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1.
Canzler=Insignien im Mittelalter.

Die Würde eines Canzlers war im Mittelalter die höchste im Staate und entspricht der Würde eines Ministers oder Regierungs=Präsidenten. Das ganze Mittelalter hindurch war das Canzler=Amt in den Händen von Geistlichen, weil diese allein im Besitze der Gelehrsamkeit und der erforderlichen technischen Fertigkeiten waren. Die Canzler=Würde an den kleineren Höfen Deutschlands entstand im 14. Jahrhundert aus der Nachahmung dieser Würde am kaiserlichen Hofe, wie in Norddeutschland alle Hofämter, wie die eines Marschalls, Kämmerers, Truchsessen u. s. w., in dieser Zeit den kaiserlichen Hofämtern nachgebildet wurden. Im 12. und 13. Jahrhundert gab es dem Range und Titel nach keine Canzler; tüchtige, gewandte Geistliche, oft aus edlen Geschlechtern, dienten als "Schreiber, Notarien, Protonotarien" an den fürstlichen Höfen und beriethen und entwarfen nicht allein die fürstlichen Urkunden, sondern fertigten sie auch aus. Als aber im 13. Jahrhundert die Geschäfte sich mehrten und ein größeres Schreiber=Personale erforderlich war, ward ein fähiger Mann an die Spitze der Canzlei (Canzler) gestellt, um die Staatsgeschäfte mehr zu leiten. Die Räthe der Fürsten waren nach, wie vor, Ritter, welche in den fürstlichen Urkunden als Zeugen oder Räthe (consiliarii, secretarii) auftreten; zur endlichen Bestimmung der fürstlichen Entscheidung war aber der vertraute Canzler beiräthig, welcher auch die Staatsurkunden entwarf, jedoch nicht mehr ausfertigte, sondern die Geschäftsführung in der fürstlichen Canzlei und überhaupt alle fürstlichen Geschäfte nur leitete. In Meklenburg behauptete der Canzler lange diese Stellung; erst im 17. Jahrhundert ward Geschäftstheilung eingeführt.

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Die eigentlichen Insignien oder Amtszeichen des Canzlers waren die fürstlichen Siegel, welche der Canzler nothwendig allein und mit Verantwortlichkeit führen mußte, indem in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters die Schreibkunst in den höhern Ständen wenig verbreitet war und ein Mann vorhanden sein mußte, der sich im Namen des Fürsten von der Richtigkeit der ausgestellten Urkunden zu überzeugen hatte.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts (1339-1351) war Barthold Rode Protonotarius am meklenburgischen Hofe des Fürsten Albrecht; dieser wird wohl zuerst Canzler genannt. Ihm folgte Bertram Bere aus der im 16. Jahrhundert ausgestorbenen adelichen Familie, welche drei Schwanenhälse im Wappen führte. Sein Nachfolger war der Magister Johannes Cröpelin (in einem und demselben Jahre "protonotarius, cancellarius, kenzeler, schriver" genannt). Von diesem besitzt das großherzogliche Archiv noch einige Conceptbücher auf Papier, eines von Baumwollen=, ein anderes von Linnen=Papier, wie es scheint. Diese Bücher beweisen unzweifelhaft, daß die Insignien des Canzlers in Führung der fürstlichen Siegel bestanden. Der Canzler Bertram Bere hatte im J. 1358 eine Urkunde entworfen, aber nicht ausgefertigt; als sie ausgegeben werden sollte, nahm der Canzler Johann Cröpelin eine Abschrift von derselben in sein Conceptbuch auf, jedoch mit dem alten Datum aus Bertram Bere's Amtsführung:

In cuius rei testimonium sigillum nostrum presentibus est appensum. Datum anno domini M°CCC°LVIII°, feria quarta infra octauas corporis Christi,

und hing das fürstliche Siegel an dieselbe, bemerkt jedoch bei dem Concepte, obgleich der Canzler Bertram Bere die Urkunde noch hätte besiegeln müssen, so habe er doch auf besondern Befehl seines Herrn in dem Jahre, als er dieses Conceptbuch angelegt, das fürstliche Siegel angehängt:

Licet ista littera debuisset per dominum Bertrammum Beren sigillasse anno quo supra, tamen ex iussu et mandato speciali domini mei eam sigillaui feria quinta infra Penthecostes anno quo registrum incepi.

