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I.

Das Rostocker Patriziat
bis 1400

von

Hans Ulrich Römer.

Vignette
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Inhaltsverzeichnis.

Einleitung. Seite
  Stand der Forschung 5-9  
Kapitel I.
  Entstehung und Entwicklung des Rostocker Patriziats 9-29
Kapitel II.
  Der Beruf der Rostocker Patrizier 29-49
Kapitel III.
  Die Vermögenslage der Rostocker Patrizier 49-71
Kapitel IV.
  Die soziale Stellung des Rostocker Patriziats 71-84

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Quellen.

1. Gedruckte Quellen.

Mecklenburgisches Urkundenbuch Bd. I-XXIV. Schwerin 1863-1913.

Die ältesten Stadtbuchfragmente Rostocks 1258-1262. Hrsgg. von E. Dragendorff. Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock (fortan zitiert BGR.). Bd. II, 2. Rostock 1897.

Stadtbuchblatt von 1257-1258. Hrsgg. von E. Dragendorff: BGR. III, 1. Rostock 1900.

Stadtbuchblatt von ca. 1262. Hrsgg. von E. Dragendorff: BGR. IV, 1. Rostock 1904.

Die Chronik des Dietrich vam Lohe (1529-1583). Hrsgg. von E. Dragendorff: BGR. XVII. Rostock 1931.

2. Ungedruckte Quellen im Rostocker Ratsarchiv.

Witschop-Buch Nr. II (1338-1384).

Stadtbuch Nr. II (1270-1288) - früher Stadtbuch C.

Stadtbuch Nr. III (1289-1294) - früher Stadtbuch D.

Stadtbuch Nr. IV (1295-1303) - früher Stadtbuch E.

Stadtbuch Nr. V (1304-1314) - früher Hausbuch.

Stadtbuch Nr. VIII (1324-1335) - früher Hausbuch.

Stadtbuch Nr. IX (1337-1353) - früher Hausbuch.

Stadtbuch Nr. X (1354-1367) - früher Hausbuch.

Abkürzungen.

MUB. = Mecklenburgisches Urkundenbuch.

BGR. = Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock.

MJB. = Jahrbücher des Vereins für meckl. Geschichte und Altertumskunde.

HGB. = Hansische Geschichtsblätter.

Pfingstbl. = Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins.

HZ. = Historische Zeitschrift.

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Einleitung.

Stand der Forschung.

Das bekannte Werk des Freiherrn Karl Heinrich Roth von Schreckenstein über das Patriziat in den deutschen Städten 1 ) war zur Zeit seiner Veröffentlichung (1856) eine verdienstvolle Leistung. Es entspricht aber nicht mehr den heutigen Forderungen der Wissenschaft, da die Erforschung der Stadtgeschichte durch bahnbrechende Forschungen neuerer Rechts- und Wirtschaftshistoriker auf eine festere Grundlage gestellt ist und es damals noch an Sonderuntersuchungen fehlte, welche die gemeinsamen Züge und die Abweichungen in der Beschaffenheit und Entwicklung des Patriziats deutlich erkennen lassen.

Die in den letzten 40 Jahren erschienenen Untersuchungen über das Patriziat der Städte Dortmund 2 ), Lübeck 3 ), Goslar,


1) G. H. Freiherr Roth von Schreckenstein, Das Patriziat in den deutschen Städten, besonders Reichsstädten, als Beitrag zur Geschichte der deutschen Städte und des deutschen Adels. Tübingen 1856.
2) Luise von Winterfeld, Das Dortmunder Patriziat bis 1400. (Mitteilungen der westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde, Band IV, Heft 3, 1925).
3) C. Wehrmann, Das Lübeckesche Patriziat, insbesondere dessen Entstehung und Verhältnis zum Adel. (Fortan zitiert: Wehrmann I.) Hansische Geschichtsblätter 1872 Jahrgang VI. (Fortan zitiert: HGB.).
Derselbe, Das Lübeckische Patriziat. (Fortan zitiert: Wehrmann II.) Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, Band V, Heft 3. Lübeck 1888.
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Hildesheim, Braunschweig 4 ), Breslau 5 ), Nürnberg 6 ), Straßburg, Basel, Freiburg, Worms 7 ), Köln 8 ), Lindau 9 ), Münster 10 ), Soest 11 ) erkennen im allgemeinen an, daß die Patrizier sich im Besitz der wichtigsten städtischen Ämter befanden, daß sie zu den gesellschaftlich gehobenen und wohlhabendsten Bürgern gehörten und ihre Abschließung sich vornehmlich gegen den Handwerkerstand richtete. Andere wichtige Fragen haben dagegen eine sehr verschiedene Antwort erhalten. Einer sicheren und umfassenden Klärung bedarf z. B. die Frage, aus welchen Berufsschichten sich das Patriziat einer mittelalterlichen Stadt zusammensetzte. Ohlendorf vertritt die Ansicht, daß die Patrizier Niedersachsens aus grundherrlichen und ritterlichen Altfreien hervorgingen und sich erst später dem Gewandschnitt, dem Handel und anderen Berufen zuwandten 12 ). In Dresden


4) Ludwig Ohlendorf, Das Niedersächsische Patriziat und sein Ursprung. Forschungen zur Geschichte Niedersachsens, Band II, Heft 5. Hannover-Leipzig 1910.
5) Gerhard Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat im Mittelalter. Darstellungen und Quellen zur Schlesischen Geschichte, Band 30, Breslau 1929.
6) Julie Meyer, Die Entstehung des Patriziats in Nürnberg. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Band 27, Nürnberg 1928.
7) Max Foltz, Beiträge zur Geschichte des Patriziats in den deutschen Städten vor dem Ausbruch der Zunftkämpfe. Dissertation. Marburg 1899.
8) Friedrich Lau, Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln bis zum Jahre 1396. (Preisschrift der Mevissenstiftung.) Bonn 1898.
9) Siegmund Keller, Patriziat und Geschlechterherrschaft in der Reichsstadt Lindau. (Deutsch-rechtliche Beiträge, Band I, Heft 5.) Heidelberg 1908.
10) Andreas Henkel, Beiträge zur Geschichte der Erbmänner in der Stadt Münster. Dissertation Münster. Leipzig 1910.
11) Friedrich von Klocke, Patriziat und Stadtadel im alten Soest. Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins, Band XVIII. Lübeck 1927. (Fortan zitiert: Pfingstbl.)
12) Ohlendorf a. a. O. S. 79. Eine von Ohlendorf abweichende Ansicht über die Zusammensetzung des Goslarer Patriziats vertreten Feine und Fröhlich. Vgl. Hans Erich Feine, Der Goslarische Rat bis zum Jahre 1400. Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. (Hrsgg. von Otto Gierke.) Heft 120. Breslau 1913, Seite 60 ff. "Den Kern des Patriziats bildeten jedoch ohne Zweifel die in Handel und Gewerbe reich gewordenen Familien" (S. 62). Karl Fröhlich, Zur Ratsverfassung von Goslar im Mittelalter. HGB. 1915 Heft I S. 22.
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gehörten zur ersten Bürgerklasse, "aus welcher der Ratsstuhl besetzt wurde, die Bürger, welche innerhalb oder außerhalb des Weichbildes einen größeren Grundbesitz, Vorwerke und Meiereien besaßen und von deren Erträgnissen lebten, nächstdem die Kaufleute ..." 13 ). In Münster konnten sowohl Ministeriale als auch Kaufleute in das städtische Patriziat aufgenommen werden, nur mußten sie von einem schöffenbaren Geschlecht abstammen 14 ). F. Keller gelangt zu dem Ergebnis, daß in Lindau die ältesten Patrizier vermutlich Kaufleute waren, daß man aber von einem Patriziat im Vollsinn des Wortes erst sprechen könne, als um etwa 1300 ein starker Zuzug von Adligen und Ministerialen in die Reihen dieser handeltreibenden ältesten Geschlechter erfolgte 15 ). In Görlitz scheinen Kaufleute als Mitglieder des ältesten Patriziats überhaupt nicht nachweisbar zu sein 16 ). Die Soester Patrizier stammten, wie es scheint, z. T. aus der Kaufmannschaft, z. T. waren sie ländlicher altfreier Herkunft 17 ). Das Nürnberger Patriziat setzte sich nach den Forschungen von J. Meyer aus Ministerialen, Kaufleuten und Grundeigentümern zusammen 18 ). Demgegenüber bestreitet Max Foltz einen stärkeren Anteil der Ministerialen an der Zusammensetzung der städtischen Patriziate von Straßburg, Basel, Worms und Freiburg 19 ). Für Köln stellt Friedrich Lau den Satz auf: "Entsprechend der hervorragenden Handelsbedeutung der Stadt sind die meisten der hervorragenden Kölner Familien aus dem Kaufmannsstand hervorgegangen oder haben sich doch demselben schon früh zugewandt" 20 ). In der Abhandlung Luise von Winterfelds finden wir über die Dortmunder Patrizier folgende Angaben: "Jedenfalls kennen wir vor 1400 keinen Ratsherrn, der zu einer landadligen Familie gerechnet hätte" - "die Geschlechter waren freie Kaufleute, die den Handel ... als ihre altge-


13) Otto Posse, Stadt- und Ratsverfassung von Dresden im Mittelalter. Archiv für die Sächsische Geschichte. N. F. Band II. Heft III. Leipzig 1875. S. 206.
14) Henkel a. a. O. S. 58.
15) Keller a. a. O. S. 44.
16) Richard Jecht, Geschichte der Stadt Görlitz. Band I. Görlitz 1926. S.26 ff.
17) v. Klocke a. a. O. S. 24 ff.
18) J. Meyer a. a. O. S. 88 ff.
19) Foltz a. a. O. S. 92.
20) Lau a. a. O. S. 128.
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wohnte sichere Nahrung (!) betrachteten ..." 21 ). In den Breslauer Patriziern endlich glaubt Georg Pfeiffer meistens Kaufleute sehen zu können, die indessen bald dazu übergingen, ihr flüssiges Kapital durch Ankauf von Grundbesitz und Renten zu sichern 22 ).

Die Forschungen Werner Sombart's, Georg von Below's und anderer Wirtschaftshistoriker haben die Frage angeregt, ob die großen Vermögen, die man im Hoch- und Spätmittelalter in der Hand der Patrizier findet, aus angehäufter Grundrente oder aus Handelsgewinnen entstanden sind. Die Untersuchung Julie Meyer's z. B. beantwortet die Frage folgendermaßen: "Wohl finden sich unter den reichen Leuten Nürnbergs, unter den Patriziern frühere Grundherren und städtische Grundeigentümer, doch verdanken sie ihren Reichtum nicht dem Grund und Boden, den sie besitzen, denn die Rente aus Grundbesitz ist wesentlich kleiner als der Gewinn aus dem Handel" 23 ). Auch in Wien 24 ), Köln 25 ), Lübeck 26 ), Straßburg 27 ), Halle 28 ), Dortmund 29 ) und anderen Städten 30 ) stammten die großen patrizischen Vermögen offenbar aus Handelsgewinn. In Braunschweig, Hildesheim und Goslar dagegen sollen die ersten Überschüsse der Patrizier aus dem


21) Winterfeld a. a. O. S. 104, 106.
22) Pfeiffer a. a. O. S. 70, 89 f. In Hamburg gab es zwar "weder Stadtadel noch Geschlechter", aber auch hier lag die politische Leitung der Stadt fast ausschließlich in der Hand einer bestimmten Gruppe der Bürgerschaft, der "Reichen und Kaufleute", auch hier waren besonders die Handwerker zurückgesetzt. Vgl. Geert Seelig, Die geschichtliche Entwicklung der Hamburgischen Bürgerschaft und die hamburgischen Notabeln. Hamburg 1900. S. 22 f.
23) J. Meyer a. a. O. S. 95.
24) Hans v. Voltelini, Die Anfänge der Stadt Wien. Wien, Leipzig 1913.
25) Lau a. a. O. S. 128. Luise v. Winterfeld, Handel, Kapital und Patriziat in Köln bis 1400. Pfingstbl. 1925. Bl. XVI. S. 80.
26) Wehrmann I a. a. O. S. 95.
27) Foltz a. a. O. S. 33.
28) E. M. Lambert, Das Hallesche Patriziat. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Städteverfassungen des Mittelalters. Halle 1866. S. 53.
29) Luise v. Winterfeld, Reichsleute Erbsassen und Grundeigentum in Dortmund. Dortmund 1917. S. 48 ff.
30) In Lüneburg war die vornehmste Quelle des patrizischen Reichtums die "Salzsiedung". Vgl. WiIh. Friedr. Volger, Die Patrizier der Stadt Lüneburg. Lüneburg 1863. S. 7.
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Grundbesitz stammen und den Fernhandel erst ermöglicht haben 12).

Recht verschieden sind auch die Ergebnisse, die über das Verhältnis des Patriziats zum Rittertum gewonnen sind.

Die vorliegende Arbeit will den Versuch machen, die von der Wissenschaft angeregten Fragen über die Geschichte des Patriziats für die Stadt Rostock zu beantworten und damit einen Beitrag zur allgemeinen Städtegeschichte Deutschlands wie zur Landesgeschichte Mecklenburgs zu liefern. Die Beschaffenheit des Patriziats mecklenburgischer Städte ist mit Ausnahme des Patriziats der Stadt Rostock in besonderer Arbeit noch nicht untersucht worden. Über das Rostocker Patriziat handelt G. C. F. Lisch in zwei kurzen Aufsätzen (1846 und 1848) 31 ), die jedoch den Gegenstand bei weitem nicht erschöpfen und wichtige Fragen, z. B. welchen Berufsschichten die Rostocker Patrizier vornehmlich angehörten und auf welchem Wege sie ihre großen Vermögen erwarben, nicht eingehend genug beantworten.


Kapitel I.

Entstehung und Entwicklung
des Rostocker Patriziats.

Eine Gründungsurkunde Rostocks ist nicht erhalten. Die erste überlieferte, für Rostock ausgestellte Urkunde vom 24. Juni 1218 32 ) ist in die Urkunde vom 25. März 1252 eingerückt 33 ). Im Jahre 1218 bestätigte Heinrich Borwin I., Fürst


31) G. C. F. Lisch, Über das Rostocker Patriziat. (Fortan angeführt: "Lisch I".) Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde. Jahrgang XI. S. 169 ff. Schwerin 1846. (Fortan angeführt: MJB.)
Derselbe, Über das Rostocker Patriziat. (Fortan angeführt: "Lisch II".) MJB. XIII S. 254 ff. Schwerin 1848.
32) Mecklenburgisches Urkundenbuch Band I Nr. 244. Das Mecklenburgische Urkundenbuch wird fortan mit MUB. angeführt; die Zahlen hinter der Angabe des Bandes bezeichnen die Nummern der betreffenden Urkunden im Urkundenbuch.
33) MUB. II 686.
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von Mecklenburg, mit seinen Söhnen Heinrich und Nikolaus den Einwohnern Rostocks die Zollfreiheit in seinem ganzen Herrschaftsbereich sowie den Gebrauch des Rechtes der Stadt Lübeck. Rostock entstand demnach vor 1218. Schon damals bestand in der Stadt ein Ratskollegium; zehn Rostocker Ratmannen treten neben einigen Großen Mecklenburgs als Zeugen der Urkunde dieses Jahres auf. Ein Rat ist in Rostock auch weiterhin nachweisbar. Er vereinigte in seiner Hand zunächst nur gewisse Hoheits- und Verwaltungsrechte, wahrscheinlich die Marktgerichtsbarkeit und die freiwillige Gerichtsbarkeit. Der landesherrliche Einfluß in der Stadt überwog noch. Im Lauf des 13. Jahrhunderts mehrten sich dann die Befugnisse des Stadtrats. Er erwarb unter anderem die Steuer- und Finanzverwaltung, das Gerichtswesen, das Zoll -und das Münzwesen, das Geleits- und das Judenregal. Um 1325 war die bürgerliche Selbstverwaltung im wesentlichen ausgebildet 34 ). Die Wahl des Rates erfolgte jährlich und auf ein Jahr. Im Ratsverzeichnis vom 5. April 1266 heißt es 35 ): Anno domini MCCLXVl presidebant consilio ..., es folgen die Namen von achtzehn Rostocker Ratmannen; das Verzeichnis von 1267 beginnt mit den gleichen Worten, zählt aber unter ebenfalls achtzehn Ratsherren eine Reihe von Namen auf, die im Verzeichnis des vorhergehenden Jahres nicht erscheinen 36 ). Die jährliche Erneuerung des Rates geschah von alters her auf dem Wege der Kooptation, d. i. der Selbstergänzung. Das bezeugt eine Urkunde vom 8. Januar 1314, in welcher bestimmt wird, daß in diesem Jahr Rat und Landesherr die Wahl der neuen Ratsherren gemeinsam vornehmen sollten, daß aber vom nächsten Jahre ab der alte Rat allein, wie es von jeher üblich gewesen sei, die neuen Mitglieder wählen sollte 37 ). Auf diese Weise war es den im Rat befindlichen Bürgern leicht möglich, unliebsame Elemente aus dem Stadtrat fernzuhalten und die Leitung der Stadt möglichst in ihrem Besitz zu erhalten. Dieses Recht der Selbstergänzung


34) Paul Meyer. Die Rostocker Stadtverfassung bis zur Ausbildung der bürgerlichen Selbstverwaltung (um 1325), MJB. 93. Schwerin 1929. S. 78.
35) MUB. II 1076.
36) MUB. II 1102.
37) MUB. VI 3669.
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eröffnete andererseits den Mitgliedern des Rates die Möglichkeit, Verwandten und Freunden bei der Neuwahl der Ratmannen Zutritt zu dieser bereits um 1300 gegenüber der landesherrlichen Macht fast selbständigen 38 ) und somit sehr einflußreichen Körperschaft zu verschaffen. So konnte in Rostock wie in anderen deutschen Städten des Mittelalters ein Geschlechterregiment entstehen. Ein Blick auf die erhaltenen Ratslisten und die anderweitigen urkundlichen Erwähnungen aller oder einzelner Ratsherren zeigt in der Tat, daß nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Gesamtbürgerschaft im Stadtrat vertreten war. Wir bemerken im Rat z. B. in häufiger Wiederkehr die Namen Baumgarten, Beseler, Buxstock, Fehmern, Freden, Frese, Gothland, Hoffmann, Holloger, Horn, Katzow, Koppmann, Koesfeld, Kröpelin, Kruse, Kyritz, Lage, Lemhus, Lise, Lore, Löwe, von der Möhlen, Mönch, Nachtrabe, Pape, Quast, Rode, Unruh, Vöge, Wiese, Wilde, Witt, Töllner und andere mehr 39 ). Innerhalb der Ratsfamilien wurden zahlreiche Heiraten geschlossen. Damit bildete sich eine große, häufig durch verwandtschaftliche Bande verbundene Gemeinschaft der im Rostocker Stadtrat vertretenen Familien: "Das Rostocker Patriziat". Schon im 14. Jahrhundert war die Mehrzahl der Rostocker Ratsfamilien untereinander verwandt. Die beiden Familien Töllner und Koppmann z. B., die selbst miteinander verschwägert waren, hatten verwandtschaftliche Beziehungen zu dreizehn patrizischen Familien, und zwar bereits in der dritten Generation. Ein Ausschnitt aus den Stammtafeln der Töllner und Koppmann möge zur besseren Veranschaulichung beitragen 40 ).


38) Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 77 ff.
39) So war z. B. Engelbert Baumgarten Ratmann in den Jahren 1262, 1265, 1275, 1277, 1279, 1280, 1283; Reineke, Reimberts Sohn in den Jahren 1266, 1267, 1275, 1278, 1282, 1283, 1285, 1286, 1297. Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 86.
40) Zu den Stammtafeln ist auch zu vergleichen Karl Koppmann, Johann Töllners Handlungsbuch von 1345 bis 1350. (Fortan zitiert: "Töll. Hdlgsb."). Geschichtsquellen der Stadt Rostock Band I. Rostock 1885. S. III ff.
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Stammtafeln der Töllner und Koppmann
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Das Rostocker Patriziat entwickelte sich aus dem Stadtrat. Damit verlief seine Entwicklungsgeschichte abweichend von der mancher anderen städtischen Patriziate Deutschlands. Max Foltz z. B. betont, daß in Straßburg auch vor der Entstehung des Stadtrates die Belange der Bürgerschaft durch eine Aristokratie vertreten wurden 62 ), und Friedrich von Klocke spricht von einem Patrizierausschuß als Vorläufer des Stadtrates von Soest 63 ). Für die Mitglieder des Rostocker Patriziats gilt demnach voll und ganz der Satz Georg von Belows: "Die Ratsfähigkeit bildete das Hauptkennzeichen der Patrizier" 64 ). Als Ratsherr erhielt der Patrizier in den Urkunden ebenso wie der Ritter und der Geistliche den Titel "dominus" 65 ); ein Patrizier, der zur Zeit einer Beurkundung irgendwelcher Art nicht Mitglied des Stadtrates war, wurde meistens "honestus vir", "discretus vir" usw. genannt. Dem gewöhnlichen Bürger gab man in den Urkunden in der Regel nur die einfache Bezeichnung "civis". Noch einige andere Anzeichen lassen sich aus den Quellen erbringen, die auf das frühzeitige Bestehen eines Patriziats in Rostock hinweisen. Schon für das 13. Jahrhundert bezeugen manche Urkunden, daß der Rat zur Beratung gewisser, vermutlich wichtigerer Fragen nicht die ganze Bürgerschaft, sondern nur einen Teil heranzog. Im Jahre 1278 z. B. erließ der Rat eine Verordnung über die Verlosung der Kaufbuden im Rathaus "cum senioribus civitatis" 66 ). Als sich die Stadt im Jahre 1283 an einem Landfriedensbündnis beteiligte, wurde festgesetzt, daß zu den jährlich viermal stattfindenden Zusammenkünften der vertragschließenden Parteien "rectores, iudices et iurati .. de discretioribus civitatum" gewählt werden sollen 67 ). Im Jahre 1287 verzichtete der Rostocker Vogt auf Skanör, Eike, auf den Ersatz des Geldes, das er während seiner Tätigkeit auf Skanör für die Stadt hatte ausgeben müssen, "coram discretioribus nostre civitatis" 68 ). Unter diesen "cives seniores" bzw. "cives dis-


62) Foltz a. a. O. S. 19.
63) v. Klocke a. a. O. S. 15.
64) Georg v. Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum. Monographien zur Weltgeschichte VI. Bielefeld und Leipzig 1905. S. 121.
65) MUB. IV 422, XII S. 124 (Sachregister).
66) MUB. II 1447.
67) MUB. III 1682.
68) MUB. IIl 1926.
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cretiores" usw. haben wir wahrscheinlich Angehörige der ratsfähigen Familien zu erkennen 69 ). Wie soll man weiter die Zunftkämpfe in Rostock um 1286/87 und 1312 erklären, wenn man nicht annimmt, daß in der Stadt eine bevorrechtigte Oberschicht bestand, gegen die sich die damals wohl schon wohlhabende und selbstbewußte übrige Bürgerschaft erhob? Den Anlaß zum Aufstand wird das Streben der Bürger gegeben haben, politische Rechte entsprechend ihrer sozialen Lage zu gewinnen!

Um 1286/87 entstand zum erstenmal ein Aufruhr gegen den Rat. Sechs Ratsherren wurden aus der Stadt vertrieben und ihrer Habe beraubt; sechs andere Rostocker Bürger traten an die Stelle der Vertriebenen 70 ). Unter den neu gewählten Ratsherren befanden sich unter anderem auch Johann Kempe und Heinrich von Ibendorf. Von Johann Kempe wissen wir, daß er Handwerker war; er erscheint einmal in einer Urkunde als "Magister Johannes Pugil" 71 ). Auch Heinrich von Ibendorf scheint Beziehungen zum Handwerkerstand gehabt zu haben. Wir hören von ihm, daß er sechs Handwerksämtern eine Beteiligung am Rat versprochen, dieses Versprechen aber später geleugnet haben soll und deshalb wegen Meineides aus der Stadt verwiesen wurde 72 ). Das Ziel des Aufstandes, wahrscheinlich die Durchbrechen der patrizischen Ratsfähigkeit zugunsten aller Bürger, wurde indessen nicht erreicht. Schon 1292 begegnet uns einer der aus der Stadt vertriebenen Ratmannen wieder als Rostocker Ratsherr 73 ). Das Patriziat gewann seine alte Stellung zurück. Ergebnislos verlief auch die zweite Erhebung der Bürgerschaft gegen den Rat im Jahre 1312. Zwar erlangten die Handwerker vorübergehend einigen Einfluß auf die Wahl des Stadtrates, doch schon 1314 wurde die alte Verfassung wieder hergestellt 74 ). Weitere Kämpfe während des 14. Jahrhunderts berichten die Rostocker Quellen nicht. Die alte Ordnung blieb erhalten.


69) Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 88.
70) MUB. III 2003. Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 89 ff.: Karl Koppmann, Geschichte der Stadt Rostock. Rostock 1887. S. 19 f.; R. Lange, Rostocker Verfassungskämpfe bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Programm des Gymnasiums zu Rostock. Rostock 1888. S. 4.
71) MUB. III 2003 Note.
72) MUB. III 2423.
73) MUB. III 2227.
74) Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 90 ff.
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Das tatsächliche Bestehen eines Patriziats in Rostock während des 13. und 14. Jahrhunderts kann demnach wohl nicht geleugnet werden, wenn auch nirgends in den Urkunden eines Geschlechterregiments in irgendeiner Weise Erwähnung getan wird 75 ). Es bestand in Rostock nicht wie in zahlreichen anderen deutschen Städten des Mittelalters eine Gesellschaft, in der die Geschlechter vereinigt waren. Wir finden in Dortmund die Reinoldigilde 76 ), in Lübeck die Zirkelgesellschaft 77 ), in Köln die Richerzeche 78 ), in Lindau die Gesellschaft zum Sünfzen 79 ), in Soest die Schleswiger Bruderschaft 80 ), in Rostock dagegen nichts dergleichen. Ebenso erscheint der Name "Patrizier" in den Quellen vor 1400 nie. Dieser Name findet sich auch in anderen deutschen Städten in dieser Zeit noch nicht. Das Wort "patricius" kommt erst seit 1500 häufiger vor, und zwar "mehr in Büchern als in der Urkundensprache" 81 ). So gebraucht es z. B. Heinrich Bebel "Ulm betreffend" in einer Druckschrift vom Jahre 1508 82 ). In Rostock tritt es nach Lisch erst in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Kriege auf 83 ).

