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II.

Die Rostocker Stadtverfassung
bis zur Ausbildung der
bürgerlichen Selbstverwaltung
(um 1325)

von

Paul Meyer.

 

Vignette

 

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Die Arbeit ist von der philosophischen Fakultät der Universität Rostock als Dissertation angenommen.
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Inhaltsverzeichnis.

I. Kapitel: Die Entwicklung der Stadt Rostock bis zur Entstehung einer Gesamtgemeinde 41
II. Kapitel: Die Verfassung unter vorwiegend landesherrlichem Einfluß 47
a) Die Bewidmung der Stadt mit dem Lübischen Stadtrecht und die Entstehung des Rates 47
b) Grundzüge der Stadtverfassung um 1218 52
1. Die Stellung des Vogtes 52
2. Die Befugnisse des Rates 53
III. Kapitel: Stadt und Landesherr im Kampfe um die Stadtherrschaft 57
a) Erweiterung der Stadtfeldmark und Beseitigung der fürstlichen Burgen 58
b) Erwerbung des Fischerei- und Strandrechtes 60
c) Steuer- und Finanzverwaltung 62
d) Zoll- und Münzwesen 67
e) Geleitsrecht- und Judenregal 71
f) Gerichtswesen 73
IV. Kapitel: Die Verfassung Rostocks seit der Ausbildung der bürgerlichen Selbstverwaltung 77
a) Das Verhältnis der Stadt zum Landesherrn 78
b) Der Rat als Organ der Selbstverwaltung 81
1. Die soziale Zusammensetzung des Rates 81
2. Das aktive und passive Wahlrecht 93
3. Amtsdauer, Zahl und Besoldung der Ratsherren 94
4. Der Kompetenzbereich des Rates 97
5. Ratsdeputationen und städtische Beamte 106
c) Die Gemeinde 112

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Kapitel I.

Die Entwicklung der Stadt Rostock
bis zur Entstehung einer Gesamtgemeinde.

Während die wendische rechts der Warnow gelegene Burg Rostock bereits im Jahre 1160 durch den Chronisten Saxo Grammaticus erwähnt wird 1 ), besitzen wir das erste schriftliche Zeugnis für das Bestehen der deutschen Stadt Rostock erst für das Jahr 1218, als nämlich Fürst Heinrich Borwin I. ihr den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes bestätigte 2 ).

Man hat verschiedentlich die Meinung vertreten, daß bereits durch eine Urkunde des Fürsten Niklot aus dem Jahre 1189 die Anfänge einer deutschen Siedlung links der Warnow bezeugt werden, nämlich in der Gegend, wo sich heute die Petrikirche befindet. Diese Ansicht ist jedoch äußerst anfechtbar, und die neueren Forschungsergebnisse haben sie nicht bestätigt. Es handelt sich hierbei um das viel zitierte Privilegium des Slavenfürsten Niklot für das Kloster Doberan, in dem es zum Jahre 1189 heißt: "Concessi insuper eisdem fratribus, quatinus emant vel vendant libere in foro nostro (nämlich Rostock) absque teloneo; homines autem illorum, qui sunt negociatores, pellifices, sutores, mercatores vel aliarum artium, ut habeant necessitatem cotidie vendendi aut emendi, dent ad annum sex denarios, et de cetero absque teloneo negocientur in foro nostro 3 )." Den Klosterbrüdern von Doberan wurde also auf dem Markte des Fürsten Niklot Zollfreiheit im Handel gewährt, desgleichen ihren Leuten, den Krämern, Kürschnern,