Das Conceptbuch legte Johann Cröpelin im J. 1361 an:

Incipit registrum, inchoatum per Johannem Cröpelin, protonotarium illustris principis domini Alberti ducis Magnipolensis etc., sub anno in-

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carnationis domini M°CCC°LX primo, sabbato ante dominicam Palmarum.

Es geht hieraus unwiderleglich hervor, daß der Canzler das fürstliche Siegel führte. Es soll damit nicht gesagt sein, daß der Canzler nach neuern constitutionellen Ansichten für die Verhandlungen verantwortlich gewesen sei, denn die meisten fürstlichen Urkunden beweisen, daß die Urkunden auf fürstlichen Befehl besiegelt wurden (scriptum sigillo nostro duximus oder iussimus communiri); aber er war für den rechtmäßigen Gebrauch des Siegels und die Richtigkeit der besiegelten Urkunde nach den voraufgegangenen Verhandlungen verantwortlich. Die Führung des Siegels durch den Canzler dauerte das ganze Mittelalter hindurch; noch zur Zeit der Reformation ließ sich der Herzog Heinrich der Friedfertige auf einer Reise von seinem Canzler Caspar von Schöneich einige "Presseln", d. i. Siegelbänder oder Siegeldecken mit aufgedruckten Siegeln zur Ausstellung von Urkunden nachsenden. Die Fingereindrücke auf der Rückseite der Wachssiegel aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind wahrscheinlich von des Canzlers eigener Hand zum Zeugnisse der richtigen Anhängung; denn die Anhängung und Ausprägung der Wachssiegel war gewiß ein mühsames, mechanisches Geschäft, welches der Canzler wohl nicht eigenhändig verrichtete. Es läßt sich zwar nicht beweisen, daß die Fingereindrücke eine bestimmte Bedeutung gehabt haben; aber die Beobachtung an vielen tausend Urkunden führt am Ende darauf, daß eine gewisse Regelmäßigkeit hierin herrschte, die nicht zufällig sein kann. Und in schwierigen Zeiten, z. B. in den ersten Zeiten nach einer unruhigen fürstlichen Vormundschaft, ließen die Fürsten beständig ihr kleineres Secretsiegel, welches sie persönlich führten, da sie es auf Reisen bei sich hatten, wenn auch der Canzler nicht gegenwärtig war, statt der Fingereindrücke auf die Rückseite der Siegel setzen. Diese Besiegelung der Urkunde und die Bezeichnung der Rückseite der Siegel mit Fingereindrücken ist im Mittelalter wahrscheinlich das, was man "Hand und Siegel" nannte.

Hiernach scheint Riedel in den "Märkischen Forschungen, II, 1, S. 62, nicht Recht zu haben, wenn er meint, daß "die Aufbewahrung des markgräflichcn Siegels keinem bestimmten Beamten übertragen gewesen, sondern der Person der Fürsten vorbehalten geblieben sei". Die Formeln in den Urkunden beweisen für diese Ansicht nichts, da die Urkunden auch im Namen der Fürsten geschrieben wurden. Es fehlt nur an bestimmten Aeußerungen darüber, wer die Urkunden besiegelt habe. Die meklenburgischen Urkunden sind den märkischen in der Form

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gleich, und doch besitzen wir nur die vorstehende Aeußerung, ohne welche wir keinen bestimmten Schluß machen könnten, über die Besiegelung der Urkunden.

Das Datum der Urkunden scheint sich nach dem Vorstehenden auf die schriftliche Ausfertigung, nicht auf die Besiegelung derselben zu beziehen.

G. C. F. Lisch.