Die Feststellung des zeitlichen Ursprungs des Rostocker Patriziats bereitet einige Schwierigkeiten. Urkundlich kann man das städtische Patriziat bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen. Betrachtet man die erhaltenen Verzeichnisse der Ratsmitglieder vor 1300 sowie die Erwähnungen der Ratsherren als Zeugen von Beurkundungen während dieser Zeit, so kann man schon hier die häufige Wiederholung der gleichen Namen bemerken, die wir bereits als ein Kennzeichen der Zugehörigkeit zum Patriziat erkannt


75) Vgl. Lisch a. a. O. S. 169.
76) Seit etwa 1340 erscheint in den Quellen statt der "Reinoldi Gilde" die "Junkergesellschaft" oder "adlige Gesellschaft auf dem Rathaus" die alte Reinoldi Gilde lebte unter diesem Namen weiter. Vgl. L. v. Winterfeld, Das Dortmunder Patriziat S. 103.
77) Wehrmann I a. a. O. S. 108.
78) Lau a. a. O. S. 76 ff.
79) Keller a. a. O. S. 367.
80) v. Klocke a. a. O. S. 48.
81) Karl Heinrich Roth v. Schreckenstein, Die Ritterwürde und der Ritterstand. Historisch-pol. Studien über deutsch-mittelalterliche Standesverhältnisse auf dem Lande und in der Stadt, S. 463 Anm. 2. Freiburg i. B. 1886.
82) Ebendort S. 435 Anm. 2.
83) Vgl. Lisch I a. a. O. S. 181 f..
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haben. So tritt z. B. Reineke Reimbert in der Zeit von 1266 bis 1297 elfmal als Ratsherr auf, Engelbert Baumgarten in der Zeit von 1262 bis 1283 siebenmal, Albrecht Lore in der Zeit von 1261 bis 1282 ebenfalls siebenmal. Eine große Anzahl anderer Beispiele ließe sich anführen 84 ). Aus dem 13. Jahrhundert stammen auch die oben schon erwähnten Fälle, in denen neben den Rat sog. "einsichtige Bürger", die "cives seniores" bzw. "cives discretiores" usw., Anteil an der Erledigung gewisser Fragen nahmen 85 ).

Für die Zeit vor 1250 versagen die Rostocker Quellen fast vollständig. Nur eine einzige Urkunde ist aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erhalten, die Aufschluß über diese Zeit geben könnte, eben die Urkunde vom 24. Juni 1218. Ein Versuch, die von Paul Meyer in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts verlegte obere Zeitgrenze des Rostocker Patriziats 86 ) in die erste Hälfte des Jahrhunderts vorzuverlegen, ist daher auf Rückschlüsse aus späteren Jahren angewiesen. Das seit 1250 erhaltene Quellenmaterial der Stadt bietet dafür manche wertvolle Anhaltspunkte. Zeugenreihen von Beurkundungen Testamente, Erbschaften, An- und Verkäufe oder ähnliche urkundliche Aufzeichnungen ermöglichen die Feststellung, daß schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in vielen Fällen bei der Neuwahl des Stadtrates der Sohn, der Bruder oder irgendein anderer Verwandter eines Ratmannes in den Rat gewählt wurde und nicht irgendein beliebiger Bürger der Stadt. Es ist dies eine Erscheinung, die dann im 14. Jahrhundert noch offenkundiger wird und zu der bereits erwähnten Verwandtschaft der meisten Ratsfamilien führt 87 ).

Ein bemerkenswertes Einzelbeispiel für das 13. Jahrhundert ist die Geschichte der Familie des Rostocker Ratsherrn Reimbert vom Alten Markt. Reimbert hatte drei Söhne und vier Töchter 88 ). Eine Tochter hieß Taleke 89 ); die Namen der drei anderen Töchter sind nicht bekannt; diese drei heirateten; die Namen von Reimberts Schwiegersöhnen sind überliefert. Man erhält also folgende Stammtafel:


84) Weitere Beispiele bei P. Meyer a. a. O. S. 86.
85) Vgl. Anm. 66, 67, 68, 69.
86) P. Meyer a. a. O. S. 87.
87) Vgl. Seite 11.
88) MUB. IV Pers.-Reg. S. 316.
89) MUB. III 1622, 1783.
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Stammtafel

Reimbert selbst war Ratmann im Jahre 1252 90 ). Auch seine drei Söhne erreichten die Ratswürde. Arnold wurde in der Zeit von 1275 bis 1278 zweimal in den Rat gewählt 91 ), Johann in der Zeit von 1279 bis 1284 dreimal 92 ) und Reineke in der Zeit von 1267 bis 1300 elfmal 93 ). Von seinen drei Schwiegersöhnen ist nur einer, Eberhard, nicht als Ratsherr nachweisbar. Ditmar saß im Rat in den Jahren 1252 und 1275 94 ), Johann Mönch in der Zeit von 1252 bis 1267 achtmal 95 ).

Weiter erscheinen im Stadtrat als Brüder Gerlach und Johann (1259), Hermann Witt und Johann Töllner (1257, 1286), Johann Rode und Albrecht Spießnagel (1284, 1278), Siegfried und Hermann (vor 1261, 1257), Dietrich und Gerhard von Lage (1284, 1280), Gerhard und Albrecht Lore (1252, 1261), Simon und Ernst (1257, 1252). Die folgenden Ratsherren stehen im Verhältnis von Vater und Sohn: Johann und Konrad Klein (1258/62, 1263), Bertram und Gottfried (1218, 1257), Vollant und Nikolaus Schwarz (1264, 1275), Meinrich und Heinrich (1257, 1294), Siegfried und Johann Siefers (vor 1261, 1261), Reineke und Gerhard von Lage (1275, 1304/6), Gerwin und Hermann Lemhus (1288, 1310), Lübbert in der Lagerstraße und Johann Lübberts (1284, 1305), Simon und Ernst (1252, 1275), Rötger und Johann (1252, 1284), Adolf und Heinrich (1257, 1262), Rötger Klein und Eberhard (1259). Verschwägerung besteht zwischen: Meinrich und Jacob von Malchin (1257, 1262), Johann Rathenow und Peter Witt (1257, 1262), Johann Klein und Gödeke (1258/62, 1262), Reineke von


90) MUB. II 686.
91) MUB. II 1275, 1278, 1381, 1474; IV 2710.
92) MUB. II 1507, 1520; III 1718.
93) Vgl. Anm. 39.
94) MUB. II 686, 793.
95) MUB. II 686, 793, 838, 924, 931, 962, 1041, 1051, 1102; IV 2685.
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Lage und Arnold Quast (1275, 1287), Gerhard und Reiner Lore (1252, 1278) 96 ).

Die große Zahl der gegebenen Beispiele erweckt den Eindruck, daß das Rostocker Patriziat in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht erst im Entstehen begriffen ist; zeigen sie doch, daß sich schon damals der Ratssitz innerhalb gewisser Familien gleichsam vererbte. Man darf wohl annehmen, daß eine Zeit vorausging, während welcher sich im Rostocker Patriziat allmählich diese Erscheinung. herausbildete, und darf daher rückschließend aus den Verhältnissen nach 1250 wohl vermuten, daß das städtische Patriziat wahrscheinlich schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden ist.

Das Rostocker Patriziat hat indessen vor 1300 keinesfalls bereits das Gepräge eines fest geschlossenen gesellschaftlichen Standes gehabt. Dazu ist die Zahl der ihm zuzurechnenden Familien viel zu groß, der Wechsel innerhalb der Ratsfamilien zu schnell. Das Patriziat war nur erst die Schicht der ratsfähigen Bürger der Stadt, die ununterbrochen Zugang erfuhr und Abgang erlitt. Patrizische Heiraten und Sippengefühl besaßen, wie wir gesehen haben, häufig Bedeutung und mochten den Aufstieg in den Rat erleichtern. Aber das einheitliche Gepräge, das man hiernach beim Patriziat erwarten könnte, wird noch durch den raschen Wechsel innerhalb der Ratsfamilien beeinträchtigt. Überhaupt scheinen besondere Bedingungen für die Aufnahme in den Rat noch nicht bestanden zu haben. Das Bürgerrecht genügte wahrscheinlich im allgemeinen. So war es z. B. möglich, daß Lübbert von der Neustadt, der erst 1259 auf Grund der Bürgschaft des Gerbers Gerhard als Stadtbürger aufgenommen war 97 ), schon vor 1262 in den Rat gelangen konnte 98 ). So erklärt sich auch die Tatsache, daß in den fünfzig Jahren von 1250 bis 1300 etwa zweihundert verschiedene Namen in den Urkunden als Ratsmitglieder auftreten, sei es


96) Die angeführten Beispiele sind zusammengestellt aus den Register-Bänden des Mecklenburgischen Urkundenbuches IV und XI und den folgenden Urkunden: in Bd. I 244; II 954, 962, 1367; das Beispiel Bertram (Vater) - Gottfried (Sohn) ist gewonnen aus den "Beiträgen zur Geschichte der Stadt Rostock". (Fortan zitiert: BGR.) Vgl. BGR. Bd. III Heft 1. Rostock 1900. (Hrsgg. v. K. Koppmann.) S. 4 Nr. 9.
97) MUB. II 836.
98) BGR. Bd. II Heft 2 Nr. II, 96.
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in den Ratsverzeichnissen oder in anderweitigen Erwähnungen von Ratsherren. Eine stattliche Reihe von Bürgern ist überhaupt nur ein einziges Mal im Rat belegbar, wie z. B. ein Ratmann Egbert 1257 99 ), ein Ratmann Burchhard vom Markt 1289 100 ) oder ein Ratmann Heinrich von Rathenow 1262 101 ). Nur drei Rostocker Bürger erreichten im 13. Jahrhundert eine zwölfmalige Wiederwahl 102 ), nur zehn eine zehnmalige Wahl in den Rat. Doch ist schon während der letzten fünfzig Jahre vor 1300 ein stetes Abnehmen in der Zahl der ratsfähigen Familien zu bemerken sowie ein stetes Anwachsen der Zahl derjenigen Ratmannen, die die Ratswürde zu wiederholten Malen erreichten. Die Zahl derer, die nach meiner Berechnung das Ratsamt, soweit die erhaltenen Urkunden bezeugen, zum erstenmal erreichen, beträgt in den acht Jahren von 1252 bis 1260 rund siebenzig, in den zwanzig Jahren von 1260 bis 1280 gleichfalls rund siebenzig und in den letzten zwanzig Jahren des 13. Jahrhunderts nur noch rund vierzig. In folgender Übersicht, die aus den erhaltenen Rostocker Quellen gewonnen ist, erhält man ein gutes Bild von der dauernden und auffallend schnellen Verminderung der Zahl der Ratsfamilien. Es treten neu ein in den Rat von:

1252-1260 c. 70, in zehnjährigem Durchschnitt c. 70,
1260-1280 c. 70, in zehnjährigem Durchschnitt c. 35,
1280-1300 c. 40, in zehnjährigem Durchschnitt c. 20.

Auch die Zahl derjenigen Ratmannen, die nur einmal im Rat belegbar sind, erfährt im Lauf des 13. Jahrhunderts eine stete Abnahme. Sie fällt von rund fünfundzwanzig während der Zeit von 1250 bis 1261 auf rund achtzehn während der Zeit von 1262 bis 1280 und auf nur zehn während der Zeit von 1280 bis 1300.

Ein ganz anderes Bild zeigt das 14. Jahrhundert. Das Patriziat ist jetzt bedeutend fester gefügt, der Wechsel innerhalb des Kreises der ratsfähigen Familien ist sehr viel ge-


99) BGR. Bd. III, 1 S. 9.
100) MUB. III 2008.
101) BGR. Bd. IV Heft 1 Nr. I, 9; andere Beispiele sind: Johann Eileke Rm. 1252 (MUB. II 686), Martin Wolde Rm. 1289 (MUB. III 2008), Heinrich Fründt Rm. 1267 (MUB. II 1102), Dietrich von Grevesmühlen Rm. 1266 (MUB. II 1076, 1096), Gödeke Dolevot Rm. 1266 (MUB. II 1076, 1096) u. a. m.
102) Es sind dies: Heinrich Wiese (1261-1296), Konrad Lage (1278-1300) und Heinrich, Adolfs Sohn (1262-1282).
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ringer. Die Ratsherren werden sehr häufig wiedergewählt, sie erscheinen zwanzigmal und mehr in der Ratswürde. Besonders deutlich wird der Wandel, den das Patriziat nach Aussage der erhaltenen Urkunden im Lauf des 14. Jahrhunderts erfuhr, wenn man die zweite Hälfte des Jahrhunderts betrachtet. Nicht einmal zehn beträgt die Zahl der Ratsherren, die sich als solche nur in einem einzigen Jahr nachweisen lassen, mehr als dreißig erscheinen dagegen zehnmal, zwanzigmal, ja noch häufiger in diesem Amt. Vergleichen wir einmal diese fünfzig Jahre mit den entsprechenden des 13. Jahrhunderts an Hand folgender Übersicht:

1250-1300:

Fast fünfzig Bürger sind in nur einem Jahr Ratmannen.

Nur etwa zehn Bürger bekleiden die Ratswürde zehnmal und mehr.

Die Höchstzahl der Amtsjahre eines Ratsherrn ist 14.

Die Gesamtzahl der im Rat nachweisbaren Bürger ist rund zweihundert.

1350-1400:

Nur etwa fünf Bürger sind in nur einem Jahr Ratmannen.

Rund dreißig Bürger bekleiden die Ratswürde mehr als zehnmal.

Die Höchstzahl der Amtsjahre eines Ratsherrn ist 27.

Die Gesamtzahl der im Rat nachweisbaren Bürger ist rund siebenzig.

Im 14. Jahrhundert begnügten sich die Ratsherren bei einer Neuwahl des Rates wahrscheinlich nicht mehr nur mit dem Bürgerrecht des Bewerbers. Vielmehr scheinen die patrizische Heirat oder anderweitige Verwandtschaft mit einem Ratsherrn oder Patrizier in den meisten Fällen die Voraussetzung für die Aufnahme in den Stadtrat gewesen zu sein. Man kann übrigens die gleiche Erscheinung auch in anderen mittelalterlichen Städten beobachten. So sagt z. B. Luise von Winterfeld für Dortmund: "Reichtum allein genügte nicht, sondern erst durch patrizische Heiraten erschloß sich einem freien Mann der Kreis der Ratsgeschlechter" 103 ). Für Köln drückt sie den gleichen Gedanken folgendermaßen aus: "Blutsver-


103) L. v. Winterfeld, Das Dortmunder Patriziat a. a. O. S. 215.
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wandtschaft ist stets und zuweilen mehrere Generationen hindurch der Aufnahme ins Patriziat vorhergegangen" 104 ). Eine patrizische Heirat wurde naturgemäß dem wirtschaftlich Starken lieber gewährt als dem wirtschaftlich Schwachen. So begann im 14. Jahrhundert die für das Patriziat so kennzeichnende Verbindung von Reichtum und Ansehen stärker hervorzutreten, wie wir in einem späteren Abschnitt ausführlicher darlegen wollen. Das Urkundenmaterial gestattet uns, den Werdegang eines Rostocker Patriziers im 14. Jahrhundert genauer zu verfolgen. Wieviel schwieriger war es im 14. Jahrhundert für den Rostocker Bürger Peter Kremer, zum Ratmann gewählt zu werden, als für Lübbert in der Neustadt, der bereits drei Jahre nach Erwerb des Bürgerrechtes Ratsherr werden konnte (1262) 105 ).

Über Peter Kremer, den ersten Ratmann der Familie Kremer, lassen sich folgende urkundlich belegbaren Tatsachen erbringen: Er war ein Kaufmannssohn, der durch Handelsgewinn und Geldverleih ein reicher Mann wurde. Im Jahre 1321 erhielt er von dem Patrizier Bernhard Koppmann einen Schuldbrief über 185 Mark 106 ); 1329 verlieh er weitere 70 Mark 107 ), 1334 22 Mark 108 ) und 1335 47 Mark 109 ); zusammen mit dem Patrizier Engelbert Baumgarten verlieh er 1336 weitere 60 Mark 110 ). Allmählich nahm sein Geldgeschäft einen immer größeren Umfang an. Im Jahre 1350 betrugen seine Außenstände bereits die ansehnliche Summe von rund 1625 Mark. In der gleichen Zeit erhielt er für Tuche, Weine und ein Pferd rund 300 Mark. Im Jahre 1350 erscheint er in den Urkunden als Gläubiger zweier Bürger zu Zütphen in Geldern zum erstenmal als "consul", d. h. Ratmann 111 ). Seine Gattin Berta heiratete nach seinem Tode den Patrizier Lambert Witt 112 ). Seine Schwester Elisabeth wurde vor dem Jahre 1334 die Ehefrau von Bernhard Koppmann, dem Sohn


104) L. v. Winterfeld, Handel, Kapital und Patriziat in Köln a. a. O. S. 68.
105) Vgl. S. 18.
106) MUB. X 7293.
107) MUB. X 7318.
108) MUB. X 7332.
109) MUB. X 7336.
110) MUB. X 7338.
111) MUB. X 7112.
112) StB. 10 1354-67 (früher Rostocker Hausbuch) Fol. 64 b.
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des Ratsherrn gleichen Namens 113 ). Nach dem Tode ihres ersten Gatten heiratete Berta um 1340 den Rostocker Ratmann und späteren Bürgermeister Ludolf von Gothland 114 ). Ihre dritte Ehe schloß sie mit Engelbert Steinbeck 115 ). Heseke, eine Tochter von Peter Kremer, heiratete, wie nicht anders zu erwarten ist, einen Patrizier Heinrich Kruse (1347) 116 ). Durch die Heiraten von Peter Kremers Enkelinnen mit Angehörigen der patrizischen Familien Horn bzw. Wilde war das ursprüngliche Kaufmannsgeschlecht fest im städtischen Patriziat verankert. Es heiratete Elisabeth Kruse, eine Enkelin von Peter Kremer, den Patrizier Gerwin Wilde 117 ), und ihre Schwester Grete schloß ihre Ehe mit dem Patrizier Rikwin Horn 118 ).

Die Geschichte der Familie Kremer beleuchtet in anschaulicher Weise die Bedeutung, die der Reichtum sowie die patrizische Heirat im 14. Jahrhundert für die Ratsfähigkeit einer Familie hatten. Peter Kremer erreichte die Ratsfähigkeit erst als reicher Kaufmann und als Verwandter mehrerer patrizischer Familien. Die Geschichte dieser Familie ist zugleich ein vortreffliches Beispiel dafür, daß bereits nach 1300 das Rostocker Patriziat sich als einen Stand fühlte und nicht etwa nur eine Gesellschaftsklasse, eine Honoratiorenschicht war.

"Honoratiorentum ist meist geneigt, den Zugezogenen von gestern oder vorgestern in sich aufzunehmen, wenn er, ziemlich gleich welcher Herkunft, nur Gesellschaftsfähigkeit nach jeweils herrschender Anschauung auf der Grundlage bestimmten Vermögens oder gewisser Lebensführung, nach Beruf und Bildungszuschnitt gesehen, besitzt" 119 ). Das Rostocker Patriziat des 14. Jahrhunderts dagegen forderte in der Regel engere Bande, nahm mit Vorliebe den Verwandten eines Patriziers in den Rat auf.

Bemerkenswert jedoch ist es, daß auch im 14. Jahrhundert das Patriziat sich noch nicht völlig von der übrigen Bürgerschaft Rostocks abschloß, sondern daß es sich auch noch nach 1300, wenn auch in bescheidenem Maße, mit frischem Blut erneuerte und verjüngte, wie es z. B. die Familiengeschichte


113) StB. 8 Fol. 62 a, 204 a, 223 a.
114) MUB. XIII 7423. StB. 9 1337-53 (früher Hausbuch) Fol. 66 a.
115) MUB. XIII 7423.
116) StB. 9 Fol. 139 a.
117) Witschop II Fol. 95 a.
118) MUB. XVI 9680.
119) Vgl. v. Klocke a. a. O. S. 6.
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von Peter Kremer zeigt. Was Rostock betrifft, so kann man Georg von Below nur beistimmen, wenn er sagt: "Allerdings war diese Exklusivität des Patriziats in Deutschland keine sehr strenge" 120 ). Auch in der Geschichte der Patriziate anderer deutschen Städte kann man die Beobachtung machen, daß die Abschließung ihrer Oberschicht im 14. Jahrhundert noch nicht besonders streng war. So stellt z. B. Luise von Winterfeld für Dortmund fest, daß das dortige Patriziat bis 1400 kein bereits abgeschlossener Stand war 121 ), und Friedrich Lau betont für Köln, daß ein völliger sozialer Abschluß der Geschlechter bis 1396 überhaupt nicht bestanden hat 122 ).

Der Mangel einer strengen Abschließung des Patriziats bestimmte auch sein Verhältnis zum Handwerkertum. Naturgemäß blieb die mit der Zeit fortschreitende Festigung des Rostocker Patriziats, das sich von einer schnellem Wechsel unterworfenen Schicht zu einem einheitlicheren, fester gefügten und sich von der übrigen Bürgerschaft schärfer abhebenden Stand im 14. Jahrhundert entwickelte, nicht ohne Einfluß auf das Verhältnis vom Patriziat und Handwerkertum. Das Handwerkertum als ganzes scheint zwar auch im 13. Jahrhundert vom Ratsstuhl ausgeschlossen gewesen zu sein 123 ). Der Aufstand von 1286/1287 sollte ja die Ratsfähigkeit der Geschlechter durchbrechen und den Handwerkern den Zutritt zum Stadtrat verschaffen. Im Jahre 1287 erscheint der Handwerksmeister Johann Kempe vorübergehend im Rat 124 ). Doch schon vor diesen Zunftkämpfen um 1286/87 lassen sich einige Rostocker Ratsherren nachweisen, deren Namen auf Zugehörigkeit ihrer Träger zum Handwerkertum zu deuten scheinen. Es sind dies unter anderen:

Heinrich Faber (1218) 125 ), Rudolf Pelzer (1358) 126 ),

Eilard Faber (1258/62) 127 ), Goswin Carnifex (1262) 128 ),


120) G. v. Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum a. a. O. S. 120.
121) L. v. Winterfeld, Das Dortmunder Patriziat a. a. O. S. 146.
122) Lau a. a. O. S. 124.
123) Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 85.
124) Vgl. Anm. 71.
125) MUB. I 244.
126) MUB. II 838.
127) MUB. II 686.
128) MUB. IV 2684.
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Wicbern Pistor (1262) 129 ), Nikolaus Carnifex (1258) 130 ),

Gerhard Lore, auch Cerdo genannt (1252) 131 ).

Es ist indessen mit dem vorhandenen Quellenmaterial nicht mit Sicherheit nachzuweisen, daß die erwähnten Ratsherren tatsächlich Handwerker waren. So vermutet denn Paul Meyer, daß es sich bei diesen Namen nicht um Berufsbezeichnungen, sondern um Familiennamen handelt. Er stützt sich dabei auf ein Verbot Heinrichs des Löwen, das die Handwerker in Lübeck vom Ratsstuhl ausschloß und das wohl auch in Rostock gegolten habe 123). Da aber das Verbot Heinrichs des Löwen nicht in allen denjenigen Städten, die sich des lübischen Rechts bedienten, durchgeführt wurde, wie z. B. in Wismar 132 ), so kann es durchaus möglich sein, daß in Rostock in dieser frühen Zeit, d. h. um 1250, auch Handwerker in den Stadtrat gelangten, zumal noch im Jahre 1281 eheliche Verbindung zwischen Patriziat und Handwerkerstand in Rostock quellenmäßig belegbar ist. In diesem Jahre heiratete der Rostocker Ratmann Hermann Lise die Tochter eines Goldschmiedes 133 ). Dazu kommt, daß in einer Urkunde, die zwischen 1296-1300 ausgestellt wurde, ein Schildmacher den Titel "her" erhielt. Die gleiche Urkunde bringt als Zeugen eine große Zahl von Ratmannen; aber nur vier der angeführten Ratsherren erhalten den Titel "her" , die andern werden nur namentlich aufgeführt 134 ). Nach dem zweiten Aufruhr der Handwerker um 1312/14 scheint dann kein Handwerker mehr in den Rat gelangt zu sein. Die Erhebung war, wie schon erwähnt ist, ergebnislos verlaufen 135 ).


