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IV.

Meklenburgische Volksmährchen

vom

wail. Pastor J. Mussäus zu Hansdorf 1 ).


1. Die Königswahl unter den Vögeln.

Vor Zeiten hatte jeder Schall einen Sinn; der Hammer des Schmieds rief: smiet mi to! smiet mi to! der Hobel des Tisch=


1) Am Charfreitage (den 29. März) 1839 verlor das Vaterland in dem Erzähler "einen seiner trefflichsten und seltensten Männer", wie ein eben so wahrer, als begeisterter Nachruf aus Rostock im Freimüth. Abendbl. 1839, Nr. 1058 ( vgl. auch den Nekrolog im Freimüth. Abendbl. Nr. 1070) mit Schmerz sagt. Ein Biedermann im reinsten Sinne des Worts, geistreich und tüchtig, originell und einfach, umfing er mit glühender Liebe alles, was den menschlichen Geist zu erheben vermag. Vorzüglich aber hatte er die Gabe, mit Geist in jede menschliche Eigenthümlichkeit sich zu versenken, gleichsam in derselben zu leben und diese seine Erlebnisse und Erfahrungen jener Eigenthümlichkeit getreu wieder zu geben. Auf diese Weise entstand bei seiner regen Thätigkeit eine reiche Sammlung von Beobachtungen aus dem Volksleben in jeder Beziehung, die er, als eifriges Mitglied unsers Vereins, demselben nach und nach zuwandte. Zuvor schon erschien im J. 1829 sein Versuch zu einer plattdeutschen Sprachlehre. Dann schenkte er unsern Jahrbüchern (II, S. 107 flgd.) die reiche Abhandlung über die niedern Stände in Meklenburg und verhieß bald mehr. Doch das schmerzliche, vieljährige Brustleiden, welches seinem Leben trotz wiederholter Operationen ein Ende machte, ließ ihn seine Arbeiten beschleunigen, so schwer sie ihm auch werden mochten. Er sah seinen baldigen Tod voraus; schon im Sommer 1837 empfing er mich am Meeresstrande bei Doberan, heiter und fest, als ein "Candidat des Todes", und faßte nun den Entschluß, bald niederzuschreiben, was er im Leben erfahren hatte. Vorzüglich wandte er seine Thätigkeit den Volksmährchen zu, die er selbst aus dem Munde des Volkes gehört hatte und zu deren Niederschreibung wohl Niemand so viel Beruf hatte, als er, gleich seinem entfernten Verwandten Musäus. Was er gegeben hat, konnte kein Anderer geben. Bald sandte er die erste Abtheilung der Mährchen. Am 24. Septbr. 1838 sandte er den Rest:
"Da habe ich wieder 3 Bogen Mährchen fertig! Recht lange mache ich's wohl nicht mehr; meine Engbrüstigkeit scheint im Zunehmen. Nun, wie Gott will!"
Am 25. Novbr. 1838 entschloß er sich, seinen plattdeutschen Sprachschatz an Kosegarten mitzutheilen, mit den Worten: (  ...  )
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lers sprach: dor häst ! dor, dor häst ! und der Mühle Räderwerk: help, Herr Gott! help, Herr Gott! Damals konnten auch die Vögel reden. Wann sie die Sprache verloren haben, wird nicht erzählt 1 ).

Lange hatten die Vögel in einem Freistaate gelebt; aber der Wunsch, andern Geschöpfen gleich zu sein, veranlaßte sie, einen König unter sich zu wählen. Auch mochten wohl die größern und stärkeren unter ihnen sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß auf sie die Wahl fallen würde. Auf einer ihrer Versammlungen brachte die Gans die Sache ernsthaft in Vorschlag; alle billigten es, nur der Kibitz nicht. Frei hatte er gelebt; frei wollte er sterben. Angstvoll flog er hin und wieder und schrie aus Leibeskräften: wo bliew ick? wo bliew ick? Seit der Zeit ging er auf immer in unbesuchte Sümpfe.

Aber wer sollte die Krone tragen? das war die große Frage. Nach vielem Gerede ward beschlossen, daß derjenige die Königswürde haben sollte, der am höchsten zu fliegen vermöchte. Natt, natt, natt! natt, natt, natt! warnte ein kluger Laubfrosch im Gebüsche. Quark ok! rief die Krähe; kein Blut, keine Thräne soll vergossen werden; Alles soll ganz friedlich hergehen. Der folgende Tag ward zum Probeflug angesetzt; alle zogen sich zurück, um ihre Kräfte zu stärken.


(  ...  ) "Es ist mir eine ungeheure Freude, daß die Sache in solche Hände gerathen ist. - - Es ist so kalt draußen; aber innen ist´s noch warm, besonders wenn ich an meine lieben Freunde denke. Am Neujahrstage 1839 sandte er die Sympathien, und schrieb dabei: Dem Herrn Prof. Kosegarten habe ich bereits 70 bis 80 Sprichwörter und über 500 Wörter zugesandt, die nicht in dem Dähnert "stehen, sondern die ich selbst größtentheils unter den Bauern hörte. Wie ein Hamster habe ich früher habsüchtig mancherlei Art in den Winkel geschleppt, worüber ich mich selbst wundern muß. Noch immer finde ich zerstreut unter den Papieren andere Wörter versteckt, die ich noch alle heraussuchen und mustern will. - - Ach, ich liege auch nicht auf Rosen. Frühe verwaiset, mußte ich auf Schulen zu Zeiten furchtbar hungern, Stunden geben etc. . , verlor späterhin das Liebe, was ich gefunden hatte, und jetzt in der rüstigsten Manneszeit schnappe ich nach Luft. Aber - es geht doch ! Alles was geschieht, ist das Beste, denke ich, und so gehe ich lachend der Zukunft entgegen. - Ich bin kein Pietist, kann's auch nicht werden; - trostlos ist der Pantheist. - - Ich darf mich nicht beschweren, wenn mir ein Solo anvertraut wird oder eine schwere Cadance. Ach, sehen Sie, so tröste ich mich und versuche täglich aufs Neue, ob ich noch sprechen kann: ""Herr, Dein Wille geschehe!""
So sprach er kurz vor seinem Tode, den er schon in der Brust fühlte.
Have, candide anima.
G. C. F. Lisch.
1) Mussäus schreibt hiebei: "Schade, daß ich die Geschichte von der Königswahl der Vögel nicht mehr vollständig weiß, wie ich sie in meiner Kindheit hörte. "Mutter Hänsch zu Gr. Methling" führte noch weit mehr Vögel redend ein".
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Am folgenden Morgen, als kaum die Sonne über den Hügel aufgegangen war, fanden sich schon alle Vögel ein. Das Huhn, das am Tage zuvor nicht zugegen gewesen war, verwunderte sich höchlich über die glänzende Versammlung und schrie laut auf: wat, wat, wat is den dar to don? Der Hahn erwiederte: luter riek Lüd'! und erzählte seiner Frau Gemahlin den Beschluß des vorigen Tages. - Jetzt ordnete man sich; jetzt ward das Zeichen gegeben, und in die Lüfte erhob sich alles Geflügel, klein und groß.

Auch der kleinste aller Vögel - denn Kolibri waren noch nicht - der Zaunkönig strebte nach der Krone. Wegen seiner kleinen Schwingen unfähig zum hohen Fluge, hatte er sich in die großen Schwungfedern des Reihers (Schitterreih) 1 ) versteckt, dessen hohen Flug er oft vom Dornbusch aus bewundert hatte. Schon waren alle so hoch als möglich gestiegen, schon war der größte Theil in niederen Räumen geblieben, und nur Storch und Reiher schienen sich noch in die Wette zu ermüden, als plötzlich der versteckte Kleine aus den Fittigen des Reihers sich hervormachte und über Alle klafterweit sich erhebend mit durchdringender Stimme rief: König bün ick! König bün ick! Der unser König? sprachen alle ärgerlich, und schnell ward beschlossen, daß der Thron dem zu Theil werden sollte, der am tiefsten in die Erde fallen würde. - Wie eilfertig fielen alle zur Erde! Wie klatschte die breite Brust der Gans! Wie scharrte der Hahn, um ein Loch zu gewinnen! Die Ente verrenkte sich beim Fallen die Beine und watschelte verdrießlich zum nahen Teiche mit den Worten: Pracherwark! Pracherwark! Unterdeß hatte der kleine Vogel ein Mauseloch gefunden; flink machte er sich hinein und rief: König bün ick! König bün ick!

Das war abermals sehr ärgerlich. Man beschloß ihn in seinem Loche auszuhungern und deshalb eine Wache davor zu stellen. Die Eule mit ihren großen Augen schien zu diesem Geschäfte ganz geeignet. Sie ward förmlich damit beauftragt. Stunden lang saß sie vor dem Loche. Als aber zur Mittagszeit die helle Sonne ihr in die großen Augen schien, schloß sie eines nach dem andern und - schlief ein. So entkam der kleine Vogel und schlüpfte in einen nahen Zaun, wo er noch immer ruft: König bün ick! Der Spott nennt ihn den Zaunkönig.


1) Der Schitterreih soll nur einen Darm queer durch den Leib vom Schnabel zum After haben und deshalb das Verschluckte schnell von sich geben; daher der Name.
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Als nun die andern Vögel das erfuhren, da verfolgten sie alle die Eule, und noch jetzt ist sie von allen angefeindet, wenn sie am Tage sich sehen läßt; die Nacht ward ihr Tag. Sie aber verfolgt mit Haß die Mäuse, die solche böse Löcher machen.

Niemand war froher, daß es keinen König gebe, als die Lerche; jubelnd erhob sie sich in die freien Lüfte: ach, wo is dat schön! schön is dat! schön! schön! ach, wo is dat schön!

