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V.

Das Land Kutsin oder Kutin.

von

G. C. F. Lisch.


D ie Bestimmung der Lage des Landes Kussin, welches nach der ersten Landestheilung zum Fürstenthume Richenberg=Parchim gehörte, hat ein vielfaches Interesse und kann selbst wichtigern Untersuchungen in der Landesgeschichte zur Unterstützung dienen, des archäologischen Interesses kaum zu gedenken, indem dieses Land in dem später lange Zeit hindurch traditionell gewordenen Titel der Obotritenfürsten (rex Kissinorum et Kussinorum) das ganze Mittelalter hindurch eine Rolle spielt. Die Erforschung der Lage dieses Landes ist aber nicht allein durch sich selbst schwierig, sondern wird noch mehr dadurch erschwert, daß es mehrere, ebenfalls nicht unwichtige Ortschaften und Länder mit ähnlich klingenden Namen in Meklenburg giebt, deren Lage auch noch nicht bestimmt ist. Es gab nämlich ein Kissin, ein Kussin und ein Kutsin. Zur sichern Beglaubigung kommen alle drei Ortschaften in der Fundations=Urkunde des Klosters Sonnenkamp (Neukloster) vom J. 1219 1 ) vor:

"villa Kuszin, ubi locus idem fundatus est, qui nunc Campus Solis vocatur; - - ecclesia quoque Kiszin et villa Rokentin;-- in terra Cutsin villa, quae dicitur Techutin".

Wo des Fürsten Borwin Domaine oder Privaterbtheil ("de nostro patrimonio", nach der eben erwähnten Urkunde) Kuszin lag, unterliegt also keinem Zweifel, da das Kloster Sonnenkamp oder Neukloster an der Stelle dieses


1) Vergl. Lisch Mekl. Urk. II, Nr. I und II.
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Ortes erbauet ist, wie es auch der Bischof Brunward in zwei Confirmations=Urkunden, von 1219 und 1235 1 ), wiederholt ausspricht.

Der Ort Kissin lag nach vielen Anzeichen ohne Zweifel in dem später so genannten Lande Rostock 2 ) und ist wohl sicher das jetzige Kirchdorf Kessin in der Nähe von Rostock. Das Kloster Sonnenkamp erhielt schon bei seiner Gründung die Kirche zu Kissin und das dazu gehörende Dorf Roggentin, welches bei Rostock liegt; der alte Tempelort Goderac oder Godhardsdorf (villa S. Godehardi) lag an der untern Warnow 3 ), in dem Lande Kytin (in terra Kytin), wo freilich Kytin statt Kyszin steht, was allerdings eine Variante zwischen hochdeutscher und niederdeutscher Aussprache sein kann; das Land Kissin grenzte an das Land Circipene. Zeichen genug für die Behauptung; doch bedarf die Lage dieses Landes noch einer genauern Nachweisung, wenn sie auch aus vielfachem Vorkommen und allen Verhältnissen der letzten Glieder des obotritischen Fürstenhauses im Allgemeinen nicht zweifelhaft sein kann.

Ueber das Land Kutsin herrscht aber noch völliges Dunkel, ja man hat es nicht selten mit den Ländern Kizsin und Kuzsin verwechselt. Zuerst kommt das Land Kutsin oder Kutin in der Confirmationsurkunde des Kaisers Friederich für das Bisthum Schwerin vom J. 1170 vor 4 ). Nachdem die nördlichen, dem Bisthume zugetheilten Provinzen aufgezählt sind:

"Castrum Magnopolense, Sverin, Kutin, Kissin",

d. h. in richtiger geographischer Aufeinanderfolge von O. gegen W.

"Meklenburg, Schwerin, Kutin (d. i. Kuzsin oder Sonnenkamp) und Kissin" (bei Rostock)

werden auch die südlichen Provinzen des Bisthums genannt:

"Parchim quoque, Kutin et Malchow, cum omnibus villis ex utraque parte alvei, quae dicitur Elde, ad ipsa castra pertinentibus".

Das Land Kutin oder Kutsin, nach der dazu gehörenden Burg so genannt, lag also zwischen den Ländern Par=


1) Vergl. Lisch Mekl. Urk. II, Nr. II und VII.
2) "Wurle, situm iuxta flumen Warnou, prope terram Kicine". Helmold I, 87, 3. - Werle lag bei der Stadt Schwaan; vgl. Jahrb. VI, S. 88 flgd.
3) Vgl. Jahrb. VI, S. 70 flgd.
4) Vgl. Lisch Mekl. Urk. III, Nr. I.
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chim und Malchow und umfaßte hier die Dörfer an beiden Ufern der Elde.