129) BGR. Bd. IV Heft 1 Nr. I, 4.
130) BGR. Bd. II Heft 2 Nr. II, 84.
131) MUB. II 686.
132) Vgl. Fr. Techen, Abriß der Geschichte Wismars bis zur Revolution, Wismar 1922, S. 20. Derselbe, Geschichte der Stadt Wismar 1929 S. 43. Nach Fröhlich a. a. O. S. 21 f. hatten die Handwerker in Goslar Anspruch auf eine gewisse Zahl von Ratssitzen. In Wien war, zumindest seitdem Ende des 13. Jahrhunderts, ein Aufsteigen einzelner Handwerker in die gesellschaftlich höhere Klasse der Erbbürger möglich und erfolgte nicht allzu selten. Vgl. Lothar Groß, Zur Frage der Wiener Erbbürger, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien, Bd. I S. 35, 1919 und 1920.
133) MUB. III 1560.
134) MUB. III 2424.
135) Vgl. S. 14.
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So hob sich das Rostocker Patriziat im 14. Jahrhundert nach außen hin, wie es scheint, als einheitliches Ganzes von der übrigen Bürgerschaft, insbesondere vom Handwerkertum, ab. Die Zusammensetzung des Patriziats jedoch, die Verteilung von Reichtum und Ansehen, war ungleichmäßig. Das Patriziat war damals keine gleichartige Schicht, sondern umfaßte verschiedenartige Menschen. Wir finden innerhalb des Kreises der Rostocker Ratsfamilien eine Anzahl von Geschlechtern, die viele Jahrzehnte lang durch Angehörige im Rat vertreten waren, deren Ratsmitgliedschaft teilweise schon im 13. Jahrhundert begann und bis tief in das 14. Jahrhundert fortdauerte, trotz allem Wechsel, der besonders vor 1300 zahlreichen Familien ihre Ratsfähigkeit häufig sehr schnell wieder nahm. Wir finden andererseits auch noch im 14. Jahrhundert kleine, im städtischen Rat nur wenige Jahre nachweisbare Familien; aber ihre Zahl ist nur gering. Zwischen beiden Extremen bemerkt man dann eine Zahl von Rostocker Ratmannen, die ihrer Familie den Ratssitz etwa ein Menschenalter erhalten konnten. So kann man also das Rostocker Patriziat im 14. Jahrhundert in drei, sich von einander abhebende Gruppen gliedern. In einer ersten Gruppe fasse ich alle diejenigen patrizischen Familien zusammen, deren Ratsmitgliedschaft etwa 3/4 Jahrhundert und mehr währte. Hierzu gehören folgende Familien:

 im Rat vertreten
1. Witt-Töllner von etwa 1260 bis über 1400 hinaus,
2. Rode " " 1250 " etwa 1400,
3. Kröpelin " " 1260 " über 1400 hinaus,
4. Koppmann " " 1265 " etwa 1400,
5. Frese " " 1280 " " 1400,
6. Wilde " " 1300 " " 1400,
7. Quast " " 1285 " " 1370,
8. Lise " " 1260 " " 1360,
9. Kruse " " 1320 " " 1400,
10. Kyritz " " 1310 " " 1390,
11. Horn " " 1325 " " 1400,
12. Holloger " " 1330 " " 1400,
13. Gothland " " 1270 " " 1380,
14. Beseler " " 1310 " " 1390,
15. von der Aa " " 1350 " " 1450,
16. Baumgarten " " 1260 " " 1370,
17. Nachtrabe " " 1280 " " 1390.
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Die Ratsmitgliedschaft der Familie Witt-Töllner z. B. setzte ein mit Hermann Witt im Jahre 1257 136 ); dieser Hermann bereits wurde zehnmal (in der Zeit von 1257 bis 1278) in den Rat gewählt. Die nächste bedeutendere Persönlichkeit dieser Familie war Johann Töllner, der in den Jahren von 1327 bis 1360 siebenundzwanzigmal die Ratswürde bekleiden konnte; sechzehnmal (in der Zeit von 1339 bis 1360) amtierte er als Bürgermeister. In den Jahren 1355, 1356 und 1357 waren die Witt-Töllner sogar mit drei Mitgliedern ihrer Familie im Rat vertreten. Johann Töllner war Bürgermeister, Hermann Witt und Lambert Witt waren Ratsherren 137 ). Wie Johann Töllner, so war auch Lambert Bürgermeister, und zwar während der Zeit von 1368 bis 1373. Der letzte vor 1400 im Stadtrat nachzuweisende Angehörige der Witt-Töllner ist Heinrich, der zwanzigmal (in der Zeit von 1373 bis 1400) in den Rat gewählt wurde, davon siebenmal zum Bürgermeister 138 ). Ebenso müssen die 16 anderen Familien dieser Gruppe im Rat einen großen Einfluß gehabt haben. So wurde, um noch ein Beispiel zu geben, Ludolf von Gothland in der Zeit von 1351 bis 1380 nicht weniger als 29mal in den Rat gewählt. Ein anderer Ludolf Gothland, ein Heinrich, ein Arnold erscheinen gleichfalls lange Zeit hindurch als Rostocker Ratmannen 139 ). Die vermutlich große Bedeutung aller oben erwähnten patrizischen Familien in Rat und Bürgerschaft erkennt man überdies auch daran, daß sie fast alle mit einem Mitglied ihrer Familie, eine ganze Reihe sogar mit mehreren ihrer Angehörigen in der Bürgermeisterwürde nachgewiesen werden können. Als solche treten die betreffenden Ratsherren in den Urkunden mit den Titeln "burgimagistri", "borghermester", "proconsules" usw. auf 140 ). Genannt seien hier 141 ):


136) BGR. III, 1 S. 4.
137) MUB. XIII 7965 (3, 7); XIV 8313; XIII 7965 (3, 6, 17); XIV 8313; XIII 7965 (3, 6, 17); XIV 8313.
138) 1390-1391, 1393, 1395-1397, 1400.
139) Es waren Ratsherren: Ludolf siebzehn-, Heinrich sechs- und Arnold elfmal.
140) Vgl. MUB. XII Sachregister S. 65.
141) Vgl. Oberstleutnant Max v. Falkenhayn. Die Bürgermeister der Stadt Rostock in Mecklenburg, Zeitschrift der Zentralstelle für Niedersächsische Familiengeschichte, Jahrgang IX Nr. 8 und 9.
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1. Johann von der Aa, als Ratmann seit 1371,
als Bgm. 16mal v. 1373-1400,
2. Johann Töllner, als Ratmann seit 1327,
als Bgm. 16mal v. 1339-1360,
3. Arnold Kröpelin, als Ratmann seit 1346,
als Bgm 16mal v. 1361-1392,
4. Johann Kyritz, als Ratmann seit 1354,
als Bgm. 12mal v. 364-1384,
5. Ludwig Kruse, als Ratmann seit 1371,
als Bgm. 11mal v. 1378-1396,
6. Heinrich Rode, als Ratmann seit 1327,
als Bgm. 10mal v. 1339-1359,
7. Joh. Baumgarten, als Ratmann seit 1355, 1351 ?
als Bgm. 8mal v. 1359-1367,
8. Engelb. Baumgarten, als Ratmann seit 1308/09,
als Bgm. 7mal v. 1323-1348,
9. Heinrich Witt, als Ratmann seit 1373,
als Bgm. 7mal v.1390-1400,
10. Lambert Witt, als Ratmann seit 1352,
als Bgm. 6mal v. 1368-1373,
11. Lud. v. Gothland, als Ratmann seit 1316,
als Bgm. 5mal v. 1338-1347,
12. Arnold Koppmann, als Ratmann seit 1314,
als Bgm. 5mal v. 1323-1335,
13. Dietrich Holloger, als Ratmann seit 1331,
als Bgm. 4mal v. 1351-1357,
14. Hermann Lise, als Ratmann seit 1329,
als Bgm. 4mal v. 1359-1364,
15. Gerwin Wilde, als Ratmann seit 1357,
als Bgm. 4mal v. 1370-1374,
16. Dietrich Frese, als Ratmann seit 1314,
als Bgm. 3mal v. 1318-1323,
17. Johann Rode, als Ratmann seit 1325,
als Bgm. 2mal v. 1334?-1339,
18. Johann Witt, als Ratmann seit 1286?,
als Bgm. 2mal v. 1297-1298,
19. Johann Rode, als Ratmann seit 1284,
als Bgm. 2mal v. 1289-1298,
20. Eberh. Nachtrabe, als Ratmann seit 1283,
als Bgm. 1mal 1289,
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21. Ludwig Kruse, als Ratmann seit 1323,
als Bgm. 1mal: 1343,
22. Heinrich Frese, als Ratmann seit 1343,
als Bgm. 1mal: 1350,
23. Heinrich Quast, als Ratmann seit 1332,
als Bgm. 1mal: 1350.

Weniger einflußreiche Geschlechter sind nur ganz vereinzelt in dem Amt eines Rostocker Bürgermeisters belegbar, wie etwa Wienold Baggel, der 20mal Ratsherr, davon 7mal Bürgermeister war 142 ), oder Johann Pape, den ich 15mal (in der Zeit von 1314 bis 1334) als Ratsherrn, davon 6mal als Bürgermeister nachweisen kann 143 ). Eine bedeutende Persönlichkeit setzte sich eben durch unter den übrigen Ratmannen und wurde zum Bürgermeister gewählt, auch wenn sie nicht einem der großen Geschlechter angehörte. Im allgemeinen scheint aber das Bürgermeisteramt von den großen Patrizierfamilien für sich beansprucht und von ihren Angehörigen verwaltet worden zu sein. Das Vorrecht der Bürgermeister vor den übrigen Ratmannen bestand hauptsächlich darin, daß sie die Sitzungen des Stadtrates leiteten 144 ).

In eine zweite Gruppe, die man etwa als patrizische Mittelschicht bezeichnen könnte, gehören unter anderem die Familien Baggel (im Rat nachweisbar von etwa 1375 bis 1400), Buxstock (von etwa 1370 bis 1400), Belster (von etwa 1380 bis 1400), Hoffmann (von etwa 1375 bis 1400), Grenze (von etwa 1355 bis etwa 1400), Katzow (von etwa 1380 bis etwa 1400), Koesfeld (von etwa 1260 bis 1305), Kahl (von etwa 1360 bis 1385), Lage (von etwa 1275 bis 1315), Mönch (von etwa 1250 bis etwa 1305), Niendorf (von etwa 1355 bis 1400), Pape (von etwa 1280 bis 1330), Pilgrim (von etwa 1350 bis etwa 1375), Vöge (von etwa 1320 bis etwa 1380), Vot (von etwa 1270 bis etwa 1300) und Wiese (von etwa 1260 bis 1300). Diese Familien waren in der Regel durch zwei oder drei Mitglieder im Rat vertreten, manchmal auch nur durch ein einziges, wie etwa die Belster. Arnold Belster war Ratmann 15mal in der Zeit von 1382 bis 1400.

In die dritte Gruppe rechne ich die vielen Rostocker Ratmannen, die in einem einzigen, in zwei, auch drei oder vier


142) 1393, 1394, 1396-1400.
143) 1318, 1323, 1327-1328, 1333-1334.
144) Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 81.
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Jahren im Ratsstuhl saßen. Manchen von ihnen kann man nur die persönliche, nicht aber die ständische Patrizierwürde zusprechen; patrizischen Standes galt eine Familie erst, wenn das Ratsamt sich gleichsam forterbte; die Zugehörigkeit zum Patriziat als Stand wurde durch Geburt erworben. Ratsherren, die zu dieser Gruppe zählen, sind etwa Meinrich von Bremen (1262) 145 ), Hermann von Fehmarn (1289, 1290) 146 ), Heinrich Hart (1302, 1303, 1304) 147 ), Konrad Klein (1263, 1264, 1266, 1267) 148 ) u. a.

Die Entwicklung beförderte schon im 13., besonders aber im 14. Jahrhundert die Herausbildung einer kleinen, politisch und wirtschaftlich mächtigen Spitzengruppe. Das 14. Jahrhundert war die Zeit, in welcher das Rostocker Patriziat ein geschlosseneres Gepräge gewann.


Kapitel II.

Der Beruf der Rostocker Patrizier.

Der Versuch, den Beruf der Rostocker Patrizier festzustellen, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten, denn das erhaltene Urkundenmaterial des 13. und 14. Jahrhunderts enthält nur ganz wenige deutliche Angaben darüber, aus welcher Berufsschicht dieser oder jener Patrizier der Stadt hervorgegangen ist. Besonders schwierig ist die Untersuchung für die früheste Zeit des 13. Jahrhunderts, in der die Verhältnisse noch flüssig waren und die Stadt sich erst mit Ansiedlern füllte. Die Einwohner Rostocks waren damals zum großen Teil Einwanderer die von nah und fern in die junge, aufblühende Stadt nahe der Ostsee kamen, in der Hoffnung, dort ihren Lebensunterhalt finden zu können 149 ). Man darf vermuten, daß die Einwanderer vor allem Kaufleute waren, die der Handelsgewinn lockte, vielleicht auch jüngere Söhne ländlicher Grundbesitzer, die dem älteren


145) BGR. Bd. IV Heft 1 Nr. I, 28.
146) MUB. III 2008. 1992.
147) MUB. V S. XII; V 2848, 2912.
148) MUB. II 973; IV 2685; II 1076, 1096, 1102, 1125.
149) G. C. F. Lisch, Über die Heimat der Kolonisten Mecklenburgs, MJB. XIII, Schwerin 1848, S. 13 ff.
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Bruder die väterliche Scholle überlassen mußten und nun in Rostock einen Beruf irgendwelcher Art zu ergreifen beabsichtigten. Will man versuchen, über diese Vermutung hinaus den beruflichen Ursprung der ältesten in Rostock eingewanderten Familien, die schon im 13. Jahrhundert die Ratsfähigkeit erwarben, festzustellen, so wird man sich mit mehr oder weniger sicheren Schlußfolgerungen begnügen müssen.

Das Mittel, die patrizischen Familiennamen heranzuziehen, um Aufschluß über die berufliche Herkunft der Patrizier zu erhalten, ist häufig schon in Arbeiten, die sich die gleiche oder eine ähnliche Aufgabe stellen, angewendet worden 150 ). Aber auch durch Schlußfolgerung aus dem Namen läßt sich über den beruflichen Ursprung der Rostocker Patrizier der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nichts Sicheres aussagen. Durch die Urkunde vom 24. Juni 1218 151 ), die einzige erhaltene aus dieser frühen Zeit, sind zwar die Namen von zehn Rostocker Ratmannen bekannt - es sind dies Heinrich Schmied, Heinrich Pramuhl, Hermann, Rudolf, Lüder, Bertram, Witzel, Lambert, Bode und Heinrich Lantfer -, man kann aber aus diesen Namen die berufliche Abstammung ihrer Träger nicht erkennen. Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts tauchen in den Quellen patrizische Familiennamen auf, die einen Schluß auf die berufliche Herkunft der betreffenden Patrizier überhaupt ermöglichen. Man kann die Beobachtung machen, daß gewisse Mitglieder des Rostocker Patriziats in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Familiennamen die Bezeichnung einer Stadt oder eines Dorfes führen. Die Annahme liegt nahe, daß die Gegenden - Städte, Dörfer usw. -, nach denen ein Rostocker Patrizier benannt ist, die ursprüngliche Heimat der betreffenden Personen oder Familien war. Erinnert man sich noch der Tatsache, daß in den größeren mittelalterlichen Städten Handel und Gewerbe überwogen, so wird man zu der Schlußfolgerung gelangen, daß diejenigen Rostocker Patrizier, deren Namen auf Zusammenhang ihrer Träger mit einer größeren, ferner gelegenen Stadt Deutschlands weisen, in der Hauptsache wohl aus den Kreisen der dortigen Kaufleute


150) Mehr oder weniger ausgiebig werden die Familiennamen benutzt von Erich Keyser, Die Bevölkerung Danzigs und ihre Herkunft im 13. und 14. Jahrhundert, Pfingstbl. XV; v. Klocke a. a. O. S. 24 ff.; Lau a. a. O. S. 127; Lambert a. a. O. S. 54 ff..
151) MUB. I 244.
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oder Handwerker hervorgingen, während die Vorfahren solcher Patrizier, die den Namen irgendeines ländlichen Ortes oder einer kleinen Landstadt Deutschlands als Familiennamen tragen, wahrscheinlich zu einem guten Teil den ländlichen Schichten der dortigen Bevölkerung angehörten.

Man kann daher zwei Gruppen scheiden und zur ersten Gruppe diejenigen Rostocker Patrizier des 13. Jahrhunderts rechnen, deren Namen auf Herkunft aus ländlichen Kreisen deuten. Zu dieser Gruppe gehören offenbar die Familien Baumgarten und Volkenshagen, die Ratmannen Johann von Bukow (1258), Rudolf von Schwastorf (1262), Heinrich Radele (1262), Bernhard von Bölkow (1262), Martin von Wolde (1289), Ottbert von Selow (1294), Gerbert von Kabelstorf (1300), Ludolf von Warnemünde (1252), Lambert von Malchin (1262), Heinrich von Bützow (1275) und andere mehr.

Betrachten wir die urkundlichen Angaben über die patrizischen Familien Baumgarten und Volkenshagen etwas genauer. Die Familie Baumgarten trägt ihren Namen offenbar nach dem Dorf gleichen Namens bei Bützow 152 ). In Rostock ist die Familie frühestens 1257 nachweisbar 153 ). Da schon im gleichen Jahr ein Engelbert Baumgarten als "dominus" quellenmäßig nachzuweisen ist 153), muß die Familie ziemlich schnell in das Rostocker Patriziat gelangt sein. Im Jahre 1262 kaufte ein Bruder von Engelbert Baumgarten, Willekin 154 ), von Heinrich von Viezen Güter in Prangendorf bei Bützow 155 ), im Jahre 1268 von dem Ritter Reimar von Hamburg eineinhalb Hägerhufen in Mönchhagen bei Ribnitz 156 ). Weiter verfügte er 1270 in seinem Testament über zahlreiche Getreiderenten aus Brünkendorf, Diedrichshagen, Mönchhagen und Prangendorf, dazu über einhundert Mark, über ein Erbe mit Hof bei St. Johann in Rostock, eine Salzpfanne, über Waffen und Silbergerät 157 ). Der obengenannte Engelbert Baumgarten kaufte 1268 gleichfalls anderthalb Hägerhufen in Mönchhagen 156). Teilnahme am Handel ist für Angehörige der Baumgarten erst verhältnismäßig spät nachweisbar, eine Tatsache, die allerdings auch eine


152) Dies nimmt auch Lisch an. Vgl. Lisch I a. a. O. S. 188 f.
153) BGR. Bd. III Heft 1 S. 6.
154) BGR. Bd. II Heft 2 Nr. I, 4.
155) MUB. II 947.
156) MUB. II 1146.
157) MUB. II 1203.
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Folge von Verlusten an Urkunden sein kann. Ist es nun wahrscheinlich, daß der Handel, falls er betrieben wurde, in den wenigen Jahren von 1258 bis 1262 bzw. bis 1270 in einer so frühen Zeit solche Gewinne abgeworfen hat, daß damit die Käufe und Vermögenswerte des Testamentes erklärt werden können? Vielmehr möchte ich auf Grund der uns erhaltenen Urkunden folgendes annehmen: Die Familie Baumgarten besaß vermutlich in oder bei dem Dorf Baumgarten Grundbesitz irgendwelcher Art; sie zog um 1257 mit einem gewissen Vermögen nach Rostock und wird hier eben wegen ihrer wirtschaftlich sicheren Verhältnisse schnell in das städtische Patriziat gelangt sein. So erklären sich auch leicht die Käufe in den Jahren 1262 und 1268, sowie die Bestimmungen des Testaments vom Jahre 1270. Wie die Familie Baumgarten, so scheint auch die ebenfalls patrizische Familie Volkenshagen vor ihrem Erscheinen in Rostock ländlichen Grundbesitz gehabt zu haben. Diese Familie, die auch von "Ribnitz" heißt, ist seit 1311 in Rostock nachweisbar 158 ). In diesem Jahr vermachte Thie seinen beiden Söhnen Gottschalk und Matthias das Dorf Volkenshagen mit aller Nutzung und mit allem Recht, das er dort besaß, als mütterliches Erbe 159 ). Zwei Jahre darauf tritt er als Zeuge einer Beurkundung neben anderen Rostocker Bürgern auf 160 ); schon 1314 war er Ratmann 161 ). Die aus den Urkunden gewonnene Geschichte beider Familien weist somit in die gleiche Richtung wie die Schlußfolgerung aus dem Namen.

Der zweiten Gruppe können wir diejenigen Patrizier des 13. Jahrhunderts zurechnen, die den Namen einer größeren Stadt Deutschlands als Familiennamen führen. Die meisten der namengebenden in den Urkunden nachweisbaren Städte liegen in dem altdeutschen Kulturgebiet im Westen, Nord- und Südwesten von Rostock. Ich erwähne hier: Johann von Braunschweig (1252), Arnold von Köln (1252), Konrad von Magdeburg (1257), Hildebrand von Lübeck (1257), Hermann von Dortmund (1261), Meinrich von Bremen (1262), Arnold von Soest (1279), Johann von Braunschweig (1283), Dietrich von Soest (1283), Johann von Lübeck (1296) usw. Die Zahl der Patrizier, die man auf Grund ihres Namens mit einer Stadt bzw. mit einem Dorf usw. in Zusammenhang bringen kann,


158) MUB. XI Pers.-Reg. S. 636.
159) MUB. V 3452.
160) MUB. VI 3654.
161) MUB. VI 3669, 3674.
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ist in den Urkunden des 13. Jahrhunderts verhältnismäßig groß; im 14. Jahrhundert vermindert sich die Zahl solcher Patrizier beträchtlich.

Man wird mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen können, daß diese nach fern gelegenen, altberühmten Handelsstädten benannten Bürger durch Handelsbeziehungen ihrer Heimatstadt mit Rostock, durch die sich hier bietenden Aussichten auf Handelsgewinn bewogen wurden, in die mecklenburgische Seestadt auszuwandern. Da sie in der Regel gewiß schon vorher dem Kaufmannsberuf angehörten, vermochten sie in Rostock schnell Wohlstand und dasjenige Ansehen zu erwerben, das sie befähigte, eine Ratsstelle zu erwerben.

Die Frage, welchem Beruf von Haus aus die im 13. Jahrhundert als Patrizier nachweisbaren Einwanderer angehörten, ist also nur vermutungsweise zu beantworten. Wichtiger ist es festzustellen, aus welchen Berufsschichten sich das in Rostock ansässige Patriziat des 13. und 14. Jahrhunderts zusammensetzte. Hat es vornehmlich aus Landwirten, Handwerkern oder Kaufleuten bestanden?

Die Urkunden enthalten zahlreiche Angaben, die scheinbar auf Landwirtschaft und Viehzucht als Beruf mancher Patrizier hinweisen. Sie berichten, daß dieser oder jener Patrizier z B. eine Fischerei, eine Mühle 162 ), einen Stall usw. pachtete oder kaufte. So kaufte der Patrizier Johann von der Aa im November des Jahres 1381 eine Mühle auf dem Mühlendamm mit dem angrenzenden Hof und allem weiteren Zubehör 163 ). Doch darf man daraus nicht etwa schließen, daß Johann von der Aa vielleicht Müller war. Dagegen spricht schon folgende Tatsache: Johann von der Aa war in den Jahren 1381 und 1382 Ratmann 164 ). Als solcher mußte er im Frühjahr 1382 verschiedene Reisen für die Stadt machen, am 2. März nach Malchin 165 ), am 7. März nach Wismar 166 ), am 16. März nach


162) Vgl. Robert Ahrens, Die Wohlfahrtspolitik des Rostocker Rates, BGR. XV 1926 S. 13. "Der größere Teil der Mühlen ist stets Privateigentum geblieben. Und zwar tauchen Vertreter der vornehmsten Geschlechter unter den Inhabern auf."
163) MUB. XX 11380.
164) MUB. XX 11332, 11415.
165) Vgl. Ernst Dragendorff und Ludwig Krause, Das Rostocker Weinbuch von 1382 bis 1391, Rostock 1908 (fortan zitiert Weinb.), Nr. 2.
166) Weinb. Nr. 9.
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Nyköping 167 ), von wo er erst im Anfang April nach Rostock zurückkehrte 168 ), am 10. April nach Laage 169 ). Diese Tatsachen sprechen dagegen, daß Johann von der Aa Müller war. Offenbar dienten jene Käufe nur dazu, flüssiges Kapital sicher anzulegen. Ähnlich verhält es sich mit dem in den Jahren 1275, 1282, 1283 genannten "dominus Hermanus molner". Dragendorff sieht in diesem Hermann keinen eigentlichen Müller; er weist darauf hin, daß in älterer Zeit in der Regel nur das Mühlengebäude den Müllern gehörte, während das Mühlengrundstück und der Wasserlauf Eigentum des Landesherrn oder gewisser Privatpersonen waren, denen die Müller Kornrenten zu leisten hatten. Einen solchen Eigentümer eines Mühlengrundstückes vermutet Dragendorff in diesem "dominus Hermanus molner" 170 ). Daß z. B. Mühlen von den Patriziern oft nicht zur Ausübung des Berufes, sondern zur Anlage ihres flüssigen Kapitals erworben wurden, zeigen überdies die zahlreichen Fälle, in denen manche Patrizier nicht die ganze Mühle erstanden, sondern nur einen Teil, die Hälfte oder auch nur ein Viertel. So verkaufte 1354 der Ratmann Johann von der Kyritz an Arnold Kröpelin eine viertel Mühle auf dem Mühlendamm 171 ), 1393 Bernhard Koppmann an Gerhard Grenze die Hälfte der Viergelindenmühle 172 ). Manche Patrizier erwarben Wiesen, die sie pachteten oder kauften, wie z. B. Eberhard Nachtrabe (1289) 173 ), Heinrich Mönch (1292) 174 ), Hermann Lemhus (1325) 175 ), Johann Grenze (1362) 176 ), Gerhard Rohde (1363) 177 ), Arnold Kröpelin (1380) 178 ); andere besaßen Äcker, Gärten, Vieh, Höfe, Güter, Dörfer, Scheunen und anderes mehr. Möglicherweise trieben sie zum Teil Landwirtschaft und Viehzucht nebenbei, besaßen einen Acker, den sie selbst bebauten, wie es für die Witwe von Dietrich Frese und


167) Weinb. Nr. 12.
168) Weinb. Nr. 21.
169) Weinb. Nr. 22.
170) Ernst Dragendorff, Rostocks älteste Gewerbetreibende, BGR. II, 3 S. 43.
171) MUB. XIII 7916.
172) MUB. XXII 12590.
173) MUB. III 2033.
174) MUB. III 2195.
175) MUB. VII 4608.
176) MUB. XV 9077.
177) MUB. XV 9142.
178) MUB. XIX 11247 (S. 467).
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ihren Sohn nachweisbar ist. Die einschlägige Urkundenstelle überliefert, daß Mutter und Sohn im Jahre 1331 die Bede und das ganze Gericht von dem Dorf Barnstorf bei Rostock verkauften, ausgenommen die Bede von dreieinhalb Hufen; diese Hufen behielten sie für sich selbst zurück unter der Bedingung, "quod, quamdiu dictos tres mansos et dimidium personaliter colimus, .... precarie non dabuntur de eisdem .... 179 ). Da jedoch die meisten der soeben genannten Patrizier nachweislich Handelsleute gewesen sind, ist anzunehmen, daß sie jene Liegenschaften nicht als Landwirte, sondern in der Regel zur Anlage ihres Kapitals erwarben. Sehr oft kauften oder pachteten die Patrizier Grundbesitz der Renten wegen. Als Beispiel hierfür sei erwähnt, daß der Rostocker Patrizier Heinrich Frese zusammen mit der Stadt im Jahre 1284 das Dorf Spotendorf kaufte 180 ), jedoch schon 1286 das Eigentum des Dorfes gegen lebenslängliche Nutzung der Stadt zu Stadtrecht überließ 181 ). Ebenso entsagte Engelbert Baumgarten, der sich 1327 am Kauf von Kassebohm beteiligt hatte 182 ), 1342 seinen Ansprüchen wieder 183 ). So hielt es eine große Zahl von Patriziern. Der Erwerb von Grundbesitz ist bei ihnen demnach in der Regel nicht als Grundlage des landwirtschaftlichen Berufes anzusehen. Höchstens haben sie die Landwirtschaft bisweilen als eine Art Nebenberuf betrieben.