2. Die Königswahl unter den Fischen.

Die Fische sahen rechts, sie sahen links; Alles hatte einen König oder begehrte einen; auch bei ihnen ward die Neugierde zur Sehnsucht. Wie trefflich wäre es, wenn Einer unter uns Recht und Gerechtigkeit übte in diesem kalten Wasserreiche! Gewiß der wäre der Krone am würdigsten, der am schnellsten die Fluthen durchstreichen und dem Schwachen Hülfe bringen könnte gegen den Zahn des Stärkern.

Ja, der schnellste Schwimmer soll König sein, riefen alle.

- Man stellte sich am Ufer auf, und mancher sah sich vielleicht schon nach einer bunten Muschel um, die ihm statt Krone dienen könnte. - Nun gab der Hecht mit dem Schwanze das Zeichen; nun brachen alle auf, die beneidete Herrschaft zu erschwimmen. Pfeilschnell schoß dahin der Hecht, und der Hering, und der Gründling, und der Barsch, und die Karpfe und andere.

Auch die Scholle schwamm mit.

Der Hering ist vor! der Hering ist vor! hieß es bald. Wen is vör? fragte verdrießlich die platte Scholle, die weit zurückgeblieben war; wen is vör? Der Hering! der Hering! war die Antwort. De nakte Hiering? rief voll Mißgunst die Scholle; de nakte Hiering? -

Seit der Zeit steht das Maul der Scholle schief. - So straft sich Mißgunst.

3. Die Kuhhirten.

Was ruft dort so dumpf von der Wiese her? fragte Jemand einen alten Kuhhirten. Das ist der Rohrdommel, Herr, erwiederte derselbe; der war auch einst Kuhhirte, und der Wiedehopf war es auch.

Der Rohrdommel hütete die Heerde auf fetter, grüner Wiese. Blumen blühten überall, und die Kühe wurden sehr muthig.

Der Wiedehopf hütete sein Vieh auf hohem, dürrem Berge. Da waren keine Blumen und kein Gras; der Wind spielte mit dem Sande, und die Kühe wurden sehr mager.

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Als nun der Abend kam, wollten die Hirten nach Hause treiben; aber die Kühe des Rohrdommels liefen davon; vergebens rief er: Bunt, herüm! (bunte Kuh, herum!) Der Wiedehopf konnte die seinen nicht auf die Beine bringen; umsonst schrie er: up! up! up! Sie schrieen Nacht und Tag, und Tag und Nacht, bis der Athem ihnen ausging; aber noch nach dem Tode schrieen sie als Vögel so.

Nicht zu fett, und nicht zu mager! so gedeiht Alles am Besten.

4. De Watermöhm 1 ).

Bei Slate 2 ) fließt ein Wasser, und das Wasser ist tief. Einst in der Kühlung des Abends wanderte des Dorfes Prediger am Flusse nieder durch die hohen Eichen. Schon waren die langen Schatten verschwunden und die Dämmerung war eingetreten, als aus dem Bette des Flusses eine dumpfe Stimme sich vernehmen ließ: De Stunn is dor, awer de Knaw noch nich.

Bedenklich wendete er seine Schritte zum nahen Dorfe. Er hatte bereits den Gartenzaun erreicht, als ein hübscher Knabe daher gelaufen kam.

Wohin? mein Sohn, wohin so eilig? - Zum Bache, erwiederte dreist der Knabe; Schnecken will ich sammeln und bunte Muscheln. - Nicht doch! versetzte der bedachtsame Geistliche; hier einen Schilling, mein Kind! geh' hin und hole mir, - ja hole meine Bibel. - Der Knabe lief hin. - Als nun der Prediger beim Kruge vorüberging, kam jener schon zurück mit dem Buche und eilte stracks zum Wasser. - Nicht doch! sprach der Geistliche; bist durstig, bist schnell gelaufen; sollst erst trinken. - Lieber Wirth, ein Glas Bier dem Knaben! -

Er trank und fiel todt nieder. Die Stunde war da, und der Knabe auch 3 ).

5. Der wilde Jäger.

Oft bellen die Hunde der Luft in finsterer Nacht auf den Heiden, in Gehölzen, an Kreuzwegen. Der Landmann kennt


1) Möhm im Platten = Mutter, Muhme.
2) An der Elde bei Parchim.
3) Nachtrag von Mussäus: Mit der Watermöhm hat der Fischer zu Neuenkirchen (bei Bützow) viel zu schaffen. Der Mann ist verschiedene Male durch die sogenannten Plaggen gefallen. Dann faßt das sacramentische Weib ihn gleich an die Beine, wickelt wohl gar Schilf und Rohrwurzeln um dieselben und sucht ihn so unter das Wasser zu ziehen. Mit Mühe hat er sich bis jetzt von ihr los machen können und sich auf die Plaggen wagen, indem er heftig mit den Beinen nach dem Weibe gestoßen hat.
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ihren Führer, den Wod, und bedauert den Wanderer, der nun noch nicht die Heimath erreicht hat; denn oft ist Wod boshaft, seltener mildthätig. Nur wer mitten im Wege bleibt, dem thut der rauhe Jäger nichts; darum ruft er auch den Reisenden zu: midden in den Weg! -

Ein Bauer kam einstmals trunken in der Nacht von der Stadt. Sein Weg führt ihn durch einen Wald. Da hört er die wilde Jagd und das Getümmel der Hunde und den Zuruf des Jägers in hoher Luft. Midden in den Weg! midden in den Weg! ruft eine Stimme; allein er achtet ihrer nicht.

Plötzlich stürzt aus den Wolken nahe vor ihn hin ein langer Mann auf einem Schimmel. Hast Kräfte, spricht er; wir wollen uns beide versuchen. Hier die Kette! fasse sie an! wer kann am stärksten ziehen? - Der Bauer faßte beherzt die schwere Kette, und hoch auf schwang sich der wilde Jäger. Indeß hatte jener sie um eine nahe Eiche geschlungen, und vergeblich zerrte der Jäger. Hast gewiß das Ende um die Eiche geschlungen? fragte der herabsteigende Wod. Nein, versetzte der Bauer, sieh', so halte ich es in meinen Händen. Nun, so bist du mein in den Wolken, rief der Jäger und schwang sich empor. Der Bauer schürzte schnell die Kette wieder um die Eiche, und es gelang dem Wod nicht. Hast doch die Kette um die Eiche geschlagen! sprach der niederstürzende Wod. Nein, erwiederte der Bauer, der sie eiligst losgewickelt hatte: sieh', so halt' ich sie in meinen Händen. Und wärst du schwerer als Blei, rief der wilde Jäger, so mußt du hinauf zu mir in den Wolken. Blitzschnell ritt er aufwärts; aber der Bauer half sich auf die alte Weise. Die Hunde bellten, die Wagen rollten, die Rosse wieherten dort oben, die Eiche krachte an den Wurzeln und schien sich seitwärts zu drehen. Dem Bauer ward bange; aber die Eiche stand. Hast brav gezogen, sprach der Jäger; mein wurden schon viele Männer; aber du bist der erste, der mir widerstand. Ich werde dich belohnen. Laut ging die Jagd an: hallo, holla! wohl! wohl! Der Bauer schlich seines Weges weiter. Da stürzt aus ungesehenen Höhen ein Hirsch ächzend vor ihn hin, und Wod ist da, springt vom weißen Rosse und zerlegt eiligst das Wild. Blut sollst du haben, spricht er zum Bauer, und ein Hintertheil dazu. Herr, sagt der Bauer, siehe, dein Knecht hat nicht Eimer, noch Topf. Zieh' den Stiefel aus! ruft Wod; er that's. Nun wandere mit Blut und Fleisch zu Weib und Kind.

Die Angst erleichterte Anfangs die Last; aber allmählig ward sie schwerer und schwerer; kaum vermochte er sie zu tragen. Mit krummem Rücken, vom Schweiße triefend, er=

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reichte er endlich seine Hütte, und siehe da, der Stiefel war voll Gold und das Hinterstück ein lederner Beutel voll Silbergeld.

6. Graf Schwarzenberg.

Die Nacht ist Niemandes Freund.

Ein Rittersmann mit seinem Knappen war auf einer weiten Reise begriffen. Eisen war sein Gewand, und furchtlos sein Herz. Auf seinem Wege kam er zu einem Schlosse, wo grade Hochzeit gehalten ward. Gastfreundlich ward er aufgenommen, ein Schlafgemach bereitet; die Rosse hatten reichlich Hafer; allein den Ritter trieb Eile. Vergeblich warnte man ihn vor dem nahen Walde und vor dem fürchterlichen Grafen Schwarzenberg, der darin hause; vergeblich bat die Braut nebst ihren Jungfrauen: die Nacht ist Niemandes Freund! - Nein, rief er ich muß fort! Trautliebchen wartet mein! -

Die Rosse her! - Er schwang sich auf und verließ das stattlich erleuchtete Schloß.

Schon ritten sie drei Stunden lang, und nichts begegnete den Reitern. - Herr, flüsterte endlich schüchtern der Knappe, hinter uns reitet Jemand; hohl ist der Hufschlag seines Rosses, und Funken stieben aus Gebiß und Tritt.

Guten Abend, Ritter! rief eine tiefe Stimme, und der Ritter sah neben sich auf hohem Rappen einen dunklen Krieger.

Gott grüß Euch! erwiederte er.

Da bäumte sich hoch auf der Rappe, und es klirrte die eiserne Rüstung nieder.

Den Gruß lieben wir nicht, sprach der Fremde; doch was treibt dich zur Nachtzeit hieher? Mußt einkehren bei mir! Ich heiße Schwarzenberg; hier liegt mein Schloß im Dickicht. Niemand reitet im ersten Mondsviertel durch mein Gebiet; er muß einkehren bei mir.