Es ist auch möglich, zwei ziemlich weit von einander entfernte Puncte in der Längenausdehnung dieses Landes anzugeben.

Das Kloster Sonnenkamp erhielt bei seiner Gründung im J. 1219 zwanzig Hufen zu Techentin im Lande Kutsin:

"in terra Cutsin in uilla, que dicitur Techutin, XX mansos";

und der Bischof Brunward bestätigte im J. 1235 dem Kloster:

"in prouincia Cuscyn Techentyn".

Dieses Dorf, welches das Kloster bis zu seiner Säcularisirung besaß, ist das Dorf Techentin bei Goldberg. Nicht lange nach der Zeit der ersten Geschichte Meklenburgs war das Land Kutsin 1 ) zum Lande Parchim geschlagen, indem es in einer päpstlichen Confirmations=Bulle für das Kloster Sonnenkamp vom J. 1267 2 ) heißt:

"Tehghentin in terra Parchem".

Im J. 1271 schenkte auch der Fürst Heinrich von Mecklenburg demselben Kloster das Dorf Niendorf (Par. Wahmkow) im Lande Parchim (Niendorp in terra Parchem) 3 ).

Ohne Zweifel umfaßte das Land Kutsin gegen Südost hin noch den plauer See. Die Urkunden des Bisthums Schwerin werden auch hier wieder vermißt; jedoch können die noch vorhandenen alten Regesten aushelfen. Als am 26. April 1232 die fürstlichen Brüder Nicolaus und Heinrich, Herren von Rostock, dem Stifte Schwerin ihre Rechte am Lande Bützow abtraten, verliehen, sie 4 ) demselben auch die Hälfte der Wasserverbindung zwischen dem malchower (d. i. Flesen=) See und dem plauer See:

"Obgemelte hern geben auch in disem brieffe dem Bischoffe vnd seiner Kirche zwei Dorffer, die sechtszig hufen haben, auch den halben teil des wassers, so von Malechowe heruntergeht in den See Cuzhin, vnd die andern Wasser, so weit sich das


1) Die Varianten des Namens können nicht irre machen, wenn die Identität des an den verschiedenen Orten genannten Landes außer Zweifel gesetzt ist. Im J. 1170 heißt der Ort Kutin, im J. 1181 Kitin, im J. 1219 Kutsin, im J. 1235 Kuscyu. - Auch bei Wittenburg (Par. Körchow) lag ein Kutsin (vgl. Ratzeburger Zehnten=Register), welche jetzt Kützin heißt.
2) Vgl. Lisch Mekl. Urk. II, Nr. XXI.
3) Vgl. das. II, Nr. XXIII.
4) Vgl. das. III, Nr. XXV.
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landt daran erstreckt des dorffs Crazneierst; das ander dorf seind sie ihnen gleichßfalß einzuantworten verpflichtet".

Der hier genannte See Cuzhin oder Kuzin, in den von Malchow her ein Gewässer fließt, kann kein anderer sein, als der plauer See. Das bischöfliche Dorf Crazneierst, welches an dieser Wasserverbindung lag, ist das später sogenannte Dorf Bischofsdorf, jetzt Biestorf 1 ). Freilich lagen im 12. Jahrh. des schwerinschen Bischofes zwei Dörfer im Lande Müritz und im Lande Warnow. In den Fundations= und Confirmations=Urkunden des Bisthums Schwerin aus dem 12. Jahrhundert werden aber nur die beiden größern Länder Warnow und Müritz im Süden des bischöflichen Sprengels aufgeführt, an deren Stelle unmittelbar darauf im 13. Jahrhundert oft die kleineren Länder oder Vogteien: Brenz, Parchim, Ture, Kuszin, Malchow, Vipperow genannt werden 2 ). Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in ältester Zeit die Vogtei Kuszin ganz oder theilweise der westlichste Theil des größern Landes Müritz war, oder daß die Grenze zwischen den Ländern Müritz und Warnow östlich am plauer See war, so daß von zwei neben einander liegenden Dörfern (Biestorf, und Petersdorf?) das eine im Lande Warnow, das andere im Lande Müritz lag. In der Urkunde des Papstes Alexander III. vom J. 1177 3 ) werden die beiden Dörfer als am "Sturichze" liegend aufgeführt; der "Sturich=zê, d. i. stursche See kann aber wieder kein anderer sein, als der plauer See.