Der zweite in der Stadt sehr verbreitete Berufsstand, das Handwerk, hat an der Bildung des Patriziats ebenfalls keinen irgendwie erheblichen Anteil gehabt. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß im 13. Jahrhundert dieser oder jener Ratmann dem Handwerkerstand angehörte: Namen wie Carnifex, Pistor, Faber und Pelzer, die sich in den Ratsverzeichnissen oder sonstigen Erwähnungen von Ratsherren finden, scheinen auf Zugehörigkeit zu Handwerkerkreisen hinzuweisen; indessen zählen Ratsherren, die diese oder ähnliche Namen hatten, zu den Ausnahmen 184 ). Andere Anhaltspunkte bieten die aus dem 13. Jahrhundert erhaltenen Urkunden nicht, so daß man mit einiger


179) MUB. VIII 5229; Ratmannen sind z. B. auch in Wismar als Pächter von Äckern nachweisbar. Vgl. Friedrich Techen, Wismar im Mittelalter, Pfingstbl. VI, 1910, S. 46.
180) MUB. III 1730.
181) MUB. III 1847.
182) MUB. VII 4847, 4852.
183) MUB. IX 6210.
184) Vgl. Kap. I S. 23 ff.
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Sicherheit annehmen darf, daß, wenn überhaupt Handwerker dem Patriziat angehörten, die Zahl derselben nur ganz gering war. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß im 14. Jahrhundert ein größerer Prozentsatz der Patrizier Handwerker war. Der Aufstand der Handwerker im Jahre 1312 war erfolglos und wiederholte sich bis zum Jahre 1405 nicht 185 ). Die Wahl eines Handwerkers in den städtischen Rat hätte durch Vereinbarung zwischen Patriziern und Handwerkern erfolgen können; aber auch dies wird in den Urkunden nicht bezeugt.

Da die ratsfähigen Geschlechter des 13. und 14. Jahrhunderts in größerem Umfang weder die Landwirtschaft noch das Handwerk gepflegt haben, bleibt nur die Annahme übrig, daß sie im wesentlichen dem Kaufmannsstand angehört haben 186 ). Wenn die Quellen jener Zeit nur wenig unmittelbare Angaben über die Handelstätigkeit der Patrizier mitteilen, so erklärt sich das leicht aus der Tatsache, daß Kauf und Verkauf von Liegenschaften, überhaupt Bodengeschäfte aller Art ihrer rechtlichen Natur nach weit eher zu amtlichen Eintragungen führen als Handelsgeschäfte. Auf Grund des Namens kann man den Kaufmannsberuf erschließen bei Lübbert Dünafahrer, Eler Wandschneider, vielleicht auch Heinrich von Kurland und Gottfried Isländer. Nach den Urkunden des 13. Jahrhunderts sind folgende Patrizier als Kaufleute nachzuweisen: Arnold Koppmann, Dolmar von Koesfeld, Hermann von Lage, Markwart, Meincke, Hermann Modenhorst, Johann Mönch, Johann von Rathenow, Eler Wandschneider, Johann von Stade, Heinrich, Adolfs Sohn, Nikolaus von der Möhlen, Johann Rode, Arnold Quast, Johann Nising, Herder Fleck, Lübbert Dünafahrer, Konrad Dubben, Johann Grenze, Heinrich Kruse, Rötger Horn. Häufiger sind unmittelbare urkundliche Belegstellen aus dem 14. Jahrhundert; sie bezeugen den Kaufmannsberuf z. B. für Johann und Gerhard von der Aa, Winold Baggel, Peter von Freden, Engelbert Baumgarten, Heinrich Buxstock, Johann von Dülmen, Peter Frese, Johann Make, Ludolf von Gothland, Nikolaus Hasenkroch, Matthias Hoffmann, Dietrich Horn, Dietrich Holloger, Reiner Grenze, Matthias Koggenmeister, Johann von der Kyritz, Gerhard


185) Vgl. K. Koppmann, Geschichte der Stadt Rostock a. a. O. S. 20 f,
186) Die gleiche Ansicht vertreten Lisch und Dragendorff. Vgl. Lisch I a. a. O. S. 171; Dragendorff, Gewerbetreibende a. a. O. S. 51.
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Wulff, Hermann Beseler, Edeler Witt, Johann Töllner, Gerwin Wilde, Johann Rode und andere.

Die Tatsache, daß die Rostocker Patrizier im 13. und 14. Jahrhundert zum guten Teil Kaufleute waren, ergibt sich auch aus allgemeinen Erwägungen. Waren sie doch die Oberschicht einer Stadt, in der offenbar von jeher ein reger kaufmännischer Geist herrschte 187 ). Schon die günstige Lage Rostocks an der Warnow in der Nähe der Ostsee weist daraufhin. Die Stadt selbst förderte den Handel ihrer Bürger auf jede nur mögliche Weise. So sorgte sie für die Instandhaltung des Warnemünder Hafens. Im Jahre 1288 z. B. kam es zu einem Vertrag zwischen ihr und dem Patrizier Rötger Horn. Dieser verpflichtete sich, im Hafen von Warnemünde eine Tiefe von 12 Fuß herzustellen und fünf Jahre lang zu erhalten; die Stadt bewilligte ihm hunderttausend Ziegelsteine und versprach, ihm für seine Arbeit vierhundert Mk. Silber oder eintausenddreihundertfünfzig Mk. Pfennige zu zahlen 188 ). Im Jahre 1385 führte der Rostocker Ratmann Gerhard Grenze im Auftrag des Rates der Stadt Rostock im Hafen von Warnemünde Arbeiten in Höhe von 1000 Pfund aus 189 ). Schon im 13. Jahrhundert schloß die Stadt zahlreiche Handelsverträge mit auswärtigen und überseeischen Mächten zur Sicherung und Förderung des Handels ihrer Bürger 190 ). Sie drohte 1259 in Gemeinschaft mit den Städten Lübeck und Wismar allen See- und Straßenräubern mit Acht und Verfestung 191 ). Sie beteiligte sich um 1260 an einem Vertrag, den mehrere Städte, in denen das lübische Recht galt, zum Vorteile ihrer Kaufleute schlossen, "ita quod negociatores maris libere possint negacionem suam exercere" 192 ). Häufig wurden Handelsprivilegien der Stadt gegeben und erneuert. In Dänemark, Norwegen, Schweden,


187) Vgl. z. B. v. Klocke a. a. O. S. 24: "Für die Oberschicht einer Stadt, deren Bedeutung der Handel gegeben, ist es natürlich, daß ein Teil ihrer Geschlechter durch den Handel hereingeführt wurde"; Lau a. a. O. S. 128; L. v. Winterfeld, Handel, Kapital und Patriziat in Köln a. a. O. S. 75.
188) Vgl. BGR. III Heft 1 S. XV; vgl. auch K. Koppmann, Der Rostocker Urkundenfund vom 6. Mai 1899, BGR. III, 1, Rostock 1900, S. XV f.
189) MUB. XX 11649.
190) Vgl. K. Koppmann, Geschichte der Stadt Rostock S. 4 ff.; Derselbe, Rostocks Stellung in der Hanse, MJB. 52, Schwerin 1887.
191) MUB. II 847.
192) MUB. II 873.
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in Estland, Riga, Nowgorod, auf Seeland und anderswo genossen die Rostocker Kaufleute Freiheiten 190); in Rostock suchte man sie jedenfalls wie in anderen Städten gegen den Wettbewerb fremder Kaufleute zu schützen 193 ).

Die Behauptung ist daher kaum gewagt, daß das Rostocker Patriziat des 13. und 14. Jahrhunderts ein fast reines Handelspatriziat war. So verstehen wir jetzt auch die rasche und häufige Verschiebung des patrizischen Grundbesitzes in und um Rostock. Für den Kaufmann war es ein Gebot der Klugheit, Liegenschaften zu erwerben, um so etwaige Handelsverluste ohne größere Erschütterungen seines Vermögens überstehen zu können. Aus diesem Streben der Patrizier nach Grundbesitz zwecks Sicherung der sozialen Stellung erklären sich die vielen urkundlichen Aufzeichnungen über den Kauf von Häusern, Buden, Äckern usw. durch Patrizier, während andererseits die ebenso zahlreichen Verkäufe von Liegenschaften, die zahlreiche Patrizier vornahmen, offenbar z. T. in der Absicht erfolgten, mit dem so frei gewordenen Kapital irgendein erfolgversprechendes Handelsgeschäft auszuführen. Glückte das Unternehmen, so machte der betreffende Patrizier von dem Recht des Wiederkaufs, das er sich im 14. Jahrhundert oftmals vorbehielt, Gebrauch., erwarb wohl auch andere Wertgegenstände neu hinzu. Im Dezember 1352 verkauften z. B. die beiden Rostocker Patrizier Gerhard und Lambert Rode dem Ratmann Johann Pilgrim ihr Erbe neben dem Kreuzkloster für 165 Mark ... "ea apposita condicione, quod dicti Gherardus et Lambertus prefatam hereditatem pro CL et XV marcis Rozst. den. reemere poterunt in festo nativitatis Domini ultra ad continuum annum" 194 ). So verstehen wir ferner in diesem Zusammenhang auch, warum das Rostocker Patriziat im 13. Jahrhundert einen so losen Zusammenhang besaß, warum der Kreis der ratsfähigen Familien so groß war und ununterbrochen neue Familien Aufnahme ins Patriziat fanden und andere verdrängten.

Das Ergebnis, daß der Handel das eigentliche Betätigungsfeld der meisten Rostocker Patrizier gewesen ist, wird sich bestätigen lassen, wenn wir uns nunmehr der Frage zuwenden,


193) In Malchin z. B. mußten die fremden Fischverkäufer eine Marktabgabe entrichten. MUB. VIII 5273.
194) MUB. XIII 7682.
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ob die Rostocker Patrizier Großhandel bevorzugt oder im wesentlichen vom Kleinhandel gelebt haben. Die in der Literatur bis vor kurzem herrschende Ansicht betonte, daß der mittelalterliche Handel kein selbständiger Großhandel, sondern zumeist Kleinhandel, oft in Verbindung mit gelegentlichem Einkauf im großen gewesen sei. G. von Below bemerkt 195 ): Der Warenimport sei "neben den Kleinhändlern, welche die besonderen Waren ihres Kleinhandels einführten, und den Handwerkern, welche die von ihnen selbst erzeugten Waren hineinbrachten, namentlich von Gelegenheitshändlern besorgt worden". So hätte insbesondere der patrizische Kaufmann gern die Gelegenheit ergriffen, dann und wann einen starken Posten einzuführen. Groß- und Kleinhandel habe im Mittelalter in einer Hand gelegen, aber so, daß dem Kleinhandel die größere Bedeutung zukomme, daß der Kleinhändler den Großhandel "mitbesorgt" habe. Noch weiter ging Sombart 196 ), indem er die mittelalterlichen Kaufleute mit den Handwerkern auf eine Stufe stellte. "Ihr ganzes Denken und Fühlen, ihre soziale Stellung, die Art ihrer Tätigkeit, alles läßt sie den kleinen und mittleren Gewerbetreibenden ihrer Zeit verwandt erscheinen." Im Gegensatz hierzu wies schon Friedrich Keutgen auf die hohen Warenumsätze im Mittelalter hin und betonte, daß schon diese Periode den Großhändler gekannt habe 197 ). Die gleiche Meinung vertrat in neuester Zeit Fritz Rörig. Er sieht in den Lübecker Kaufleuten des ausgehenden 13. und des 14. Jahrhunderts echte Großhändler, für die der Gewandschnitt, d. h. der Verkauf von Tuchen im kleinen, nur "eine geschäftliche


195) Georg v. Below, Probleme der Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1920, S. 356. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Max Weber: "Eigentliche Großhändler hat es im frühen Mittelalter vielleicht überhaupt nicht, gegen Ende des Mittelalters nur in kleiner, langsam wachsender Zahl in den größten Handelsstädten Südeuropas gegeben, während sie im Norden eine Ausnahme bilden." Vgl. Max Weber, Wirtschaftsgeschichte, Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, herausgg. von S. Hellmann und M. Payli, München, Leipzig 1923, S. 192.
196) Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, Erste Aufl., Leipzig 1902, S. 174 ff. - Derselbe, Der moderne Kapitalismus, 4. Aufl., München, Leipzig 1921, S. 608 ff. Eine in wenigen Punkten von Sombart abweichende Meinung findet sich bei Joseph Kulischer, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Bd. I, Das Mittelalter, München und Berlin 1928, S. 264 ff.
197) Friedr. Keutgen, Der Großhandel im Mittelalter, HGB. 1901, S.67 ff.
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Funktion neben vielen anderen" gewesen sei. Der Fehler der üblichen Lehrmeinung sei der, daß sie in dem mittelalterlichen Kaufmann vornehmlich den Wandschneider, d. i. den Kleinhändler, sähe und so zu der Leugnung eines selbständigen Großhandels gelange 198 ).

Die erhaltenen Rostocker Quellen bezeugen, daß eine Reihe von Patriziern sowohl im 13. als auch im 14. Jahrhundert den Kleinhandel in und um Rostock pflegte, d. h. an Verbraucher verkaufte. Als Wandschneider sind nachweisbar: Volmar von Koesfeld (1283) 199 ), Dietrich Wilde 200 ), Dietrich Horn 201 ), Peter Kremer 202 ), Johann Töllner II 203 ), Johannes Töllner III 204 ), Arnold Koppmann 205 ), Edeler Witt 206 ) (alle um etwa 1350). Neben Tuchen, zum größten Teil flandrischer Herkunft, verkauften Peter Kremer Pferde und Wein 207 ), Dietrich Wilde Mehl, Fleisch und Mühlsteine 208 ), Dietrich Horn Brot, Bier und Butter 209 ), Johann Töllner II Heringe und Getreide, Johann Töllner III Speck, Holz und Borden 210 ). Andere Patrizier scheinen unter anderem mit Salz gehandelt zu haben; so kaufte Arnold Koppmann 1267 für 10 Mark ein Salzhaus in der Saline zu Sülz bei Marlow und verpflichtete sich überdies zu Salzlieferungen an die Klöster Dargun und Bergen auf Rügen 211 ). Weiter sind Rostocker Patrizier im Weinhandel beschäftigt gewesen. In der Abrechnung der Rostocker Weddeherren des Jahres 1362 steht unter anderem eine Ausgabe an Reiner Grenze für ein Faß Wein, welches drei Ohm und


198) Fritz Rörig, Großhandel und Großhändler im Lübeck des 14. Jahrhunderts, Kap. VII der "Hansischen Beiträge zur deutschen Wirtschaftsgeschichte", Breslau 1928, S. 227 ff. Vgl. auch Rudolf Kötzschke, welcher hervorhebt, daß in den mittelalterlichen Städten neben dem Kleinhandel der Großhandel nicht fehlte. R. Kötzschke, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, Jena 1924, S. 590.
199) MUB. III 1705.
200) MUB. X 7370, 7374 usw.
201) MUB. IX 6251.
202) MUB. X 7340, 7349 usw.
203) Töll. Hdlgsb., Einleitung.
204) Ebendort.
205) Ebendort.
206) Ebendort.
207) MUB. X 7353, 7386.
208) MUB. X 7381, 7383.
209) MUB. IX 6251.
210) Töll. Hdlgsb. Nr. 198, 723, 277. 715; vgl. auch S. XX ff.
211) MUB. II 1124.
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anderthalb Stübchen enthielt 212 ). Reiner Grenze lagerte seinen Wein im Ratskeller; er mußte einmal für 15 Ohm vier Mark "Tapphegeld" bezahlen 213 ). Eine Reihe von Patriziern war wahrscheinlich im Getreidehandel tätig. Wir können dies wohl annehmen von denjenigen, die im Besitze eines "granarium", d. h. eines Getreidespeichers waren 214 ). Als Eigentümer, Besitzer oder Pächter eines solchen "granarium" sind nachzuweisen die Patrizier Johann Mönch (1252) 215 ), Hermann von Lage (1257) 216 ), Johann von Rathenow (1257) 217 ), Johann von Stade (1262) 218 ), Heinrich Adolphi (1262) 219 ) und andere.

Von wem die eben genannten Patrizier ihre Waren bezogen, geht aus den Quellen meist nicht hervor. Es ist wahrscheinlich, daß die Wareneinfuhr häufig von Handelsgesellschaften besorgt wurde. Der Vorteil, den eine solche Handelsgesellschaft (Sozietät) bot, bestand einmal darin, daß sich das Wagnis des einzelnen Kaufmannes verminderte, dann vor allem für den patrizischen Ratsherrn darin, daß er Zeit für seine Tätigkeit im Dienste der Stadt gewann 220 ). So heißt es einmal in dem einzigen, für Rostock erhaltenen, von Koppmann herausgegebenen Handlungsbuch des Wandschneiders Johann Töllner: "Notandum, quod ex frusto patris mei recepi 4 Brugenses ..." 221 ); sein Vater aber war Mitglied einer Gesellschaft, die Tuch im großen aus Flandern nach Rostock, zuweilen über Stralsund, einführte 222 ). Diese Sozietät scheint ein vorübergehendes Unternehmen gewesen zu sein 223 ), jedenfalls


212) MUB. XV 9107.
213) MUB. XV 9239.
214) Vgl. P. Meyer a. a. O. S. 82.
215) MUB. II 938.
216) MUB. II 938.
217) MUB. II 938.
218) StB. II 1270-88 (früher StB. C) Fol. 7 b.
219) Ebendort Fol. 48 b.
220) Vgl. G. v. Below, Probleme a. a. O. S. 371 f. Auf einen anderen Vorteil, den die Sozietät bot, macht Stieda aufmerksam: Die Kaufleute konnten, zu einer größeren Zahl vereinigt, eher hoffen, "sich Privilegien und Begünstigungen von der Regierung des fremden Landes zu erwirken". Wilh. Stieda, Die Gesellschaft der Rigafahrer in Lübeck und in Rostock, Riga 1892.
221) Töll. Hdlgsb. S. 40.
222) Ebendort S. IX f.
223) Vgl. G. v. Below, Probleme a. a. O. S. 368 f., der ausführt, daß die meisten mittelalterlichen Sozietäten temporäre Unternehmungen gewesen seien.
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ist sie nur während der Jahre von 1345 bis 1349 oder 1350 nachweisbar. Vier Rostocker Patrizier waren in dieser Gesellschaft vereinigt: der Bürgermeister Johann Töllner II, sein Sohn Johann Töllner III, Arnold Koppmann, der Schwager von Johann Töllner III, und Edeler Witt, der Schwager von Arnold Koppmann. Alle vier Teilhaber der Handlungsgesellschaft betrieben nebenbei anscheinend einen Kleinhandel, in welchem sie die von der Sozietät eingeführten Packen Tuch im kleinen weiter verkauften.

Noch eine ganze Reihe solcher Sozietäten gab es in Rostock vor 1400, aber nur über diese eine, an der die beiden Töllner beteiligt waren, sind zusammenhängende Nachrichten überliefert, bei den andern findet sich oft nur ein kurzer Hinweis in den Quellen. So wird eine Sozietät bestanden haben zwischen den drei Patriziern Peter von Freden, Johann Make und Peter Frese; sie lieferten im Jahre 1395 gemeinsam für hundert Mark Tuch an die Stadt 224 ). So bestand eine Sozietät wohl auch zwischen Peter von Freden und Winold Baggel, die dem Salzhandel oblag 224), eine andere zwischen Lambert Witt, Gerhard von der Aa und Eberhard Beseler, die etwa 1360 etwa 80 Mk. erhielten "ex parte domus laterum", d. i. von der städtischen Ziegelei 225 ), der sie vielleicht Holz für die Ziegelöfen geliefert hatten 226 ). Im Jahr 1399 kamen Bertold Lange und Hermann Beseler vor den Rat und berichteten, daß sie an Heringen geschädigt worden seien "alse se ere ghelt hadden in selschop" 227 ). Im Jahre 1390 verfügte Gerhard Wulff vor einer Wallfahrt über sein Vermögen "sive in prompta pecunia sive in societatibus" 228 ); 1362 erhielt Gerwin Wilde bei einer Erbteilung unter anderm "societatem" seines Vaters "in molaribus" 229 ). 1351 erhielten die Kinder von Edeler Witt alles Geld "sive in societatibus aut debitis ubicumque existat", ausgenommen die Schulden des Herzogs in Höhe von 200 Mark 230 ); 1349 vermachte Johann Rode testamentarisch dem Otto Smoke 50 Mk. "de bonis, que ex nostra societate


224) MUB. XXII 12748 (S. 490).
225) MUB. XIV 8801.
226) MUB. XVII Sachregister S. 659.
227) MUB. XXII 12558.
228) MUB. XXI 12169.
229) MUB. XIV 9023.
230) MUB. XII 7522.
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mihi cedere poterint et debere" 231 ), und im Jahre 1331 heißt es von den Gebrüdern Horn: "Fratres .. sunt ex parte .. societatis, quam invicem habuerunt, complanati .." 232 ).

Neben dem Kleinhandel bestand sicher schon vor 1400 ein regelmäßiger Großhandel der Patrizier 233 ). Man darf sich auch hier nicht durch die dürftigen urkundlichen Angaben dazu verleiten lassen, einen ständigen patrizischen Großhandel während dieser Zeit abzulehnen. Die Urkunden verzeichneten Rechtsgeschäfte; der Großhandel, welcher in privater Hand lag, bot wenig oder keinen Anlaß zu amtlichen Aufzeichnungen. Rostock kannte wahrscheinlich so gut wie Lübeck den Patrizier als Großhändler, vermutlich als einen Großhändler von bescheideneren Ausmaßen, denn Rostock war nicht wie Lübeck "der Großhandelsplatz par excellence des damaligen Nordeuropa" 234 ). Wie der Lübecker, so stellte wohl auch der Rostocker Kaufmann sein Geschäft bereits vor 1400 auf eine neue, moderne Basis 235 ). Als Beweis dafür stelle ich hier einige Quellenangaben über die Handelstätigkeit des Patriziers und Ratmanns Peter Kremer zusammen. In einer in Lübeck ausgestellten Urkunde vom Jahre 1342 heißt es: Omnibus .. innotescat, quod ego Conradus Nigenstad integraliter percepi a Petro Cremere, ciui in Rostock, centum et duas marcas denariorum Lubicensium mihi pro duodecim talentis pagamenti in Brugis venditis debitas per presentacionem Hermanni de Munstere, ciuis Lubicensis 236 ). Zum 14. Oktober 1344 ist über-


231) MUB. X 6983.
232) MUB. VIII 5236.
233) Schon Lisch hebt hervor, daß die Patrizier Großhandel trieben. "Sie waren die "Kaufleute im neuern Sinn", welche den Großhandel zu Lande und zur See und den Geldverkehr in ihren Contoren betrieben und in fernen Ländern ihre Contore hatten ... Sie unterschieden sich durch diese Contorbeschäftigung wesentlich von den "Krämern" und "Landfahrern", den Zwischenhändlern, welche die Ware wieder an die Kleinhändler vertrieben, ..." Vgl. Lisch I S. 171.
234) F. Rörig a. a. O. S. 231. Vgl. auch J. Meyer a. a. O. S. 81 und Wilh. v. Bippen, Geschichte der Stadt Bremen. Halle a. S. und Bremen 1892 Bd. I S. 168 ff.
235) Rörig spricht sogar von einer "grundlegenden Veränderung", die der kaufmännische Betrieb um 1300 in Lübeck erfuhr. A. a. O. S. 220.
236) MUB. X 7372.
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liefert: Ego Wernerus dictus Wullenpunt, ciuis in Lubeke, recognosco ..., quod Petrus Kremer, ciuis in Rozstok, mihi octoginta quinque libras grossorum ... persoluit, pro qualibet libra octo marcas ..., quas emit a Ghisekino et Hinrico Wi1den in Brugis 237 ). Zum 4. April 1346 wird berichtet: Ego Hinricus Starcadere, ciuis in Rozstok, recognosco, me a Petro Kremer, meo conciue, 48 marcas recepisse, quas Everhardus Capporie emit in Brugis 238 ). Eine Urkunde vom 14. August 1350 bezeugt: Nos Symon ..., ciues in Sutphen, ... recognoscimus ..., nos teneri obligatos ... Petro Kremer ... in centum et viginti aureis clippeis, ... in Brugis suo hospiti Euerhardo Coper ... persoluendis 239 ). Eine weitere Urkunde vom 17. August 1352 bezeugt: Ego . et ..., ciues in Sutphania, recognoscimus, nos Petro dicto Kremer teneri obligatos 120 clippeos aureos, quos in Brugis sibi seu a1icui a1teri sui ex parte ... persolvere promittimus 240 ). Zum Schluß sei erwähnt die Mitteilung einer Urkunde vom 21. Januar 1355: Ego ... ciuis in Rozstok ... recognosco, quod ... Petrus Kremer ... mihi XII talenta grossorum ex parte Euerhardi Copper, ciuis in Brugis, persoluit 241 ). Peter Kremer verkörperte einen ganz besonderen kaufmännischen Typ. Er war nicht mehr der ständige Begleiter seiner in Flandern gekauften Waren, reiste nicht mehr selbst zu jedem Einkauf dorthin. Diese Aufgabe überließ er anscheinend seinem "hospes" Eberhard Kopper in Brügge, der überdies als Bürger dieser flandrischen Stadt im Handel die Vorzüge des einheimischen Kaufmannes genoß, die der Rostocker Peter Kremer nicht besaß. Eberhard Kopper hatte das Recht, in Peter Kremers Namen Waren zu kaufen und Zahlungen entgegenzunehmen. Auch in Lübeck scheint Peter Kremer einen Mitarbeiter in Hermann von Münster gehabt zu haben; wie Kopper das Brügger, so besaß Hermann von Münster das lübische Bürgerrecht. Nur


237) MUB. X 7389.
238) MUB. X 6639.
239) MUB. X 7112.
240) MUB. XIII 7645.
241) MUB. XIII 8032.
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gelegentlich wird unser Rostocker Patrizier zwecks Abwicklung geschäftlicher Unternehmungen auswärts geweilt haben 242 ). Ermöglicht aber wurde diese bereits an moderne Verhältnisse erinnernde Leitung eines kaufmännischen Betriebes dadurch, daß Rostocker Kaufleute teilweise wie die Lübecker ihr Geschäft bereits im 14. Jahrhundert auf der Grundlage von Schriftstücken betrieben 243 ). Schriftliche Anweisungen an die Mitarbeiter in anderen Städten konnten nunmehr häufig die persönliche Anwesenheit des Kaufherrn ersetzen. Jetzt war eine straffere Organisation eines größeren Kaufgeschäftes möglich, konnte sich der Handel eines Bürgers gleichzeitig nach verschiedenen Gegenden erstrecken. Dadurch, daß Peter Kremer und damit der Sitz der Handelsfirma in Rostock war und blieb, unterschied sich dieses Geschäft von manchem früherer Zeit 244 ). Leider ist ein Handlungsbuch, das Peter Kremer wahrscheinlich zur Kontrolle seines Betriebes führte, nicht erhalten; es würde gewiß ähnlich wie das uns erhaltene Handlungsbuch Johann Töllners ausgesehen haben. In Töllners Geschäft wurde nach Koppmann neben diesem erhaltenen Buch offenbar ein zweites geführt, eine Art Kladde, auf die bei Prüfungen zurückgegriffen werden konnte 245 ). Hier sehen wir bereits die Anfänge einer doppelten Buchführung. Aber so modern diese Art der Geschäftsführung unseres Rostocker Patriziers auch anmutet, man darf doch nicht vergessen, daß dieses Handlungsbuch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammt. Die Technik der Buchführung, wie sie von Johann Töllner gehandhabt wurde, war noch einfach. Gebucht wurde eine Unzahl kleiner Verkäufe; Gesamtabschlüsse und Gesamtübersichten fehlen entweder ganz oder


242) Vgl. Rörig a. a. O. S. 217: "Im 14. Jahrhundert ist es für die Oberschicht des Lübecker Kaufmanns endgültig vorbei mit jenem kaufmännischen Typ der Frühzeit, mit dem Kaufmann, der seine Ware in der Regel selbst begleitete, sie am Ort der Bestimmung verkaufte und selbst die Retouren einkaufte".
243) Rörig a. a. O. S. 218.
244) Wie der Lübecker und der Rostocker, so führte auch der Hamburger Kaufmann des 14. Jahrhunderts jene "grundlegenden Veränderungen" in seinem Geschäftsbetrieb durch. Auch er hatte z. B. seine Handelsgenossen und Untergebenen, die seine geschäftlichen Angelegenheiten in der Fremde regelten. Vgl. H. Nirrnheim, Das Handlungsbuch Vickos von Geldersen. Hersgg. vom Verein für Hamburgische Geschichte. Hamburg u. Leipzig 1895. S. XXVIII.
245) Töll. Hdlgsb. S. XVIII f.
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sind höchst unklar 246 ). Bei den meisten Buchungen finden sich zugleich Vermerke über den Fälligkeitstermin der zu leistenden Zahlungen; die Waren wurden also sehr oft nicht bar bezahlt. Aber auch diese Termine wurden von der Kundschaft häufig nicht innegehalten, so daß die fällig gewordenen, uneingelösten oder nur teilweise bezahlten Posten zum zweiten, bisweilen sogar zum dritten Mal im Handlungsbuch erscheinen.