Herr, flüsterte der besorgte Knappe, Herr, das ist der Böse. Geht nicht mit, um des Himmels willen nicht! - Schweig', murmelte der Ritter.

Dort liegt mein Schloß, sagte Schwarzenberg, und links im Ellerngebüsche flimmerten die erhellten Gemächer der Behausung. Still war's rings um; nur dann und wann flog eine Eule vorüber mit dem gewohnten Geschrei: kum mit! kum mit! mi gruet! - Halt! sprach Schwarzenberg; steig ab! Sein hohes Roß versank unter ihm. Ritter und Knappe stiegen ab. Vergebens warnte noch einmal der treue Diener. Folge mir! rief der Graf, und der Ritter ging mit ihm in das Schloß, dessen innere

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Wände rabenschwarz angestrichen schienen. - Auf dem Flur betrachtete der Ritter seinen seltsamen Wirth. Schwarz war sein eisernes Drathhemd und schwarz der Helm, auf dessen Spitze eine lebende, schwarze Eidechse den Kamm bildete, mit ihren Krallen fest angeklammert; der lange Schwanz schlackerte über den Nacken zwischen die Schultern hin. Mager und abgezehrt schien das Antlitz des langen Mannes; die Augen sahen scheel und ohne Wimpern; sein Athem glühte feuerheiß. - Nur hinauf diese Treppe! sprach er; will zeigen dir mein Wohl und mein Wehe. Sie gingen hinauf durch manche krumme Windung und traten endlich in einen hellen, geräumigen Saal, in dessen Mitte die Leiche einer alten Frau im Sarge hingestreckt lag, kreideweiß gekleidet, mit gefaltenen Händen und sehr frommen Gesichtszügen. Das war meine Mutter und dieses Messer hat sie gemordet. Wehe mir! -

Bum! schlug die Thurmglocke zur Mitternacht. Der Ritter sah sich um, und Schwarzenberg war nicht mehr da. Er wandte sich wieder zur Leiche; aber welche Veränderung ging mit derselben vor! Das weiße Antlitz verdunkelte sich zusehends; die ganze Leiche dehnte sich aus; der Sarg faßte sie nicht mehr. Jetzt beengte sie schon den Raum des Saals; jetzt mußte schon der Ritter in einen Winkel weichen. Die Glocke schlug immer weiter. Das Haupt ward wie der aufgehende Vollmond; hoch starrten die geschwollenen Augen. Schwarzenberg, rief der Ritter und zog sein Schwert, Schwarzenberg, Du bist ein Schurke! Du hast mich betrogen! Wölfe und Bären scheuete ich nicht - Unhold! - Der Leiche Antlitz reichte schon zur Decke; die Thurmuhr schlug aus; - da platzte das Gräuel mit schrecklichem Krachen; Balken stürzten; Dächer rollten nieder. Der Ritter versank mit dem einbrechenden Gebäu in die Tiefe eines Moors; aber mit Geistesgegenwart kletterte er in der ungemessenen Tiefe durch Steine und Gebälk, das Schwert in der Hand, und athmete wieder in freier Luft. Hülfe! Hülfe! rief er, Knappe, ich stecke im Moor! - Wo seid Ihr, Herr? fragte aus weiter Ferne der Knappe. Nach langem Suchen fand er ihn; aber wie sollte er ihm aus dem Sumpfe helfen? Er band die Zäume der Rosse zusammen und warf das eine Ende dem Ritter zu; das andere knüpfte er an den Schwanz des Thiers und brachte ihn so aufs Trockne.

Da lagen sie, bis der Morgen grauete. Wild und öde war die Gegend; nur einige Kröten unkten im Sumpfe, und eine Eidechse rasselte durch das Gebüsche. - Dann zogen sie weiter.

Die Nacht ist Nienmandes Freund.

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7. Die Hexenkunst.

Ein Knabe will gerne das Hexen lernen. Er geht tief in den Wald; er ruft: Wer lehrt mich das Hexen? - Da kriecht rasselnd durch das dichte Erlengebüsch ein altes Weib, zahnlos und rothäugig, schmal in dem gekrümmten Rücken, aber breit im Schooße. Komm mit! spricht sie freundlichst; das sollst du lernen; es ist nicht schwer. Er folget. Im Erlenbusche ist eine Hütte; in diese wird er geführt. Getrocknete Moorerde bilden die Wände, Schilf das Dach. Drei Kröten hüpfen neben ihm über die Schwelle; am Heerde aber sitzt ein hübsches Mädchen, das Lieschen heißt. Es wird Abend. Die Hexe greift eine Kröte und setzt sie auf den Tisch. Wie eine Lampe leuchten die grünen Augen durch den düstern Raum. Das Mädchen und die Alte hocken am Heerde nieder und langen aus einem Kessel Schwarzsauer zum Abendessen. Es sind zerschnittene Menschenglieder. Der Knabe mag nicht essen, sondern legt sich zum Schlaf hin. Da zischelt die Alte dem Mädchen zu: Morgen früh', ehe die Sonne aufgeht, wecke mich! wir wollen den Knaben schlachten und einkochen. Gesättigt lagern auch sie sich. In der Nacht steht das schlaflose Mädchen auf und tritt an des Knaben Lager. Er war so schön, blau sein Auge, blond sein Haar, roth die Wange. Lieber Junge, spricht sie, der Tod erwartet dich; mich jammert dein; komm', daß wir fliehen! Er erhebt sich und geht mit; bedachtsam spuckt das Mädchen auf die Schwelle. Als sie aus dem Hause treten, erwacht die Alte und ruft: Lieschen, stehe auf! Ich bin schon auf, antwortet der Speichel auf der Schwelle; ruhe noch ein wenig, bis ich Laub und Holz zum Heerde bringe. Sie eilen von hinnen. Nach einer Weile erwacht die Alte wieder, trauet nicht mehr den Worten des Speichels, rafft sich auf und sieht die Hütte leer. Schnell schafft sie sich eine Wolke, nimmt den Besenstiel und reitet nach. Ein dicker Rauch kommt hinter uns her, spricht das Mädchen; das ist die Hexe. Ich will ein Schlehdorn werden und du eine Beere. Die Verwandlung geschieht. Die Hexe steigt aus der Wolke und beginnt sofort die Beeren zu pflücken und zu essen, so sauer sie auch sein mochten. Schon sind alle bis auf eine Beere in der Mitte des Dornbusches verzehrt. Die langen Finger der Hexe wollen sie pflücken trotz der vielen Dornen; allein sie fällt ab und in den Busch und vom Busche in eine nahe Niederung. Hier wird sie Ente und das Mädchen Wasser. Vergeblich wirft die Alte mit Erdklößen und ihren Pantoffeln nach der Ente auf dem Wasser; diese weiß geschickt unterzutauchen und dem Wurfe

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auszuweichen. Endlich legt die Hexe sich am Rande des Teiches auf ihren breiten Bauch nieder, um das Wasser abzutrinken. Schon ist der größte Theil des Wassers abgetrunken, da platzt der Alten dick aufgeschwollener Bauch, und ein schwarzer, stinkender Qualm, der querfeldein zieht, verkündet ihren Tod. Die Ente wird wieder Knabe, das Wasser ein Mädchen, und die Liebe verbindet beide auf immer. - Auch die Hexenkunst kann nicht vor dem Tode schützen.

8. Die Mainacht.

In der Mainacht kam einstmals ein Bote von Schwerin aus bei Jülchendorf vorbei. Dort ist ein Eichengehölz und in demselben ein Berg. Beim Vorübergehen hebt er seine Augen auf und sieht auf dem Berge ein großes Getümmel von Menschen, tanzend, speisend, trinkend, die Gläser anstoßend. Kaum faßt der Gipfel den dichten Haufen; weit über alle ragt aber hoch empor ein stattlicher Riese. Der Bote legt sich ermüdet im Thale nieder, um den Ausgang der Sache zu sehen. Da weht es plötzlich durch die hohen Eichen, und der Riese steht vor ihm. Alter, spricht er, bist hungrig und durstig; willst mitessen und mittrinken? Sei nicht blöde! komm'! Dir soll ein köstliches Mahl werden. Mancher Schnurrbart würde sich nicht lange besonnen haben, was zu thun sei; der Mann gieng aber mit. Eine Tafel war auf des Berges Spitze gedeckt; an derselben muß er obenan sitzen. Köstliche Speisen, dicker Reiß und Grapenbraten werden aufgetragen und feines Brot. Vor ihm auf dem Tische tanzen gruppenweise in größter Eilfertigkeit kleine, daumenlange Menschen und besorgen die Aufwartung. Unter ihnen erkennt er mit Schrecken eine Bauerfrau aus seinem Dorfe. Silberne Löffel und Messer werden vor ihn hingelegt; er soll essen, er will, köstlich ist ja die Speise; allein er kann Löffel und Messer nicht heben. Das verdrießt ihn. Da kommt die alte Bauerfrau auf ihn zu und spricht: Willst essen und kannst nicht? Armer Mensch! Der dir gegenüber sitzt, hindert dich. Spei' ihm ins Angesicht, so wird's dir gelingen mit Messer und Löffel. Er zögert; aber der Reiß ist braun gezuckert, der Pfannkuchen fett und das Schwarzsauer duftet lieblich. Er ermannt sich, hebt sich halb vom Stuhle und speiet dem gehässigen Gegner ins Angesicht. Da faßt ihn plötzlich ein Sturmwind und wirft ihn rücklings den Berg hinab, daß die veralteten Glieder zerschellen und er ohnmächtig daliegt. Reisende treffen ihn am andern Morgen und bringen ihn nach Hause. Lange muß er krank liegen. - So rathen Hexen.

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9. Aschenpüster.

