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XI.

Handschriften

mittelhochdeutscher Gedichte,

mitgetheilt

von

G. C. F. Lisch.


Passionale

oder

Leben der Heiligen.


I m J. 1834 entdeckte ich im Großherzogl. Geh. Haupt=Archive zu Schwerin eine Handschrift mit dichterischen Lebensbeschreibungen mehrerer Heiligen. Der Coder ist von Pergament in kl. Fol. Er enthält 198 Blätter, von denen jedoch das erste bis auf geringe Reste ausgerissen ist; jede Seite hat 2 Columnen, jede Columne enthält 40 Zeilen auf Linien, welche am Rande der Blätter durch Stiche bemerkt und mit Dinte gezogen sind. Die letzte Seite enthält nur eine Columne. Der Codex umfaßt also ungefähr 31,600 Verse. Er ist ohne Zweifel im Anfange des 14. Jahrhunderts geschrieben in einer festen, klaren Schrift mit sehr wenig Abbreviaturen. Die Hand wechselt einige Male; es möchte aber kaum zu bestimmen sein, ob der Codex von zwei Schreibern geschrieben, oder ob dieselbe Hand zu verschiedenen Zeiten daran beschäftigt gewesen ist. Leider haben die Mäuse stark in die untere Ecke des Pergaments hineingefressen, so daß durch ein ganzes Drittheil der Handschrift die letzten Zeilen dieser Ecke von der Schrift etwas verloren haben und 4 Blätter zum größern Theile weggefressen

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sind. Die Hauptabschnitte der Handschrift, welche immer den Anfang einer neuen Lebensbeschreibung bilden, beginnen mit einem großen Buchstaben in roth mit blauen Verzierungen; die Unterabschnitte in jeder Lebensbeschreibung haben auch große Anfangsbuchstaben, abwechselnd blau in rother und roth in blauer Verzierung. Ueberschriften sind nicht vorhanden.

Im Ganzen haben folgende 29 Heiligentage in dieser Handschrift ihre Verherrlichung erhalten:

1. Christophorus. 16. Justina.
2. Dominicus. 17. Cosmas und Damianus.
3. Laurentius. 18. Hieronymus.
4. Hypolitus.  19. Franciscus.
5. Bernhardus. 20. Thaysis.
6. Timotheus. 21. Dionysius.
7. Augustinus. 22. Alle Heiligen.
8. Felix. 23. Alle Seelen.
9. Egidius. 24. Martinus.
10. Lupus. 25. Brictius.
11. Hadrianus. 26. Elisabeth.
12. Protus und Jacinthus. 27. Cecilia.
13. Cornelius. 28. Clemens.
14. Euphemia. 29. Catharina.
15. Mauritius. 

Diese Lebensbeschreibungen werden zu denjenigen gehören, welche im Mittelalter in großer Zahl vorhanden waren und in viele Handschriften zerstreut sind. Bei der Mangelhaftigkeit der Litteratur dieses Zweiges der mittelhochdeutschen Poesie fällt es noch schwer, die Verbreitung der einzelnen Gedichte nachzuweisen; einige finden sich jedoch auch in andern Handschriften.

Um nur eines anzuführen, ist das das Leben der heil. Catharina in der schweriner Handschrift gleich mit dem Leben derselben Heiligen in einer Handschrift der Königlichen Handbibliothek zu Stuttgart nach Graff's Diutiska II, S. 67 - 68 (Cod. 9, d.); die Stellen, die bei Graff mitgetheilt sind, lauten in dem schweriner Codex also:

Anfang:

Katherina die vil liebe
zu der ich nu schiebe
alhie min getichte
vnde o mochte ich mit ichte
daz vollen lobelich getun
wand dich hat der gotes sun
aller kuscheite boum

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Jhesus Christus din brutegovm
mit tugenden wol gebriet etc.

Schluß:

O katherina vrouwe groz
nu bite vor din armen kint
die an dich rufende sint
vnde mit noten uberladen
hilf in vor gote vz allem schaden
vf daz sie noch dort obene
den hohen got zu lobene
werden lobelich gesehen
amen daz muze an vns geschehen.

Beide Handschriften weichen also nur in unbedeutenden orthographischen Eigenthümlichkeiten von einander ab.

Im Allgemeinen ist die schweriner Handschrift im Texte so rein und correct, wie es nicht häufig in Handschriften der Fall ist. Zur Probe folgt hier zur Vergleichung Anfang, Mitte und Schluß des Lebens der heil. Elisabeth, weil das Leben dieser Heiligen wohl am meisten bearbeitet ist und sich am ersten andere Handschriften von der schweriner Bearbeitung finden dürften.

