraunem Kieselschiefer, glatt, viereckig, 4 3/4" lang und ungefähr 3/8" dick, auf einer Fläche etwas ausgeschliffen und an einem Ende durchbohrt.

G. C. F. Lisch.     


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b. Zeit der Kegelgräber.


Kegelgräber von Sukow.

Der Herr Gutsbesitzer Zollenkopf auf Sukow am plauer See ließ mir am 11. Mai d. J. melden, daß er beim Ausbrechen von Steinen auf seinem Gute alte Gräber und in denselben schon einige Alterthümer gefunden habe; er habe einstweilen die Leute an einer andern Stelle beschäftigt und lade mich ein, im Interesse des Vereins zu ihm zu kommen. Dieser Aufforderung folgend begab ich mich sogleich dorthin und fand einen Raum von 153 Quadratruthen ganz mit kleineren und größeren kegelförmigen Steinhügeln bedeckt, ähnlich den Plätzen zu Liepen und Vietlübbe; auch die gefundenen Bronzesachen wiesen hin auf die Bronzezeit der Kegelgräber. Da ich wegen der bevorstehenden Festtage nicht sogleich dort bleiben und die weitere Aufdeckung leiten konnte, so verhieß mir der Herr Zollenkopf den Ort in dem gefundenen Zustande, da die nördliche Hälfte noch nicht durchgraben war und nur zwei Gräber offen standen, bis zu meinem Wiederkommen nach dem Pfingstfeste unberührt zu lassen.

Am Tage nach Pfingsten begab ich mich wieder nach Sukow und fand hier das eine Grab, eine Steinkammer von 2 Fuß Breite und 5 Fuß Länge, worin 6 Urnen standen, mit einer Einfriedigung und einem verschlossenen hölzernen Deckel durch Herrn Zollenkopf versehen; er wünschte dies eine Grab und die Urnen ununtersucht zu bewahren, will die Stelle mit Bäumen umpflanzen und einen Stein mit der eingehauenen Inschrift: Germanengräber, aufgedeckt 1847 daneben aufstellen. In die andere offen stehende Steinkiste waren rohe Menschen hineingesprungen und hatten die Urnen zertrümmert; doch war der Inhalt derselben noch unversehrt vorhanden, auch ließen sich die 5 darin stehenden Urnen noch unterscheiden. Es fand sich in denselben an Bronzesachen:

a. eine gebogene, in der Mitte viereckige Nadel, mit einem Knopfe, worauf 4 concentrische Kreise;

b. ein Ring von 1 Zoll innerer Weite.

Es standen noch zu untersuchen 5 größere Hügel; sie hatten einen Durchmesser von 12 bis 8 Fuß; in der Mitte fand sich überall eine Steinkiste von 2 Fuß Breite und 2 bis 6 Fuß Länge. Eine bestimmte Richtung war bei Anlegung dieser

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Steinkisten nicht beobachtet; einige lagen der Länge nach von Nordosten nach Südwesten, andere von Südosten nach Nordwesten und noch andere von Süden nach Osten; doch war eine Seite immer mit kleineren Steinen zugesetzt, welche wahrscheinlich zur Einsetzung späterer Graburnen geöffnet war, und offenbar waren die am entgegengesetzten Ende stehenden Urnen, also die älteren, zusammengeschoben, so daß sie fast alle zerdrückt waren. Die Zahl der Urnen in einer solchen Kiste betrug 1 bis 6. Wo mehrere Urnen standen, fand sich stets eine oder zwei nur mit Asche angefüllt. Alterthümer waren nur in den Knochenurnen, wo sie bald über, bald unter den Knochen lagen. Alle Kisten, mit Ausnahme der, worin die unten erwähnte Schachtel stand, waren unter der Oberfläche des Bodens angelegt; jede Urne stand auf einem kleinen Steine; die Kiste war dann mit mehreren flachen Steinen zugedeckt und gewöhnliche Dammsteine waren einige Fuß hoch darüber angehäuft. Die Kiste, in welcher die Schachtelurne mit 4 anderen Urnen stand, war über der Erde angelegt und unter den Urnen war ein durch die ganze Kiste gelegter Steindamm. - Die Urnen waren von sehr verschiedener Form, Größe und Farbe, doch keine, welche besonders von den sonst in Kegelgräbern beobachteten abweicht. Die größte Urne war von 18 Zoll Bauchweite. Die hellen Urnen waren die haltbarsten. Alle waren mit schalenförmigen Deckeln versehen. Mehrere Urnen hatten am Bauche die Jahrb. XI, S. 363 beschriebene Verzierung von abwechselnd erhabenen und vertieften, schräge rechts laufenden Schwingungen. Die ziemlich gut erhaltenen Urnen sind folgende:

1) eine Schachtelurne, fast viereckig mit abgerundeten Ecken, flachem Boden und aufrechtstehenden Wänden. Die Länge ist 17 1/2 Zoll, die Breite 9 1/2, die Höhe 6 Zoll. Darüber war ein gleichfalls flach und ähnlich geformter Deckel mit senkrecht überfassendem Rande.

2) eine Urne, ähnlich der im Frid. Franc. V, 2 abgebildeten, 8 1/4 Zoll hoch, oben 6 3/4" weit, im Bauche 10", in der Basis 3 1/2" im Durchmesser haltend.

3) eine Urne, wie die Jahrb. XI, S. 356 abgebildete, von 8 1/2" Höhe, 6" im Bauche und 5 3/4" in der Basis weit.

4) eine kleine Urne mit scharfem Bauchrande und 2 durchbohrten Knötchen daran; sie ist 3" hoch, oben 3 1/2", im Bauche 4 1/2", in der Basis 1 3/4" weit.

5) eine Schale, grade wie die übrigen Deckel der Urnen, als Urne benutzt und nur mit Asche gefüllt, hat auf dem Rande schräge eingedrückte Schwingungen und ist mit einem Henkel versehen.

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6) ein schalenförmiger Deckel mit einem Henkel. Die Höhe der Schale ist 4", der Rand im Durchmesser 15 3/4" und die Basis 5" weit.

Die Steinkiste, in welcher die schachtelförmige Urne stand, lag fast in der Mitte des Platzes, etwas nach Südosten abweichend, enthielt 5 Urnen, nämlich 2 Aschen= und 3 Knochengefäße.

In der Schachtelurne lagen folgende Alterthümer aus Bronze:

c. eine Sichel mit rückwärts gebogener Spitze und einem Knoten am hintern Ende; sie ist nur 4 1/2" lang und schwach gerostet;

d. eine Pincette, an den breiteren Flächen nach der Oeffnung mit je 3 Eindrücken von innen nach außen versehen;

e. ein Scheermesser, das untere drathförmige Griffende rückwärts gebogen, wie Frid. Franc. XVIII, 15;

f. ein Doppelknopf.

Eine andere Urne enthielt:

g. einen Ring aus Bronze, inwendig 3/4" weit.

Die dritte Urne enthielt keine Alterthümer.

Ein anderer Hügel enthielt nahe an der Steinkiste, etwas seitwärts eine zertrümmerte Urne mit folgenden Bronzesachen:

h. eine Pfeilspitze mit Schaftzunge, 3" lang, mit edlem Roste bedeckt;

i. die Hälfte einer Heftel, nämlich eine volle, runde Platte (ohne Spiralwindungen) mit gravirten Linien und Halbkreisen verziert, woran ein Zapfen zum Einbiegen der Nadelspitze sitzt, und die Hälfte des Bügels, mit Strichen und Puncten verziert. Die andere Hälfte der Heftel war nicht vorhanden; der Bruch ist alt.

Die Kiste selbst enthielt 4 Urnen, von denen die eine mit Asche, die übrigen mit Knochen gefüllt waren. Nur in einer der letzteren fanden sich aus Bronze

k. eine schon vor der Beisetzung abgebrochene Messerklingenspitze von 2 1/2 Zoll Länge;

l. ein Handring mit umgebogenen Enden, in der Mitte aus gewundenem Drath, wie sonst die Halsringe und goldenen Handringe gearbeitet sind.

Ein dritter Hügel enthielt unter den Steinen nahe an der Kiste die Hälfte eines muldenförmig ausgehöhlten Granisteines. In der Kiste standen 3 Urnen, angefüllt mit Knochen, In der einen Urne war enthalten aus Bronze:

m. eine gebogene Nadel aus viereckigem Drath, unterhalb des Knopfes rund mit einer schraubenförmigen Linie verziert.

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Ein auf der Mitte des Knopfes stehendes Knötchen erscheint als die Fortsetzung der Nadel. Am Rande des Knopfes stehen noch 4 gleiche Knötchen, alle oben kreisförmig verziert

eine Säge, 2 3/4" lang, dünne, an einem Ende mit einem Loche, wie Jahrb. XI, S. 377; die Zähne sind stark abgenutzt, der Rücken ist scharf, wie ein Messer.

n.Der vierte Hügel barg in der Steinkiste ebenfalls 3 Urnen mit Knochen, von denen zwei Alterthümer enthielten, nämlich die eine:

o. eine Nadel von 7 3/4" Länge, mit einem Knoten unterhalb des kleinen Knopfes;

die andere Urne enthielt:

p. eine Sichel, deren Griffende mit dem Knoten fehlt, in der Klinge 5 1/2" lang;

q. ein Scheermesser, fast 3" lang.

Der fünfte Hügel enthielt in seiner Steinkiste 4 Urnen, von denen 3 mit Knochen gefüllt waren. In einer Urne lag über den Knochen

r. eine Nähnadel von 2" Länge, und unter den Knochen

s. eine Messerklinge, 3 1/4" lang;

in einer andern Urne war

t. ein Ring aus Bronze, 1 1/2" im Durchmesser weit.

An mehreren Stellen standen zwischen den Hügeln in der überall wie mit einem Steindamm belegten Erde einzelne Urnen mit mehr oder weniger kistenartig umstellten Steinen. Diese einzeln stehenden Urnen enthielten aber nur Knochen, nie Bronzesachen. In einer solchen einzeln gefundenen, größern Urne stand die oben unter 4 beschriebene kleine Urne. An einer anderen Stelle stand in einer größeren Urne ebenfalls eine kleine, aber zerbrochene Urne, ganz wie die bei Retzow gefundene, Jahrb. XI, S. 363 abgebildete.

Vor meiner ersten Reise nach Sukow war schon gefunden, wahrscheinlich unter ähnlichen Verhältnissen, an Bronzesachen:

u. eine zierlich gearbeitete, grade Nadel, mit edlem Roste und einem oben halbkugelförmig ausgehöhlten Knopfe; sie mißt 5", ist aber gewiß etwas länger gewesen;

v. ein kleiner offener Ring aus Drath;

w. ein nach innen hohler Handring, in 2 Stücken, wahrscheinlich von den Arbeitern durchbrochen;

x. Bruchstücke eines Handringes;

y. eine gebogene Nadel;

endlich

z. Bruchstücke von einem gewundenen Halsringe.

Die Art der Bestattung in Kisten meist unter der Erde, die Form der Urnen, namentlich die Schachtelurne, und der Inhalt

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derselben an Bronzegeräthen zeigte eine große Uebereinstimmung mit den in einer größeren Gruppe zu Zechow bei Neu=Strelitz liegenden Kegelgräbern, von denen einige im Jahre 1845 in meiner Gegenwart von dem Herrn Bibliothekar Gentzen und den unserm Vereine angehörenden Officieren aus Neu=Strelitz aufgedeckt sind; die Bekanntmachung des Fundes hatte der Herr Bibliothekar Gentzen übernommen; so viel ich weiß, ist bis jetzt nichts davon veröffentlicht; - mir fehlen aber die speciellen Notizen zu einer richtigen und genauen Beschreibung.

Schließlich muß ich noch der außerordentlichen Aufmerksamkeit des Herrn Zollenkopf, der, obgleich kein Mitglied unseres Vereines, auf die erste Nachricht von Alterthümern alles Gefundene sammelte und mit den Arbeiten an dem Begräbnißplatze aufhielt, der Bereitwilligkeit, alles noch zu Findende dem Vereine zu überlassen, so wie seine Leute zu meiner Verfügung zu stellen, und der gastlichen Aufnahme, die ich während der ganzen Zeit bei ihm fand, anerkennend erwähnen. Bei solcher Gesinnung überall wäre der Verein an Alterthümern und Erfahrungen schon viel reicher geworden.

Vietlübbe, im Junius 1847.

J. Ritter.     

Nachtrag zu dem Aufgrabungsberichte
über
den Begräbnißplatz von Sukow.

Fast in der Mitte dcs Platzes lag noch, nahe an einem Steinhügel in die Erde versenkt, ein eigenthümlich geformter Stein aus Granit, dessen früherer Gebrauch oder Bedeutung mir nicht erklärlich ist. Er sieht fast aus wie ein Kopf mit Hals und Brust und ist jedenfalls künstlich bereitet, aber anscheinend nur noch ein Bruchstück oder ein Theil von einem größeren Steine. Aus dem Aufgrabungsberichte ließ ich ihn eben deshalb weg, weil ich erst durch längeres Anschauen mich von der künstlichen Bearbeitung fest überzeugen wollte. Sollte er das obere Ende einer Säule, etwa einer roh gearbeiteten Bildsäule sein? Dagegen spricht nur eine ebenfalls durch absichtliche Arbeit oben auf der Rundung angebrachte rinnenartige Vertiefung. Hat der Stein den Zweck gehabt, zu irgend einer religiösen Handlung benutzt zu werden, und da er unter Gräbern lag, vielleicht Bezug auf den Todten=Cultus gehabt, so ist die Zertrümmerung wohl absichtlich beim Wechsel des Cultus zur Zeit der Einwanderung der Wenden oder der Einführung des Christenthums geschehen. Der Bruch ist alt.

Vietlübbe, 1847.

J. Ritter.     

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Begräbnißplatz von Vietlübbe bei Plau.
Vgl. Jahrb. XI, S. 391 flgd.

Dritte Aufgrabung.

E. Mehrere kleinere und größere Hügel gaben keine weiteren Resultate, als von Steinen zerdrückte Urnen mit keinem anderen Inhalte, als Knochenfragmenten und Asche.

F. Ein fast an der westlichen Spitze des Begräbnißplatzes liegender Hügel enthielt gleich am östlichen Rande zwei kleine Urnen von 3 Zoll Höhe, die aber zerbrochen und mit kleinen, feinen Knochen angefüllt waren. In der Mitte des Hügels war, in den Urboden eingesenkt, eine gehenkelte Urne mit abgerundetem Bauche, oben 12 Zoll weit; sie war aber zerbrochen und nicht zu retten. In dieser Urne war, wie sonst die überfassenden Deckel, ein umgestülptes Gefäß mit ganz flachem Boden und senkrechter Wand, 10 Zoll breit und 3 Zoll hoch. In dieses Gefäß waren die Knochen zuerst gesammelt und dann umgekehrt in die größere Urne gestellt, da die Knochen die Ecken des Gefäßes vollkommen ausfüllten und kein Sand, wie sonst immer, hineingedrungen war. Unter den Knochen fand sich:

a. ein Schermesser 1 ), fast ohne Rost, mit durchscheinender Bronze, und

b. ein Pfriemen aus Bronze mit einem Griff aus Knochen, der Griff ist 1 3/4, das Ganze 3 1/4 Zoll lang, das erste bisher beobachtete Beispiel eines Pfriemens mit Griff, da die Pfriemen in Meklenburg bisher stets ohne Griff gefunden sind.

Oberhalb dieser Urne, etwas westlich seitwärts, stand zwischen den Steinen noch eine Urne von 11 Zoll Durchmesser und ebenfalls abgerundetem Bauche; der Inhalt war nur ein wenig Asche.

Vietlübbe, 1847.

J. Ritter.     

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Begräbnißplatz von Dammerow.

Nordöstlich von dem im Herbste 1846 aufgedeckten Kegelgrabe etwa 100 Schritte entfernt waren mehrere unmerklich in Kreisform sich erhebende Stellen, wie oft die früher abgetragenen und dann beackerten Kegelgräber aussehen. Queer über einige Stellen war von Arbeitern aus Wilfen ein Graben in diesem


1) Dieser Fund, in welchem ein Pfriemen neben einem Schermesser lag, scheint wieder darauf hinzudeuten, daß die bisher sogenannten "Schermesser" Arbeitsmesser zu feinern Handarbeiten sind. Vgl. Jahrb. XII, S. 413, Note.            D. Red.
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Frühlinge zur Einfriedigung des Tannenzuschlages gezogen und lag die aufgeworfene Grabenerde voller Steine, Urnenscherben und Knochenreste. Diese Stellen, an der Zahl 5, von denen der größte im Durchmesser 20 Schritte groß war, ließ ich durchsuchen, und es zeigte sich, daß es Begräbnißplätze waren; aber die Urnen waren sämmtlich ohne Sorgfalt eingesetzt, mit runden Dammsteinen rings umgeben, bald einen, bald zwei Fuß hoch über dem Urboden. Die Urnen waren von verschiedener Größe und Form, aber nicht eine konnte erhalten oder zusammengesetzt werden. Außer Knochen war nichts in denselben enthalten. Nach den Urnen zu urtheilen, gehörten diese Begräbnißplätze wohl der Zeit der Kegelgräber an.

Vietlübbe, 1847.

J. Ritter.     

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Kegelgrab von Dammerow, Nr. 2.
Vgl. Jahrb. XII, S. 409.

Oestlich von dem im Herbste 1846 aufgedeckten Grabe lag noch ein Grabhügel von 40 Fuß Durchmesser und 6 Fuß Achsenhöhe, welchen ich, da schon die bisher noch vorhandenen Ringsteine ausgebrochen wurden, im Interesse des Vereins aufdeckte. Es zeigte sich am östlichen Ende bald eine Brandstelle 3 Fuß über dem Urboden; unterhalb der Brandstelle war lauter grober Kiessand, oberhalb Steine, welche bis dicht unter die Oberfläche des Hügels reichten. Um die Brandstelle freizulegen, ließ ich die Steine oben behutsam abnehmen, und hatte nun die Brandstelle eine Länge von 9 Fuß in der Richtung von Osten nach Westen, eine Breite aber von 6 Fuß. Auf der Brandstelle fand sich nichts, aber es zeigten sich die Ränder von zwei Urnen, welche in einer Entfernung von 4 Fuß eingesenkt und mit etwas flachen Steinen umstellt waren. Die östlich stehende Urne war oben 12 Zoll weit und hatte einen scharfen Bauchrand; der Inhalt bestand aus sehr starken Knochenüberresten. Die zweite Urne war etwas kleiner, sonst ganz gleich gestaltet und enthielt kleinere und mürbere Knochen. Leider waren beide Urnen schon durch die darüber gehäuften, 3 Fuß hohen Steine zerdrückt. - Bei Wegräumung des Sandes unterhalb der Brandstelle fand sich weiter keine Spur von Alterthümern. Am südwestlichen Ende des Grabes war noch eine runde, etwa 3 Fuß im Durchmesser haltende Brandstelle auf dem Urboden und lagen daselbst Scherben einer kleinen, feinen Urne. Sonst fand sich im ganzen Grabe nichts.

Vietlübbe, 1847.

J. Ritter.     

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Kegelgräber von Dammerow, Nr. 3 und 4.

Unter den umher liegenden kleineren, schon zerstörten Keggelgräbern schienen 2 noch nicht in der Mitte durchwühlt; weshalb ich sie noch durchgraben ließ. Aber die Arbeit war ohne Erfolg; nur Urnenscherben fanden sich hin und wieder.

Vietlübbe, 1847

J. Ritter.     

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Kegelgräber von Klink.
Vgl. Jahrb. XII, S. 397.

Bei dem Bau der Chaussee von Röbel nach Waren wurden im J. 1847 auf der Feldmark des Gutes Klink bei Waren beim Steinbrechen eine große Menge niedriger Begräbnisse aus der Bronzezeit aufgebrochen und der Inhalt derselben zerstört. Der Gutsbesitzer Herr Kähler auf Klink, welcher dem Vereine schon so häufige Beweise seiner Theilnahme geschenkt hat, erfuhr diese Zerstörung leider zu spät, und kaum war es ihm bei gespannter Aufmerksamkeit und durch Geldversprechungen möglich, etwas zu retten. Er gewann, zum Geschenke für den Verein, folgende Alterthümer, welche jedoch aus verschiedenen Gräbern eines Begräbnißplatzes stammen:

eine große, hellbraune Urne aus gebranntem Thon, ohne Henkel und Verzierungen, von der bekannten Form der Beingefäße aus den Kegelgräbern, ganz wie die in Jahrb. XI, S. 356, oder Frid. Franc. T. V, Fig. 4 und 5 abgebildeten Urnen, 11 3/4" hoch, ungefähr eben so weit im Bauche und 9 1/2" weit in der Mündung, wohl erhalten, mit den zerbrannten Gebeinen eines erwachsenen Menschen gefüllt;

eine kleine hellbraune Urne aus gebranntem Thon, von birnenförmiger Gestalt, ungefähr wie Frid. Franc. T. VI, Fig. 5, jedoch in sanftern Umrissen, 9" hoch, 8" weit im Bauche und 4 1/2" weit in der Mündung, wohl erhalten, mit den zerbrannten Gebeinen eines erwachsenen Menschen gefüllt;

eine unter dem halbkugelförmigen Knopfe doppelt knieeförmig gebogene Nadel aus Bronze, 5 1/2" lang;

eine grade Nadel aus Bronze mit kegelförmigem, vollen Knopfe, halbmondförmig gebogen, um sie in die Urne legen zu können;

ein sogenanntes Scheermesser aus Bronze, wie Frid. Franc. T. XVIII, Fig. 8;

eine kleine Pincette aus Bronze, nur 1 1/8" lang, nur in einer Hälfte vorhanden.

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Ueber andere auf derselben Feldmark gefundene Alterthümer vgl. oben bei den Hünengräbern und unten bei den Wendenkirchhöfen.

G. C. F. Lisch.     

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Kegelgrab von Badegow.

In einem Kegelgrabe zu Badegow bei Crivitz ward eine völlig erhaltene, sehr große Urne mit Knochen, jedoch nichts weiter, gefunden und von dem Herrn Landrath von Barner auf Bülow, Badegow etc. . dem Vereine geschenkt. Die hellbraune Urne hat die Gestalt der kleinen, in Jahrbüchern XI, S. 362, oben zuerst abgebildeten Urne, ebenfalls zwei 1 1/2" weite Henkel auf dem Bauchrande, ist ohne Verzierungen, 12" hoch, 12" weit im Bauche, 8" weit in der Mündung, 5" weit im Boden und ein selten großes, gut erhaltenes und schönes Exemplar.

G. C. F. Lisch.     

Kegelgrab von Jabel.

Zu Jabel, Klosteramts Malchow, ward zusammen gefunden und von dem Herrn Klosterhauptmann von Borck eingesandt:

ein gewundener Halsring aus Bronze und

ein gravirter Armring aus Bronzeblech.

Eine kleine, thönerne Urne,

6 3/4" hoch, mit 2 kleinen Henkeln auf dem Bauchrande in der Mitte der Höhe, angefüllt mit Asche und einigen zerbrannten Knochen, gefunden in einem Kegelgrabe zu Levenstorf, fideicommissarische Ueberweisung des Herrn Erblandmarschalls Grafen Hahn auf Basedow.

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Zwei Menschenschädel,

gefunden im Moor zu Moltzow bei Malchin, geschenkt von dem Herrn Landrath, Reichsfreiherrn von Maltzan auf Rothenmoor, Moltzow etc. . Beide Schädel sind sehr wohl gebildet und haben vollkommen wohl erhaltene, sehr weiße Zähne; die sogenannten Weisheitszähne sind im Durchbrechen begriffen gewesen. Vielleicht stammen diese Schädel aus der Bronze=Periode, da in diesem Moore öfter Alterthümer aus der Bronze=Periode gefunden sind.

G. C. F. Lisch.     

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Bronzeschalen von Kl. Lukow.

Zu Kl. Lukow, nicht weit vom malchiner See, in der Pfarre Grubenhagen, wurden im Herbste des J. 1847 in einem Moore drei seltene Bronzeschalen ohne Rost gefunden, welche der Reichsfreiherr von Maltzan auf Kl. Lukow dem Vereine schenkte. Diese Schalen sind nicht allein durch sich selbst, sondern auch dadurch merkwürdig, daß sie ganz der Schale gleich sind, welche im J. 1844 auf dem 1/2 Meile von Kl. Lukow gelegenen maltzanschen Gute Dahmen gefunden und in Jahrb. X, S. 283,

Bronzeschale

abgebildet und beschrieben ist. Die Hauptmerkwürdigkeit dieses Fundes besteht also darin, daß an verschiedenen Stellen, wenn auch nicht weit von einander, Bronzearbeiten gefunden sind, welche ohne allen Zweifel aus derselben Fabrik stammen, d. h. von derselben Hand getrieben wurden. Diese Gegend scheint der Sitz einer ungewöhnlichen Cultur in der Bronze=Periode gewesen zu sein, da diese Bronzeschalen hier mehrfach verbreitet sind und auf dem Gute Kl. Lukow ein ungewöhnlich großer Burgwall steht, welcher höchst wahrscheinlich in die Bronze=Periode hineinreicht (vgl. Jahresber. VIII, S. 96); auch bei Sagel, dem Burgwalle von Kl. Lukow gegenüber, an der andern Seite von Dahmen, steht ein uralter, mächtiger Burgwall, welcher ebenfalls nicht die gewöhnlichen wendischen Eigenthümlichkeiten hat.

In Beziehung auf die Beschaffenheit der lukower Schalen können wir uns im Allgemeinen auf die in Jahrb. X, S. 283 flgd. gegebene Beschreibung beziehen, da sie der Schale von Dahmen an Metall, Form, Arbeit und Verzierung völlig gleich sind; nur in der Größe und einigen Nebensachen unterscheiden sie sich von der dahmer Schale:

1) die eine Schale, welche wegen der dünnen Austreibung des Bleches leider zerbrochen ist, ist der Schale von Dahmen an

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Größe, Gestalt und Verzierung völlig gleich, nur daß die auf der Abbildung dargestellte Buckelreihe unter dem Rande fehlt;

2) die zweite Schale ist ein wenig kleiner, jedoch in der Gestalt und Verzierung der Abbildung völlig gleich, nur daß die ausgetriebenen Verzierungsbuckeln etwas größer sind und weiter auseinander stehen;

3) die dritte Schale ist zwar in der Verzierung der ersten gleich, aber nur halb so groß, nicht viel größer, als die Abbildung, 4" weit in der Oeffnung und 1 3/4" hoch. Diese kleine Schale ist von äußerster Zierlichkeit und Feinheit und in dieser Beziehung ein neuer Fund; sie ist so zierlich und fein, daß ein wenig Zinn zur Befestigung des abgefallenen Henkels diesem fast das Uebergewicht über die Schale gegeben hat.

G. C. F. Lisch.     

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Hifthorn von Teterow.

Beim Ausmodden eines Sumpfes auf der Feldmark der Stadt Teterow ward ein Hifthorn aus Bronze gefunden, durch den Herrn Inspector Beneke zu Pampow bei Teterow erworben und von diesem dem Vereine zum Geschenke gemacht. Dieses interessante Stück des Alterthums bildet ein Seitenstück zu dem merkwürdigen Hifthorn von Wismar, welches im Jahresbericht III, S. 67 flgd. beschrieben und abgebildet ist; es hat nicht die interessanten Gravirungen des wismarschen Hornes, aber dieselben Verzierungen, und stammt mit diesem ohne Zweifel aus derselben Zeit. Auch hat das teterowsche Horn eine andere Einrichtung, indem es aus Einem Stücke, das wismarsche aber aus drei Stücken besteht und nur zum Beschlage eines natürlichen Hornes gedient hat.

Das Horn von Teterow ist aus Bronze aus Einem Stücke gegossen. Es bildet das Mundstück und den mittlern Theil des Ganzen; die Schallmündung ist aus natürlichem Horn oder Metall angesetzt gewesen, wie die Nietlöcher am Ende beweisen. Das Ganze ist etwas gekrümmt, wie das wismarsche Horn, in grader Richtung 12" lang und am weiten Ende 3" im Durchmesser. In Entfernungen von ungefähr 1 1/4" ist es 9 Male durch zwei neben einander stehende, erhabene Reifen in 9 Felder getheilt; die Reifen sind mit eingravirten Schrägelinien verziert. Die Reifenpaare sind an beiden Seiten durch die bekannten, kleinen, mit Stempeln eingeschlagenen Dreiecke begrenzt; diese einer gewissen Zeit der Bronze=Periode eigenthümliche Verzierung ist durchaus charakteristisch, überall gleich und findet sich öfter. Durch diese Verzierungen steht das teterowsche Horn dem wismarschen

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in der Zeit ohne Zweifel gleich. Hat auch das teterowsche Horn weiter gar keine Verzierungen, so ist es doch im Charakter dem Mundstücke des wismarschen Hornes (abgebildet Lithographie zu Jahresber. III, Fig I.) völlig gleich. Auf dem 7ten Doppelreifen vom Mundstücke und dem 3ten von der Schallöffnung sitzt ein angegossener Ring zur Aufnahme einer Schnur.

G. C. F. Lisch.     

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Grab von Mamerow.

Zu Mamerow, Domanial=Amts Güstrow, ward beim Ausgraben eines Fundaments unter einer nicht besonders hervorragenden Anhöhe eine große Urne gefunden, welche jedoch so weich war, daß sie beim Ausgraben zerfiel. In dieser Urne, welche mit Knochen und Sand gefüllt war, stand eine kleine Urne, ungefähr von der Gestalt der in Jahrb. XI, S. 362, Nr. 1 abgebildeten Gefäße; sie war jedoch im obern Theile auch schon zerbrochen und wird, bei einem Durchmesser von 2 1/2", ungefähr eine gleiche Höhe gehabt haben. Dieses Gefäß ist dadurch interessant, daß es nicht mit grobem, sichtbarem Granitgrus durchknetet, sondern aus einer gleichmäßigen, feinkörnigen, festen, hellgrauen Thonmasse gebildet ist, welche ganz dem Sandstein gleicht; dies ist das erste Beispiel von einer Gefäßbildung ohne sichtbare Granit= oder Kiesmengung, welches in Meklenburg beobachtet ist. Nach genauer Untersuchung und nach Beobachtung durch ein scharfes Vergrößerungsglas besteht jedoch die Masse aus Thon und ganz kleinen Feldspathsplittern. Vielleicht ist dieses Gefäß aber ein fremdländisches, denn auch die Metallbeigabe ist außergewöhnlich. Neben einigen Bronzestreifen lag nämlich ein Beschlag aus reinem Silber, ebenfalls das erste Mal, daß Silber in Urnen von der Gestalt der Kegelgräbergefäße gefunden ist.

G. C. F. Lisch.     

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Riesenurne von Groß=Medewege.

Bei dem Bau der Eisenbahn von Schwerin nach Wismar ward in der Richtung der Bahn im Herbste des J. 1847 bei Groß=Medewege, unweit Schwerin, eine Riesenurne gefunden, welche jedoch so zertrümmert ward, daß nur ein ungefähr 6" hohes und breites Bruchstück vom Oeffnungsrande bis zum Bauchrande gerettet und eingeliefert ward. Diese Urne muß der bei Wittenburg im J. 1839 gefundenen, im Jahresber. V, S. 64, beschriebenen großen Urne ganz gleich gewesen sein. Die

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Oeffnung der Urne wird ungefähr 1 Fuß weit gewesen sein. Die Bauchung ist ungewöhnlich weit, indem sich die Seitenwand fast ganz horizontal an den senkrechten Oeffnungsrand setzt, so daß die Bauchung sicher 2 Fuß weit gewesen sein muß. Die Scherben haben eine Dicke von 1/2 bis 5/8"und zeigen eine alte, mit zerstampftem Granit durchknetete Masse. Die Farbe ist röthlichbraun. Hiernach war diese Urne in jeder Hinsicht den bei Wittenburg gefundenen, im Jahresber. V, S. 64 und S. 62, Nr. 6, beschriebenen Urnen ganz gleich. Was aber diese Urne von Groß=Medewege besonders interessant macht, ist der Umstand, daß sie mit einem Mühlstein aus Granit zugedeckt war, welcher ganz die Gestalt der alten, oft paarweise beisammen gefundenen Mühlsteine hat. Der Stein ist rund, 3" dick, hat 1 1/2 Fuß im Durchmesser, in der Mitte ein rundes Loch von 3" Weite und ist auf der innern Fläche in kreisförmigen Schwingungen und hohl ausgerieben. Dieser Deckstein giebt zu der Vermuthung Veranlassung, daß das Ganze ein Mahlapparat war, indem die untergestellte große Urne dazu diente, das durch die Mühlsteine zerriebene Getreide aufzufangen. (Andere, rohere Steine von ähnlicher Gestalt wurden wohl als Anker gebraucht). Die zweite bei Wittenburg gefundene, im Jahresber. V, S. 62, Nr. 6 beschriebene große Urne war ohne Zweifel ein Schmelztiegel, da nicht allein Schlacken in derselben lagen, sondern auch die Innenwand der Scherben mit schlackiger Masse fest überzogen ist.

G. C. F. Lisch.     


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c. Zeit der Wendengräben.


Wendenkirchhof von Laschendorf.

Auf der Feldmark Laschendorf bei Malchow, welche einen großen Burgwall besitzt, auf welchen die Volkssage die alte Burg Malchow verlegt (vgl. Jahresber. VIII, S. 133), werden häufig Alterthümer aus der Eisenperiode gefunden.

Der Herr Klosterhauptmann von Borck zu Kloster Malchow hat die Güte gehabt, einige auf der Feldmark Laschendorf gefundene, wohlerhaltene Alterthümer an den Verein einzusenden, namentlich:

eine hellbraune Urne, 6" hoch, von der Gestalt wie Jahrb. XII, S. 429, Nr. 2, mit Punctlinien ungefähr wie die Urne Jahrb. XII, S. 432, Nr. 4, jedoch ohne rechtwinklig gebrochene Linien, sondern nur mit horizontalen Linien, abwärts stehenden Spitzen und auf dem Bauche mit senkrechten Linien verziert; der Fundort dieser Urne mit den charakteristischen Verzierungen ist jetzt der südöstlichste, welcher bisher im Lande beobachtet ist (vgl. unten bei Moltzow);

eine runde Schnalle aus Eisen und

ein kleines Messer aus Eisen,

beide Stücke ohne Rost und wohl erhalten.

G. C. F. Lisch.     

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Wendische Urnen von Moltzow.

Zu Moltzow bei Malchin wurden in dem Moderloche, in welchem früher bronzene Spiralcylinder gefunden sind (vgl. Jahr. X, S. 285 - 286), mehrere der charakteristischen Urnenscherben aus der Eisenperiode gefunden. Sie sind schwarz und durch ein laufendes, gezahntes Rad mit Punctlinien verziert. Diese Scherben (vgl. Jahrb. XII, S. 430 flgd.) sind wohl die östlichsten, welche bisher in Meklenburg gefunden sind (vgl. oben bei Laschendorf). Wir verdanken diese Beobachtung dem Reichsfreiherrn

Albrecht Maltzan auf Peutsch.

G. C. F. Lisch.     

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Wendenkirchhof zu Schwiesow.

Nahe bei der schwiesowschen Ziegelei stießen im Sommer 1847 bei den Erdarbeiten der Eisenbahn von Bützow nach Güstrow die Arbeiter auf ein großes Urnenlager, welches in schräger Richtung

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durchschnitten ward. Die Urnen standen mit dem Rande ungefähr einen Fuß tief unter der Erdoberfläche in Reihen neben einander und waren mit kopfgroßen Steinen umpackt. In der von der Bahn durchschnittenen Fläche standen ungefähr 20 bis 30 Urnen, welche, aller Sorgfalt ungeachtet, sämmtlich in Stücke zerfielen; nur eine Urne, welche nicht von Steinen umpackt war, ward ziemlich erhalten gerettet. Die Urnen waren alle mit zerbrannten Knochen gefüllt; andere Alterthümer wurden jedoch nicht gefunden. Nach der durch den Herrn Ingenieur Bölken eingesandten Urne, welche in ihrem untern Theile rauh und nicht mit einer glatten Thonschicht überzogen ist, und mehrern von demselben und dem Herrn Seidel zu Bützow eingesandten Scherben waren die Urnen bräunlich von Farbe und ohne Verzierungen.