Ein reicher Mann ward plötzlich Wittwer. Schön war seine jugendliche Tochter, hoch und stark ihr Wuchs. Damals waren andere Zeiten und andere Sitten. Der Vater warf seine Augen auf das schöne Mädchen. Gieb mir Hand und Herz! sprach er einstmals; siehe, viel sind meine Heerden, und Gold und Silber und Gestein fehlt mir nicht. Vater, ich liebe dich, erwiederte das züchtige Mädchen; aber laß ab von dieser Bitte.

Viermal ward Vollmond, und täglich erneuerte der lüsterne Vater seinen Antrag; aber das Mädchen widerstand. Endlich fügte er wilde Drohungen hinzu; da ward dem Mädchen bange, und sie dachte auf List. Will gewähren dir, sprach sie, wenn du mir ein Kleid giebst, das von Silber stehen kann. Er that es. Will gewähren dir, sprach sie, wenn du mir ein Kleid giebst, das vom Golde steif ist. Er gehorchte ihren Wünschen. Will gewähren dir, redete sie jetzt, wenn du mir ein Kleid giebst, das von Gesteinen stehen kann. Auch das that der thörichte Vater, der nun am Ziele sich glaubte. Aber mir fehlt noch ein Krähenpelz zum alltäglichen Gebrauch, sagte das Mädchen. Auch den erhielt sie. Deine Tochter hat noch einen Wunsch, versetzte schmeichelnd das lose Mädchen; ist dieser Wunsch erfüllt, so hast du Herz und Bette: Gieb mir eine Glücksruthe. Viel Geld wog der Vater einem Kaufmann aus dem Morgenlande dar und brachte die Glücksruthe.

Ein Prinz wohnte in fernen Landen, herrlich von Gestalt, reich an Leuten. Der Ruf von ihm war bis zum Mädchen erschollen. Sie nahm die Ruthe in die Hand, die Kleider über die Schulter, schwang die Ruthe und wünschte sich in die Nähe des Prinzenschlosses. Ein Wirbelwind nahm sie auf; lang flog ihr gelbes Haar hinter her; so kam sie am Abend in den Park des Schlosses. Hier wünschte sie sich eine Eiche, in deren Mitte ein Schrank wäre. Es geschah, was sie wünschte. Sie hing ihre Kleider hinein, zog den Krähenpelz an und wanderte zur Schloßküche. Ein armer Knabe, der eltern= und heimathslos ist, und einen Dienst sucht! Dich kann ich gebrauchen, erwiederte der Koch; du sollst Aschenpüster werden und dem Feuer und der Asche wehren auf dem Heerde. - Nach einigen Tagen sah sie den Prinzen, der ein Wild, das er so eben erlegt hatte, zur Küche brachte; sie sah und liebte ihn.

Auf einem nahen Schlosse war eine dreitägige Hochzeit. Auch der Prinz fuhr am Abend hin zum Tanze. Ein Menge müßigen Volks lief hin um zuzusehen. Lieber Koch, sprach

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Aschenpüster, jene wollen zusehen; das Feuer ist auf dem Heerde gelöscht; laßt mich auch hingehen! Der Koch gestattete es; sie aber lief eilends zur Eiche und schmückte sich mit dem Silberkleide und schuf sich mit Hülfe der Ruthe ein stattliches Gespann. Hin rollte sie auf hohem Wagen und trat in die erleuchtete Halle. Ihr stolzer, schöner Aufzug, ihr herrlicher Wuchs, ihre blühende Wange reizten die Augen des Prinzen; er wählte sie zur Tänzerin. Aber kaum hatte er einige Tänze mit ihr gemacht, als sie aus dem Saale verschwand, sich auf den Wagen setzte und sprach:

hinter mir dunkel und vorne mir klar,
daß Niemand sehe, wohin ich fahr'! -

Die ganze Nacht hat der Prinz durchwacht, sprach am andern Morgen der Koch. Er ist sehr böser Laune; es muß ihm etwas begegnet sein. Putze ihm diese Stiefel! Sie that es; aber ein kleiner Flecken an den Zehen war ihrer Aufmerksamkeit entgangen. Der Bube von Aschenpüster! schrie der jähzornige Prinz in die Küche hinein und warf ihr den Stiefel an den Kopf. Putze besser ein ander Mal! Willig hob sie den Stiefel auf und reinigte ihn aufs Beste.

Der Abend kam. Ach, lieber Koch, sprach Aschenpüster, dort geht alles Volk schon wieder hin. Laßt mich auch heute Abend hingehen! Der Koch erlaubte es. Sie aber ging zur Eiche und zog das goldne Kleid an und setzte sich in den gewohnten Wagen. Düster und gedankenvoll wanderte der Prinz durch die Halle, als plötzlich das schöne Mädchen eintrat. Da ward seine Stirn heiter; mit liebevollen Augen blickte er sie an und reichte ihr die Hand und führte sie zum Tanze. Wie flog er mit ihr durch die Reihen! wie wich die staunende Menge ehrerbietigst zurück! Liebliches Mädchen, flüsterte der Prinz ihr zu, wo ist deine Heimath? In Stiefelschmeiß, erwiederte sie keck. - Länger als eine Stunde mochten beide getanzt haben, als sie plötzlich sich in ein Nebenzimmer verlor. Vergebens suchten die Augen des Prinzen das schöne Mädchen; es war nicht mehr da; es war auf dem Wagen nach Hause gefahren. Wo liegt Stiefelschmeiß? fragte der Prinz im Saale. Niemand wußte den Ort.

Zorniger war nie der Prinz, sagte am andern Morgen der Koch; er hat die ganze Nacht aus dem Fenster in die Dunkelheit geschaut. Jetzt will er seinen Rock gebürstet haben. Gehe hin, Aschenpüster, und nimm dort die Bürste.

Si gieng hin in ihrem Krähenpelze; der Prinz aber riß hr die Bürste aus der Hand und warf sie ihr an den Kopf. Bube, rief er bürste ein ander Mal besser! -

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Als der dritte und letzte Tanzabend kam, und Alles wieder dem Feste zueilte, da bat abermals Aschenpüster den Koch um die Erlaubniß, auch dies Mal zuzusehen. Der Koch war ungehalten über den neugierigen Burschen, gab aber endlich dessen Wünschen nach. Aschenpüster gieng zur Eiche, langte das Demantkleid hervor und fuhr aufs Schloß. Wie schimmerte im Lichtglanze das Mädchen! Der Prinz war heiterer, als je. Tanzend verstrich die Zeit; es ward Mitternacht und schon krähte der Hahn zum dritten Male. Mädchen, woher ist dein Fuß? fragte der Prinz. Von Bürstenschmeiß, antwortete sie dreist. Wer du auch bist, sprach der Prinz, gieb her die Hand, daß ich diesen Ring dir auf den Finger stecke! Sie reichte ihm die Hand, und ihr Auge blickte nieder auf die Erde. Jetzt suchte sie sich zu entfernen und bestieg ihren Wagen; aber der Prinz hatte auch schon den seinigen bestiegen und verfolgte das schöne Mädchen. Vergebens rief sie:

hinter mir dunkel und vorne mir klar,
daß Niemand sehe, wohin ich fahr'!

Das Rollen der Räder ward der Führer des Prinzen. Bei der Eiche stieg das erschrockene Mädchen aus, ließ den Wagen verschwinden, hatte aber nicht die Zeit, das Demantkleid abzulegen, mußte den Krähenpelz überziehen und so in die Küche eilen, weil schon der Morgen grauete.

Matt ist die Seele des zornigen Prinzen, sprach der Koch; wir müssen ihm eine stärkende Suppe kochen. Es geschah, und während der Koch Holz antrug, ließ Aschenpüster den Ring in die Suppe fallen.

Der Prinz fand den Ring. Wer ist in der Küche gewesen? fragte er hastig den Koch. Niemand, erwiederte der, als ich und Aschenpüster. Laß hereintreten den Burschen! sprach der Fürst. -

Aschenpüster trat hinein im Krähenpelze. Die harte Arbeit hatte das Kleid schon sehr abgenutzt. Damals waren andere Zeiten und andere Sitten, auch andere Plagen, welche die Gegenwart, gottlob! nicht mehr kennt. Tritt näher, sprach der Prinz; mich juckt's auf dem Kopfe. Sieh nach, ob auch Ungeziefer in den Haaren ist! -

Aschenpüster gehorchte; der Prinz aber fand Gelegenheit, den mürben Krähenpelz an der Hüfte des Knaben verstohlen zu zerpflücken. Jetzt war die Oeffnung groß genug; er sah den Demantstoff unter dem rauhen Kleide.

Du bist mein und ich bin dein! rief er, und fiel dem Mädchen in die Arme.

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10. Der kühne Schneidergeselle.

Schneidergeselle Hans saß auf seinem Sessel und überlegte, wie das menschliche Leben Mühe und Arbeit sei. Den ganzen lieben Tag über, dachte er bei sich, muß ich die eiserne Stange in meiner Hand haben und dabei mich von Fliegen zerstechen lassen. Wie viele Ehre wird dem Krieger zu Theil, und welcher Beifall bei den Töchtern des Landes! Und doch mag oftmals sein ganzer Kriegsruhm nur der bunte Rock sein, - das Werk eines kunstfertigen Schneiders.

Klapp! schlug er eine neben ihm stehende Fliegenklappe zu und freuete sich seines Fanges. Er legte Nadel und Arbeit nieder und zählte die Fliegen. Es waren ihrer funfzig. Wenn du nicht arbeiten willst, rief der Meister, so nimm hier deinen Lohn und dort deinen Ränzel. - Hans mußte gehorchen. Er zog nun von dannen über Land und Meer, sah manches Dorf und manche Stadt und lernte, wiewohl oft bettelnd, die Menschen kennen. Eine Hauptlehre, die er dabei gewann und wozu ihm sein Gewerbe auch Gelegenheit gab, war die: Der Schein trügt.

