zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 231 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

IV.

Über die ältesten Urkunden
des Klosters Doberan

von

Wilhelm Biereye.

 

Vignette
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 232 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 233 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

1.

Die Urkunde M.U. 122(1. Febr. 1177).

Als älteste Urkunde ist die Zehntverleihung Bischof Bernos vom 1. Februar 1177 1 ) überliefert worden. Das Original ist nicht mehr erhalten. Im Doberaner Diplomatar aus dem Ende des 13. Jahrhunderts ist sie nicht aufgezeichnet worden. Überliefert ist sie nur in einer Abschrift des Schweriner Staatsarchivs vom 16. Dezember 1343, die durch mehrere Geistliche und Notare beglaubigt worden ist. Sie befand sich also zu der Zeit, als das Diplomatar angefertigt wurde, offenbar noch nicht im Besitz des Klosters. Nachrichten darüber, wie sie später in das Kloster gekommen ist, sind nicht erhalten. Dennoch reicht die Begründung, daß eine solche Urkunde Bernos sicher beim Brande des Klosters vom Jahre 1179 vernichtet worden sei, nicht aus, den überlieferten Text von vorneherein als Fälschung abzuurteilen 2 ), wenn nicht andere wesentliche Verdachtsgründe hinzukommen. Außer M.U. 122 ist aus den ersten Jahrzehnten der Abtei noch eine zweite Zehntverleihung überliefert, die noch im Original erhalten ist und keinerlei Anlaß zum Verdacht bietet, die Urkunde des Bischofs Brunward von Schwerin vom 3. Oktober 1232 3 ). In ihr bestätigt er den Besitz des Klosters an Zehnten und anderen geistlichen Rechten, wie sie von Bischof Berno verliehen worden seien, und fügt neue Verleihungen hinzu. Brunward beruft sich in der Narratio ausdrücklich auf ein Privileg des Klosters, das seiner Urkunde bei ihrer Abfassung zugrunde gelegt worden sei.

Zunächst müßte man annehmen, daß M.U. 122 diese Vorurkunde sei, und darauf deuten auch manche Wendungen in der Narratio hin, wie der folgende Vergleich zeigt:


1) Mecklenburgisches Urkundenbuch (im Folgenden abgekürzt M.U.) I, Nr. 122.
2) Kunkel im Archiv für Urkundenforschung Bd. III, S. 76.
3) M.U. 406. Das Verhältnis von M.U. 380 und M.U. 406 zueinander hat keinen Einfluß auf die Untersuchung der Urkunde M.U. 122.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 234 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
M.U. 122. M.U. 406 (3. Okt. 1232).
Cum enim Pribizlaus ... instinctu nostro ... numerum terminumque prediorum vel possessionum ... circumquaque constituisset, quoniam ad nos decime spectabant, nos pro voluntate ducis Heinrici cum consensu tocius ecclesie nostre in eisdem prediis et possessionibus decimas eciam contulimus. ... Nam cum Pribislauus ... iam dicti pontificis (Bernonis) consilio et instinctu ... circumquaque possessiones et predia designasset, quoniam ad episcopum decime spectabant et iura ecclesiastica, pro voluntate pii principis Heinrici ducis Saxonie et consensu ecclesie Zuerinensis de prediis et possessionibus decimas obtulit. ...
Quod si quicquam ex hiis prediis ... subtractum fuerit, decime tamen nichilominus illis perpetuo permanebunt si forte ... quicquam ex ipsis prediis abalienari contingeret, decime tamen ... perpetuo permanerent.

In der Liste der Ortschaften, deren Zehnten verliehen werden, weichen sie aber so auffällig voneinander ab, daß die Annahme, Brunward habe für M.U. 406 die überlieferte Urkunde M.U. 122 benutzt, fallen gelassen werden muß. Die Listen nennen in:

M.U. 122. M.U. 406.
Doberan, Parkantin, villa Slavica Doberan, Putecha, Stulue, Raducle, Crupelin, Wilsne, quatuor ville in Cubanze, scilicet villa Bruze, Germari et due ville Brunonis; et est terminus ad occidentem Dobimerigorca, ad aquilonem vero terminat mare. decimam loci ipsius, in quo prefatum monasterium situm est, cum omnibus pertinentiis suis, decimam Doberan, Domastiz, Parkentin, Wlisne, Putechowe, Stvlouue, Radekle, decimam quatuor villarum in Cobanze, scilicet Crupelin, Brusouue et duarum villarum Brunonis; estque terminus ad occidentem collis, qui slavica lingua dicitur Dobimerigorca, ad aquilonem terminum facit mare.

Auch hier finden sich auffallende Übereinstimmungen, wie etwa zum Schluß die Grenzbestimmungen. Bezeichnend ist dabei aber für M.U. 406, daß es Dobimerigorca erklärend einleitet mit: collis, qui slavica lingua dicitur, da der

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 235 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Sinn des Namens offenbar 1232 schon nicht mehr überall verstanden wurde. Dies Streben, alte Namen zu erklären oder durch neuere gebräuchliche zu ersetzen, scheint auch bei Aufstellung der übrigen Liste in M.U. 406 maßgebend gewesen zu sein. Dahin weist der auffallende Unterschied in den Namen der Dörfer der Landschaft Cobanze. M.U. 122 nennt als die vier Dörfer, deren Zehnten Berno dem Kloster übertragen habe: villa Bruze, Germari et due ville Brunonis; M.U. 406 setzt statt dessen: Crupelin, Brusowe et duarum villarum Brunonis. M.U. 122 wie M.U. 406 heben in der Narratio besonders hervor, daß diese erste Zehntverleihung Bischof Bernos für ewige Zeiten erfolgt sei. Wenn M.U. 406 in Cobanze auch nur vier Dörfer aufführt, deren Zehnten Berno dem Kloster geschenkt habe, und die angebliche Verleihungsurkunde Bernos von 1177 auch nur vier Dörfer nennt, von denen die beiden zuletzt genannten in beiden Urkunden gleich lauten, so bleibt kein anderer Schluß, als daß auch die beiden anderen Dörfer trotz verschiedener Namen in beiden Urkunden dieselben sind. M.U. 406 hat hier nur die Änderung vorgenommen, die alten Namen der Bernourkunde durch die 1232 gebräuchlicheren zu ersetzen. Auf Zusammenhänge zwischen beiden Urkunden an dieser Stelle deutet auch das bei beiden einleitende scilicet und die gleiche Stellung der beiden Brunodörfer in der Anordnung hin. Danach muß villa Bruze, Germari von M.U. 122 mit Crupelin und Brusowe von M.U. 406 identisch sein. Verhältnismäßig einfach ist die Gleichung villa Bruze = Brusowe. Hindernd stand dieser Annahme bisher eine Glosse im Wege, die sich im Doberaner Diplomatar zur Urkunde des Jahres 1192 bei dem Worte Bruze findet: Bruze in slavico est Thidericus in theutonico 4 ), und der Umstand, daß M.U. 152 die villa Bruze und Brusowe als zwei verschiedene Dörfer aufführt. Die Berufung auf M.U. 152 ist hinfällig, wenn diese Urkunde als gefälscht oder wenigstens als stark interpoliert sich erweist 5 ). Das Glossar Bruze = Thidericus reicht aber allein nicht aus, Bruze mit "Dietrichshagen oder einem ostwärts in der Nähe belegenen Dorf" 6 ) gleichzusetzen; schon der zweite


4) M.U. 152 n.
5) Vgl. S. 240 ff.
6) Wigger in Mecklenb. Jahrbücher, Bd. 28, S. 238, dem fast alle späteren Forscher gefolgt sind. S. Rudloff in Mecklenb. Jahrb. 61, S. 72.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 236 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Bestandteil Hagen des Dorfnamens spricht dagegen. Ist villa Bruze aber mit Brusowe identisch, so wird villa Germari der ältere Name der späteren Stadt Kröpelin sein oder wird die spätere Stadt Kröpelin auf der Dorfflur des ehemaligen Germersdorf entstanden sein. Dafür spricht auch der Umstand, daß die Namen villa Bruze und villa Germari nur in M.U. 122 und der sich als Fälschung auf Grund von M.U. 122 und 406 erweisenden Urkunde M.U. 152 5) vorkommen.

Für die Kritik von M.U. 122 ist entscheidend, daß in ihm Kröpelin und das eben besprochene Germersdorf als zwei verschiedene Ortschaften aufgefaßt werden, von denen nur die eine, nämlich Germersdorf, in die Landschaft Cobantze verlegt wird. Zum letzten Male taucht der Name Cobantze in mecklenburgischen Urkunden 1232 auf; daraus, daß er später nie wieder erwähnt wird, ist zu schließen, daß er nicht mehr gebräuchlich war; vielleicht trug die Entwicklung Kröpelins zur Stadt mit dazu bei, ihn allmählich verschwinden zu lassen. Dann wird M.U. 406 erst niedergeschrieben worden sein, als die klare Vorstellung vom Lande Cobantze geschwunden war, also nach 1232; aber es haben ihm Aufzeichnungen aus älterer Zeit zugrunde gelegen, aus denen die in ihm verwendete Formulierung über die vier Dörfer in Cobantze entnommen worden ist. Auffällig ist ferner die Stellung des Dorfes Wilsen in M.U. 122, das hinter Crupelin vor die Cobantzedörfer gestellt worden ist, während es M.U. 406 auf Parkentin folgt. M.U. 406 wandert in seiner Aufzählung von Osten nach Westen und richtet sich nach der geographischen Lage der einzelnen Ortschaften. M.U. 122 folgt sonst demselben Grundsatz, ausgenommen ist davon nur Wilsen. Im Hauptarchiv in Schwerin befindet sich eine Urkunde vom 8. April 1189 7 ), nach der das Gut Wilsen nicht von Pribislav, sondern von Niklot von Rostock geschenkt worden ist. Diese Schenkung wäre, wenn M.U. 147 echt ist, erst nach der ersten Dotation durch Pribislav erfolgt 8 ). In der ältesten Zehntverleihung Bernos, die sich auf die Schenkungen Pribislavs bezog und bei Gründung des Klosters erfolgt sein mag, werden daher die Zehnten und die geistliche Gerichtsbarkeit von Wilsen nicht mit aufgeführt worden sein, sondern erst in einer zweiten Urkunde aus der Zeit von 1172 bis 1179 8 ). Vielleicht ist


7) M.U. 147.
8) Vgl. S. 253 ff.
8) Vgl. S. 253 ff.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 237 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

darauf die auffällige Stellung von Wilsen in M.U. 122 zurückzuführen. M.U. 122, das sich an den Wortlaut der älteren Aufzeichnung hielt, gab zunächst die alte Liste und fügte dann das später hinzugekommene Wilsne an, während M.U. 406 von sich aus Wilsen dort in die Liste einsetzte, wo es sich geographisch am besten einordnen ließ.