Der Herr Friedr. Seidel zu Bützow, welcher die Stelle bald nach der Aufgrabung besuchte, fand dort außer den Scherben noch viele flache, aus Thon gearbeitete Platten, welche wahrscheinlich zu Urnendeckeln gedient hatten, und nicht weit davon auf dem Planum einen muldenförmig ausgehöhlten Granit (wahrscheinlich eine Quetschmühle: vgl. Jahrb. XII, S. 418 flgd.), also auch hier wieder bei einer heidnischen Wohn= und Begräbnißstelle.

G. C. F. Lisch.     

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Wendenbegräbnis von Pampow.

Zu Pampow bei Teterow wurden bei dem Bau des neuen Hofes mehrere Urnen und Alterthümer gefunden, welche auf einen wendischen Begräbnißplatz schließen lassen. Der Verein verdankt folgende Einsendungen und Nachrichten der Güte des Herrn Inspectors Benecke zu Pampow.

Bei der Fundamentirung des neuen Wohnhauses wurden in einem natürlichen Hügel von Sandlehm ungefähr anderthalb Fuß tief folgende Alterthümer gefunden:

eine braune Urne, ohne Verzierungen, angefüllt mit zerbrannten Menschenknochen, auf welchen

eine eiserne Hakenfibel oder Spange lag;

eine schwarze Urne ohne Verzierungen, birnenförmig, 9" hoch, mit einem 3" hohen Halse, ohne Henkel, angefüllt mit gebrannten Menschengebeinen;

eine braune Urne mit sehr kräftigen Verzierungen, völlig zertrümmert;

eine schwärzliche Urne mit einem engen Henkel, ebenfalls zertrümmert.

In einem dünenartigen Sandberge unmittelbar an dem neuen Hofe ward in einer obern Schicht des Hügels

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eine braune Urne mit Knochenresten gefunden; sie ist vollständig erhalten, ist 8" hoch, birnenförmig, ohne Hals mit zwei Reihen eingestochener Verzierungen dicht unter der umgekrämpten Oeffnung.

Alle Urnen sind verschieden und frei geformt und tragen nicht den Character der strengen Eisenperiode des westlichen Meklenburgs.

G. C. F. Lisch.     

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Begräbniß von Klink.

Vgl. Jahrb. XII, S. 397, und oben bei den Hünengräbern und den Kegelgräbern.

Auf dem Gute Klink bei Waren, auf welchem schon häufig Alterthümer aller Art gefunden sind, ward beim Chausseebau eine Urne mit ihrem vollständigen Inhalte gefunden und von der Gemahlin des Herrn Kähler auf Klink dem Herrn von Kardorff auf Remlin überlassen, welcher sie dem Vereine schenkte.

Die Urne hat ganz die Gestalt und Verzierung der in Jahrb. XII, S. 429, Nr. 1, abgebildeten Urne, ist aber ungewöhnlich klein, 3 3/4" hoch und eben so weit im Bauchdurchmesser.

In der Urne lagen:

eine große, breite Schnalle von Bronze, mit breitem Metallheft und Nieten zum Befestigen;

eine kleine, runde Schnalle von Bronze;

ein breiter Beschlag von Bronze, mit Nieten und einem rund gerollten Blech, in welchem noch Holzfasern sitzen:

alle drei Gegenstände mit ziemlich tiefem Rost.

G. C. F. Lisch.     

An einer andern Stelle ward später auf einem Begräbnißplatze unter Urnenscherben eine eiserne Messerklinge gefunden und von dem Herrn Kähler auf Klink dem Vereine geschenkt.

G. C. F. Lisch.     

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Urnen von Granzin.

Am 4. September 1846 ward im hiesigen Hofgarten ein Raum von etwa 18 Fuß Länge und 7 - 8 Fuß Breite zur Anlegung von Spargelbeeten aufgegraben. In einer Tiefe von etwa 2 Fuß und ziemlich in der Mitte dieses Raumes stießen die Arbeiter auf eine große Urne, welche umgestülpt, mit dem Boden nach oben, in der Erde stand. Leider ward dieselbe zertrümmert und die Scherben sind bis auf wenige gleich nachher wieder eingegraben. Der Boden dieser Urne hat nach der Aussage der dabei Anwesenden gegen 7 - 8 Zoll im Durchmesser gehabt, die bauchige Erweiterung dagegen an 12 Zoll. Diese Urne

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bestand aus sehr grobkörniger Masse, war stark mit grobem Feldspathgrus durchknetet und auf der Außenseite nicht mit Thon überzogen. In dieser größern Urne standen neben einander zwei kleinere Urnen, ebenfalls umgestülpt, beide ungefähr von gleicher Größe; eine ward ebenfalls zertrümmert und soll etwas größer gewesen sein, als die andere, welche wohl erhalten ist. Diese letztere Urne ist klein, 4 Zoll hoch, mit scharfem Bauchrande, schwarz und stark mit Glimmerfünkchen durchknetet. Der Form nach sind alle drei Urnen gleich und ohne Verzierungen gewesen. Sie waren nur mit Erde angefüllt. Von einer früheren Erhöhung der Erde war keine Spur sichtbar, eben so wenig von einer Steinkiste; wäre eine solche früher vorhanden gewesen, so wären auch wohl die Urnen bei der Wegräumung der Steine zertrümmert worden.

Granzin, bei Neustadt.

H. Willebrand.     

     Ueber das Brennen und Färben bei Urnen.
Das Umstülpen der Urnen ist öfter beobachtet und meines Wissens noch nicht erklärt. Ich glaube, daß dies zum Zweck des Brennens geschah. Die größere Urne war, nach den Scherben zu urtheilen, außen rauh und hellbraun, gleichfarbig, ohne vom Dampf und Ruß gefleckt zu sein; dagegen war das Innere glatt mit Thon überzogen und von dem Rauch flammig gefärbt. Die kleine Urne dagegen, welche in der größern, zur Zusammenhaltung der Hitze, gestanden hatte und von der Flamme innen und außen gleichmäßig berührt werden konnte, ist innen und außen gleichmäßig schwarz gebrannt. Wenn das Umstülpen auch nicht zum ersten Brande geschah, so geschah es vielleicht zum Brennen und zur gleichmäßigen Färbung des letzten Thonüberzuges.

G. C. F. Lisch.     

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Ueber das Hakenkreuz
oder Thors Hammerzeichen.

Es ist bekannt, daß das Kreuz mit den rechtwinklig gebrochenen Balken Hakenkreuz oder Thors Hammerzeichen sich nicht allein oft auf den nordischen Goldbracteaten, sondern auch auf Alterthümern anderer alter Völker findet: es ist ohne Zweifel ein religiöses Symbol. Deu=

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tungen 1 ) hat L. Giesebrecht in den Baltischen Studien X, 2, 1844, S. 27 flgd. und S. 43 flgd. versucht. Ich will nur sicheres Material sammeln, zugleich für den Raum und die Zeit der Verbreitung.

Bekanntlich trägt eine zu Kothendorf, zwischen Schwerin und Hagenow, in einem Begräbnißplatze aus der ausgebildeten Eisenperiode (einem "Wendenkirchhofe", wie wir hier zu sagen pflegen) gefundene Urne dieses Zeichen drei Mal. Diese Urne ist in Frid. Franc. Tab. XXXIV, Fig. 2, abgebildet.

Ein anderes Mal fand sich dieses Zeichen sehr klar und bestimmt auf der Nadelscheide einer Bronze=Heftel eingegraben, wie sich solche in Frid. Franc. Tab. XXXIV, Fig. 13, und Jahrb. IX, 1844, S. 343, abgebildete Hefteln zu Hunderten in den Wendenkirchhöfen oder Begräbnißplätzen aus der Eisenperiode in Meklenburg finden und deren sicher bezeichnendes Kennzeichen bilden. Diese Heftel ist in dem Wendenkirchhofe auf dem Mahnkenberge bei der Stadt Bützow gefunden und im Besitze des Herrn Friedr. Seidel zu Bützow; diese Heftel ist in Jahrb. IX, S. 393 zur Kunde gebracht und von L. Giesebrecht noch nicht benutzt.

Ein drittes Mal habe ich dieses Kreuz im J. 1847 in der Sammlung vaterländischer Alterthümer gesehen, welche bei der Bibliothek zu Hamburg angelegt und vorbereitet wird. Es steht sehr klar und bestimmt, 4 bis 6 Male, zwischen allerlei Verzierungslinien auf dem Bauche einer schwärzlichen Urne, welche in den Vierlanden gefunden ist und alle Merkmale trägt, daß sie aus der Eisenperiode stammt; wenigstens scheint das gewiß zu sein, daß sie weder der Stein=, noch der Bronzeperiode angehört: sie hat in der Form den Charakter des in Jahrb. XII, S. 438, abgebildeten Gefäßes. Der Fundort ist glücklicher Weise noch aufgezeichnet; ob sich mehr Nachrichten finden, war in kurzer Zeit nicht zu ermitteln. - Diesen Fund zur Kunde zu bringen und einstweilen zu retten, ist der eigentliche Gegenstand dieser Zeilen. Möge es dem Vereine für hamburgische Geschichte gefallen, eine Abbildung dieser Urne und die noch vorhandenen Nachrichten über die Auffindung derselben bald zu veröffentlichen.

G. C. F. Lisch.     



1) Bei dieser Gelegenheit sind wieder die sogenannten Runen auf den bamberger Domlöwen zur Sprache gekommen. Ich habe diese vor dem Portale des Domes zu Bamberg liegenden Löwengestalten, Ornamente in einem Styl, wie sie sich an dem uralten Dome zu Worms in Menge finden, ruhig untersucht, aber in den unregelmäßigen Vertiefungen auch nichts weiter finden können, als was auch andere Leute wohl darin gefunden haben: Wetzstreifen, von Knaben, die hier ihre Messer schleifen, unwillkührlich fabricirt. Mag dies vielleicht auch verboten sein, es war grade einer von den Jungen, welche so gerne ihre Messer schleifen, mit einer solchen Runenfabrication beschäftigt, als ich den Dom umwandelte; die Löwen liegen gar zu bequem an einer Stelle, wo die Knaben ihre Kreuzer in Näschereien unterzubringen Gelegenheit haben. Es gehört eine starke Phantasie und gwichtige Präoccupation dazu, in den Vertiefungen mehr zu finden.
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d. Vorchristliche Alterthümer gleichgebildeter europäischer Völker.


Kegelgräber von Louisenberg
bei Kellinghusen in Holstein.

Auf dem dem Herrn Roß zu Hamburg gehörenden Gute Louisenberg bei Kellinghusen wurden zwei Gräber aufgedeckt, deren bronzene Alterthümer in den Besitz der Fräulein Töchter des Herrn Roß kamen, - von denen sie, durch Vermittelung des Herrn Oekonomen Benecke aus Hamburg, unsers Vereins Mitgliedes, als Geschenke an unsere Sammlungen gingen, und zwar

1) durch Geschenk des Fräuleins Bertha Roß der Inhalt des einen Grabes, nämlich:

ein Schwert aus Bronze, mit Bronzegriff, in drei Stücken mit oxydirten Bruchenden (die Spitze fehlt), höchstens etwa 20" lang, mit zierlichen, erhabenen Linien auf dem Mittelrücken der Klinge geschmückt und mit einem vielfach verzierten Griffe, ungefähr wie Frid. Franc. Tab. XIV, Fig. I, oder Jahrb. IX, S. 330, jedoch mit Queerreifen um den Griff, dem Schwerte von Peccatel, Jahrb. IX, Lithogr. Fig. 5 sehr ähnlich, nur mit massivem Bronzegriff, der aber ganz so, wie dort, verziert ist;

ein Sporn: allerdings ein merkwürdiger Fund. Der Sporn hat lange, dünne Bügel, welche, ohne die Spitze, 5 1/4" lang sind. In diesen Bügel ist, statt der Radstange, ein 1 1/4" langer, kegelförmiger Stachel eingenietet, welcher ganz die Gestalt des in Jahresber. VI, Lithogr. Fig. VI zu S. 148 abgebildeten Bronzesporns hat. Das Metall dieses Sporns ist ebenfalls eigenthümlich: die Bügel sind aus einer Bronze, welche fast ganz die Farbe des Messings hat; der Stachel ist aus etwas mehr rother Bronze und um den mittlern, sich verjüngenden Theil mit einer dünnen Eisenschicht belegt; die äußerste Spitze des Stachels ist wieder ganz von Bronze. Die Bronze ist mit dickem, braunem edlen Rost belegt; die Eisenbelegung ist zum Schaben weich geworden. In Gestalt und Metall weicht dieser Sporn ganz von den heimischen Sporen ab, wie sie im Jahresber. VI, S. 144 - 148 und dazu gegebener Lithographie beschrieben und abgebildet sind. Dennoch soll der Sporn gewiß in dem heidnischen Grabe gefunden sein. Es bliebe für den Fall der Richtigkeit dieser An=

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gabe nur die Annahme übrig, daß der Sporn aus römischen Ländern eingeführt sei, wofür denn auch die in dem zweiten Grabe gefundenen Glasperlen reden möchten. Uebrigens sind die Untersuchungen über Sporen noch nicht so weit gediehen, daß sich schon jetzt sichere Schlüsse aus denselben und über dieselben machen ließen.

2) durch Geschenk des Fräuleins Charlotte Roß der Inhalt des andern Grabes, nämlich:

Bruchstücke von der Klinge und dem Knopfe eines einfacheren Bronzeschwertes;

ein Hütchen aus Bronze, wie Frid. Franc. Tab. XXXIII, Fig. 10;

zwei kleine Doppelknöpfe aus Bronze, wie Hemdknöpfe, ähnlich dem in Jahrb. XI, S. 378 abgebildeten;

ein großer Doppelknopf aus Bronze, ungefähr 1 1/2" im Durchmesser, zerbrochen;

ein kleines Messer aus Bronze, sogenanntes Scheermesser, in viele kleine Stücke zerbrochen, welche zusammen einige Zoll lang gewesen sein mögen;

drei ganz kleine, sehr regelmäßige Glasperlen, von einer dunkeln, unbestimmten Farbe, nicht durchsichtig, ohne Zweifel ebenfalls römischen Ursprunges.

Jedenfalls fordern diese Funde zur genaueren Beobachtung auf, ob nicht die heidnischen Gräber in der westlichen Hälfte Holsteins durch den Seehandel mehr Geräthe römischen Ursprungs bergen, als die Gräber der Ostseeländer.

G. C. F. Lisch.     

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Urne von Nehmten in Holstein.

Der Reichsfreiherr von Maltzan Exc. auf Duchnow in Polen hat dem Verein eine Urne geschenkt, welche derselbe von dem Herrn Hofjägermeister von Kronstern auf Nehmten geschenkt erhalten hat. Die Urne ist zu Nehmten, am plöner See, gefunden, von Thon, mit zerstampftem Granit durchknetet, bräunlich von Farbe, ohne Verzierungen, der Cylinderform sich nähernd, mittlerer Größe und im Charakter der Urnen der Bronze=Periode, wie sie in Jahrb. XI, S. 356 u. 357 abgebildet sind.

G. C. F. Lisch.     


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e. Alterthümer auszereuropäischer Völker.


Bei der Versteigerung des Rödingschen Museums erwarb der Verein zu seiner comparativen Sammlung Nr. 1150 des "Verzeichnisses über das von dem Oberalten Peter Friedrich Röding zu Hamburg hinterlassene Kunst=Museum, welches am 31. Mai 1847 versteigert" ward, ein kleines Beil von Nephrit mit Handhabe von Knochen, mit Sehnen befestigt, von den Sandwichsinseln. Das Beil hat die Form einer kleinen Hacke, ungefähr construirt wie die in Worsaae's Dänemarks Vorzeit S. 10 - 11 abgebildeten Werkzeuge. Der Griff und die Hacke sind von Knochen; beide Stücke sind in einem wenig spitzen Winkel mit Sehnen zusammengebunden, welche durch gebohrte Löcher gezogen sind. In die Markröhre des Knochens ist ein kleiner, geschliffener Keil von grünlichgrauem, durchscheinenden Stein, Nephrit, eingeklemmt und durch dünne Holzpflöcke festgekeilt. Das Griffende ist zum bessern Halten mit gespaltenen Ruthen umflochten.

G. C. F. Lisch.     

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2. Mittelalter.


Mittelalterliche Waffen und Geräthe von Stuer.

Die Frau Domainenräthin Kollmann, geb. von Flotow, zu Grüssow, bewahrte lange Zeit mehrere bei der Burg Stuer gefundene Waffen aus Eisen, welche sie jetzt dem Vereine gütigst überlassen hat. Es sind:

1) ein Streitbeil, welches, ungefähr in Form der gewöhnlichen Beile, aus Eisen leicht und schön gearbeitet, noch deutlich und sicher Spuren von Relief=Verzierungen und von Vergoldung zeigt, nach dem Fundorte zu urtheilen die Waffe eines Ritters von Flotow auf Stuer; nach den Verzierungen zu schließen, ist dieses Beil wirklich ein Streitbeil;

2) ein breites, kurzes Schwert (Rüting?), dessen Klinge 12" lang und 2 1/4" breit ist und dessen Griffzunge 6 Zoll in der Länge mißt;

3) ein grades (Jagd=) Messer mit starkem Rücken, 11" lang;

4) ein eisernes Geräth, ähnlich einer Framea mit Schaftloch oder dem Eisen, welches die Pflüger am untern Ende der Peitsche haben (Plôgstäker); zu letzterem Zwecke ist es aber zu schwer und colossal gearbeitet; es dürfte also eine mittelalterliche Waffe sein;

außerdem

5) eine daselbst gefundene Schnalle aus Zinn mit eiserner Zunge.

Vietlübbe, 1847.

J. Ritter.     

Bei der Burg Strietfeld,

dem Hauptsitze der Familie von Moltke, wurden im Jahre 1847 beim Ausmodden des alten Burggrabens folgende eiserne Alterthümer gefunden, welche der Herr von Kardorf auf Remlin von dem Herrn Kandidaten Koch zu Lage geschenkt erhielt und dem Vereine wieder schenkte:

ein großes Messer mit hölzernem Griffe;

ein nach innen gekrümmtes sägenartiges Werkzeug;

ein großes gabelförmiges Werkzeug;

ein großer Schlüssel.

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Burgplatz von Wolken.

Beim Bau der Eisenbahnbrücke über die Nebel bei Bützow stießen die Arbeiter auf eine mittelalterliche Burgstelle. Bei dem Hofe Wolken, 1 ) unweit Bützow, an dem rechten Ufer der Nebel, zwischen dieser und einer Wiese, liegt eine Anhöhe, der fürstliche Berg genannt, auf welcher das fürstliche Deputatholz gelagert und von hier auf der Nebel und der Warnow nach Rostock transportirt ward. Auf dieser Anhöhe lag ein kreisförmiges Fundament von großen Feldsteinen, ungefähr 24 Fuß im Durchmesser, wahrscheinlich das Fundament eines Thurms.

Beim Abräumen der Steine fanden sich, neben Ziegelstücken, Kohlen und Scherben von blaugrauen Töpfen, 6 eiserne Pfeilspitzen und 3 zerbrochene eiserne Lanzenspitzen. Tiefer hinab standen innerhalb des Ringes tannene Pfähle eingerammt, welche in meiner Gegenwart bloß gelegt wurden. Nahe bei diesem Fundamente ward ein eisernes Dolchmesser mit hölzernem Griffe gefunden, welches der Herr Bauschreiber Becker zu Bützow überlieferte.

In der Nähe dieses Burgplatzes fand sich, 10 Fuß tief unter einem Torflager, in Sand und blauem Thon, ein Henkelkrug aus festgebranntem, gelblichweißen Thon, von welchem leider Rand und Henkel abgeschlagen sind, noch 5 1/2" hoch, mit parallelen Reifen um Bauch und Hals.

Nicht weit von diesem Fundamente 2 ) sollen noch zwei ähnliche Fundamente liegen, welche auch ausgegraben werden sollen.

Bützow, im August 1847.

F. Seidel.     

Auf dem Burgplatze von Wolken bei Bützow sind beim Bau der Eisenbahnbrücke noch folgende mittelalterliche Alterthümer gefunden und von dem Herrn Friedr. Seidel zu Bützow eingesandt:


1) Zu Wolken wohnten im 13 und 14 Jahrh. die ritterlichen Familien Babbe und von Trechow, Vasallen des Bisthums Schwerin, als Burgmänner der bischöflichen Burg zu Bützow.           G. C. F. Lisch.
2) Bei Wolken, in der Nähe von Bützow, in dem Gehölze, welches die Darnow genannt wird, liegt in den Tannen auf einem Berge ein viereckiger Platz, die Festung genannt. Der Platz ist mit Wall und Graben umgeben, durch welche ein Eingang in das Innere führt, und mißt außerhalb des Walles 96 Fuß und innerhalb des Walles 48 Fuß im Quadrat. In der Mitte des Platzes ist eine runde Stelle, welche zwar nicht erhöhet, aber von einem Kreise umfurcht ist. Im Innern liegen an drei Seiten der Umwallung drei Hügel, wie große Gräber, einer 18 Fuß, die beiden andern 12 Fuß lang: sie werden die "drei Gräber" genannt; große Steine sind nicht zu finden.
Der Herr Advocat Reinnoldt, in Bützow gebürtig, erzählt, daß er vor mehr als funfzig Jahren als Knabe viel auf dem Platze gespielt habe. Damals habe man ihn das Studenten=Castell genannt, und man habe berichtet, die Studenten der Universität Bützow hätten den Platz zu ihren Spielen und leiblichen Uebungen so einrichten lassen.
Bützow           F. Seidel.
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1 eiserne Pfeilspitze

1 eiserne Lanzenspitze

1 Henkelkrug von weißem Thon.

Alterthümer von der bischöflichen Burg zu Bützow.

Beim Ausgraben der Fundamente zu einem Anbau an das Criminalgebäude, die ehemalige bischöflich=schwerinsche Residenz, zu Bützow, wurden im Mai 1847, mitten auf dem Schoßplatze, Kohlen, Brandschutt und mehrere zerbrochene Krüge aus blaugrauem, festen Thon, von denen immer nur der untere Theil erhalten ist, und ein kleiner, eiserner Schlüssel aus dem Mittelalter gefunden und von dem Herrn F. Seidel zu Bützow eingesandt. Zugleich schickte derselbe zwei ganz gleiche Bodenbruchstücke mit, von denen das eine im Jahre 1846 unter dem Rathhause mit Brandschutt und das andere vor einigen Jahren unter einem Privathause in der Stadt ausgegraben ist.

Schwert von Hagenow.

Unter dem Mühlendamme zu Hagenow ward ein großes, mittelalterliches, eisernes Schwert gefunden, neben eisernen Sporen, einem Pferdeschädel und eisernen Hufeisen, welches letztere jedoch verloren gegangen ist. Das Schwert, welches der Herr Burgemeister Dr. Bölte zu Hagenow dem Vereine geschenkt hat, hat die Spitze verloren, ist aber in der Klinge noch gegen 38" lang; der Griff ist für Eine Faust bestimmt und 4" lang, der Knopf ist eine starke eiserne Scheibe von 1 1/2" Dicke, die Parierstange einfach und 7" lang.


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3. Neuere Zeit.


Ein Henkelkrug,

ungefähr aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., mit Reliefs verziert und hochblau und grau glasurt, vorzüglich schön gearbeitet und erhalten, geschenkt von dem Herrn Klosterhauptmann, Kammerherrn von Borck zu Kloster=Malchow. Dieser Krug ist zu Alt=Schlön, r. A. Stavenhagen, gefunden. Nach der Mittheilung des Herrn Schenkers war früher der Besitz dieses Gutes unter mehrere adelige Familien vertheilt, welche auf verschiedenen Höfen wohnten; auf einer dieser Hofstellen, deren Fundamente zum Chausseebau ausgebrochen wurden, fand sich dieser schöne Krug.

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Ofenkacheln von Pampow.

Zu Pampow bei Teterow wurden zwei grün glasurte Ofenkacheln mit Reliefbildern gefunden und von dem Herrn Inspector Benecke zu Pampow geschenkt.

Die eine Kachel enthält das sehr sauber gearbeitete Reliefbrustbild einer jungen Dame. Auf einem Bande über ihrem Kopfe steht:

. . E. V . POMEREN.

unten auf dem Rahmen die Jahreszahl

1566.

Leider fehlt ein Buchstabe im Anfange, so daß die Person noch nicht sicher hat ermittelt werden können.

Die andere Kachel, welche nur in der obern Hälfte vorhanden ist, hat das Brustbild eines gerüsteten Merkurs mit Flügelhelm und Schlangenstab und über dem Kopfe ein Band mit der Inschrift:

MERCVRIVS 1566.

G. C. F. Lisch.     


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II. Zur Ortskunde.


Zur Topographie der Pfarre Klütz,

von

G. C. F. Lisch.


In Jahrb. XI, S. 403 flgd. sind alte Ortsverzeichnisse der Vogtei Grevismühlen mitgetheilt und durch Anordnung und Bemerkungen erläutert. Solche Ortsverzeichnisse haben nicht allein ein großes historisches Interesse, sondern können auch selbst für die rechtlichen Verhältnisse oft von großer Wichtigkeit werden. Unsere Topographie in ihrer historischen Entwickelung ist aber nicht nur für die älteste Zeit sehr schwierig zu erforschen, sondern nicht weniger für die neueste Zeit, indem im vorigen Jahrhundert sehr viele Veränderungen, wie Aufhebung und Verschmelzung von Dörfern, Gründung neuer Höfe mit neuen Namen u. dgl. vorgenommen sind, ohne daß hinreichend aufklärende Nachrichten über diese Veränderungen hinterblieben wären; sogar die Acten der höchsten Behörden schweigen nicht selten über solche Veränderungen.

Besonders verwirrt und schwierig für die Erforschung stellt sich die Topographie der Pfarre Klütz dar, welche in Jahrb. a. a. O. S. 408 - 411 nicht völlig hat aufgeklärt werden können. Neuere Forschungen an Ort und Stelle und in den Urkunden und Acten lassen jetzt wenigstens die wichtigsten Puncte aufklären. Seit einigen Jahrhunderten hat sich die ganze Physiognomie dieser Pfarre wesentlich verändert.

In den ältesten Zeiten war die Gegend dieser Pfarre mit Wald bedeckt und hieß im 12. und 13. Jahrhundert der Wald Klütz ("silva Clutse"). Um das Jahr 1230 standen in der Pfarre erst die 8 Ortschaften: Klütz, Ober=Tarnewitz, Wendisch=Tarnewitz, Wittenborgerhagen, Rethwisch, Arpshagen, Grundshagen, Pravsthagen. Alt waren hiernach wohl nur die Orte Klütz und Tarnewitz; die 4 Hagen, zu denen bald noch Boltenhagen

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kam, waren wohl auf ausgerodetetem Waldgrunde aufgebauet, wie ihre Namen andeuten, und Rethwisch war auch wohl eine sächsische Stiftung. Vom 14. - 17. Jahrhundert wohnten hier vorzüglich die Familien von Plessen (auf Klütz und Arpshagen) und von Tarnewitz, welche letztere im 17. Jahrhundert ausgestorben ist; auch die Familie Negendank hatte hier Besitzungen. Seit dem 13. Jahrhundert ward die Pfarre durch eine Menge neuer Höfe und Dörfer vergrößert. In den neuesten Zeiten hat die Gründung von Bothmer und die Legung mehrerer alter Dörfer, die Verschönerung und Vergrößerung des Fleckens Klütz und das neu entstandene, ländliche Seebad Boltenhagen der ganzen Gegend eine ganz andere Gestalt gegeben.

Gegenwärtig sind die meisten der Güter, mit denen wesentliche Veränderungen vorgenommen sind, gräflich bothmersche Güter; für die Vergangenheit lassen sich die Güter in 2 Gruppen nach den Familien von Plessen und von Tarnewitz theilen.

1) Bei Klütz werden in alten Zeiten aufgeführt: Arpshagen, Bamberg, Bahlen, Nieder=Klütz, Hof Verden. Von diesen Gütern existiren nur noch: Klütz, Arpshagen, Nieder=Klütz und Hof zum Felde; dagegen ist Bothmer neu entstanden. Diese Güter waren in frühern Zeiten Lehen der Familie von Plessen, welche noch heute in dieser Gegend das Gut Damshagen besitzt.

Klütz, ein Flecken, bestand früher aus sehr vielen Hofstellen, welche zum größern Theile nach vielen umherliegenden Gütern gehörten, jetzt aber mit Ausnahme eines Domanial=Antheils, zu Einem Ganzen vereinigt sind.

Arpshagen ist noch heute ein Hof, wesentlich in seiner alten Lage, durch mehrere Bauerländereien vergrößert. Im J. 1723 kaufte Arpshagen c. p. der Graf Hans Caspar von Bothmer, welcher bei seinem in London am 6. Februar 1732 erfolgten Tode 49 Jahre hannoverscher Minister gewesen war.

Hof zum Felde, altes Lehngut, früher wohl der adelige Wirthschaftshof neben dem Dorfe Klütz, ist jetzt der Wirthschaftshof zu Bothmer; wahrscheinlich ist es der Hof Verden (Curia Verden), welcher im Jahre 1404 genannt wird. Hof zum Felde oder Hakenfelde, wie es auch oft heißt, kommt schon seit dem 16. Jahrhundert vor. Nach einem amtlichen Verzeichniß vom 16. Dec. 1752 war "Hackenfelde oder Hof zum Felde eine Meierei, dabey auch eine Ziegeley angelegt worden."

Bamberg oder Bamborg lag bei Klütz; schon im 16. Jahrhundert waren die Aecker den klützer Bauern eingethan. Im 16. Jahrhundert ging es unter. Nach mündlichen Berichten

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kundiger Bauern der Pfarre lag Bamborch auf dem klützer Felde bei Bothmer. Der am Felde des Hofes Tarnewitz liegende Acker "Brannhof", welcher früher zu Arpshagen gehörte und später zu Christinenfelde gelegt ward, ist vielleicht ein Ueberrest von Bamborch; 1696 gehörte Brandenhof zu Arpshagen und lebte noch 1790 in der Erinnerung.

Bahlen lag zwischen Klütz und Arpshagen. Die frühern Cossatenstellen sind zu Klütz gelegt, der Hofacker ist zu Arpshagen gezogen. Im J. 1752 war "Bahlen, vordem ein Paar Bauerstellen, worauf ein Edelmann gewohnet, ein Dorf von 2 Cossaten." Gegenwärtig steht bei Klütz, zwischen Klütz und Arpshagen nur noch 1 Cossatenhaus, dessen Bewohner in der Umgegend scherzweise der "Bahler Amtmann" genannt ward, obgleich von einem Dorfe Bahlen nicht mehr die Rede ist.

Nieder=Klütz besteht noch jetzt als eine Pertinenz von Arpshagen.

Bothmer ist ein Schloß mit Garten, ohne eigenes Ackerwerk und eigene Feldmark. Es ist um das Ende des ersten Viertheils des 18 Jahrhunderts, wahrscheinlich auf dem Grund und Boden von Hof zum Felde, in einem Morast erbauet, in welchen die Feldmarken von Arpshagen, Hof zum Felde und Klütz, vielleicht ohne scharfe Grenzbezeichnung, zusammenstießen. Es wird in einem amtlichen Berichte vom 16 Dec. 1752 gesagt: "Bothmer, der Sitz des Herrn Graf Bothmer, von dem vormahligen königl. großbrittanischen Staats=Minister Herrn Grafen von Bothmer ganz kostbar erbauet und nach dessen Namen also genennet, als sonsten die Stelle, wo dieses Schloß hingebauet, ein bloßer Morast gewesen."

2) Bei Tarnewitz wurden sonst aufgeführt: (Großen) Tarnewitz, Tarnewitzerhagen , Wittenborgerhagen, Güldenhorn (und Lindenhase ). Jetzt werden nur genannt: Oberhof, Tarnewitz und Tarnewitzerhagen; dagegen ist Christinenfelde neu hinzugekommen. Diese Güter waren in frühern Zeiten Lehen der Familie von Tarnewitz, welche im 17 Jahrhundert ausgestorben ist.

Christinenfelde ist im Anfang des zweiten Viertheils des 18 Jahrhunderts von dem Grafen von Bothmer, dem Erbauer des Schlosses Bothmer, aus den Gütern Tarnewitz und Güldenhorn, welche derselbe im J. 1725 gekauft hatte, gebildet, der Hof mitten zwischen den an einander grenzenden Feldern von Tarnewitz und Güldenhorn aufgebauet und nach der Gemahlin des

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Grafen, Christine, benannt; nach der Ueberlieferung vom Jahre 1790 ward auch ein Acker, der "Brannhof" (das alte Bamborch?), der früher zu Arpshagen gehörte, zu Christinenfelde gelegt. Schon im J. 1732, bei der Besitzergreifung nach dem Tode des Ministers Grafen von Bothmer, war Christinenfelde als Wohnsitz aufgebauet, jedoch wurden die beiden Güter Tarnewitz und Güldenhorn noch getrennt durch eigene Wirthschafter verwaltet. Der amtliche Bericht vom 16 Dec. 1752 sagt: "Christinenfelde ist aus denen beiden adeligen Sitzen Tarnevitzerhof und Güldenhorn angelegt und nach des Herrn Grafen Frau Gemahlin Vornamen Christina, als welcher es zum Wittwensitz destiniret, also genannt worden." Nach den Berichten der tarnewitzer Bauern ist Christinenfelde aber aus Alt=Tarnewitz, Güldenhorn und Lindenhase entstanden. Diese Angabe mag wohl richtig sein, wenn auch Lindenhase als ein selbstständiges Gut in den Acten nicht erwähnt wird; jedoch kommt der Name einige Male beiläufig vor. Christinenfelde umfaßt das Feld von Tarnewitz ganz und den größern Theil des Feldes von Güldenhorn (mit Lindenhase). Die Einrichtung des Gutes Christinenfelde giebt daher den besten Aufschluß über die alten Tarnewitzer Güter, welche sich nun klar scheiden lassen.

Hof Tarnewitz, 1404 und 1519 Groß=Tarnewitz (Major Tarnevitze), 1439 Nieder=Tarnewitz (Neddere Tarnewitze), 1752 Tarnewitzerhof, jetzt in der Tradition noch Alt=Tarnewitz genannt, ist das eigentliche Ritterlehn und der Haupthof Tarnewitz, früher Rittersitz der Familie von Tarnewitz, jetzt in Christinenfelde ganz untergegangen. Nach der Scheide des Bauerdorfes Tarnewitz hin, in Wiesen und Bruch, liegt, jetzt unterm Pfluge, ein Burgwall, auf welchem noch große Ziegel gefunden werden.

Oberhof ist der alte Hof Ober=Tarnewitz, schon 1230 Superius Tarnevitze genannt. Es müssen die von Tarnewitz ihren Hof schon früh in zwei Höfe: Ober= und Nieder=Tarnewitz, getheilt haben. Früher lag Oberhof an dem Bache, wo die Landstraße von Wismar nach Klütz über den Bach geht und neben einem Burgwall noch die Schmiede steht. In neuern Zeiten ist Oberhof ausgebauet und hat eine höhere Stelle, mehr östlich von der alten, erhalten.