Als er nun arm und zerlumpt geworden war, da fiel ihm jene Wahrheit so recht aufs Herz. Er nahm ein Blatt Papier, schrieb mit großen Buchstaben darauf: 50 geschlagen auf ein Mal! und steckte das Blatt an seinen Hut. Ermüdet legte er sich darauf hin unter eine Eiche am Wege und schlummerte ein. Plötzlich fühlte er sich gerüttelt; er erwachte, und zwei vornehme Herren standen mit entblößten Häuptern vor ihm.

In dem Königreiche nämlich, in dem Hans sich befand, wüthete unter manchen andern Ungethümen auch ein unbezwingbarer Riese, der jährlich zehn Jungfrauen für sein Frauenzimmer verlangte; denn so wild er auch war, so vermochte er doch gar wohl ein niedliches Gesichtchen. Die Jungfrauen pflegten durchs Loos bezeichnet zu werden. - Das gieng dem Könige und den Herren des Landes durch Mark und Bein. Schon oftmals hatten sie einen Kampf gegen den Riesen gewagt, aber vergeblich. Der König sandte das Land wohl auf und ab zu Fuß und Roß, ob nicht Jemand den Riesenkampf übernehmen wolle; er gelobte Geld und Ehren und die schönste seiner Töchter.

Herr, sprachen die beiden Gesandten zu Hans, eure Kraft muß groß sein, da ihr 50 schluget auf ein Mal. Vermöget ihr den Riesen, der das Land so hart plagt, zu bezwingen, so wird die schönste Königstochter und Gold und Ehren euch belohnen.

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Hans wischte sich den Schlaf aus den Augen, besann sich eine Weile: Bedecket euch! sprach er; der Riese soll's nicht lange machen. Aber seht, mein Arm ist matt und mein Fuß ermüdet von langer Reise; vier Wochen muß ich mich erst pflegen an des Königs Tische, und trinken aus seinem Becher und tunken in seine Schüssel.

Gerne willigte man ein. Der Wagen ward vorgefahren, und so zu des Königs Schlosse. Der Ruf ging vorauf; das Schloßthor war bekränzt; Pfeifer und Harfenspieler empfingen ihn und die Königstochter guckte neugierig durch das Küchenfenster auf den schlanken Jüngling, den jetzt schon bessere Kleider schmückten.

Hans dachte vier Wochen herrlich und in Freuden zu leben und dann sich heimlich aus dem Staube zu machen. Er trank aus des Königs Becher und tunkte in seine Schüssel, und aß nebenbei tüchtig Fleisch und Brot und fetten Käse. Als eben am letzten Tage ein großes Gastmahl gegeben ward, erschien die Königstochter im Glanze des Hofes. Da ward's ihm so wohl und so wehe; sein Auge sah nur das Mägdlein, und ihre Blicke schienen ihn auch nicht zu meiden. Und wären zwei Riesen zu bekämpfen gewesen und obendrein ein feuriger Hund, er hätte es versucht. Die Wahl zwischen einem Leben ohne Liebe oder einer Liebe ohne Leben war ihm nicht schwer. Hans konnte nicht essen und nicht trinken, so sehr man ihn auch nöthigte, und als man aufstand und sich die Hand gab, und er nun auch der Königstochter die Hand gab, da lief's ihm wie Fieber durch das Gebein. Stumm eilte er aus dem Saale in seine Kammer und betete um Rath und Beistand.

Schlaflos wälzte er sich in der kommenden Nacht in seinem Bette; da kam's an seine Thüre; leise ward sie geöffnet, und eine Lampe in der Hand trat herein eine weibliche Gestalt. Gott grüß' euch! flüsterte sie; ich bin die Amme der Fürstin; an meiner Brust hat sie oft geschlummert und mit mir oft Blumen gepflückt, als sie noch Kind war. Nur ihr seid der Gedanke ihrer Seele, und Spinngewebe flattert heute Abend an der Decke ihrer sonst reinlichen Kammer; das deutet Glück und Hochzeit. Sie läßt euch sagen, gutes Muths zu sein. - Des freuete sich der ehrliche Hans. Vergessen war die Sorge; er gedachte ohne Mühe durch Klugheit des Riesen Herr zu werden.

Bei der ersten Morgenröthe ließ der Zeugmeister ihn fordern in die Rüstkammer. Da waren Helme und Schilde und Harnische; da hingen in bester Ordnung an den Wänden Spieße, Schwerter, Morgensterne und Streitäxte. Hans sollte wählen,

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und er kannte kaum den Gebrauch der Rüstung. Nein, sprach er, ich brauche keine Waffen; es würde wenig Ehre sein; mit diesen Händen werde ich den Riesen vertreiben. Man führte ihm schöne Rosse zur Wahl vor auch diese verschmähte er, denn Reiten war nicht seine Sache. - Nur Brot und Käse werde ich mitnehmen, rief er, damit ich nicht vor Hunger verderbe. Dann machte er sich auf den Weg nach der Behausung des Riesen.

Er kam ins Freie und sang nach gewohnter Weise sein Morgenlied, und die Vögel stimmten ringsum mit ein. Vogelfang war in der Kindheit seine Lieblingsbeschäftigung gewesen. Er fand ein Lerchennest, legte eine Schlinge darauf und fing das Männchen, das er in die Tasche steckte und weiter zog. Am folgenden Morgen sah er vor sich die schwarzen Thürme des Riesenschlosses, das mit einer Mauer umgeben war. Er kam näher, und ein Apfelbaum hing mit schönen Früchten über die Mauer hin. Dem Riesen schmecken Aepfel, dachte er, mir auch, und so kletterte er an den Zweigen hinauf in den Apfelbaum. Hier sah er das eiserne Gebäude näher. Eine große, hohe Thür führte in dasselbe; sie war verschlossen. Still war's überall; kein Vogel ließ sich hören, kein Frosch im Sumpfe; Alles schien zu zittern vor dem Gewaltigen. Hans aß tüchtig Aepfel. Da rasselte die Thür, und heraus trat der mächtige Riese. Sein Kopf war von der Größe eines Scheffels; wild hing Haar und Bart um Schulter und Brust. Er befand sich im Morgenanzuge; nur ein weites Beinkleid war um seine gelben Hüften mit faustdicken Knöpfen zusammengeheftet. Langsam wandelte er einher, und der Sand gnirrte (od. seufzte) unter seinem Tritte. Der gewaltige Athemzug war laut zu hören. - Hans saß ganz ruhig in den Zweigen des Apfelbaums, hätte fast Braut und Alles vergessen und verlaufen; allein hier war kein Ausweg möglich.

Der Riese mochte schon einige Male auf und nieder gewandelt sein, als er sich dem Apfelbaume nahete. Was ist das? rief er zornig; Männchen, du erdreistest dich, hier Aepfel zu mausen? Wart', dich will ich züchtigen! Und damit faßte er den Hans an ein Bein, zog ihn durch die Zweige hindurch und stellte sich ihn auf flache Hand. Wähle, wie willst du sterben? zerdrückt oder zertreten, daß dir die Gedärme zu den Ohren ausgehen!

Riese, antwortete Hans dreist, du bist größer als ich, aber darum nicht stärker. Funfzig schlug ich auf ein Mal; dieses Blatt am Hute besagt es. Erst setze mich nieder; wir wollen unsere Kräfte probiren an andern Dingen, und dann magst du mit mir ringen.

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Ha, grinzte der Riese, was du, Wurm, wohl denkst! Er setzte ihn auf die Erde und griff zu einem Stein und zermalmte ihn in der Hand. Das ist nichts, rief Hans, und bückte sich auch zu einem Steine, nahm aber den Käse aus der Tasche; siehe Wasser muß aus dem Steine fließen, wenn ich ihn drücke. Es flossen sichtlich einige Tropfen nieder. Das will viel sagen, sprach verwundert der Riese; aber kannst du werfen, wie ich? Und damit riß er einen gräulichen Stein aus der Erde und schleuderte ihn in die Luft. Sausend fuhr das Felsstück aus der Faust zur Thurmhöhe und fiel dann neben Hans nieder, der mit hurtigem Sprunge ihm auswich. Meine Hand faßt nicht solch Stück, versetzte Hans, und bückte sich auch zu einem Steine, nahm aber seinen Vogel und schleuderte ihn in die Luft. Die Lerche zog singend schnurgrade aufwärts, und der Riese sah ihr nach in die blaue Luft. Hoho, sagte Hans lächelnd, der kommt nicht sogleich nieder; du kannst bis Abend stehen und warten. Hier bin ich, rief er; sieh', diese Faust strecke ich dir entgegen; fall' aus, wenn du willst. Nein, sagte der Riese verlegen; warum wollen starke Männer sich Leides thun? Komm' in mein Schloß und bleib bei mir, und iß mit mir und schlaf bei mir! - Sie traten ein in das eiserne Gewölbe, und waren fröhlich, aßen und tranken. Am Abend führte der Wirth seinen Gast in sein Schlafgemach, wo eine eiserne Bettstelle seiner wartete. Hans entkleidete sich nicht, sondern legte sich unter die Bettstelle. Um Mitternacht hörte er leises Geräusch, wie Fußtritte. Der Riese kommt mit eiserner Keule und thut einen fürchterlichen Schlag auf das Kopfende des Bettes. Sch-! Mücken! sagt Hans unter der Bettstelle. In der Meinung, nicht recht getroffen zu haben, schwingt der Riese mit verdoppelten Kräften die Keule. Sch-! Fliegen! spricht Hans. Verzweiflungsvoll faßt jetzt der Riese mit beiden Händen die Keule; er macht sich lang; sausend fährt das Eisen durch die Luft auf das Lager. Laut hallt das Schlafgemach und die metallene Bettstelle droht zu brechen unter der Last. Ich glaube gar, ruft Hans, du, Riese, thust das. Warte, dich will ich züchtigen! - Das feige Ungethüm verliert die Fassung; er läßt die Keule und flüchtet aus dem Gemache. Ich komme, ich komme! donnert Hans, und läuft ihm nach. Wie klein du auch scheinst, bittet der Riese, mein Arm ist schwach gegen den deinigen; schone, schone! Nimmer habe ich knieend gebeten; aber dich bitte ich. Dein Leben ist in meiner Hand, ruft Hans stolz; deine Gebeine werden zerschmettert, dein eisernes Haus wird von mir zerbrochen; - aber nein, du bittest! Ich schenke dir das Leben; allein sogleich mußt du fort und dich nimmer sehen

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lassen in diesem ganzen Königreiche. Der Riese gehorchte stracks, und in wenig Augenblicken verließ er seine Behausung und wandelte durch Nacht und Nebel über die Heide zur Gränze hin. - Hans machte Licht an und durchlief die verschiedenen Gemächer des Schlosses. In einem entlegenen Zimmer traf er zehn geraubte Mädchen; er kündigte ihnen die Freiheit an. Wie frohlockten die armen Geschöpfe! Er vergnügte sich mit ihnen, bis der Morgen kam, ob mit Blindekuh oder Schach, sagt die Geschichte nicht. Dann brachen sie auf, jede in ihre Heimath, Hans aber zur Residenz.