1) Ex Saxonis gestis Danorum, ed. 1892 Pertz, M.G., SS. XXIX S. 108.
2) M.U.B. (Mecklenburgisches Urkundenbuch) I Nr. 244.
3) M.U.B. I Nr. 148.
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Schuhmachern, Kaufleuten und anderen Handwerkern, unter der Bedingung, daß sie jährlich 6 Pfennige Zoll zahlten. Die strittige Frage ist die: Ist unter dem "foro nostro" der alte wendische Markt rechts der Warnow zu verstehen oder bereits ein deutscher Markt links der Warnow und damit das spätere deutsche Rostock. Lisch und Mann, welche zum ersten Male gründliche Forschungen hierüber angestellt haben 4 ), sind schon damals zu der Überzeugung gelangt, daß sich dieser Ausdruck keinesfalls auf einen deutschen Markt beziehen könne. Dieselbe Ansicht vertritt K. E. H. Krause in seinem Aufsatz "Rostock im Mittelalter" 5 )5). Demgegenüber hat Herrlich nachzuweisen versucht, daß man es hier bereits mit einem Unternehmen deutschen Charakters zu tun habe 6 ). Diese Meinung vertritt auch Koppmann 7 ), desgleichen, ihm folgend, Schlie 8 ). Jedoch in der neueren Forschung ist man zu der ursprünglichen Auffassung zurückgekehrt, so Hofmeister in seinem Aufsatz: "Zur historischen Topographie Rostocks" 9 ) und vor allem Ludwig Krause in seiner umfangreichen 1925 erschienenen Arbeit: "Zur Rostocker Topographie" 10 ). Die ursprüngliche schon von Lisch und Mann vertretene Meinung erscheint hiernach als die bei weitem wahrscheinlichere.

Unsere Kenntnis von einer deutschen Stadt Rostock beginnt also erst mit dem Jahre 1218. Am 24. Juni d. Jahres beurkundete * ) Heinrich Borwin I., daß er sich mit Zustimmung seiner Söhne Heinrich und Nikolaus entschlossen habe, die


4) Vgl. Lisch und Mann, Beiträge zur älteren Geschichte Rostocks, Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte (im Folgenden zitiert: Jahrbücher) Bd. 21 (1856) S. 3 ff. -
5) Hansische Geschichtsblätter (im Folgenden zitiert: Hans. G.B.), Jahrg. 1884 S. 44
6) Vgl. Herrlich, Geschichte Rostocks im 13. Jahrhundert (bei Schirrmacher, Beiträge zur Gesch. Mecklenburgs Bd. I 1872) S. 4 f.
7) Vgl. Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock (1887) S. 2 und Jahrbücher Bd. 52 S. 186.
8) Vgl. Schlie, Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, Bd. I S. 1.
9) Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock (im Folgenden zitiert: Beiträge) Bd. IV, 4 S. 3.
10) Beiträge Bd. XIII S. 22.
*) Die Echtheit der Urkunde wird von Dr. W. Biereye-Rostock bestritten. Da seine Abhandlung zur Zeit, als Dr. Meyers Arbeit gedruckt wurde, noch nicht veröffentlicht war, ist es nicht möglich gewesen, schon hier zu seinen Ergebnissen Stellung zu nehmen.
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Stadt Rostock auszubauen (Rozstok oppidum delegimus astruendum). Er gewährte den Einwohnern Zollfreiheit in seiner ganzen Herrschaft und bestätigte ihnen den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes 11 ). Man darf die Urkunde nicht in dem Sinne interpretieren, daß man etwa annimmt, Heinrich Borwin habe im Jahre 1218 erst angefangen, die Stadt gewissermaßen aus dem Nichts heraus zu errichten. Eine derartige Annahme wäre nur berechtigt, wenn es im Text der Urkunde nicht "astruendum" sondern "exstruendum" hieße. Das letztere bedeutet "errichten, erbauen", "astruendum" dagegen "ausbauen". Wir haben es nicht mit einer Neugründung, sondern mit dem Ausbau und der Förderung einer schon im Jahre 1218 vorhandenen Siedlung zu tun. Die Worte der zum Jahre 1218 ausgestellten Urkunde: "Lubicensis civitatis juris beneficio habito nunc et habendo stabilientes confirmamus" 12 ) weisen außerdem deutlich daraufhin, daß das Lübische Stadtrecht bereits vor 1218 von den Einwohnern gebraucht wurde, so daß in dieser Zeit eine Gemeinde schon vorhanden gewesen sein muß 13 ). Das Bestehen einer Stadtgemeinde wird schließlich noch dadurch bezeugt, daß in der Zeugenreihe der Urkunde neben einem Priester Stephan 14 ), wahrscheinlich dem an der Petrikirche tätigen Geistlichen 15 ), 10 Ratmänner (consules) von Rostock namentlich aufgeführt werden.

Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, wann und wie die Siedlung und spätere Stadt Rostock entstanden ist, so lassen uns die Quellen hierbei vollständig im Stich. Wir sind deshalb lediglich auf Vermutungen angewiesen. Nach den von Ludwig Krause angestellten Forschungen dürften wir berechtigt sein, die Anfänge des deutschen Rostocks in die letzten Jahre des 12. Jahrhunderts zu verlegen 16 ). Mit der Aus-


11) M.U.B. I Nr. 244. - Die Urkunde ist zitiert Kap. II, S. 47 f.
12) M.U.B. I Nr. 244.
13) Vgl. Herrlich a. a. O. S. 6 Anm. 1.
14) M.U.B. I Nr. 244: "Stephano sacerdote".
15) Der Priester Stephan wird noch in 2 Urkunden vom Jahre 1219 erwähnt, und zwar ausdrücklich mit der Bezeichnung "in" bzw. "de Rodestoc" (M.U.B. I Nr. 254 u. 255). Vgl. Lisch und Mann a. a. O. S. 12 u. Koppmann, Jahrbücher Bd. 52 S. 187.
16) Vgl. zum Folgenden Ludwig Krause a. a. O. S. 26 ff.
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breitung der sächsischen Macht durch Heinrich den Löwen war es damals dem deutschen Handel gelungen, den bis dahin in Mecklenburg überwiegenden nordischen Einfluß allmählich zu verdrängen. Um diese Zeit hatten die deutschen Kaufleute im Rheinland, in Westfalen und an der Elbe bereits mehrfach gemeinsame auswärtige Handelsniederlassungen begründet. Wahrscheinlich sind sie damals auch über Lübeck an die Warnow vorgedrungen, um hier feste Handelsfaktoreien zu begründen und sich dauernd niederzulassen. Das rechts der Warnow gelegene Gelände des wendischen Marktes bei St. Clemens war wegen des naßkalten nebligen Klimas und wegen der häufigen Überschwemmungsgefahr nicht verlockend für eine Ansiedlung. Dagegen bildete das Gelände der heutigen Altstadt Rostock einen weit besser geeigneten Ort für eine Niederlassung. Die Lage dieses Platzes bot neben den natürlichen geographischen Vorzügen noch den Vorteil, daß die Deutschen hier abseits von den Wenden ihre Wohnsitze aufschlagen konnten. So wird hier um 1200 eine Ansiedlung deutscher Kaufleute entstanden sein. War erst einmal durch den deutschen Kaufmann ein fester Grundstock gelegt, so wird es an Nachzüglern aus dem Westen Deutschlands nicht gefehlt haben; denn gerade in jener Zeit, als durch die Befestigung der dänischen Herrschaft in den Ostseeländern eine Pause in den Kämpfen zwischen Deutschen und Wenden eingetreten war, lebte erneut die deutsche Siedlungstätigkeit von Wagrien bis Pommern mächtig auf 17 ). Nachdem die Ansiedler festen Fuß gefaßt hatten, wird sich ihr natürliches Streben darauf gerichtet haben, die nötige Bewegungsfreiheit für eine gedeihliche Weiterentwickelung ihrer Gemeinde zu erlangen, und das gelang ihnen durch das Privileg Borwins vom Jahre 1218, durch welches der Stadt der Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes bestätigt wurde.

Infolge der geographisch äußerst günstigen Lage und wohl auch wegen der bedeutenden Vorteile, welche das Lübische Recht den Einwohnern Rostocks gewährte, vergrößerte sich die Stadt sehr schnell. Wenn bisher von der Stadt Rostock die Rede war, so handelte es sich lediglich um die Altstadt mit der Petrikirche. Jedoch schon im Jahre 1252 war aus der kleinen