So liest man z. B. unter Nr. 441 eine Forderung Johann Töllners an "dominus Segherus", die als Nr. 518 zum zweiten und als Nr. 713 zum dritten Mal gebucht wurde. Immerhin war doch die Schriftlichkeit des Verfahrens gewonnen. Johann Töllner besaß hinreichend Schrift- und Sprachkenntnis, um die Buchungen eigenhändig und in lateinischer Sprache vornehmen zu können 247 ). Weiteren Aufschluß über das Bestehen eines Rostocker Großhandels gibt unter anderem eine Urkunde, die Beschwerden der Stadt Rostock gegen die Grafen von Holstein und deren Helfer, Vasallen und Vögte wegen vielfach gegen Rostocker Bürger geübter Gewalttätigkeiten und Beraubungen überliefert 248 ). So verloren z. B. Heinrich Pape Güter im Wert von 60 Mark, Dietrich Horn Bier, Brot, Leinwand und weißes Tuch im Wert von 75 Mark Rost., derselbe ein anderes Mal 2 1/2 Tonnen Butter. Weiter wurden Hermann Beseler und Heinrich Buxstock Hopfen, Gerstenmalz und Tuche im Wert von 100 Mk. rein, sowie zwei Diener genommen. Hennekin Kröpelin büßte bei Ravensburg auf dem Schiff des Paul Jonesson Gerstenmalz und Leinwand im Wert von 34 Mark Rost. ein. Eberhard von Freden hatte vier Last Heringe, eine Tonne Salz, eine Kiste, Kleider und 20 Kalbfelle im Wert von 100 Mk. Rost. zu beklagen. Außerdem büßte er zu anderer Zeit Mehl, Gerstenmalz und Bier, die auf der Kogge eines gewissen


246) Töll. Hdlgsb. S. XIII f. Man vergleiche wieder das Handlungsbuch des Hamburger Kaufmanns Vicko von Geldersen, in dem sich ähnliche Formlosigkeiten und noch größere Unübersichtlichkeit zeigen. H. Nirrnheim, Das Handlungsbuch Vickos v. Geldersen a. a. O. S. XXI.
247) Vgl. Rörig a. a. O. S. 219: "Gemeinsam ist diesen ältesten Handlungsbüchern die eigenhändige Führung durch den Kaufmann selbst, nicht durch seine Angestellten, der bündigste Nachweis, daß Schrift- u. Sprachkenntnis - vor allem des Lateinischen - zu Anfang des 14. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit für die kaufmännische Oberschicht Lübecks war."
248) MUB. IX 6251.
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Thop verladen waren, in Höhe von 200 Mk. Rost. ein. Vielleicht ist auch Dietrich Holloger als Großhändler anzusprechen; er vermachte testamentarisch im Jahre 1351 dem Hennekin Holloger 20 Mk. lüb. und vier silberne Löffel 249 ); dieser Hennekin, der sich in Bergen aufhielt, mochte ein Mitarbeiter von Dietrich Holloger sein. Vielleicht trieb weiter auch der Bürgermeister Lambert Witt Handel nach Skanör; jedenfalls besaß er dort unter anderm die Einkünfte von zwei Fleischbuden, die er 1372 seinem unehelichen Sohn Hermann anwies 250 ). Von dem Patrizier Ludolf von Gothland wissen wir, daß er mit seinem Bruder Heinrich im Jahre 1301 einem Wisbyer Bürger 400 Mark zu zehn Prozent lieh 251 ), demnach hatte er dorthin vermutlich Handelsbeziehungen. Auf Großhandel der Patrizier weist ferner noch das verhältnismäßig geringe Interesse hin, das sie besonders im 14. Jahrhundert für den Gewandschnitt zeigten. Wir sahen bereits, daß nur wenige von ihnen den Tuchverkauf im kleinen pflegten, daß viele andere mit Wein, Malz, Fleisch usw. Handel trieben. Der Wandschneider, der Tuch nach Ellen verkaufte, war Kleinhändler. Dieser Beruf aber hatte offenbar seine Anziehungskraft für manchen Rostocker Patrizier des 14. Jahrhunderts verloren, er übte den Wandschnitt in dieser Zeit wohl nur nebenbei aus, war im Hauptberuf eben Großhändler 252 ). So erklären sich die gewaltigen Vermögen, die mancher Patrizier in seiner Hand vereinigen konnte, denn schwerlich hat der Kleinhandel damals derartige Gewinnmöglichkeiten in sich geschlossen; so erklärt sich auch das Streben der Stadt nach Handelsprivilegien in auswärtigen Ländern. In die gleiche Richtung weist ferner eine Bestimmung, die sich im Entwurf eines Schonischen Privilegs findet, wie es die Rostocker etwa 1352 von König Magnus von Schweden begehrten 253 ). Sie wollten unter anderem für einen Packen Tuch, den zwei Pferde ziehen konnten, dem dortigen Vogt überhaupt


249) MUB. XIII 7501.
250) MUB. XVIII 10290.
251) MUB. V 2739.
252) Rörig a. a. O. S. 227.
253) MUB XIII 7637: Item, si aliquis mercator ibi adduxerit vnum frustum pannorum, quod duo equi trahere possunt, de illo advocatis nostris vel suis familiaribus aut eorum alicui dari penitus nichil debet; si vero non poterit nisi quatuor equis trahi, tunc inde dari debet aduocato nostro tantum dimidia marca denariorum, et non magis.
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keine Abgaben entrichten; erst dann, wenn vier Pferde nötig seien, sollte eine kleine Summe erhoben werden dürfen. Schließlich weist eine Ratswillkür vom Jahre 1360 auf das Vorhandensein von Großhändlern im Rostock des 14. Jahrhunderts 254 ). Diese Willkür sollte den Handel mit Öl, Mandeln und Reis zwischen den einführenden Kaufleuten und den Krämern regeln. Es heißt in der Urkunde, daß die Bürger, "apportantes oleum qualecumque de partibus alienis", das Öl in ihren Wohnungen nach beliebigem Maß verkaufen durften, daß aber diejenigen, die Öl einführten "de Lubeke aut Stralessund seu civitatibus circumiacentibus in vicino, non trans stagnum, non minus quam decem talenta de eo simul" verkaufen durften. Man begünstigte also den Überseekaufmann.

Der Rostocker Großhandel erreichte wahrscheinlich nicht den Umfang des Handels anderer namhafter Ostseestädte, wie etwa Lübecks oder Stralsunds, immerhin aber bezifferte sich der Wert des Rostocker Außenhandels bereits im Jahre 1369 auf 62208 Mark lübisch bzw. auf 590976 Mark heutiger Währung, im Jahre 1378 auf 87040 bzw. auf 826880 Mark 255 ). Im 14. Jahrhundert trieben patrizische Kaufleute Rostocks u. a. Handel nach Wordingborg auf Seeland, nach Kopenhagen 256 ) und der englischen Küste 257 ); sie durchfuhren den Grönessund zwischen den Inseln Falster und Möen, hatten Beziehungen nach Gjedser, nach Hindsgaul auf Fünen, nach Horsens und Bygholm auf Jütland und nach Ravensburg auf Laaland 257). In der Stadt selbst bestanden Gesellschaften (Kompagnien) der Bergen-, Flandern-, Riga-, Schonen-, Spanien- und Wyk-Fahrer 258 ).

So liefert uns das Gesamtbild, das wir von der Art und dem Umfang des Handels der Rostocker Patrizier vor uns haben erstehen sehen, den Beweis dafür, daß der Groß- und Fernhandel im Rostock des 14. Jahrhunderts von den dortigen Patriziern geschätzt und ausgiebig gepflegt wurde. Ob in-


254) MUB. XIV 8728.
255) Wilh. Stieda, Revaler Zollbücher und -Quittungen des 14. Jahrhunderts. HGB. V Halle 1887 S. LVII.
256) MUB. IX 6251.
257) MUB. IX 6396, 6441.
258) Wilh. Stieda, Das Schonenfahrergelag in Rostock. HGB. 1890/91 S. 134.
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dessen die wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Zeit bereits eine Verzichtleistung dieses oder jenes Patriziers auf den Kleinhandel in und um Rostock gestatteten, muß dahingestellt bleiben 259 ). In der Regel wird jedenfalls der patrizische Großkaufmann auch die Vorteile, die der Kleinhandel dem Kaufmann bot, nicht verschmäht und neben seinem En-Gros-Geschäft ein Detail-Geschäft betrieben haben, in dem er seine Waren in kleinen Mengen unmittelbar an den Verbraucher absetzte. Vielleicht wird man dem Charakter, welchen in der Mehrzahl der Fälle der patrizische Großhandel während des 14. Jahrhunderts in Rostock hatte, einigermaßen gerecht, wenn man mit Umkehrung der Belowschen These sagt, daß nicht der Kleinhändler den Großhandel, sondern der Großhändler den Kleinhandel "mitbesorgt" hat 260 ).


Kapitel III.

Die Vermögenslage der Rostocker Patrizier.

Das Vermögen der Rostocker Patrizier ist im 13. und 14. Jahrhundert aus Handelsgewinn, Grundbesitz und Geldgeschäften entstanden. Die Zusammensetzung des patrizischen Vermögens aus diesen drei Quellen wird von der Forschung im allgemeinen anerkannt; heftig umstritten dagegen ist noch die Frage, aus welcher dieser drei Quellen die ersten und aus welcher die höchsten Gewinne stammten.

In der reichen Literatur, die über die bürgerlichen Vermögen des Mittelalters handelt, sind vor allem zwei Richtungen vertreten, deren Vorkämpfer Werner Sombart und Georg von Below sind. Die von ihnen über die Entstehung


259) Rörig a. a. O. S. 228.
260) G. v. Below, Probleme a. a. O. S. 462. Zu dem gleichen Ergebnis kommt H. Nirrnheim in der Untersuchung, die er über das Verhältnis von Groß- u. Kleinhandel in Hamburg geführt hat. Auch er ist der Meinung, "daß der Hamburgische Großhandel zum überwiegenden Teil in den Händen von Kaufleuten ruhte, für die er den Hauptberuf bildete, während sie am Kleinhandel nur in geringerem Maße und unter gewissen Beschränkungen teilnahmen." Vgl. H. Nirrnheim, Wandschneider und Kaufleute in Hamburg. Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. Bd. XV Heft I Hamburg 1910. In Lübeck dagegen, wie es scheint, bestand um 1370 bereits eine Schicht von reinen Großhändlern; Rörig a. a. O. S. 228.
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des bürgerlichen Reichtums aufgestellten Theorien bezeichnen wir der Einfachheit und besseren Übersicht wegen kurz mit Grundrenten- und Kaufmannstheorie.

Die Grundrententheorie Sombarts 261 ) besagt etwa folgendes: Der Handel als Primärquelle des bürgerlichen Reichtums scheidet vollkommen aus; denn der Warenumsatz war im Mittelalter äußerst gering, die Zahl der Händler dagegen sehr groß, so daß der Gewinn des Einzelnen nur minimal gewesen sein kann. Der Handel konnte erst in großem Stil vermögenbildend wirken, "wenn er erst einmal aus dem verhängnisvollen Zirkel: Kleiner Umsatz - hohe Spesen - geringe Profitmenge - keine Akkumulation - herausgehoben" wurde 262 ). Ebenso scheidet das Geld- und Rentengeschäft als Primärquelle des bürgerlichen Reichtums aus. Nur die bereits Wohlhabenden konnten auf diesem Weg zu wirklichem Reichtum gelangen. "Die paar großen renommierten Häuser für die fetten Bissen, eine Anzahl mittlerer Geschäfte für die Mittelware der milites und armigeri und der große Haufe für die in Not geratene oder spielwütige misera contribuens plebs" 263 ). Entscheidend für die Bildung des Reichtums in der Hand der städtischen Bürger ist vielmehr die Be-


261) Zugrunde gelegt ist die erste Aufl. des Modernen Kapitalismus vom Jahre 1902. Im Anschluß an die erste Aufl. entstand der Kampf um die Frage des Ursprungs des bürgerlichen Reichtums. In der 4. Aufl. hat Sombart zwar die schroffe Form seiner Behauptungen in manchen Punkten abgeschwächt; er gibt jetzt zu, daß "auch im Rahmen der handwerksmäßigen Wirtschaft Vermögen angehäuft" (4. Aufl. S. 610) sind; er erkennt die Geldleihe als eine "vermögenbildende Kraft" großen Stils an (S. 634); er gesteht ein, daß diejenigen Vermögen, "die gerade nur durch Akkumulation von städtischer Grundrente entstanden sind" (S. 649), kaum mit Sicherheit ermittelt werden können. Den Kern seiner früheren These hält er aber weiter aufrecht: "Daß der größte Teil der städtischen Grundrente als unearned increment den wenigen grundbesitzenden Familien der Stadtgemeinde zuwachsen mußte" (S. 645), daß auch Zeit- und Erbleihe den Grundeigentümern gestattete, "von der Steigerung der Grundrente zu profitieren" (S. 646), da der "Vermögensbildung aus Warenhandels- und Produzentengewinn" keine "übermäßig große Bedeutung" beigemessen werden könne (S. 619). Vgl. auch die Besprechungen der zweiten Aufl. des Modernen Kapitalismus (1916/17) von G. v. Below, H. 3. Bd. 124 S. 92 ff. und Alfons Dopsch, Verfassungs- u. Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters (Gesammelte Aufsätze) Wien 1928. S. 286 ff.
262) Sombart a. a. O. (1. Aufl.) S. 228.
263) Sombart a. a. O. (1. Aufl.) S. 270.
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deutung der Grundrente. Nach Sombart befindet sich in der Frühzeit einer mittelalterlichen Stadt der größte Teil des Grund und Bodens in dem Besitz weniger Familien infolge Schenkung, Kauf usw. Fast alle, die sich später in der Stadt ansiedeln wollten, mußten sich also auf den Hufen dieser Familien niederlassen und dafür einen Zins, eben die Grundrente, entrichten. Mit der steigenden Zuwanderung in die Stadt wurde die Nachfrage nach Bauplätzen größer und größer, der Zins wurde wieder und wieder gesteigert, das Vermögen der wenigen Grundeigentümer nahm immer größere Ausmaße an. Dem so wohlhabend gewordenen Bürger konnten nunmehr neben der Grundrente auch der Handelsgewinn und die Geldrente weiteren Verdienst einbringen. Nach dieser Theorie ist also der Patrizier zu Beginn der Entwicklung Grundbesitzer gewesen 264 ).

Im Gegensatz dazu steht die Kaufmannstheorie von Georg von Below 265 ). Seiner Meinung nach kommen bei der Bildung großer Vermögen die verschiedensten Momente neben einander in Betracht. "Wollte man aber eine Rangordnung herstellen, so müßte die von Sombart versuchte umgekehrt werden. Wenigstens insofern, als akkumulierte ländliche Grundrenten für die Bildung der Anfänge städtischen Reichtums so gut wie gar nicht in Betracht kommen oder sogar: schlechthin gar nicht" 266 ). Die städtische Grundrente ist nur vereinzelt für die Entstehung eines Vermögens von einiger Bedeutung gewesen. Der Patrizier ist zu Beginn der Entwicklung meistens Kaufmann, erst später Grundbesitzer.

Vermittelnd zwischen beiden steht die Theorie von Rudolf Häpke 267 ). Nach ihm sind Rente und Handel gemeinsam am Bau der Vermögen beteiligt. "Wer dabei mehr leistet, hängt von dem einzelnen Fall ab; ein allgemeineres Urteil wird sich


264) Vgl. Sombart a. a. O. S. 284 f,
265) G. v. Below: Die Entstehung des modernen Kapitalismus. Historische Zeitschrift (fortan zitiert H. Z.) 1903 N. F. 55. S. 432 ff. Vgl. auch R. Kötschke a. a. O. S. 537: "Am ergiebigsten für die Ansammlung von Reichtum in bürgerlichen Händen war der Handel mit Waren und mehr noch die Geldleihe ...".
266) G. v. Below a. a. O. S. 478.
267) Rudolf Häpke, Die Entstehung der großen bürgerlichen Vermögen im Mittelalter. Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Jahrgang 29, Heft 3. Leipzig 1905, S. 235 ff.
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wohl schwerlich nach Lage der Dinge mit einiger Sicherheit fällen lassen" 268 ).

Wie kam es in Rostock zur Entstehung des patrizischen Vermögens? Für die früheste Zeit, die Jahre bis etwa 1250, läßt sich über diese Frage nichts Sicheres aussagen, denn die Urkunde vom Jahre 1218 als einzige erhaltene der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts 269 ) gibt hierüber keinen Aufschluß. Man wird indessen auf Grund der bereits gewonnenen Erkenntnis, daß die städtischen Patrizier des 13. und 14. Jahrhunderts in der Mehrzahl Kaufleute waren, annehmen dürfen, daß der Handelsgewinn schon vor 1250 in irgendeiner Weise am Bau des patrizischen Vermögens beteiligt war. Über seine Höhe wird man allerdings keine Gewißheit erlangen können. Es ist ferner nicht möglich, auf gesicherter urkundlicher Grundlage zu entscheiden, ob in diesem ältesten Stadium der Entwicklung Rostocks Grund- bzw. Geldrenten für die Ansammlung von Kapital in der Hand der Patrizier überhaupt von Bedeutung waren. Immerhin besteht die Wahrscheinlichkeit, daß die Geldrente damals schon ein vermögenbildender Faktor war. Aus den erhaltenen Urkunden der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts geht nämlich hervor, daß die Rostocker Patrizier dieser Jahrzehnte das Geldgeschäft ziemlich häufig pflegten und auch verhältnismäßig hohe Gewinne erzielten. So lieh z. B. im Jahre 1286 Elisabeth Baumgarten, die Witwe von Bernhard Baumgarten, der Stadt 600 Mark zu 10 Prozent zunächst auf ein Jahr 270 ); ihr Gewinn belief sich demnach pro Jahr auf 60 Mark. Im Jahre 1294 gaben verschiedene andere Patrizier der Stadt ebenfalls recht ansehnliche Anleihen: Johann Witt lieh 1000 Mark gegen eine Rente von 100 Mark aus der collecta, Johann Rode lieh 550 Mark zu 10 Prozent, Bertram Dame zweimal je 200 Mark zu 10 Prozent, desgleichen zu demselben Prozentsatz Heinrich Mönch 200 Mark, Johann Lise 150 Mark und Bertram Dame nochmals 200 Mark 271 ). Vermutlich hat sich das Geldgeschäft aus bescheideneren Anfängen entwickelt. Demnach hätte die Geldrente schon in den Jahrzehnten nach 1218 zur Entstehung des patrizischen Reichtums in Rostock beigetragen.


268) Häpke a. a. O. S. 238.
269) MUB. I, 244.
270) MUB. III 1841.
271) MUB. III 2262.
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Anders steht es mit der Grundrente. Sie wird in der ältesten Zeit nach Entstehung der Stadt wohl nur in Ausnahmefällen ein kapitalbildendes Moment von einiger Bedeutung gewesen sein. Vornehmlich zwei Umstände sprechen dagegen, daß ein größerer Teil von Rostocker Patriziern in so früher Zeit mit Hilfe der Grundrente eine nennenswerte Steigerung des Vermögens zu erzielen vermochte: einmal der räumliche Umfang des patrizischen Grundbesitzes in und um Rostock, zum andern die rechtliche Form der Vergebung von Grund und Boden. Nur dann, wenn die Mehrzahl der Rostocker Patrizier damals über ausgedehnten Grundbesitz hätte verfügen können, könnte man allgemein von einem großzügigen Mitwirken der Grundrente am Bau der patrizischen Vermögen sprechen. Nun läßt sich aber nirgends in den erhaltenen Urkunden vor 1300 ein Kauf- oder Schenkakt usw. nachweisen, durch den Rostocker Patrizier so frühzeitig in den Besitz eines größeren Teiles der städtischen und ländlichen Hufen gelangt wären. Dagegen ist es eine quellenmäßig belegbare Tatsache, daß während des ersten Jahrhunderts nach Gründung der Stadt Rostock der Landesherr, die Stadt selbst und die Kirche Eigentümer von ausgedehntem Grundbesitz, von zahlreichen Buden und Gebäuden sowie von ländlichen Hufen waren. Außer den städtischen Kirchen, Klöstern und Hospitälern verfügten auch manche auswärtigen Klöster über Grund und Boden in Rostock. Im Jahre 1262 versprach ein Rostocker Bürger dem Kloster Doberan den Erlös seines Erbes in Rostock 272 ), das nach seinem Tod und dem Tod seiner Frau verkauft werden sollte. Schon 1263 besaß dieses Kloster ein Haus in der Stadt 273 ) und 1280 eine Kapelle auf dem Klosterhof 274 ). Im Eigentum des Rates der Stadt befanden sich unter anderm ein größerer Teil der Stadtgärten, Schlachthäuser, Wiesen und umliegenden Dörfer sowie zahlreiche Verkaufsstellen der verschiedensten Gewerbe 275 ); und noch im Jahre 1325 zahlten allein 84 Schlachter die Abgaben von ihren Verkaufsbuden an die Stadt 276 ). So hatten also die Patrizier, wollten sie ihren Grund und Boden, ihre Buden oder Gebäude an neu einwandernde Kolonisten nutz-


272) MUB. II 955.
273) MUB. II 977.
274) MUB. II 1541.
275) MUB. III 2366, 2256, 2236, 2195, 2194, 2155, usw.
276) MUB. VII 4608.
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bringend veräußern, in dem Landesherrn, der Stadt und der Kirche mächtige Konkurrenten, denn auch deren Streben wird sich voraussichtlich auf möglichste Ausnutzung ihres Besitzes an städtischen und ländlichen Hufen, an Buden und Häusern aller Art gerichtet haben. Infolgedessen waren die Patrizier gezwungen, ihr Eigentum gegen einen nur mäßigen Zins auszuleihen, weil eine hohe Forderung an Grundrente den Interessenten abgeschreckt und bewogen hätte, sich auf landesherrlichem, städtischem oder kirchlichem Besitz anzusiedeln. Besonders in Zeiten starker Bevölkerungsvermehrung in der Stadt durch neue Einwanderer mochte es vielleicht manchem Patrizier gelingen, seinen Grund und Boden zu vorteilhaften Bedingungen zu veräußern. Nun war es aber damals auch in Rostock ein vielgeübter Gebrauch, daß die Vergebung von Grund und Boden in der Form der Erbleihe erfolgte, und diese Form der Übertragung wurde der zweite Faktor, der dem Patrizier eine Vermögensbildung großen oder größeren Stils durch die Grundrente vereitelte 277 ). Die Erbleihe ist ein Vertrag zwischen dem Eigentümer z. B. einer area und dem Beliehenen; dabei bleibt das Eigentum dem Verleiher vorbehalten, nur die Nutzung wird dem Beliehenen zugestanden. Für diese Nutzung muß dem Eigentümer ein Zins, d. i. die Grundrente, gezahlt werden, die in vielen Fällen für alle folgende Zeit schon bei Abschluß des Vertrages fixiert wurde. Dies bezeugen unter anderem einige Beispiele aus den Jahren 1262, 1280, 1282: (1262) Constitutus coram consilio Reineco, filius domini Reimberti, profitebatur, quod ... ab ipso haberent aream unam ..., pro qua singulis annis XXIII solidi presentabuntur eidem .... Et hoc perpetuo stabit 278 ). (1280) Johannes filius domini Isern et ... resignauerunt aream suam ... Et de illa ... quattuor marcas pro censu areali perpetuo singulis annis dabunt 279 ). (1282) Recognovit Engelbertus ..., quod Volmarus de Cosfelde habeat in hereditate sua integrali ..., singulis annis III marcas census areali


277) Jakob Strieder: Zur Genesis des modernen Kapitalismus. Forschungen zur Entstehung der großen bürgerlichen Kapitalvermögen am Ausgang des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, zunächst in Augsburg. Leipzig 1904. S. 70.
278) MUB. II 957.
279) MUB. II 1516.
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perpetuo ... 280 ). Die Folge einer Fixierung der Grundrente war nun, daß mancher Patrizier, welcher seinen Grund und Boden unter dieser Bedingung veräußert hatte, in seiner wirtschaftlichen Existenz durch die dauernde Münzverschlechterung und durch " das bis in das 14. Jahrhundert hinein anhaltende Sinken der Kaufkraft des Geldes" 281 ) schwer geschädigt wurde. Größere Beträge brachte ihm die Grundrente nicht.