Güldenhorn war nach Archiv=Acten des 16. Jahrhunderts "ein Tarnewitzen Lehn" und hatte noch damals einen "Rittersitz", welcher nach der großen schmettauischen Charte südwestlich nahe bei Oberhof am See lag, mit der Bezeichnung: "Stelle vom Gül=

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denhorn;" es gehörte zu dem Hauptgute Tarnewitz und nahm wohl zu Zeiten eine Linie der Familie Tarnewitz auf. Jetzt ist der Acker zum größern Theile in Christinenfelde, zum kleinern Theile in Tarnewitzerhagen übergegangen.

Lindenhase gehörte mit Güldenhorn ebenfalls zu Tarnewitz; es lag, nach den Ueberlieferungen der tarnewitzer Bauern, an der Straße von Klütz nach Wichmannsdorf im "Bach=Schlage" des Gutes Christinenfelde.

Tarnewitzerhagen, in späterer Zeit auch oft bloß Hagen genannt, schon früh vielleicht in zwei Theile geschieden, von denen ein Theil Groß=Tarnewitzerhagen genannt ward, war (sicher seit 1358) ein altes Bauerdorf, dessen Bauern nach den drei Rittersitzen Tarnewitz, Oberhof und Güldenhorn gehörten. Noch im J. 1790 bestand Tarnewitzerhagen aus zwei Theilen: Ober= und Nieder=Tarnewitzerhagen, welche nur durch einen Bach geschieden waren. In Nieder=Tarnewitzerhagen war eine Bauerstelle, welche von dem sogenannten "Silberbauer" bewohnt ward. Bei Tarnewitzerhagen soll in einer Wiese auch noch ein "aufgebrachter Berg" liegen.

Eine besondere Schwierigkeit macht der Ort Wittenborgerhagen, welcher schon in dem ratzeburger Zehntenregister um das J. 1230 und darauf im 14. Jahrhundert genannt wird, seit dem 16. Jahrhundert aber nicht mehr vorkommt. Neuere Entdeckungen werden aber auch diese Ortsverhältnisse aufklären. Im J. 1246 schenkte der meklenburgische Vasall Johann von Wittenborg oder Wittenburg dem Nonnenkloster Rehna die Güter, welche er in Tarnewitz zu Lehn trug 1 ). Sicher hat der Ort Wittenborgerhagen von diesem Wittenborg oder dessen Vater den Namen, und es steht daher zur Frage, ob in dem ratzeburger Zehntenregister nicht auch so statt Wittenbergerhagen zu lesen sei, um so mehr, da in Urkunden des 14. Jahrhunderts der Ort immer Wittenborgerhagen heißt. Der Ort Wittenborgerhagen war also ein kleines Hagendorf in den tarnewitzer Gütern. Die Wittenborg bildeten aber ein lübecker Patriciergeschlecht. In der lübecker Rathslinie wird 1250 - 1271 "Heinrich van Wittenborch, eyn man van kloken worden" 2 ) aufgeführt, 1299 † 1321 Heinrich van Wittenborg als Burgemeister 3 ) und


1) Vgl. Urk. Samml. Nr. XLVII. Diese neu entdeckte Urkunde hat das interessante Datum: "ante capellam nostram Mekelenborch." Hierunter ist wohl ohne Zweifel die fürstliche Kapelle auf dem Burgwalle Meklenburg zu verstehen, da dieser damals noch bewohnt ward.
2) Vgl. Deecke. Von der ältesten lübeckischen Rathslinie, S, 32, Nr. 207 u. 255.
3) Vgl. daselbst S. 35, Nr. 318.
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1351 - 1363 Johannes Wittenborch 1 ). Diese Wittenburg hatten außerdem andere Güter in der Nähe von Tarnewitz. Im J. 1320 (in die Tyburcii et Valeriani) verpfändete Ida von Plüschow (de Plotzekowe) mit ihren Söhnen Dietrich und Marquard dem Hermann Wittenburg und dem Johann von Dulmen, Bürgern in Lübeck, antichretisch das Dorf Naschendorf (Nazcendorp) und im J. 1345 (crastino nativitatis Mariae) bestätigte der Fürst Albrecht von Meklenburg dem lübecker Rathsherrn Johann von Wittenborch, Hermann's Sohne, und dem Hermann von Dulmen 2 ), einem Enkel wailand Johanns von Dulmen, diesen Pfandbesitz. Jene Besitzungen in Tarnewitz, welche Johannes von Wittenborg dem Kloster Rehna 1246 schenkte, muß dieses früh veräußert haben; es ist davon nie wieder die Rede. Im J. 1366 verpfändete der Herzog Albrecht den Brüdern Marquard und Hermann Tarnewitz die Bede aus den Dörfern Tarnewitze und Wittenborgerhagen. Nach der Reformation heißt es in einem Bericht über die "Rhenische Matrikel" von der Schenkungsurkunde vom J. 1246:

"Hieruon hat m. g. f. vnd h. nichts den das Terneuitz haben die Terneuitze."

Wahrscheinlich ging also Wittenborgerhagen wieder in Tarnewitz über, woher es entstanden war.

Alle diese Tarnewitzen=Güter waren Lehngüter und wohl erst mit der christlichen Cultur nach und nach aufgebauet.

Tarnewitz, das Bauerdorf, welches jetzt allein den Namen Tarnewitz trägt, dicht an dem flachen Strande der Ostsee, der Lieps gegenüber, ist das alte, eigentliche Tarnewitz. Bei Einführung der christlichen Cultur ward es wohl den wendischen Bewohnern überlassen und hieß daher in alter Zeit stets Wendisch=Tarnewitz. Im J. 1301 ward es an das Kloster Reinfelden verkauft und ist von diesem in fürstlichen Besitz übergegangen. Bei dem Hofe Nr. 9 des Büdners Kruse liegt noch ein Burgwall und bei der Ostsee an der Schleuse des Baches eine Anhöhe, "Tempelberg" genannt, auf welcher vor ungefähr 40 Jahren ein alter "Topf" ausgegraben ward.

Die folgende Uebersicht wird jetzt die topographischen Verhältnisse der Pfarre Klütz übersichtlich machen.


1) Vgl. daselbst S. 38, Nr. 393.
2) Hermann von Dulmen († 1350) saß im lübecker Rathe; vgl. Deecke a. a. O. S. 37, Nr. 370.
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Pfarre Klütz.

Pfarre Klütz

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Die Familie Duding
und
deren Güter Dechow und Dudingshausen,

von

G. C. F. Lisch.

In der Geschichte des Geschlechts Hahn, I, A, S. 41 flgd. ist bewiesen, daß die von Dechow, welche mit den Hahn denselben Stammvater hatten und am Ende des vorigen Jahrhunderts ausstarben, von ihrem Stammgute Dechow bei Ratzeburg den Namen und mit den Hahn gleiches Wappen, einen rothen Hahn im silbernen Schilde, führten. Als schon beide Familien ausgebildet waren, erscheint im Anfange des 14. Jahrh. ein Ritter Duding von Dechow in der Geschichte; a. a. O. S. 44 ist vermuthet, daß dieser Ritter mit seinem Geschlechte einen Nebenzweig der mit den Hahn stammverwandten ratzeburgischen Familie von Dechow gebildet habe.

Nach neuern Forschungen und Entdeckungen verhält sich aber die Sache anders. Die Familie Duding ist eine eigene Fa=

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milie, welche mit den Hahn und von Dechow in gar keiner Stammesverwandtschaft steht. Schon das Wappen der Duding ist von dem Hahn=Dechowschen Wappen völlig abweichend: die Duding führten an einer Urkunde vom 2. Febr. 1320 1 ) einen Schild, auf welchem ein Helm mit zwei gekreuzten Pfauenwedeln steht: der Helm der Fürsten von Werle; dies ist kein "alter Mannskopf", wie v. Gamm Jahrb. XI, S. 439, angiebt.

Der Zusatz von Dechow ist also nur eine besondere Bezeichnung für eine bestimmte, einzelne Person; das Gut Dechow wird darnach in einer andern Gegend aufzusuchen sein.

Der Stammvater des Geschlechts Duding ist wahrscheinlich der Ritter Heinrich Duding, welcher schon im J. 1233 unter den Edlen und Burgmännern von Güstrow (milites de Guztrowe - - nobiles, vgl. Riedel Cod. Dipl. Band. I, S. 445 und 446) im Gefolge des Fürsten Nicolaus von Werle am 14. und 24. Sept 1252 als Zeuge bei dem Fürsten Borwin von Rostock erscheint (vgl. Meklenb. Urk. I, S. 99 und 101); in denselben Verhältnissen tritt er noch am 18. Junius 1262 auf (vgl. Landesfürst in Rostock, Urk. Nr. 4); im J. 1252 wird er Heinrich von Duding (dominus Hinricus de Dudinghe), im J. 1262 nur Heinrich Duding (dominus Hinricus Dudingh) genannt. Wahrscheinlich ist Duding ein Personenname und das Wörtchen von hier mißbräuchlich in den Namen gekommen. Am 13. Junius 1283 ist ein Ritter "Duding", ohne Vornamen, Bürge bei den Fürsten von Werle für den rostocker Landfrieden (vgl. Gesch. u. Urk. des Geschl. Hahn I, B, S. 102); am 3. Febr. 1291 erscheint er wieder (vgl. das. S. 150) bei den Fürsten von Werle unter dem bloßen Namen Duding ("miles Dudingh"). Wahrscheinlich ist dies schon ein Sohn des Ritters Heinrich Duding und jener Duding von Dechow, ein Oheim der Brüder Barthold und Conrad Duding, welcher im Anfange des 14. Jahrh., auch mit dem Vornamen Heinrich, genannt wird. Gegen das Ende des 13. Jahrh. werden mehrere bedeutende Männer nur mit ihrem Zunamen genannt, wie Maltzan (der Ritter Ludolf Maltzan), Hahn (der Ritter Nicolaus Hahn) u. a.

Die Familie Duding war im Fürstenthume Werle zwischen Lage und Schwan, in den Pfarren Hohen=Sprenz und Kritzow, in einer sehr angenehmen und ergiebigen Gegend mit Gütern angesessen. Am 3. Febr. 1291 schenkte der Fürst Nicolaus von Werle auf Bitten des "Ritters Duding" dem Dom=Collegiat =


1) Vgl. Urk. Samml. Nr. L.
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stifte Gustrow das Eigenthum von zwei Hufen im Dorfe Kuhs (Kuzitze) (vgl. Gesch. des Geschl. Hahn I, B, S. 150). Am 20. Nov. 1308 verlieh der Fürst Nicolaus von Werle den Brüdern Conrad und Barthold Duding, Knappen, ausgedehnte Privilegien für ihre Mühle zu Kl. Sprenz, welche die Familie seit alter Zeit besessen hatte, und an demselben Tage verlieh ihnen der Fürst dazu das Privilegium, daß auf eine Meile zwischen Kl. Sprenz und Lüssow kein anderer eine Mühle bauen dürfe. Am 5. März 1319 verkauften dieselben Brüder diese Mühle an das Kloster Doberan und der Ritter Heinrich Duding von Dechow (miles Hinricus Duding de Dechow) gab als Zeuge seine Einwilligung; außerdem bezeichneten die Verkäufer in einer eigenen Urkunde umständlich die Privilegien der Mühle (vgl. v. Westphalen Mon. Ined. III, p. 1606, und Urk. Gesch. des Geschl. v. Oertzen, I, B, S. 83). Der Fluß, an welchem diese Mühle lag, hieß Zabole, oder Zabel oder Sabel, nach dem angrenzenden Dorfe so genannt, und floß aus dem See Bukow in den großen See von Großen=Sprenz. Am 2. Febr. 1320 verkauften dieselben Brüder Barthold und Conrad Duding ihrem Oheim, dem Ritter Duding von Dechow (Dudincho de Dechowe), und seiner Frau auf deren Lebenszeit die Aufkünfte von 8 Hufen im Dorfe Kritzow 1 ), in welchen der genannte Ritter schon Rechte besaß.

Aus diesen urkundlichen Berichten geht hervor, daß die Duding, welche im 14. Jahrh. ausstarben (nach v. Gamm a. a. O.), auf Kl. Sprenz wohnten und Besitzungen in den Bauerdörfern Kritzow und Kuhs hatten. Aus dem Namen des Ritters Heinrich Duding von Dechow (beständig de Dechowe geschrieben) läßt sich aber auch abnehmen, daß ihnen auch ein Gut Dechow gehörte, auf welchem eine Linie der Familie wohnte; dieses Gut Dechow wird ein anderes sein, als das Dorf gleiches Namens bei Ratzeburg. Erfreulicher Weise hat sich das Dorf jetzt noch ausfindig machen lassen. Sowohl in den öffentlichen Archiven und Registraturen, als in den Guts=Charten und Papieren ist jede Forschung nach dem Gute Dechow vergeblich gewesen. Nur die letzten Stimmen der Tradition weisen noch das Dorf nach. Der Herr Gerichtsrath Ahrens zu Schwan machte die Mittheilung, daß er vor etwa 30 Jahren von einer Feldmark Dechow gehört habe, welche zwischen Dudingshausen, Friedrichsdorf und Striesdorf liege. Hierauf stellte der Herr Pastor Thiem zu Hohen=Sprenz umfängliche Nachforschungen in seiner Gemeinde an, konnte aber nichts weiter erfahren, als


1) Vgl. Urk. Samml. Nr. L.
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eine Nachricht des Schmieds Wulf zu Hohen=Sprenz, 48 Jahre alt; dieser berichtete, er habe von seiner im J. 1812 zu Hohen=Sprenz verstorbenen Großmutter oft von einem Dorfe Deckow erzählen gehört, welches auf der Feldmark Dudingshausen gelegen, zuletzt nur einige Katen umfaßt und früher, als das jetzige Gut Dudingshausen gestanden habe. Aus dieser Angabe geht denn hervor, daß das Dorf Dechow die Feldmark gewesen sei, auf welcher die Familie Duding, und wahrscheinlich der Ritter (Heinrich II.) Duding von Dechow, den nach ihr benannten, in einer der reizendsten Gegenden des Amtes Güstrow gelegenen Ritterhof Dudingshausen gegründet habe, in dessen Feldmark das Dorf Dechow allmählig unterging. Der bei Dudingshausen liegende Burgwall, in dessen Nähe noch weite Umwallungen liegen sollen, zeugt außerdem für die Richtigkeit dieser Annahme. Dieser "Burgwall" liegt, seit alten Zeiten so genannt, nach des Herrn Pastors Thiem Beschreibung in einer Ebene vor Dudingshausen nahe am Hohen=Sprenzer See, ist ungefähr 20 Fuß hoch, mit schräger Ansteigung, und 77 Schritte lang, mit Buchen und Gesträuchen, wie Hollunder, Wachholder etc. . bewachsen. In alten Zeiten hat dieser Burgwall wohl auf einer Insel gelegen, durch die theilweise Ablassung des Sees in neuern Zeiten ist er von dem Seeufer entfernt worden.

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Das Land Ture.

Die Lage und die Ausdehnung des Landes Ture sind von Lisch, Jahrb. X, S. 33 - 35, aus den Reichssteuer=Registern von 1496 genau angegeben. Indeß möchte noch folgender Beitrag nicht ohne Interesse sein. Noch jetzt ist unter dem Landvolke hiesiger Gegend die Benennung: de Tûr - die Ture, allgemein bekannt und gebräuchlich von der Gegend, die bei Stuer anfängt und sich bis Gr. Pankow erstreckt; sie umfaßt, genau bezeichnet, alle Oerter, die an der preußischen Grenze südlich von dem Gehlsbache 1 ) liegen, also Ganzlin, Retzow, Quaslin, Darz, Wahlstorf, Wilsen. Doch hat sich insoferne diese Benennung verändert, als man darunter nicht alles zu diesen Ort=


1) Auf fast allen Charten ist ein Bach bezeichnet, der dem Anscheine nach aus dem plauer See kommt, die dresenower und twietforter Mühlen treibt, bei Ganzlin, Retzow. Dammerow, Wilsen vorbeigeht und unsern von Gr.=Pankow in die Elde fließt. Es sind aber zwei Bäche: ein kleinerer entspringt zwischen Ganzlin und Twietfort, treibt die bezeichneten Mühlen und fließt in den plauer See; der zweite entspringt auf dem ganzliner Felde, nahe an der neuen Chaussee, fließt nach Retzow, Dammerow, erhält zwischen Karbow und Darz den Namen Gehlsbach (Michaelisbach) (vgl. Jahrb. VI, S. 176) und geht bei Wilsen vorbei endlich in die Elde.           J. Ritter.
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schaften gehörige Land, sondern die unfruchtbaren, mit Heide oder Tannen bedeckten Sandstrecken versteht. Daher hat jeder Ort noch wieder speciell seine Ture, und man unterscheidet also: die ganzliner Ture, die wahlstorfer Ture u. s. w.

Vietlübbe, 1846.

J. Ritter.     

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Die Burg Stüvendorf bei Vietlübbe, D. A. Lübz.

Nachrichten über das Dorf und die Burg Stüvendorf (Stuuendorp, Stouendorp) sind schon früher in Jahresber. V, S. 141 - 143, mitgetheilt, welche aber besonders in geschichtlicher Hinsicht nur auf der Sage in hiesiger Gegend beruhen. Der Name Stuvendorp oder Stovendorp deutet auf die Anlage oder den sehr alten Besitz dieser Burg durch das im Mittelalter in Meklenburg oft vorkommende rittermäßige Geschlecht von Stove, welches auch Stavenhagen (Stovenhagen) zur Stadt abtrat, und im Stargardischen den Ort Staven (früher Stouen genannt) noch im Jahre 1303 zum Theil besaß (vgl. Jahrb. IX, S. 260); auch führen noch 2 Orte in Meklenburg den Namen Stove, nämlich bei Neu=Bukow und unweit Rostock. Wie lange diese Burg Stüvendorf bei Vietlübbe bestanden habe oder bewohnt gewesen sei, darüber hat sich bis jetzt nichts aufgefunden; nach den vom Freunde Lisch mir mitgetheilten, zu der folgenden Darstellung benutzten, urkundlichen Nachrichten muß sie schon im 13. Jahrh. untergegangen sein; das Dorf Stüvendorf mag noch bis ins 15. Jahrh. bestanden haben.

Die erste Nachricht von Stüvendorf findet sich in einer Urkunde vom 13. April 1274: Der Fürst Nicolaus von Werle verkauft dem Kloster Stepenitz zur Beilegung der Streitigkeiten, welche er mit dem Kloster über die seit langer Zeit von diesem besessenen Güter in seiner Herrschaft hat, das Eigenthumsrecht an dem Dorfe Karbow, an dem Dorfe Wilsen mit der Mühle und an 16 Hufen in Crein, und überläßt dem Kloster das Dorf Dars, das Dorf Damerow, 1 1/2 Hufen in Stuvendorp mit der Mühle, 11 Hufen in Vietlübbe, 6 Hufen in Bercowe, 2 Hufen in Plawe, 2 Hufen in Drosenow, 3 Hufen in Loubze und das Dorf Stolpe (gedruckt in Riedel Cod. Dipl. Brandenb. I, I, pag. 245). Sodann heißt es in einer Urkunde vom 29. Septbr. 1300: Der Fürst Nicolaus von Werle und seine Brüder Günther und Johann verkaufen dem Kloster Stepenitz das Eigenthumsrecht an dem Dorfe Quarcellyn (jetzt Quaßlin) mit der Mühle und übertragen dem Kloster 1/2 Hufe in Stovendorppe (gedruckt in Riedel a. a. O. pag. 249). Ferner besagt eine im großherzogl. Archive zu Schwerin aufbewahrte Original=Urkunde von 1425 (des mydwekens na Laetare): Helmold,

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Heinrich, Hennekeund Godert die Plessen zu Lübz vergleichen sich mit dem Fürsten Wilhelm von Werle dahin, daß die Plessen das Dorf Zwemmin (Schlemmin) anspruchsfrei erhalten, der Fürst dagegen den plauer See und das höchste Gericht zu Zuckowe und Stuvendorpe befreiet erhält.

Schon im J. 1448 wird das Dorf untergegangen 1 ) sein, da es in einem Register des Amtes Plau vom Jahre 144 (8/9 heißt:

Dyt ys de vpborynghe tho Plawe in deme XLIX iare:
Item van Vitelubbe VIII s. vnde II mark.
Item II s. vnde II punt bede van deme velt Stuuendorpe.
Item van Damerow XXVII s. van Stuuendorpe.

In einem plauer Amtsregister vom J. 1529 heißt es:

Die Vittelober vom felt zu Stubickendorff, daruon II teil kegen Luptz, 9 1/2 s. rogken.

Im Jahre 1570 war das Dorf Stuvendorf sicher längst untergegangen, da in dem Amtsbuche von Lübz aus dem Jahre 1570 der dortige Acker nicht nur "Veld Stuuendorff" genannt wird, sondern auch dieses Feld bereits unter die umliegenden Dorfschaften vertheilt war. Das Amtsbuch von Lübz enthält nämlich folgende Notizen.

Es waren auch einige Hufen auf dem "Velde Stuuendorff" von den Karbowern in Benutzung. Wilsen hatte eine stuuendorffer Wiese. Unter Vietlübbe heißt es: "Mher gebrauchen sie auch xv hufen vffm felde Stuuendorff." - Auch war ein Theil des Ackers mit Holz bewachsen, denn es heißt ferner: "Das Holz zu Stuuendorff ist ein ziemlich Eichen vnd Buchenholtz, hatt guthen Grundt von weichen vnd vnterholtzes, stosset an das feldt zu Bergkow." - Der an das Kloster Stepenitz gekommene Theil der Feldmark ist natürlich gar nicht mit angeführt.

Die Lage der Burg und ihre gegen andere Burgstellen bedeutende Größe deuten auf eine frühe Benutzung dieses Platzes als Zufluchtsortes der damaligen (wendischen) Bevölkerung, und als starken Schutzes des räuberischen Adels in der darauf folgenden Zeit. Die jetzige Wiese, welche fast in gerader Richtung von Norden nach Süden an den Grenzen von Schlemmin und Kritzow anfängt, zwischen Karbow und Vietlübbe sich hinzieht, den Damerower Acker berührt und an den Feldmarken Quaßlin


1) Wahrscheinlich wird das Dorf in den märkischen Raubfehden in der ersten Hälfte des 15. Jahrh. untergegangen sein; man vgl. oben S. 245           G. C. F. Lisch.
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(Mühle), Dars und Wilsen südlich aufhört, eine Länge von fast 3/4 Meilen, aber eine sehr verschiedene, jedoch geringere Breite hat, war früher ein See von bedeutender Tiefe, später ein Sumpf und diente noch 1806 den Umwohnenden als Zufluchtsort; am nördlichen Ende ist noch ein kleiner See, zur Sandkrüger Försterei gehörend, und eben so am südöstlichen Ende der Damerower See, beide wegen der sumpfigen Ufer fast unzugänglich. Von Südosten kommt der Quaßliner Mühlenbach, fließt durch den Damerower See und verbindet sich mit dem größeren Geelsbache (Michaelisbache), welcher an der östlichen Seite in diese Wiesenfläche tritt und dieselbe in der südwestlichen Spitze verläßt. Nördlich von dem Eintritte dieses Michaelisbaches in den früheren See liegen nun die Ruinen der Burg in der Wiesenfläche (dem früheren See oder Sumpfe), die Befestigungen verlieren sich aber in dem daran stoßenden Acker von Stüvendorf (jetzt Pfarracker von Vietlübbe). Den festesten Theil der Burg bildete ein runder Hügel von neun Ruthen Durchmesser, mit einem Wallgraben umgeben, der noch im Sommer nicht austrocknet. Diese eigentliche Burgstelle (mit dem festen Hause) ist von den Bauern schon zu zwei Drittheilen abgefahren zur Besserung der daran liegenden Wiesen; dabei kam fast in der Mitte ein aus Feldsteinen, an den Ecken mit Kalk, sonst aber mit Lehm aufgemauerter viereckiger Thurm zum Vorschein (Burgverließ), in welchem 1835 ein Kettenpanzer, Sporen und Pfeilspitzen aus Eisen gefunden wurden, im vorigen Jahre aber auch starke Thürhespen und Angeln aus Eisen. Die Erde dieses Hügels ist aufgetragen und enthält verschiedene Mischungen (nach den verschiedenen Zeiten) aus Sand, Lehm und Thonmergel; aber das Material findet sich nirgends in der Nähe, sondern nordwestlich vom Sandkruge in den sogenannten Kläden, wo der Thonmergel zu Tage steht und sich die Gruben noch vor wenigen Jahren sichtbar befunden haben, da die Gegend bis dahin zur Forst gehört hat. Darnach wäre das Material im Burgdienst von den Sukowern und vielleicht auch Kritzowern zu Kahn dahin gebracht. Bei dem Wegfahren der Erde kommen auch rothgebrannte Lehmklumpen mit Stroheindrücken zu Tage, ein Beweis, daß die Burg durch Feuer untergegangen ist; ferner viele blaugraue Scherben von Thongefäßen aus feiner Masse. Die zweite Hauptstelle (die Vorburg ) ist ein fast gleicher Hügel, aber etwas unregelmäßiger aufgeschüttet und nicht völlig so hoch; er scheint noch unversehrt zu sein, liegt nordwestlich von dem vorigen Platze und ist ebenfalls mit einem weniger breiten Graben umgeben. Ein dritter Platz, nördlich von den beiden andern, fast viereckig und ungefähr dreizehn Ruthen lang und breit, hat vier Erhebungen, auf welchen der Sage

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nach Gebäude gestanden haben; ein Graben umschließt auch diesen Raum. Ein westlich von der Hauptburgstelle liegender, durch einen Graben befestigter Platz kann ebenfalls Gebäude getragen haben, da er auf der Südseite ziemlich erhaben ist und eine Breite von fünf Ruthen hat; vielleicht ist es aber auch ein bloßer Wall. Ein Wall mit einem äußeren Graben umgiebt im Halbkreise die südöstliche Hälfte der eigentlichen Burgstelle; er setzt sich fort nördlich zwischen der Burgstelle und dem dritten viereckigen Platze bis nahe an die Vorburg. Oestlich vor dem viereckigen Platze liegen zwei niedrige Wälle in gleicher Richtung, ohne äußeren Graben; westlich ebenfalls ein Wall ohne äußeren Graben, bis gegen die Mitte der Vorburg nach Südwesten sich wendend. Nordöstlich liegt in der Entfernung von etwa zehn Ruthen ein Wall mit einem äußeren, gegen den Acker gerichteten Graben, der sich dem Graben um den viereckigen Platz anschließt. Dieser und noch zwei andere Wälle, östlich vor der Burg liegend, verschwinden jetzt in dem anstoßenden Pfarracker, so wie ein Graben, der in fast südlicher Richtung zwischen dem Acker und der Burg gezogen war, sich fast verloren hat, da er ausgefüllt und zur Wiese geebnet ist. Der Weg zur Burg scheint von Osten auf einem der niedrigen Wälle quer über einen andern gleichen, nach der viereckigen Stelle, von da über den nördlich vor der Hauptburgstelle liegenden Wall nach der Vorburg und so nach der eigentlichen Burg gegangen zu sein. Im Ganzen umschließen die Befestigungen einen Raum von etwa 27 Ruthen Breite und 50 Ruthen Länge.

Die Kirche von Stüvendorf lag grade östlich von der Burg; die Stelle des Thurms ist noch durch eine Masse von Feldsteinen und Kalkschutt, der Umfang des Kirchhofes durch eine kleine Erhöhung (früher Steinmauer) kenntlich. Das Dorf lag um die Kirche und sind einzelne Hausstellen im Acker noch erkennbar. Die Mühle lag am Geelsbache, wo jetzt der Weg von Vietlübbe nach Quaßlin über den Bach geht; das Bruchstück eines Mühlsteins ward hier beim Graben noch im letzten Sommer gefunden; die oberwärts liegende Wiese heißt noch die Teichwiese (dîkwisch). Der Acker von Stüvendorf muß groß gewesen sein; der an das Kloster Stepenitz verkaufte oder geschenkte Theil lag wohl jenseit oder auf der Südseite des Geelsbaches, jetzt zum Gute Damerow gehörend; die Karbower hatten stüvendorfer Aecker, Wilsen gebrauchte eine stüvendorfer Wiese und 15 Hufen auf dem stüvendorfer Felde sind an Vietlübbe gekommen. Die von Karbow und Wilsen benutzten Aecker und Wiesen müssen jenseits, d. h. auf der Westseite der großen Sumpfwiese zwischen Michelsberg und Karbow gelegen haben (die michelsbergischen

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Hufen wurden damals auch von Karbow und Wilsen schon bewirthschaftet), da diese Ortschaften die östlich der Wiese belegenen Aecker des Sumpfes wegen nicht benutzen konnten, diese Aecker auch wohl wie jetzt nach Vietlübbe gehörten. Das Gebiet erstreckte sich also wohl über den größten Theil der Wiese und links und rechts am Geelsbache hinauf.

Nehmen wir dazu, daß auch die alte fürstliche Domaine Cesemow, welche der Fürst Heinrich Borwin I. im Jahre 1219 dem Michaeliskloster zu Lüneburg schenkte und welche nun den Namen Michaelisberg erhielt (vgl. oben S. 21 und Jahrb. II, S. 24, 291), an dieser Sumpfwiese lag, und zwar nicht weit von der Burg Stüvendorf, aber am südwestlichen Ende der Wiesenfläche, so mag das Schicksal und die Bedeutung dieser Burg Stüvendorf mit dem Orte Cesemow in naher Verbindung gestanden haben und den Bewohnern nicht allein zum Zufluchtsorte in Zeiten der Noth, sondern auch als Schutz und Schirm gedient haben; denn bei Cesemow befindet sich keine Spur von Befestigung, als nur eine kleine, nahe am Ufer liegende Stelle, welche 35 Schritte im Durchmesser haltend wohl einen Thurm oder ein festes Haus tragen und eine augenblickliche Zuflucht, aber keinen dauernden Schutz gewähren konnte. Betrachten wir noch außerdem die Lage dieser ganzen Wiesenfläche, des früheren Sumpfes oder Sees, in wendischer Zeit in dem Lande Ture südlich von der Elbe, welches die Oerter Kreien, Karbow, Wilsen, Dars, Quaßlin, Wahlstorf, Retzow, Barkow, Brook, Benzin noch 1496 umfaßte (Jahrb. X, S. 33), so liegt sie in dem Mittelpuncte dieses Landes und bot der Bevölkerung um so mehr eine sichere Stätte in Kriegszeiten dar, als die Wenden überhaupt sumpfige Gegenden in solchen Zeiten aufsuchten und in dieser Sumpfwiese nicht allein die Burgstelle von Stüvendorf als Zufluchtsort fanden, sondern auch auf noch mehrere Inseln in der Nähe der Burg sich retten konnten. Diese Inseln gehörten ihrer Lage nach wahrscheinlich zu Stüvendorf. Grade zwischen dem jetzigen Dorfe Vietlübbe (auf ehemals stüvendorfer Feldmark angelegt, da das alte Vietlübbe nahe an der wangeliner Scheide im Sumpfe lag, wo noch die "alte Dorfstelle" jedem Einwohner bekannt ist), und dem Hofe Retzow liegt der Arnaun, ein ziemlich bedeutender Forst, also früher Insel (Jahresb. X, S. 24). Eine zweite Insel lag in der sogenannten Kirchenwiese am vietlübber Pfarracker unweit der Burg. Südlich vom Geelsbache an dem damerower (früher stüvendorfer, an das Kloster Stepenitz gekommenen) Acker liegen zwei bedeutende Inseln, die in nassen Jahren noch fast unzugänglich für Wagen sind, obgleich Dämme, in neuerer Zeit gemacht, dahin führen. Ein Platz in der Wiese,

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nahe am damerower Acker und an dem damerower See, durch welchen der von der quaßliner Mühle kommende Bach fließt, ist fast rund und so hoch, wie wohl altwendische Burgstellen z. B. zu Lehsen, Düsterbeck, Wangelin, Retzow, zu sein pflegen; doch habe ich daselbst noch keine Untersuchung vornehmen können, und Sagen existiren nicht darüber.

Vietlübbe, im Januar 1847.

J. Ritter.     

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Alterthümer von der Burg Stüvendorf.

Im Winter des J. 1846 ward wieder Erde zur Wiesenbesserung von einem Hügel der alten Burg Stüvendorf abgefahren; dabei fand sich nahe an dem schon fast ganz bloß gelegten Fundamente eines viereckigen Thurmes eine Hespe und ein Haken aus Eisen, wahrscheinlich von einer großen Thür.

Beim Ausbrechen von Steinen aus der früheren Kirchhofsmauer des untergegangenen Dorfes Stüvendorf bei Vietlübbe, da der Umfang dieser Mauer noch deutlich erhöhet ist, die Steine aber der Ackercultur hinderlich sind, ward zwischen den gewöhnlichen feinkörnigen, blaugrauen Topfscherben in verbrannter Erde, die einen zerdrückten Topf gefüllt zu haben schien, ein eiserner Ring von 2" Durchmesser gefunden; er schließt nicht ganz und es mag etwas abgebrochen sein. Nicht weit davon entfernt fanden sich 3 Scherben von verschiedenen, fest gebrannten, weißlichen Krügen.

Auf dem vietlübber Pfarracker ward in einer Niederung unweit der alten Burg Stüvendorf ein kleines Hufeisen ausgehakt.

Vietlübbe, 1846.

J. Ritter.     

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Burgstelle von Retzow, D. A. Lübz.

Nordwestlich vom Dorfe Retzow liegt in den Wiesen, durch welche der Geelsbach fließt, früher etwa 30 Schritte vom Acker, jetzt durch den ausgedämmten Weg nach Wangelin und durch aufgetragene Erde fast mit dem Acker verbunden, der noch durch eine Senkung sichtbar mit einem Graben umgeben gewesene Burgplatz, welcher nur aus einem Hügel bestand, den schon vor längeren Jahren die damaligen Pächter von Retzow abgefahren haben, um mit der Erde die Wiesen zu bessern; jetzt ist er im Besitze des Erbpächters Abraham. Beim Abtragen soll nach Aussage der damals dabei beschäftigten Leute, die noch leben, verschiedenes "verrostetes Eisengeschirr" gefunden, aber als unbrauchbar weggeworfen sein.

Vietlübbe, 1846.

J. Ritter.     

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In einem Register des Amtes Plau vom J. 1448/9 sind die Bestandtheile von Retzow deutlich angegeben:

Dyt ys de borynghe to Plawe
anno domini etc. XLVIII°
Retzow.

Item Hermen Daneke XIII s. van deme velt to Wangelin.
Item Thomas Daneke XVIII s. van den Dupouwen hoven
Item Jachym Lyzeke VI van den Swartenpapen hoven.
Item Hinrik Mense VI s.
Item VI mark vnde III s. van dem velt Gorghelin.
Item van Berkow VIII lub. mark van deme velt Lellekow.

Gnewestorp.

Item Merten Moche XIII s. van Wangelyn.
Item II mark bede vte deme dorpe." etc.

G. C. F. Lisch.     

Dorfstelle von Gallin oder Gorgelin
bei Retzow,
D. A. Lübz.

Zwischen dem Hofe Retzow und dem Dorfe Gnevsdorf soll auf der westlichen Abdachung des Ackers nach den vom Geelsbache durchflossenen Wiesen, ungefähr da, wo die frühere Meierei von Retzow stand, ein Dorf Namens Gallin gelegen haben. Die Kirchhofstelle ist noch an einer Erhöhung des Bodens, wo die Kirchhofmauer befindlich gewesen ist, sehr leicht zu erkennen; der Fußsteig vom Hofe Retzow nach Gnevsdorf führt dicht daran vorbei.

Vietlübbe, 1846.