E lizabeth die edele,
die mit hohem sedele
von der erden uberlut
als ein erwelte brut
ist in den himel erkorn,
die was von Vngeren geborn,
eines richen kuniges kint.
Got, des alle tugende sint
vnde sie teilet, swem er wil,
der hat genaden sere vil
an diz selbe mensch geleit.
Sie wart in irre kintheit
lantgreuen Ludewige bracht,
als da vor was bedacht
von ir vatere vnde van sime.
Abe aller sunden slime
was ie von kintheit ir vlucht;
sie wuchsen vf an schoner zucht
beide mit ein ander me
lange zit vor des e
wande sie kindere waren.
In den selben iaren,
e sie heten vol virnumft,

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do wisete sie, mit welcher kumft
ir gots genade queme;
die edele, die geneme,
daz reine kint, daz gute kint
tet rechte, als sie were blint
an dirre werlde wunne;
ir hogelobetez kunne
brach sie nicht uf an homut:
ir wille was ie zu gote gut,
den sie mit vlize ouch nach im bewach 1 ).
Do man sie noch so cleine sach,
daz sie nicht wol konde beten,
do quam sie dicke hin getreten
zur kirchen, des sie luste,
die wende sie da kuste
nach irre macht mit andacht;
vf dirre clucheit sie vacht,
daz sie sich stai von den gespiln
vnde machte ir vreude an in beziln;
als ir die andacht stete rief
in die capellen, sie stete lief
vur den alter: da ouch sie
sich dicke bougete uf ire knie
vnde weinte allen vollen,
ir hende al vnbewollen
sie zu gote racte,
nach irre macht sie stracte
ire gehugede stete an got,
siner liebe gebot
lac ir ie vollen nahen
vnde kondez wol gevahen
mit ires herzen gelide.
Sus wuchs sie uf an schonem vride
an zucht, an lobelicher gir,
vnde gots genade vaste an ir,
mit der ir leben ie zu nam.
Nu vugetez sich, daz ir bequam
Johannes ewangelista,
der irme herzen lac vil na
an sunderlicher vruntschaft
durch die kuschliche craft,
die ir wart von im geseit.


1) Die Handschrift hat: be a ch.
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Nu wolde ouch nach gewonheit
Elizabet die reine
der aposteln eine
kiesen, als man hute pflit.
Do truc man in der selben zit
zwelf liecht vor die vrowen:
sie kos vnde liez beschouwen,
welchen sie da hete erwelt:
do was Johannes ir gezelt,
zu deme sie ouch vor liebe truc.
Anderweide man do sluc
die liecht an einen vmmesweif:
seht wa sie aber da begreif
Johannem iren lieben.
Do liez sie aber schieben
die liecht zu houf vnde nam
Johannem, der ir aber quam.
Diz pruvete man vor wunder,
daz sie albesunder
Johannis liecht dries vant,
daz ir ie lief in die hant.


E z vugete sich in einer zit,
daz der lantgreue vollen wit
uz sime lande wanderte
vnde sich also veranderte,
daz er nicht lange wider quam;
ein reise in an den keiser nam
so hin dan in welsche lant.
Nu diz was alsus gewant,
er was vzen vnde sie bleib
an allen tugenden, die sie treib.
Binnen disen selben tagen
hub sich iamer vnde clagen
von einer grozen hungernot,
die sich deme lande erbot
vnde manigen sluc in grimmen tot,
der do nicht mochte haben brot.
Seth do liez sich schouwen
an Elizabeth der vrouwen
ir tugentliche heilikeit.
Der hunger was ein teil zu breit
an die lute gewant;

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vber gemein daz dutze lant
was sin druckender sweif.
Elizabeth die gute greif
do an ires herren gut;
ir barmherziger mut
gab do verre vnde bi
ir almusen harte vri;
der lantgreue was genant
do vurste uber vier lant
vnde hete gutes vil dar ab:
daz Elizabeth oc hine gab
den armen luten in der stunt.
Sie leite einen vullemunt
nach der erbermede lere:
der sunder alle kere
vnwithlich heldet sinen grat
vnde eine veste buwen lat
vf im, die eweclichen stat.
Seht diz worchte irre tugende rat.
Mit helfe vnsers herren
armer lute werren
pflac sie alsus zu buzene
vnde ir not zu suzene
mit vlize in allen sachen.
Ovch liez die vrouwe machen
einen spital da bi ir,
dar in wart nach irre gir
manic sieche do gebracht.
Diz wart ouch anderswo bedacht
von dirre heiligen witze
der erbermede hitze
als ir got erloubete.
Elizabeth beroubete
so gar ir gutes hin beneben,
daz sie zu iungest muste geben
cronen, cleidere, vingerlin,
vurspan vnde tessiclechin;
sie suchte in ir heimote
der gezierde cleinote:
swaz si des indert bi ir vant,
daz roubete ir uzer hant
die starke barmherzekeit.
Sie hete ouch eine gewonheit,
die edelen luten vuget wol,

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ob man die warheit sprechen sol:
alle tage sie des pflac,
daz sie zwir durch beiac
immer zu den siechen gienc
vnde ir not vndervienc
mit gutlicher helfe also;
die allercrenkest waren do,
den half ir dienst aller meist.
So rechte starc was ir geist
von vnsers herren minne enprant,
sie diente in selber mit der hant,
den truc sie, den wusch sie,
so bette sie deme hie,
dem gab sie spise, deme tranc:
als sie ir heilige zucht hetwanc.


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Bi dem grabe vnde ovch hin abe
maniger hande wetac
an manigen luten gelac,
die wol gesunt dar nach bliben.
Des von ir ist genuc beschriben.
Diz ist ein riche lehen.
Nu sul wir stete vlehen
die gute muter, die alhie
an armen luten begie
yil der barmherzeheit,
daz si vor gotesi gereit
vor vns zu bitene, so daz wir
in die vreude kumen zu ir,
daz wir got immer mere
loben in siner ere.
Des hielf herre lieber got
durch diner truwe gebot.