Das war nur Spaß, sagte Hans, als er vor den König trat; dem Riesen habe ich Beine gemacht; er ist über die Gränze gejagt. Nun gieb mir den Lohn! -

Wahrheit ist sonst des Königs Wort; aber dieser dachte anders. Hast wohl gethan, erwiederte er; allein wenn das dir so leicht ward, so wird es dir auch nicht schwer werden, das Land von einem Einhorn zu befreien, das mich in meinen Jagden stets hindert. Ist das getödtet, so erwartet dich meine Tochter als Lohn.

Hans war ärgerlich; allein was sollte er machen? Will gehorchen deinem Willen, sprach er; jedoch vier Wochen muß ich mich pflegen an deinem Tische und trinken aus deinem Becher und tunken in deine Schüssel. Es geschah, wie er geredet hatte. - Vier lange Wochen brachte er auf dem Schlosse zu und sah weder die Prinzessin, noch ihre Amme. Aber ihr Bild stand vor seiner Seele, und ohne sie däuchte ihn Leben wie Tod. Am letzten Morgen brach er traurig auf zum bezeichneten Walde, einen Strick um die Hüfte gebunden, man meint, um im Nothfalle das Leben zu enden. Zwei Tage war er gegangen durch dichte Eichen und Buchen, als er auf einen grasreichen, freien Platz kam. Da hörte er's brausen und rauschen, wie wenn ein Wirbelwind durch den Wald zieht. Plötzlich bricht durch das dichteste Gebüsche das Einhorn hervor, das Horn zum Stoße gerichtet, grade auf ihn zu. Hans nahm erschrocken beide Rockschöße auf, und lief, was er konnte, ins dichte Gehölz zurück. Das Thier folgte ihm auf den Fuß; er sprang hinter eine dicke Eiche. Laut krachte der Wald und die Eiche in ihren Wurzeln. Das Horn war durch den Baum gedrungen, und das Thier stand wie angenagelt. Den Strick hervor, dem Einhorn um den Hals und so um die Eiche geschlungen war Sache des Augenblicks.

König, sprach Hans bei seiner Zurückkunft, ich traf das Einhorn; was wollte es sich lange wehren? Einen Strick band ich ihm um den Hals und zog es so fest an eine Eiche, daß

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das Horn durch den Baum gedrungen ist. Komm' und tödte es! Da machte sich auf der König und sein neugieriges Hofgesinde und fand Alles, wie Hans geredet hatte.

Gieb mir nun den verheißenen Lohn, sprach Hans; siehe, ich habe gethan, was du verlangtest. Mein Sohn, versetzte der zögernde König, groß ist deine Kraft und wichtig sind deine Dienste. Aber noch einmal leih mir deinen Arm; dann soll dir die Jungfrau nicht entstehen. Ein wilder Eber durchtobt die Wälder und Felder und zernichtet die Saaten des Landmanns. Du mußt ihn tödten.

Vier Wochen gewähre mir, sprach mißmüthig Hans, daß ich trinke aus deinem Becher und tunke in deine Schüssel! Aber auch in diesen vier Wochen sah' er weder die Fürstin noch ihre Amme; doch ihr Bild stand vor seiner Seele, und ohne sie war Leben ihm Tod.

Am letzten Morgen machte er sich hurtig auf, nahm jedoch heimlich einen Sack voll Erbsen mit. - Mitten im Walde lag eine alte Kirche. Furcht vor dem Eber hatte die Dorfbewohner zur Ansiedelung an sicheren Orten gezwungen; ihre Hütten waren abgebrochen; nur die Kirche blieb. Hans fand die Spuren des Ebers; er bestreuete sie mit Erbsen und machte so einen Lockweg bis in die Kirche. Dort stellte er sich hinter die Thür. Lange mußte er warten; erst gegen Morgen kam das Thier grunzend daher. Als er es in der Mitte der Kirche wußte, da sprang er flink aus der Thür und verschloß sie mit dem Riegel. Wie tobte der Eber! Wie brach er an Gestühlen und Altar! Hans stieg vermittelst eines nahen Baumes auf das Dach, schlug ein großes Loch durch dasselbe und den Boden; dann ging er zum König.

Gefangen ist der Eber, sprach er; diese Hände griffen ihn und warfen ihn hoch durch Dach und Boden in die Waldkirche. Nimm deinen Flitzbogen und dein Gesinde, und tödte ihn nach deinem Gefallen! -

Da nahm der König seinen Flitzbogen und sein Gesinde, und zog in den Wald. Leitern wurden zahllos angesetzt; das Dach wimmelte von Menschen, und viel Geschoß ward verwendet ehe der Eber fiel.

Und nun den Lohn, großer König! flehete Hans. Bezwungen ist der Riese und das Einhorn und der Eber.

Das ging dem Könige durchs Herz. Nein, sprach er, du verdienst Dank und Lohn, wie sehr auch die Männer um meinen Thron dich beneiden. Niemand hindere mich jetzt! Mein Zorn treffe den, der hier noch widerräth! - Da verstummten die Großen des Schlosses; furchtsam verneigten sie sich und traten

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zurück. Die junge Fürstin ward gerufen. Sie kam in ihrer ganzen Schönheit; aber bleich war ihr Antlitz; man hatte sie sorgfältig in ihrem Zimmer bewacht. Der König legte nun ihre Hand in die des tapfern Jünglings, und alles Volk rief: Heil dem Könige und seinem Gefreundten! Heil dem Brautpaare!

Klugheit ersetzt allemal reichlich die Kraft.

11. Der Teufel.

Lustig ging es her zu Kessin; es war Pfingstbier, und es ward getanzt bis in die späte Nacht. Aus entfernten Dörfern waren Knechte gekommen. Um Mitternacht wollte einer von ihnen über's Feld nach Hause; man nöthigte ihn vergebens zu bleiben. Wirst doch gewiß noch wieder kommen, sprachen die berauschten Tänzer; es wird dir leid; wir alle sind ja so beinig; das Bier ist süß und die Dirnen so freundlich. - Er aber ging von dannen. - Schwarzdunkel ward die Nacht; nicht Weg noch Steg konnte er sehen. Und als er nun eine Strecke gegangen war, da ward's lichthelle um ihn, als ob ringsum die Dörfer brennten; da krachte über ihm ein fürchterlicher Donnerschlag. - Er aber ging getrost von dannen. Nun ward's ruhig um ihn, wie's in milden Sommernächten zu sein pflegt.

Was rauscht dort wie Fußtritte daher? denkt er und sieht neben sich einen langen Mann wandern. Sie grüßen sich nicht. Als er nun an einen Steg kam, trat der lange Mann näher und sprach: wie willst du da hinüber kommen? Das geht dich nichts an, erwiederte der Knecht, und schritt dreist hinüber. Sie kamen an den Gartenzaun des Bauerhauses. Wie willst du da hinüber kommen? fragte der Fremde. Das geht dich nichts an, versetzte der Knecht, und stieg unverzagt über die zugespitzten Pfähle des Zauns. Sie kamen ans Haus; es war verschlossen. Wie willst du da hinein kommen? fragte jener wieder. Das geht dich nichts an, antwortete der Knecht, und klopfte ans Fenster. Die Hausmutter öffnete, und beide traten in die Stube und setzten sich hinter den Tisch. Es ward Licht angezündet. Mutter, sprach der Knecht, diesem Fremden ist nicht wohl; wir wollen den Prediger rufen, daß er ihn tröste aus Gottes Wort. Das schauerte dem Fremden durch die hohlen Gebeine; er ward kleiner und immer kleiner und lief endlich gleich einer Maus zur Thür hinaus. Des freuete sich der Knecht mit der Hausfrau und dankete Gott.

Der Böse ruhet nicht, sondern suchet, wen er verschlinge. Auf dem Hofe Gr. M. (Großen=Methling) wohnte

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ein alter geiziger Pächter, der jährlich das Korn aufschüttete in der theuren Zeit. Viel Gold und Silber lag ihm aufgehäuft in Kisten und Schränken; allein hart war sein Herz gegen Untergebene und Arme, und täglich spielte er Karten.