Fast wörtlich stimmen beide Urkunden überein in der Bewidmung des Klosters mit den übrigen geistlichen Rechten in den angeführten Ortschaften:

M.U. 122. M.U. 406.
Ecclesiarum autem disposicio infra loca predicta et sacerdotum constitucio vel baptismus ac sepultura mortuorum, necnon et ius sinodale, quod bannum vocatur, ad abbatis curam pertinebit. Ecclesiarum vero dispositio infra terminos constitutos et sacerdotum constitutio vel baptismus et ius synodale, quod bannum vocant, ad abbatis providentiam pertinebit.

M.U. 122 kann wegen der Liste der zehntpflichtigen Ortschaften nicht die Quelle von M.U. 406 gewesen sein. Dennoch finden sich in beiden so auffällige Anklänge, daß eine Verwandtschaft nicht geleugnet werden kann. Die einzige Möglichkeit für eine Erklärung dieser eigentümlichen Erscheinung bleibt, daß beide auf eine ältere Aufzeichnung zurückgehen. M.U. 406 hat den alten Text modernisiert, M.U. 122 hat die ursprüngliche Form nach Möglichkeit beibebalten, aber in dem Verzeichnis der zinspflichtigen Ortschaften Interpolationen vorgenommen, wie das Beispiel Kröpelins und Wilsens zeigt. Die ursprüngliche Liste, auf die beide zurückgehen, wird demnach gelautet haben:

Doberan, Parkentin, villa slavica Doberan, Putecha, Stulue, Raducle, quatuor ville in Cubanze, scilicet villa Bruze, Germari et due ville Brunonis.

Für die Bestimmung der Zeit, wann vielleicht M.U. 122 entstanden sein kann, bietet eine weitere Handhabe die Verleihung von Zehnten an das Kloster Dargun durch Bischof Berno 9 ). Daß ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Urkunden besteht, zeigt deutlich die beiden gemeinsame eigentümliche Form der Salutation: omnibus successoribus suis et omnibus (Christi) fidelibus salutem in perpetuum.


9) M.U. 125.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 238 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kunkel 10 ) nimmt an, daß vor omnibus successoribus suis die Adresse des Abtes etwa in der Form abbati N. et ausgefallen sei; er übersieht dabei, daß die erhaltenen Urkunden dieser Zeit in solchen Fällen fast stets eius und nicht suis gebrauchen. Wesentlich für diese Untersuchung ist aber, daß dieselbe auffällige Salutation sich in Urkunden zweier verschiedener Klöster findet. Als das Doberaner Diplomatar aufgezeichnet wurde, war M.U. 122 im Kloster Doberan noch nicht bekannt; daß die Doberaner Mönche sich aber in Dargun Rat geholt haben sollten darüber, wie wohl die Eingangsformeln der Berno-Urkunde gelautet haben möchten, ist nicht anzunehmen. Anders war die Lage, als 1258 das Generalkapitel der Zisterzienser in Citeaux die Ansprüche des Klosters Esrom an das Kloster Dargun abwies und dem Kloster Doberan zusprach 11 ) und als am 7. Juni 1259 Kloster Esrom infolge Schiedsspruchs des Abts von Clairveaux alle das Kloster Dargun und die Paternität über dasselbe betreffenden Urkunden an das Kloster Doberan gegen eine Zahlung auslieferte 12 ). Über die Narratio und die Dispositio der ursprünglichen Berno-Urkunde waren in Doberan noch alte Aufzeichnungen vorhanden; es fehlte aber ein Muster für die Intitulation und die Salutation. M.U. 125, die Zehntverleihung Bernos für das Kloster Dargun, die damals vielleicht von Esrom mit nach Doberan gesandt wurde, leistete den Doberaner Mönchen die gewünschten Dienste.

Für diese Annahme spricht auch die Zeugenliste von M.U. 122. Sie lautet folgendermaßen: Berno, Remigius, Gregorius, Herebertus, Guncelinus, Reinerus, Sigero, Samuel, Johannes et tres filii eius Heinricus, Bertoldus et Johannes. Jede weitere Bezeichnung fehlt in der Liste. Die Namen klingen alle deutsch, und man würde daher annehmen müssen, daß ihre Träger in naher Beziehung zum Bischof Berno standen. Für einige von ihnen gibt Auskunft die Darguner Urkunde Bernos M.U. 125 zum Jahre 1178, wo als Schweriner Kanoniker Heribertus, Remigius und Berno aufgezählt werden; dann wird man auch den Gregorius als Domherrn ansprechen können. Der Name Sigero kommt bis 1200 in Mecklenburg und Holstein nur noch einmal vor.


10) A. a. O. S. 76 f.
11) M.U. 812.
12) M.U. 841.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 239 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Es handelt sich hierbei um einen Ministerialen der Bremer Kirche, der in der Zeugenliste einer Urkunde des Erzbischofs Baldwin von Bremen vom 1. Juli 1174 für Neumünster unmittelbar nach Graf Gunzelin von Schwerin und seinem Sohne Heinrich genannt wird. Ist der Sigero von M.U. 122 mit diesem Bremer Ministerialen identisch, so würde Gunzelinus dem Schweriner Grafen Gunzelin entsprechen. Reinerus wäre dann weltlicher Zeuge; ob er aber mit dem Schweriner Ritter Reinbertus oder dem Schweriner Bürger Reingerus von M.U. 125 gleichzusetzen ist, läßt sich auf Grund des vorhandenen Quellenmaterials nicht entscheiden. Für die anderen Zeugen fehlt jede weitere Nachricht. Möglich ist also, daß die Zeugenliste von M.U. 122 wie die Dispositio und die Narratio auf ältere Aufzeichnungen zurückgeht. Sonderbar bleibt aber auch für die Zeit von 1177 ihre Form. Vielleicht hatte man in dem angenommenen Exzerpt nur die Namen der Zeugen verzeichnet 13 ). Der Umstand, daß die bestimmbaren Zeugen von M.U. 122 sich gerade in M.U. 125 finden, läßt allerdings noch die Möglichkeit offen, daß auch sie erst aus M.U. 125 übernommen worden sind.

Dann wäre der Terminus a quo für M.U. 122 erst das Jahr 1259. Der Terminus ad quem würde sich ergeben, wenn es gelänge, den Zweck ausfindig zu machen, dem diese Fälschung dienen sollte. Einen Fingerzeig in dieser Hinsicht gibt vielleicht der Schlußsatz der Narratio. Es heißt dort: die Zehnten sollten den Mönchen unter allen Umständen verbleiben, auch wenn eins dieser Güter ihnen in Zukunft durch Böswilligkeit auf dem Wege der Kirchenschändung entzogen werden sollte 14 ). M.U. 406 setzt hier den milderen Fall, daß überhaupt einmal der Besitz eines dieser Dörfer dem Kloster genommen werden könnte 15 ). Es scheint also, als ob M.U. 122 hergestellt worden sei, um mit seiner Hilfe einen drohenden Angriff auf einen dieser Zehnten abzuwehren.

Von Bedeutung für den Terminus ad quem ist eine Untersuchung der Urkunde Borwins I. vom Jahre 1192 für das Doberaner Kloster 16 ).



13) S. S. 261.
14) Quod si quicquam ex hiis prediis in futurum aliquo malo ingenio per sacrilegium fratribus subtractum fuerit.
15) Si forte processu temporis quicquam ex ipsis prediis abalienari contingeret.
16) M.U. 152.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 240 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

2.

Die Urkunde M.U. 152 (Mai - Dezbr. 1192).

M.U. 152 enthält keine Verleihung von Zehnten, sondern eine Bestätigung von Landbesitz durch Borwin I.; aber es steht in nahen Beziehungen zu M.U. 122 und M.U. 406. Das ergibt zunächt schon ein Vergleich der Narratio und der Dispositio der drei Urkunden:

M.U. 122. M.U. 152. M.U. 406.
Cum enim Pribizlaus ... princeps Slavorum instinctu nostro omnipotenti deo et beate Marie predium in Doberan ad construendam abbaciam optulisset et numerum terminunque prediorum vel possessionum ad usum fratrum inibi deo serviencium circumquaque constituisset. qualiter ad instinctum primi episcopi Bernonis Magnopolensis predictus princeps (Pribizlaus) omnipotenti deo et beate atque perpetue virgini Marie predium in Doberan ad construendam abbatiam obtulerit et numerum terminumque abbatie in prediis et possessionibus ad usum fratrum inibi deo servientium circumquaque constituerit ... Nam cum Pribislauus Slavie dominus et princeps Magnopolensis iam dicti pontificis consilio et instinctu
... locum moasterii in Doberan Cysterciensis ordinis ad dei omnipotentis servicium eiusque piissime genitricis famulatum pro nostra nostrorumque heredum qualitate delictorum ... renovando. pro suorum qualitate delictorum ad dei omnipotentis servitium eiusque piissime genitricis famulatum abbatie Doberan construende circumquaque possessiones ... designasset.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 241 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Drei Möglichkeiten für eine Erklärung sind vorhanden:

1. M.U. 152 geht hier auf die alten Aufzeichnungen zurück, die M.U. 122 und 406 zugrunde lagen;

2. M.U. 152 ist das Muster für M.U. 122 und M.U. 406 gewesen;

3. M.U. 152 ist nach dem Vorbild von M.U. 122 und M.U. 406 hergestellt worden.

In der Narratio von M.U. 152 war berichtet worden, daß Pribislav auf Bernos Veranlassung hin ein Gut in Doberan (Althof) zum Bau einer Abtei geschenkt und Zahl und Grenzen der dem Kloster verliehenen Güter und Besitzungen bestimmt habe. Infolge des Wendenaufstandes habe er aber seinen Plan nicht durchgeführt. Sein Sohn Borwin habe aus besonderer Zuneigung zum Kloster das, was der Vater begonnen hatte, beendet und dem Kloster den vom Vater beabsichtigten Besitz und die damals vorgesehenen Rechte erneuert. Mit Zustimmung seiner Söhne Heinrich und Nikolaus habe er deshalb das Kloster mit Gütern und Besitzungen ausgestattet, "in deren Gesamtheit sowohl seines Vaters wie seine eigene Gabe enthalten sei" .