17) Vgl. Witte, Mecklenburgische Geschichte, Wismar 1925 I S. 120 ff.
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Ansiedlung eine dreigliedrige Stadtgemeinde geworden. Neben der Altstadt waren in rascher Folge zwei neue Stadtgebilde unabhängig von der ersten Gründung entstanden, und zwar die Mittelstadt mit der Marienkirche und die Neustadt mit der Jakobikirche 18 ). Die Marienkirche wird urkundlich zuerst 1232 erwähnt 19 ); sie muß aber schon 1 Jahr früher bestanden haben, denn in der Zeugenreihe einer Urkunde vom Jahre 1231 werden zwei Rostocker Pfarrer genannt 20 ), von denen der eine wahrscheinlich sein Amt in der Marienkirche ausübte 21 ). Im Jahre 1252 wird dann neben den Geistlichen von St. Petri und St. Marien auch ein Pfarrer von St. Jakobi genannt 22 ), ein Beweis, daß damals auch schon die Jakobistadt - das ist die dritte Gemeinde - bestand. Im Jahre 1252 führen demnach drei Einzelgemeinden nebeneinander je ein gesondertes Dasein. Die einzelnen Städte bildeten nicht nur getrennte Pfarrgemeinden, sondern auch die innere Verwaltung wurde gesondert durchgeführt.

Die neu entstandene Jakobistadt aber konnte den beiden übrigen Städten, besonders der nunmehr zwischen Alt- und Neustadt eingeschlossenen Mittelstadt sehr gefährlich werden. Sie konnte ihren Schwesterstädten infolge ihrer günstigen Lage den gesamten Landverkehr nach Westen hin, wenn auch nicht ganz abschneiden, so doch wesentlich behindern und erschweren. Vielleicht setzten auch aus diesem Grunde Verhandlungen ein, mit dem Ziel, eine Vereinigung der Einzelgemeinden zu vollziehen. Fürst Borwin III. gab bereits im Jahre 1262 im Ein-


18) Diese Art der Stadterweiterung durch Gründung einer Schwesterstadt neben der alten Ansiedlung war ein damals vielfach üblicher Brauch. So entstand in Brandenburg, Quedlinburg, Hildesheim, Herford und zahlreichen anderen Städten neben der Altstadt eine Neustadt. An der Spree lagen sich die Schwesterstädte Berlin und Köln als selbständige Gemeinwesen gegenüber und in Braunschweig wurde die herzogliche Burg sogar von fünf Weichbildern umschlossen. - Vgl. S. Rietschel, die Städtepolitik Heinrichs des Löwen, Histor. Zeitschrift Bd. CII, S. 254 ff.
19) M.U.B. I Nr. 318: "in S. Marienkirchen zu Rostogh".
20) M.U.B. I Nr. 391: "Walterus, Gerhardus plebani de Roztoc."
21) Die Auffassung von Lisch und Mann, wonach der eine der Pfarrer der Nikolaikirche zuzuweisen ist (Lisch u. Mann a. a. O. S. 15), kann nicht aufrecht erhalten werden. Vgl. hierüber Hofmeister a. a. O. S. 10 und Ludwig Krause a. a. O. S. 30.
22) M.U.B. II Nr. 686: "Johannes de sancto Petro, prepositus Amilius de sancta Maria, Heinricus de sancto Jacobo."
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verständnis mit den Fürsten Nikolaus von Werle und Heinrich von Mecklenburg seine Genehmigung zum Zusammenschluß der einzelnen Städte. In der hierüber ausgestellten Urkunde heißt es: "statuimus et dedimus, ut unum consilium sit tocius civitatis et iudicium, quod prius erat in duo divisum" 23 ). Der tatsächliche Zusammenschluß ließ indessen noch einige Jahre auf sich warten, wahrscheinlich, weil man sich über die Art und Weise der praktischen Durchführung nicht so schnell verständigen konnte. Vielleicht hat der im Jahre 1264 stattgefundene Brand Rostocks 24 ) den Gang der Verhandlungen beschleunigt, denn am 29. Juni 1265 einigten sich die Gemeinden in der Form, daß Gericht und Rat von ganz Rostock nach dem Markte der Mittelstadt verlegt werden sollten 25).

Unter den Zeugen dieser Einigungsurkunde wird außer den Geistlichen von St. Petri, St. Marien und St. Jakobi auch ein Pfarrer non St. Nikolai erwähnt 26 ), so daß damals auch die Nikolaigemeinde schon ein Bestandteil der Gesamtstadt gewesen sein muß. Die Nikolaigemeinde wird zum ersten Male 1257 erwähnt 27 ). Wann und wie diese Siedlung entstanden ist, wissen wir nicht, doch dürfte es sich hierbei wohl nicht um eine ursprünglich deutsche, sondern um eine wendische Siedlung handeln, die später in der deutschen Stadt aufgegangen ist 28 ).