J. Ritter.     

Schon im J. 1448 war das Dorf Gorgelin untergegangen. In einem Rechnungsregister des Amtes Plau vom J. 1448/9 heißt es (vgl. auch oben):

Dyt ys de borynghe tho Plawe in deme XLIX iare.
Item van Retzow IIII s. myn wen V mark van deme velt Wangelyn.
Item VIIX mark van deme velt Gorghelin.

Nach dem lübzer Amtsbuche von 1570 hatte die Dorfschaft Retzow "32 gorgelinsche Hufen " zur Benutzung.

G. C. F. Lisch.     

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Zwischen dem Hofe Retzow und Gnevsdorf liegt ein alter christlicher Kirchhof, angeblich von dem untergegangenen Dorfe Gallin (Gorgelin?). Hier ließ der Pächter Herr Dabel die sogenannte Kirchhofmauer aus Feldsteinen ausbrechen, auch in der Mitte von einer hügelförmigen Erhebung die größeren Steine wegräumen, wo sich ein großer, 9 3/4 Zoll langer eisernen Schlüssel fand, welchen derfselbe dem Vereine geschenkt hat.

Vietlübbe.

J. Ritter.     

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Burgstelle von Wangelin, D. A. Lübz.

Die Burgstelle von Wangelin ist nur ein kleiner, mit einem Graben umgebener Hügel, welcher in einer sumpfigen Niederung nordwestlich vom Dorfe Wangelin und in dessen unmittelbarer Nähe liegt. Sie ist in der Mitte durchgraben und hat man die weggefahrene Erde wahrscheinlich zum Ausdämmen und Erhöhen der Wege oder der in dieser Niederung liegenden Gärten in neuerer Zeit gebraucht; sonst liegt sie mitten im Gebüsche. Die Sage läßt den letzten Ritter von Stüvendorf durch den Ritter von Wangelin ermordet werden. - Der weiter vom Dorfe, auf dem Fußsteige nach Vietlübbe, ebenfalls am Sumpfe liegende mit Wall und Graben umgebene Platz heißt die Schanze und soll im siebenjährigen Kriege angelegt sein.

Vietlübbe, 1846.

J. Ritter.     

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Wallberge bei Sukow, am Plauer See.

Am Ufer des Plauer Sees liegen auf dem Sukower Gebiete die auf der Gutscharte sogenannte oberen Wallberge, auf zwei Seiten vom Plauer See, südlich und östlich aber von einem bedeutenden Torfmoore begrenzt. Auf dem nördlichen Ende ist ein Plateau von etwas abgerundet viereckiger Form, 464 Quadratruthen groß, durch eine wallförmige Erhebung rund umher begrenzt, so daß hier gewiß früher eine Art Verschanzung gewesen, ist. Diese Ansicht wird dadurch mehr zur Gewißhheit erhoben daß ein noch sichtbarer Weg nicht von der Landseite gradezu von Süden in diese Umwallung, sondern um die östliche Seite herum in der Mitte des nördlichen Walles in den befestigten Platz hinein führte.

Die Leute nennen dieses Plateau den alten Kirchhof und meinen, daß auch eine Kirche hier gestanden habe. Es sind innerhalb der Umwallung allerdings Stellen, wo wahrscheinlich Gebäude gestanden haben. Aber bei einer früher geschehenen Ausbrechung von Steinen und Ausrodung von Baustämmen

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sind keine Spuren von Knochen oder Urnen bemerkt, wohl aber das Dasein einer Feldsteinsetzung unterhalb des Walles. - Die unteren Wallberge liegen südlich von den vorigen auf dem festen Lande, sie verrathen aber nirgends die Spuren einer früheren Befestigung, wenn nicht ein runder Hügel am Torfmoore einen Thurm oder ein festes Haus getragen hat.

Vietlübbe, im Mai 1847.

J. Ritter.     

Vielleicht ist Sukow im A. Marnitz gemeint (vgl. Riedel Cod. Dipl. I, S. 251 flgd.), welches in einem plauer Amtsregister vom J. 1529 in folgender Ordnung aufgeführt wird.

Von den wusten felden.

Swerin
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Vom felt zu Drehen die Swerinschen, daran die Gammen II teil.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Die von Gneweszdorf vom felt zu Reppentin.
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Die Vittelober vom felt zu Stubekendorff, daruon II teyl kegen Luptz.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Die von Karbo vom felt zu Suckow.
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Vom felt zu Sucko die Vittelober.

G. C. F. Lisch.     

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Clippatendorf oder Clippat.

In meiner "Berichtigung einer von dem Herrn Staatsminister v. Kamptz gemachten Aeußerung", 1844, S. 13 flgd. und Urk. Nr. IX, S. 41, ist von einem Dorfe Clippacendorf die Rede, welches der Fürst Johann von Werle am 2. Dec. 1338 dem Barthold Swartepape zum Theil verlieh.

Der Name dieses Ortes, welcher allerdings einige Berücksichtigung verdient, ist bis jetzt eben so unbestimmt gewesen, als seine Lage. Die a. a. O. gegebene Lesung des Namens Clippacendorf ist eben so unrichtig, als die ebendaselbst S. 8 aufgestellte Vermuthung, daß Cllippacendorf vielleicht Laschendorf sei. So viel ist gewiß, daß das Dorf in alten Zeiten in der Vogtei Malchow lag, da dies in der Urkunde vom 2. Dec. 1338 ausdrücklich gesagt wird.

Nach genauern Forschungen hieß das Dorf: Klippatendorf oder Klippat, und lag am östlichen Ufer des plauer Sees bei dem Dorfe Zilow. Schon im J. 1351 erwarb das

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Kloster Malchow 5 Hufen in Klippatendorf, nach einer Urkunde, welche freilich nur in Abschrift zugänglich ist. Im J. 1529 lag das Dorf schon wüste und das Feld gehörte zum Amte Plau; in einem plauer Amtsregister vom J. 1527 heißt es:

Huer - Rogge.

Citzelow vhan Clippath II dr. VIII sch. III 1/2 f.

und in einem andern Register vom J. 1529 heißt es:

Hührrogken von den wusten Felden.
Vom felt zu Klippat die Zutzelower V dr. II sch. I. f.

Ein Güterverzeichniß vom 22. April 1587 bemerkt:

So gehören weitter zum Sthuer nachfolgende wuste

Feldtmarcke;

Cratz, Viere, Santz, Bistorff, Bruck Müllenfeldt, Oberlandt, Tangan, Loitzen, Kressin, Dentzin, Wendischen Marssow, Tonnichow, Klippaet, Köselin, Locken.

Die v. Flotow auf Stuer hatten bekanntlich in ältern Zeiten das Land Malchow zu Pfande.

Und wirklich liegt noch auf der großen schmettauischen Charte zwischen Petersdorf und Satow, also neben Zislow, ein Gehölz mit dem Namen "Der Klipperhof."

G. C. F. Lisch.     

 


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III. Zur Baukunde

des Mittelalters.


Die Kirche zu Reknitz.

Die dem H. Bartholomäus geweihete Kirche zu Reknitz, zwischen Güstrow und Lage, gehört zu den interessantern Landkirchen in Meklenburg. Sie ist zwar kein Bau von ungewöhnlicher Schönheit, hat aber doch manche Merkwürdigkeiten, welche der Betrachtung werth sind. Sie besteht aus Chor, Schiff und Thurmgebäude und stammt in allen Theilen nach dem Baustyl aus dem zweiten Viertheil des 13. Jahrh. Alle Fenster sind nämlich noch im Uebergangsstyl gebauet: schräge eingehend, schmal, leise gespitzt. Sonst fehlt der fest gebaueten Kirche im Aeußern jeder architektonische Schmuck, welcher zu einer Zeitbestimmung dienen könnte. Die ganze Kirche in allen 3 Theilen ist aus Feldsteinen gebauet und hat Gliederungen und Oeffnungen aus großen, festen Ziegeln. Die Kirche hat in der Anlage der Fenster die Merkwürdigkeit, daß im Chor in der Nordwand 2, in der Südwand gegenüber 3 Fenster stehen; eben so verhält es sich bei der nächstfolgenden Fensterstellung im Schiffe.

Der Chor gehört zu dem Baustyl der zwischen Sternberg und Schwan liegenden Kirchen (vgl. Jahrb. X, S. 309 und XI, S. 464) des bischöflich schwerinschen Sprengels, zu welchem Reknitz gehörte. Er ist mit Einem Gewölbe bedeckt, welches 8 starke Rippen hat, die oben in einem Kreise zusammenlaufen, und hat hinter dem Altar 3, in der Südwand 3, in der Nordwand 2 Fenster.

Das Schiff, welches etwas breiter ist, als der Chor, ist dagegen sehr eigenthümlich: es hat nämlich 4 Gewölbe, welche von einem gerippten, starken Pfeiler getragen werden. Durch diese Construction kommt der Pfeiler in der Mitte der Kirche zu stehen und wird das Schiff in zwei Schiffe getheilt. Zu den

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zweischiffigen Kirchen in Meklenburg (vgl. Jahrb. XII, S. 459), welche bisher zu Schlagsdorf, Schwinkendorf, Ankershagen und Gnoyen entdeckt sind, kommt also noch die Kirche zu Reknitz hinzu. Dieser Bau ist bei dieser Kirche weniger auffallend und störend, da sie bei 4 Gewölben nur Einen Pfeiler hat; in den andern Kirchen sind die Pfeiler in der Mitte bei dem protestantischen Gottesdienst oft sehr hinderlich, beim katholischen Ritus freilich nicht so sehr. Das Schiff hat an jeder Seite unter jedem Gewölbe 2 Fenster, nur unter dem ersten Gewölbe zunächst dem Chor in der Südwand, wie oben bemerkt ist, 3 Fenster.

Die Pfarre zu Reknitz war im Mittelalter der Sitz einer mächtigen und reichen Ritterfamilie, deren Hauptstamm das Geschlecht der Nortman auf dem nahe gelegenen Schlosse Rossewitz bildete. Daher berühren die Monumente in der Kirche auch meistentheils die Geschichte dieser Familie.

Rechts neben dem Altare liegt ein alter Leichenstein ohne Umschrift, nur mit dem Schilde und Helme der Nortman bezeichnet: der Schild hat 3 oben kleeblattförmig ausgeschnittene Herzen (oder: "Seeblätter", wie ähnliche Zeichen im Wappen der Grafen von Teklenburg genannt werden), welche mit den Spitzen einen Knopf oder eine Rose in der Mitte des Schildes berühren; der Helm trägt zwei halbkreisförmige, gegenüberstehende Kämme aus Federn.

Zunächst vor dem Altare liegt ein großer, weißer Stein mit eingegrabenen Darstellungen. In 2 verbundenen gothischen Nischen steht rechts ein gerüsteter Ritter, vor sich ein Schwert und den nortmanschen Schild haltend, links eine Matrone mit gefaltenen Händen und zu ihren Füßen mit einem gelehnten Schilde, welcher einen links hin schreitenden Bären hat. An den 4 Ecken stehen die Symbole der Evangelisten. Die Inschrift lautet:

Inschrift

Zwischen den Füßen beider Figuren steht:

Inschrift

(= Anno domini MCCCLXXXIX, feria III post Laetare obiit dominus Joachim Nortman miles in Rozsseuitze. Anno domini MCCC     obiit

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domina Gheze, uxor Joachim Nortman, filia Johannis Beren. Orate pro eis.)

Der Leichenstein ward ohne Zweifel bald nach dem Tode des Mannes bei Lebzeiten der Frau gelegt, beim Tode der letztern aber die Nachtragung ihres Sterbejahres und Tages vergessen.

Links vom Altare liegt ein kleiner, blauer Stein mit dem nortmanschen Wappen unten in der Mitte und den Evangelisten=Symbolen in den Ecken. Die Inschrift lautet:

Inschrift

(= Anna domini MCCCCXXX obiit Nicolaus Nortman, filius domini Joachim Nortman militis, et vxor ejus Ghisele, filia domini Nicolai [Tulendorpe] militis. Orate pro eis.)

Der Leichenstein wird noch bei Lebezeiten des Nicolaus Nortman angefertigt sein, da Sterbejahr und Sterbetag noch nicht genau angegeben sind und Nicolaus Nortman nach Original=Urkunden der Kirche zu Reknitz noch im J. 1433 lebte. Der Vatersname der Frau ist entweder auch offen gelassen oder auch völlig abgetreten; nach reknitzer Urkunden war im J. 1425 Gisele Tochter des Nicolaus Tulendorp; auf dem Leichensteine ist der Raum für diesen Namen zu kurz, welcher also wahrscheinlich von vorne herein ausgelassen ist.

Zunächst an dem großen nortmanschen Leichensteine vor dem Altare liegt ein anderer Stein mit 2 gothischen Nischen, in welchen 2 Priester stehen, welche den Kelch consecriren. Die Inschrift lautet:

Inschrift

(= Anno domini MCCCLXXXIII in profesto Georgii obiit dominus Johannes Doberan, hic vicarius. Orate pro eo. Anno domini MCCCLXXXIX in die Lamberti obiit dominus Nicolaus Daluitz. Orate pro eo.)

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In einer Urkunde der Kirche zu Reknitz vom J. 1365 kommen die beiden Vicare Johannes Doberan und Nicolaus Dalvitz vor als "presbiteri et vicarii in ecclesia Rekenitze". Die Kirche zu Reknitz hatte mehrere durch die Familie Nortmann und Zapkendorf reich dotirte Vicareien. Im J. 1368 stiftete der Knappe Nicolaus Zapkendorf, Sohn des wailand Ritters Johann Zapkendorf, in der Kirche zu Reknitz noch eine Vicarei mit einem Hofe zu Reknitz, den er bewohnte.

Neben den nortmannschen Leichensteinen sind vier hölzerne, bemalte Schilde von Interesse, welche im Chor an den Wänden hangen.

Dem Altare gegenüber hangen 2 Schilde der Nortman, blau, mit drei weißen Herzen um eine rothe Rose, welche völlig deutlich gemalt ist; über einem Schilde ist noch der Name

clawes nortmann

zu lesen.

Links vom Altare, diesem nortmanschen Schilde gegenüber, hängt ein blauer Schild mit demselben Wappen: drei weißen Herzen um eine rothe Kugel, welche jedoch nicht als eine Rose zu erkennen ist; nur steht über der Kugel ein weißes t mit einer Krone darüber. Ueber diesem Schilde steht die Inschrift:

Inschrift

(= O ille bonus Cunradus Zapkendorp. [M]CC CCV. [die] Luciae.)

Es hat den Anschein, als wenn dieser Schild beim Tode des Conrad Zapkendorp aufgehängt worden ist. Aber noch in einer reknitzer Kirchenurkunde vom J. 1406 werden die beiden Claus Nortman und Curt Zapkendorp "vedderen" genannt; vielleicht ist die Jahreszahl auf dem Schilde entweder zum Theil verlöscht oder hat etwas anderes zu bedeuten.

Ein Wachssiegel eines Conrad Zapkendorf in der Sammlung des Vereins, wahrscheinlich aus dem rostocker Stadt=Archive, bezeichnet mit der Jahreszahl 1386 hat ganz das nortmansche Wappen, ohne Beizeichen: drei Herzen um eine Kugel mit der Umschrift:

Umschrift

Durch beide Schilde und das Siegel lernen wir die interessante Stammesverwandtschaft der Nortman und der Zapkendorf kennen. Beide haben dasselbe Wappen, beide nennen sich sicher im J. 1406 noch Vettern, beide besaßen neben einander

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die Lehngüter zwischen Güstrow und Lage am rechten Ufer der obern Reknitz und die Nortman erscheinen im Besitze der Güter der Familie Zapkendorf, nachdem diese ausgestorben war.

In der Bestätigung einer von den Familien Nortman und Zapkendorf gestifteten Vicarei in der Kirche zu Reknitz vom 23. Febr. 1369 heißt es:

In allen dessen vôrscreuen articulen tûchnitze vnde lôuen hebbe wy her Joachim Northman, her Hinrick Northman vnse ingesegele henget an dessen brêff myt den ingesegelen vnser vedderen, alse Clawes Sapkendorp, Werner Sapkendorp, Vicke Northman, Gerth Northman.

Freilich ist das Original dieser Urkunde nicht mehr vorhanden, jedoch sind die vorhandenen Abschriften, welche wahrscheinlich Uebersetzungen eines lateinischen Originals sind, alt und stammen noch aus der ersten Hälfte des 16. Jahrh.

Die Zapkendorf oder Sabekendorf, wie der Name in alter Zeit geschrieben wird, haben ohne Zweifel von dem Gute Zapkendorf den Namen und dieses ist wieder sicher von dem wendischen Personennamen Sabic benannt. Bei den pommerschen Herzogen erscheinen z. B. 1242 - 1246 ein Sabic und 1282 dessen Söhne Barchil und Johann Sabekewitsch vgl. Mekl. Urk. I, S. 71, 74 und 161). Die Sabekendorf erscheinen im 14. Jahrh. auf den Gütern Zapkendorf, Reknitz, Spotendorf und Glasewitz gesessen. Der letzte des Stammes war der oben genannte Curt Zapkendorf, mit welchem das Geschlecht in der ersten Hälfte des 15. Jahrh. ausstarb. Nach seinem Tode erscheinen in den Jahren 1447 und 1450 die zapkendorfer Güter im Besitze des Curt Nortman.

Die bekanntere Familie Nortman saß auf dem viel besprochenen Schlosse Rossewitz, zu welchem eine große Menge von Gütern gehörte. Der letzte des Geschlechts war Curt Nortman, welcher am 20. October 1450 alle seine Güter: nämlich das Schloß Rossewitz mit den Dörfern Gr. und Kl. Wendorf, Glasewitz, Spotendorf, Zapkendorf, Levekendorf, Parper, Pölitz, Nienhagen, Plaatz, Repeschendorf, Mirendorf, Knegendorf, Reknitz, Lissow, Kurleput und Pruschendorf, an seinen Schwager VickeVieregge verkaufte. Nach der Leichenrede auf Eleonore Sibylle Vieregge vom J. 1652 hatte Vicke Vieregge "die letzte des Geschlechtes Frau Gisel Nortmannen, Fräulein von Rossevitz", geheiratet. Seitdem blieben bis auf die neuern Zeiten die Vieregge im Besitze der rossewitzer Güter.

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Rechts vom Altare hängt ein weißer Schild mit einem rechts sehenden, schwarzen Greifenkopfe mit rothem Schnabel; auf dem Schildeshaupte steht die Inschrift:

Inschrift

Dieses Wappen stammt aus der abgebrochenen Kapelle zu Mirendorf, welche nach diesem Schilde von der Familie von Mirendorf erbauet ward. Diese Familie ist bisher noch nicht bekannt gewesen. Im J. 1450 waren ihre Güter ebenfalls im Besitze der Nortman.

Der Altarschrein ist ein ziemlich gutes Schnitzwerk aus dem 15. Jahrh., in der Mitte mit einem Marienbilde in einer Glorie, zu den Seiten mit den 12 Aposteln und 12 andern Heiligen. Zu den Füßen der Maria knieet der Stifter in ritterlicher Tracht, leider ohne weitere Bezeichnung.

Von den Glocken sind die beiden großen neu. Die kleinste hat um den Helm die unbeholfene Inschrift:

Inschrift

welche dadurch interessant ist, daß die römischen Unzialen noch so spät (1370) angewandt sind und dazu für die deutsche Sprache.

Die übrigen Monumente stammen aus der Zeit der Vieregge. Dies sind die Chorstühle, die Kanzel und die Orgel, alle aus Schnitzwerk, freilich jedes im Style seiner Zeit.

Die Chorstühle links vom Altare haben an den Thüren geschnitzte Wappen und Inschriften. An dem ersten Stuhl steht die Inschrift:

DE. NORMAN. DEN. GOT. GNEDICH. SI. 1579.

Dann kommen folgende Namen mit ihren Wappen:

Ewalt Vieregge. Ide Restorf.
Vicke Vieregge. Anna Swerin.
Mathias Vieregge.          Adelheit Lewetzow.

Die gut geschnitzte Kanzel ist in demselben Style und aus derselben Zeit, mit den Wappen und den Namen der beiden letzten Ehepaare.

Die Orgel aber ist ein ausgezeichnet schönes und reiches Schnitzwerk, freilich ganz im Rokokostyle, aber so ungewöhnlich schön und prachtvoll, daß es zu den ausgezeichnetsten Arbeiten dieses Styls im Lande gehört, wenn es nicht gar das allerbeste ist. Die Leichtigkeit, Schönheit und Kraft aller dieser vielen Figuren, Guirlanden und Schnörkeleien ist unübertrefflich. An dem Schnitzwerke stehen die Wappen der Vieregge und Sperling. Nach den Kirchennachrichten soll das Werk 1703 - 1708 von Johann Engelbrecht Gerhard, Orgelbauer und Organisten zu Rostock, ausgeführt sein, welcher auch die Orgel in der Kirche zu Malchin gebaut haben soll.

G. C. F. Lisch.     

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Blätter

zur

Geschichte der Kirche zu Doberan.

In Jahrb. IX, S. 408 - 451 sind die Haupteigenthümlichkeiten der doberaner Kirche zur Betrachtung gezogen. Es folgen hier nachträglich einige Forschungen über Gegenstände, deren Untersuchung besondere Vorrichtungen und längere Zeit erforderte, jedoch wichtig genug sind, um dem Ganzen hinzugefügt zu werden; es war zu dieser Forschung günstige Gelegenheit und ein längerer Aufenthalt zu Doberan für diesen Zweck nothwendig.

Der fürstliche Altar der Heil. Drei=Könige.

Im Jahrb. IX. ist die Kirche zu Doberan in ihren Haupttheilen zur Untersuchung gezogen; namentlich ist S. 416 das prachtvolle, alte Schnitzwerk betrachtet, und ausgesprochen, daß es größtentheils, besonders alles, was zum Hauptmobiliar der Kirche gehört, aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stamme. Von der Untersuchung sind dort einstweilen die Schnitzwerke hinter dem Hochaltare ausgeschieden; diese sollen hier nach genauerer Forschung jetzt zur Besprechung kommen.

Der Hochaltar steht vor den innern Pfeilern im Osten der Kirche, jedoch nicht dicht an denselben, da sie zu nahe zusammenrücken, sondern in einiger Entfernung vor denselben nach der Kirche hinein.

Diese innern östlichen Pfeiler sind unten durch eine Mauer und oben durch mittelalterliches Schnitzwerk verbunden; in der dadurch gebildeten Nische oder Kapelle steht zwischen den beiden genannten Pfeilern dicht hinter dem Hochaltare ein kleiner Altar, zu welchem ebenfalls von Westen her der Zutritt führt. Das Schnitzwerk ist mit seiner Außenseite gegen Osten, nach dem Umgange hin gekehrt, dem neuern fürstlichen Begräbnisse gegenüber.

Das erwähnte Schnitzwerk über diesem Altare ist der Beachtung werth und ist mit seinen Umgebungen der Gegenstand der gegenwärtigen Untersuchung. Auf der Abgrenzungsmauer steht in der Mitte zwischen zwei Säulen eine hohe Schranke, und über dieser auf den Säulen ein hoher Spitzbogen. In den

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Eckfeldern über dem Spitzbogen stehen aufrecht zwei Wappenschilde: heraldisch rechts der Schild mit dem meklenburgischen Stierkopfe, links der Schild mit dem rostocker Greifen; in der obern Oeffnung des Spitzbogens hängt der quer getheilte Schild für die Grafschaft Schwerin: im Ganzen ist also das herzoglich meklenburgische Wappen des 15. Jahrhunderts dargestellt.

Unten in der Schranke stehen vier rechts gelehnte Schilde in folgender heraldischer Ordnung:

1) unten rechts ein Schild mit dem rostocker Greifen;

2) unten links ein Schild mit dem meklenburgischen Stierkopfe;

3) oben rechts ein dreifach getheilter Schild: oben rechts der sächsische Schild mit den von dem Rautenkranze bedeckten Querbalken, oben links der meklenburgische Stierkopf, unten zwei rechts hin springende, roth gefärbte Löwen über einander; Löwen sollen hier die Figuren sicher sein,da sie eine dicke Mähne und starke Pranken, auch einen über den Rücken gekrümmten Schwanz mit einem Haarbüschel am Ende haben. Dies ist das Wappen der Herzogin Katharine, wie sie es in ihrem großen Siegel 1 ), sicher von ihrer Vermählung bis zum Ende ihrer Vormundschaft für ihre Söhne führt. Dieses Wappen ist in dem Siegel der Herzoge von Sachsen=Lauenburg ganz ohne Beispiel; dennoch sind die beiden Löwen in dem Wappen der Herzogin Katharine, sowohl auf dem doberaner Wappen, als auf ihren im schweriner Archive öfter vorkommenden Original=Siegeln unzweifelhaft klar. Die Deutung ist schwierig. Man könnte annehmen, die Herzogin habe dieses Wappen als alte Reminiscenz für Ratzeburg (oder Lauenburg) wieder aufgenommen, da der nordalbingische Graf Albrecht von Orlamünde, Ratzeburg und Wagrien auf seinem Rücksiegel zwei Löwen über einander im Schilde führt: vgl. Lappenberg Hamb. Urk. Buch I, Nr. 387, Not. und Abbildung Tab. III, Nr. II, Loeber de burg, Orlam. und v. Kobbe Lauenb. Gesch. I, S. 260, Not. 10. Aber dieses Vorkommen ist etwas alt, die Löwen dieses Siegels sind das Wappen für Holstein, welches noch jetzt für Schleswig gilt, und im Sachsen=Lauenburgischen führt nur die Stadt Lauenburg einen Löwen im Siegel. Vielleicht aber führte nach meiner Freunde Masch und v. Ledebur Ansicht, die Herzogin Katharine dieses Wappen zum Gedächtniß ihrer Mutter Sophie, einer Tochter des Herzogs Magnus von Braunschweig, da es zu ihrer Zeit


1) In ihrem kleinen Siegel führt die Fürstin ein vierschildiges Wappen, welches enthält: 1) den Stierkopf für Meklenburg; 2) den sächsischen Rautenschild; 3) den quer getheilten Schild für Schwerin; 4) den Greifen für Rostock. In diesem Siegel findet sich also das Wappen mit den beiden Löwen nicht.
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im südlichen Europa nicht ohne Beispiel war, auch die Wappen der Mutter als Ehrenwappen mit aufzunehmen;

4) das dreischildige meklenburgische Wappen: oben rechts der Greif, oben links der Stierkopf, unten der quer getheilte Schild für die Grafschaft Schwerin.

Dieses Schnitzwerk hat also ohne Zweifel die Herzogin Katharine machen lassen; diese war eine geborne Prinzessin von Sachsen=Lauenburg und nach dem Tode ihres Gemahls, des Herzogs Johann III. von Meklenburg († 16. Oct. 1422), während der Minderjährigkeit ihrer beiden Söhne, Heinrich und Johann, bis zum J. 1436 Landesregentin.

Auf den Kapitälern der beiden Säulen, welche den offenen Spitzbogen über den Schranken tragen, sind zwei kleine gothische Nischen mit Baldachinen angebracht, in welchen zwei kleine Figuren stehen: heraldisch links eine gerüstete Figur mit aufgeschlagenem Klappen=Visir und die linke Hand auf einen Schild gestützt, auf welchem der meklenburgische Stierkopf steht; rechts eine gerüstete Figur mit Pickelhaube oder Kappe und mit einem Mantel umhüllt. Vielleicht sollen diese Figuren die beiden Söhne der Herzogin, als landesherrliche Donatoren, vorstellen.

Jedenfalls ist das Schnitzwerk unter der Herzogin Katharine gemacht, sicher nach dem Tode ihres Gemahls, wahrscheinlich während der Zeit ihrer Landesregentschaft, ungefähr um das J. 1425.

Der Herzog Johann III. starb am 16. Oct. (am Tage Galli) 1422 1 ). Schon am 18. Oct. (am Tage Lucä) war seine Gemahlin mit dem Herzoge Albrecht, ihres Gemahles Vaterbrudersohn, zu Doberan, wahrscheinlich um das Begräbniß und die Leichenfeier des verstorbenen Herzogs anzuordnen. Die Herzogin (ichteswanne husvruwe hertoghe Johannis heren van Mekelenborch zeligher dechtnysse) bezeugt nämlich an diesem Tage in einer Urkunde (de gheuen vnde screuen is in deme klostere Doberan - - in sunte Lucas daghe ewangelisten), daß ihr verstorbener Gemahl (leue here dem ghot gnedych zy) in seinem letzten Willen (an deme lesten wyllen zynes leuendes ghaf an vnser ieghenwardicheit


1) Vgl. Lübecker Chronik des Rufus von 1400 - 1430 in Grautoffs Lübecker Chroniken, II, S. 524:

"1423 storf ok hertich Johan van Mekelenborch in sunte Gallen dage uppe deme slate to Zwerin."

In dem Jahre hat sich der Chronist bei der Anordnung versehen, da der Herzog nach den Urkunden ohne Zweifel am Gallen=Tage 1422 starb. Vgl. Jahrb. oben Urk. Samml. Nr. XVI und XVII, S. 291.
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an zyneme testamente) dem Kloster Doberan 12 lüb. Mark lüb. Münze jährlicher Hebung aus der Ueberbede (ôuerbede) des dem Kloster gehörenden Gutes Satow (haghen vnde ghude to der Zatowe) vermacht habe; dafür solle der Convent zum Gedächtniß des Herzogs jährlich am S. Gallen Tage ein gutes Gedächtnißmahl (enen ghuden, erliken dênest) von fünf Gerichten mit Meth und gutem wismarschen Bier genießen und den Herzog mit Vigilien und Seelenmessen begehen.

An demselben Tage bestätigte der Herzog Albrecht zu Doberan für sich und die Söhne seines verstorbenen Vetters (vor vnse leuen vedderen herteghe Johans kyndere zeligher dachtnisse, der wy to der tyd vormunder zynt) diese Bestimmung fast mit denselben Worten.

Wahrscheinlich ward bei dieser Gelegenheit für die Herzoge eine neue Gruft hinter dem Hochaltare eingerichtet, da bei der alten Gruft im nördlichen Kreuzschiffe (vgl. Jahrb. IX, S. 426) keine Spur von fürstlichen Begräbnissen aus dem 15. Jahrh. zu finden ist, während sich bei diesem Altare hinter dem Hochaltare mehrere Andeutungen finden, daß diese Stelle den Herzogen des 15. Jahrh. besonders theuer gewesen sei. Durch die Einrichtung des Begräbnisses und Denkmals für den Herzog Adolph Friederich I. († 1659) in der östlichsten Kapelle, welche seit dem Fürstenbegräbniß ward, ist freilich jede directe Nachweisung verschwunden.

Den Altar aber haben wir den Altar der Heil. Drei=Könige genannt, weil auf der Rückseite der 4 Wappen in den Schranken, dem Hochaltare zugewandt, die Jungfrau Maria und die Geschenke bringenden Heil. Drei=Könige, grau in grau, gemalt sind.

Auf dem Altare steht eine sehr verstümmelte, jetzt unkenntlich gewordene, aus Holz geschnitzte Heiligenfigur von irgend einem Altare der Kirche. Diese Figur ward lange Zeit für einen heidnischen Götzen "Vitzliputzli" gehalten, welcher zum Andenken an das Heidenthum hieher gesetzt worden sei (vgl. Schröder Wismar. Erstl. S. 318).

In der Oeffnung des Spitzbogens steht auf den Schranken das aus Holz geschnitzte fünfschildige meklenburgische Wappen mit den drei Helmen. Dieses muß nach dem J. 1488 an diese Stelle gesetzt sein; wahrscheinlich ist es am Ende des 15. Jahrh. oder beim Tode des Herzogs Magnus (1503) hergesetzt, denn für die Zeit der großen Restauration der Kirche am Ende des 16. Jahrh. ist es viel zu alterthümlich und kräftig gehalten.

Dieses Wappen giebt aber einen Fingerzweig für die Bestimmung von vier merkwürdigen fürstlichen Bildern. Auf die beiden gegen Osten gekehrten Flächen der beiden östlichen innern

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Pfeiler, also auf die Wandflächen zu beiden Seiten des beschriebenen Schnitzwerkes, dem Umgange zugewandt, sind auf die Steinmauer 4 Herzogsbilder in Lebensgröße, an jeder Seite zwei untereinander, in Wasserfarben gemalt, jetzt freilich theils sehr verblichen, theils sehr verdunkelt, aber doch immer von Interesse; die beiden unteren sind bei neueren Restaurirungen durch Kalkputz von unten auf bis an die Brust ganz vernichtet. Diese Herzogsbilder sind mit den über denselben stehenden Ueberschriften folgende, nach heraldischer Ordnung:

oben rechts: König Albrecht, mit der Ueberschrift:

Ueberschrift

oben links: Herzog Johann, mit der Ueberschrift:

Ueberschrift

unten rechts: Herzog Heinrich, mit der Ueberschrift:

Ueberschrift

unten links: Herzog Magnus, mit der Ueberschrift:

Ueberschrift

Es ist die Frage, welche Herzoge diese Bilder vorstellen sollen, da es mehrere Herzoge mit den angegebenen Namen giebt. Nach dem Style der Malerei und der Buchstaben fallen die Bilder in das 15. Jahrh. Nach der Anordnung und Reihenfolge möchte ich annehmen, daß es folgende Herzoge sein sollen, und zwar nach der Folge, wie sie sich bei der Beschauung darstellen:

Abstimmungsverhältnisse
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Alle diese Herzoge haben lange regiert, sind für das 15. Jahrh. als die eigentlichen Landesregenten zu betrachten und stehen fast alle in gerader Abkunft zu einander. Wahrscheinlich sind alle vier vor diesem Altare begraben; dafür scheint auch zu reden, daß die Bilder des Herzogs Heinrich, seines Bruders, seiner Söhne und die Bildsäule des Herzogs Magnus II. an den nächsten Pfeilern im Umgange hangen; auch hangen viele alte zerrissene Begräbnißfahnen mit Spuren von dem fünfschildigen Wappen über dem Schnitzwerk.

Wahrscheinlich sind diese Bilder unter dem Herzoge Magnus gemalt, welcher auch das fünfschildige Wappen über die Schranken in den Spitzbogen setzen ließ; hiefür redet auch der Styl der Kleidung, welche schon mehr mit hohen Federn auf dem Baret u. dergl. hoch aufgeputzt ist. Vielleicht sind die Bilder in den ersten Zeiten des Herzogs Magnus, um das J. 1480, gemalt.

Zu der ersten Einrichtung gehört noch der Rest eines in Glas gemalten meklenburgischen Wappens, nämlich

der Schild mit dem schwarzen meklenburgischen Stierkopfe, mit Halsfell, ohne Nasenring, mit goldener Krone, rother Zunge und Nüstern und weißen Zähnen.

Dieses Stück, welches früher in dem östlichen Fenster saß, ist jetzt in das mittlere Fenster der südlichen Kapelle des polygonischen Chorschlusses eingesetzt.

G. C. F. Lisch.     

Lots Frau, die zur Salzsäule geworden.

In Jahrb. IX, S. 416 flgd. ist die unter dem Namen "Lots Frau" bekannte Reliquie in der Kirche zu Doberan zur Untersuchung gezogen und in derselben ein sehr schöner weiblicher Torso entdeckt. Seitdem sind die Forschungen fortgesetzt, namentlich über das Gestein, um villeicht aus diesem Schlüsse über den Ursprung des Kunstwerkes ziehen zu können. Nach augenblicklich zu Doberan angestellten Proben mit Säuren schien das Gestein ein "kohlensaurer Kalkstein" zu sein. Der Herr Geheime=Rath von Olfers zu Berlin, General=Director der königlich preußischen Museen, als Mineralog und Kunstkenner gleich competent, hat gütigst eine genauere Forschung übernommen und vermittelt. Das Resultat ist, daß das Gestein ein "kalkhaltiger Sandstein mit feinem oolithartigen Korne ist, welcher wohl den Tertiär=Bildungen angehört." Hiernach wäre der Torso "schwerlich eine antike Sculptur." Aber dann wäre die Erscheinung, welche ohne Zweifel alten Ursprunges ist, noch merkwürdiger,

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indem die Formen eine Vollendung der Ausbildung besitzen, welche nur Antiken eigen ist. Es fordert daher der Torso bewährte Kenner der alten Kunst auf, ein Urtheil aus den Formen zu gewinnen. Ein Gypsabguß und dessen Verbreitung scheint der geeignete Weg zur Gewinnung einer festen Ansicht zu sein.