Diese Nachricht von der Lage des Sees Cuzhin wird noch im J. 1295 durch eine Urkunde bestärkt, in welcher dem Kloster Neuenkamp der Aalfang in den Gewässern des plauer Sees bestätigt ward; hier wird eine Stelle bei Plau am See, nördlich vom Ausflusse der Elde aus diesem See,

"Cutzinerorth"

genannt. Das deutsche Wort "ort" heißt: "Spitze, Ecke". Das erste Glied dieser Composition trägt offenbar den Namen Cutzin (Cutzin-er-orth = Kutziner Ecke, wie Klützer Ort = Ecke des Landes Klütz) 4 ). Diese Stelle kann nun von


1) Die Lage des bischöflich=schwerinschen Dorfes Bischofsdorf, jetzt Biestorf, ist in Jahrb. II, S. 147, und V, S. 219 nachgewiesen.
2) Ueber die Lage der Länder Warnow und Müritz vgl. Jahrb. II, S. 103.
3) Vgl. Lisch Mekl. Urk. III, S. 35.
4) Beim Cutzinerorth lag im J. 1295 auch noch ein Sonnenberg ("locus qui uocatur Sunnenberge").
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dem Lande oder dem See Kutzin den Namen haben oder auch von einem Dorfe Kutzin, auf dessen Feldmark diese Stelle lag und welches späterhin bis heute Qetzin genannt ist, wenn nicht grade dieser Ort Quetzin das alte Cutszin oder Kutin ist und das Land und der See Kutsin wieder von diesem Dorfe den Namen tragen, was allerdings am wahrscheinlichsten ist.

Ja noch im J. 1331 verpfändete, nach den Regesten der bischöflich=schwerinschen Urkunden, der Bischof Johann mehrere bischöfliche Tafelgüter und namentlich "in Cussin Jabel" (nördlich am Cölpin=See). Jabel dürfte also einer der südöstlichsten Puncte des Landes Kuszin sein.

Das Land Kutsin lag also ohne Zweifel, wie das Land Ture, in der Richtung von NW. gegen SO., zu beiden Seiten der Stadt Goldberg, zwischen den spätern Städten Sternberg und Plau, und ward gegen W. von dem Lande Ture, gegen O. von den Ländern Werle und Malchow begrenzt und bestand ungefähr aus den jetzigen Aemtern Goldberg und Plau. Schon im 13. Jahrh. ward das Land Kutsin, wie das Land Ture, zum Lande Parchim gelegt. Die alte südwestliche Grenze des Landes Werle bildete die Mildenitz (von Goldberg bis Sternberg); nach dem Untergange des Hauses Richenberg=Parchim kam jedoch das Land Kutsin an Werle, indem fortwährend Techentin von Werle, dagegen Niendorf (im Lande Parchim) von Meklenburg confirmirt ward. Hat diese Lage des Landes Kutsin ihre Richtigkeit, so lagen auch Wahmkow, Pritz und Karow, ebenfalls Endpuncte, in dem Lande Kutsin, da sie 1254 und 1256 im Lande des Fürsten Pribislav lagen.

Wo die fürstliche Burg Kutsin lag, von welcher das Land den Namen hatte, läßt sich wohl schwer bestimmen. Möglich und wahrscheinlich ist es, daß sie an der Stelle des jetzigen Dorfes Quetzin bei Plau stand; möglich wäre es freilich, daß die borwinsche Domaine Kuszin, auf welcher das Kloster Sonnenkamp erbauet ward, die alte Burg Kutsin gewesen sei, aber wahrscheinlich ist es nicht; denn schwerlich wird das Land Kutsin so weit gegen NW. gereicht haben, des Umstandes kaum zu gedenken, daß in der Fundations=Urkunde des Klosters Sonnenkamp ausdrücklich und gesondert Kuszin neben Cutsin genannt wird. Es ist also einstweilen am gerathensten anzunehmen, daß die Burg Kutsin an der Stelle des Dorfes Quetzin gelegen habe. Dies scheint dadurch bekräftigt zu werden, daß noch in den J. 1264 und 1271 ein

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Burgwall zu Quetzin existirte; es heißt nämlich in zwei Urkunden von den genannten Jahren, die Kirche zu Quetzin besitze:

"duas kotas in villa Quitzin sitas ante Borchwall;"

auch die Waldung, welche bis an den Cutzinerorth ging, hieß der Wald Quitzin. Ja noch in den Jahren 1348 und 1355 existirte, nach Urkunden:

"de borchrûm, dat man den borchwal nometh, to endest deme dorpe Quitzyn belegen".