Die Deutung dieser Erzählung stößt auf Schwierigkeiten. Zunächst nimmt es wunder, daß Pribislavs Sohn Borwin anscheinend nicht weiß, daß sein Vater schon vor der Wendenerhebung gestorben ist; er verunglückte am 30. Dezember 1178 auf einem Turnier in Lüneburg. Nur sein Tod kann ihn verhindert haben, sein Vorhaben hinsichtlich Doberans zu Ende zu führen, aber nicht die Erhebung der Wenden. Die letztere könnte höchstens für Borwin selbst zur Entschuldigung dienen, daß er erst so spät daran gegangen sei, seines Vaters Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Offen bleibt ferner die Frage, ob die verliehenen Güter schon alle oder nur zum Teil vom Vater für das Kloster bestimmt waren, und wenn letzteres der Fall war, welche Güter Heinrich über Pribislavs Plan hinaus von sich aus dem Kloster geschenkt habe. Die zuerst erwähnte Unklarheit macht nicht gerade wahrscheinlich, daß die Urkunde zu einer Zeit abgefaßt ist, als die Erinnerung an die Ereignisse von 1178 und 1179 noch lebendig war, wie man für das im Eschatokoll angegebene Jahr 1192 erwarten könnte.

Ernsthafter sind die Bedenken, die sich gegen die Dispositio von M.U. 152 erheben. Auszugehen ist bei ihrer Untersuchung von M.U. 191, der Bestätigung Innocenz' III. für das Kloster

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 242 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

vom 25. November 1209, die im Orginal erhalten ist und durchaus den Eindruck der Echtheit macht.

Es sein zunächt die Angaben über Besitzungen des Klosters nebeneinander gestellt, die sich in den Urkunden der Zeit von 1192 bis 1231 finden:

M.U. 152. M.U. 191. M.U. 239. M.U. 258. M.U. 391
(25. Nov.1209) (1218). (1. Aug. 1219) (28. Okt. 1231).
locus ipse, in quo monasterium situm est in Doberan, cum omnibus pertinenciis suis,item Doberan, Wilsna, Stubelowe, Parkentin, Stulowe, Domastiz, Putekowe, Brusowe, Radecle, Crupelin, Boianeviz, quatuor ville in Cubanze, scilicet villa Bruze, Germari et due ville Brunonis ... Preterea donavimus ... Rybeniz, Virpene, Radentin, Polaz, Koneredam, Glyne ac predium in Pole. locum ipsum, in quo prefatum monasterium situm est, cum omnibus pertinentiis suis, Doberam, Parketin, Wilsna, Stubelowe, Ribbenizze, Putechowe, Stulowe, Brusowe, Radeclhe, Boianewiz, Wirpena, Radotene, Lubesdorf, Glina et tria novalia, que Indagines nominantur. locus ipse, in quo prefatum monasterium situm est, cum omnibus pertinenciis suis, Doberan, Parkentyn, Wilsna, Stubelowe, Stulowe, Domastiz, Putechowe, Brusowe, Radecle, Boianeviz, Rybeniz, Virpene, Radentin, Polaz, Kuneredam, Gline. claustrum, Doberan, Parkentin, Wilsna, Stubelowe, Ribeniz, Domastiz, Stulowe, Putechowe, Brusowe, Radecle, Boianewiz, Verpene, Konerdam, Polas, Radentin, Gline. claustrum, Doberan, Parkentin, Wilsna, Stubelowe, Domastiz, Stulowe, Putechowe, Brusowe, Radecle, Boianeviz, Verpene, Konerdam, Polas, Radentin, Gline.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 243 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die letzten vier Urkunden sind in ihren Angaben zweifellos abhängig voneinander; bis Stubelow ist in allen die Reihenfolge der Aufzählung gleich, ebenso von Brusow bis Virpena. Verschiedenheit der Anordnung findet sich in der Mitte bei den Dörfern Ribbenitze, Putechowe, Stulowe, Domastiz und zum Schluß bei Polaz, Kuneredam und Radentin. Daß Lubesdorf in M.U. 239, 258 und 391 nicht wieder erwähnt wird, ist darauf zurückzuführen, daß es sich in den drei letzten Urkunden um Bestätigungen der mecklenburg-rostockschen Fürsten handelt, die dem Kloster nicht den Besitz eines Dorfes bestätigen konnten, das zur Schweriner Grafschaft gehörte. Die Aufzählung geht von Doberan aus in südöstlicher Richtung nach Parkentin, Wilsen, Stäbelow; es folgen dann nach Westen hin Putechow-Hohenfelde, Stülow, Brüsow, Reddelich und Jennewitz. Zum Schluß werden die abgelegeneren Besitzungen des Klosters, Farpen und Redentin (nö. Wismar), Lübsdorf (n. Schwerin) und Gallin (7 km nö. Lübz) aufgezählt. Auffällig ist die Stellung von Ribbenizze, den Fischkaten bei Redentin, zwischen Stäbelow und Hohenfelde, bzw. Domastiz-Ibendorf in M.U. 191 und M.U. 258, während M.U. 239 es vor Farpen setzt, wohin es geographisch gehört. M.U. 391 erwähnt Ribbenizze nicht mehr, das von nun ganz aus der mecklenburgischen Urkunde verschwindet. Es wird in Redentin aufgegangen sein. Die Reihenfolge Putechowe-Stulowe von M.U. 191 wird in den folgenden Urkunden durch das Hinzutreten von Domastiz-Ibendorf ins Schwanken geraten sein. Neu sind gegen M.U. 191 ferner in M.U. 239, 258 und 391 Polaz und Kuneredam. Es ergibt sich aus alledem, daß der Besitz des Klosters sich in der Zeit von 1209 bis 1218 um Domastiz, Polas und Kuneredam vermehrt hat. Die wendischen Namen wenigstens der beiden letzteren Ortschaften sprechen dafür, daß diese Dörfer weitere Zuwendungen Borwins an Doberan und nicht Neugründungen auf bereits im Besitz des Klosters befindlichem Boden waren. Polas liegt bei Hof Redentin, die Lage von Kuneredam ist nicht mehr bekannt; aus dem Platz, den es in der Aufzählung einnimmt, müßte man auf die Umgegend von Redentin schließen.

Daraus, daß nach der Zehntverleihung des Bischofs Brunward dem Kloster erst 1232 bzw. 1230 17 ) die Zehnten von Gallin, Stäbelow, Redentin, Polas, Farpen, Schulenburg


17) M.U. 380 u.. 406.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 244 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

und Kuneredam verliehen werden, folgt ferner, daß diese Dörfer nicht zur ursprünglichen Schenkung Pribislavs gehörten, da sonst vermutlich schon Bischof Berno die Zehnten dieser Güter dem Kloster abgetreten hätte. Da sie aber schon 1209 als Besitz des Klosters genannt werden, wird man sie als Schenkungen Borwins aus der Zeit zwischen 1186 18 ) und 1209 ansprechen können. Noch genauer ergibt sich der Termin bei Gallin und Stäbelow, die erst nach dem Tode Niklots II. von Rostock, nach dem 25. Mai 1200, in Borwins Besitz gelangt sein oder wenigstens von ihm als Besitz des Klosters bestätigt werden konnten. Schwieriger zu beantworten ist die Frage bei Domastiz-Ibendorf, das noch nicht in M.U. 191, sondern erst M.U. 239 unter den Besitzungen des Klosters genannt wird, während die Zehnten des Dorfes ihm laut M.U. 406 schon durch Bischof Berno verliehen sein sollten. Es ist immerhin möglich, daß es auf einem Teil der früheren Dorfgemarkung Putechow angelegt worden ist. Die zu Ende des 13. Jahrhunderts erfolgte Änderung des wendischen Namens Domastiz in das deutsche Ibendorf läßt annehmen, daß die Besiedelung durch Deutsche erfolgt war, die sich in größerer Anzahl auf einem anfangs noch slawisch bezeichneten Ort, Domastiz, in der Feldflur von Putechowe niederließen. Über Vermutungen wird man aber bei dem Mangel weiterer Quellen nicht hinauskommen 19 ).

Vergleicht man mit dem so gewonnenen Ergebnis für die Zeit nach 1209 die Angaben von M.U. 152, so zeigt sich, daß über M.U. 191 hinausgehend als Verleihungen Pribislavs angeführt werden: Domastiz, Kröpelin und die vier Dörfer in Cobantze, und als Verleihung Borwins I.: Polaz, Kuneredam und ein predium auf Poel. Über Domastiz ist schon oben gehandelt worden. Es fehlt in der Zehnturkunde M.U. 122. Wäre M.U. 122 die Vorlage von M.U. 152 gewesen, so würde es in M.U. 152 nicht als Gabe Pribislavs, sondern Borwins aufgeführt worden sein. Ginge umgekehrt M.U. 122 auf M.U. 152 zurück, so würde man Domastiz in M.U. 122 finden müssen. Daraus ergibt sich, daß M.U. 152, auch wenn die


18) Die Neugründung des zerstörten Klosters durch Borwin erfolgte 1186.
19) Vielleicht liegt hier aber auch ein ähnlicher Fall vor wie bei Putechow-Hohenfelde, das trotz des angenommenen deutschen Namens 1315 noch eine villa slavicalis zu slawischem Recht war. S. Witte, Wendische Bevölkerungsreste in Mecklenburg, 1907, S. 62 f.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 245 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

M.U. 122 und 406 als gemeinsame Grundlage seiner Dispositio vorgelegen hat, noch eine weitere Quelle benutzt haben muß, aus der vor allem die Namen derjenigen Dörfer stammen, die nach M.U. 191 noch nicht Besitz des Klosters waren, es aber später wurden. Domastiz, Polas und Kuneredam finden sich schon in M.U. 239 vom Jahre 1218. Kröpelin und die vier Dörfer in Cobantze werden aber in keiner der späteren fürstlichen Bestätigungen wieder genannt; sie tauchen nach 1209 aber wieder auf in der Zehnturkunde des Bischofs Brunward vom 3. Oktober 1232, M.U. 406.

Über das Mißverständnis von M.U. 122 hinsichtlich Kröpelins ist schon oben gehandelt worden 20 ). Im M.U. 152 tritt ein zweites Mißverständnis ganz ähnlicher Art hinsichtlich Brusows hinzu, das zweimal genannt wird, als Brusow und als villa Bruze unter den vier Cobantze-Dörfern, während M.U. 406 Brusow an Stelle des villa Bruze unter die Cobantze-Dörfer einreiht. Es gilt daher für M.U. 152 dasselbe wie für M.U. 122. Es kann erst entstanden sein, als der Name Cobantze nicht mehr gebräuchlich war, also nach 1232. Kröpelin ist wohl nie Besitz des Klosters gewesen; 1209 gehörte es dem Kloster sicher nicht mehr, aber es unterstand, wie M.U. 406 zeigt, schon seit Bernos Zeiten der geistlichen Gerichtsbarkeit des Klosters und war ihm zehntpflichtig.

Wie kam nun aber M.U. 152 zu der Behauptung, daß Kröpelin 1192 Besitz des Klosters gewesen sei? Die Erklärung geben M.U. 122 und 406, die hier auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen. M.U. 406 heißt es: "Als Pribislav ... zur Erbauung der Abtei Doberan ringsumher Besitzungen und Landgüter bestimmt hatte, hat Bischof Berno, da die Zehnten und die geistliche Gerichtsbarkeit ihm zustanden, ... dem Kloster die Zehnten von den Gütern und Besitzungen gegeben".