Diese Erwägungen lassen den Wahrscheinlichkeitsschluß zu, daß nicht Grundrente, sondern Handelsgewinn und Geldrente die ersten wesentlichen vermögenbildenden Faktoren in Rostock waren. Von einer entscheidenden oder gar ausschließlichen Bedeutung der Grundrente kann man nicht sprechen. Vielmehr scheint nach den vorhandenen Quellen der ältesten Zeit die Grundrente in Rostock nur untergeordnete Bedeutung für die Bildung des patrizischen Reichtums gehabt zu haben.

Das Verhältnis von Grundrente, Handelsgewinn und Geldleihe für die Entstehung der patrizischen Vermögen hat sich in späterer Zeit geändert. Dies möge eine Untersuchung über die Höhe der Gewinne, die der Handel, das Boden- und Geldgeschäft um etwa 1350 abwarfen, erweisen.

Die Möglichkeit, eine Vorstellung von der Rentabilität eines Rostocker Handelsgeschäftes dieser Zeit zu erhalten, bietet sich uns in dem von Koppmann veröffentlichten Handlungsbuch von Johann Töllner III. Dieses Buch verzeichnet in seinem ersten Teil die Geschäfte einer Handlungsgesellschaft, an der Johann Töllner II, Johann Töllner III, Arnold Koppmann und Edeler Witt in der Zeit von 1345 bis 1349 oder 1350 beteiligt waren 282 ). Die Tätigkeit der Sozietät bestand darin, Tuch in Flandern einzukaufen und dieses in Rostock und der Umgebung der Stadt wieder zu verkaufen 283 ). Der erste Einkauf der Gesellschaft erfolgte am 8. September 1345 284 ), der letzte datierbare wurde am 11. Juni 1349 abgeschlossen 285 ). Da nach diesem Termin noch ein weiterer Packen Tuch von der Gesellschaft verkauft wurde 286 ), ehe Johann Töllner III


280) MUB. III 1621.
281) Häpke a. a. O. S. 242.
282) Töll. Hdlgsb. S. IX.
283) Ebendort S. IX f.
284) Ebendort S. 1.
285) Ebendort S. XVII; Abschnitt VI Nr. 100; MUB. X 6974.
286) Verbucht im Hdlgsb. in Abschnitt VII.
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ausschied 287 ), darf man annehmen, daß sie ungefähr vier Jahre bestand. Während dieser vier Jahre setzte die Sozietät insgesamt 10 Packen Tuch ab 288 ). Über drei dieser 10 Packen fehlen leider jegliche näheren Angaben, von fünf dagegen sind Einkaufs-, Verkaufspreis und Gewinn feststellbar. Der erste Packen, bestehend aus 71 Tuchen, wurde von der Gesellschaft mit 697 Pfund 14 ß 6 (?PF) bezahlt 289 ); als Gesamterlös der Gesellschaft berechnet Koppmann, der Herausgeber des Handlungsbuches, 883 Pf. 290 ). Somit belief sich der Gewinn aus diesem Packen Tuch für die Sozietätsmitglieder auf 185 Pfund 1 ß 6 (?PF), d. i. 26 Prozent 290). Eine Übersicht über das Gesamtgeschäft der Sozietät, soweit es überhaupt erfaßbar ist, erhalten wir durch die nachstehende Tabelle 291 ):

Tabelle

Die Gesellschaft arbeitete also mit einem Gewinn, der zwischen 19% als Minimal- und 31% als Maximalgewinn liegt; hiernach würde der durchschnittliche Gewinn etwa 25% betragen haben.

Der zweite Teil des Handlungsbuches enthält nähere Vermerke über ein von Johann Töllner III allein betriebenes Handelsgeschäft 292 ). Töllner vertrieb in diesem Geschäft nicht nur Tuche, sondern u. a. auch Borden für Fenster, Böttcherholz, Hafer und Speck 293 ). Die ersten von ihm gebuchten, zeitlich


287) Ebendort. S. XVII.
288) Ebendort S. XVII.
289) Ebendort S. X.
290) Ebendort S. X.
291) Ebendort S. X ff. Die Tabelle ist aufgestellt nach Koppmanns Angaben.
292) Ebendort S. XVII f.
293) Ebendort S. II ff. Auch Vicko v. Geldersen beschränkte sich nicht auf den Tuchhandel, sondern führte in seinem Geschäft alle möglichen Waren: Bier, Fische, Flachs, Baumwolle, Fleisch- u. Fettwaren, Getreide, Hülsenfrüchte, Hopfen, Holzwaren, Honig, Kleidungs- (  ...  )
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bestimmbaren Schuldposten datieren aus dem Jahre 1346 294 ), der Einkauf des Böttcherholzes erfolgte 1348 295 ), weitere zeitlich nicht näher zu bestimmende Einkäufe folgten. Auf Grund dieser Vermerke darf man wohl annehmen, daß dieses auf eigene Kosten betriebene Geschäft Johann Töllners ungefähr in dieselben Jahre fällt, während welcher die Sozietät ihre Waren verkaufte. Danach würden sich Johann Töllners Eintragungen in das Handlungsbuch hier ebenfalls auf etwa vier Jahre erstrecken 296 ). Nicht von allen verkauften Waren ist der Gewinn Töllners feststellbar, sondern nur für das Böttcherholz und die englischen Tuche.

Das Holzgeschäft ist im Handlungsbuch in den Abschnitten XV und XVI verbucht. Aus diesen geht hervor, daß Johann Töllner insgesamt 1207 Faß Böttcherholz einkaufte und dafür eine Summe von 75 Pfund entrichtete. Verkauft wurden von ihm

Tabelle
297 ).

Hinzu kommen 400 Faß Holz, die ohne Angabe des Preises gebucht 298 ) sind. Rechnet man als Einnahme für diese 400 Hölzer 1/2 x 58 Pf. = 29 Pf., so ergibt sich für das Holzgeschäft eine Gesamteinnahme von 87 Pfund. Einen Überblick bietet nachstehende Tabelle:

Tabelle


(  ...  ) stücke, Metalle, Mineralien, Pelz- u. Lederwaren, Pferde, Schiffe u. Schiffsgeräte usw. Vgl. Nirrnheim, Vicko v. Geldernsens Handlungsbuch S. LIII ff.
294) Ebendort Abschnitt XIII.
295) Ebendort Abschnitt XV.
296) Vgl. S. 55/56.
297) Töll. Hdlgsb. Nr. 593, 594, 595, 596, 597, 598, 599, 600, 601.
298) Töll. Hdlgsb. Nr. 589/592.
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Eine Zusammenstellung über das Geschäft mit englischen Tuchen gibt Töllner im Abschnitt XIV seines Handlungsbuches. Danach kaufte er 103 1/2 Ellen englischen Tuches für etwa 13 Pf.; er mußte also für eine Elle 2 ß bezahlen. Töllner verkaufte die Elle durchschnittlich mit 2 ß 8 (?PF) 299 ), d. h. mit einem Gewinn von 33%. Wir erhalten demnach bei Johann Töllner einen Gewinn, der als Minimalgewinn beim Holzgeschäft 16%, als Maximalgewinn bei dem Geschäft in englischem Tuch 33% betrug. Als Durchschnittsprozent ergibt sich wie schon bei der Sozietät ein Gewinn von 25% 300 ).

Der Ertrag des Geldgeschäftes blieb hinter den Gewinnen, welche der Handel den Rostocker Patriziern einbrachte, erheblich zurück. Der Geldverleih trug dem Patrizier auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts etwa 10% Verdienst ein 301 ). So verzinste z. B. die Stadt eine Anleihe von 100 Mark, die sie vor dem Jahre 1373 bei Eberhard Beseler aufgenommen hatte, mit 10% 302 ), so erhielt Otbert Witt im Jahre 1320 für 30 Mark 3 Mark Zins, desgleichen Ludolf v. Gothland im Jahre 1343 für 240 Mark 303 ) 24 Mark Zins 304 ). Im Jahre 1344 erwarb Dietrich Horn gegen Verleihung von 600 Mark 10% Zinsen aus den Dörfern Zarnewanz, Roggentin, Gutendorf, Dänschenburg und Freienholz 305 ). Doch lassen sich aus den Urkunden auch zahlreiche Belege dafür bringen, daß die Zinsen weniger als 10% betrugen. Im Jahr 1363 z. B. borgte Gerwin Wilde 200 Mark, für die er nur eine Rente von 18 Mark bezahlte 306 ); im Jahre 1385 nahm die Stadt bei Gerhard Grenze eine Anleihe in Höhe von 1000 Mark zu 8% auf 307 ); 1395 verzinste sie ihm 1250 geliehene Mark mit ebenfalls 8% 308 ). Manchmal sank der Zinsfuß sogar unter 8%.


299) Ebendort. Nr. 560/588.
300) 25% ist auch ungefähr der durchschnittliche Gewinn, den Vicko v. Geldersen aus seinem Geschäft erzielen konnte. Beim Tuchgeschäft bewegten sich die Gewinne zwischen 9%, 12% und 25 1/8%, 29 3/5%. Vgl. H. Nirrnheim, Vicko v. Geldersens Hdlgsb. S. LXVIII.
301) Ein Zinssatz von etwa 10% war auch in anderen Städten üblich. Vgl. z. B. Richard Doebner, Studien zur Hildesheimischen Geschichte, Hildesheim 1902, S. 34 f.
302) MUB. XX 10409 (S. 249).
303) MUB. VI 4159.
304) MUB. IX 6273.
305) MUB. IX 6381.
306) MUB. XIV 8629 Note.
307) MUB. XX 11649.
308) MUB. XXII 12847.
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So zahlte Herzog Albrecht von Mecklenburg dem Giso von Halteren für eine Anleihe von 500 Pf. nur 6% Zinsen 309 ), und Johann Töllner erhielt für 1300 Pf., die ihm seine Frau als Mitgift eingebracht hatte, nur 92 Pf. Renten (7%) 310 ). Ein Zinsfuß über 10% wurde wohl meistens nur in Fällen dringender Not bewilligt. So heißt es zum Jahre 1313, daß Arnold und Heinrich Quast dem Heinrich Kurland 24 Mark Rente für 200 Mark verkauften 311 ). Mithin mußte Heinrich Kurland 12% Zinsen bezahlen; in der Regel brachte das Geldgeschäft den Patriziern 10% Zinsen. Der Gewinn war damit erheblich niedriger als derjenige, den der Handel abwarf.

Welche Bedeutung hatte endlich die Grundrente, die Verwertung von Häusern, Buden, Wiesen, Ackerhufen usw. für die Vermögensbildung patrizischer Familien? Ein Hindernis, welches ein entscheidendes Mitwirken der Grundrente am Bau der patrizischen Vermögen in den Jahrzehnten nach der Gründung der Stadt ziemlich unwahrscheinlich hatte erscheinen lassen 312 ), fiel im 14. Jahrhundert offenbar nicht mehr so stark ins Gewicht: Die Patrizier waren nicht mehr in dem gleichen Maße wie ehemals gezwungen, ihren Grund und Boden gegen eine verhältnismäßig niedrige Pacht zu veräußern. Die Gefahr, vom Landesherrn oder von der Stadt unterboten zu werden, schwand, je mehr Landesherr und Stadt ihren Grundbesitz aus finanziellen Gründen zu verkaufen genötigt waren. Viele ursprünglich landesherrliche bzw. städtische Hufen waren in den Besitz der Patrizier übergegangen. Schon war es keine Seltenheit mehr, daß ein Patrizier eine ganze Reihe von Häusern, Buden oder ländlichen Hufen sein Eigen nannte. So geht aus dem Testament von Arnold Koppmann im Jahre 1336 hervor, daß er zwei große Steinhäuser in der Stadt besessen, die verschiedensten Renten aus Häusern, Buden und Mühlen bezogen hatte und überdies Eigentümer der Dörfer Pastow, Broderstorf und Ademeshagen gewesen war 313 ). Johann Töllner I besaß drei Steinhäuser und eine Badestube 314 ); Heinrich Witt u. a. die Dörfer Broderstorf und Pastow, eine Kornmühle, einen Anteil von einer Walkmühle und mit seinem Bruder


309) MUB. X 6746.
310) Töll. Hdlgsb. Abschnitt XX.
311) MUB. V 3195 Note.
312) Vgl. S. 53 ff.
313) MUB. VII 5656.
314) Töll. Hdlgsb. S. III.
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zusammen zwei Häuser, sechs Buden und das Brauhaus 315 ), Gerwin Wilde endlich mit seinem Bruder ein Haus in der Krämerstraße, dazu eine Mühle, bis zum Jahre 1359 die Hälfte der Vogtei, seit 1367 ein Achtel des Dorfes Sildemow, seit 1373 ganz Kussewitz, seit 1375 Haus und Hof in der Schwaanschen Straße 316 ). Daß dieser oft recht beträchtliche Grundbesitz der Rostocker Patrizier Beiträge zum Vermögen steuerte, ist klar. Einmal sicherte er seinem Eigentümer den Bezug der Grundrente, die nicht mehr so stark wie früher durch die Rivalität anderer Großgrundherren gedrückt wurde; zum andern gab er den Patriziern Kreditmöglichkeiten für größere Handelsspekulationen. Die Rostocker Quellen enthalten in der Tat mannigfache Vermerke darüber, daß dieser oder jener Patrizier Teile seiner Liegenschaften gegen eine Rente verpfändete. Der gewährte Kredit wurde wahrscheinlich häufig zur Finanzierung einer Handelsunternehmung verwandt, nach deren Abschluß der verpfändete Besitz alsdann zurückerworben wurde. Durch Verpfändung eines Teiles ihrer Liegenschaften (einer "hereditas") erlangten z. B. Gerhard und Lambert Rode im Jahre 1352 einen Kredit von 165 Mark 317 ); die Einlösung erfolgte 1353 318 ). Im Jahre 1355 wiederholte sich derselbe Vorgang: Die beiden Brüder verpfändeten abermals ihre "hereditas" und lösten sie nach einem Jahr wieder ein 318). Im Jahre 1351 verkauften Johann Kyritz und Eberhard Vöge eine Rente von 16 Mark gegen einen Kredit von 200 Mark in einem Gebäudekomplex; auch hier wurde vereinbart, daß die Rente rückkäuflich sein sollte 319 ). Auch auf diese Art und Weise trug der Grund und Boden zur Vermehrung des patrizischen Vermögens bei.

Der entscheidende Faktor bei der Bildung und dem weiteren Ausbau der patrizischen Reichtümer war also offenbar der Handelsgewinn. Der Geldhandel steuerte gleichfalls zur Steigerung des Reichtums bei, wenn auch in bescheidenerem Maße; der Grund und Boden sicherte außer den Beträgen, die der Grundrente entstammten, wohl vor allem die Stetigkeit des


315) MUB. XXI 11750, 12047, 12231; XIX 11134 Note.
316) MUB. XIII 7917, 8056; XIV 8629; XVI 9680; XVIII 10463; XX 10733.
317) MUB. XIII 7682.
318) MUB. XIII 7682 Note.
319) MUB. XIlI 7484.
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Vermögens und damit die gleichmäßige Fortdauer der Stellung des Patriziats.

Die Patrizier vermochten mit Hilfe so hervorragender Einnahmequellen wie ihre Standesgenossen in andern deutschen Städten des Mittelalters große Reichtümer zu sammeln, deren Ausmaße nicht unterschätzt werden dürfen 320 ). Natürlich bestanden zwischen den Vermögen der einzelnen Patrizier oft recht erhebliche Unterschiede. Der intelligente und geschickte Kaufmann, der günstige Gelegenheiten rasch und richtig zu nutzen verstand, mußte ganz andere Werte schaffen können als ein nur durchschnittlich oder wenig begabter Handelsmann. Ein Typus des kaufmännisch begabten, in seinen Unternehmungen erfolgreichen Patriziers war in Rostock der Ratsherr Arnold Kröpelin. Er kaufte im Jahre 1350 das Dorf Kessin bei Rostock mit Hof und Mühle für 1600 Mark 321 ), erwarb 1352 zusammen mit drei andern Rostockern und seinem Bruder Lambert, dem Güstrower Dekan, Wahrstorf für 550 Mark 322 ). Er erwarb ferner 1354 ein Viertel einer Mühle, eine ganze Mühle mit sechs Last Getreide, Getreiderenten im Wert von 200 Mark, endlich ganz Deutsch-Kussewitz mit dem Hof Finkenberg, mit Mühle und Fischerei für die runde Summe von 2000 Mark 323 ). Im Jahre 1355 besaß er die Bede von Roggentin (pro Hufe 1 Mark), von Kokendorf, Finkenberg und der Hälfte des Dorfes Kussewitz, ein Objekt, das später mit 400 Mark eingelöst wurde 324 ). Gleichfalls 1355 beteiligte er sich an dem Kauf von acht Hufen und zwei Katen in Evershagen (pro Hufe 4 Mark, ein Topf Flachs, 1 1/2 Huhn), wofür insgesamt 622 Mark bezahlt wurden 325 ). Mit Lambert Kröpelin zusammen stattete er 1357 seine Nichte Irmgard mit 250 Mark und 100 Mark Silber aus 326 ), desgleichen 1365 seine Nichte Elisabeth mit 460 Mark bar und einer Rente von 14 Mark (an Stelle von 150 Mark) 327 ). Seine Renteneinkünfte konnte


320) Interessant und für den patrizischen Wohlstand bezeichnend ist es, daß in Hildesheim der Rat mehr als den sechsten Teil des Schosses der Altstadt aufbrachte. Vgl. Doebner a. a. O. S. 49.
321) MUB. X 7091, 7124.
322) MUB. XIII 7655, 7656.
323) MUB. XIII 7916, 7922, 7984, 8003.
324) MUB. XIII 8106.
325) MUB. XIII 8114.
326) MUB. XIII 7853 Note.
327) MUB. XV 9162.
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er 1357 um 127 1/2 Mark vermehren 328 ). Im Jahre 1359 machte er neue Käufe in Finkenberg, Deutsch-Kussewitz und Kessin in Höhe von 276 Mark 329 ), erwarb er neu eine Mühle vor dem Kröpeliner Tor 330 ). Im Jahre 1362 kaufte er eine Rente von 10 Mark aus dem Stadtzoll für 45 Mark 331 ); weitere 4262 Mark schuldete die Stadt ihm im Jahre 1364 332 ). Ein Jahr darauf kaufte er eine Badestube, eine Hausstätte und einen Brunnen mit Tropfenfall 333 ), im Jahre 1372 eine Walkmühle 334 ). In den Jahren 1370 und 1373 zahlte die Stadt ihm 250 Mark als Einlösung für verkaufte Renten 335 ). Im Jahre 1374 gab er eine Hypothek von 42 Mark Silber auf 2 1/2 Hufen, Hof und Grundstück in Bramow 336 ), im Jahre 1375 erhielten er und sein Sohn Lambert für 1300 Mark das Dorf Teschendorf mit der landesherrlichen Bede, mit dem Gericht und ohne die Verpflichtung zum Roßdienst als Pfand 337 ). Im gleichen Jahr bezogen sie für 250 geliehene Mark 18 Mark, das Gericht und die Bede in Evershagen 338 ). Im Jahre 1376 wurde die Kleinschmiedestraße sein Eigentum "cum omni proprietate et libertate, cum perpetuis redditibus" 339 ). Arnold Kröpelin beteiligte sich weiter am Kauf von Harmstorf, das 1378 für 1600 Mark von seinem Herrn verkauft wurde 340 ); im Jahre 1380 erscheint Arnold als Pächter von zwei Wiesen 341 ); im Jahre 1382 kaufte er ein Haus in der Langenstraße 342 ), 1383 den dritten Teil von Mönchhagen für 920 Mark 343 ), im Jahre 1384 19 1/2 Mark städtische Rente und das Dorf Bartelsdorf 344 ), im Jahre 1389 ein Viertel einer


328) MUB. XIV 8422.
329) MUB. XIV 8557.
330) MUB. XIV 8627.
331) MUB. XV 9034.
332) MUB. XV 9238.
333) MUB. XV 9358.
334) MUB. XVIII 10288.
335) MUB. XVI 10030; XVIII 10409 (S. 249).
336) MUB. XVIII 10595.
337) MUB. XVIII 10680.
338) MUB. XVIII 10798.
339) MUB. XIX 10901.
340) MUB. XIX 11100.
341) MUB. XIX 11247 (S. 467).
342) MUB. XX 11479.
343) MUB. XX 11545.
344) MUB. XX 11604.
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Walkmühle 345 ). Sein Rentenbesitz betrug, soweit er urkundlich überhaupt erfaßt werden kann, nach Ablauf von annähernd 40 Jahren fast 8900 Mark (in heutiger Währung schätzungsweise etwa 62000 Mark); sein Grundbesitz umfaßte die drei Dörfer Kessin, Deutsch-Kussewitz und Bartelsdorf, den dritten Teil des Dorfes Mönchhagen sowie mehr oder weniger große Teile der Dörfer Wahrstorf, Harmstorf und Teschendorf. Männer von ähnlichem hervorragenden kaufmännischen Talent scheinen die Rostocker Patrizier Johann Rode, Arnold von Gothland, Dietrich Holloger und Johann Töllner III gewesen zu sein. Das Testament des Rostocker Patriziers, Ratsherrn und späteren Bürgermeisters Johann Rode von 1349 vermittelt in anschaulicher Weise eine Vorstellung von den ungewöhnlichen Ausmaßen seines Vermögens. Seiner Frau vermachte er 60 Mark lüb. Rente aus dem Kloster Doberan und 600 Mark bares Geld, dazu drei silberne Becher, die Hälfte der silbernen Löffel, die Nutzung eines Hauses auf zehn Jahre, nach deren Verlauf sie alle "utensilia, que ad me perduxit, ... cum dimidietate . utensiliorum ..." ihres Mannes erhalten sollte, ferner eine Anzahl Renten aus den Dörfern Göldenitz und Niendorf, sowie jährlich 20 Aale aus der Warnow 346 ), deren Fischerei er für 1000 Mark erworben hatte 347 ); außerdem erhielt sie weitere 100 Mark, die sie zur Armenpflege verwenden sollte 346). Das Hauspersonal wurde mit insgesamt 30 Mark bedacht, die Kirche mit 720, die Nonnen im heiligen Kreuz mit 100 Mark, die Minoriten in St. Katharinen mit je 4 Sch.; kirchliche Beamte und Priester erhielten zusammen eine Summe von 16 Mark und 64 Sch. Für die Armenpflege wurden weitere 910 Mark sowie verschiedene Renten bereitgestellt. Die Ausgaben für sein Seelenheil hatte er mit 10 Mark eingesetzt, außerdem dafür verschiedene Geld- und Getreiderenten bestimmt. Seine Verwandten erbten insgesamt 3200 Mark und eine größere Zahl von Renten, Bekannte und Geschäftsfreunde erhielten 250 Mark, einige Schuldner eine Reduzierung ihrer Schulden um 50% 346). Der Patrizier Arnold Koppmann hinterließ bei seinem Tode (1336) 5650 Mark bar, 226 Mark Renten, zwei große Steinhäuser, eine Mühle, 7 1/2 Last Getreiderenten, 100 Mark Silber, verschiedene Buden


345) MUB. XXI 12109.
346) MUB. X 6983.
347) MUB. VII 4901; X 6788.
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in der Stadt und die Dörfer Pastow, Broderstorf und Ademeshagen 348 ). Die Testamente der Patrizier Arnold von Gothland (1351) und Dietrich Holloger (1351) enthalten Bestimmungen über etwas bescheidenere Summen. Arnold von Gothland verteilte in seinem Testament rund 1000 Mark in Form von Renten oder barem Geld, 20 Mark Silber, verschiedene Silbersachen und Kleidungsstücke, ein Schlachtroß und ein Pferd 349 ); der Rostocker Patrizier Dietrich Holloger konnte seinen Erben etwa 1400 Mark Rostocker, 60 Mark lüb., ein Haus mit Inventar, einen Hof mit zwei Buden, Silbersachen und ein Pferd hinterlassen; wie Johann Rode, so gewährte auch er verschiedene Schuldenerlasse 350 ).

Ein Einblick in den Besitzstand des Rostocker Patriziers Johann Töllner III wird sich ergeben, wenn wir den Versuch machen, das jährliche Mindesteinkommen dieses patrizischen Kaufherrn des 14. Jahrhunderts ungefähr zu bestimmen. Zu diesem Zweck bedienen wir uns wieder seines Handlungsbuches. Johann Töllner selbst gibt in Abschnitt XIX an, daß er als Mitgift seiner Frau bei der Hochzeit 1085 Pfund erhielt und davon 280 Pf. für die Hochzeitsfeier und die Brautkleider aufwandte. Es verblieben ihm demnach von der Mitgift rund 800 Pf. In Abschnitt XX des Handlungsbuches vermerkt Johann Töllner, daß ein Erbanspruch seiner Frau ihm weitere 1300 Pf. eintrug. Diese 1300 Pf. erhielt er aber erst in den Jahren 1350 oder 1351 351 ). Johann Töllner legte sie in Rentenkäufen an und bezog dafür eine jährliche Einnahme von 92 Pf., wie er im Handlungsbuch angibt 352 ). Ein Beleg dafür, daß er auch die ihm von den 1085 Pf. verbliebenen 800 Pf. zu Rentenkäufen benutzt hätte, läßt sich im Handlungsbuche nicht nachweisen. Man wird deshalb wohl annehmen dürfen, daß er diese 800 Pf. in seine Handlungsgeschäfte steckte. 362 Pf. gab er als seinen Anteil in die Sozietät, wie aus Abschnitt X Nr. 181 hervorgeht. Über die restlichen 438 Pf. läßt sich nichts Sicheres aussagen; vielleicht dienten sie als Betriebskapital des neben der Handelsgesellschaft betriebenen Handelsgeschäftes. In den Jahren 1346/1349 setzte sich das Jahreseinkommen Töllners,


348) MUB. VIII 5656.
349) MUB. XIII 7438.
350) MUB. XIII 7501.
351) Töll. Hdlgsb. S. VI.
352) Töll. Hdlgsb. Abschnitt XX.
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soweit es erfaßbar ist, aus den Überschüssen beider Geschäfte zusammen. In den Jahren nach seinem Ausscheiden aus der Sozietät, etwa seit dem Jahre 1350, wurde es gebildet aus dem Reingewinn des Einzelgeschäftes und der jährlichen Rente von 92 Pf. Für diese Zeit, die Jahre nach 1350, kann man Töllners jährliches Einkommen ungefähr bestimmen unter der Voraussetzung, daß Töllners Geschäftsgewinn, wie er aus dem Handlungsbuch für die Zeit von 1346 bis 1349 zu berechnen ist, in den folgenden Jahren sich nicht wesentlich verändert hat.