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Die Glocken der Kirche zu Doberan.

Die Glocken der Kirche zu Doberan haben Einfluß auf die Geschichte des Baues dieser merkwürdigen Kirche; in Jahrb. IX, S. 415 ist bei der Geschichte der Kirche die Glockeninschrift schon berührt, jedoch nicht nach eigener Ansicht mitgetheilt. Der doberaner Prediger Röper sagt in seiner Geschichte von Doberan, 1808, S. 89: "1301 den 1. December ward die erste Thurm=Glocke gegossen, mit der Aufschrift: En ego campana" u. s. w., und S. 91: "1390 ist die Stundenglocke der Kirche aufgestellt worden." Da ich dieser Nachricht nicht trauete, so bestieg ich im Frühling des J. 1846 selbst den Thurm, um die Inschriften neu aufzunehmen, und gebe hier die Resultate, mit Berücksichtigung der Nachrichten des doberaner Predigers M. Peter Eddelin (1625 - 1676). welche in Schröder Wismar. Erstlingen S. 402 flgd. gedruckt sind.

Im Thurme hängt nur Eine Glocke; diese hat weiter keine Verzierungen, als die Inschrift in zwei Zeilen:

Inschrift

d. i.

Inschriftskreuz Anno domini MCCCI fusa est haec campana kalendis Decembris
Inschriftskreuz sub domino Johanne abbate Melvingo
( Inschriftskreuz Im J. des Herrn 1301 ist diese Glocke gegossen am 1. December
Inschriftskreuz unter dem Herrn Abt Johann von Elbing).

Die Form Melvingo bedeutet ohne Zweifel: Elbing; auf Siegeln kommt die Form: Elvigge vor und auf Münzen die Form: Elvin. (vgl. Voßberg Münzen und Siegel der preuß. Städte S. 48 - 49). Das M vor Elbingo ist vielleicht aus der niederdeutschen Form: van dem Elbing entstanden. Die Lesart: de Melonigio, welche Schröder Wismar. Erst. S. 402 hat, ist also falsch, wie schon Jahrb. IX, S. 415 angedeutet ist, da nach Jahrb. IX, S. 438, Jo=

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hann von Elbing um 1301 eine kurze Zeit Abt des Klosters war, aber bald resignirte; denn in einer doberaner Urkunde vom J. 1336 heißt er: "Johannes de Elbingho monachus, quondam abbas."

Eine zweite Glocke auf dem Thurme, welche im J. 1638 (nach Schröder a. a. O. S. 403) von den Schweden heruntergeworfen und eingeschmolzen ward, hatte die Inschrift:

En ego campana nunquam denuncio vana.
Laudo deum verum, plebem voco, congrego clerum.

Röper hat also die Glocke nicht gesehen und die Inschriften beider Glocken zusammengeworfen.

Die Stundenglocke, welche am westlichen Kirchengiebel vor der Uhr hängt, hatte (nach Schröder a. a. O. S. 403) die Inschrift:

Anno domini MCCCXC in vigilia Simonis et Jude. Benedictus qui venit in nomine domini.

Diese Glocke ist unter dem Großherzoge Friederich Franz I. eingeschmolzen und unter demselben Fürsten noch ein Mal durch eine neue ersetzt worden.

G. C. F. Lisch.     


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Zur Geschichte der Stadt Röbel.
Nachtrag zu Jahrb. VIII, S. 109 flgd.

In Jahresber. VIII. S. 109 flgd. sind die Kirchen zu Röbel beschrieben und S. 114 zur Erläuterung einige Momente zur ältern Geschichte der Stadt hinzugefügt. Bei einer wiederholten Untersuchung an Ort und Stelle im Febr. 1848 bei Gelegenheit der Vorbereitung zur Restaurirung der altröbelschen Kirche glaube ich einige Localitäten in und bei der interessanten kleinen Stadt ermittelt und mehrere neue Entdeckungen gemacht zu haben.

Die Meilen weit sichtbare altröbelsche Kirche liegt auf einer bedeutenden Erhöhung unmittelbar an der Hauptstraße der Stadt und der Müritz. Allem Ansehen nach ist diese Erhöhung der heidnische Burgwall. Die auf demselben stehende Kirche ist alt und stammt ohne Zweifel aus der Zeit der Gründung der Stadt, ungefähr 1226 - 1230.

Nun aber war Röbel während des 13. Jahrhunderts und später eine Residenz der werleschen Fürsten; auch war Röbel öfter der Sitz werlescher Wittwen, z. B. der viel genannten Fürstin Sophie (1283 - 1308), unter welcher die Stadt ihren Glanzpunct gehabt zu haben scheint. Dieses jüngere Residenzschloß scheint auf der Anhöhe gestanden zu haben, auf welcher jetzt die Windmühle neben der Stadt steht; dieser Windmühlen=

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berg liegt unmittelbar an der Stadt, ungefähr dort, wo die Altstadt sich von der Neustadt scheidet. Diese Residenz lag also in ältern Zeiten südlich dicht vor der Altstadt Röbel; der Berg wird an einer Seite von der Stadt, an der andern von Wiesen begrenzt, und nach der Nordseite hin dacht sich die Höhe allmählig in weiten Gartenterrassen ab, welche noch heute den Namen "Weinberg" führen.

Dieses Schloß scheint noch lange gestanden zu haben. Bei der Verpfändung des Landes Röbel an Meklenburg im J. 1362 1 ) wird in den Urkunden ausdrücklich immer "dat slot Robele" genannt. Als am 30. Jun. 1362 der Herzog Albrecht von Meklenburg "dat slot unde dat lant to Robele" zu Pfande nahm, verpflichtete er sich daneben, ein "Haus in der Stadt Röbel" zu bauen, mit diesen Worten:

Ok scole wi unde use eruen de man unde dat slot lâten by rechte. Ok scole wi buen ên hûs in de stat tů Robbele, dâr nescole wi edder unse eruen unsem vedderen her Bernde van Wenden unde sînen eruen nênen scâden edder kosthe edder bûwe vp rekenen, men wi unde use eruen scolen em unde sînen eruen dat hůsz mid der stat wedder antwarden.

Im 14. Jahrh. kommt es schon häufiger vor, daß die Fürsten Häuser innerhalb der Städte baueten, namentlich seitdem mehrere Städte keine festen Schlösser außerhalb ihrer Ringmauern dulden wollten. Wo dieses fürstliche Haus innerhalb der Stadt gelegen habe, läßt sich jetzt wohl schwerlich ermitteln.

Der altröbelsche Windmühlenberg, welcher wohl erst in jüngern Zeiten eine Windmühle auf seinen Rücken genommen hat, darf nicht mit dem neuröbelschen Windmühlenberge verwechselt werden. Dieser liegt vor dem neuröbelschen Thore vor der Neustadt Röbel und trug schon im Mittelalter eine Windmühle. In einer Schenkungs=Urkunde für die Propstei zu Neu=Röbel vom 7. Sept. 1454 überläßt der Herzog Heinrich von Meklenburg dem Propst Otto Retzow auf Lebenszeit auch

den dic e k belegen tieghen deme môlenberghe bûten der nîgen stat to Robel. 2 )


1) Vgl. oben S. 190.
2) Diese Urkunde ist gedruckt in Mantzel's Bützow. Ruhestunden, St. XXIII, S. 41. Die hier sehr falsch gedruckten Zeugennamen lauten im Originale also:
ern Bernd van Plesszen cumptur to Myrow, Acchim Plate m ae rschalk, Henningk W ae rborgh, Henningh Pickatel, Philippus Priggenitze, Eggard Hane vnde vele mer vnser leuen getruwen.
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In dem Kirchenarchivschranke in der Sakristei der neuröbelschen Kirche entdeckte ich auch ein kleines Bündel mit einigen alten Original=Urkunden. Die für die Kirche wichtigsten derselben, mit Ausnahme einiger jüngerer Rentenverschreibungen, sind bereits in Mantzel's Bützow. Ruhestunden St. XXII, S. 16 - 24, und St. XXIII, S. 26 - 42, gedruckt. Jedoch sind zwei Urkunden von großem geschichtlichen Werth übersehen und noch nicht bekannt geworden, nämlich ein Privilegium für die Wollenweber zu Röbel vom 6. Jan. 1291 und eine Zunftrolle der Wollenweber zu Neu=Röbel vom 30. Jan. 1463, welche oben mitgetheilt sind 1 ); wahrscheinlich hatte das Wollenweberamt zu Röbel seine Brüderschaft an die neustädter Kirche gelehnt und daher auch hier wohl seine Urkunden niedergelegt.

Die in den Bützow. Ruhestunden St. XXIII, S. 26, gedruckte Dotirung des Heil. Geist=Hospitals in der Stadt Röbel vom 19. Febr. 1298 wird auch noch bei der neustädter Kirche aufbewahrt und ist ebenfalls oben in einem correcten Abdruck mitgetheilt 2 ). Die Urkunde ist wegen der Zeugen von großem Interesse, um so mehr, da sie in die Zeit einer bedeutenden Veränderung fällt, nämlich wenige Wochen vor der Verlegung des Nonnenklosters zu Röbel nach Alt=Malchow. Wie in Jahrb. VIII, S. 115 flgd. auseinandergesetzt ist, hatte Röbel mehrere vornehme Geistliche, namentlich einen Propst oder Archidiakonus des Bischofs von Havelberg zu Neu=Röbel und einen Propst oder Archidiakonus des Bischofs von Schwerin zu Alt=Röbel. Nach der Ordnung des Prämonstratenser=Stifts Havelberg hießen die geistlichen Vorsteher Pröpste, welche im Stifte Schwerin Archidiakonen hießen. Diese Titel sind sonst in beiden Bisthümern strenge geschieden; in Röbel aber, wo jeder Bischof einen Geschäftsträger hatte und die Grenze beider Bisthümer mitten durch die Stadt ging, werden beide Titel häufig verwechselt. Der Propst von Neu=Röbel hatte die Aufsicht über 23 Pfarrkirchen, der Archidiakonus (oder Propst) von Alt=Röbel die Aufsicht über nur 6 Pfarrkirchen außer Röbel. Zugleich war jeder von ihnen Pfarrer an einer der beiden Kirchen. So löset sich eine scheinbar große Verwirrung sehr leicht. Nach der Urkunde vom 19. Febr. 1298 und anderen neu entdeckten Urkunden waren im Anfange des J. 1298 die geistlichen Würdenträger in Röbel folgende:

Johannes Storme, Propst (oder Archidiakonus) des Bischofs von Havelberg, Pfarrer der Kirche zu Neustadt Röbel;


1) Vgl. Urk. Samml Nr. XLVIII und Nr. LV.
2) Vgl. Urk. Samml Nr. XLIX.
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Johannes, Archidiakonus (oder Propst des Bischofs von Schwerin, Pfarrer der Kirche zu Altstadt Röbel;

Johannes Lysen, Prior des Dominikaner Mönchsklosters;

der Propst des Augustiner=Nonnenklosters.

Im Frühling des J. 1848 wurden an der Stelle des ehemaligen, im J. 1285 gestifteten Dominikaner=Mönchsklosters an der südöstlichen Seite der Stadt an der Stadtmauer Aufgrabungen vorgenommen und hier nach dem Berichte des Herrn Burgemeisters, Hofrath Engel viele große und ungewöhnlich starke Fundamente bloß gelegt. Neben denselben fand man sehr viele menschliche Gerippe, welche dicht neben einander lagen. Auch wurden hier zwei kleine, dem 13. Jahrh. angehörende, zweiseitige Silberpfennige pommerscher Fabrik und ein Pfriemen aus Messing gefunden und von dem Herrn Hofrath Engel dem Vereine geschenkt.

Auf ein gegen mich erhobenes Bedenken des Herrn Landesgerichts=Directors Odebrecht zu Berlin habe ich auch die Inschriften, an dem Chorstuhle aus der ehemaligen Dominikaner=Kirche verglichen und gefunden, daß ich mich an einer Stelle stark versehen habe. In der in Jahresber. VIII, S. 112, mitgetheilten Inschrift ist in der ersten Columne an der sechsten Stelle: Inschrift , gedruckt. Es steht aber im Originale ohne Zweifel

Inschrift

Das Versehen rührt daher, daß die Ziffer 6 in der voraufgehenden Jahreszahl 1246 zwei Mal gelesen und das zweite Mal für ein G angesehen und zu dem folgenden Worte gezogen ist; der Lesefehler ist um so offensichtlicher, als die Namen der einzelnen Klöster mit den dazu gehörenden Jahreszahlen abwechselnd mit rother und gelber Farbe bemalt sind, der Irrthum also schon beim ersten Anblick in die Augen fällt. Die Verwechselung des L mit einem I in der Sylbe L A V kommt daher, daß der untere, horizontale Balken des L sehr kurz und geschnörkelt ist und bei der Ansicht von unten durch eine vorspringende Leiste etwas verdeckt wird.

Im Anfange des Chores an der Südseite steht noch ein kleiner Kirchenstuhl aus dem 17. Jahrh., welcher den letzten des in Röbel immer sehr angesehen gewesenen Geschlechts der von Marin gehört haben wird. Auf einer Leiste über der Decke steht in der Mitte ein silberner Schild mit zwei geschnörkelten, schwarzen Angelhaken (das Wappen der Marin) und an jeder Seite ein weibliches Brustbild gemalt.

G. C. F. Lisch.     

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IV. Zur Geschlechts= undWappenkunde.


Die Familie von Stavenow.
mit einem Holzschnitt.

In den märkischen Forschungen, Bd. III, 1847, S. 115, hat v. Ledebur, in der Ausführung der Ansicht, daß die alten adeligen Familien, welche gleiches Wappen, aber verschiedene Namen führen, von demselben Stammvater herkommen, die Familien=Gruppe mit der senkrechten Spitzentheilung behandelt oder die Familien, welche gewöhnlich vier rothe, linke Spitzen im weißen Schilde führen; er rechnet dahin die v. Rohr (v. Rohrbeck), v. Königsmark, v. Möllendorf, v. Kerberg (v. Kirchberg, v. Kercberg), v. Kratz (?), v. Plate (v. Platow), v. Beust (v. Büste, Buz), v. Burckersrode, v. Heßler, welche alle zuerst in der Altmark, dann vorzugsweise in der Prignitz mit großem Güterbesitze und Ansehen auftreten. Die Familie von Kerberg oder v. Kirchberg habe ich in Jahrb. XII, S. 43 flgd. und 53 flgd., auch in Verbindung mit anderen stammverwandten Familien, besonders behandelt.

Seitdem habe ich noch eine nennenswerthe Familie mit demselben Wappen entdeckt, die Familie von Stavenow. Die lange Zeit zwischen den brandenburgischen und meklenburgischen Landesherren streitig gewesene Burg Stavenow war bekanntlich eine der ältesten und bedeutendsten Burgen der Prignitz. In den mittleren Zeiten, wo die Burg und ihre Besitzer sich einen Namen erwarben, war sie im Besitze der Familie von Quitzow (1405 - 1647). In den ältesten Zeiten aber war sie in dem Besitze der Familie von Stavenow, welche, olme Zweifel erste Erwerberin, von ihr den Namen führte. Die Herren von Stavenow erscheinen schon im J. 1252 und lassen sich als Besitzer von Stavenow und überhaupt bis zur Mitte des 14. Jahrh. verfolgen; um diese Zeit scheint die Familie ausgestorben zu sein, da sie nicht weiter vorkommt. Im J. 1354 ward die Burg abgebrochen und verwüstet, und alle Bewohner mußten abziehen; sie sollte dann wieder neu aufgebauet werden. Diese Begebenheit deutet auf eine ungewöhnliche Katastrophe, in welcher vielleicht auch die letzten von Stavenow untergingen. Die urkundliche

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Geschichte der Burg Stavenow und ihrer Besitzer steht in Riedel Cod. dipl. Brand. I, 2, S. 185 flgd.

Der eine der beiden letzten von Stavenow war der Knappe Henning von Stavenow. An der von Riedel a. a. O. S. 210, Nr. XII, mitgetheilten Urkunde vom J. 1323 (infra octavas b. Laurencii m.) hängt

Siegel

das hieneben abgedruckte Siegel des Knappen Henning von Stavenow, mit vier linken Spitzen, ziemlich gut erhalten und scharf und rein ausgedrückt; es führt dasselbe Wappenzeichen, welches die Siegel der übrigen Mitglieder der genannten Familiengruppe haben. Ohne Zweifel gehörten also auch die von Stavenow zu dieser Gruppe, um so mehr, da ihre Besitzungen in der Nähe der Güter der anderen Glieder der Gruppe lagen und da sie mit diesen einige Male in engerer Verbindung aufgeführt werden; so z. B. heißt es in der Urkunde vom J. 1322 (bei Riedel a. a. O. Nr. XI, S. 210): "De kindere hern Hinrikes van Stauenoue scolen gelden hern Ygen van Koningesmarke sine scult."

G. C. F. Lisch.     


Die Familien Nortman und v. Zapkendorf

waren gleichen Stammes und gleichen Wappens: vgl. oben bei der Kirche zu Reknitz S. 415.


Ueber die Familien Duding und v. Dechow

Vgl. oben zur Ortskunde S. 399.


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Die Familie von Züle.

Der reichere und mächtigere Theil der Ritterschaft des westlichen Meklenburgs, namentlich des Landes Wittenburg, zu welcher im Mittelalter bekannte Familien, wie die v. Lützow, Penz, Scharfenberg u. a., und im angrenzenden Lande Ratzeburg die Wackerbart, Schack, Ritzerow u. a. gehören, hat eine eigenthümliche, hervorragende Stellung und ist vielfach in die Geschichte jener Gegenden und der Handelsstädte verflochten, wie sich schon beim Lesen der lübecker Chroniken ergiebt. Namentlich ist es auffallend, daß hier einige alte, große Familien angesessen waren, deren Linien gleiches Wappen, aber verschiedene Namen trugen. Eine solche Gruppe bilden, so viel bis jetzt erforscht ist, die Züle, Scharfenberg, Wolf, Jesow, Crumesse, Borstel, Zecher, Lasbek,

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Tralow 1 ), im Lande Wittenburg, theils in dem angrenzenden Lande Sachsen=Lauenburg angesessen, welche alle einen geschachten Stral (= Pfeilspitze mit Widerhaken, wie das Wappen der Stadt Stralsund) im Schilde führen; auf manchen Siegeln ist aber der Stral auch glatt, nicht geschacht.

Diese ganze Familiengruppe ist jetzt ausgestorben, etwa mit Ausnahme der Scharfenberg, von denen v. Gamm (vgl. XI, S. 461) sagt: "Scharffenberg, sind zwar seit 1768 nicht mehr hier, allein sie floriren noch in Norwegen"; nach Masch's Mittheilung lebt im dänischen Heere noch ein Lieutenant von Scharpenberg, welcher das alte Familienwappen führt.

Das Geschlecht der von Züle, welches hier zur Besprechung gewählt ist, starb, nach allen actenmäßigen Nachrichten, am 28. Oct. 1752 aus. Es besaß 2 ) die Güter Zühr und Marsow als altväterliche Stammlehen bis zum Erlöschen und führte in seinen letzten Gliedern das alte Wappen:

im Schilde einen rechtsgekehrten oder aufgerichteten, geschachten Stral und auf dem Helme dasselbe Zeichen vor einem Pfauenwedel.

Die alte Schachverzierung des Strals ist auf den kleinen Siegeln der neuern Zeit nicht zu erkennen, sondern die Spitzen sehen aus, als wären sie aus Kugeln zusammengesetzt oder in Rundungen gedrechselt.

Die Familie von Züle ist durchaus von der Familie von Zülow auf Züle oder Zülow, A. Wittenburg, zu unterscheiden, welche einen Querbalken im Schilde führt und mit jener in gar keinem Zusammenhange steht, so oft beide auch verwechselt sein mögen.

Die bisher bekannten Nachrichten über das Aussterben der von Züle oder Zühlen, wie sie in den letzten Zeiten sich auch nannten, stehen in Schröder Wism. Erstl., S. 392, wornach damals (1732) der sächsische General=Lieutenant von Zülen auf Zülen (?!), A. Wittenburg, der letzte seines Geschlechts war und weder Frau, noch Kinder hatte, und in v. Gamm's Nachrichten in Jahrb. XI, S. 458, nach welchen das Geschlecht der "Zühlen in der Mitte des 18. Jahrh. erloschen sein soll." Die Acten sagen aber Folgendes.

In der vorletzten Generation besaß der Oberst Hans Ernst von Züle die Güter Zühr und Marsow. Im J. 1699 hatte er die Güter seinen drei Söhnen überlassen, von denen der älteste,


1) Die Aufklärungen über die Wappen der vier zuletzt genannten Geschlechter verdanke ich meinem Freunde Masch.
2) Ueber den andern alten Besitz der Familie von Züle giebt z. B. die oben in der Urk. Samml Nr. LIV mitgetheilte Urkunde vom 15. Dec. 1396 Aufklärung.
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Thomas Philipp, im J. 1699 für sich und seine Brüder den Lehneid von den Gütern leistete. Hans Ernst von Züle starb am 2. Nov. 1707 und hinterließ die Güter seinen drei Söhnen Thomas Philipp, Friederich und Ernst Heinrich. Von diesen starb Thomas Philipp, braunschweig=lüneburgischer Oberst, im Sommer 1709 in einer Schlacht in Brabant. Durch Kavelung fiel nun im J. 1710 Zühr an Friederich und Marsow an Ernst Heinrich. Auch Ernst Heinrich, Rittmeister, starb im J. 1724, ohne Erben zu hinterlassen, und Marsow fiel durch Erbschaft an den Obersten Friederich auf Zühr, den letzten des Geschlechts.

Friederich von Züle, bald darauf polnisch=sächsischer General=Major der Cavallerie, war beim Tode seines letzten Bruders noch nicht verheiratet. Deshalb ließ er, da er an Vermählung dachte, deren Folgen er nicht voraussehen konnte, das Lehn Zühr in Allod verwandeln. Er starb zu Zühr am 28. Oct. 1752, "ohne männliche Descendenten oder andere Gevettern zu hinterlassen." Mit ihm starb also das Geschlecht aus.

Er hinterließ jedoch 3 Töchter, auf welche sein Nachlaß überging:

1) eine natürliche, vom Kurfürsten von Sachsen als Reichsvicar legitimirte Tochter Friederike Dorothea, welche nach des Vaters Tode an den Hauptmann Victor Otto von der Lühe verheirathet ward;

2) Beate Helene, an den Hauptmann von Penz verheirathet, 1752 schon Wittwe;

3) Agnese Oesterhaldt, an den Hauptmann, später Major von Vegesack verheirathet, welcher Zühr übernahm.

Stammtafel
der
letzten von Züle.


Stammtafel

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Siegel zur Geschichte der von Oertzen
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Wappen der Familie von Oertzen.
Mit 4 lithographirten Siegeltafeln.

Im J. 1847 ist der erste Teil der urkundlichen Geschichte des Geschlechts von Oertzen, von G. C. F. Lisch, erschienen. Diesem Werke sind 4 lithographirte Siegeltafeln beigegeben, von denen die Unternehmer aus der Familie v. Oertzen dem Verein eine Auflage für seine Jahrbücher geschenkt haben. Diese Tafeln haben durch Auffindung und Bekanntmachung der ältesten Siegel der Familie ein nicht unbedeutendes Interesse für die Heraldik der deutschen Ostseeländer. Nach den in der urkundl. Geschichte S. 13 flgd. angestellten Untersuchungen war das von örtzensche Wappen historisch stets:

im rothen Schilde zwei mit silbernen Schienen und goldenen Gelenkstücken geharnischte Arme, deren naturfarbene Hände einen goldenen Ring mit einem Juwel halten, und auf dem silbernen, mit Gold verzierten Helme über einem roth=weiß=goldenen Wulste das Schildzeichen, mit rothen und weißen Helmdecken.

Bei der Einfachheit des Schildzeichens ist dieses zu allen Zeiten unverändert geblieben; Abweichungen haben hin und wieder nur die Farben erlitten.

Merkwürdig sind jedoch die ältesten Siegel durch den Schild. Auf den Tab. III, Fig. 1 und 2 abgebildeten ältesten Siegeln, des Ritters Hermann I. auf Roggow, 1311 - 1316, des sichern Gründers des noch blühenden Hauses Roggow, und des Ritters Hermann I. von Stargard, 1318, ist der Schild mit Figuren bestreut, welche Pflugscharen oder Herzen gleich sind. Diese Besetzung des Schildes findet sich später ausnahmsweise nur noch ein Mal auf dem Siegel eines Hermann von Oertzen auf Roggow an einer Urkunde vom Tage des H. Thomas 1431 (vgl. Jahrb. IX, S. 306). Es ist eine solche Verzierung des Schildes an keinem andern Siegel in den meklenburgischen Archiven bemerkt und jedenfalls in den deutschen Ostseeländern von so großer Seltenheit, daß sie eine vergleichende Beobachtung verdient. In der urkundlichen Geschichte sind die Figuren durch Pflugscharen gedeutet und mit der alten wendischen Form des Namens Uriz, welcher Ackersmann bedeute, in Verbindung gebracht.

Auf derselben Siegeltafel III, Fig. 4 und 6 sind zwei Siegel einer Familie von Schwerin abgebildet, welche gleichen Schild hatten. Es gab mehrere Familien dieses Namens. Die bekannte alte Familie in Pommern führt eine mit Röschen belegte Raute im Schilde. Eine andere Familie von Schwerin, welche jenseit der Elbe angesessen und mit einer Familie Grote

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verwandt war, führte ein laufendes Roß über drei Pfählen im Schilde. Die meklenburgische Familie von Schwerin führte einen, auch zwei Arme im Schilde und war im Lande Parchim auf Domsühl, Dartze etc. . angesessen. Trotz der Gleichheit des Schildes ist es aber nicht wahrscheinlich, daß diese Familie von Schwerin mit der Familie von Oertzen stammverwandt war; vielleicht war die Gleichheit des Schildes nur zufällig, da ein ringhaltender Arm in der Grafschaft Schwerin eine, wenn auch noch dunkle Rolle spielt, und die beiden Arme im schwerinschen Wappen aus einem Arm entstanden sein mögen, den das älteste Siegel allein hat.

Die Familie von Oertzen hat zwei gräfliche Linien aufzuweisen, deren Wappen Tab. II. abgebildet sind.

Am 27. April 1733 ward der dänische Kammerjunker Friederich von Oertzen aus dem Hause Helpte in den dänischen Grafenstand erhoben. Er starb im J. 1779 als Geheimer Rath zu Kiel ohne männliche Erben. Er vermehrte sein Wappen durch die Schilde seiner Frau und seiner mütterlichen Ahnen: der Friis (Eichhörnchen: zwei Male, da seine Frau und seine Mutter den Namen Friis trugen), der Svan (Schwan) und der Wibe (Kibitz).

Im J. 1792 ward der sächsische General=Major Carl Ludwig von Oertzen in den Grafenstand erhoben. Er vermehrte seinen Schild durch zwei silberne Sterne.

G. C. F. Lisch.     

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Wappen der Grafen von Oertzen
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Siegel der von Oertzen
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Siegel der von Oertzen
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V. Zur Rechtskunde.

Ueber weltliche Geschäfte in den Kirchen und
auf den Kirchhöfen in Norddeutschland,
besonders in Meklenburg.

(Gesetzpublication, Handelsverkehr, Rechtsgeschäfte.)

Von

A. F. W. Glöckler.


I m Leben des deutschen Volkes hat sich wie bei den Engländern und Skandinaviern, manches Herkömmliche lange erhalten, welches besonders in seiner spätern Gestaltung Vielen auffallend und anstößig zu erscheinen pflegt. Eine große Stetigkeit unseres Volkes im Festhalten an herkömmlichen Dingen läßt sich noch aus den Zeiten der drei letzten Jahrhunderte in mehrfacher Beziehung nachweisen, und zwar häufig mit dem Ergebnisse, daß eine mißbräuchliche Anwendung, oder gar eine ausschweifende Verkehrtheit im Gefolge herkömmlicher Befugnisse und Einrichtungen, welche gesetzlicher Regelung und staatlicher Ueberwachung entgehen, selten ausbleiben, - wie denn dies namentlich auch in der Geschichte von stillschweigend geduldeten oder wenig überwachten Corporationen hervorzutreten pflegt. Die lange Dauer und die große Verbreitung jenes Herkommens: die Kirchen und deren nächste Umgebungen zum Schauplatze weltlichen Treibens zu machen, soll hier in Beziehung auf das Verfahren im Einzelnen und auf die oft mißbräuchliche Ausdehnung, in welcher es in Norddeutschland, besonders in Meklenburg, im Laufe der drei letzten Jahrhunderte geübt ist, kurz dargestellt werden.

Die Beweisführung ist wesentlich meklenburgischen Quellen, vornämlich officiellen Nachrichten des 16. und 17. Jahrhunderts entnommen, welche in vielen gleichzeitigen Acten des großherzoglichen Hauptarchivs zu Schwerin zerstreut sind. Sie ergreift jedoch nicht immer ausschließlich heimische Zustände; überhaupt werden manche der unten folgenden Angaben leicht

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nachweislich eine allgemeinere deutsche Geltung haben, namentlich aber von den benachbarten Ländern Pommern, Lauenburg und Holstein zu erweisen sein.

Es ist im Allgemeinen bekannt, daß während des Mittelalters und bis in das achtzehnte Jahrhundert hinab, manche öffentliche, privatrechtliche und gewerbliche Geschäfte in den Kirchen und auf den Kirchhöfen betrieben worden sind.

Von vorne herein wird man die Entstehung dieses Herkommens in einer gewissen Rohheit und sinnlichen Schwere begründet finden, welche der Auffassung der kirchlichen Dinge und dem Wesen der religiösen Ansichten im Mittelalter zum Grunde lag. Indessen kann man bei tieferer Erkenntniß die geschichtliche Entwickelung der mittelalterlichen Zustände, besonders in den Städten, dahin nachweisen, daß jenes Herkommen, wenigstens theilweise, aus allgemein gültigen Verhältnissen des bürgerlichen Lebens zunächst erwachsen sei. Wenn nun die wahre Würdigung der meisten öffentlichen Einrichtungen nur in Grundlage einer reifen Erkenntniß ihrer ursprünglichen Bedeutung mit Berücksichtigung aller wesentlichen gleichzeitigen Verhältnisse füglich geschehen mag, so darf dies doch den Blick nicht abstumpfen oder scheu machen für die Auffassung der späteren nicht selten entarteten und den nun herrschenden Zeitverhältnissen nicht mehr angemessenen Gestaltung bestimmter Institute.

Hinsichtlich der ursprünglichen Bedeutung jenes Herkommens in Deutschland genügt es hier, die wesentlichsten Umstände zu erwähnen. Es treten nämlich die Kirchen in den früheren Zeiten des Mittelalters (12. bis 14. Jahrh.) zunächst und besonders in den Städten, durch ihre Lage, Räumlichkeit und feste Bauart in gewisser Weise als Mittelpunkte auch des bürgerlichen Lebens neben den Rathhäusern und den Märkten hervor. Es gab damals in den Städten noch nicht eine Reihe von "Prachtgebäuden" für das Geschäftsleben oder für Zwecke der Kunst und Wissenschaft, wie solche Bauten heutiges Tages fast jede größere Stadt zieren oder auch wohl belasten, ohne eine Zierde des Ortes zu sein; es gab noch keine Börsen, Theater und Clubs, welche die Lebens=, oder vielmehr die Standesgenossen alltäglich versammelten. Beim Mangel an umfänglichen und gegen ein rauhes Clima gesicherten oder doch einigermaßen geschützten Räumen lag es in Zeiten aufblühenden Handels und gewerblichen Strebens nahe, daß die Landes= und Ortsobrigkeiten selbst mit dem Beispiele der Benutzung großer kirchlicher Gebäude und ihrer nächsten, gewöhnlich auch räumlichen und dabei abgeschlossenen Umgebungen für

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weltliche Zwecke vorangingen. Es kam hinzu, daß die Rathhäuser in manchen Städten nur ärmlich und unzweckmäßig erbauet waren, in anderen im Laufe der Zeiten wiederholt niederbrannten oder langsam umgestaltet werden mußten.

Wirklich wurden im 13. und 14. Jahrhunderte ziemlich häufig allgemein=bürgerschaftliche oder besondere corporative Versammlungen, auch landesherrlich=städtische, so wie auswärtige gesandschaftliche Verhandlungen in den Kirchen und auf den Kirchhöfen Norddeutschlands gehalten, und zwar nicht selten an Sonntagen, wie solche Handlungen in den neuerlich quellenmäßig bearbeiteten und edirten lübischen, meklenburgischen, pommerschen und andern norddeutschen Urkunden und Chroniken aus dem Zeitabschnitte von 1200 bis 1400 mehrfach vorkommm. Es wird sogar hin und wieder auf regelmäßige, häufige Versammlungen der Magistrate in den Kirchen und auf den Kirchhöfen geradezu urkundlich hingedeutet, wie im Jahre 1303 in Hannover 1 ) und im Jahre 1376 in der Stadt Neubrandenburg. 2 ) Außerdem legten Landesherrschaften und Magistrate, auch wohl einzelne Corporationen in manchen, namentlich norddeutschen und flandrischen, Kirchen - an denen damals der einzelne Bürger ein Stück Eigenthums zu besitzen glaubte - Archive und Registraturen an, verwahrten daselbst kostbare Kleinodien und andere für wunderbar oder doch werthvoll und selten gehaltene Dinge, z. B. Thiere von auffallender Größe und Beschaffenheit, wie Wallfische 3 ) und dergl.; auch Rüstungen, Waffen, Kleider und Fahnen wurden, wie noch jetzt einzelne Cathedralen in der Schweiz und in England 4 ) uns zeigen, als Siegeszeichen oder zur Erinnerung an Verstorbene, zuweilen auch wohl als bloßer Vorrath, in Kirchen niedergelegt, und andere Dinge der Art. Auch Privateigenthum ward in unruhigen Zeiten, in Fällen weiter Reisen oder doch längerer Abwesenheit der Eigenthumer von der Heimath, öfter auch blos in Rücksicht auf die feuerfesten und vermeintlich gegen Einbruch sichern Räume, in den Kirchen auf=


1) Bei Grupen, Orig. Hannov. p. 319 findet sich die urkundliche Aeußerung aus dem Jahre 1303: "Consules sive in theatro sive in cimiterio congregati sint".
2) Lisch, urkundl. Gesch. des Geschlechts von Oertzen, Bd. I, S. 154: "in cymiterio beate Marie virginis in Nova Brandenborch, in sedile consulum, situm et paratum apud chorum".
3) Vergl Cramer's Pommersche Kirchengeschichte, Bch. II, S. 90. Schröder's Papistisches Meklenburg, S. 1428, - Nachrichten über die "Wunder und Größe halber" geschehene Vertheilung der Knochen eines Wallfisches enthaltend, der im Jahre 1365 auf den Strand der Insel Usedom geworfen war.
4) Noch heute bemerkt man z. B. im Dome zu Bern die Trophäen von Murten; in der Cathedrale von Canterbury die Kleider und Waffen des schwarzen Prinzen.
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bewahrt. Unverkennbar hat hiebei die früher bei den Völkern fast aller christ=katholischen Länder gleichmäßig herrschende, von den Priestern genährte Ansicht mitgewirkt, nach welcher die Entwendung von Privatgütern und weltlichem Eigenthume überhaupt aus kirchlichen Räumen mit unter den rechtlichen Begriff des Kirchenfrevels (sacrilegium) fällt. Denn aus dieser Volksansicht floß natürlich der, seit dem 16. Jahrhundert vielfach enttäuschte, Wahn von fast vollkommener Sicherheit eines jeglichen in kirchlichen Räumen geborgenen Eigenthums. 1 )

Zu allem diesen kam der Einfluß des altkirchlichen Lebens: - ein fast täglicher, sinnlich erregender kirchlicher Dienst; ein zur Gewohnheit gewordener, in allen Classen der Städtebewohner ziemlich gleichmäßig stattfindender fast geschäftsartiger Besuch der Gotteshäuser; die nahe liegende Neigung der bürgerlichen Genossen, das Zusammentreffen in der Kirche nach beendigtem Gottesdienste auch zur Besprechung geschäftlicher Verhältnisse zu benutzen, da Börsen, Lesehallen, Casinos etc. . noch unbekannt waren. Ferner ist zu erwägen der durch kirchliche und weltliche Gesetze verbürgte Schutz der Kirche gegen Befehdung, die Heiligkeit der christlichen Gotteshäuser und die noch spät im Volke wurzelnde Ansicht vom Asylrechte der Kirchen, endlich die große Bedeutung der auch mit ihren weltlichen Interessen in der Nähe der Kirchen sich concentrirenden Kirchweihfeste, deren Jahrmarktstreiben im Laufe der Jahrhunderte an vielen Orten eine Zeit der größten Handelsbewegung ward. Bedenkt man dabei, wie entschieden die dem altkirchlichen Leben zum Grunde liegende mehr sinnliche, auf äußere Formen gerichtete religiöse Anschauung von der kirchlichen Obergewalt aus gefördert, befestigt und ausgebeutet ward, so läßt sich bei dem fast überall herrschenden Bedürfnisse nach großen und sichern Räumlichkeiten in den ersten Jahrhunderten eines rührigen Gemeindelebens die Entstehung und Verbreitung des Herkommens, die Kirchen und die Kirchhöfe zu weltlichen Zwecken zu nutzen, genügend erkennen und würdigen.

