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Die Kirchen zu Parchim

sind nach 1218 gebauet, d. h. nach der Gründung der Stadt, welche sich aus diesem Jahre datirt.

a. Die St. Marien=Kirche auf der Neustadt

ist im Ganzen in ihrer jetzigen Gestalt die ältere. Sie ist nur klein und besteht im Grundplane aus einem viereckigen Chore, aus einem oblongen Schiffe und einem Thurmgebäude. Chor und Schiff haben noch eine Friesverzierung von halben Kreisbogen unter einem Gesimse von übereck eingesetzten Ziegeln; die Kirche wird also schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. vollendet gewesen sein, obgleich im J. 1229 nur Ein Pfarrer von Parchim vorkommt (vgl. Clemann S. 109).

Der Chor ist viereckig, mit rechtwinkelig angesetzter, grader Altarwand, ohne Strebepfeiler, mit dünnen Wandstreifen an den Ecken. Von allen Fenstern der Kirche sind nur die 2 südlichen Fenster des Chors aus der Zeit des Baues: sie sind schmal, ohne gegliederte Wandung, schräge eingehend, oben nur ein wenig spitz gewölbt und mit abwechselnd schwarz glasurten Ziegeln an den Ecken eingefaßt: der Bau der Kirche fällt also in die Uebergangs=Periode. An der Altarwand finden sich noch Reste von Abgrenzung der (jetzt zu Einem großen Fenster umgestalteten) alten Fenster durch säulenförmige Pilaster. Der Styl gleicht in dieser Hinsicht ziemlich dem Styl der Kirche zu Grevismühlen. - Der hausähnliche Giebel über der Altarwand ist wohl im 14. Jahrhundert aufgesetzt.

Im Ganzen ist die Kirche im Aeußern sehr verbaut und hat außer der Friesverzierung und den angedeuteten Ueberresten am Chor keine andere Zeichen des Alterthums mehr.

Das Schiff hat schon weite, große Fenster, erhalten. Im Innern hat es ein Mittelschiff und zwei gleich hohe, schmalere Seitenschiffe, alle im Spitzbogen überwölbt. Die Gewölbe mit ziemlich starken Rippen sind kräftig und alt; jedoch der Länge der Kirche nach viel mehr lang, als breit, was allerdings eigenthümlich ist. Die Kapitäler der Pfeiler und überhaupt die Verbindung zwischen Pfeilern und Gewölben ist überall stark mitgenommen und kaum erkennbar. - An der Nordseite ist, wahr=

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scheinlich im 15. Jahrhundert, ein Raum von 2 großen, weiten Gewölben mit weiten Fenstern zur Vergrößerung des Raumes angesetzt. Am Eingange dieses Anbaues, namentlich an der Schwelle, sind auch einige von den berühmten jüdischen Grabsteinen aus der zweiten Hälfte des 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verbauet, aus denen die Fundamente des äußern Kreuzthores aufgeführt sind. Der jüngste jüdische Grabstein ist vom J. 1346, im J. 1435 sollte das neue Kreuzthor gebauet werden, und im J. 1482 hieß der Anbau schon "dat nyghe buwet (das neue Gebäude)" (vgl. Cleeman S. 316). Der Anbau ist also auch nach urkundlichen Zeugnissen im 15. Jahrhundert ausgeführt. - Die alte Südseite des Schiffes hat zwar 2 Strebepfeiler; sie scheinen jedoch zum Nothbehelfe für die jüngere Wölbung angesetzt zu sein.

Die Kirche ist 18 41/42 im Innern renovirt. In ihrer jetzigen Verfassung hat sie fast allen alterthümlichen Schmuck verloren; von alten Bildern ist keine Spur mehr vorhanden. Die Kirche ist mit Ausnahme von Altar, Kanzel, Orgel, Taufkessel, Stühlen und Chören ganz leer.

Die Orgel aber ist ein ausgezeichnetes Kunstwerk von Schnitz= und Tischlerarbeit, (etwa aus dem 17. Jahrh.), mit sehr schönem Laubwerk und trefflichen eingelegten Zeichnungen.