Der Verfasser von M.U. 152, der die gemeinsame Quelle und auch, wie sich im folgenden erweisen wird, M.U. 406 kannte, mochte hieraus schließen, daß alle die Dörfer, deren Zehnte Berno verliehen hatte, vorher auch von Pribislav dem Kloster geschenkt worden seien.

Die verschiedene Anordnung der Dörfer in den beiden Urkunden M.U. 152 und M.U. 406 scheint zunächst gegen Beziehungen zwischen ihnen zu sprechen; es ist bei M.U. 152


20) S. S. 236.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 246 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nicht möglich, das Prinzip bei Aufstellung der Besitzliste herauszufinden. Aber die sprachliche Form der Grenzbestimmungen in M.U. 152: Et est terminus abbatie ad occidentem collis, que lingua slavica Dobimerigorca vocatur, et inde contra septentrionem usque ad mare protenditur, und die schon oben gezeigten Anklänge 21 ) beider Urkunden in der Narratio zeigen, daß irgend welche Beziehungen zwischen ihnen bestehen müssen. Und zwar ist M.U. 406 älter als M.U. 152. Das beweist einmal die ausführliche Beschreibung der Ostgrenze in M.U. 152, die M.U. 406 ganz fehlt, wohl weil die Ostgrenze 1232 noch nicht genau festgelegt war; dafür spricht ferner die Ansicht von M.U. 152, daß es sich bei villa Bruze und Brusowe, bei villa Germari und Crupelin um verschiedene Dörfer handele, und schließlich die Erwähnung des predium in Pole, von dem M.U. 406 noch nichts weiß.

Gegen die Echtheit von M.U. 152 spricht auch M.U. 239 aus dem Jahre 1218. Es ist bezeichnend, daß M.U. 239 die Bestätigung vom Jahre 1192 gar nicht erwähnt, und daß sich in ihm entgegen dem Brauch, der sonst bei solchen Bestätigungen üblich war, kein einziges Anzeichen findet, das irgend eine Bekanntschaft seines Diktators mit M.U. 152 verrät. Das ist besonders auffällig deshalb, weil M.U. 239 eine Bestätigung durch denselben Borwin I. darstellt, von dem angeblich auch M.U. 152 herrührt. M.U. 239 widerspricht aber in der Narratio geradezu M.U. 152. In M.U. 239 bezeichnet Borwin Doberan als seine eigene Stiftung, ohne seinen Vater auch nur mit einem Worte zu erwähnen, während M.U. 152 behauptet, daß Pribislav die umfangreiche Schenkung schon geplant, aber wegen des Wendenaufstands nicht zu Ende geführt habe. Das Kloster war ein Trümmerhaufen, als Borwin die Herrschaft antrat. Mit einer gewissen Berechtigung konnte daher Borwin sich 1218 selbst als den Stifter des 1186 wieder errichteten Klosters bezeichnen. Weshalb tat er es nicht schon 1192? Schwerwiegender sind aber die Folgerungen aus den weiteren Bestimmungen des Dispositio. Laut M.U. 152 verzichtete Borwin in dem Gebiet, das er dem Kloster geschenkt hatte, zugunsten Doberans auf alle Abgaben (petitiones et exactiones), auf alle Dienstleistungen (servitia) und auf die Gerichtsbarkeit. Kein fürstlicher Richter oder Vogt solle


21) S. S. 240.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 247 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

irgendwelche Amtsgewalt über die Abtei Doberan oder ihre Einkünfte haben. Sondern wenn irgend ein Einschreiten (correctio) nötig sei in einer Angelegenheit der großen oder der kleinen Gerichtsbarkeit, bei der Leben oder Hand verwirkt sei, so solle es durch den vom Abt eingesetzten Richter geschehen. Die Leute der Abtei sollten frei sein von der Verpflichtung zum Burg- oder Brückenbau, von der Abgabe von Steuern und Zöllen und vom Zwang zum Kriegsdienst mit Ausnahme der Landwehr. Und auch diese Pflicht wird noch eingeschränkt. Wenn sie drei Tage vergebens auf den Feind gewartet hätten, solle ihnen das Recht zustehen, am vierten wieder zu ihrem Wohnort und zu ihrer Beschäftigung zurückzukehren. Auffällig ist die Anordnung dieser Befreiungen. Nachdem die Urkunde dem Verzicht auf die servicia Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit hat folgen lassen, kehrt sie wieder zu Befreiungen von Diensten zurück. Borwins Bestätigung vom Jahre 1218, M.U. 239, enthält auch Bestimmungen über das Verhältnis der Klosterleute zum mecklenburgischen Fürsten. Das Kloster erhält hier das Recht, Kolonisten ohne Einschränkung auf ihre Herkunft oder ihren Beruf in das Gebiet der Abtei zu ziehen und dort anzusiedeln; und Borwin befreit sie von jeder Bedezahlung an die Grafen, Vögte und Richter, vom Burgwerk, von allen Abgaben an Steuern und Zöllen und von jeglicher Verpflichtung zur Heerfahrt, so daß sie nur Gott allein und dem Kloster dienstbar seien. Von einer Verleihung der Gerichtsbarkeit wie in M.U. 152 ist in M.U. 239 nirgends die Rede. Und Heinrich II. von Mecklenburg bestätigt am 1. August 1219 dem Kloster die Freiheiten, die es seit seiner Gründung (a primordiali institucione) besessen habe und die es durch päpstliche Autorität sich besonders habe schützen lassen, und wiederholt sonst in seiner Urkunde, M.U. 258, nur fast wörtlich die Einzelbestimmungen seines Vaters vom Jahre 1218. Wichtig ist aber in diesem Zusammenhang die Nachricht in M.U. 258, daß dem Kloster schon gleich bei seiner Gründung vom Fürsten Rechte verliehen worden seien. Die Bestätigungsurkunde der Söhne Heinrichs II. vom 28. Oktober 1231, M.U. 391, wiederholt nur fast wörtlich die Bestimmungen von M.U. 258, ohne etwas hinzuzusetzen. Entscheidend für die Kritik dieses Teils der Narratio von M.U. 152 ist der Umstand, daß in den folgenden Urkunden von einer Verleihung der vollen Gerichts-

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 248 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

barkeit nirgends die Rede ist. Über rechtliche Verhältnisse äußert sich erst M.U. 463 vom 15. Februar 1237. In dieser Urkunde setzt Borwin III. sich mit dem Kloster wegen Streitigkeiten auseinander, die zwischen beiden hinsichtlich der Befugnisse des fürstlichen Vogts entstanden waren. Diebstahl von mehr als 8 solidi Wert,Brandstiftung, Totschlag, Frauenschändung oder Frauenraub behält der Fürst seinem Gericht vor und überläßt dem Kloster nur die niedere Gerichtsbarkeit. Dieser Entscheid ist dann noch einmal am 27. März 1257, M.U. 792, von Johann von Wismar wiederholt worden. Jetzt ist klar, weshalb die hohe Gerichtsbarkeit in M.U. 239, 258 und 391 gar nicht erwähnt wird; sie war eben trotz M.U. 152 dem Kloster noch gar nicht verliehen worden. Der früheste Termin dafür und damit auch für die Abfassung von M.U. 152 in der überlieferten Form ist also der 28. März 1257.

Auffällig ist in M.U. 152 ferner die eigenartige Beschränkung der Landwehrpflicht, die sich sonst in keiner Bestätigung mecklenburgischer Fürsten an das Kloster bis 1300 wiederfindet. Etwas Ähnliches enthält aber eine Urkunde des Pommernherzogs Sambor II. vom 10. Juli 1258 über die an die Doberaner Zisterzienser übergebene Kirche von Samburia, M.U. 828. Die Bestimmungen über die Freiheiten der Kirchenleute werden fast wörtlich in der Form gegeben, in die sie auch M.U. 239 und 258 gefaßt sind. Dann folgen Bestimmungen über die Landwehrpflicht, die sehr denen von M.U. 152 ähneln. Sie lauten:

M.U. 152. M.U. 828 (10. Juli 1258).
ab expedicione qualibet, nisi in terre defensione, ita quod terram non exeant, sed infra terram contra inimicos terre, si comparuerint, expedicionem faciant; quod si per triduum in expedicione positi inimicos exspectaverint et non venerint, die quarto unusquisque ad sua redire poterit. necnon ab omni expedicione, nisi in terre defensione, cum videlicet ab extraneo domino impetitur, et hoc per triduum tantum infra terram, si aparuerint inimici; si vero non coparuerint infra terram, unusquisque ad sua redire poterit.

M.U. 828 ist Empfängerurkunde, also in Doberan oder von Doberaner Mönchen aufgesetzt und dann dem Herzog zur Besiegelung vorgelegt. Wäre für die Beschränkung der Landwehrpflicht auf drei Tage im Klosterarchiv schon eine feste

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 249 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Formel oder ein Vorbild wie M.U. 152 vorhanden gewesen, so würde man in Doberan wohl auf sie zurückgegriffen haben, wie man es hinsichtlich der vorhergehenden Bestimmungen auch getan hat. Ein Vergleich zwischen den beiden Fassungen von M.U. 152 und M.U. 828 zeigt, daß letztere Urkunde die knappere, aber gelegentlich, wie in dem mit videlicet beginnenden Satze, eine etwas unklare Form hat. M.U. 152 ist hier ausführlicher und klarer und macht den Eindruck einer verbesserten Form von M.U. 828. M.U. 828 hat als stilistisches Vorbild in seinen anderen Teilen M.U. 792 und M.U. 463. In beiden Urkunden heißt es, daß die Hintersassen des Klosters befreit werden sollen ab omni expedicione, nisi in terre defensione, cum videlicet terra ab extraneo domino impetitur. Und M.U. 792 fügt ausdrücklich hinzu: secundum quod in privilegio domini Burewini, aui nostri, continetur 22 ). Burwin hat also über die Gefolgspflicht bei Heeresaufgebot und bei Landwehr Bestimmungen getroffen, aber andere als M.U. 152 vorbringt. In M.U. 239 sind solche Bestimmungen nicht enthalten. Es muß also noch eine heute nicht mehr erhaltene Verleihung von Gerechtsamen durch Borwin I. an das Kloster vorhanden gewesen sein. Die Einschränkungen der Landwehrpflicht in M.U. 152 können erst aus der Zeit nach 1257 stammen und fallen in ihrer Tendenz zusammen mit der Urkunde Sambors II. für Doberan.

Es ist aber immerhin möglich, daß M.U. 152 in einer ursprünglicheren Form, ehe die nachträglichen Interpolationen hinzutraten, diese erste Bestätigung gewesen ist. Hier muß eine Untersuchung der rein formelhaften Teile des Protokolls Klarheit schaffen.