Hier wird nunmehr nach einzelnen Richtungen zu beweisen sein, in welchem Umfange und in welcher Bedeutung im Einzelnen dieses Herkommen sich in Meklenburg und dessen Nachbarschaft im Laufe der drei letzten Jahrhunderte erhalten und geltend gemacht hat.


1) Es wurden zwar anderer Seits zum Schutze der Kirchenschätze an manchen Orten während des früheren Mittelalters große Hunde in den Kirchen gehalten; - (siehe Grautoff's historische Schriften, Th. I, S. 255; Jahrbücher des Vereins für mekl. Gesch. Jahrg. III. S. 157) - allein es ist nicht erwiesen und auch nicht wahrscheinlich, daß diese Sitte allgemein und dauernd gewesen sei. - Dagegen liegt dem Begraben der Todten in und nahe bei den Kirchen ohne Zweifel die von den Priestern eifrig genährte Idee einer größeren Seligkeit, welche die Nähe der Kirchen mit ihren Seelenmessen bringt, zum Grunde.
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1. Das Verlesen der Gesetze und anderer weltlicher Dinge von den Kanzeln.

Als eine besonders bekannte, durch rechtswissenschaftliche Bedeutung interessante Erscheinung soll hier zunächst das Verlesen der Gesetze und anderer weltlicher Dinge von den Kanzeln herab betrachtet werden.

Seit dem Reformations=Zeitalter ließen nämlich, wie in den meisten protestantischen Ländern, so auch in Meklenburg, die Landesherren und Ortsobrigkeiten weltliche Verordnungen der verschiedensten Art durch die Geistlichen in den Kirchen gemeinkundig machen. Vieler Orten wurden weltliche Gesetze, oftmals nur von localem Interesse oder nur Polizeiliches betreffend, alljährlich zu bestimmten Zeiten wiederholt von den Kanzeln abgelesen. Ueberhaupt aber fand in Meklenburg die eigentliche promulgatio legis hauptsächlich auf diesem Wege statt und zwar bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Die zeitweise ergehenden Gesetze wurden nämlich in der Regel einzeln, jedoch nur in kleinen Auflagen, gedruckt und an die Ortsobrigkeiten vertheilt, mit der Aufgabe, sie durch die Prediger von den Kanzeln ablesen zu lassen. Nebenbei wurden die Gesetze gewöhnlich noch in einigen wenigen Exemplaren an öffentlichen Gebäuden zu Jedermanns Ansicht angeheftet. Bisweilen, besonders in späterer Zeit, ergingen die Publications=Befehle von den Landesherren direct an die einzelnen Geistlichen oder Superintendenturen. Dieses Verfahren bestand auch theilweise noch, nachdem schon (um 1760) die Zahl der Tagesblätter zugenommen hatte und eine Art officieller Blätter (sogn. Intelligenzblätter, Anzeigen etc. .) entstanden war, in denen auch die landesherrlichen Verordnungen nach und nach veröffentlicht wurden, bis man zu der Einführung selbstständiger Organe für die Publication und Sammlung der Gesetze und Verordnungen vorschritt.

Für die ursprüngliche Anwendung dieses Verfahrens, wo es nur von den Obrigkeiten ausgeht und in der Regel nur einigermaßen ernste und bedeutsame Dinge erfaßt, lassen sich Gründe der Erklärung, wie der Angemessenheit aus ziemlich bekannten Umständen des gesellschaftlichen Lebens dieser Zeit entnehmen. In Betreff der späteren Zeiten wird aber in Grundlage der hier folgenden Nachweisungen nicht zu verkennen sein, daß auch diese Einrichtung eine sehr mißbräuchliche Ausdehnung erfahren hat.

Da nun heutigen Tages nach Vieler Meinung die Quellen der Gesetzkunde für die große Masse der Bevölkerungen nur

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dürftig fließen 1 ), während doch das Wünschenswerthe einer allgemeineren Gesetzkenntniß im Volke nicht abzuläugnen ist, so mag hier vorübergehend die Frage erwähnt werden: ob in jenem ältern Verfahren von vorne herein ein bedenklicher Keim des Mißbrauches und ferner, ob in theilweiser Erneuerung dieses Publications=Modus für den heutigen kirchlichen Sinn etwas Anstößiges füglich gefunden werden könne? - Letzteres, in soweit es zweifelhaft erscheinen sollte, ob eine zweckmäßige, völlig genügende Gesetzpublication auch selbst auf dem Wege billiger, leicht zugänglicher Regierungsblätter zeither erreicht worden sei.

Die kirchliche Art der Bekantmachung der Gesetze hat sich in Meklenburg im Gefolge der Reformation mit der wachsenden Landeshoheit ausgebildet. Im Mittelalter fand überhaupt in Meklenburg so wenig, wie in den meisten andern deutschen Ländern, eine gesetzgeberische Thätigkeit im heutigen Sinne statt, man müßte denn die Landfriedensbündnisse, die gewöhnlich autonomischen Statuten der Corporationen, die zeitweise ergangenen Reichssatzungen u. a. d. A. hierher rechnen. Erst im zweiten, dritten und vierten Jahrzehent nach dem ewigen Landfrieden beginnen bei uns Gesetzgebung und Regierung von den nach freierer Landeshoheit strebenden Fürsten erfolgreicher geübt zu werden. Außerdem ging aber erst um diese Zeit die kirchliche Obergewalt auf die weltlichen Landesherren über und verlieh ihnen die Befugniß, durch unmittelbare Befehle, die Wirksamkeit der Landesgeistlichen zu leiten. Endlich war ein großer Theil des katholischen Cultus in einer fremden Sprache geübt worden, so daß auch in Beziehung hierauf eine kirchliche Bekanntmachung weltlicher Gesetze und sonstiger weltlicher Erlasse in der wenig ausgebildeten Landessprache der höheren Geistlichkeit wohl bedenklich erschienen wäre, und bei ihrer ziemlich unabhängigen Stellung den Landesherren gegenüber Widerstand gefunden hätte.

Jedenfalls ergiebt eine genaue Forschung in den gleichzeitigen Acten, daß z.B. die meklenburgische Polizeiordnung vom J. 1516 weder in ihrem gedruckten Texte, noch in den betreffenden


1) Die ältern umfänglichen Gesetzsammlungen der meisten deutschen Territorien sind selten und kostbar; überdies sind sie theilweise nicht mehr praktisch, auch nicht allgemein verständlich. Die Regierungsblätter bringen nur die neuesten Gesetze und können von der handarbeitenden Bevölkerung als für diese noch immer zu kostbar nicht gehalten werden. Das öffentliche Anschlagen von Gesetzen ist bis auf eizelne Fälle, besonders in Steuer= und Zollsachen fast ganz außer Uebung gekommen und wird, wo es geschieht, nicht selten unzweckmäßig vorgenommen. Der Weg, in Volksschulen. die Landesgesetzkunde in den Grundzügen zu lehren, scheint in Frankreich, England, Preußen, Baiern u. a. L. mit geringem Erfolge betreten zu sein. Möglichst niedrige Preise der laufenden Gesetzsammlungen und häufiges, zweckmäßig eingerichtetes Anschlagen von Gesetzen werden wohl mit Recht empfolen.
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schriftlichen Verhandlungen eine Verfügung über deren Bekanntmachung von der Kanzel herab enthält. Die Landesherren übersenden das (gedruckte) Gesetz den Ortsobrigkeiten mit der gemessenen Ermahnung, für Gelebung der neuen Ordnung möglichst zu sorgen, überlassen aber nach allem Anscheine die Art der Bekanntmachung den Obrigkeiten selbst nach jeden Ortes Herkommen. Weder in der Vorrede, noch in dem Beschluß des Gesetzes wird des Publications=Modus gedacht, indem es am Schlusse nur allgemein heißt: "Vorkundiget vnd mit genannter Forsten eins hyr vpgedruckten Ingesegel tho Orkund besegelt". 1 ) Ebenso findet sich in einer Reihe von Patenten der Herzoge Heinrich und Albrecht zu Meklenburg aus den Jahren 1520 bis 1540, betreffend Befehdung, Straßenraub, Aufgebot, Forst= und Jagdwesen u. s. w. so wie in den hin und wieder anliegenden Acten keine Spur einer etwa schon damals üblichen Bekanntmachungsweise von der Kanzel herab.

Ein ebenfalls gedrucktes Rescript des Herzogs Heinrich, vom Tage Johannis Baptistae 1523 datirt und an die Domanial=Beamte gerichtet, weis't diese an, das beifolgende christliche Gebet gegen "des Torcken gewaltsame und tyrannische Farnemen" allsonntäglich durch die Prediger ihres Amtes dem Volke "van deme Predigstole" vorlesen zu lassen. Allein dies Rescript sagt zugleich Eingangs ausdrücklich, es habe dies "Keyserlike Maiestet vnse allergnedigste Herrn verordent" u. s. w.; außerdem ward damals die Türkengefahr als allgemeine Sache der Christenheit und als das kirchliche Interesse unmittelbar ergreifend betrachtet, - eine Ansicht, welche noch um d. J. 1670 in der Anordnung von Bußtagen und Dankfesten, den Türkenkriegen geltend, hervortritt. Auf ein schon damals allgemein übliches Ablesen weltlicher Verordnungen von den Kanzeln kann aus diesem Rescripte demnach nicht gefolgert werden. Höchst wahrscheinlich geschah bis dahin die Bekanntmachung der Gesetze wesentlich durch Verlesung in den öffentlichen weltlichen Versammlungen der städtischen und anderer Gemeinden, wie der Aemter und Zünfte, in den Rathhäusern und Schulzenhöfen, auf den Märkten und Dorffreiheiten oder den Gerichtsstätten, so wie durch Anschlag an öffentlichen Gebäuden.

Erst um das Jahr 1549 scheint in Meklenburg der kirchliche Publications=Modus der Gesetze allgemeiner herrschend ge=


1) Man kennt in Meklenburg nur zwei gedruckte Exemplare dieses Gesetzes; eins findet sich auf der Universitäts=Bibliothek zu Rostock, eins im großherzogl. Archive zu Schwerin. Genauer beschrieben ist dieser von Ludwig Dietz zu Rostock gefertigte Druck von Lisch, Geschichte der Buchdruckerkunst in Meklenburg, in den Jahrbüchern des Vereins für mekl. Geschichte, Jahrg. IV. S. 144.
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worden zu sein. In dem Edicte nämlich der Herzoge Heinrich und Johann Albrecht zu Meklenburg vom 7. Mai 1549, gegen Landstreicher und Kriegsfröhner, so wie gegen unerlaubtes Jagen und Holzverwüstung gerichtet, wird zuerst das Verfahren der Bekanntmachung in der Verordnung selbst dahin vorgeschrieben:

"beuehlen vnd wollen hiermit, das alle vnsere Amptleute vnd Beuehlshabere in Stetten, Ampten, Flecken vnd Dorffern sollen diese vnsere Ordnung in allen Kirchen von Predigstulen vnd auch sonsten in vnser Underthanen ire Amptuorwanten Zusammenkünften vorkundigen vnd wortlichen vorlesen lassen".

Die letztere Bestimmung weiset wohl unverkennbar auf die bisher gewöhnlich übliche Weise hin, gesetzliche Bestimmungen dem Volke kund zu thun. - Die Acten über die gleichzeitig (im Jahre 1549) zwischen Brandenburg, Pommern und Meklenburg geschlossene Vereinbarung zur Erneuerung des kaiserlichen Landfriedens, in Verbindung mit einem Particular=Landfrieden der genannten Staaten, enthalten zwar eine ausdrückliche Vorschrift über die Art der Bekanntmachung nicht; jedoch deuten der in den Correspondenzen öfter vorkommende Ausdruck: "verkundigen" und andere Umstände darauf hin, daß auch dieses umfängliche Gesetz in allen genannten norddeutschen Ländern auf landesherrlichen Befehl von den Kanzeln verlesen worden sei. Die Herzoge Barnim und Philipp von Pommern ließen es unter dem Datum: Alten=Stettin am Tage Nicolai 1549 "in öffentlichen Druck ausgehen" und bestimmten dabei: "das solcher Druck das erste Jahr alle 4 Wochen und darnach alle Quatember in einer jeden Pfarrkirche, sowohl auf den Dörffern, als in den Städten und Flecken soll verlesen werden." 1 )

Seit dieser Zeit ist der kirchliche Publications=Modus bei uns durch drei Jahrhunderte herrschend geblieben und bald auf alle Arten obrigkeitlicher Verfügungen ausgedehnt worden. So erläßt z. B. der Herzog Johann Albrecht zu Meklenburg im Jahre 1561 ein (gedrucktes) Notificatorium zur Hinaussetzung des herannahenden Hof= und Landgerichtstages, und weis't in der Bekanntmachung alle Prediger an, diese Bestimmung "vor der gantzen Gemeinde von den Cantzeln" zu verkündigen.

Auch in Pommern ward schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts das Ablesen der Gesetze von den Kanzeln herab


1) Nach einem vorliegenden zweiten Abdrucke aus des Joh. Eichhorn Druckerei zu Alt=Stettin v. J. 1569 in Quart.
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allgemein üblich und auf Polizei=Vorschriften, Contributions=Erlasse u. s. w. ausgedehnt. So ließ Herzog Philipp im Jahre 1545 die Verordnung gegen den im Landvolke eingerissenen Kleiderluxus von allen Predigtstühlen seines Landes kundmachen; das landesherrliche Contributions=Edict vom Jahre 1551 ward, wie in allen pommerschen Städten, so auch in Stralsund von allen Kanzeln verlesen. 1 )

Bei Gelegenheit der im Jahre 1562 erlassenen meklenburgischen Polizei=Ordnung werden sämmtliche Stadt= und Gutsobrigkeiten gleichmäßig angewiesen, dieses Gesetz, "ohne Verzugk vonn der Cantzell inn den Kirchspielenn offentlich abkundigen, volgendts auch jerlichen zum weinigsten zwey Mal ablesen zu lassen." Ebenso wird in dem Vorworte zur revidirten Polizei= und Landordnung vom Jahre 1572 festgesetzt, daß dieselbe alljährlich zwei Mal an bestimmten Tagen "offentlich auf dem Rathhause oder von dem Predigtstule sol abgelesen werden."

In späterer Zeit wurden bisweilen sogar Patente auswärtiger Mächte von meklenburgischen Kanzeln verlesen. Wiederholt geschah dies im Stifte Schwerin. So erläßt der Administrator desselben, Ulrich III., unter dem 22. März 1626 den Befehl an die Superintendentur zu Schwerin, die beifolgenden zwei königlich dänischen Patente, die Händel des Herzogs Georg zu Braunschweig=Lüneburg betreffend, nicht nur von allen Kanzeln des Stifts ablesen, sondern auch an allen Kirchthüren anheften zu lassen.

Auch die von manchen norddeutschen Städten für ihre Gebiete selbstständig erlassenen Luxus=Gesetze, welche für das gegliederte und umschrankte Leben der mittleren Zeiten sehr bezeichnend sind, wurden in den Kirchen verlesen. In der Kleiderordnung der Stadt Lüneburg vom 4. December 1579, in der revidirten und verbesserten Hochzeits= und Kindelbiers=Ordnung der Stadt Rostock vom 29. August 1591, in dem rostocker "Mandat wider die Hoffart vnd Ueppigkeit, bevorab in Kleidungen" vom 6. März 1648 und in mehreren ähnlichen Statuten wird die vorgeschriebene Bekanntmachung von der Kanzel herab ausdrücklich erwähnt. Daß ein Verlesen solcher Gesetze, deren Wesen ein Eingehen in die kleinlichsten Weltlichkeiten bedingte, den kirchlichen Sinn der Zeitgenossen verletzt habe, kann kaum behauptet oder jedenfalls wohl nicht mit Sicherheit erwiesen werden, wohl aber ließe sich die Vermuthung des Gegentheils durch Verschiedene Umstände einigermaßen begründen.


1) Vergl. Mohnike und Zober, Stralsund. Chroniken, I. S. 89 und 129.
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Das Ablesen der weltlichen Verordnungen in den Kirchen blieb jedoch in Meklenburg, selbst in seiner Beschränkung auf landesobrigkeitliche Erlasse, nicht immer in unangefochtenem Gebrauche. Schon um das Jahr 1700 scheinen einzelne Geistliche überhaupt mit einigem Widerwillen sich dem häufigen Geschäfte der Verlesung oft umfänglicher oder bisweilen wenig erheblicher weltlicher Bestimmungen von der Kanzel aus unterzogen zu haben, indem in dieser Zeit z. B. Beschwerden von Domanialämtern gegen einzelne Landprediger wegen unterlassener Verkündigung der Königsbede (eine Abgabe gewisser ritterschaftlichen Güter an die benachbarten herzoglichen Aemter) wiederholt vorkommen. Diese Abneigung mancher Geistlichen, - vielleicht in der steigenden strenggläubigen Richtung der protestantischen Kirche oder in der bald folgenden Reaction des Pietismus mit begründet, - ward in der nächsten Zeit, da der Herzog Carl Leopold um seine "Fürsten=Souveränität" mit den Ständen kämpfte, sehr gesteigert.

Als nämlich das Regiment der kaiserlichen Commission in Meklenburg begann, nahmen die in Rostock sitzenden Subdelegirten unter Andern auch die landesherrliche Befugniß in Anspruch, den Landesgeistlichen die Publication der Contributionsedicte und anderer das Polizei=, das Domanialwesen etc. . betreffenden Verordnungen aufzugeben. Dies geschah namentlich in den Jahren 1723, im December 1724, im April 1726 u. s. w. Die Landesgeistlichen hielten aber, wie die Masse des niedern Landvolkes, treu an dem Herzoge Carl Leopold als ihrem legitimen Landesherrn fest und verweigerten die ihnen zugemuthete Bekanntmachung von Erlassen, welche nicht allein vom Landesherrn nicht ausgingen, sondern sogar theilweise gegen ihn gerichtet waren. Diese Händel haben auch dadurch einiges Interesse, daß in ihnen aufopfernde Volkstreue in gefahrvoller Zeit sich geschichtlich bewährt, welche sonst von Manchen mehr gelegentlich behauptet und sich angerühmt wird, als sie in den großen Nothzeiten, - z. B. in der Wallensteinschen Periode, wo ziemlich Viele von der eingebornen Ritterschaft in die Dienste des kaiserlichen Feldherrn traten - geschichtlich nachzuweisen ist. Damals, als Herzog Carl Leopold, gleichsam ein Verbannter, zu Danzig politischen Projecten nachhing und zugleich den Stein der Weisen suchte, den er niemals fand, ward im Heimatslande seinen Superintendenten und armen Landpredigern von den Subdelegirten zu Rostock scharf zugesetzt, wobei, wie jene klagen "die patroni nobiles denen Lüneburgern sehr gedienet". Gewöhnlich ließen die Subdelegirten damals die Commissionsedicte den Landesgeistlichen durch Notarien, häufig in

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Begleitung von Unterofficieren, insinuiren, wobei die Geistlichen mit eventuellen Geldstrafen bis zum Belaufe von 100 Rthlrn. bedrohet wurden. Einzelnen ward wirklich mehrmals die Execution angesagt, wofür sie die Gebühren erlegen mußten. Sie blieben aber standhaft und erklärten theils einzeln, theils in größerer oder kleinerer Gemeinschaft mit Amtsgenossen wiederholt:

"es stehe keinem aufrichtigen Prediger wohl an, Edicta zu publiciren, wodurch Serenissimi Autorität gekränkt wird; sie wollten in devotion nnd Treue Alles über sich ergehen lassen" etc.

Im Jahre 1738 sandte die kaiserliche Commission abermals den Superintendenten verschiedene, meistens gegen den Landesherrn gerichtete Patente zur kirchlichen Publication zu. Zugleich erging in einem kaiserlichen Decrete vom 28. April 1733 ein strenger Tadel über die meklenburgischen Geistlichen deshalb, weil sie das angeblich Kaiser und Reich beleidigende Manifest des Herzogs Carl Leopold vom 15. December 1732 von den Kanzeln verlesen hatten. Hieran war das kaiserliche Verbot geknüpft, ferner dergleichen herzogliche Manifeste zu publiciren, so wie das ausdrückliche kaiserliche Gebot, die Erlasse des kaiserlichen Commissars auf dessen Befehl zu verkünden, und zwar Alles bei Strafe der Cassation. Die Superintendenten weigerten sich dennoch, auf die ihnen zugemuthete Verlesung der Commissions=Erlasse einzugehen, um so mehr, als ihnen der Herzog Karl Leopold (11. Juni) ausdrücklich verboten hatte, solche Patente anzunehmen. Man belegte darauf die Besoldungen mehrerer Superintendenten mit Beschlag und drückte sie durch militairische Executionen. Sie verblieben aber in ehrenwerther Standhaftgkeit. Als darauf in Folge des Aufgebots des Herzogs im September 1733 ungeregelte Volksbewegungen gegen die fremden Truppen ausbrachen, ward die Sache endlich dahin beigelegt, daß die Prediger künftig keinerlei Verordnungen, weder kaiserliche, noch landesherrliche von der Kanzel ablesen sollten. Demgemäß wurden dieselben wenigstens 14 Jahre, bis zum Tode des Herzogs Carl Leopold, mit Geschäften dieser Art verschont. 1 )

Inzwischen war schon im Laufe des zweiten Reformations=Zeitalters eine ziemlich mißbräuchliche Anwendung des kirchlichen Publications=Modus mehr und mehr in der Art hervorgetreten und verbreitet, daß die Ortssobrigkeiten, die Magistrate und die Gutsherren, dem landesherrlichen Vorgange folgend, in ihrer Weise ebenfalls weltliche Erlasse aller


1) Vergl. Franck Altes und Neues Meklenburg, Buch XVII. S. 75 bis 77.
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Art namentlich auch Polizeivorschriften und Acte der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit durch die Geistlichen in den Kirchen verkündigen ließen. Noch mehr, einzelne Corporationen, ja sogar Privatpersonen ließen nach und nach immer häufiger gesellschaftliche und Privatangelegenheiten, wie Schuldsachen, Verkauf von Sachen, verlorne Gegenstände von den Kanzeln ablesen. Der Verfall des geistlichen Standes bei der Ungunst der seit dem westphälischen Frieden von weltlicher Leidenschaft mehr und mehr beherrschten Zeiten, die häufige Störung der öffentlichen Ordnung in schweren Kriegesläuften, wie noch mehr die gehemmte freie Entwickelung des kirchlichen und des Gemeinde=Lebens, hatten die meistens schwach dotirten, oft auch ungründlich gebildeten Geistlichen allgemach zur Ablesung der buntscheckigsten weltlichen Dinge willig gemacht, zumal mit solchem Ablesen, so weit es nicht eigentlichen obrigkeitlichen Erlassen galt, Sporteln verbunden waren.

Bald nach dem Schlusse des langen Krieges (um 1660) nahm das Unwesen dermaßen Ueberhand, daß sich endlich der in kirchlichen Dingen strenge Herzog Gustav Adolph veranlaßt sah, die nachfolgende Verordnung 1 ) an die Superintendenten zu erlassen, welchem Beispiele jedoch, wie es scheint, in dem schwerinschen Landestheile keine Folge gegeben ward. Die Verordnung lautet:

G. A. etc. . Vnsern etc. .

"Demnach bei allen Kirchen in vnsern Gebiet und Landen der unzulässiger Gebrauch hin und wieder eingeschlichen, daß nicht allein die ausgegangene Edicta vnd Constitutiones in Civilsachen, sondern auch sonst allerhand Privathändel offentlich von den Cantzeln abgekündiget vnd der Gemeine wissend gemachet werden; Wir aber solches gäntzlich abgeschaffet wissen, vnd hinführo nichtes, als was nur zu den Consistorial- vnd Kirchensachen gehöret und Gottes Ehr und der Menschen Seeligkeit angehet, von den Cantzeln wollen abgekündigt haben etc. . Alß ist unser gnädigster Befehl an euch hiemit, daß ihr bei allen eurer Inspection untergegebenen Predigern alsofort nach Empfangung dieses die Ordnung beschaffet, daß sie von nun an vnd hinführo nichtes ohn in den obgesetzten Fällen der Gemeine zu verkünden auff die Cantzel bringen, sondern bey wilkührlicher Straffe sich


1) Vergl. Bärensprung's Sammlung meklenburgischer Landesgesetze, Thl. I, Stück 3, S. 164; Parchimsche Gesetzsammlung, Bd. II, S. 156.
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dessen gäntzlich enthalten sollen. Daran beschiehet unser gnediger Wille vnd wir sind euch mit Gnaden gewogen. D. d. 15. Octobr. 1660."

Daß aber dieses Verbot weder von allgemeiner, noch von dauernder Wirkung gewesen sei, wird unten dargethan werden.

In den größeren Städten scheint im Ganzen mehr Maaß in der Benutzung des kirchlichen Publications=Modus gehalten zu sein, als in den kleinen Landstädten.

Gewiß ist indessen, daß in den beiden Seestädten Rostock und Wismar, schon in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts nicht bloß landesherrliche Verordnungen, besonders Contributions=, Türkensteuer=Edicte u. s. w., ferner die eigentlichen stadtobrigkeitlichen Verordnungen, unter diesen auch polizeiliche Erlasse, z. B. wegen Vorkauf, ansteckender Krankheiten, Aufforderungen zur Anhörung der Bürgersprache u. s. w. von den Kanzeln verlesen, sondern auch autonomische Bestimmungen von Corporationen sowie Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit an diesem Orte verkündiget wurden 1 ).

Dem privilegienreichen und seine gleichsam für reichsstädtisch geachtete Unabhängigkeit eifersüchtig bewachenden Rostock gegenüber mußten die Landesherren sich das Recht, daselbst von den Kanzeln herab Verordnungen gemeinkündig zu machen, in besonderen Bestimmungen der Erbverträge von 1573 und 1584 sichern 2 ).

In Sponsalien und Ehesachen wurden in der Regel dreimalige Citationen und zwar gewöhnlich an zwei verschiedenen Orten von der Kanzel verlesen. Als z. B. Jürgen Enitz im Jahre 1594 seine Braut Margaretha Tutow aus Warnemünde verlassen hatte und das Gerücht ging, "er lasse sich zuweilen in Wismar sehen", verfügte das Consistorium an den Prediger zu Warnemünde und an das Ministerium zu Wismar: "Du wollest dieselbe Citation zu dreien Malen offentlich von der Cantzel an drei Sonntagen ablesen, folgents auch an die Kirchthüre heften lassen, vnd dann einen schriftlichen Schein, das solchs also geschehen, uns zufertigen". Solche Erlasse des Consistoriums mochten später mit ziemlicher Leichtigkeit auszuwirken sein; wenigstens kommen während des dreißigjährigen Krieges, zumal in den Jahren 1637 bis 1639, bisweilen in dem Zeitraume von we=


1) Vergl. Burmeister, die Bürgersprachen der Stadt Wismar, (das. 1840. 4.) Vorrede, IV.
2) Erbvertrag mit der Stadt Rostock vom 28. Febr. 1584, Art. 94: "Es will auch der Rath die Fürstl. Mandata und Befehliche, so die regierende Landesfürsten nach fürfallender Gelegenheit in der Stadt Rostock anzuschlagen oder von der Kanzel abkundigen zu lassen ihme zuschicken werden, publiciren vnde anschlagen lassen".
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nigen Monaten in demselben Amte drei bis vier an Bauermägde "vom hochlöblichen Consistorio mitgetheilte, in der Kirche abgelesenen Ladungen" vor, welche die "bey dem betrübten Kriegeswesen ausgetrettenen oder verloffenen" Verlobten zu erscheinen mahnten. In Ehesachen ward dasselbe Verfahren beobachtet. Der Herzog Gustav Adolph übertrug z. B. im Jahre 1665 die Ehescheidungssache des v. Viereggeschen Bauern Stephan Greve zu Weitendorf "wegen ietzigen des Consistorii Zustand" einer Commission. Diese ließ das vor 9 Jahren entlaufene Weib des Bauern zugleich im Dome zu Güstrow und in der Kirche zu Weitendorf von den Kantzeln herab nach geendigter Predigt citiren, auch demnächst die Citation an den Kirchthüren anschlagen. 1 ) Ein ganz ähnliches Verfahren scheint in Pommern geherrscht zu haben; namentlich kommt es zu Stralsund noch im Jahre 1732 in gleichzeitigen Acten vor. Auch fand überhaupt zwischen Pommern und Meklenburg eine vielgeübte Gegenseitigkeit in der Ausführung der auf das Verlesen und Anheften der Edictal=Citationen in Ehesachen gerichteten Requisitionen statt.

Befremdender als dieses Verlesen von Sponsalien= und Ehesachen in den Kirchen muß das kirchliche "Abbieten von Häusern" erscheinen, wie es in vielen meklenburgischen Städten im Laufe des sechszehnten Jahrhunderts zur Auffindung von Käufern oder zur Sicherung gegen Ansprüche Dritter üblich ward. In dem Privatprocesse eines Bürgers zu Wesenberg aus dem Jahre 1580 wegen eines städtischen Grundstückes daselbst, wird nicht nur das in diesem Falle geschehene "offentliche Aufbieten von Haus und Hoff von der Cantzell" behauptet, sondern auch als dort allgemein gebräuchlich bezeichnet. Zu veräußernde städtische Aecker wurden ebenfalls damals von der Kanzel abgekündigt. Demgemäß ertheilte die Juristen=Facultät zu Rostock (1582?) an des Günther von Wulfrath Wittwe zu Malchin wegen eines streitigen Grundstücks die Belehrung: "Hat L. T. ein Stück Ackers, ohne vorhergehende Aufkündigung von der Canzel heimlicher Weise verkauft und in das Stadtbuch zu Malchin verzeichnen lassen, so ist berührter Kauf zu Rechte unbeständig und von keinem Wirden" 2 )

Daß dieses Verfahren in größeren Städten gleichfalls gegolten, wird ausdrücklich bezeugt. So heißt es in den Fragstücken


1) Die Consistorial=Ordnung vom J. 1570 enthält keine Vorschriften über das formelle Verfahren bei Erlassung von Citationen, sondern spricht nur von "rechtlichen Vorladungen", vom "Citiren der Abwesenden per edictum" u. s. w.
2) Mantzel, Selecta Juridica Rostochiensia, I, pag. 96.
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eines Prozesses wegen der Pachtgelder des Rathskellers zu Parchim aus dem Jahre 1618: "Wahr, daß nach solchem Taxt das Hauß von der Cantzell altem Parchimschen Stadtgebrauch nach, damitt sich ein Käuffer angeben konthe, abgekundigt worden sey". Die Statuten der Stadt Parchim schreiben auch in der neueren Redaction (aus dem 17. Jahrh.) in §. 19 das Aufbieten der zu veräußernden Grundstücke "von der Cantzel oder sonsten auf andere Wege" ausdrücklich vor. 1 ) Im Jahre 1589 berichtete der Magistrat zu Plau an den Herzog Ulrich, welcher eine neue Gesetzgebung beabsichtigte, über die zu Plau geltenden Rechtsgewohnheiten unter anderm: "Wenn allhie stehende Erbe oder liegende Güter verkauft werden, also werden dieselben öffentlich von der Cantzel abgekündigt, damit es Mennichlichen wissent, sich auch die nächsten Agnaten oder Freunde nicht ihrer Unwissenheit halber zu beklagen". 2 )

Ohne Zweifel ist demnach ein solches kirchliches Abbieten städtischer Grundstücke vieler Orten gebräuchlich geworden, meistens auf bloßen Antrag von Privatpersonen ohne Concurrenz der Obrigkeit geschehen, und hat lange Zeit keinerlei Anstoß erregt. Die um sich greifende Sitte des kirchlichen Ablesens von weltlichen Dingen hat aber noch viel weiter geführt!

In manchen Städten wurden unbedenklich auch Privatschuldsachen abgekündigt. So ließ nach Acten der Stadt Neukalden, den Abschoß betreffend, im Jahre 1611 der Bürger Guntzel von Eitzen, als er von Neukalden nach Malchin zog, "offentlich von der Cantzell proclamiren, daß wer Baltzer Niemann sehligen - (dem ersten Manne der Ehefrau des G. v. Eitzen) - mit Schulden verhafft, der oder die sollten in kurtzer angesetzter Frist sie abstatten und bezahlen". Ein ähnlicher Fall kommt um das Jahr 1620 in Acten der Stadt Teterow vor. - Gerichtliche Vorladungen in Concurssachen scheinen vielfach und lange in den Kirchen verlesen zu sein. Die meklenb. schwerinsche Kammer läßt z. B. noch im Jahre 1689 in Concurssachen des verstorbenen Zöllners Joachim Koenigk zu Zarrentin wiederholt Vorladungen zur Anhörung des Prioritäts=Erkenntnisses in der Kirche zu Zarrentin durch den dortigen Prediger Andreae bekannt machen, worüber dieser amtliche Zeugnisse ausstellt.