Einstmals an einem Pfingstmorgen, während Scharen frommer Seelen zum Gotteshause zogen, wanderte er hinaus aufs Feld, um die Saat zu besehen und die Ernte zu berechnen. Da fährt auf der Landstraße daher ein Mann mit schwarzen, hochbäumenden Rossen. Neben ihm hält er an und steigt ab. Ein rother Mantel hing ihm weit über die Füße weg, und dreieckig war sein Hut. Habt ihr Korn zum Verkauf? fragte er den Pächter; ich gebe euch doppelte Preise. Wenn das ist, sagte der Pächter, so mag's darum sein. Kommt mit mir und esset bei mir! Die Sonne steht hoch und der Schatten wird kurz. - Sie gingen zusammen. - Als sie auf den Hof kamen, da flogen mit Geschrei die Hühner und Enten alle davon, als ob ein Raubvogel daher zöge, und der Hofhund knurrte und heulte abwechselnd. Sie traten in die Stube. Ein solcher Gast muß herrlich bewirthet werden, dachte der Landmann, und ließ auftragen große Schüsseln mit Fleisch und kräftiges Bier. Der Fremde aber setzt sich zum Mahle und neckt ungebührlich die aufwartende schüchterne Magd und reißt ihr die Schürze ab. Da fällt aus seiner Hand ein Messer nieder. Das Mädchen bückt sich, um es aufzunehmen; allein was sieht sie? Die Füße des Fremdlings, einen Pferde= und einen Hühnerfuß! Erschrocken eilt sie hinaus zur Hausfrau; diese erzählt es dem Manne. In der Eile wird der Geistliche des Dorfs geholt. Er kommt im ganzen Summarium, die Bibel unter dem Arme. Menschenkind, ruft der Fremde ihm keck entgegen, was willst du mir? Dich kenne ich. Du stahlst als Knabe ein Messer deinem Mitschüler. Der Geistliche tritt beschämt und verwirrt zurück, und der Fremdling läßt sich das Mahl gut schmecken unter vielen Gotteslästerungen. Aber schon holt ein Wagen den Geistlichen aus dem nahen Br. (Brudersdorf). Er kommt mit der Bibel unter dem Arme im ganzen Summarium in die Stube. Au weh, au weh! ruft der Fremde und schaudert in eine Ecke zurück; erbarme dich mein!

Du erbarmest dich nicht der Menschenkinder! spricht der Geistliche. Hier diese Bibel soll dich züchtigen und dieser Arm.

Weh mir, weh mir! erwiederte jener, erbarme dich! - Du kommst nicht anders aus dieser Stube, spricht jener, als durch diese Thür und bei dieser Bibel vorbei. -

Weh, weh! jammerte der Fremde.

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Da entsteht draußen ein Tosen, wie wenn der Sturm sich erhebt. Ein blauer Nebel sammelt sich über dem Hause. Den Leuten ward bange, und sie baten den Geistlichen. Nun, sprach er, so öffnet das Fenster! Fahre aus, du unsauberer Geist! Da fährt's hinaus wie ein Sturmwind mit gewaltigem Krachen. Die Fensterlucht war ausgerissen, der Nebel verschwunden, und auf dem Scheurengiebel dem Hause gegenüber sitzt der Böse und lacht sie alle aus. Dann verschwindet er.

Der Pächter ward ein frommer Mann.

12. Der neugierige Teufel.

Einstmals nach einer großen Schlacht kam ein tapferer Kriegsmann mit Ober= und Untergewehr in das Reich der Finsterniß. Ach Herre Je, fragte der Teufel, was hast du da in deiner Hand? Das ist meine Pfeife, erwiederte der Krieger. Oh, daraus möchte ich wohl mal schmauchen, sprach jener; gieb sie mir mal her! - Da hast du sie, sagte der Soldat, und stieß ihm das Bajonet durch das breite Kuhmaul. Pfui, die Spitze ist gar zu scharf, versetzte der Teufel; doch gieb mir auch ein wenig Feuer. Das sollst du haben, antwortete der tapfere Krieger, und zog den Hahn auf und schoß das Gewehr ab. Pfeifend flog die Kugel durch den hohlen Schädel. Herre Je, sprach der Teufel und spuckte aus; das ist scharfer Taback; der zieht einem recht zu Kopf! - Setze dich nieder bei jenem Ofen. Der Soldat that's. Es war rothglühend der Ofen und ringsum die Luft; er aber nahm noch einige Scheiter Holz und warf sie hinein. Was machst du da, fragte der Teufel. Herr, erwiederte jener, hier ist es so kalt; ich heize ein. Nicht doch, nicht doch! rief der Teufel; was soll daraus werden? Mir ist's schon zu heiß Hinaus, Schlingel, hinaus! Dich kann ich nicht in meiner Behausung brauchen! Und damit stieß er ihn zur eisernen Thür aus der Hölle hinaus.

Also errettet List selbst aus der Hölle.

13. Hans und der Kalbskopf.

Ein Bauer hatte drei Söhne. Der jüngste unter ihnen galt für dumm und ward deshalb viel von seinen Brüdern geneckt. Hans war auch in der That von der Mutter verzärtelt; er ging ihr immer nach, saß neben ihr auf dem Feuerheerde und erhielt durch ihre Hand manche Leckerbissen zum großen Aerger der Brüder.

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Die beiden ältesten traten eines Tages vor ihren Vater hin und sprachen: wir sind lange genug zu Hause gewesen; gieb jedem von uns 10 Rthlr. und eine Kiepe voll Brot und Fleisch, so wollen wir in die Fremde wandern und Städte und Länder sehen. Der Vater gewährte ihre Bitte. Mutter, sprach Hans, die Brüder ziehen von dannen; ich will mit. Gieb auch mir 10 Rthlr. und eine Kiepe voll Brot und Speck, auf daß ich nicht verderbe in der Fremde. Vergeblich widerrieth die Mutter; ärgerlich rückte der Vater die 10 Rthlr. heraus; Hans aber wollte.

Mit vollen Kiepen auf dem Rücken und das Geld in den Taschen zogen die drei Brüder am andern Morgen vom väterlichen Hause. Die beiden ältesten nahmen ungerne den dummen Hans mit; sie eilten frisch vorweg, und er konnte nicht mitkommen. Was habe ich gefunden! was hab' ich hier gefunden! rief er listig mehrere Male. Sie kehrten dann hastig um zu ihm und fanden nichts; er aber blieb also bei ihnen. Jedoch als der Nachmittag kam, und sie seinen Worten nicht mehr glaubten, sah' er sich allein und verlassen auf dem Wege und wußte nicht woher und wohin. Der Tag neigte sich; ein Wald lag vor ihm. Aus Furcht vor Wölfen erstieg er eine Eiche, um in den Zweigen zu übernachten. Durch die Finsterniß der Nacht bemerkte er späterhin von hieraus ein Licht. Schnell sprang er aus der Eiche und lief dem Lichte zu, das ihn in ein großes Schloß brachte, dessen Zimmer alle erleuchtet waren. Hans traf keinen Menschen in denselben. Er ging durch alle Gemächer; Niemand war da. Allein in einem der Vorzimmer war der Tisch zu seiner großen Freude gedeckt und mit den köstlichsten Speisen, Weißbrod und Pfannkuchen besetzt. Wunderbar war's aber in der Hinterstube. In derselben fand er nämlich zu seinem großen Erstaunen einen lebenden Kalbskopf in der Wiege liegen, der, als er: guten Abend! hineinrief, die Ohren schwenkte und: schönen Dank! antwortete. Hans fuhr erschrocken zurück; aber was sollte er machen? So sehr es ihm auch durch alle Glieder rieselte, er mußte wohl bleiben. Draußen war die Nacht, und hier war doch Essen und Trinken. Gott sei tausendmal Dank! rief der Kalbskopf, daß du kommst! Lange hab' ich einsam hier gelegen und bin dessen überdrüssig. Bleib' bei mir, und iß an jener Tafel und schlafe in jener Stube! Du sollst mir Neues erzählen von den Dörfern und Städten der Menschen! - Hans faßte neuen Muth. Wenn's nur nicht aus der Wiege kommt, dachte er - es hat ja aber keine Füße - so hast du hier schön Bleiben, und mit meinem Stocke werde ich mir doch einen Kalbskopf vom Leibe halten

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können. Sein Mund blieb nicht verschlossen; er beantwortete alle Fragen, nahm vor allen Dingen ein tüchtiges Abendessen ein und legte sich dann in das bezeichnete Bett nieder. Am Morgen wahr sein Zeug gebürstet und geputzt, die Schuhe schön geschmiert, seine Schnallen geputzt; am Tage mußte er jedoch bei der Wiege sitzen und etwas erzählen; allein er war im Trocknen, ward nie hungrig und durstig; warum sollte er weichen? - Auch das Wunderbare verliert mit der Zeit seinen Eindruck. Hans blieb auch den zweiten Tag, auch den dritten; es ward ein Monat; es ward ein Jahr. Der Kalbskopf war immer gar zu freundlich und eben dadurch täglich liebenswürdiger. Endlich gedachte Hans an sein Elternhaus. Er konnte nicht umhin, seinen Wunsch nach Hause dem lieben Kalbskopf mitzutheilen. Ich verdenke es dir nicht, rief derselbe; allein du bist ohne schöne Kleidung, ohne Geld und Roß und kennst den Weg nicht. Sieh', dort in jener Ecke steht ein Stab; mit dem schlage auf jene Lade, so wird sie sich öffnen, und Kleidung und Waffen in Menge liegt dir zur Auswahl bereit. Eben so wirst du jenen Stall öffnen, in welchem Pferde aller Art zur Wahl stehen. Endlich schlage mit dem Stabe auf jene Kiste, so wird sie aufspringen und dir Geld verschaffen und eine Pfeife. Fehlt dir Weg und Steg, so blase auf der Pfeife, und sofort wirst du auf den rechten Weg geführt.