Die Einnahmen aus dem Handelsgeschäft verteilen sich auf das Tuch-, Borden-, Holz-, Hafer- und Speckgeschäft. Die Tuche wurden in der Regel nach Ellen verkauft; als ganze Ballen setzte er nur acht ab, und zwar:

Tabelle

Schnittweise konnte Töllner 1927 3/8 Ellen verkaufen; im einzelnen:

Tabelle
353 ).


353) Die Gesamtzahl der verkauften Ellen (1927 3/8) ist durch Zusammenzählen sämtlicher in den einzelnen Nummern des Handlungsbuches verbuchten Verkäufe und Ausschaltung aller doppelt und mehr (  ...  )
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Außerdem bezogen an Tuchen:

Tabelle
354 ) 355 ) 356 )

Der Tuchhandel brachte insgesamt eine Einnahme von 155 1/2 Pf., 694 Pf., 50 Pf. = 899 1/2 Pf.

Die Einnahme aus dem Holzgeschäft erreichte die Höhe von 87 Pf. 357 ). Der Bordeneinkauf umfaßte 90 Dtzd., etwa 70 Dtzd. sind als verkauft verbucht 358 ); bei einem Verkaufspreis von 8 ß pro Dtzd. 359 ) erzielte Töllner aus dem Bordengeschäft rund 35 Pf. Einnahme 360 ). An Hafer wurden 4 1/2 Last 14 Drömt zu 38 1/2 Pf. verkauft 361 ). Für den Speck ist der Verkaufspreis nicht bekannt; Töllners Ausgabe belief sich auf 29 Pf. 12 ß 362 ).


(  ...  ) erscheinenden Posten gewonnen worden; ebenso habe ich die Gesamteinnahme in Höhe von 11105 ß durch Zusammenzählen aller im Handlungsbuch vermerkten Verkaufspreise erhalten. Nach Koppmann (Hdlgsb. S. XXXIV) hatte zur Zeit des Handlungsbuches ein Pf. den Wert von 8 Mark, 1 ß den Wert von 50 Pfg. Es hatte 1 Pf. den Wert von 16 ß; demnach sind 11105 ß gleichzusetzen mit 694 Pf.
354) Töll. Hdlgsb. Nr. 266, 267, 273, 298, 302, 326, 327, 339, 341, 342, 351, 394, 403, 409, 412, 420, 452, 460, 461, 462, 463, 534, 535, 536, 569, 584, 633, 634, 640, 671.
355) Töll. Hdlgsb. Nr. 279, 297, 379, 693.
356) Töll. Hdlgsb. Nr. 417, 449.
357) Vgl. S. 57.
358) Töll. Hdlgsb. Abschnitt XII.
359) Töll. Hdlgsb. S. XXII.
360) Als Verkaufspreis für 70 Dtz. à 8 ß erhält man 560 ß, eine Summe, die nach Anm. 353 35 Pf. entspricht.
361) Töll. Hdlgsb. Nr. 706-711; Nr. 708 zeigt als Preis für 10 Drömt Hafer und Tuch 10 Pf. 12 ß. Nach Koppmann (Hdlgsb. S. XX) wurde ein Drömt im Durchschnitt mit 13 ß verkauft. Danach erhielt Töllner für die zehn Drömt Hafer allein 130 ß = 8 Pf. 2 ß. Als Gesamtsumme der in den Nummern 706, 707, 709/711 verbuchten Einnahmen ergibt sich 30 Pf. 6 ß, so daß Töllner Hafer für insgesamt 38 1/2 Pf. (8 Pf. 2 ß + 30 Pf. 6 ß) verkaufte.
362) Töll. Hdlgsb. Nr. 277, 283.
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Bei einem Gewinn von 25% 363 ) hätte Töllner also eine Einnahme von 37 Pf. gehabt.

Als Gesamteinnahme ergibt sich nunmehr: 899 1/2 Pf. aus dem Tuch-, 35 Pf. aus dem Borden-, 87 Pf. aus dem Holz-, 38 1/2 Pf. aus dem Hafer- und etwa 37 Pf. aus dem Speckgeschäft = insgesamt 1097 Pf. Verkaufte Töllner seine Waren im Durchschnitt mit 25% Gewinn, so hätte er in seinem Geschäft während der rund vier Jahre, die die Buchungen des Handlungsbuches umfassen, ungefähr 220 Pf. verdient. Für das Jahreseinkommen Töllners gewinnen wir demnach folgende zwei Posten:

        92 Pf. Einnahme aus Renten,
        55 Pf. Einnahme aus dem Geschäft,
__________________________________
Sa.: 147 Pf. Jahreseinkommen = etwa 150 Pf.

Nach Koppmann hatte zur Zeit des Handlungsbuches 1 Pf. in runder Rechnung den Wert von 8 Mk. 364 ). 150 Pf. würden also etwa 1200 RM. entsprechen. Eine Seite Speck kostete zu Töllners Zeit 14 ß = 7 Mk. Dieser Preis wird sich auf ein ausgemästetes Schwein bezogen haben, da man damals eine rationelle Schweinezucht wohl noch nicht kannte. Eine Seite Speck von einem ausgemästeten Schwein wird heute mit etwa 40 RM. bezahlt. Töllners 1200 RM. würden danach ungefähr dem sechsfachen Wert heutigen Geldes, etwa 7000 RM., entsprochen haben 365 ).


363) Vgl. S. 58.
364) Vgl. Anm. 353.
365) Ähnliche Untersuchungen hat H. Paasche für das 16. Jahrhundert gemacht. Auch damals noch vermochten einzelne Rostocker Bürger ganz beträchtliche Kapitalien in ihrer Hand zu vereinigen. So besaß z. B. ein gewisser Michel Berkholt "nicht weniger als fünf große Giebelhäuser und zwanzig Buden, d. h. zweistöckige Häuser ..". Das Vermögen eines anderen Bürgers, der eine Steuer von 158 Mark sundisch bezahlte, berechnet Paasche auf 158000 Reichsmark. "Dieser Krösus versteuerte" nicht weniger als drei große Giebelhäuser "mit den achterbeden und aller tobehoringe", ferner etwa 20 Buden, ein "orth" am Mittelmarkt, 1 Scheune mit Hof in der Stadt, 4 verschiedene Hopfenhöfe außerhalb derselben und 4 sog. "molenglinde". Wieder andere Bürger zahlten Steuern in Höhe von 107 Mark bzw. 95, 91, 82, 77 Mark. Vgl. H. Paasche, Die städtische Bevölkerung früherer Jahrhunderte. Nach urkundlichen Materialien aus dem Rats-Archive der Stadt Rostock; Jahrbücher f. Nationalökonomie und Statistik, hrsgg. von Johannes Conrad, Neue Folge, Bd. V, Jena 1882.
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Dieser Versuch, den Reichtum des Rostocker Patriziers in den Wert heutigen Geldes umzurechnen, kann jedoch im Bestfall nur einen Annäherungswert liefern, da die Kaufkraft des Geldes im 14. Jahrhundert nicht hinreichend bekannt ist und überdies manche wichtige Eintragung verloren gegangen sein wird. Indessen lassen auch die erhaltenen Quellen erkennen, daß das Vermögen zahlreicher Patrizier eine oft recht kostspielige Lebenshaltung gestattete. Bei Hochzeiten z. B. wurde bisweilen höchster Prunk entfaltet. Darauf weist schon die Tatsache hin, daß Arnold Koppmann in seinem Testament vom Jahre 1336 für die Hochzeit seiner Tochter Elisabeth 2000 Mk. bestimmte 366 ), daß weiter Johann Töllner für die Hochzeitsfeierlichkeiten 200 Pf. 367 ), für das Brautgewand außerdem 80 Pf. verausgabte 368 ). Das Hochzeitsgewand der Braut wird in einzelnen Fällen sogar aus dem damals sehr teuren Scharlach gefertigt gewesen sein. Liseke Horn z. B. empfing von ihrem Bruder Dietrich für ihre Hochzeit ein paar Kleider aus Scharlach 369 ). Ebenso legten die Patrizier offenbar großen Wert auf ein stattliches Alltagskleid. Eine Kleiderordnung ist für Rostock zwar erst für spätere Zeit (1587) überliefert 370 ). Ob im 14. Jahrhundert schon Bestimmungen über Kleider getroffen waren, muß dahingestellt bleiben. Unterschiede in der Kleidung der Patrizier und der übrigen Einwohner Rostocks bestanden indessen bereits. Aus Johann Töllners Handlungsbuch läßt sich erkennen, daß die teuersten Stoffe in der Regel von den Patriziern, die billigen von den Handwerkern gekauft wurden. Nur selten bezahlte der Handwerker die Elle mit 10 (ß) und mehr, das ganze Handlungsbuch enthält elf Fälle 371 ), in denen Töllner an Handwerker Tuche dieser Preislage verkaufte. Den Scharlach kaufte Johann Töllner wohl nur zur "Befriedigung des eigenen Bedarfes" 372 ). Die Patrizier bezogen vornehmlich die nächst teueren Tuche, wie etwa langes Genter und Brügger Tuch 373 ).


366) MUB. VIII 5656.
367) Töll. Hdlgsb. Nr. 736.
368) Töll. Hdlgsb. Nr. 735.
369) MUB. VIII 5071.
370) Vgl. Lisch II a. a. O. S. 255 ff.
371) Töll. Hdlgsb. Nr. 505, 615, 426, 306, 319, 652, 437, 481, 485, 492.
372) Töll. Hdlgsb. S. XXXIV.
373) Töll. Hdlgsb. Nr. 357, 635, 502, 427 usw.
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Der Patrizier besaß auch bisweilen Schmucksachen aus Silber oder Gold, die man damals vermutlich nicht gerade häufig in Rostock sah. Johann Rode vermachte in seinem Testament 1349 seiner Frau u. a. zwei bessere silberne Becher, ihren eigenen silbernen Becher und die Hälfte aller silbernen Löffel 374 ). Arnold von Gothland überwies 1351 testamentarisch seinem Sohn Arnold u. a. einen goldenen Gürtel, 2 silberne Krüge, 5 goldene Ringe und Geschmeide, seinem Sohn Ludolf 5 goldene Ringe, einen silbernen Gürtel, 9 silberne Löffel und 2 silberne Krüge 375 ). Johann Horn war 1392 Eigentümer von einer silbernen Scheibe, 18 silbernen Knöpfen und nochmals 31 1/2 silbernen Knöpfen 376 ). Dietrich Holloger hinterließ an Schmucksachen 3 silberne Schalen, einen silbernen Gürtel, ein silbernes Messer und 4 silberne Löffel 377 ).

Dem Zuschnitt eines patrizischen Haushalts entsprach der Bestand an dienendem Personal. Die Quellen verzeichnen u. a. folgende Fälle: Johann Rode hatte 2 Diener, 2 Mägde und 1 Koch 378 ), Lambert Witt 2 Diener und 1 Magd 379 ), Arnold von Gothland 2 Diener, 1 Magd und 1 "scolaris" 380 ), Dietrich Holloger hielt 1 Diener und 1 Magd 381 ), Johann Töllner 1 Diener, 1 Magd, 1 Koch, 1 Wandscherer und 1 Kleriker 382 ).

Die Tatsache, daß die Patrizier über Reichtum verfügten, erhellt ferner aus Schenkungen an die Kirche. Viele Patrizier, selbst die weniger reichen, wandten der Kirche oder ihren Organisationen irgendwelche Stiftungen zu. In den Testamenten wurden Dotationen und Spenden ausgesetzt: Pfarrer, Kapellane, Klöster und Mönche, Arme und Kranke wurden bedacht 383 ).


374) MUB. X 6983.
375) MUB. XIII 7438.
376) MUB. XXII 12416 Note.
377) MUB. XIII 7501.
378) MUB. X 6983.
379) MUB. XVI 9945.
380) MUB. XIII 7438.
381) MUB. XIII 7501.
382) Töll. Hdlgsb. Nr. 368, 322, 326, 271, 395, 680.
383) Es mag wohl allgemeine Sitte gewesen sein, "in den Testamenten der Armen und Kranken zu gedenken und ihnen irgendeine kleine Geldsumme zum Heil der eigenen armen Seele auszusetzen" (Ahrens a. a. O. S. 46); häufig genug aber erreichten diese Stiftungen, insbesondere die der reichen Patrizier, derartige Ausmaße, daß man in solchen Fällen wohl weniger eine mildtätige Gesinnung als treibenden Faktor ansehen darf als das Streben, den Glanz und die Ehre der Familie zu erhöhen.
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In dem Testament von Johann Rode erhielt die Kirche insgesamt eine Summe von 800 bis 900 Mk. 384 ).

Auf ausgezeichnete wirtschaftliche Verhältnisse weisen endlich, und nicht zuletzt, die recht ansehnlichen Mitgiften hin, die eine Patriziertochter bei ihrer Heirat von Eltern und Verwandten empfing, sowie die Abfindungen, die die Kinder erster Ehe bei Wiederheirat des Vaters oder der Mutter erhielten. So brachte Oda Alkun, die Tochter des Rostocker Ratmannes Vicke Alkun, bei ihrer Hochzeit im Jahre 1373 ihrem Mann, dem Lambert Kröpelin, "pro dote sua" 1105 Mark bar, eine goldene Spange im Wert von 50 Mk., 26 Mk. Rente aus städtischen Wiesen in Warnemünde u. a. m. 385 ). Die Mitgift, welche Walburg, die Witwe des Ratmanns Matthias Hoffmann, im Jahre 1399 ihrem zweiten Mann verschreiben ließ, setzte sich zusammen aus einem Haus in der Kosfelder Straße, zwei Häusern in der Kröpeliner Straße, zwei Buden vor St. Petri, der Hälfte von einem Eckhaus und drei Buden am Mittelmarkt, aus 300 Mk., für die 20 Mk. Rente erworben wurden, weiteren 225 Mk. und der Hälfte aller Renten, die sie aus der Köhlerei in der Heide bezog, aus 650 Mk., die Matthias Hoffmann im Rostocker Gericht besaß, und 10 Mk. Rente aus Einnahmen des Stadtrates 386 ).

Eine solche herrenmäßige Lebensführung hätten sich die Patrizier nicht leisten können, wären sie noch von dem bloßen Streben nach "Nahrung" beherrscht gewesen. Mochten auch die zu Zünften zusammengeschlossenen Handwerker Rostocks den Ideen der Bedarfsdeckungswirtschaft huldigen, in der patrizischen Oberschicht der Stadt herrschte bereits ein Wirtschaftsgeist, der durch rücksichtsloses Gewinnstreben bestimmt war. Sehr deutlich geht diese Tatsache aus den erhaltenen Urkunden hervor. Die Patrizier kauften Äcker, Wiesen und Gärten, Verkaufsstände, Wechselbuden und Badestuben, Dörfer und Güter, ganz oder teilweise, Mühlen und Häuser oder Anteile davon, ganze Gebäudekomplexe; sie pachteten Zölle, Steuern und Liegenschaften aller Art; sie liehen Geld in jeder nur möglichen Höhe und zu jedem annehmbaren Zinsfuß. Jedes Wertobjekt war ihnen willkommen, jede Verdienstmöglichkeit er-


384) MUB. X 6983; 800 Mark stellen in heutiger Währung einen Wert von rund 5000 RM. dar. Vgl. S. 63.
385) MUB. XVIII 10416.
386) MUB. XXIII 13426.
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griffen sie; angesehene und einflußreiche ebensowohl wie auch weniger wohlhabende Patrizier. Die patrizischen Großkaufleute des 14. Jahrhunderts trieben nicht Bedarfsdeckungswirtschaft, die nach W. Sombart für das Wirtschaftsleben des Mittelalters charakteristisch ist, sondern teilweise eine Erwerbswirtschaft großen Stiles.


Kapitel IV.

Die soziale Stellung des Rostocker Patriziats.

In den mittelalterlichen Städten Deutschlands gelangte bekanntlich der Rechtssatz zur Anwendung: Stadtluft macht frei; der Hörige, welcher Bürger geworden war, wurde durch seinen Aufenthalt in der Stadt nach Jahr und Tag frei. Es wurden also abweichend von der Entwicklung auf dem platten Land, wo mitunter der Grundsatz: Luft macht unfrei, anerkannt wurde 387 ), Standesausgleichung und Beseitigung der Unfreiheit zur bestimmenden Tendenz der mittelalterlichen Stadtentwicklung. Indessen ist es auch in den Städten damals nicht zur Bildung eines einheitlichen Bürgerstandes 388 ) gekommen. Die spätmittelalterliche Stadtgemeinde kannte zwar keine Geburtsunterschiede, wohl aber Gegensätze nach "Beruf und Besitz" 389 ), Gegensätze, die um so stärker zum Vorschein kamen, je mehr die Bürgerschaft einer Stadt sich vergrößerte. Denn da jede an Umfang zunehmende soziale Gruppe den Gesetzen der wachsenden Differenzierung der ihr angehörenden Glieder unterliegt 390 ), mußten sich innerhalb der Gesamtbürgerschaft einer Stadt Unterschiede in der sozialen Geltung der einzelnen Stände mehr und mehr herausbilden.

Man darf deshalb als sicher annehmen, daß während des 13. und 14. Jahrhunderts in Rostock keineswegs eine "ideale


387) Vgl. Gerh. Seeliger, Ständische Bildungen im deutschen Volk, Rektoratsrede, Leipzig 1905, S. 27.
388) Seeliger a. a. O. S. 28.
389) Rudolf Sohm, Die Entstehung des deutschen Städtewesens, Leipzig 1890, S. 15; R. Kötzsche a. a. O. S. 576.
390) Horst Jecht, Studien zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte, Vierteljahrschrift f. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte XIX, Stuttgart 1926, S. 71.
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Harmonie sozialer Ordnung 391 ) geherrscht hat. Vielmehr besteht große Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Ansehen des Patriziats damals ein weit größeres war als das des Handwerkerstandes. Die gewerbliche Arbeit konnte infolge der Zunftbestimmungen damals, wenn überhaupt, so doch nur geringe Profite abwerfen, die Patrizier aber betrieben besonders im 14. Jahrhundert einen äußerst lebhaften und gewinnbringenden Handel. Während also die Zunftverfassung den Handwerker in der freien Entfaltung seiner Fähigkeiten hemmte, vermochte der geschäftstüchtige Patrizier mit Hilfe des Handels und der Geldleihe ganz beträchtliche Kapitalien zu sammeln. Er stand an führender Stellung im Wirtschaftsleben des städtischen Gemeinwesens. Erhebliche Unterschiede werden in der Vermögenslage zwischen Patriziern und Handwerkern bestanden haben. Schon aus dieser Tatsache ergibt sich, daß auch die soziale Stellung des Rostocker Patriziers eine weit bessere war als die des Handwerkertums, denn gerade das Ökonomische war in jenem längst vergangenen Zeitalter ein gesellschaftsbildendes Moment von ausschlaggebender Bedeutung.

In gleichem Maß geeignet, die soziale Stellung der Patrizier zu heben und die Differenzierung der Bürgerschaft Rostocks zu vergrößern, waren die politischen Verhältnisse in der Stadt. Die Patrizier waren die politischen Führer der städtischen Gemeinde, die Handwerker die Beherrschten. Nur die Patrizier bekleideten in der Regel die Würde eines Ratsherrn, in der Hand von Patriziern befanden sich die verschiedenen Ratsämter 392 ). Mußten sie auch im 13. Jahrhundert mit den Landesherren die politische Leitung Rostocks teilen, so konnten sie doch seit etwa 1325 die Geschicke der großen mecklenburgischen Ostseestadt fast ausschließlich nach ihrem Ermessen leiten. Macht und Einfluß aber im politischen Leben der Stadt werden ihnen Ansehen und Ehren gebracht haben, sowohl innerhalb der Gesamtbürgerschaft als auch bei den ständischen Gewalten der näheren und ferneren Umgebung.

Die Tatsache, daß die Patrizier der Stadt ein größeres Ansehen besaßen als die Handwerker, kann nach der urkundlichen Überlieferung nicht angezweifelt werden. Schon die Benennungen 393 ), die die Rostocker Patrizier in den Urkunden


391) Seeliger a. a. O. S. 29.
392) Vgl. Kap. I S. 10 ff.
393) Vgl. Kap. I S. 13 ff.
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des 13. und 14. Jahrhunderts erhielten, zeigen deutlich, daß die Patrizier in der Stadt, beim Landesherrn, bei Rittern und Geistlichen eine vor den übrigen Bürgern bevorzugte Stellung einnahmen. "Discreti viri", "seniores, prudentes", "beshêdene lude", "de uppersten borghere" werden sie in Urkunden genannt 394 ). Im Unterschied von den einfachen Bürgern, den "cives" 395 ), "der mênheit", denen solche auszeichnenden Titel in der Regel nicht gewährt wurden. In andern Städten heißen die Patrizier auch familiares, dilecti cives 396 ) oder domicelli (Junker) 397 ). Die Bezeichnung Junker oder Stadtjunker läßt sich im 13. und 14. Jahrhundert in Rostock noch nicht nachweisen. Erst im 15. Jahrhundert taucht in den Quellen der Name Junker oder Stadtjunker auf. Diese Bezeichnung erhielten damals die Mitglieder der Schützengesellschaft des Wieker Gelages. Vereinigt waren in dieser Gesellschaft die sogenannten Wiekfahrer, diejenigen Kaufleute der Stadt, die "nach Norwegen, insbesondere nach Oslo und Tönsberg" Handel trieben. Da diese Schützengesellschaft "offenbar die vornehmste und vermutlich auch die älteste" war, darf man wohl annehmen, daß ihre Mitglieder zum guten Teile, vielleicht sogar ausschließlich Angehörige des städtischen Patriziats waren 398 ). Die gleichen Bezeichnungen kehren wieder in zwei Aufzeichnungen in der Matrikel der Rostocker Landfahrer u. Krämer-Kompagnie in den Jahren 1624 und 1625 399 ). In dieser Zeit soll nach Lisch in Hochzeits- und Leichenprogrammen auch der Titel Patrizier vorkommen 400 ). Auf einen andern Unterschied zwischen Patriziern und Bürgern ist bereits hingewiesen; die Patrizier als die vornehmen Bürger der Stadt zeichneten sich wahrscheinlich schon im 14. Jahrhundert durch reichere Kleidung


394) Vgl. auch Lisch I a. a. O. S. 172.
395) Der in urkundlichen und literarischen Quellen hin und wieder auftretende Name "burgensis" ist meistens nur bei Patriziern angewandt worden. Vgl. dazu MUB. XII Sachregister unter "burgensis": "Es ist indessen so, daß jeder burgensis civis, nicht aber jeder civis burgensis ist."
396) Vgl. Ohlendorff a. a. O. S. 64.
397) Vgl. Wehrmann I S. 109; Wehrmann II S. 296; Keller a. a. O. S. 397.
398) Karl Koppmann, Die Rostocker Schützengesellschaften, Rostocker Zeitung, Jahrgang 1892, Nr. 247, 255, 259; auch gedruckt BGR. IV, 3.
399) Vgl. Lisch I S. 181.
400) Lisch I S. 182.
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vor den einfachen cives aus 401 ). Ihr Reichtum gestattete ihnen so manchen Luxus, den der Handwerker sich nicht leisten konnte. Eine rechtsgültige Verordnung über den Aufwand, den die einzelnen Stände in Rostock treiben durften, stammt allerdings erst aus dem 16. Jahrhundert. Nur den Bürgermeistern, den Ratmannen und andern, "so von Geschlechtern seien", gestattete die Kleiderordnung vom Jahre 1587, "der Stadt zu Ehren und ihres Standes halber Kleider mit Mardern, Wölfen, Füchsen und anderem Futter gefüttert und mit Sammite verbremet" zu tragen. Die gleiche Ordnung bestimmte ferner, daß Personen "furnehmen standes" nicht über 40, Personen "mitteln standes" nicht über 30 und Personen "geringern standes" nicht über 20 Hochzeitsgäste einladen dürften 402 ). Leider läßt sich auch dieses Vorrecht der Patrizier vor 1400 noch nicht quellenmäßig belegen. In manchen andern deutschen Städten war es ferner ein Standesvorrecht der Patrizier, ihre Festlichkeiten im Rathaus oder Ratskeller begehen zu dürfen 403 ). Ob dieses Recht, Tanzereien, Hochzeiten, Festschmäuse im Rathaus feiern zu dürfen, in Rostock allen Mitgliedern des städtischen Patriziats zustand, läßt sich mit den erhaltenen Quellen nicht sicher beweisen. Das Rostocker Weinbuch von 1382 bis 1391, "ein Rechnungsbuch", das "Präsente an Wein, Bier, Met und Spezereien verzeichnet" 404 ), enthält nur Vermerke darüber, daß Rostocker Ratmannen und ihre Damen das Rathaus zu geselligen Zwecken benutzten. Das Weinbuch überliefert in Nr. 1193, daß den "honestis dominis et dominabus corisantibus in theatro" von der Stadt ein Stübchen Wein als Geschenk gestiftet wurde 405 ).

Die Dürftigkeit des Quellenmaterials, in dem Kulturgeschichtliches aus dem mittelalterlichen Rostock weit weniger überliefert ist als Rechts- und Verfassungsgeschichtliches, macht es unmöglich, Einzelheiten über weitere in Friedenszeiten von den Patriziern beanspruchte und von der großen Masse der einfachen cives wohl auch anerkannte Standesvorrechte zu


401) Vgl. Kap. III S. 68. Auch die Kleiderordnungen anderer Städte stellten die Geschlechter nicht in die Reihe der einfachen cives; vgl. z. B. für Nürnberg J. Meyer a. a. O. S. 69 ff.
402) Lisch II S. 254 ff.
403) So z. B. in Lübeck. Vgl. Wehrmann II S. 309.
404) Weinb. S. VIII.
405) Weinb. S. 47.
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bringen. Es kann nur darauf hingewiesen werden, daß die Patrizier z. B. in Nürnberg auch das Recht hatten, bei Tanzfestlichkeiten den Vortritt zu erhalten 406 ), daß in Hildesheim "die Junker, die Söhne der Ratsgeschlechter", in der Pfingstzeit an den Feiertagen im Rathaus auf und unter der Laube zum festlichen Mahl vereinigt waren 407 ), daß in Lübeck bei der Hochzeit eines Patriziers der Spielgräfe des Rats mit seiner Musik dem Hochzeitszug voran zur Trauung in die Kirche zog und einen künstlich bearbeiteten silbernen Stab trug, der nur für die Hochzeiten von Mitgliedern der Zirkelgesellschaft bestimmt war 408 ).