Es ist nun merkwürdig, daß in den uns erhaltenen Urkunden, die Rostock vor 1265 erteilt worden sind, nirgends die Rede ist non den Einzelstädten, sondern immer nur von der Stadt Rostock, mit Ausnahme der Urkunde vom Jahre 1262.


23) M.U.B. II Nr. 959. - Da nach dem Wortlaut der Urkunde nur 2 getrennte Verwaltungsorgane bzw. 2 Gerichte vorhanden waren, müssen wir annehmen, daß die Jakobistadt es bis zu dieser Zeit noch nicht zu einer organisierten Verwaltung gebracht hatte.
24) Eine Urkunde vom 12. Oktober 1264 beginnt mit den Worten: "Cum igitur dilectos burgenses civitatis nostre Roztoe afflictos incendio graviter videremus" ..... (M.U.B. II Nr. 1021).
26) "dominus Ludowicus de sancto Nycolao."
27) Stadtbuch, Fragment I, 2 (an späteren Stellen zitiert: St.-B.-Fragm.), gedruckt Beiträge Bd. III, 1 S. 3.
28) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 29 f.
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Ebenso ist bei den angeführten Ratsmitgliedern nie ersichtlich, im Namen welcher Einzelstadt sie handeln. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, daß die einzelnen Gemeinden auch schon vor ihrer Vereinigung nach außen als ein geschlossenes Ganzes auftraten. Hierfür mußten Gründe vorhanden sein, und diese werden uns bei folgender Erwägung klar: Genau genommen waren durch das Privileg vom Jahre 1218 nur den Bürgern der Petristadt das Lübische Stadtrecht urkundlich bestätigt und die Zollfreiheit verliehen worden. Dagegen konnten die Bewohner der später gegründeten Mittel- und Neustadt rechtlich keinen Anspruch auf diese Freiheiten machen, wenn sie den Fürsten als vollkommen gesonderte Einheiten gegenübertraten. Um sich den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes und die sonstigen Vorteile zu sichern, werden sie vorgezogen haben, nach außen gemeinsam mit der Petristadt aufzutreten. Erst als im Jahre 1252 durch fürstliche Verleihung der Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes auf die gesamte Stadtfeldmark ausgedehnt wurde 29 ), trat in dieser Situation eine Änderung ein. Trotzdem blieben sich die Einwohner der Petristadt dessen bewußt, daß nur ihre engere Stadtgemeinde der eigentliche Träger der der Stadt Rostock von fürstlicher Seite verliehenen Privilegien war, denn in der Einigungsurkunde vom Jahre 1265 wurde ausdrücklich bestimmt, daß die Privilegien der Stadt an einem sicheren Orte "in parochia sancti Petri" aufbewahrt werden sollten 30 ).

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Kapitel II.

Die Verfassung
unter vorwiegend landesherrlichem Einfluß.

a) Die Bewidmung Rostocks mit dem Lübischen Stadtrecht
und die Entstehung des Rates.

Wie bereits erwähnt, bestätigte am 24. Juni 1218 Fürst Heinrich Borwin I. den Einwohnern der Stadt Rostock den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes. Die hierüber ausgestellte Urkunde lautet: "Notum sit ..., qualiter ego Bor-