Wenn man auch bei den Urkunden Borwins I. noch nicht mit einer streng kanzleimäßigen Form rechnen kann, so tauchen in ihren Protokollen doch manche Wendungen auf, die denselben Diktator vermuten lassen. Für die Doberaner Urkunden wird die Untersuchung allerdings dadurch erschwert, daß sie von Empfängerhand stammen. Auffällig ist in M.U. 152 zunächst die Intitulatio: Nos dei gratia Heinricus Burwinus Magnopolitanorum et Kyzzenorum princeps. Der Plural Nos statt der sonst bei Borwin I. üblichen Form Ego findet


22) Im M.U. 792 verleiht Johann von Mecklenburg der Abtei Doberan Albertsdorf und vergleicht sich mit ihr wegen des Gerichts in allen ihren Besitzungen innerhalb seines Gebiets.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 250 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

sich nur noch M.U. 299, in einer Urkunde des Fürsten an das Domkapitel von Havelberg. Ernsthafteres Bedenken muß aber der Titel Magnopolitanorum et Kyzzenorum princeps hervorrufen, der in dieser Form nur noch in der ebenfalls an Doberan gerichteten Urkunde M.U. 239 vom Jahr 1218 erscheint. 1218 hatte dieser Titel seine volle Berechtigung, aber nicht 1192. Bis zum 25. Mai 1200 war Niklot II. princeps Cuscinorum et Kissinorum 23 ), und erst nach seinem Tode fiel das Kessiner Land an Borwin I. In M.U. 152 ist also der Fürst mit einem Titel bezeichnet, der ihm erst von 1200 ab gebührte. Es ist daher ausgeschlossen, daß die Intitulatio von M.U. 152 auf eine Originalurkunde aus dem Jahre 1192 zurückgeht; sie ist vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach erst der Urkunde M.U. 239 entnommen worden. Dasselbe scheint der Fall zu sein in der Inskriptio, die mit der charakteristischen Wendung sancte matris ecclesie filiis in perpetuum in einer Doberaner Urkunde Borwins II. vom 1. August 1219 wiederkehrt.

Das Datum von M.U. 152 steht unter den Urkunden Borwins I. ganz isoliert da. Die Zeitrechnung anno ab incarnatione verbi findet sich sonst in den Doberaner Urkunden erst seit dem 6. Juni 1243. Auch die zweite Hälfte des Datums taucht in der Form von M.U. 152 für die sonstige Doberaner Urkunde erst um 1243 auf, in M.U. 552 vom 29. Dezember 1243, wie folgende Nebeneinanderstellung zeigt:

M.U. 152. 1) M.U. 546 v. 6. Juni 1243:
Datum anno ab incarnatione verbi 1192, presidente cathedre Romane sedis Celestino papa huius nominis tertio, pontificatus eius anno secundo. Datum anno ab incarnatione verbi 1243, indictione prima, VIII. idus Junii.
2) M.U. 552 v. 29. Dezbr. 1243:
Datum in Guzstrowe anno dominice incarnacionis 1244.., IV. kal. Januarii presidente cathedre Romane sedis pio papa Innoccncio, huius nominis IV to , pontificatus eius anno primo.

Ähnliche Formulierungen der Zeitangabe finden sich noch in Doberaner Urkunden bis 1273 mehrfach wieder, so z B. in


23) M.U. 166.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 251 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

M.U. 591 von 1247 und in M.U. 1297 von 1273. Wir haben es also mit einer Zeitmode der Jahre 1243 bis 1270 zu tun. Es ist daher nicht anzunehmen, daß M.U. 152 Muster für M.U. 546 und dessen Nachfolgerinnen gewesen ist; sein Datum wird erst in der Zeit zwischen 1243 und 1270 entstanden sein.

An der Spitze der Zeugenliste von M.U. 152 stehen drei geistliche Herren: Bischof Berno und die Pfarrer Marsilius von Lübow und Hartmann von Bukow. Weder Marsilius noch Hartmann erscheinen in späteren Urkunden wieder; M.U. 254 zeigt aber, daß Pfarreien in Lübow und Bukow sicher schon 1219 bestanden, da hier als Zeugen die Priester Walter von Bukow und Ovo von Lübow auftreten. Anstoß hat schon Kunkel 24 ) an dem Titel episcopus hinter dem Namen Brunwards genommen. Der Streit um das Bistum zwischen Brunward und Propst Hermann von Hamburg wurde erst 1195 entschieden. Hermann, der als Kandidat des Domkapitels und Bruder des Schweriner Grafen dem Schützling der wendischen Fürsten, Brunward, gegenüber zunächst die größeren Aussichten hatte, nennt sich noch 1194 25 ) nur electus Zuerinensis. Es ist deshalb nach Kunkels Meinung zu erwarten, daß auch Brunward sich Zurückhaltung auferlegt und sich bis 1195 des bischöflichen Titels enthalten habe. Man wird demgegenüber aber einwenden können, daß der angebliche Aussteller von M.U. 152 einer der besonderen Förderer Brunwards war, und daß Brunward den bischöflichen Titel in M.U. 152 schon antizipiert haben könnte, um Borwin nicht zu verletzen.

Als weitere Zeugen sind folgende Slavi aufgezählt: Venciko, Woywoto, Martinus, Damascho, Paliz, Cusiz, Vriz. Noch tragen sie alle ihre wendischen Namen mit Ausnahme des Martinus. Die Zeugenliste stammt also aus einer Zeit, da die deutsche Kultur am Hofe Borwins I. sich gerade erst Eingang zu verschaffen begann. Ein Vergleich der Zeugenliste von M.U. 152 mit denen der späteren Urkunden Borwins läßt deutlich erkennen, daß in seiner Umgebung der deutsche Einfluß dauernd zunahm. Der erste Schritt in dieser Hinsicht war wohl die Annahme eines zweiten kirchlichen Namens durch die wendischen Großen. Es ist daher möglich, daß der eine oder der andere der Zeugen von M.U. 152 in späteren Urkunden mit seinem Taufnamen auftritt und deshalb für uns nicht mehr


24) A. a. O. S. 49 ff.
25) M.U. 155, 156.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 252 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wieder zu erkennen ist. Die Bestimmung der wendischen Zeugen stößt daher auf große Schwierigkeiten. Ein Wende Woywote taucht als Zeuge auch M.U. 258 vom 1. August 1219 auf, aber als fünfter von sechsen. Es ist nicht anzunehmen, daß es sich hier um dieselbe Person wie in M.U. 152 handelt, zumal fast dreißig Jahre zwischen dem Erlaß der beiden Urkunden liegen, falls die Echtheit der Zeugenliste von M.U. 152 angenommen wird. Besser bezeugt ist Damascho. In dem Vertrage des Bischofs Dietrich von Lübeck mit Borwin I. über die Zehnten von Poel werden als Laienzeugen, in denen man wohl Gefolgsleute des mecklenburgischen Fürsten erblicken muß, genannt: de laicis Heinricus, Damase Slauus, Uffo et frater eius Jerdagh. Über die fünf weiteren Zeugen schweigt die Überlieferung.

Das Ergebnis der Untersuchung über M.U. 152 ist folgendes: Es ist möglich, daß die Zeugenreihe auf eine ältere Urkunde Borwins zurückgeht, in der dem Kloster bald nach seiner Neugründung 1186 die Rechte seiner Hintersassen genau bestimmt worden waren. Alle anderen Teile der Urkunde stammen aber erst aus späterer Zeit. In Ermangelung älterer Nachrichten über die erste Ausstattung des Klosters nahm der Verfasser hinsichtlich der ersten Besitzverleihungen seine Zuflucht zu der Zehnturkunde des Bischofs Brunward vom 3. Oktober 1232 26 ), hinsichtlich der näheren Bestimmungen über die Pflicht der Landwehr zur Urkunde Sambors II. vom 10. Juli 1258 27 ), hinsichtlich der Intitulatio zu M.U. 239 vom Jahre 1218 und hinsichtlich des Datums zu Urkunden des Klosters aus der Zeit nach 1243 28 ). Man wird daher den Terminus a quo in das Jahr 1258 setzen.

Was mag der Anlaß für die Fälschung von M.U. 152 gewesen sein? In M.U. 152 wird als Besitz des Klosters ein predium in Pole genannt, von dem in keiner anderen Urkunde die Rede ist. Von Beziehungen des Klosters auf der Insel Poel berichtet nach M.U. 152 zuerst wieder eine Eintragung in das Wismarsche Stadtbuch aus dem Jahre 1275 29 ), wonach der Abt von Doberan dem Abbo von Poel eine Leibrente von 30 Drömt Getreide jährlich zu zahlen hat, die vielleicht der


26) M.U. 406.
27) M.U. 828.
28) M.U. 546 und 552.
29) M.U. 1365.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 253 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Entgelt für die Überschreibung von Abbos Besitz auf Poel an das Kloster waren. Mehr wissen wir aber auch über diesen Poeler Besitz nicht. Immerhin trägt das Zusammentreffen der Zeit der Erwerbung auf Poel mit der aus dem Text zu schließenden Zeit der Fälschung überhaupt dazu bei, die Ansicht zu stärken, daß M.U. 152 erst in der Zeit zwischen 1258 und 1275 entstanden sein kann.

M.U. 152 enthält aber noch eine das Meer betreffende Verleihung, die zum Teil auf altes Urkundengut zurückzugehen scheint. Borwin verleiht nach unserer Urkunde dem Kloster auch alles Uferrecht innerhalb der genau angegebenen Grenzen, sowohl "hinsichtlich des Heringsfangs wie des Strandrechts". Dieselbe Bestimmung findet sich auch in einer anderen Doberaner Urkunde, die nach ihrem Ausstellungsdatum in fast die gleiche Zeit zu setzen ist wie M.U. 152, nämlich in M.U. 148.


3.

Die Urkunden M.U. 147 und 148 (8. April 1189).

Beide Urkunden stammen nach ihrer Angabe von Niklot II. von Rostock, dem Sohn des von Heinrich dem Löwen 1164 gehängten Wratislav. Sie sind beide im angeblichen Original erhalten.

M.U. 147 ist 25,4 cm lang und 19,4 cm breit, von gelblich grauem Pergament; die Schrift ist teilweise stark abgescheuert, die Urkunde selbst ist unliniert. Hinter dem letzten Namen der Zeugenliste, Prelle, sind der Rest der Zeile und der Raum der nächsten Zeile freigelassen. Da hinter Prelle der Punkt fehlt, scheint der Schreiber die Absicht gehabt zu haben, noch weitere Namen hinzuzufügen, was aber aus nicht mehr erweisbaren Gründen unterblieben ist. Die Schrift weist auf den Beginn des 13. Jahrhunderts und ist älter als die aller sonst erhaltenen Doberaner Urkunden. Auffallenderweise sind bei den Namen Thieduigus de Rotstocke und Heinricus de Goderac die Amtsnamen capellanus, bei Heinricus Buruwe de Michelenburc der Titel princeps darübergeschrieben. Ursprünglich hat also die Zeugenliste wie bei M.U. 122 nur aus Namen bestanden, die vielleicht in einem Exzerpt

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 254 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

überliefert waren, dann aber von dem Schreiber der Urkunde nachträglich mit näheren Bestimmungen versehen wurden.