Ueberhaupt wurden in den kleinen Landstädten noch in neuerer Zeit manche seltsame Dinge von den Kanzeln aus obrigkeitlich proclamirt. Noch gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts ließ z. B. der Magistrat zu Grabow markt= oder forstpolizeiliche


1) v. Kamptz, mekl. Civilrecht, Bd. II, S. 227.
2) Westphalen, Monumenta inedita, Tom. I, p. 2096.
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und ähnliche Verordnungen in den Kirchen alljährlich oder nach den Zeitumständen ablesen, wie z. B. die sogenannte Holzordnung (v. J. 1598) die Nutzung des Hornwaldes betreffend, außerdem Vorschriften über die Mast in diesem Walde, über die Anzahl der daselbst einzutreibenden Schweine u. s. w. Das Domanial=Amt zu Grabow ließ dort seiner Seits um das Jahr 1660 ähnliche Verordnungen von der Kanzel proclamiren, z. B. daß Niemand die Gärten bestehlen solle; oder: daß man sich der Fischerei in der Elde an bestimmten Stellen "nicht gebrauchen solle". Noch im J. 1714 ließ der Grabower Magistrat die in ihren Acker=Parzelen vermeintlich laedirten Bürger von der Kanzel vorladen, "den 3. Juli ihre Mängel an Aecker und Wiesen in versammleten Raths=Collegio ad protocollum zu melden".

Dagegen ward von der Geistlichkeit einzelner größerer Städte zu derselben Zeit das Unangemessene in manchen obrigkeitlichen Wünschen oder Aufträgen hinsichtlich der bisher üblichen kirchlichen Publicationen richtiger erkannt und hervorgehoben. So beschwert sich der Superintendent Schumann zu Schwerin unter den 22. Juli 1719 bei der herzoglichen Regierung gegen die Schweriner Justiz=Canzlei, welche ihm aufgegeben habe, in der Domkirche ein Verbot des Magistrats wegen eingerissener Mißbräuche bei der Erndte=Nachlese von der Kanzel zu publiciren. Niemals - sagt Schumann - sei seines Wissens etwas im Dome Namens der Stadtobrigkeit von der Kanzel verkündiget, sondern nur im Namen der hohen Landesobrigkeit; überdies beziele das Verbot des Magistrats "nur einen geringen zeitlichen Nutz;" der Rath könne diese Verordnung füglich an das Rathhaus heften lassen etc. . Es ward darauf der Superintendent am 15. August d. J. von der herzoglichen Regierung dahinbeschieden: "er habe Recht gethan, das Verbot des Magistrats nicht im Dome zu publiciren; jedenfalls habe der Magistrat zuvor wegen Gestattung solcher Bekanntmachungen im Dome sich an die herzogliche Regierung zu wenden etc. .

Wie weit eine ursprünglich angemessene, einst gleichsam nothwendige Einrichtung bei schrankenloser Ausdehnung führen kann, nachdem sie im Laufe der Zeit eine gewisse herkömmliche Geltung auch in der mißbräuchlichen Richtung erlangt hat, zeigt hinsichtlich des vorliegenden Gegenstandes die folgende Thatsache, welche heute zu Tage als eine läppische Ausschweifung erscheint, übrigens actenmäßig vorliegt und nicht vereinzelt dastehen dürfte. Ein Wismarscher Bürger läßt guten Glaubens in einem Privatprocesse die göttliche Hülfe zum gedeihlichen Ausgange des Rechtsstreits von der Kanzel herab erflehen und demnächst in

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der Kirche auch seinen Dank gegen die Gottheit in derselben Sache verkündigen! In dem vom Jahre 1624 bis 1630 geführten fiscalischen Processe gegen den Wismarschen Bürger Johann Rudolph, der beschuldigt war, verächtliche Reden gegen landesherrliche Erkenntnisse geführt zu haben, heißt es in den Fragstücken zum Zeugenverhör vom Jahre 1626 wörtlich:

"Ob Angeclagter nicht vor Eröffnunge des Urtheils (- in einer diesem fiscalischen Processe vorhergehenden Rechtssache -) den lieben Gott um ein gutes Erkenntniß in der Kirche zu Sternberg habe bitten lassen,
und ingleichen, ob er nicht nach erlangten obsiegellichen Urtheil in den Kirchen zu Wismar und Sternberg Zettull auf die Cantzell geschickt vnd in offener Gemein dem lieben Gott offentlich danken lassen."

Beide Puncte werden von mehreren Zeugen als richtig bejaht!

Solchen Vorgängen nach darf man es für völlig glaubhaft halten, wenn noch im Jahre 1733 bei Gelegenheit des oben erwähnten Verfahrens gegen die meklenburgischen Geistlichen wegen verweigerter Ablesung der kaiserlichen Commissions=Patente ein Rechtsgelehrter in seinem Gutachten u. A. sagt: "es kündigten die Prediger ja wohl von den Canzeln ab, wenn etwa Jemandem ein Pferd verlaufen sei u. s. w. 1 ) Daß damals Auctionen an mehreren Sonntagen vor dem Beginne des Geschäfts in den Kirchen von den Predigern angezeigt seien, wird in gleichzeitigen Protocollen öfter ausdrücklich angeführt.

In manchen benachbarten Territorien, namentlich den lübeckischen, lauenburgischen und schleswig=holsteinischen Gebieten, hat sich der Gebrauch der kirchlichen Bekanntmachung weltlicher Privatsachen noch später, als in Meklenburg erhalten. So wird z. B. noch im Jahre 1802 ein Einwohner des damals zum Stifte Lübeck gehörigen Dorfes Alt=Bukow wegen der von ihm nachgesuchten Publication des von seinem verstorbenen Stiefvater in der Stiftsvogtei niedergelegten Testaments dahin beschieden: "daß der 20. December dazu angesetzet sey und Supplicant dieses in dreyen Kirchen solle verkündigen lassen". Dieser zeigte jedoch dem Stiftsgerichte an, daß solche Bekanntmachung in Meklenburg nicht mehr gebräuchlich sei und ließ den Termin in den meklenburgischen sogenannten Intelligenz=Blättern verkündigen.


1) Vergl. Franck, Altes und Neues Meklenburg, Buch XVIII, S. 76.
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Der größte Mißbrauch mit den ortsobrigkeitlichen Bekanntmachungen von der Kanzel aus mag früherhin auf dem platten Lande, bei oft bedenklicher Abhängigkeit mancher Geistlichen von den Patronen oder einzelnen einflußreichen Eingepfarrten getrieben worden sein. Die einzelnen Grundherren sprachen das Recht, ihre obrigkeitlichen Erlasse - oder vielmehr, was sie dazu stempelten - ebenfalls von der Kanzel herab gemeinkündig zu machen, unbedenklich an und machten leicht begreiflich in weitem Umfange von diesem ihrem vermeintlichen Rechte Gebrauch. Bei der an sich schon mehr niedern Richtung der gewöhnlich sehr beschränkten patrimonialen Wirksamkeit mußte hier namentlich das landwirthschaftliche Interesse oft Gegenstand der kirchlichen Publication werden. Zwei Beispiele mögen genügen:

Mathias Vieregge auf Roßwitz processirte um das J. 1594 mit Richard von der Schulenburg auf Subzin wegen der Wiesen und des Fischteiches zu Korleputt. In den Fragstücken, welche der Letztgenannte zum Zeugenverhöre im Jahre 1595 stellte, sagte er u. A.

"Wahr, das er auch solche Hegung seines oberwähnten Fischteiches jharlich vff Philippi vnd Jacobi durch die Prediger inn der Kirchen zur Rekenitz, dahin auch des Beclagten Pawern gehören, von der Cantzell nach landtsittlichen Gebrauch offentlich abkundigen vnd Jedermenniglichen verwarnen lassen, daß sie der Hütung vnter andern auch an seinem Kurleputer Fischteiche sich enthalten sollten" etc. .

In dem Zeugenverhöre eines Prozesses der Restorf auf Bolz wider die Restorf auf Radepohl wegen der Gildeländer zu Wessin v. J. 1588, sagen mehrere Zeugen gleichmäßig aus:

"Sagt, er wisse wohl, daß die Junckern von der Cantzell abkundigen lassen, daß die Pauren sich der Zelgen (von gewissen Eichen) abzuhauwen nicht vnderstehen sollten, vnd da sie darüber betretten, wollten sie dieselben pfanden" etc. .

Wie das Consistorium in Sponsalien und Ehesachen, so ließen die Patrimonial=Gerichte in strafrechtlichen Prozessen Vorladungen von den Kanzeln ergehen. Die Rostocker Juristen=Facultät ertheilte in einer Untersuchungssache wegen Tödtung den v. Rieben auf Galenbeck am 14. October 1581 die Belehrung: daß der entwichene Todtschläger in ihrem Gebiete von der Kanzel zu citiren sei. 1 ) Um das J. 1640, als man die vielen "ausgetretenen" Verlobten der Bauermägde citirte,


1) Mantzel, Selecta Juxidica Rostock. I. p. 96.
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wurden öfter auch Todtschläger und Diebe von den Kanzeln aus vor die Patrimonial=Gerichte geladen. Als eine verwandte Bestimmung erscheint die in dem Edicte des Herzogs Gustav Adolph vom 10. März 1666 enthaltene Vorschrift: daß die Prediger "sowol an denen Orten, da die Mordthaten geschehen, als auch in denen Städten, da die Mordachten publicirt und angeschlagen worden, der Gemeinde öffentlich die Kraft und Wirkung der Mordacht erklären sollen, damit Gott versöhnet und das Land gereiniget werde."

Ebenso wurden Militär=Sachen von der Kanzel verlesen. Es heißt z. B. in §. 25 des vom Herzoge Friedrich Wilhelm erlassenen Reglements für die Landmilice vom J. 1711: "Wann künftig die Compagnien auf einen gewissen Tag und Ort zusammen kommen sollen, alsdann wird solches den Sonntag vorher durch den Prediger von der Cantzel abgekündiget."

Bisweilen ward von den landesherrlichen Oberbehörden selbst die Benutzung der Kanzel in Privatangelegenheiten der Unterthanen ziemlich weit ausgedehnt. So erließ z. B. die herzogliche Kammer in Schwerin noch im J. 1707, als der Krüger Heinrich Ihde zu Sülten durch seinen Schwager Claus Dahl böswillig berüchtigt war, als sei er ein Mörder und Bösewicht, wodurch er angeblich großen Schaden an Ehre und Nahrung erlitten hatte, Befehl an die benachbarten Prediger zu Uelitz, Sülstorf, Wahrsow und Pampow dahin: daß sie das beifolgende landesherrliche Patent, enthaltend eine restitutio famae des Heinrich Ihde, zu Rettung seiner Unschuld und damit er nicht seine Nahrung ferner verlieren möge, von den Kanzeln den Gemeinen öffentlich kund thun sollen. Ja, es ward dem Krüger sogar gestattet, das Patent mit einigen angemessenen Aenderungen drucken und so hin und wieder sonstig im Lande verbreiten und von dem Kanzeln abkündigen zu lassen.

Auch landesfürstliche Privatsachen wurden oft auf diese Weise veröffentlicht. So ließ z. B. um dieselbe Zeit der zu Rostock residirende Herzog Friedrich Wilhelm daselbst in allen Kirchen folgenden Erlaß von den Kanzeln publiciren:

"Demnach ein Paar Diamanten Ohrringe, oben mit 2 runden Rosen vnd 2 Hertz=Rosen daran hangend, so Ihr hochfürstl. Durchlaucht Zuständig, verlohren worden, alß wird ein Jeder, wer solche gefunden oder Wissenschaft darümb hat, erinnert, solches anzuzeigen, und sich desfalß bei Unsern Hoff=Juden Michel Hinrichsen hieselbst anzugeben, da dann nicht allein dem Finder oder Anzeiger deßelben von gedachtem Hoff=Juden zweihundert Rthlr. zum recompens sofort bahr

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bezahlet werden sollen, sonder er hat sich auch dabey aller fernern fürstlichen Gnade zu versichern. Sollte aber solches von Jemand verhelet und verschwiegen, und hienechst über kurtz oder lang doch offenbar werden, Derselbe hat Ihr Durchl. Ungnade und straffe ohnfehlbahr zu gewarten."

Im Allgemeinen wurden jedoch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit der vorschreitenden, auf Staatseinheit und Romanismus vieler Orten zu sehr hingetriebenen Entwickelung des modernen Staatslebens von den Regierungen und Landesgerichten unter manchen ortsobrigkeitlichen Mißbräuchen auch die in den Kirchen bisher üblichen Bekanntmachungen, besonders in Privatsachen, nach und nach eingeschränkt. Anscheinend haben hiebei die damals oft überschätzten Lehrsätze und Ansichten, welche von den die Rechtswissenschaft beherrschenden Romanisten ausgingen und unter Andern auch über die "General=Publication der Gesetze" gelegentlich vorgebracht wurden 1 ), mitgewirkt, indem man zugleich von der früheren Weise der möglichst allgemeinen und immer sorgsam angeordneten Bekanntmachung der Gesetze abwich.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ward aber im Gefolge der, seit dem politischen Untergange des Herzogs Carl Leopold in Meklenburg wenig verminderten "Landeszerrüttung" der von den Kanzeln herab getriebene Unfug mit dem Abkündigen privater, für die Kirche ungehöriger und oft an sich ganz unbedeutender Dinge zeitweise ärger, als zuvor. Ohne Zweifel hat die in den drangvollen Zeiten von 1718 bis um 1750 vernachlässigte Pflege des Kirchenwesens - das "Taxiren von der Kanzel und das Conserviren der Priestertöchter bei denen Pfarren" bestand noch - hierauf besonders eingewirkt. Selbst noch nach dem Abschlusse des Erbvergleichs war auf dem platten Lande das Abkündigen verlorener, käuflicher oder gestohlener Sachen, vorzunehmender Versteigerungen, zu verkaufender Feldfrüchte, Baumaterialien und dergl. an der Tagesordnung. Herzog Friedrich erließ endlich zuerst um das Jahr 1760 generelle Verbote dieses Unwesens und


1) So findet sich z. B. bei Leyser, Meditationes ad Pand. Vol. I. spec. 7, pos. 2 ein Erachten der Juristen=Facultät zu Wittenberg vom Jahr 1709, worin u. A. deducirt wird, daß eine General=Publication der Gesetze genüge: "es ist genug, wenn der Landesherr am Orte seines Aufenthalts die gemachten Verordnungen verlesen, anschlagen, durch den Druck oder copeyliche Abschriften hin und wieder bekannt machen läßt" etc. . Zugleich bildeten sich die Lehrsätze aus: "non est necesse, ut lex in omnibus pagis, vel oppidis affigatur, aut proclametur; - promulgatio legis ab eo, qui in ea se fundet, non est probandum." Vergl. Müller, Promptuarium juris, Tom. VII. p. 918.
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suchte es dann, da jene unwirksam blieben, durch eine besondere geschärfte Verordnung gänzlich aufzuheben. Sie ist vom 4. December 1776 datirt, an die Schweriner Superintendentur gerichtet und lautet:

"Da dem Vernehmen nach Unsers hiebevorigen generalen Verbotes ungeachtet in einigen Kirchen sowohl in Städten, als auf dem Lande die Ehrnprediger auf Privatbegehren allerhand geringfügige Nachrichten von Kauf und Verkauf, Auctionshaltung und dergleichen nach der Predigt von den Canzeln gemeinkundig machen, wodurch die Andachten unterbrochen und die Gemüther der Zuhörer in Gedanken, welche nicht für den Gottesdienst gehören, zerstreuet werden; so befehlen Wir euch gnädigst, Unsere gnädigste Willensmeinung, daß dergleichen Anzeigen von den Canzeln gänzlich wegbleiben sollen, wiederum ernstlich in Erinnerung zu bringen, und wenn ihr dennoch dergleichen Unfug künftig erfahren solltet, Fiscali Consistorii davon Nachricht zugehen zu lassen. Wornach ihr euch zu richten" etc. 1 )

Das Verlesen der Landes=Gesetze von der Kanzel herab hat in Maßgabe des Herkommens und der in §. 424 des landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs vorbehaltenen landesherrlichen freien Bestimmung hinsichtlich der Art der Veröffentlichung, wenigstens in einzelnen Fällen, bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts und darüber hinaus in Meklenburg fortgedauert, obgleich schon um das Jahr 1790 manche Gesetze neben öffentlichem Anschlag auch in den Intelligenzblättern bekannt gemacht wurden. Bei der in der Natur der Sache liegenden Mißlichkeit, die kirchliche Gesetzpublication plötzlich und gänzlich aufzuheben, - welche durch die gleichzeitige Entwickelung mehrfacher reformatorischer Bestrebungen auf dem Staats= und Kirchengebiete erhöhet ward, trat gegen Ende des vorigen Jahrhunderts auch in dieser Angelegenheit das Schwanken einer Uebergangszeit hervor. In einer landesherrlichen Verordnung vom 6. Juli 1779 wird die von den Predigern zeither häufig unterlassene Ablesung der Patent=Verordnung vom 12. November 1774 "zu Abstellung des feuergefährlichen Tabackrauchens" gerügt, und zugleich


1) Abgedruckt in Schröders neuester Gesetzsammlung, Th. I. S. 7. Vergl. Siggelkow, Handbuch des meklenb. Kirchen= und Pastoral=Rechts, 3. Aufl. 1797. 8. S. 152, woselbst bemerkt wird, daß einige Ausnahmen von der Regel landesherrlich befohlen oder erlaubt seien; z. B. den Predigern der Ribnitzer Präpositur sei die Abkündigungvon den ritter= und landschaftlichen Gütern zu erlegende Königsbede gestattet.
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für die Zukunft die regelmäßige Verkündigung der neuerdings in dieser Sache ergangenen Verordnung an jedem ersten Sonntage nach Neujahr anbefohlen. 1 ) Ein Regiminalbescheid vom 18. Juli 1785 "wegen Ablesungsart der älteren Patent=Verordnungen von der Kanzel" erklärt, daß die unter der vorigen Regierung anbefohlene jährliche Verlesung einzelner landesherrlicher Verordnungen, z. B. wegen Abstellung der Ueppigkeiten bei den Zusammenkünften der Domanial=Unterthanen, wegen der Sabbathsfeier, wegen Armenversorgung und Abstellung der Bettelei, wegen "feuergefährlichen Tabackrauchens" u. s. w. auch fernerhin stattfinden solle. 2 )

Das nun vorherrschende Widerstreben der Prediger - denn Nachlässigkeit war es wohl nicht allein - gegen dergleichen Bekanntmachungen von der Kanzel wird demnächst in einer Verordnung vom 11. November 1786 dahin bedeutet: Die neueste Patent=Verordnung "wegen Abstellung des feuergefährlichen Tabackrauchens" künftighin jährlich zwei Mal nach geendigter Vormittags=Predigt - bei Vermeidung einer Strafe von 4 Rthlr., jedoch mit Weglassung des blos historischen Prologus und Epilogus der Erneuerungen abzulesen 3 ). Dann wird schon unter dem 28. März 1789 landesherrlich ferner bestimmt, daß die Verkündigung der größeren Patent=Verordnungen von den Kanzeln herab "künftig statt der wörtlichen Verlesung nur mittelst kurzen Auszuges, ihrem Hauptinhalte nach" geschehen solle. 4 )

Noch unter dem 11. März 1801 wird die Vernachlässigung der vorgeschriebenen Ablesung namentlich der Verordnung gegen das Tabackrauchens gerügt und die vorschriftsmäßige Verkündigung abermals eingeschärft; ja in einer Nachschrift zu eben dieser Verordnung werden die Superintendenten angewiesen, die Prediger überhaupt an die ihnen obliegende jährliche Verlesung der herzoglichen Patente "ernstlich zu erinnern" 5 ).

Die seit dem Jahr 1806 hereinbrechenden stürmischen Zeiten machten auch in den meklenburg=schwerinschen Landen eine ungewöhnliche Erweiterung und Beeilung in der Thätigkeit der Gesetzgebung und Verwaltung nothwendig; sie haben die fast gänzlicheAufhebung der Sitte des Ablesens der weltlichen Verordnungen von der Kanzel herab bei uns herbeigeführt. In der landesherrlichen Zuschrift an den engeren Ausschuß


1) Schroeders neueste Gesetzsammlung, Thl. I. S. 20.
2) Schroeder, a. a. O. S. 124.
3) Schroeder, a. a. O. S. 141.
4) Schroeder, a. a. O. S. 193. 194.
5) Schroeder, a. a. O. S. 296. 297.
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vom 16. Januar 1812 1 ), betreffend das an demselben Tage erlassene Gesetz über die Publication allgemeiner Verordnungen und Edicte wird gesagt:

"Daß bei der durch die bedrängten Zeiten veranlaßten Vermehrung allgemeiner Verordnungen das Unbehülfliche und oft Unzureichende des bisherigen Ganges ihrer Publication sich nur zu sehr veroffenbart" habe, weshalb künftig ein eigenes officielles Blatt zur schnelleren und allgemeinen Bekanntwerdung allgemeiner Gesetze auch anderer Notificatorien der Oberbehörden erscheinen werde.

Das "officielle Wochenblatt" ist demnächst noch im Jahre 1812 ins Leben getreten und seit dem Jahre 1813 bis auf die Gegenwart regelmäßig fortgeführt worden. Dem Vernehmen nach werden indessen einzelne Verordnungen vorschriftsmäßig noch heutiges Tages in Meklenburg=Schwerin von den Kanzeln verlesen, wie namentlich die Verordnungen vom 20. Mai 1768, 30. December 1769, 14. November 1782, 15. April 1788. 15. Juli 1800, 24. Juli 1818 und 1. December 1838; ob jedoch Gleichmäßigkeit und strenge Nachachtung in dem Ablesen dieser Verordnungen von Seiten der Prediger in den verschiedenen Landestheilen beobachtet wird, steht dahin.

In den meklenburg=strelitzschen Landen hat sich das alte Herkommen der kirchlichen Bekanntmachung weltlicher Verordnungen und Privatsachen länger erhalten. Die Regierung des Fürstenthums Ratzeburg erließ noch unter dem 29. November 1805 eine Verordnung über die "Gebühren der Prediger 2 ) für die von den Kanzeln zu verlesenden Bekanntmachungen in Privat=Angelegenheiten," in welcher auch die unbedingte Verpflichtung der Prediger zur vollständigen, nicht auszugsweisen, und dabei unentgeldlichen Verlesung aller ihnen zu dem Zwecke von den Landescollegien und Aemtern zugehenden Erlasse ausgesprochen wird. Nach einer weitern herzoglichen Verordnung vom 6. Februar 1811 hatten aber damals die Prediger im Fürstenthum Ratzeburg Beschwerde geführt über die Schwächung und Verhinderung der religiösen Erbauung durch das Ablesen der weltlichen Bekanntmachungen von den Kanzeln. Um nun das zu entfernen, "was der Würde


1) Dittmar's Sammlung Neuerer Gesetze und Urkunden, Bd. II. S. 178.
2) Für dreimalige Verlesung von 1 Bogen starken Bekanntmachungen in Privatsachen sollen die Prediger 12 ßl. dän. Cour. erhalten; - ist die Bekanntmachung über 1 Bogen stark, sollen sie 16 ßl. bekommen; für einmaliges Verlesen nur 3 resp. 4 ßl. Jedoch soll die Bezahlung nicht im Voraus stattfinden, sondern nachträglich.
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und dem Zwecke des Gottesdienstes zuwider ist," wird die Verordnung vom 29. November 1805 dahin erläutert: daß die Bekanntmachungen zwar noch ferner in der Kirche geschehen sollen, jedoch nicht mehr von der Kanzel aus, sondern an einem schicklichen Platze, nach völlig beendigtem Gottesdienste und wenn der Prediger es wünscht, durch den Küster, welcher alsdann die Gebühren erhält.

Endlich ward auch hier das freilich schon ziemlich umgestaltete alte Herkommen mittelst einer Verfügung der Landvogtei des Fürstenthums Ratzeburg vom 27. November 1830 dahin aufgehoben: "Daß von Neujahr 1831 an alle Verordnungen und Bekanntmachungen lediglich durch das neue (Bickersche) Intelligenzblatt geschehen sollen und eine andere Art der Publication nicht weiter stattfinden wird."

Es ist auffallend, daß in Meklenburg=Strelitz selbst erst im Jahr 1838 ein officielles Wochenblatt eingeführt worden ist, nachdem unter dem 4. November 1837 ein großherzogliches Rescript an den Engern Ausschuß 1 ) dieserhalb ergangen war, in welchem unter Andern auf die "bisherige umständliche und lästige Art und Weise der Promulgation" hingewiesen wird.


2. Rechtsgeschäfte und Handelsverkehr in den Kirchen und auf den Kirchhöfen.

Die früher vorherrschende Bekanntmachung obrigkeitlicher Verordnungen und anderer weltlicher Dinge von den Kanzeln herab wird noch im Gedächtnisse einzelner Zeitgenossen, als Zeugen, bewahrt. In einigen Gegenden des nordwestlichen Deutschlands, wie in Schleswig und Holstein, ist sie noch jetzt, jedoch in beschränkter und im Einzelnen abweichender Weise, üblich.

Fast ganz im Leben erloschen ist die früher weit verbreitete Sitte, in den Kirchen und auf den Kirchhöfen Rechtsgeschäfte - sowohl öffentliche als privatrechtliche, gerichtliche und bloße Vertragshandlungen - und täglichen Handelsverkehr zu betreiben. Das ist eine Sitte, welche in der großen praktischen Bedeutung der kirchlichen Elemente für die Zustände des Mittelalters zunächst begründet, sich vorzugsweise in den Städten nach Bedürfnissen des bürgerlichen Verkehrs ausgebildet und nach dem Umsturze der alten Kirchenverfassung, da die meisten Grundzüge des mittelalterlichen Lebens noch bis


1) Dittmar's Sammlung neuerer Gesetze, Bd. II. S. 179.
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in das 17. Jahrh. bei Bestand blieben, längere Zeit theilweise Geltung behalten hat.

Wie oben bemerkt, sind im Mittelalter ohne Zweifel manche eigentliche "Stadtsachen" von den Magistraten in den Kirchen verhandelt. Vermuthet wird sogar, daß in einzelnen Städten in frühester Zeit die eigentlichen Rathsversammlungen in den Kirchenstühlen der Magistrate stattgefunden haben mögen; 1 ) jedenfalls gab es mancher Orten Rathsstühle auf den Kirchhöfen, wie oben nachgewiesen ist.

Gewiß ist auch, daß im Laufe des 15. und des 16. Jahrhunderts manche öffentliche wie privatrechtliche Geschäfte in den Kirchen und auf den Kirchhöfen von Norddeutschland verhandelt worden sind. Es blieb die alte Sitte, fleißig den Morgengottesdienst zu besuchen, bei Bestand. Sie machte fortdauernd den Rathsstuhl zu einem bekannten und leicht zugänglichen Versammlungsorte auch für die Bürger der Stadt, und schon hieran knüpfte sich wie von selbst ein innerhalb der Kirchen stattfindender Betrieb mancher weltlichen Dinge. Außerdem behielten die großen und fast immer offenen kirchlichen Räume an und für sich auch in diesen späteren Zeiten einen bebeutenden Werth für das in mancher Hinsicht noch immer nüchtern und beschränkt erscheinende bürgerliche Leben. Namentlich wurden in Beziehung auf öffentliche Bauwerke, indem es stehende und luxuriöse Staatsbauten noch nicht gab, die vereinigten Kräfte der Gemeinden durch das Bedürfniß der Zeiten fast ausschließlich auf das Streben nach Schutz und Sicherheit gegen außen, also auf Herstellung und Erhaltung von Wällen, Mauern, Thürmen und Zingeln, hingeleitet. Im Uebrigen nahm die, freilich um Regelung und Sittigung des bürgerlichen Lebens sehr verdiente, aber auch häufig übertrieben anspruchsvolle und weltlich strebende Kirche den frommen Eifer der Wohlhabenden für kirchliche Bauten, Begabung von Altären u. s. w. reichlich in Anspruch, so daß nur in einzelnen besonders reichen und ausgedehnten Städten, wie bei uns z. B. Lübeck, Rostock und Stralsund, für mehr ungewöhnliche weltliche Bedürfnisse einige Baulichkeiten vorhanden waren. Endlich mußte schon die örtliche Lage der Hauptkirchen in manchen größeren Städten auf den Geschäftsverkehr einwirken, indem viele dieser Kirchen, wie in Hamburg, Bremen, Schwerin, Rostock, Stralsund, Lübeck 3 ) u. a. O. unmittelbar am Markte oder


2) Im Jahre 1376 beglaubigen mehrere Geistliche die Abschrift einer Urkunde "auf dem Kirchhofe der Marienkirche zu Neubrandenburg in dem beim Chore belegenen Rathsstuhle". Lisch, Gesch. des Geschlechts v. Oertzen, Bd. I, S. 154.


1) Vergl. Brandenburg, Geschichte des Magistrats zu Stralsund, S. 11.
3) Grautoffs histor. Schriften, Bd. I. S. 228.
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doch in dessen Umgegend und gewöhnlich den Rathhäusern ganz nahe gelegen waren, in welchen letzteren bisweilen besondere Zugänge für den Verkehr mit der nahen Kirche eingerichtet und erhalten wurden.

Dem entsprechend findet man auch in den spätern Zeiten manche rechtliche Vorgänge als in den Kirchen der Städte, wie des platten norddeutschen Landes geschehen in unsern Geschichtsquellen ausdrücklich bezeichnet. Namentlich in den größeren Hansestädten kommen im Laufe bewegter Zeiten politische Verhandlungen in den Kirchen nicht selten und noch im 16. Jahrhunderte vor. So erzählt Reimar Kok in dem Berichte über die bürgerlichen Unruhen zu Lübeck im Jahr 1408, wie der Rath früh Morgens in einer Kapelle der Marien=Kirche zusammengetreten, wie die Sechsziger in die Kapelle gedrungen seien, hier mit dem Rathe lange verhandelt und ihm Zugeständnisse abgenöthiget hätten 1 ). In den ersten Jahrzehnten der Kirchenverbesserung traten die lutherisch gesinnten Bürger zu Rostock, Stralsund u. a. O. öfter in den Kirchen zusammen, um über Maßregeln zum Schutze der neuen Lehre zu berathen. Zu Rostock fanden in den stürmischen Tagen um das Jahr 1560 wiederholt amtliche Versammlungen der Sechsziger in der Sanct Johannis=Kirche statt; öfterer kam in den Jahren 1562 und 1563 die ganze Rostocker Bürgerschaft zur Verhandlung der mit dem Rathe obschwebenden Streitigkeiten in der St. Marien=Kirche daselbst zusammen, beonders seitdem die Sechsziger den Friedrich Rode, bisher Studenten zu Leipzig, wider den Willen des Rathes als Syndicus berufen hatten 2 ). Ja, in den Tagen des 8. und 9. Februar 1565 ward der Rath von den Sechszigern gezwungen, fast 40 Stunden lang in der Marien=Kirche mit etwa 3000 Bürgern und Einwohnern Rostocks unmittelbar zu verhandeln!

Im Jahr 1413 wird zu Stralsund ein Schulddocument in Gegenwart eines Burgemeisters vor dem Rathsstuhle in der St. Nicolai=Kirche ("coram stallo consulum in ecclesia Sti Nicolai") ausgestellt 3 ). Noch um 1504 führt Sastrow in seiner Lebensbeschreibung anscheinend als etwas zu Stralsund Gewöhnliches an, wie er von dem Stadtsyndicus Genzkow in Geschäften nach der St. Nicolai=Kirche berufen worden sei 4 ).

Auf dem platten Lande Meklenburgs wurden, besonders im 16. Jahrhunderte, häufig rechtliche Verhandlungen im Laufe öffentlicher oder privatrechtlicher Streitigkeiten in den Dorfkirchen vorgenommen. Die Landesherren erließen


1) Grautoff, die Lübeck. Chroniken, Bd. II. (Ergänzungen zum Detmar) S. 649.
2) Vergl. Wettken, Geschichte der Stadt Rostock, S. 64.
3) Vergl. Brandenburg, a. a. O. S. 11.
4) Vergl. Ebendas. S. 12.
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damals bei der nicht scharf abgegrenzten Gerichtsbarkeit der Hofcanzleien 1 ), namentlich in Streitigkeiten der Lehnleute unter sich oder mit den Domanial=Unterthanen wegen Grenzen, Servituten, Hofdienste u. s. w. häufig Commissionen zur Ausgleichung solcher Händel. Die Beauftragten hielten dann oftmals die erste Sitzung feierlich in der Dorfkirche, wo sie den Parteien den landesherrlichen Auftrag verlesen, die Zeugen beeidigen und bisweilen auch durch Notarien abhören, in andern Fällen Parteischriften vortragen ließen oder Vergleichs=Vorschläge verhandelten. Dieses Verfahren kommt in den Jahren 1560 - 1590 z. B. in der Umgegend von Malchin und Gnoien vielfach actenmäßig vor und öfter wird ausdrücklich in den Protocollen gesagt, daß die Commissarien bei dem betreffenden Vorgange im Chore der Kirche vor dem Altare gesessen hätten. Neben der Rücksicht auf Räumlichkeit mag hier u. A. die Ansicht von der strengeren Bedeutung der Eidesleistung an heiliger Stätte eingewirkt haben, obgleich es auch an Beispielen der Eröffnung und Vollziehung des Auftrags der Bevollmächtigten auf dem Ritterhofe, im Kruge oder auf dem Schulzenhofe in diesen Zeiten nicht fehlt.

Aehnliche Vorgänge in den Kirchen des platten Landes werden öfter in den Acten über die meklenburgischen Grenzirrungen, namentlich mit Pommern, während des 16. Jahrhunderts erwähnt. Bei Beziehung dieser Grenzen halten die landesherrlichen Abgeordneten z. B. in den Jahren 1560 - 1580 wiederholt Sitzungen in den nahe gelegenen Landkirchen, wie zu Bruderstorf, um daselbst Zeugen abzuhören, Vergleiche zu versuchen, Protocolle vorzutragen und auszuwechseln u. dergl. m., obgleich bei diesen Geschäften die Rathhäuser der Grenzstädte oder die fürstlichen Amtshäuser gewöhnlich vorgezogen wurden.

Auch noch im folgenden Jahrhunderte kommen Verhandlungen von mehr öffentlicher Bedeutung in den meklenburgischen Landkirchen öfter vor. So werden im Auftrage der Kammer in Justiz=wie öconomischen Angelegenheiten der Domanial=Unterthanen noch um das Jahr 1670 zuweilen umfängliche Verhandlungen in den Dorfkirchen geführt, wie denn z. B. im Jahr 1664 der Rittmeister S. Krull klagt, daß ihn der Pastor J. H. Linse "in der Kirche zu Petersberge coram commissariis injuriirt" habe. Als eine verwandte Erscheinung in den Städten mag noch angeführt werden, daß die Universität zu Rostock die St. Johannis=Kirche daselbst in den drei letzten


1) Die rein prozessualische Form in den Erlassen der Hofcanzleien um 1560 ist selten; Beilegung durch Vergleichshandlung, Regelung des niedergerichtlichen Verfahrens durch Mandate und endliche Verweisung an das Hof= und Landgericht sind vorherrschend.
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Jarhunderten vielfach zu Promotions=Acten, Redeübungen und Festreden benutzt hat.

Die Sitte, privatrechtliche Geschäfte in den Kirchen abzumachen, hat sich in den norddeutschen Städten lange nach der Reformation erhalten. Die alte katholische Sitte des Morgengottesdienstes ward in der neuen Kirchenverfassung, wenn auch in veränderter Form und in beschränktem Maße, beibehalten. Demgemäß hielten namentlich in Meklenburg und Pommern auch die höhern Stände noch im Laufe des 17. Jahrhunderts die Gewohnheit der Morgenandacht in Ehren. Zu Stralsund 1 ) wie zu Rostock ward sie vom Rathe ehrenwerthes Herkommen oder in Folge neuer gesetzlicher Bestimmungen an wichtigen Tagen, wie auch überhaupt strenge beachtet. So schreibt noch die revidirte Rostocker "Ordnung von Rathgehen vnb Rathschlägen" vom Jahr 1618 vor; "An denselben Tagen (Mittwochs und Freitags) sollen sich alle Rathspersonen in der Kirche zu St. Marien zur Predigt finden. Nach vollendeter Predigt vnd gethanen Gebet auff den Glockenschlag acht sollen die Herren des Rathes ordentlich und bey Paren auß der Kirchen nach dem Rathhause oder der Schreiberey gehen." - Auch am fürstlichen Hoflager blieben die Mitglieder der höchsten Behörden der alten Sitte treu. So pflegten noch um das Jahr 1650 die Räthe der Hofcanzlei zu Güstrow, der Kanzler Johann Cothmann, der Kanzlei=Director Laurentius Stephani und die Räthe Joachim van Nessen und Caspar Koch, die Morgenpredigt im Dome zu besuchen und zuweilen unmittelbar von der Kirche aus nach dem Schlosse in die Rathsstube zu gehen. - In Lübeck, wo altdeutsche Sitte mit seltener Treue bewahrt ist, ward noch bis zum Jahre 1806 der Etting drei Mal jährlich auf freiem Markte gehegt, nachdem zuvor der gesammte Rath in der Marien=Kirche sich versammelt hatte 1 ).