Der Altar ist von leichtem gothischen Schnitzwerk aus der letzten katholischen Zeit. Im Mitteltheil steht ein Marienbild in einer Glorie, von einem Blumenkranze (Rosen und Lilien?) umgeben, auf welchem 2 Hände und 2 Füße mit den Nägelmalen und ein Herz mit dem Lanzenstiche in gleichmäßigen Entfernungen angebracht sind. Die ganze Darstellung ist der am Hauptaltare zu Gadebusch völlig gleich.

Der Taufkessel von Bronzeguß ist alt. Er wird von 4 menschlichen Figuren getragen, hat unten eine Verzierung von Weinlaub, darüber eine Reihe von Heiligenbildern unter Bogenverzierungen und unter dem Rande folgende Inschrift von sehr großen mittelalterlichen Unzialen:

Inschrift

welche, wenn auch keine Abbreviaturenvorhanden sind, wahrscheinlich so abzutheilen und zu lesen ist:

Inschrift

d. h.

Lieben Leute wisset daß Meister Hermen goß dies Vaß.                    (= Hermann)

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Cleeman lieset S. 310 an der schwierigen Stelle der imUebrigen sehr klaren Inschrift:

"mest hermt ud"

und interpretirt:

"Lieben Leute, wisset das meiste hiemit aus diesem Faß".

Unter dieser Inschrift steht neben den Figuren:

Inschrift

(anno domini 1365. Est (?) oder: ecclesia (?) Maria.

Vor dem Altar liegt nach ein alter Leichenstein, dessen innere Fläche zu einer neuen Inschrift benutzt ist, mit der unversehrt erhaltenen Inschrift:

Inschrift

(= Anno domini MDXVII in octava die apostolorum Petri et Pauli obiit dominus et magister Nicolaus Tzolkow, decanus ecclesiae Butzowensis. Orate pro eo.)

b. Die St. Georgen=Kirche

auf der Altstadt ist im Ganzen in ihrer jetzigen Gestalt jünger als die Marienkirche. Das Schiff ist eine große, hübsche Spitzbogenkirche, etwa aus dem 14. Jahrhundert, den wismarschen Kirchen ähnlich.

Die Kirche besteht aus einem Schiffe mit einem Seitenschiffe an jeder Seite, einem Chor mit Umgang und 2 Kreuzflügeln und einem Thurmgebäude.

Die eigentliche Kirche ist das Schiff mit den beiden Seitenschiffen, in dem würdigen Spitzbogenstyl des 14. Jahrhunderts 1 ) erbauet. Das Schiff war früher im Osten geschlossen und hatte sicher eine kleine Altartribune. Im 15. Jahrhundert öffnete man die Ostseite und baute nicht allein einen Chor mit Umgang, sondern auch 2 Kreuzflügel an die Seiten des Chors an. Man sieht diese Erweiterung ganz klar; die Eckwände sind


1) Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß der Bau aus der ersten und bessern Zeit des 14. Jahrhunderts stammt. Unser Freund Dr. Beyer macht auf eine Stelle in Cordesii Chronik (bei Cleemann S. 20) aufmerksam, nach welcher die alte Kirche 1289 durch Brand zerstört ward und neu aufgebauet werden sollte.
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überall abgehauen und die Pfeiler am Ende aus den Wänden modellirt. - Dieser Chor ist in einem sehr schlechten Styl des 15. Jahrhunderts aufgeführt. Der innere Chorraum oder die Altartribune ist eng; die Gewölbe werden von nahe stehenden, vieleckig gestalteten Pfeilern getragen. Der Umgang ist dagegen übermäßig weit, in der buntesten Grundform von vielen Strebepfeilern aller Art aufgeführt und von weiten, unschönen Fenstern durchbrochen; so z. B. bestehen die beiden Fensterpaare neben dem mittlern Fenster hinter dem Altare aus zwei halben Fenstern von großer Dimension, welche durch einen großen dreieckigen Strebepfeiler ganz regelmäßig geteilt sind, u. dgl. mehr. Die an die Seiten des Chors angelehnten Kreuzschiffe sind von gleichem Styl. Die beiden Giebel derselben sind hausähnlich construirt, reich mit Verzierungen aus schwarz glasurten Ziegeln bedeckt und gleichen ganz dem alten Wohnhause am Markte zu Wismar.