Die Plica fehlt. Das runde einseitige Siegel hängt an leinenen Fäden, die zweimal durch das Pergament gezogen sind, und ist aus festem gebräuntem Wachs. Es zeigt das Bild des Fürsten als Reiter mit Sturzhelm auf einem nach links dahin sprengen den Rosse. In der einen Hand schwingt er ein breites, mit Blutrinne versehenes Schwert, mit der anderen hält er vor der Brust einen spitz-ovalen Schild, wie er auch bei dem Reiterwappen des Grafen Albrecht von Orlamünde und Holstein von 1206 bis 1225 vorkommt 30 ). Ein Wappenbild ist auf ihm nicht zu erkennen. Es ist das einzige Reitersiegel, das unter den mecklenburgischen Fürstensiegeln des 13. Jahrhunderts überliefert worden ist. Die Umschrift, die ohne feste Abgrenzung das Reiterbild umschließt, lautet + Nicolavs de Roztoc in groben Unzialen. Das Siegel ist roh gearbeitet und fällt gegen die feine Kunst etwa des Siegels Borwins I. erheblich ab. Sonderbarerweise ist in M.U. 147 und M.U. 148, die sich im Siegel und der Art seiner Anbringung genau gleichen, das Siegel verkehrt angebracht, so daß der Reiter auf dem Kopfe steht. Da beide Urkunden dieselbe Eigentümlichkeit haben, scheint ihr irgend eine Absicht zugrunde gelegen zu haben, die sich heute aber nicht mehr sicher bestimmen läßt. Vielleicht glaubte man, dadurch den Eindruck besonderer Altertümlichkeit hervorzurufen.

M.U. 148 ist anscheinend von derselben Hand geschrieben wie M.U. 147, aber nicht in einem Zuge. Vom Schlußsatz der Dispositio ab, der mit Insuper beginnt, ist die Tinte erheblich dunkler als im ersten Teile. Vor dem Datum ist wie bei M.U. 147 eine Zeile frei gelassen. Beide Urkunden machen den Eindruck, als seien sie zur selben Zeit von demselben Schreiber hergestellt worden. M.U. 148 ist 24 cm lang und 18,5 cm breit. Das Pergament und die Schrift sind dieselben wie bei M.U. 147, die Urkunde ist unliniert. Die sehr engen Beziehungen der beiden Urkunden zueinander ergeben sich auch aus ihrem Protokoll. Die Salutatio: In nomine sancte et individue trinitatis, die von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Ende des 13. am häufigsten auftritt, leitet nur M.U. 147 ein. M.U. 148 beginnt gleich mit der beiden Urkunden gemeinsamen Intitulatio: Ego Nicolaus dei gratia


30) Vgl. die Siegeltafeln I bis III in der Zeitschr. d. Ges. f. schlesw.-holst. Geschichte, Band 57.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 255 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Slavorum princeps. Als Niklots II. Titel ist 1219 in M.U. 258 princeps de Roztoc überliefert worden, wozu auch die Inschrift des beiden Urkunden angehängten Siegels: Nicolaus de Roztoc gut passen würde. Der Ausdruck "Fürst der Slawen" beansprucht aber für Niklot einen so umfassenden Herrschaftsbereich, wie er wohl selbst in den Jahren nicht besessen hat, als Borwin I. in dänische Gefangenschaft geraten war. Gemeinsam sind beiden Urkunden die auffallend kurze Arenga, die ungewöhnlich knappe Promulgatio Unde und das Datum: Datum Rotstoc (M.U. 148: Rotstoch), VI. idus Aprilis anno ab incarnatione domini MCIX, indictione VII., tempore Clementis pape, regnante Friderico imperatore piissimo. Clemens III., der allein in Frage kommen kann, regierte vom Dezember 1187 bis zum März 1191. Da Kaiser Friedrich I. am 10. Juni 1190 starb, würde die Urkunde in der Zeit vom Dezember 1187 bis zum Juni 1190 aufgesetzt worden sein; aus der Indiktionszahl wäre auf 1189 zu schließen. Mit diesen Bestimmungen ist aber unvereinbar die beiden Urkunden gemeinsame Inkarnationszahl 1109, die dann später in 1160 verbessert worden ist 31 ). Die Annahme Lischs, M.U. I, S. 143, daß bei der Schreibung die Zehner ausgefallen seien und man eigentlich MCLXXXIX lesen müsse, erscheint aber angesichts der Tatsache, daß beide Urkunden denselben Fehler aufweisen, so kompliziert, daß es schwer wird, ihr zuzustimmen. Die seltene Form tempore findet sich in der mecklenburgischen Urkunde bis 1218 nur noch in M.U. 122 und in der Pluralform temporibus in der echten Borwinurkunde an Doberan von 1218, M.U. 239. Beiden Urkunden fehlt eine Narratio. Eine Poenformel und eine Zeugenliste finden sich nur in M.U. 147; die Poenformel ähnelt auffällig denen von M.U. 122 und 239:

M.U. 122. M.U. 147. M.U. 239.
Quisquis igitur his contraire temptaverit, divine ultioni non inmerito subiacebit. Quisquis igitur aliqua de his, que diximus, infringere temptaverit, ultionis divine sententiam non immerito subibit. Quisquis hiis contraire temptaverit, eterne maledictioni subiaceat.

31) Die Abschrift der Urkunde im Doberaner Diplomatar enthält die Jahreszahl 1190, die sich aber nicht aus der Urkunde selbst herauslesen läßt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 256 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Als Zeugen werden M.U. 147 genannt: Bischof Berno von Schwerin, die Kapellane Thiedwigus von Rostock und Heinrich von Goderac (heute Kessin), Fürst Heinrich Buruwe von Mecklenburg und die wendischen Gefolgsleute Sirizlaf, Retis Wolkouiz (Sohn des Wolkow), Uencegur, Rademir, Bruno de Chubanze, Gerardus Prelle. Ein Retis wird als dominus am 18. Juni 1262 in einer Urkunde Borwins III. von Rostock 32 ) und als miles am 14. Juni 1264 in einer zu Güstrow ausgestellten Urkunde des Fürsten Nikolaus von Werle 33 ) unter den Zeugen angeführt; da sich auch ein Ritter Johann von Kröpelin unter den Zeugen beider Urkunden findet, wird es sich bei Retis ebenfalls um dieselbe Person handeln. Der Name Retis ist unter den Wenden in dieser Zeit verhältnismäßig selten, so daß man vermuten kann, daß der Retis von M.U. 147 ein Ahnherr des gleichnamigen Ritters von 1262 ist. Ein Rademar kommt 1271 34 ) als Bruder des Jerezlaus dictus de Kalant vor. Sie sind Söhne des Dominus Lippold, der im Dienste Borwins III. von Rostock zur Besatzung der Burg Kalen gehörte; auch hier ist möglich, daß der 1271 anscheinend schon verstorbene Rademar ein Nachkomme des M.U. 147 erwähnten ist. Bruno de Chubanze ist durch die due ville Brunonis in Cubantze 35 ) glaubwürdig für diese Zeit bezeugt. Die anderen Namen finden sich in mecklenburgischen Urkunden dieser Zeit nicht wieder; Befremden erregt aber der Doppelname Gerardus Prelle, der auf einen deutschen Träger schließen läßt und für diese Zeit, soweit es sich nicht um ein Patronymikon handelt, ungewöhnlich ist.

Wenn sich im Protokoll auch einige anstößige Stellen wie tempore pape, princeps Slavorum, das falsche Inkarnationsjahr und der Name Gerardus Prelle finden, so reichen sie allein doch nicht aus, um die Echtheit des gesamten Inhalts der Urkunden in Frage zu stellen. Die Zeugenliste scheint zum mindesten auf ein altes echtes Zeugenverzeichnis zurückzugehen.

Gemäß der Dispositio der Urkunde 147 schenkte Niklot II. dem Kloster Doberan das predium Wi1sne mit aller Nutz-


32) M.U. 959.
33) M.U. 1015.
34) M.U. 1234.
35) M.U. 152, 380, 406.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 257 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nießung an Wasser, Wiese und Wald nach demselben Recht, nach dem sein Oheim Pribislav den Doberaner Mönchen Besitz verliehen hatte; es solle nämlich weder ein Graf noch ein Vogt noch irgend eine andere weltliche Gewalt über das Eigentum des Klosters an Sachen und Menschen sich irgend ein Recht anmaßen dürfen ohne Zustimmung des Abtes, der allein in diesem Gebiet das Recht habe, zu verordnen und zu richten und diese Befugnisse auf Leute seiner Wahl zu übertragen. Der Satz: eodem iure, quo patruus meus Pribizlaus omnia bona ... contulit, ist um die Wende des 12. Jahrhunderts nur so zu verstehen, daß Pribislav noch unter den Lebenden weilt. Andernfalls wäre dem Namen noch eine nähere Bestimmung wie etwa bone memorie hinzugefügt worden. Die Vorlage für M.U. 147 müßte danach noch vor dem 28. Dezember 1178 36 ) erlassen sein, womit allerdings das Datum von 1189 nicht übereinstimmt. Eine weitere Schwierigkeit für die Beurteilung bietet in der Aufzählung der Personen, die dem Kloster die von Niklot gegebenen Rechte verkümmern könnten, die Erwähnung des Grafen. Pribislav und Niklot konnten in dieser Weise doch nur verfügen, wenn Doberan in einer von den Wendenfürsten abhängigen Grafschaft lag. M.U. 152 schützt das Kloster daher auch nur gegen Übergriffe der Richter und Vögte, M.U. 239 befreit aber wie M.U. 147 von allen Auflagen seitens der Grafen, Vögte und Richter. Von M.U. 259 ab sind dann die Grafen durch Fürsten (principes) ersetzt worden, die den tatsächlichen mecklenburgischen Verhältnissen eher entsprechen. Die Aufzählung der Grafen in M.U. 239 vom Jahre 1218 macht aber irgendwelche Beziehungen zwischen den Urkunden M.U. 147 und M.U. 239 wahrscheinlich.