Dieser unmittelbar vor dem Beginne der Tageswerke übliche Kirchenbesuch hat zur Erhaltung der Sitte, Privatgeschäfte in den Kirchen vorzunehmen, natürlich beigetragen, und die lange Dauer dieses den katholischen Zeiten entstammenden Brauches kann in so ferne wenig auffallen, als überhaupt Manches aus der alten Kirchenverfassung in spätere Zeiten übergegangen ist, wie das Begraben der Todten in den Kirchen oder doch in deren Nähe, verschiedene lateinische Gesänge und liturgische Uebungen


1) Hier galt die alte Sitte als Vorschrift, namentlich bei Hegung des Ettings. Vergl. Brandenburg, Geschichte des Magistrats zu Stralsund, S. 13.
1) Hier galt die alte Sitte als Vorschrift, namentlich bei Hegung des Ettings. Vergl. Brandenburg, Geschichte des Magistrats zu Stralsund, S. 13.
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des katholischen Ritus u. s. w. Angeregt und lange mitgewirkt hat ferner der Mangel an Räumlichkeiten in den verkehrsreichen Städten. Sodann ist auch die uralte Ansicht von dem Befriedetsein des Ortes auf die Sitte von Einfluß gewesen. Diese Ansicht ist durch gesetzliche Bestimmungen auch in unseren Gegenden mehrfach anerkannt, indem nach Lübischem Rechte (Revid. Lüb. Recht, Buch VI., Tit. 15, §. 2.) Burgfrieden haben: Der Rathsstuhl, Kirchen und Kirchhöfe, Rathhaus und Gerichtsbude während der Marktzeit, Weinkeller, Markt, Fleischschrangen, Wage und Hafen. Endlich mag größere Aufrichtigkeit und Treue, wie mehr eindringlicher Ernst bei den in den Kirchen vorgenommenen Handlungen des privaten Geschäftsverkehrs lange Zeit vermuthet und auch im Allgemeinen beachtet worden sein.

In einzelnen norddeutschen Städten, wie Stralsund, Rostock u. A. läßt sich die Geltung der alten Sitte noch gegen Ende des 16. wie im Laufe des folgenden Jahrhunderts mit Sicherheit nachweisen. Als Marcus Lobepreis, Büksengießer und Schütze zu Rostock, in den Jahren 1562 - 1567 mit Gebhard Moltke auf Strietfeld wegen Benutzung des ihm theilweise vermietheten Gildelandes der Bauern zu Petersdorf processirte, ließ er am 7. Mai 1563 "in Sanct Johannis Kirchen zu Rostogk ahn der norden Seiten" von einem Notar ein feierliches Zeugenverhör vornehmen. Ebenso verhandelt im Jahr 1570 zu Rostock der Kaufmann Claus Janecke mit Otto Vieregge in der Marien=Kirche während des Pfingstmarktes über eine Schuldforderung und vergleicht sich daselbst mit ihm in Gegenwart von Zeugen. Am 17. März 1572 bestellt Wolf Lucka auf Bresen im Verlaufe eines Injurien=Prozesses die Gegenpartei in die Marien=Kirche zu Neubrandenburg, um daselbst eine gütliche Ausgleichung der Sache zu versuchen. Jm Jahre 1618 schließen zwei Rostocker Bürger in der Marien=Kirche einen Hauskauf und machen ihn dort "nach übligen Gebrauch vnd Gewohnheit durch den Gottespfennig bundig vnd kräftig." In demselben Jahre handelt der Stralsunder Bürger Segebade mit dem von Braun in der St. Nicolai=Kirche wegen des Gutes Mordorf und bietet ihm dasselbe dort "in Beisein guter Leute" zu Kauf an 1 ). Noch um das Jahr 1650 lassen zu Rostock processirende Bürger nicht selten den Appellations=Act in der Marien=Kirche vornehmen, wohin die Notarien und Zeugen ausdrücklich beschieden werden.

Die Sitte, Eheverlöbnisse in den Kirchen abzuschließen, war noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun=


1) Vergl. Brandenburg, a. a. O. S. 11.
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derts in den meklenburgischen Städten allgemein üblich, wie denn auch die Trauungen durchweg von allen Ständen in den Kirchen vollzogen wurden. Bei Eingehung der Eheberedungen war jedoch eine Mitwirkung der Geistlichen nicht nothwendig oder allgemein üblich; auch scheint der alte Brauch, sie in der Kirche vorzunehmen, schon während des dreißigjährigen Krieges in den Städten in Abnahme gekommen zu sein. - Die "Ordenung der Brudlachtes=Kösten" des Rathes zu Rostock vom Jahr 1567 schreibt vor: "Erstlick gebudt ein Radt, wenn dat Gelöffte in der Kercken geholden vnd de Brudegam thor Brudt gheyt, dat se alsdenn an beyden Syden in Alles nicht mehr also veertich Personen vp den Auendt tho Gaste hebben schölen." In den vom Herzoge Ulrich zu Meklenburg im Jahre 1589 zum Zwecke einer neuen allgemeinen Landes=Gesetzgebung von den Stadtobrigkeiten erforderten Berichten über die Rechtsgewohnheiten der einzelnen Städte heißt es in dieser Beziehung:

" Grabow. - Ehestiftungen werden öffentlich in der Kirchen in der Freunde Gegenwart abgeredet vnd vollenzogen 1 ).

Penzlin. - Eheberedungen werden mehrentheils in der Kirchen gehalten vnd zu beiden Theilen Bürgen für den Vorgang gesetzet 2 ).

Plau. - Die Eheberedungen geschehen gemeiniglich in der Kirchen vnd was einer dem andern zusagt, wird nicht allein verschrieben, besondern auch verbürgt." 3 )

Neben diesen, ihrer innern Bedeutung nach, immerhin für die kirchlichen Räume geeigneten Handlungen, fehlt es nicht an Beispielen eines mehr nüchternen, öconomischen Verkehrs in den norddeutschen protestantischen Kirchen, denen das Bilderstürmen im ersten Zeitalter der Reformation fast allen Schmuck an Kunstwerken nahm und denen die späteren Zeiten manche entstellende Chor= und Stuhlbauten im Innern, vielerlei Besudelung und endlich ein radicales Uebertünchen der Wände und gänzliche Absperrung mit Ausnahme der "Kirchenzeit" brachten.

Die in Meklenburg früher oft geübte Gewohnheit, Strandgüter in den Dorfkirchen der Meeresküste zu bergen, mag indessen in ihrer unglücklichen Veranlassung und dem oft wohl unbestreitbaren Mangel an Obdach ihre Erklärung und Berechtigung finden. In Meklenburg sind namentlich in den Kirchen und auf den Kirchhöfen von Kirchdorf auf Poel, Altengartz, Brunshaupten, Warnemünde, Wustrow auf Fischland u. s. w., während der letzten Jahrhunderte häufig geborgene Strandgüter


1) Westphalen, Monumenta inedita, Tom. I., p. 2079.
2) Ibidem, p. 2083.
3) Ibidem, p. 2098.
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in großen Massen aufbewahrt worden 1 ). Dabei geht aus den Acten hervor, daß diese Bergung in den Kirchen nicht selten Wochen lang angedauert und mancher Orten die kirchlichen Räume wesentlich beschränkt hat. Auch ergeben die Acten, daß die geborgenen Schiffsgüter gewöhnlich durch Beamte oder Notarien verzeichnet, zuweilen demnächst in den Kirchen oder auf den Kirchhöfen versteigert wurden, wobei es an Zechereien und Raufereien nicht immer fehlte. Daß auch in den kleinen Städten an der Küste solche Bergung der Strandgüter in den Kirchen vorgekommen sei, beweist u. A. die Erzählung des Reimar Kok von dem Sturme am 19. August 1497, der viele hansische Schiffe an die pommerschen und meklenburgischen Küsten warf. "De hilligen Beginen tho Ribbenitz mit ehrem Pater de lethen sich bedünken, unser Herre Gott hedde so vele frame Lüde vmb dat Leuent kamen laten, dath de Beginen scholen ricke werden; wente de Nunnenlude hedden des Godes so vele gekregen, dat de Nunnen=Kercke vul gelegen waß; hetten dath gerne beholden, auerst dath moth eme nicht glücken."

In den Städten fand eine ähnliche Verwendung der Kirchen in Folge eben so unglücklicher Veranlassung oftmals statt; nämlich bei heftigen Feuersbrünsten, wie solche manche mekl. Landstädte um das Jahr 1660 und die, damals viel vor dem Kriege geflüchtetes Gut bergende Seestadt Rostock im August 1677 auf eine bisher beispiellose Weise heimsuchten.

Urkunden=, Acten= und Büchersammlungen wurden in Meklenburg, Pommern und den Hansestädten vielfach in Kirchen aufbewahrt, wie dies z. B. zu Rostock, Schwerin und Lübeck noch in neueren Zeiten stattgefunden hat und vielleicht noch jetzt an einigen Orten vorkommt. Auch in den mekl. Landkirchen wurden von Grundherren wie von Dorfschaften öfter werthvolle Urkunden hinterlegt; wie z. B. seit Alters die Dorfschaften Jördenshagen und Penzin ihre Briefe in der Kirche zu Neukirchen aufbewahrten.

Ungleich anstößiger erscheint die ganz willkührliche private Benutzung, welche sich manche Grundherren, besonders wenn sie Patrone waren, und auch die Prediger selbst hinsichtlich der Landkirchen zuweilen erlaubten, indem sie nach Visitations= und Proceß=Acten des 17. Jahrhunderts dort zu Zeiten Ge=


1) Eine "Fürbitte für den Strand" ist in den meklenburgischen Kirchen längs der Meeresküste Jahrhunderte lang üblich gewesen. Auch bei mehr wohlwollender Auffassung ihres Sinnes, als auf Segen im Fischfange, Bernsteinsammeln u. s. w. gerichtet, behält sie nach dem Wortlaute wohl etwas Zweideutiges und Anstössiges, wie denn Herzog Friedrich, als er diese seltsame Fürbitte im Laufe der Aufklärungs=Periode am 8. October 1777 gänzlich aufhob, in der Verordnung bemerkt: "Da Uns diese Fürbitte, ob sie gleich gegen Uns, bei Unserer - bisher bewiesenen Gesinnung, wohl keiner üblen Deutung jemals fähig ist, dennoch anstößig bleibet" etc. . Vergl. Schröders neueste Gesetzsammlung Th. I. S. 11.
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treide aufzuschütten oder Hausrath aufzubewahren nicht anstanden. In manchen mekl. Landstädten scheint eine solche Nutzung der Kirchen auch von Seiten der Bürger üblich gewesen zu sein, wie denn z. B. im Juli 1644 der Bürger Dieterich Henell zu Neustadt in einer Schuldklage wider den Sprachlehrer Matras ganz unbefangen bemerkt, daß er "in sein Abreisen von Neustadt 8 Drömbt Roggen neustätter Maße hinter sich verlassen und in der Kirche zu Verwarung gelegett" habe. Ebenso bittet im Juni 1710 die verlassene Ehefrau des Capitains von Weltzin von Amsterdam aus den Herzog Friedrich Wilhelm, die drei ihr gehörigen Koffer, welche zu Parchim in der Kirche verwahrlich niedergesetzt seien, ihr verabfolgen lassen zu wollen.

Ein schlimmerer Gebrauch der kirchlichen Räume ist im ersten Zeitalter der Reformation von einzelnen Kirchen=Patronen auf dem platten Lande Meklenburgs bisweilen gemacht worden. Wegelagernde Lehnleute nahmen nämlich die Theilung geraubter Güter in ihren Kirchen vor. So kehrten um das Jahr 1525 eines Abends die Gebrüder Tiepling auf Krekow und Engelke Devitz auf Holzendorf von einem glücklichen Ritte heim und brachten einen großen Wagen voll geraubter Kaufmannsgüter auf den Hof zu Holzendorf: "haben die Guder (so wird amtlich über den Vorgang berichtet) in dye Kirchen gedragen; moest der Gadesmann zvr Mitternacht die Kirchen auffslayssen; haben sy die Guder hynder den Kirchhoff achter der Mewren gedeylt". Ein ähnliches Verfahren wird als ebenfalls im Lande Stargard vorgekommen im J. 1533 von einem gefangenen Straßenräuber, der Genosse von Lehnleuten war, ausgesagt.

Bereits erwähnt ist die ehemals übliche Sitte, die Citationen des Consistoriums in Sponsalien und Ehesachen an den Kirchthüren anzuheften. Früherhin und um das Jahr 1520, da auch in Meklenburg die katholische Geistlichkeit ihre Gerichtsbarkeit auf weltliche Dinge, wie Schuldsachen, ausdehnte, wenn eine der Parteien ihr angehörte, wurden in solchen Angelegenheiten ebenfalls allerlei Citationen an den Pforten der Gotteshäuser befestiget 1 ) und häufig mit Androhung des Bannes verschärft, worüber sich z. B. Achim von der Lühe auf Kölzow, da er mit dem Bischofe Peter Wolkow zu Schwerin wegen Erbschaftshändel in Fehde lag, um das Jahr 1512 beschwerte. Noch im April 1620 läßt Prinz Ulrich, Administrator von Schwerin, ein Urtheil des dortigen Capitel=Gerichts in Injurien=Sachen zwischen dem Schelfvogt Jacob Junge und den Gebrüdern Legede, welche auf der Weinschenke des Capitels Händel gehabt,


1) Vergl Schroeder's Kirchenhistorie des evangel. Meklenburgs. Thl. I, S. 25.
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"an der Thumbkirch an die große Thur nach der Stadt werts affigiren vnd anschlagen". - Auch der Volkswitz scheint ehemals an den Kirchthüren sich ausgelassen zu haben, wie z. B. in Rostock, wo bei den Domstiftshändeln im J. 1486 auf die unbeliebten und verdächtigten Bürgemeister Kirchhof und Hasselbach durch Zeichnungen an den Pforten der Kirchen und des Rathhauses, welche Bilder gewöhnlich Galgen und Rad darstellten, hingedeutet ward. 1 )

Neben den Kirchen selbst werden in Meklenburg und den Nachbarländern die Kirchhöfe sowohl in den Städten, wie auf dem platten Lande als Schauplatz gerichtlicher und staatsrechtlicher Handlungen nicht minder des privatrechtlichen und gewerblichen Verkehrs bestimmt bezeichnet. Gerichtsacte auf den Kirchhöfen sind namentlich in größeren Städten, welche Bisthumssitze waren oder doch viele und reiche Kirchen besaßen, und wo die Stifts= und Capitels=Gerichte in der Nähe der Kirchen und Domhöfe Recht zu sprechen pflegten, nachzuweisen. Auch die Magistrate haben sich früher auf den Kirchhöfen amtlich versammelt, dort berathen oder daselbst gerichtliche und polizeiliche Vollstreckungen ausgeführt. In Bremen gab es um das Jahr 1300 einen "Schopenstol", Kaak, der auf oder dicht am Marienplatze stand. Ein enger Gang führte vom Dome zwischen dem erzbischöflichen Pallaste und dem Rathhause nach dem gen. Kirchhofe, wo bisweilen öffentliche Gerichtssitzungen stattfanden und ein Gefängniß stand. 2 ) Von Stralsund deuten die Chroniken etwas Aehnliches an, indem z. B. erwähnt wird: "Anno 1411 wurde erschlagen en Prester vmb sines velen Geldes willen, vnd dat dede sin egen Fruntschop, de hete van Soesten. Disser werd gefencklich ingetagen vnd erstlich op St. Nicolaus=Kerckhaue vp ene Ledder geseddet, Jedermann tho Hohn vnd Spott; darna wurd he in den Herrenstall beschmedet, allda doet tho hungern". 3 ) Hinsichtlich Rostocks bestimmt noch die Polizeiordnung v. J. 1576: "Wurde auch Jemand vnter der Predigt in der Kirche oder auff dem Kirchhofe Buberei treiben vnd darüber betroffen werden, soll er ins Halseisen daselbst etliche Stunden gespannet vnd verhalten werden." Auf den Kirchhöfen der Dome zu Schwerin und Lübeck sind noch bis in die neueren Zeiten Gerichtsacte, besonders strafpolizeiliche, vollführt worden und noch jetzt lassen sich Spuren von Kaak= oder Prangerstellen daselbst nachweisen. Auf dem Kirchhofe des Städtchens Wittenburg werden um das Jahr 1680


1) Vergl. Wettken, Geschichte der Stadt Rostock, S. 45.
2) Deneken, Geschichte des Rathauses zu Bremen, S. 14.
3) Mohnike und Zober Stalsund. Chroniken, I, S. 175.
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mehrmals Missethäter, welche Kirche und Umgebung beschädigt haben, mit dem Halseisen und dem "spanischen Kragen" bestraft.

Auf dem platten Lande Meklenburgs kommen noch im Laufe des 16. Jahrh. Gerichte "by der Linden vp dem Karkhove" vor, namentlich im Lande Stargard in mehreren Dörfern um das Jahr 1540. Das Landrecht des Alten Landes v. J. 1588 bestimmt im Artikel: "Van Twiepart: Wor ock Lüde im Lande twistig weren, de mögen de Landschwaren vp eren Karkhouen vordragen." 1 )

Der Huldigungsplatz im Lande Stargard lag am Kirchhofe des Gutes Kölpin, wie noch jetzt der Augenschein einigermaßen andeutet; v. Behr sagt bestimmt: "Im Stargardschen ward zu Kölpin unter der Linde am Kirchhofe Musterung gehalten." 2 )

Häufig hielt man während des Mittelalters und bis um das Jahr 1540 in staats= und privatrechtlichen, wie kirchlichen Dingen "Handlungstage" auf den Kirchhöfen, woher denn viele Urkunden am Schlusse die Angabe haben: "datum in coemiterio".

Chemnitz erzählt im Leben des Herzogs Heinrich des Friedfertigen von Meklenburg beim Jahre 1506 über den Verlauf der Fehde mit Lübeck, daß damals zu Herrnburg "die Herrn Unterhendler die mekl. Abgesandte auff den Kirchhoff vor sich gefordert" hätten. Im Jahre 1528 hält der Official Friedrich Suerker zu Friedland mit dem dortigen Burgemeister Hans Sundemann auf dem Kirchhofe eine amtliche Verhandlung in kirchlichen Sachen. In demselben Jahre findet zwischen mekl. Lehnleuten ein Handlungstag über Privatstreitigkeiten auf dem Kirchhofe zu Schwichtenberg statt. Ebenso hatten die Stargardschen Vasallen v. Helpte im Juni 1532 wegen eines Erbschaftsstreites mit dem Cleriker Liborius Schwichtenberg einen Vergleichstag auf dem Kirchhofe zu Eickhorst, wo aber die Verhandlung damit endigte, daß Jürgen v. Helpte den genannten Geistlichen zu Boden schlug und gefangen hinwegführte. In dem Streite zwischen dem Bisthum Ratzeburg und dem Herzoge Magnus zu Sachsen=Lauenburg wegen der ratzeburger Capitelsgüter ward am 10. Februar 1532 ein Theil der eingezogenen Güter feierlich rückerstattet, wobei "die Leute zu Slavestorp vor dem Kirchhofe wieder an das Capittel gewiesen wurden". 3 )

Ohne Zweifel hat die weitverbreitete altdeutsche Rechtssitte, unter freiem Himmel besonders auf Anhöhen und bei


1) Dreyers Vermischte Abhandlungen, Th., I, S. 532.
2) Jahrbücher des Vereins für meklenb. Geschichte, XI, S. 495.
3) Vergl. Schroeder's Evangel. Meklenburg, I, S. 67, 68.
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alten Bäumen Gericht zu halten, sodann aber die Geltung der Kirchhöfe als befriedeter Stätten auf die Gewohnheit, solche zu benutzen, den wesentlichsten Einfluß ausgeübt.

Am längsten hat sich die uns anstößige Sitte, Handels= und gewerblichen Verkehr auf den Kirchhöfen dicht vor den Pforten der Gotteshäuser zu treiben, in unseren Gegenden erhalten. Von der Macht des Herkommens getragen, hat sie die strenge didactische Richtung unserer protestantischen Kirche bis in die neuesten Zeiten gestattet. Ihren Ursprung hat sie theils im Anschlusse an die altkirchlichen Dinge durch Handel mit Gegenständen des katholischen Cultus, theils im Mangel an Räumlichkeiten in den enge gebaueten und dicht bevölkerten Handelsstädten gefunden.

Schon im dreizehnten Jahrhunderte wurden auf den Kirchhöfen vieler norddeutschen Städte kleinere Gebäude, wie Wohnungen für Pfarrer und Kustoden, auch Schulgebäude, Beinhäuser u. a. m. neben den Kirchen errichtet. In der folgenden Zeit ward dies mißbräuchlich ausgedehnt, indem man auch zu anderweitigen Zwecken Häuschen und Buden zwischen den Außenpfeilern der Kirchen und sonstig auf den Kirchhöfen bauete. Schlaffheit und Eigensucht der katholischen Geistlichen gestatteten dies, da die Innehaber jener Buden theilweise mit Rosenkränzen, Heiligen=Bildern und dergleichen handelten und in der Regel einen Miethszins an die Kirche erlegten. So sind allmälig fast alle Kirchen und Kirchhöfe zu Lübeck und Hamburg, Wismar und Rostock, Schwerin und Stralsund und an vielen anderen Orten durch niedrige, dürftige und nicht selten verfallende und schmutzige Anbauten entstellt und verunehrt worden. Manche Ueberbleibsel derselben haben sich noch das vorige Jahrhundert hindurch und bis in das unsrige erhalten, welches erst in den letzten Decennien mit größerer Beschämung und mit mehr Nachdruck, als unsere protestantischen Vorfahren gezeigt, nach Beseitigung dieses Bauunflathes gestrebt hat.

In Stralsund kommen schon um das Jahr 1300 Anbauten und Gemüsebuden auf den Kirchhöfen vor 1 ); zu Lübeck hatten sich im Laufe des 15. Jahrhunderts Amuleten=Krämer, Bilder= und Buchhändler ganz nahe den Kirchen seßhaft gemacht 2 ) und Bäcker und Schlachter ihre Schrangen theils auf den Kirchhöfen selbst, theils dicht am Rande derselben aufgeschlagen 3 ). Daß in Rostock und Wismar die Umgebungen der Kirchen


1) Vgl. Fabricius, Stralsund in den Tagen des Rostocker Landfriedens, S. 16.
2) Grautoff's histor. Schriften, Bd. I, S. 254.
3) Ebendas. S. 219 - 225.
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sich damals ähnlich gestaltet haben, geht aus schriftlichen Nachrichten wie bildlichen Darstellungen des sechszehnten Jahrhunderts hervor. In Rostock wurden zu jener Zeit auch die meisten städtischen Feuerlöschmittel auf den Kirchhöfen aufbewahrt, welche zugleich als Sammelplätze der Bürger in Feuers= und anderen Nöthen bestimmt waren.

Der in Folge der Niederlassungen von Buchhändlern, Kuchenbäckern, Fleischern und Goldschmieden vor den Pforten der Gotteshäuser stattfindende Verkehr fand zunächst in der vorwiegenden Geltung der kirchlichen Elemente, dem fast täglichen Gottesdienste, den vielen Kirchenfesten u. s. w. seine Nahrung. Zudem waren viele Kirchen am Markte oder doch demselben sehr nahe in der Mitte volkreicher Städte und also an sich dem Verkehre günstig gelegen. Sodann mag die ehedem herrschende Ansicht von der Steuerfreiheit der auf den Kirchhöfen befindlichen Wohnungen auf die Vermehrung solcher Anbauten eingewirkt haben. Gewiß ist, daß in Meklenburg, als beim Steigen der Staatsbedürfnisse um die Mitte des 16. Jahrh. zur Tilgung der landesherrlichen Schulden eine nachhaltige Besteurung der Unterthanen eingeführt wurde, sich ausdrückliche Bestimmungen über diesen Punct vorfinden. So heißt es z. B. in dem meklenburg. Contributions=Edicte vom 1. Nov. 1572: "in diese Contribution der Steuern vnd Hülffen sollen auch mit eingezogen werden die Häuser vnd Wohnungen, so auf den Kirchhöfen vnd andern Orten gelegen vnd bishero frey gewesen." Ferner wird hier der Umstand von Einfluß gewesen sein, daß im ersten Zeitalter der Reformation manche Prediger der neuen Lehre beim Widerstande des katholischen Clerus, der ihnen die Kirchen verschloß, öfter veranlaßt waren, auf den Kirchhöfen unter freiem Himmel ausführliche und polemische Vorträge dem Volke zu halten. Daß dies in Meklenburg z. B. zu Rostock, Ribnitz 1 ) u. a. O. um das Jahr 1526 mehrfach geschehen sei, wird von Zeitgenossen gezeugt. In Folge dessen trieb sich viel niederes Volk Stunden, auch wohl Tage lang auf den Kirchhöfen umher, wo es neben der geistigen zugleich nach leiblicher Speise verlangte. Ebenso war es bei dem damals noch üblichen privatrechtlichen und öffentlichen Geschäftsverkehr in den Kirchen, der, wie wir bereits erwähnt haben, noch um die Mitte des 16. Jahrh. z. B. zu Rostock bisweilen sehr zahlreiche und aufregende Zusammenkünfte der Bürger mit sich brachte, wobei es ohne Erfrischungen nicht abging.


1) Vgl. Schröders Evangel. Meklenburg, S. 113, 118.
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Dem entsprechend findet man in der kirchlichen Gesetzgebung Meklenburgs um die Mitte des 16. Jahrhunderts Bestimmungen, welche auf Ausschweifungen in dem den Kirchen allzu nahe gerückten weltlichen Treiben unverkennbar hindeuten. So heißt es z. B. in der Anweisung zu der allgemeinen meklenburg. Kirchen=Visitation vom Jahre 1552 und in der zur Visitation im Lande Stargard vom Jahre 1560:

"Es sollen auch die Jahrmärkte oder Kirchmessen auf den Sonntag oder Festtagen zu halten abgeschaffet, vnd das Brandtewein= vnd Bierschenken auch Spazierengehen in den Kirchen, auf dem Kirchhoue oder fur dem Thore, weil man in der Kirchen singet oder prediget vor Essenszeit bei einer namhaftigen Poene vorbotten sein."

Die Consistorial=Ordnung vom Jahre 1570 bestimmt in Titel III, daß die Jurisdiction des Kirchengerichtes unter Andern eintreten soll, "wenn in den Kirchen oder auff den Kirchhofen Vnzucht, Freuel oder sonsten etwas ungeburliches Mutwillens begangen wurde." Ebenso bebroht die Rostocker Polizei=Ordnung vom Jahre 1576 diejenigen, welche während der Predigt in den Kirchen oder auf den Kirchhöfen "Buberei" verüben, mit dem Halseisen. Aehnliche Bestimmungen finden sich in Pommern und in in mehreren nahen Hansestädten und erscheinen dort, wie auch in Meklenburg, theilweise noch später. Wirklich beweisen noch aus neueren Zeiten actenmäßige Nachrichten ziemlich häufige Niederlassungen von Krämern, Bäckern, Wein= und Bierschenkern in bedenklicher Nähe der Kirchen sowohl in Städten, wie auf dem platten Lande Meklenburgs. Besaß doch selbst das Dom=Capitel zu Schwerin eine am Domkirchhofe daselbst belegene Weinschenke, welche besonders in der Mitte des 17. Jahrh. nicht selten der Schauplatz von Gelagen war, in deren Folge Raufereien entstanden, die auf dem nahen Kirchofe ausgefochten wurden. Daß zu derselben Zeit in unsern Seestädten ein häufiger unziemlicher Verkehr zwischen den nahe am Markte belegenen Kirchen und den eben dort befindlichen Apotheken und Rathskellern zumal in den Morgenstunden stattfand, wird in gleichzeitigen Acten behauptet. Auf dem platten Lande Meklenburgs gab es z. B. in der Gegend von Wittenburg und Boizenburg um das Jahr 1670 einzelne Landkirchen, die auf oder dicht an den Kirchhöfen Wittwenhäuser hatten. In mehreren derselben trieben die Wittwen und zwar besonders an Sonntagen kleine Krämerei und schenkten dabei Bier und Branntwein aus, welches Geschäft sie "zu ihrer bessern Erhaltung" ergriffen hatten, wie sie auf Anzeige der benachbarten

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Städte aussagten. Auch heißt es in einer Beschwerdeschrift der Stadt Wittenburg vom 13. Juni 1708 unter Andern: "3. Beschweren sich die Becker, daß in der Nachbarschafft undt in specie zu Zarrenthin und Pritzier sich einige Becker zu wohnen gesetzet, die allerhandt Weißbrodt backten undt - vor den Kirchthüren damit außstünden." Doch dieses und Aehnliches haben wir noch in unserm Jahrhunderte in manchen größeren Städten, wie zu Schwerin und Lübeck, wo noch um das Jahr 1820 Kuchen= und Buchbinder=Buden in oder sehr nahe bei den Kirchen sich befanden, wahrgenommen und noch heute zeigt uns "Meklenburg in Bildern" 1 ) einen stattlichen Fleischschrangen am Fuße des schönen Thurmes der Marien=Kirche zu Rostock.

In der wenig geregelten und sorglos ausgeführten Beseitigung 2 ) der meisten altkirchlichen Kunstwerke im ersten Reformations=Zeitalter, in der Jahrhunderte hindurch fortdauernden Zulassung von formlosen und ärmlichen An= und inneren Ausbauten der protestantischen Kirchen, so wie in der lässigen Gestattung des weltlichen Alltagsverkehrs vor den Pforten der Gotteshäuser ist Mangel an kirchlichen Würde, Mangel an Pflege der kirchlichen Interessen von Seiten des Staates, der doch die kirchliche Lehre beschränkend überwachte, wie Mißachtung der Kunst nicht zu verkennen. Es darf nicht verhehlt werden, daß guten Theils im Gefolge dessen eine niedrige und schändliche äußere Verunehrung die protestantischen norddeutschen Kirchen und ihre nächsten Umgebungen betroffen hat. Man hat Kirchen und Kirchhöfe nicht bloß baulich entstellen, sondern auch baulich verfallen lassen. Dann hat man, selbst an Orten hoher Stifte, stehende "Bauhöfe" und Lagerplätze an den Grundmauern der Kirchen angelegt. Man ist mit dem Beispiele der Häufung von Schutt und Schmutz auf den geweiheten Kirchhöfen vorangegangen, ein Beispiel, welches die Abstumpfung und Schamlosigkeit des niedern Volkes in den seit der Mitte des 17. Jahrh. verdumpften und verarmten Städten allerdings noch übertroffen hat. Endlich hat man in der "Aufklärungs=Periode" (1750 - 1806) "pflichtmäßig" die zum Theil noch schmuckreichen alten Kirchenmauern mit Kalk und Schmutzfarben übertünchen lassen.


1) Meklenburg in Bildern, herausgeg. von Lisch, Jahrg. 1844.
2) Nach der Anweisung des Herzogs Joh. Albrecht I. für die Kirchen=Visitatoren vom Jahre 1552 sollen die (nicht anstößigen) Bilder in den Kirchen an die Wände genagelt, die "schedtliche vnd ergerliche Bild" ("so man hat pflegen anzubethten") aber hinweg geschafft werden. Nach gleichzeitigen Acten war vielen Visitatoren das Zerschlagen und Zerreißen der Kunstwerke nicht genügend; die Trümmer mußten verbrannt werden.
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Diese äußere Verunehrung der protestantischen Kirchen und Kirchhöfe hat im sechszehnten Jahrhunderte begonnen, jedoch erst später in den heillosen Zeiten, welche dem Schlusse des dreißigjährigen Krieges folgten, da in Frankreich das "goldene Zeitalter" blühete, überhand genommen. Schon die rostocker Polizei=Ordnung vom Jahre 1576 sagt: - "so sollen die auf den Kirchhoffen angetroffene Schweine zum ersten vnd andern Mahl gepfendet vnd zum dritten Mahl in die Gottesheuser gebracht, geschlachtet vnd vnter die Armen daselbst außgetheilt werden." Alle Redactionen des revidirten lübischen Rechts schärfen die Bestimmung in Bausachen ein: " Priuet oder Heimlichkeiten sollen den Kirchhoffen neher nicht, denn auff 5 Fuß gebawet werden." Die wismarsche Bürgersprache vom Jahre 1610 schreibt in §. 4. vor: Niemand soll die Kirchhöfe verunreinigen, auch ein Jeder sein Vieh davon abhalten; und in §. 10.: Niemand soll Misthaufen an den Kirchhöfen liegen haben. Aber das Bild der protestantischen Kirchen und ihrer Höfe in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird durch Thatsachen nur zu bestimmt bezeichnet. So liefen nach amtlichen Berichten auf dem Domkirchhofe zu Schwerin im Jahre 1680 täglich Schweine und Gänse umher; in der Kirche selbst wurden sogar an Sonntagen die Gänge und Stühle durch den Koth "gottloser Buben" verunreinigt und die Schlösser und Gehänge von den Stuhlthüren und Klappen abgebrochen. Gleichzeitig lag z. B. der Kirchhof zu Wittenburg durch Jahrzehnte (sicher 1673 - 1688) unbefriedigt, so daß "großes und kleines Vieh" die Gräber durchwühlte und beschmutzte, zuweilen auch in die Kirche selbst eindrang. Im Jahre 1698 hatten "gottlose böse Leute" todte Schweine auf den Domkirchhof zu Schwerin geworfen, wo sie Tage lang die Luft verpesteten. Um das Jahr 1710 nahm das Tragen "von allerhand Mist" an denselben Ort überhand und im Jahre 1731 ward zu Schwerin zum vierten oder fünften Male von der Kanzel des Domes herab das Verbot erneuert: "auf dem Kirchhoffe und in denen Kreutzgängen allerhandt Außkehrigt und Schuttwerck, auch wohl Mist und Unflath hinzubringen und niederzuwerfen." Ganz dieselbe "unaufhorliche freche Verunreinigung" der Kirchen und Kirchhöfe fand damals und in noch späterer Zeit in vielen anderen Städten nach amtlichen Berichten statt, wie denn das Ablagern von Auskehricht und Koth auf dem Domkirchhofe zu Güstrow so arg war, daß wiederholte und geschärfte landesherrliche Polizeierlasse, wie ein solcher noch unter dem 29. März 1780 erging, dem Unwesen lange Zeit wenig erfolgreich begeg=

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neten. Daß Eigennutz und Willkühr der unzulänglich überwachten Kirchen=Oeconomie=Beamten, so wie der tiefe Verfall der Kirchen= und Schulzucht am Schlusse des vorigen und im Anfange unsers Jahrhunderts auch in dieser Beziehung, dem Wesen der "Aufklärungs=Periode" entsprechend, noch mitgewirkt haben, wird durch Acten, wie durch das Zeugniß von Mitlebenden außer Zweifel gesetzt.

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