29) M.U.B. II Nr. 686.
30) M.U.B. II Nr. 1051.
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winus, necnon filii mei ... Rozstok oppidum divina prosperante clementia delegimus astruendum. Ut vero predicti loci excultores eum securius appetentes pace firma libertate fulciantur omnimoda, tam presentes quam futuros in edificiis, areis, terris cultis et incultis ... omnimoda in iuriditione nostra thelonii exemptione Lubicensis civitatis juris beneficio habito nunc et habendo stabilientes confirmamus ..." 31 ). Dieses Dokument ist uns nicht im Original, sondern nur als Transsumpt in einer Bestätigungsurkunde erhalten, welche der gleichnamige Enkel Heinrich Borwins der Stadt im Jahre 1252 ausstellte 32 ). In dem Privileg von 1218 ist nicht von einer Bewidmung der Stadt mit dem Lübischen Stadtrecht die Rede, sondern lediglich von einer Bestätigung des schon im Gebrauch befindlichen Rechtes. Man könnte aus dieser Tatsache den Schluß ziehen, daß der Stadt schon zu einer früheren Zeit das Lübische Recht durch ein Privilegium verliehen worden war und wir es bei der 1218 ausgestellten Urkunde nur mit der Bestätigung einer früheren Bewidmungsurkunde zu tun haben. Diese Annahme hat jedoch wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Erstens fehlt die urkundliche Nachricht über das Vorhandensein eines früheren Freiheitsbriefes, und zweitens würde dieser Annahme der Wortlaut der Bestätigungsurkunde von 1252 widersprechen, in der ausdrücklich gesagt wird: "Noverint ... Borwinum civitatem Rozstok ... primitus condidisse, quam in hunc modum firmitate sui privilegii stabilivit: ...", worauf das der Stadt 1218 erteilte Privileg im Wortlaut folgt 33 ). Der Ausdruck "confirmamus" kann vielleicht so erklärt werden, daß es sich in der Urkunde von 1218 um die Bestätigung von Rechtszuständen handelt, die sich unter fürstlicher Billigung in der neu entstandenen Siedlung gebildet hatten und erst später durch das uns erhaltene Privileg volle Rechtsgültigkeit erhielten 34 ).

Das lübische Stadtrecht muß sich zu damaliger Zeit eines hohen Ansehens erfreut haben; denn nachdem es Rostock ver-


31) M.U.B. I Nr. 244.
32) M.U.B. II Nr. 686.
33) M.U.B. II Nr. 686.
34) Vgl. Herrlich a. a. O. S.6 Anm. 1.
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liehen worden war, folgten bald zahlreiche andere Städte nach, so 1234 Stralsund 35 ), 1250 Greifswald i. Pommern 36 ), 1266 Wismar 37 ), und ferner bediente man sich auch in Ribnitz des Lübischen Stadtrechtes 38 ). In welchem Jahre das Lübische Stadtrecht in Rostock eingeführt worden ist, läßt sich nicht sagen. Wir können nur feststellen, daß es 1218 bereits im Gebrauch war.

In der Urkunde von 1218 tritt uns Rostock als Territorialstadt der mecklenburgischen Fürsten entgegen. Der Fürst des Territoriums war zugleich der Herr der neu entstandenen Stadt. Als äußeres Zeichen der landesherrlichen Gewalt sind die fürstlichen Burgen in der Stadt anzusehen. Von einer Burg in der Altstadt wissen wir nur der Sage nach. Irgendwelche sicheren Nachrichten über Entstehung, Lage und Untergang dieser Burg sind nicht bekannt. Vermutlich lag sie zwischen der Wenden-, Gärtner-, Faulen Straße und dem Amberg 39 ). In der Mittelstadt kündet der noch heute vorhandene Straßenname "Am Burgwall" von dem einstigen Vorhandensein einer Burg. Diese lag wahrscheinlich am Warnowabhang zwischen der Koßfelder Straße und dem "Burgwall", dort, wo der letztere noch heute die Krümmung aufweist 40 ). Zum Bau einer fürstlichen Burg in der Neustadt ist es nicht mehr gekommen. Die nach Selbständigkeit und Freiheit strebenden Bürger erreichten im Jahre 1266 von Fürst Waldemar, daß der zum Bau einer Burg am Bramower Tor errichtete Wall abgetragen wurde 41 ).

Als persönlichen Vertreter der landesherrlichen Gewalt finden wir den "advocatus" oder den Vogt in der Stadt. Dieser stadtherrliche Beamte läßt sich in Rostock urkundlich erst seit 1229 nachweisen. In der Zeugenreihe einer Urkunde aus diesem Jahre wird ein Vogt Bertram von Rostock aufgeführt 42 ), der 1231 auch als Kastellan von Rostock bezeichnet


35) M.U.B. I Nr. 424: "eandem iustitiam et libertatem contulimus, que civitati Rostok est collata."
36) M.U.B. II Nr. 1011.
37) M.U.B. II Nr. 1078.
38) M.U.B. I Nr. 794.
39) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 38.
40) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 39.
41) M.U.B. II Nr. 1096. - Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 40.
42) M.U.B. I Nr. 368: "Bertrammus de Roztock advocatus."
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wird 43 ). Seit welcher Zeit ein fürstlicher Vogt tatsächlich in Rostock vorhanden war, läßt sich nicht feststellen; doch dürfen wir wohl annehmen, daß dieses Amt vom Landesherrn geschaffen wurde, sobald die neu entstandene Gemeinde sich als lebens- und entwickelungsfähig erwiesen hatte.