M.U. 147 verfügt weiter: "Die Leute aber, die die Ländereien der Klosterbrüder bebauen oder in ihren Dörfern auf ihnen wohnen, sollen vom Bau der Burg und der Brücke vor der Burg und von anderen Arbeiten, die den (fürstlichen) Untertanen befohlen werden, befreit sein, damit sie desto besser den Brüdern dienen können." M.U. 152 enthält auch eine Befreiung der klösterlichen Hintersassen vom Burg- und Brückenbau, doch ist hier nicht mehr nur von einer Brücke, sondern von Brücken überhaupt die Rede. In den folgenden Urkunden bis


36) Pribislav starb am 28. Dezember 1178.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 258 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

1232 wird die Befreiung vom Brückenbau überhaupt nicht wieder erwähnt. Die Angabe einer bestimmten Brücke - es kann sich hier nur um eine Brücke bei der Rostocker Burg handeln - in M.U. 147 zeigt, daß es sich hier um altes Urkundengut handelt.

Schließlich verfügt Niklot II., das jährlich aus der Schenke von Goderac 6 Mark dem Kloster zu zahlen seien, und schließt mit dem kurzen zusammenfassenden Befehl, daß den Mönchen alles gewahrt sein solle, was immer gerecht sei (ut quecunque iusta sunt, illis servari precepi). Diese Rente von 6 Mark wird in späteren Bestätigungen nicht wieder erwähnt und auch nicht mehr vom Kloster beansprucht. Eine Fälschung zugunsten eines schon 1218 aufgegebenen Anspruchs hätte nach 1218 keinen Sinn mehr gehabt. Daher wird auch diese Bestimmung über die Goderacer Rente auf eine ältere echte Urkunde zurückgehen.

Es ergibt sich aus der bisherigen Untersuchung des Textes von M.U. 147 folgendes: Die Urkunde steht in Beziehungen zu M.U. 122 und M.U. 239 in der Poenformel und im Datum, zu M.U. 239 allein in der Erwähnung des Grafen. Sie enthält außer dem Datum keinerlei Bestimmung, welche die Möglichkeit ausschließt, daß sie noch zur Zeit Pribislavs, also vor 1178 entstanden sei.

Laut M.U. 148 hatte Niklot Mannen, die ihm durch Podaca, eine Geldschuld, verpflichtet waren, in die Klosterdörfer entsandt und mit dem Schutz der Einwohner betraut. Diese Geldschuld und die Dienste, die mit ihr verbunden waren, tritt Niklot jetzt an das Kloster ab. Namentlich werden ein Dalik mit einer Schuld von 2 Mark und ein Nivar mit einer Schuldsumme von 1 Mark aufgeführt. Bei der schwankenden Schreibweise der wendischen Namen in den Urkunden des beginnenden 13. Jahrhunderts ist es wahrscheinlich, daß der Name Nivar identisch ist mit Newoper (M.U. 254), Niwopek (M.U. 258), Neopra (M. U. 260), Niewopre (M.U. 282). Der Träger der letzten vier Namensformen ist um 1220 Gefolgsmann Borwins I. von Mecklenburg. Der Name Nivar spricht also nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Verfügung von M.U. 148. Da auch diese Schenkung an das Kloster später nie wieder erwähnt wird, kann sie nicht die Veranlassung zu einer Fälschung gewesen sein; sie wird also tatsächlich durch Niklot erfolgt sein. Weiter verfügt Niklot in ausdrücklicher Übereinstimmung mit

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 259 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Borwin von Mecklenburg für alle diejenigen, die in ihrem Herrschaftsbereich durch Diebstahl, Raub oder andere Freveltat den Mönchen Schaden zugefügt hätten, aber ihre Tat leugneten, daß sie dem Gottesurteil mit neun Pflügen unterworfen würden. Bei Vergehen gegen Hausleute oder deutsche Siedler des Klosters, also gegen Laien, sollte beiden aufgeführten Vergehen das Gottesurteil durch das Handeisen angewandt werden. Daß auch in anderen Gegenden des Kolonisationsgebietes und in Holstein in ähnlicher Weise verfahren wurde, wenn Wenden im Verdacht standen, sich gegen die Kirche oder ihre Einrichtungen vergangen zu haben, zeigt das Vorgehen des Bischofs Gerold von Lübeck in Wagrien 37 ) und ein Vorfall in Holstein aus den 80er Jahren des 12. Jahrhunderts 38 ). Alle Verfügungen dieser Art wurden aber hinfällig, nachdem Erzbischof Hartwich II. 39 ) von Hamburg die mißbräuchliche Anwendung des Gottesgerichts verboten hatte 40 ). Von da ab war dies Recht also für das Kloster wertlos und konnte ihm daher von Niklot nicht mehr verliehen werden. Deshalb wird auch dieser Teil der Urkunde auf eine Vorlage zurückgehen, die vor 1207 schon vorhanden gewesen sein muß.

Hinsichtlich des Handels auf "unserem" Markt, womit wohl nur Rostock gemeint sein kann, erhalten die Mönche selbst unentgeltlich Zollfreiheit für Ein- und Verkauf, während die Leute des Klosters: Händler, Pelzer, Schuster, Kaufleute und Angehörige anderer "Künste" (vel aliarum artium) für das Recht zollfreien Handels auf dem Markt 6 Denare jährlich zahlen müssen. Alle späteren Urkunden gestehen den Leuten des Klosters Freiheit von jeglichen Zöllen, also auch von den Marktzöllen zu. Es lag also schon 1218, zur Zeit der zweiten,


37) Vgl. Helmold, cap. 84, Schmeidler, S. 164, Z. 29 ff.: Et inhibiti sunt Slavi de cetero iurare in arboribus, fontius et lapidibus, sed offerebant criminibus pulsatos sacerdoti ferro vel vomeribus examinandos.
38) Vgl. Visio Godescalci, cap. 22, in Quellensammlung d. Ges. f. Schlesw.-Holst.-Lauenb. Geschichte, Bd. IV, S. 103.
39) Er starb am 5. November 1207.
40) Lappenberg, Hamburgisches Urkundenbuch Nr. 363: quod sacerdotes plerique a quibusdam secularibus iudicibus cogantur, quoslibet suspicione vel infamia criminis notatos iudicio candentis ferri vel ignitorum vomerum aut quovis alio, quod vulgo divinum iudicium appellatur, quasi de iure examinare.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 260 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

echten Borwin-Urkunde, gar nicht mehr im Interesse des Klosters, etwa in einer gefälschten Urkunde die Erinnerung an den ungünstigeren Zustand einer früheren Zeit wach zu halten. Ist M.U. 148 eine Fälschung, so muß sie doch schon vor 1218 entstanden sein.

Zum Schluß schenkt Niklot dem Kloster an der Meeresküste, soweit sie dem Kloster gehört, den Zoll vom Heringsfang, das angetriebene Schiffsgut 41 ) und allen sonstigen Ertrag von der See. Die Bestimmung über die örtliche Ausdehnung dieses Rechts ist noch sehr primitiv. Die östliche Grenze wird durch den Ausdruck: "gegenüber der Grenze von Wilsen", die westliche durch: "gegenüber der Grenze von Dobimerigorca" umschrieben. Eine ähnliche Bestimmung enthält auch M.U. 152:

M.U. 148. M.U. 152.
Insuper teloneum in captura allec (!) et aplicationem navium, necnon et omnem proventum maris, quod in aquilonari parte abbatie situm est, incipiens ipsius maris terminus in oriente contra terminumWilsne et extendens se in occidentem contra terminum, qui dicitur Dobimerigorca, perpetuo condonavi possidendum. Et est terminus abbatie ad occidentem collis, que lingua slavica Dobimerigorca vocatur, et inde contra septentrionem usque ad mare protenditur; in parte autem orientali est terminus abbatie a quercu, que sita est iuxta viam in terminis Wilsne, et iterum protenditur contra septentrionem usque ad mare recto tramite. Omnem etiam proventum maris vel utilitatem infra hos terminos racionabiliter distinctos tam in captura allec (!) quam in periclitatione navium concessimus ecclesie Doberanensi ... iure perpetuo possidendum.

Das gemeinsame Contra und die Form allec statt allecium zeigen, daß die Wortanklänge in beiden Urkunden nicht nur auf die Besonderheit der behandelten Gegenstände zurückzuführen sind. Das Recht am Heringsfang wird in den späteren


41) So wird man wohl am besten aplicatio navium übersetzen.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 261 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Urkunden nicht wieder erwähnt, das Strandrecht ist aber von Borwin I. am 2. August 1220 in seinem Herrschaftsbereich aufgehoben worden 42 ). Es ist also ausgeschlossen, daß er es nachher noch an Doberan verliehen haben sollte. Also muß diese Bestimmung aus der Zeit vor 1220 stammen.

Alle Angaben der Dispositio weisen also in die Zeit vor 1220, die über das Gottesurteil gehen sogar bestimmt auf die Zeit vor 1207 zurück.

Wie sind nun die Beziehungen der beiden Urkunden M.U. 147 und 148 zu M.U. 122, 152 und 239 und die unmögliche Datierung zu erklären? Schon die Schrift verbietet, M.U. 147 und 148 etwa in die Zeit um 1260 hinaufzusetzen. Es erscheint daher als ausgeschlossen, daß diese Urkunden irgendwie M.U. 122 als Vorlage benutzt haben könnten. Es ist aber zu Anfang dieses Aufsatzes versucht worden, nachzuweisen 43 ), daß M.U. 122 sich in seinen sachlichen Bestimmungen aufbaut auf älteren Aufzeichnungen, die auf eine echte Urkunde aus der Zeit der ersten Klostergründung Doberans von 1171 bis 1179 zurückgehen. Die Art und Weise, wie Pribislav M.U. 147 erwähnt wird, läßt annehmen, daß auch die sachlichen Bestimmungen dieser Urkunde auf die Zeit vor 1179 zurückgehen. Dem Verfasser der echten Zehntverleihung Bernos, die sich auch ausdrücklich auf die Schenkung Pribislavs beruft, wird also eine Schenkungsurkunde Pribislavs bekannt gewesen sein, ebenso wie dem Verfasser der echten Urkunde Niklots. Die Originale der vier Urkunden werden bei der Zerstörung des ersten Klosters durch die Wenden 1179 vernichtet worden sein. Es sind aber kurze Auszüge aus ihrem Inhalt auf irgend eine Weise, vielleicht auf dem Wege über das Mutterkloster Amelungsborn, woher auch die Mönche der zweiten Klostergründung kamen, durch die Zerstörung hindurchgerettet worden. Vor allem werden in ihnen die sachlichen Bestimmungen und in einer Zeit, wo der Beweis durch die Zeugen noch den Vorrang vor dem Siegelbeweis hatte, die Zeugenlisten überliefert worden sein. Da die Zeugen zu der Zeit, da die Exzerpte vorgenommen wurden, noch allgemein bekannt waren, hat man in ihnen auf die Beifügung ihres Titels verzichtet.