In dem Thurmgebäude besitzt die Kirche eine große architectonische Merkwürdigkeit, indem dasselbe ohne Zweifel und klar das älteste Kirchengebäude in sich aufgenommen hat, und dadurch zur Vergleichung ähnlicher Bauten sehr dienlich ist. Das älteste Kirchengebäude war nämlich eine Kirche oder Kapelle von 2 kleinen, niedrigen Gewölben Länge, bestehend aus einem Mittelschiffe, das zwei Stockwerke hoch war und zwei Seitenschiffen von der Höhe eines Stockwerkes. An diesen alten Bau ward das Schiff der eigentlichen Kirche angesetzt und über denselben der Thurm gebauet, und die alten Seitenschiffe gingen in die Seitenschiffe der jüngern Kirche über. Dies alles ist noch klar zu sehen. Der alte Bau war im schönen Uebergangsstyl in den ersten Zeiten der Stadt ausgeführt. Die Gewölbe sind eingeschlagen, aber es sind noch überall die Träger und Anfügungen zu sehen; die Kämpfergesimse aus Granit stehen in den jetzigen Mauern noch klar und kräftig. Man hat die Mauern, wo es nöthig war, verdickt, um den Thurm tragen zu können, und z. B. an der Nordseite (jetzt im Innern) einen gewaltigen Strebepfeiler gegengeschoben. An der südlichen Wand des zweiten Stocks dieses alten Gebäudes steht (jetzt innerhalb des jetzigen südlichen Seitenschiffes) noch der ganze Fries aus halben Kreisbogen. In der äußern, westlichen Wand des Thurms kann man diesen alten Bau klar erkennen, und sehen, wie und wo die jüngern Theile angesetzt sind. Alte Bogenöffnungen sind vermauert; das Fenster über der Thurmpforte ist noch ein schmales, glatt und schräge eingehendes Fenster aus der Uebergangsperiode; ein gleiches, kleineres Fenster steht noch daneben in der Wand des ehemaligen Seitenschiffes, und dar=

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über stehen auf Wandstreifen noch Reste des Rundbogenfrieses. - Dieser Theil der Kirche ist bestimmt noch älter, als der 1289 abgebrannte Theil gewesen sein mag.

Eben so verhält es sich mit dem Dome zu Schwerin 1 ). Dieser ist 1222 - 1248 erbaut; aber in der Westwand des Thurms stehen ebenfalls noch die Reste eines ältern Baues. Zwei schmale Fenster mit leiser Andeutung des Spitzbogens sind hier zu Einem großen Fenster umgeschaffen und über demselben steht noch der Rundbogenfries. Im Innern sind hier ebenfalls noch Spuren alter Gewölbe.

Uebrigens war der Thurm schon früh baufällig. Am 25. Aug. 1473 ertheilte der Bischof Werner von Schwerin allen denen Ablaß, welche zur Besserung des Thurmes (campanile), namentlich der baufälligen Spitze desselben, beitragen würden.

Die St. Georgen=Kirche zu Parchim hat ebenfalls wenig alterthümliches Mobiliar. Der geschnitzte Altar aus der ersten Hälfte des 15. Jahrh. ist bemerkenswerth, aber grade nicht ausgezeichnet. Die Chorschranken sind noch ganz vorhanden, mit vielem Schnitzwerk, welches zwar nicht ausgezeichnet ist, jedoch eine Reihe verschiedener, hübscher, wenn auch nicht überall sehr sauber gearbeiteter Rosetten enthält.

Die Kanzel ist dagegen ein ausgezeichnet schönes Schnitzwerk, das seines gleichen sucht, jedenfalls noch viel schöner ist, als die schöne Kanzel zu Bützow (vgl. Jahresber. III, S. 139). Sie enthält viele biblische Scenen, die in Zeichnung und Ausführung von seltener Vollkommenheit sind. Sie ist im J. 1580 vollendet und trägt die Dedications=Inschrift:

IN . DEI . HONOREM . AC. PATRIAE . SUAE .ORNAMENTUM . D. . D. . JOHANNES . GRANSIN . CIVIS . LUBICENSIS.

Das Crucifix auf dem sogenannten Triumphbogen ist, wie gewöhnlich, sehr mittelmäßig.


1) Vgl. Jahrb. VIII, S. 29.