Hans that, wie ihm geheißen war. Er wählte sich einen schönen Jägerrock mit goldnen Tressen und einen dreieckigen Hut, hing einen blanken Degen um seine Hüfte und ein Gewehr über die Schulter, füllte alle Taschen mit Geld, vergaß die Pfeife nicht und zog endlich ein treffliches Jagdroß aus dem Stalle. Es war gewiß ein Schimmel; die Geschichte schweigt; aber alle Pferdehirten sind der festen Meinung. - Dann nahm er so zärtlich, als es die Umstände gestatteten, Abschied von dem Kalbskopf, dem er heilig versprechen mußte, bald wiederzukommen, und ritt von dannen. Die Kiepe ließ er stehen; die Pfeife leitete seinen Weg; das Roß trug ihn schnell über Berg und Thal; das Geld brachte freundliche Wirthe auf die Beine; so kam er zur Heimath.

Nur wenige Tage waren die Brüder von der Heimath entfernt gewesen. Als die Kiepe leer ward und das Geld ausgegeben, da ward ihnen bange vor Hunger und Noth; sie zögerten nicht; sie eilten nach Hause mit der Erfahrung, daß in der Fremde etwas Anderes als Kiepe und Geld das Glück fessele.

Wer kommt dort daher stolz auf hohem Rosse in Jägerkleidung mit blanker Wehr? Gewiß ein Edelmann, der sich

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verirrt hat. - Guten Abend, lieben Leute, rief Hans; kennt ihr mich nicht? Ich bin Hans, euer Sohn! Nimmermehr, erwiederte der Vater; unmöglich, sagte die Mutter, unmöglich! Hans hatte einen schwarzen Kittel an, als er auszog, und eine Klottmütze, und keinen Tressenhut. Ihr neckt uns! - Mütterchen, rief jener, ich bin Hans, euer Sohn! Rock und Roß habe ich mir in der Fremde verdient und diesen Hut und diese Wehr, und siehe, dazu diese Taschen voll harter Thaler. Als sie das Geld sahen, erzählt die Geschichte, da glaubten sie und ihr ganzes Haus seinen Worten; Geld mag wohl beweisen. Ein groß Getümmel entstand. Hans fiel ihnen um den Hals; es weinten Mutter und Vater; nur die beiden Brüder sahen scheel. Als die Nacht kam und Alles schlief, da beredeten sie sich, durch die Luke in die Schlafkammer des Bruders zu steigen und ihn zu erschlagen und sein Geld zu nehmen. Der Plan ward versucht; Hans aber erwachte, sprang aus dem Bette, griff zum Gewehr und schoß den einen der Brüder durch den Schenkel, daß er gelähmt rücklings aus der Luke fiel. Wunde und Lähmung bezeichneten am Morgen die Brüder als Mörder. Der Vater nahm die Peitsche und strafte sie obendrein wacker für ihre Bosheit, vermuthlich zu Hansens großer Ergötzung.

Nach einigen festlichen Tagen zog Hans wieder hin zu dem bekannten Schlosse, nachdem er den Eltern viele blanke Thaler geschenkt hatte. Freudig empfing ihn der Kalbskopf, und das gewohnte Leben ward wieder begonnen und fortgesetzt. Als er aber eines Morgens vor die Wiege trat, sprach der Kalbskopf: ich habe dir heute etwas Wichtiges zu sagen, und ich muß dich bitten, daß du aufs sorgfältigste alles ausführest, was ich dir heiße. Siehe, lieber Hans, in der Küche steht ein Haublock und in der Speisekammer liegt ein Beil. Gehe hin und lege das Beil auf den Haublock und dann komme wieder! Hans verrichtete Alles aufs genaueste. Nun die wichtige Bitte! rief der Kalbskopf. Blicke her! an meinem Hinterkopf habe ich ein langes Gewächs, woran ich krank darnieder liege. Trage mich zum Haublock und haue mit dem Beil mir das Gewächs ab; so werde ich gesund. Hans nahm den Kalbskopf bei den Ohren aus der Wiege und bemerkte mit Schrecken an dem Hinterkopfe desselben ein schlangenartiges, blaues Gewächs. Er brachte ihn in die Küche, legte ihn auf den Haublock: - ein Hieb! - das Gewächs war fort, der Kalbskopf plötzlich eine reich bekleidete Prinzessin von großer Schönheit, das ganze Schloß voll von aufwartender Bedienung, der Haublock eine alte Kammerfrau, das Beil ein alter, treuer Kutscher.

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Du hast mich errettet aus einer Verwünschung, rief die Prinzessin; dir gebührt Hand und Herz. Meine Güter sind dein; meine Liebe wird dich belohnen.

Also ward Hans ein reicher Mann, der seinen Eltern viel Gutes that, seinen Brüdern vergab und in einer glücklichen Ehe lebte. - Und wenn beide nicht todt sind, so leben sie noch 1 ).

14. Papendönning.

Am ratzeburger See, unsern des Dorfes Utecht, ist ein bruchiges, unwegsames Moor, in dessen Mitte auf einer mäßigen Anhöhe die Behausung eines Ritters war, nach Einigen eine Erdhöhle, nach Andern ein schwarzgeräucherter Kathen. Der Ritter hieß Papendönning und war durch seine namenlose Häßlichkeit, so wie durch sein wildes, räuberisches Leben überall verrufen; allein Niemand wußte den versteckten Aufenthalt desselben. Vergeblich hatte er geworben nah und fern um die edlen Tochter des Landes; jede hatte dem häßlichen Manne einen Korb in die Hand gedrückt. Da sann er auf List und raubte die Tochter eines reichen Bürgers zu Lübeck und zwang sie seine Gemahlin zu werden; doch durfte sie niemals seine einsame Behausung verlassen.

Die Weiber sind fügsam. Sie gewöhnen sich leichtlich an Häßlichkeit, wenn nur Herzensgüte damit verbunden ist; allein bei Papendönning war von Herzensgüte nicht die Rede. Hart behandelte er sein Weib und ohne Gefühl. Daher war sie ihm auch nie recht zugethan und traulich; wie sollte sie es können? -

Gretchen genas eines Knaben und hoffte nun die rauhe Seele des Mannes zärtlicher zu machen und fester an sich zu knüpfen. Sie brachte den zarten Säugling dem Vater zu. Der nahm ihn auf die nervigen Arme und tanzte mit ihm im Kreise umher. Immer wilder ward der Tanz. Er packte endlich mit gewaltigen Fäusten das wimmernde Kindlein am Beine; sein Auge ward rothglühend; er schlenkerte tanzend und brüellend den Knaben sich um den Kopf; er zerschmetterte die kleinen Glieder an Wand und Gebälk. Sieben mal gebar Gretchen ihm Knaben, und sieben mal wiederholte der Unmensch die schreckliche Tanzscene.

Den Strauß konnte das arme Mutterherz nicht bestehen, und selbst der tanzlustigsten Dame unserer Zeit dürfte eine Galoppade der Art nicht gefallen. Gretchen sann auf List, und es gelang ihr.


1) Gewöhnlicher Schluß bei Erzählungen der Landleute.
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In einer zarten Schäferstunde - also wird erzählt: der gnädige Herr hatte doch auch seine schwache Stunde - in einer solchen Schäferstunde bat schmeichelnd Gretchen um die Erlaubniß, ihre Verwandten in Lübeck besuchen zu dürfen. Anfangs wollte er nicht einwilligen; allein sie ließ nicht ab zu bitten, und endlich mußte sie ihm eidlich versprechen, in 4 Tagen wiederzukommen, aber keinem Menschen ihr Schicksal zu klagen, und keinem zu sagen, wo der Schlupfwinkel des Papendönnings sei.

So ging sie von dannen. Es frohlockten die bekümmerten Eltern und Verwandten, als sie nach langer Zeit das liebe Gretchen wiedersahen. Aber woher dein Weg? fragte man. Ich darf ihn Niemanden sagen, versetzte sie; eidlich habe ich es versprochen. - Nun so laß deinen Fuß auf immer ruhen unter der Eltern Tisch. - Ach, nach 4 Tagen muß ich wiederkehren, erwiederte sie seufzend; eidlich habe ich es versprochen. Tochter, warum so traurig dein Herz und Auge? fragte die weinende Mutter. Ich darf es keinem Menschen sagen, antwortete sie; eidlich habe ich es versprochen. - Am dritten Tage nahm sie ihre jüngste Schwester mit sich auf einen Spaziergang im Freien. Sie trafen einen großen Stein am Wege. Gretchen warf sich nieder an dem Stein, und indem sie ihn mit beiden Armen umklammerte, rief sie: keinem Menschenkinde darf ich mein Schicksal klagen; Stein, du bist taub, dir kann ich erzählen, wie Papendönning mich behandelt, wie er meine sieben Knaben, die ich ihm gebar, zu Tode tanzte, wie und wo er wohnt. - Das Alles hörte die Schwester und säumte nicht, zu Hause Alles zu erzählen, was sie gehört hatte. - Unter vielen Thränen nahm Gretchen am Abend des vierten Tages von den Ihrigen Abschied, bat sich aber vorher eine Schürze voll Erbsen aus. Der Wink ward verstanden; man trieb ihr eine Sau mit Ferkeln nach. Der Weg war durch Erbsen bezeichnet; die Sau folgte dem Lockwege, und der einsame Schlupfwinkel ward entdeckt, Papendönning gefangen nach Lübeck geführt und dort gerichtet 1 ).

Noch jetzt sagt man z. B. von einem Tänzer, der mit seiner Dame überschnell umherkreiset: er hält mit ihr Haus wie Papendönning mit seinen sieben Söhnen

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1) Nachtrag von Mussäus: Ueber Papendönnig hörte ich zuerst im Feldlager bei Rupensdorf bei Schönberg von einer alten Frau, die mir Handschuhe machen mußte. Es sind 25 Jahre her und ich bin über das Ende Papendönnings ungewiß, ob er zu Lübeck enthauptet, oder gleich auf der Stelle aufgeknüpft sei. Die Frau nannte ihn einen Raubedelmann.