42) M.U. 268.
43) Vgl. S. 237 f.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 262 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die Bestimmungen über den Heringsfang und das Strandrecht von M.U. 152 werden auf M.U. 148 zurückgehen. Leider ist es nicht gelungen, die Veranlassung zu erkennen, die zur Herstellung von M.U. 152 führte. Diese Urkunde faßt alle Rechte zusammen, die Borwin I. der zweiten Klostergründung in Doberan verliehen haben soll, und hatte sichtlich den Zweck, rechtliche Ansprüche des Klosters, für die Borwins Urkunde von 1218, M.U. 239, nicht ausreichte, zu beweisen. Es wurden in ihr daher alle Rechte zusammengefaßt, die dem Kloster bis 1232 verliehen worden waren, und weitere Rechte beansprucht, wie die Einschränkung der Landwehr und Überlassung der hohen Gerichtsbarkeit; deshalb nahm man in sie auch die Bestimmungen Niklots über Heringsfang und Strandrecht auf, die man in der neu wieder hergestellten Urkunde M.U. 148 vorfand.

Die Untersuchung kommt also zu folgendem Schluß: Die ältesten Urkunden sind die Verleihungen Niklots II. Sie gehen auch in der überlieferten Form noch in die Zeit vor 1207 zurück und bauen sich auf Exzerpten auf, die verloren gegangenen Urkunden aus der Zeit der ersten Klostergründung entnommen waren. Neu ist in ihnen sicher das Datum und vielleicht auch die Intitulatio. In ihren übrigen Teilen scheinen sie echtes Urkundengut zu enthalten. M.U. 147 und 148 wurden hergestellt zu einer Zeit, da der urkundliche Beweis vor dem einfachen Zeugenbeweis immer mehr an Bedeutung gewann, und hatten wohl nur den Zweck, alte bestehende Rechte durch nachträglich noch einmal hergestellte Urkunden zu stützen. M.U. 122 ist unter Herbeiziehung alter Aufzeichnungen und der Urkunde M.U. 406 erst gegen 1260 entstanden, um gefährdete Zehntrechte zu verteidigen. M.U. 152 ist ungefähr um dieselbe Zeit aufgesetzt worden unter Benutzung von M.U. 122, 406 und 148, um dem Kloster die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit in seinem Gebiet zu erstreiten.


Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 263 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

4.

Zusammenfassung.

Alle Urkunden stimmen darin überein, daß das Kloster Doberan noch von Pribislav gegründet worden ist. In dem Wunsche, die christliche Lehre auch unter den Wenden immer mehr auszubreiten, fanden Pribislav und Schwerins großer Bischof Berno sich zusammen, und der Überredungskunst des Bischofs mag es schließlich zu verdanken gewesen sein, daß Pribislav zur Tat schritt und den für kolonisatorische Zwecke geeignetsten Orden, die Zisterzienser, in sein Land rief. Bischof Berno, der wahrscheinlich selbst Mönch in Amelungsborn gewesen war 44 ), holte Brüder aus diesem Kloster herbei, die 1171 45 ) unter Abt Konrads Führung in Pribislavs Herrschaft eintrafen und von ihm auf seinem Gut Althof, östlich des Doberbachs angesiedelt wurden.

Von Anfang an scheint Pribislav das Kloster mit reichem Besitz ausgestattet zu haben. Der Wendenfürst rüstete sich zur gefahrvollen Fahrt nach dem Heiligen Lande, die er Anfang 1172 in Heinrichs des Löwen Gefolge antrat. Es entsprach der Denkungsart jener Tage, daß man sich in solcher Lage für alle Fälle die göttliche Gnade durch reiche Schenkungen zu sichern suchte. Der Klosterhof selbst (das heutige Althof), wendisch Doberan (das heutige Doberan), Parkentin, Hohenfelde, Stülow und Reddelich werden dem Kloster gleich bei seiner Gründung von Pribislav geschenkt worden sein. Fraglich ist bei den vier Dörfern in der Landschaft Cobantze, ob sie schon von Pribislav dem Kloster geschenkt worden sind, oder ob ihm nur vom Bischof der Zehnte dieses Gebiets überwiesen


44) Mecklenb. Jahrbücher Bd. 28, S. 95 f.
45) Ebendort S. 236. Die Zisterzienser rechneten nach dem Marienjahr, das am 25. März begann; vgl. Grotefend, Taschenbuch d. Zeitrechnung, 3. Aufl., S. 14. Ihr Jahr 1170 reichte vom 25. März 1170 bis zum 25. März 1171. Kal. Martii 1170 ist also nach heutiger Rechnung der 1. März 1171.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 264 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wurde. Für die erste Ansicht spricht, daß Brusow, eins der in dieser Landschaft gelegenen Dörfer, auch später immer als Doberaner Besitz genannt wird; die zweite Ansicht würde sich darauf berufen können, daß die beiden Dörfer des Bruno und Kröpelin später als Besitz des Klosters nie wieder auftauchen, daß aber Kröpelin wenigstens in kirchlicher Hinsicht noch 1230 46 ) Doberan unterworfen war. Bischof Berno ergänzte des Fürsten reiche Schenkung, indem er dem Kloster in diesen Dörfern auch den bisher dem Bischof zu zahlenden Zehnten überließ, dem Abt das Recht zusprach, in ihnen Kirchen zu errichten, Priester einzusetzen, Taufen und Beerdigungen vorzunehmen und ihm den geistlichen Bann über alles Klostergut verlieh. Noch in die Zeit der ersten Klostergründung, d. h. bis 1179, fällt auch die Schenkung des Dorfes Wilsen und von 6 Mark Rente aus der Kessiner Schenke seitens Niklots II. von Rostock. Die Schenkungsurkunde dieses Fürsten, der sich bei seinen Verleihungen ausdrücklich auf Pribislavs Vorbild beruft, gewährt einen guten Einblick in die Art, wie die Mönche in die Abtei eingewiesen wurden. Ein Unterschied zwischen hoher und niederer Gerichtsbarkeit scheint damals im wendischen Gebiet noch nicht gemacht worden zu sein und sich erst bei zunehmender Germanisierung herausgebildet zu haben. So wird dem Abt alles Recht auf Klosterboden übertragen; selbst die auf Grund der Podaca-Verpflichtung 47 ) mit dem Schutz der klösterlichen Siedler beauftragten wendischen Kriegsleute werden an das Kloster abgetreten. Die Hintersassen des Klosters werden von den lästigen Pflichten des Burgen- und Brückenbaus befreit. Das Kloster wie die aus Deutschland herbeigeholten Ansiedler erhalten besonderen Schutz des Fürsten gegen Übergriffe ihrer heidnischen Nachbarn; Verdacht, sich gegen die Anhänger des neuen Gottes vergangen zu haben, wird unter die Feuerprobe des Gottesurteils gestellt. Wenn die Wendenfürsten die Mönche selbst von allen Zöllen befreiten und ihren zugewanderten Hintersassen, vor allem den Händlern und Handwerkern bedeutende Erleichterungen für ihren Handel auf ihren Märkten gewährten, so handelten sie wohl im eigenen Interesse, um durch diese Träger höherer, deutscher Zivilisation dem Handwerk der


46) M.U. 380, 406.
47) Vgl. S. 258.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 265 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wendischen Untertanen neue starke Antriebe zu geben und die Bedürfnisse ihrer eigenen Hofhaltung zu befriedigen, die durch den allmählich sich anbahnenden Verkehr mit den benachbarten deutschen Fürsten sich dauernd steigern mochten.

Noch einmal gewann 1179 die heidnische Reaktion die Oberhand. Das Kloster wurde durch wendische Raubscharen zerstört, die Mönche wurden ermordet, und zwischen Pribislavs Sohn Borwin und Fürst Niklot II. von Rostock tobte wilde Fehde um die Herrschaft im nördlichen Mecklenburg. 1184 geriet Borwin in die Gefangenschaft der Rugier, die ihn dem Dänenkönig überlieferten. Erst 1186 scheinen die beiden Fürsten - Niklot war in die Gefangenschaft des Herzogs Bogislav von Pommern gefallen - der Freiheit wiedergegeben worden zu sein 48 ). Der Preis für die Freiheit war die Unterwerfung unter die dänische Oberhoheit. Zum Dank für die Errettung aus allen diesen Fährnissen mag dann Borwin I. die Gründung seines Vaters erneuert haben. Er holte wieder Mönche aus Amelungsborn, dem alten Mutterkloster Doberans, herbei, siedelte sie an der Stätte des alten Klosters in Althof an, bestätigte ihnen die Rechte, die ihnen schon sein Vater verliehen hatte, und fügte dem alten Besitz bis 1209 Stäbelow, Ribenitz bei Redentin, Jennewitz, Farpen, Redentin und nach 1200 auch Gallin hinzu. Die Einnahme des Klosters aus der Kessiner Schenke und die Rechte, die dem ersten Kloster am Strand verliehen waren, scheinen aber von Borwin und Niklot nicht wieder erneuert worden zu sein und auch hinsichtlich der Gerichtsbarkeit scheinen sie sich den deutschen Gewohnheiten angepaßt und die hohe Justiz für sich beansprucht zu haben, während sie die gänzliche Befreiung von Steuern und Zöllen auch auf die Hintersassen des Klosters ausdehnten. In die Zeit von 1209 fällt die Erwerbung von Polas und Cuneredam, vielleicht auch von Domastiz-Ivendorf; immerhin ist bei letzterem Ort möglich, daß es sich um eine Neusiedlung auf Boden handelte, der dem Kloster schon vorher gehört hatte. Die


48) Die Gefangennahme Borwins muß bald nach der Seeschlacht bei Damsin vom 21. Mai 1184, s. Eggert, Die Wendenzüge Waldemars I. und Knuts VI. von Dänemark, Baltische Studien, N. F. Bd. 29, S. 82 bis 101, erfolgt sein. Borwins Entlassung aus dänischer Gefangenschaft wird man am besten in Zusammenhang bringen mit dem Friedensschluß zwischen Knut VI. und Bogislav von Pommern, Ende 1185, der Niklot II. in seinem Gewahrsam hatte.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 266 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Zehnten von Ivendorf müssen dem Kloster nach M.U. 380 schon vor 1230 verliehen worden sein. Da eine solche Zehntverleihung aber nicht überliefert ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß sie schon in der des Bischofs Berno eingeschlossen war, als Domastiz noch einen Teil der Dorfflur einer Ortschaft bildete, die wie Putecha-Hohendorf schon in M.U. 122 aufgezählt worden war. Die Zehnten von Gallin, Stäbelow, Redentin, Polas, Farpen, Schulenburg und Conerdam wurden dem Kloster erst 1230 von Bischof Brunward von Schwerin verliehen 49 ).

Vignette

49) M.U. 380.