Dagegen läßt es sich quellenmäßig nachweisen, daß man den Rostocker Patriziern auch in Kriegszeiten mancherlei Auszeichnungen zugestand. Mitglieder des Patriziats waren es wohl meistens, die die Schiffe und Kriegshaufen ihrer Heimatstadt hinausführten vor den Feind, die an verantwortungsvoller Stelle die militärischen Operationen der Bürgerschaft leiteten und in eroberten Gebieten die Belange Rostocks vertraten 409 ). So wurden auf der Versammlung der Hansestädte Lübeck, Stralsund, Stettin, Greifswald, Wismar und Rostock, die am 15. März 1368 in Rostock stattfand, die beiden Patrizier Johann von Baumgarten und Johann Nachtrabe zu "capitaneos" der Rostocker Schiffe bestellt 410 ); so war der Patrizier Nicolaus von Schutow Rostocker Vogt auf Schonen (1370) 411 ); so waren die beiden Patrizier Friedrich Sunderland und Johann Kahl, wie der Hanserezeß vom Jahre 1364 berichtet, im Krieg gegen Dänemark Befehlshaber je eines Schiffes 412 ); so war 1366 der Patrizier Friedrich Sunderland Rostocker Kommandant auf Schonen 413 ). Johann von der Aa 414 ), Heinrich Frese 415 ) und Bernhard Koppmann 416 ) erscheinen in den Ur-


406) J. Meyer a. a. O. S. 61.
407) Richard Doebner a. a. O. S. 53.
408) Wehrmann I S. 117; Wehrmann II S. 339 f.
409) Dietrich Schäfer. Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark, Hansische Geschichte bis 1376, Jena 1879, S. 293 ff.
410) MUB. XVI 9761.
411) MUB. XVI 10011.
412) Karl Koppmann, Die Rezesse und andere Akten der Hansetage von 1256 bis 1430, Leipzig 1870, Nr. 311, S. 267.
413) MUB. XV 9400 (3).
414) MUB. XXII 12509.
415) MUB. XIII 7898 (S. 443).
416) MUB. XIII 7898 (S. 443).
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kunden als Hauptleute. Als Leiter der kriegerischen Unternehmungen Rostocks und Führer der städtischen Streitkräfte gegen auswärtige Feinde zogen die Patrizier doch wahrscheinlich wie der Ritter hoch zu Roß ins Feld 417 ). Man wird dies annehmen dürfen, wenn auch urkundlich nur von einem Patrizier, von Arnold von Gothland 418 ), belegt werden kann, daß er ein Schlachtroß zu seinen Lebzeiten besessen hatte.

So groß und so verschiedener Art indessen die Vorrechte und Ehrungen der Rostocker Patrizier in der Stadt gewesen sein mochten, von den wichtigen Bürgerpflichten waren auch sie nicht befreit. Wie der einfache civis, so zog auch der Patrizier zum Kampf hinaus, wachte wie dieser über der Sicherheit der Stadt. Wie in Wismar beruhte wohl auch in Rostock das städtische Heerwesen in dieser Zeit noch auf der allgemeinen Wehrpflicht der Bürger 419 ). Zu Wachdiensten z. B. wurden selbst Ratmannen der Stadt herangezogen, Befreiungen wurden nur sehr selten und ungern gewährt 420 ). Keine Urkunde überliefert schließlich, daß die Patrizier etwa Steuerfreiheit für ihren Grundbesitz gehabt hätten. Im Gegenteil, aus einer Urkunde vom Jahre 1367 kann man folgern, daß auch von ihnen Steuern und Abgaben an die Stadt entrichtet wurden. In diesem Jahr kauften zwei Angehörige eines einflußreichen Patriziergeschlechts, die Brüder Heinrich und Ludwig Kruse, einige städtische Grundstücke. Ausdrücklich ist in dem über diesen Kauf niedergeschriebenen Vertrag erwähnt, daß die beiden Brüder diese Liegenschaften "liberas", d. i. frei von Wacht- und Steuerdiensten, besitzen sollten 421 ).

Aber nicht nur in der Stadt, nicht nur von der "mênheit" der Bürger wurden die vom Patriziat beanspruchten Vorrechte anerkannt, auch die außerstädtischen ständischen Gewalten waren bereit, den Patriziern eine Vorzugsstellung zuzuerken-


417) Es sei darauf hingewiesen, daß die Lindauer Patrizier Kriegsdienste zu Pferde leisteten, die acht Zünfte aber zu Fuß marschierten. Vgl. Keller a. a. O. S. 426 f.
418) MUB. III 7438.
419) Techen, Gesch. Wismars a. a. O. S. 40; Schröder-v. Künsberg S. 697.
420) Ahrens a. a. O. S. 28 f.
421) MUB. XV 9303 Note. Vgl. auch Keyser a. a. O. 13: Das Schoß wurde (in Danzig) erhoben von allen, die in der Stadt Vermögen besaßen: Soziale Stellung, Geschlecht, Alter, Beruf befreiten nicht.
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nen, sie vor den Handwerkern auszuzeichnen. Fürsten und Ritter gebrauchten, um ihr Luxusbedürfnis befriedigen zu können, oft das Geld des städtischen "Kapitalisten". Es ist ja bekannt, daß selbst die Könige von England, Norwegen und andern Ländern den Patriziern der deutschen Städte mit bisweilen recht beträchtlichen Summen verschuldet waren. Die Patrizier wiederum erhielten von Fürsten und Rittern Zugeständisse anderer Art. Häufig nahm ein Fürst einen Patrizier als seinen Lehnsmann an 422 ), erwies ihm damit gleiche Ehren und Auszeichnung wie seinen ritterlichen Vasallen. Häufig auch heiratete ein Ritter eine Patrizierin oder gab seine Tochter einem Patrizier zur Ehefrau, erkannte so den Patrizier als ebenbürtig an. An andern Orten wieder erreichte der Patrizier Aufnahme in eine Turniergenossenschaft, auch wohl in einen Ritterorden, empfing sogar manchmal den Ritterschlag 423 ), oder es wurde einer Patrizierin der Zutritt zu irgendeinem angesehenen, bisher vom Rittertum für sich allein beanspruchten Stift gewährt.

So waren in dieser und jener Gegend Deutschlands die Beziehungen zwischen den ritterlichen und patrizischen Familien durchaus freundschaftlich, gestaltete sich der Verkehr zwischen diesen beiden Ständen in zwangloser Weise. Vielfach mochten wohl finanzielle Beweggründe das Rittertum zu einem Entgegenkommen dem damals mächtig sich entwickelnden Patriziat gegenüber bestimmen, vielleicht zu einem Entgegenkommen gewissermaßen zwingen. Man kann jedoch auch verschiedene Momente anführen, die dem Ritter die Zugeständnisse, die er machte oder machen mußte, erheblich erleichterten. Der Patrizier leistete wie der Ritter Kriegsdienst mit Streitroß und Knechten; er besaß wie jener Dörfer und Höfe, oft in großer Zahl, konnte so wie jener in die Stellung eines fürstlichen Lehnsmannes gelangen. Hier und da ahmte der Patrizier die Lebensgewohnheiten des Ritters nach, indem er ritterliche Waffenspiele zu pflegen begann und statt oder neben der einfachen Hausmarke ein Wappen führte 424 ). Andererseits zogen


422) Vgl. S. 78 ff.
423) Als Ritter erscheint z B. Johann Rodekogel, Sohn eines wismarschen Patriziers (1326). Vgl. G. C. F. Lisch, Zur Geschichte der Deutsch-Ordens-Comthurei und des Patriziats zu Wismar, MJB. XV, Schwerin 1850. S. 171.
424) Vgl. S. 78 ff.
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Ritter häufig in die Stadt 425 ), widmeten sich dort dem Kaufmannsstande; ritterliche Frauen und Jungfrauen wählten eine Stadt als Aufenthaltsort, da sie hier besser als auf dem Lande Schutz und Sicherheit genossen 426 ). Die Lebensweise manchen Patriziers unterschied sich nicht mehr sonderlich von der des Ritters; Wappen-, Turnier-, Lehns- und Stiftsfähigkeit, bisher ausschließlich Standesvorrechte des Fürsten- und Rittertums 427 ), wurden bisweilen auch von den städtischen Patriziern erlangt. Es gibt jedoch auch dafür Beispiele, daß man das Patriziat von Domstiftern und Ritterorden ausschloß, es überhaupt als einen dem Rittertum sozial untergeordneten Stand betrachtete 428 ). Auch die Patrizier waren bisweilen von einem solchen Mißtrauen gegen das Rittertum oder einzelne Glieder dieses Standes erfüllt, daß sich Beziehungen überhaupt nicht oder nur schwer anbahnen konnten 429 ). Die Verhältnisse waren also in den verschiedenen Städten Deutschlands nicht gleichartig.

Die Nürnberger Patrizier 430 ) waren im Mittelalter wie die Ritter lehnsfähig, einzelne von ihnen erhielten sogar den Ritterschlag. Eine "eigentliche Stiftsfähigkeit des Nürnberger Patriziats" bestand indessen nicht; das Patriziat schuf sich eigene, minderprivilegierte Stellen. Ebenso galt die Turnierfähigkeit der Patrizier nur in beschränktem Maße. Wie in


425) Beispiele dafür, daß ein Ritter Bürger einer Stadt wurde, bringt Roth v. Schreckenstein; er erwähnt z. B. "Hugo miles, civis Constantiensis, vulgo dictus de Biunde (1210), Luduwicus, miles dictus de Munzingen, civis Freiburgensis (1250)" u. a. m. Ritterwürde a. a. O. S. 470.
426) Heinrich Ernst, Mecklenburg im 13. Jahrhundert, Kap. I: Die Vasallen, Realprogymnasium zu Langenberg, Jahresbericht über das Schuljahr 1893-94, Langenberg 1894, S. 23.
427) Vgl. z. B. Roth v. Schreckenstein, Das Patriziat a. a. O. S. 536.
428) Schlechtem Einvernehmen zwischen beiden Ständen verdankt folgendes Spottgedicht auf die Patrizier seine Entstehung:
     sein siegel macht er groß und schwere
     mit einem herrlichen schein
     Der Adel kumpt im here
     Aus India über mere
     von Muscaten und Negelein.
Abgedruckt bei Roth v. Schreckenstein, Das Patriziat a. a. O. S. 513.
429) So war es zeitweise in einigen Städten den Rittern verboten, in der Stadt oder in ihrer Nähe zu wohnen, z. B. in Freiburg und Hamburg. Vgl. Foltz a. a. O. S. 88 und Seelig a. a. O. S. 22.
430) J. Meyer a. a. O. S. 37 ff.
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der Stiftsfähigkeit, so erlangten die Patrizier auch in diesem Punkt keine vollständige Gleichstellung mit dem Rittertum. "Die Ehre des Patriziats ist demnach adelsartig, aber nicht volladlig." Auch die Breslauer Patrizier 431 ) besaßen die passive Lehnsfähigkeit, d. h. sie konnten in die Stellung eines fürstlichen Lehnsmannes gelangen. Wie in Nürnberg, so erhielten auch in Breslau Patriziersöhne den Ritterschlag und waren damit turnierfähig. Das Patriziat als solches aber war wohl erst seit dem 16. Jahrhundert aktiv an den Turnieren beteiligt. Die Patrizier waren weiter siegel- und wappenfähig, gelangten zu Dom- und Chorherrnpfründen und heirateten häufig in ritterbürtige Familien hinein. Das Dortmunder Patriziat wieder war "dem niederen Adel nicht unebenbürtig" 432 ). Es war "den Geschlechtern unbenommen, als freie Vasallen Lehen zu empfangen ..." 433 ). Im Kriegsfall leisteten die Patrizier Dienst mit Pferden und Knechten 434 ). "Verschwägerungen zwischen dem Patriziat und dem Landadel" sind dagegen nur spärlich überliefert 435 ). Auch läßt sich vor 1400 kein Ratsherr nachweisen, "der zu einer landadeligen Familie gerechnet hätte" 436 ). Ritter wurden in der Stadt überhaupt nicht geduldet, sondern "nur frei und echt geborene Leute" aufgenommen, "die den Bürgereid geleistet hatten und über größeren städtischen Grundbesitz verfügten" 437 ). Den Patriziern der Stadt Halle war das Rittertum unschwer zugänglich 438 ). In Soest war eheliche Verbindung zwischen patrizischen und rittermäßigen Familien durchaus keine Seltenheit. Auch führten die Geschlechter von alters her neben der Hausmarke ein Wappen 439 ). In Lüneburg kamen ebenfalls Verbindungen zwischen Rittertum und Patriziat vor 440 ). Volger sagt jedoch in seiner Abhandlung: "Fassen wir aber den Begriff des Adels dahin, wie ihn der allgemein gültige Rechtsgebrauch als den allein richtigen in dem Wesen der Sache begründeten erfordert, als den politisch und erblich bevorrechtigten Stand


431) G. Pfeiffer a. a. O. S. 243 ff.
432) L. v. Winterfeld I S. 145/46.
433) Ebendort S. 103/4.
434) Ebendort S. 103/4.
435) Ebendort S. 145/46.
436) Ebendort S. 103/4.
437) Ebendort S. 103/4.
438) E. M. Lambert a. a. O. S. 61 f.
439) F. v. Klocke a. a. O. S. 37 ff., S. 69.
440) Vgl. Volger a. a. O. S. 16.
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der ritterlichen und mit Lehnsbesitz ausgestatteten Familien eines Landes, die namentlich das Recht hatten, persönlich auf dem Landtag zu erscheinen und die dagegen für die Benutzung ihrer Lehngüter dem Landesherrn zu Kriegs- oder andern Diensten verpflichtet waren, so ist klar, daß keins dieser Kennzeichen des mittelalterlichen niederen Adels auf die Patrizierfamilien im allgemeinen zutrifft" 441 ). In Lübeck endlich war es mit der Pflicht eines Bürgers vereinbar, daß man durch Grundbesitz Lehnsmann wurde. Auch nahmen die Patrizier wohl an Waffenspielen teil, aber diese hatten einen von Turnieren sehr abweichenden Charakter. Ausdrücklich hebt Wehrmann hervor, "daß die Patrizier selbst sich nicht als dem Adel ebenbürtig angesehen haben" 442 ).

Wie war nun das Verhältnis zwischen dem mecklenburgischen Rittertum und dem Rostocker Patriziat? Nach Lisch führten die Rostocker Patrizier Schild und Helm, waren also siegelfähig; auch lehns- und turnierfähig waren die Geschlechter, wie Lisch besonders hervorhebt. Er gibt weiter zu, daß in vereinzelten Fällen die Stammväter einer ritterlichen und patrizischen Familie verwandt gewesen sein mögen, betont aber, daß die Vorfahren der Rostocker Patrizier meistens zu den bürgerlichen Kreisen gerechnet hätten 443 ). H. Ernst 444 ) vertritt die Ansicht, "daß der Verkehr zwischen Rittertum und Patriziat in Mecklenburg in jeder Beziehung ungehindert" gewesen sei. Als Begründung weist Ernst u. a. auf die häufigen Heiraten zwischen ritterlichen und patrizischen Familien hin. In einer Liste stellt er dann alle diejenigen Ritter zusammen, die er zugleich als Ratmannen oder Bürger einer mecklenburgischen Stadt nachweisen kann. Als Bürger bzw. Ratmannen von Rostock nennt er die Ritter: von Berlin, Braunschweig, Büren, Bützow, Buch, Dähn, Foot, Frese, Grenz, Hamburg, Kampz, Karin, Kind, Klein, Kröpelin, Krull, Kühl, Lage, Lehsten, Lepel, Life, Lüneburg, Magdeburg, Malchin, Maltzahn, Meinke, Moltke, Pape, Plön, Quast, Raven, Rehschinkel, Ribnitz, Rode, Rötger, Rostock, Schwaß, Sommer, Stade, Wesend, Witt, Wittenburg, Wokrent, Wolde, Zehna und Zwove. Er fährt dann fort: "Vorstehendes Verzeichnis gibt uns alle


441) Vgl. Volger a. a. O. S. 17 ff.
442) Wehrmann I a. a. O. S. 98, 121 ff., 129.
443) Lisch I S. 182 f., 170.
444) H. Ernst a. a. O. S. 23 ff.
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denkbaren Kombinationen der Ritterschaft mit der ratsfähigen Bürgerschaft. Einige Vasallenfamilien gaben nur vereinzelt Glieder an die Städte ab, andere finden wir dort häufiger vertreten, bei einer dritten Kategorie halten sich beide Stellungen die Waage, und vereinzelt entsagen die Familien der Vasallität, um dauernd in den Städten zu bleiben. Ebenso gehen auf der andern Seite einige städtische, besonders Lübecker Familien ganz in das Lehnsverhältnis über. Andere verzweigen sich in eine städtische und Vasallenlinie, wieder andere nutzen ihre Ritterbürtigkeit nur in einzelnen Gliedern oder auch nur vorübergehend aus." "Die häufigen Ehen und die ebenso häufige Wahl der in den Städten lebenden Vasallen zu Rats- und Bürgermeisterstellen lassen beide Stände als solidarisch erscheinen."

Die Annahme von Lisch und Ernst 445 ), daß zwischen einer Reihe von ritterlichen und patrizischen Familien verwandtschaftliche Beziehungen bestanden, erweist sich durch einige urkundliche Belege als haltbar. So schloß im Jahre 1373 der Ritter Vicke Alkun, der seit 1361 Ratmann in Rostock war 446 ), die Ehe mit Oda, der Tochter des Patriziers Lambert Kröpelin 447 ); so heiratete vor dem oder in dem Jahre 1382 der Knappe Arnold von Gummern die Patrizierin Grete von Gothland 448 ), die Schwester von Ludicke von Gothland 449 ); so vermählte sich vor dem Jahre 1397 der Ritter Matthias von Axekow mit einer Tochter des Rostocker Ratsherrn Engelbert Katzow 450 ). Ehen zwischen einem Rostocker Patrizier und der Tochter eines Ritters lassen sich nicht so häufig auf Quellenangaben stützen. Ein mir bekannter Fall ist die Ehe zwischen dem Patrizier Johann von Braunschweig mit Alburg von Gamm. Nach Johanns Tod wurde Alburg die Gemahlin des Ritters Konrad von Schwinge 451 ), eine Tatsache, die ein Beweis dafür ist, daß die Ehe mit einem Patrizier einer Ritterbürtigen nicht als unwürdig galt.

Auf zuverlässigen Quellenangaben ruht weiter die Behauptung von Lisch und Ernst, daß die Rostocker Patrizier wie


445) Vgl. S. 80 f.
446) MUB. XV 8905.
447) MUB. XVIII 10416.
448) MUB. XX 11455.
449) MUB. XX 11629.
450) MUB. XXIII 13072.
451) MUB. III 2136.
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die Ritter lehnsfähig waren. So werden im Jahre 1327 als "cives in Rozstok, bona vasallica possidentes", bezeichnet Conradus Domechow, Arnold Koppmann, Gerlacus de Pomerio, Thideko Lyze, Hermannus Lyze, Hinricus Bode, Volzekinus de Zene, Hinricus Gyszekow 452 ). Eine große Zahl weiterer Beispiele ließe sich anführen; sie lassen erkennen, daß die Patrizier als Lehnsleute dem Landesherrn gegenüber die gleiche Stellung einnahmen wie die Ritter. Wird in vielen Urkunden doch ausdrücklich vermerkt, daß ein Patrizier das Lehngut "jure vasallico", "in pheodum justum" usw. erwarb. So heißt es in einer Urkunde vom 27. Dezember 1304: "Nicolaus ... dominus de Werle ... contulimus Johanni de Dame dicto, ciui in Rozstok, ... villam Nykiz integraliter, jure nostrorum vasallorum" 453 ). Im Jahre 1331 übertrug Fürst Albrecht von Mecklenburg Dorf und Hof Jürgenshagen an die beiden Brüder Dietrich und Johann Wilde "jure pheodali" 454 ). Im Jahre 1278 erhielt der Rostocker Patrizier Gerhard von Lage von den Fürsten zu Werle das Dorf Bölkow zu Lehen "ad eandem justitiam ..., qua ceterique vasalli ... bona ipsorum a nobis possidere dinoscuntur" 455 ). Für Landesherren und Patrizier brachte indessen ein solches Verhältnis in mancher Beziehung Nachteil. Der Landesherr, der einem Patrizier ein Lehn übertrug, hatte nach dem damals herrschenden Recht Anspruch auf gewisse Lehnspflichten seiner Lehnsleute, die nach Schröder Treue und Ehrerbietung, Lehnsdienst und Gerichtspflicht umfaßten 456 ). Wahrscheinlich war es für den Landesherrn oft schwer, von den Patriziern die Leistung der Lehndienste, besonders des Roßdienstes, zu erlangen, denn häufig genug war der Patrizier durch seine kaufmännische Tätigkeit oder durch seine Aufgaben im Dienst der Stadtverwaltung voll in Anspruch genommen. Aus dem gleichen Grunde konnte ein solches Verhältnis auch den Wünschen der Patrizier nicht entsprechen. Man mochte deshalb auf beiden Seiten geneigt sein, die Lehndienste durch andere Leistungen zu ersetzen oder das Lehnsverhältnis ganz zu lösen. Eine vom 10. April 1285 datierte Urkunde überliefert z. B., daß der Patrizier Nicolaus v. d. Möhlen und sein Sohn das Dorf


452) MUB. VII 4847.
453) MUB. V 2970.
454) MUB. VIII 5205.
455) MUB. II 1459.
456) Vgl. Schröder-v. Künsberg a. a. O. S. 440.
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Dolgen "in pheodum justum" erwarben, "hoc tamen excepto, quod nobis ... in nullo servitio sunt obnoxii, sed pro servitio unam mensuram mellis ... ministrabunt" 457 ). Häufiger noch lassen sich Beispiele dafür in den Urkunden anführen, daß ein Patrizier Eigentümer eines Dorfes, Hofes usw. wurde. Im Jahre 1349 erhielt der Ratmann Heinrich Kruse Eigentum und alle Freiheit in Dorf und Hof Sildemow 458 ). Im Jahre 1375 kaufte Arnold Kröpelin Teschendorf mit Gericht und landesherrlicher Bede 459 ). Im Jahre 1383 besaß der Bürgermeister Johann von der Aa die Hälfte von Wendisch-Klein mit Bede und Gericht 460 ).

Überzeugend hat Lisch weiter den Nachweis geführt, daß "alle Geschlechter", welche im Mittelalter in Rostock im Rat saßen, Schild und Helm führten, also siegelfähig waren, "daß dagegen kein anderer Bürger Schild und Helm", sondern "nur ein Hauszeichen im Siegel führte" 461 ).

Keine Aufzeichnung indessen ist erhalten, aus der man schließen könnte, daß die Rostocker Patrizier vor 1400 stiftsfähig gewesen wären oder daß einzelne Mitglieder des Patriziats den Ritterschlag erhalten hätten, damit also turnierfähig geworden wären. Vielmehr darf man wohl annehmen, daß die Rostocker patrizischen Familien die Turnierfähigkeit nicht besaßen. Zwar berichtet Reinhold in seiner Chronik der Stadt Rostock von einem glänzenden Turnier, welches König Erich von Dänemark im Mai des Jahres 1311 im Rosengarten vor den Toren Rostocks veranstaltet habe. Zu diesem Turnier sei eine große Anzahl von Fürsten, Herzögen, Markgrafen, Erzbischöfen, Bischöfen, Edelleuten und auch Ratspersonen aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands herbeigeeilt. Reinhold weiß jedoch von einer Teilnahme der Ratsleute an dem Turnier nichts zu berichten 462 ). In späterer Zeit trieben die Rostocker Patrizier allerdings wie in anderen Städten Waffenspiele. Koppmann erwähnt ein Papageienschießen in Rostock, das im 15. Jahrhundert von den Schützengesellschaften der Landfahrer-Brüderschaft und des Wiker Gelages veranstaltet wurde, sowie


457) MUB. III 1792.
458) MUB. X 6976.
459) MUB. XVIII 10680.
460) MUB. XX 11543.
461) Lisch I S. 182 f.
462) Werner Reinhold, Chronik der Stadt Rostock, Rostock 1836, S. 10 ff.
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ein Scheibenschießen der Kompagnie der Büchsenschützen auf dem Schießwall 463 ). Weiter geht aus der Chronik des Dietrich vam Lohe (1529-1583) 464 ) hervor, daß die Patrizier, "de stadtjunkeren", am 6. Juni 1580 "den vogel ... schoten", aber als Turniere kann man diese Spiele nicht bezeichnen. Dagegen kann man Lisch nur zustimmen, wenn er immer wieder den bürgerlichen Ursprung des Rostocker Patriziats betont 465 ). Es führten wohl eine Anzahl von ritterlichen und Rostocker Patrizierfamilien den gleichen Namen 466 ), aber "die Gleichheit des Namens ist im Mittelalter durchaus kein Beweis für die Namensverwandtschaft zweier Geschlechter" 467 ). Da H. Ernst die oben erwähnte Liste, in der er diejenigen Ritter aufzählt, die zugleich als Bürger oder Ratmannen nachweisbar sein sollen, zum guten Teil auf Grund der "bloßen Namensgleichheit" 468 ) aufgestellt hat, darf man auch seine weitgehenden Folgerungen über das Verhältnis von Rittertum und Patriziat in ihrer Allgemeinheit nicht als richtig anerkennen. Von den Rostocker Patriziern hatten jedenfalls nur verhältnismäßig wenige verwandtschaftliche Beziehungen zu rittermäßigen Familien 469 ). Ausgesprochen gering aber ist die Zahl derjenigen Ritter oder Knappen, die man mit Hilfe urkundlicher Belege als Rostocker Ratmannen nachweisen kann 470 ). Rittertum und Rostocker Patriziat erscheinen nicht so sehr "als solidarisch" 471 ), sondern besser wird man dem Verhältnis zwischen beiden Ständen gerecht werden, wenn man, ähnlich wie J. Meier, die Ansicht vertritt, daß das Patriziat dem Rittertum nicht in allen Punkten gleichgestellt war. Denn die Turnier- und die Stiftsfähigkeit besaß der Rostocker Patrizier wahrscheinlich nicht.

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463) Vgl. Anm. 398.
464) E. Dragendorff, Die Chronik des Dietrich vam Lohe (1529 bis 1583), BGR. XVII, Jahrg. 1929/30, Rostock 1931, S. 46.
465) Vgl. Anm. 443.
466) Genannt auf S. 80.
467) Lisch I S. 183.
468) H. Ernst a. a. O. S. 25.
469) Beispiele auf S. 81.
470) Der Patrizier Vicke Alkun stammte aus einem ritterbürtigen Geschlecht Pommerns, dessen Rittersitz Alkun auf der Feldmark der Stadt Barth gelegen war. Vgl. MUB. XIV 8809 Note. Der Patrizier Conrad v. Lage ist als Knappe bei den Fürsten von Werle-Güstrow nachweisbar. MUB. III 1817.
471) H. Ernst a. a. O. S. 29.