Neben der landesherrlichen Gewalt tritt uns in dem Privilegium von 1218 der Stadtrat entgegen. Unter den Zeugen der Urkunde werden 10 Rostocker Ratmannen namentlich aufgeführt, und zwar heißt es: "eiusdem opidi consulibus Heinrico Fabro, Heinrico Pramule, Hermanno, Rodolfo, Ludero, Bertrammo, Wizelo, Lamberto, Bodone, Heinrico Lantfer" 44 ). An dieser Stelle wird zum ersten Male ein Rostocker Ratskollegium urkundlich erwähnt. Da nach dem Wortlaut des Privilegiums der Gebrauch des Lübischen Rechtes vor 1218 anzusetzen ist, muß auch die Institution des Rates bereits vor diesem Jahre in Rostock vorhanden gewesen sein; seit welcher Zeit, wissen wir allerdings nicht. Die Ratsmitglieder haben wahrscheinlich auch schon vor 1218 den Titel "consules" geführt, denn in Lübeck tritt diese Bezeichnung bereits im Jahre 1201 auf 45 ).

Die Frage, auf welchem Wege der Rat in Rostock entstanden ist, läßt sich nicht sicher beantworten. Werfen wir einen Blick auf die entsprechenden Verhältnisse in anderen Städten, so finden wir, daß hier und dort der Rat sich aus oder doch im Zusammenhang mit einem bereits bestehenden Schöffenkollegium entwickelt hat, das zunächst neben den gerichtlichen auch kommunale Funktionen ausübte 46 ). Ein derartiger Vorgang kommt für Rostock nicht in Frage, aus dem einfachen Grunde, weil es hier kein besonderes Schöffenkollegium gegeben hat. In einer Urkunde aus dem Jahre 1301 heißt es zwar einmal:


43) M.U.B. I Nr. 391: "Bertrammus castellanus de Roztock."
44) M.U.B. I Nr. 244.
45) Vgl. Reincke-Bloch, der Freibrief Friedrichs I. für Lübeck und der Ursprung der Ratsverfassung in Deutschland, Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Gesch. u. Altertumskunde Bd. XVI, 1914, S. 14.
46) Vgl. Schröder - v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 6. Auflage 1922, S. 692 f., Rietchel, die Städtepolitik Heinrichs des Löwen, Histor. Zeitschr. Bd. CII, S. 263 ff. u. Eberle, Das Ratskollegium in den deutschen Städten des Mittelalters bis zur Zeit der Zunftkämpfe (Freiburger Dissertation 1914) § 9.
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"discr. viros et honestos consules, scabinos et universitatem tocius civitatis Ruzstok" 47 ), jedoch sind wir nach meiner Meinung nicht berechtigt, hieraus das Bestehen eines Schöffenkollegiums abzuleiten, von dem sonst niemals die Rede ist. Mit dem Ausdruck "scabini" sind sicherlich die Ratsherren gemeint, die das Amt eines Beisitzers im Gericht ausübten. Hierfür spricht auch die Tatsache, daß die Urkunde aus der Kanzlei des Markgrafen von Brandenburg stammt. Die "scabini" sind daher wahrscheinlich aus Unkenntnis der Rostocker Verhältnisse besonders neben Rat und Gemeinde aufgeführt worden.

Eine weitere Möglichkeit wäre die Entstehung des Rates aus einem sogenannten Unternehmerkonsortium. So sucht Rörig nachzuweisen, daß die im Jahre 1157 erfolgte Wiedergründung Lübecks unter Heinrich dem Löwen die Tat eines "Unternehmerkonsortiums" gewesen sei. Dieses Konsortium ist nach Rörigs Meinung als der Vorläufer des Lübecker Rates anzusehen. Einen ähnlichen Gründungsakt nimmt Rörig auch für Freiburg i. B. an 48 ). Nach dem für Rostock vorhandenen Quellenmaterial glaube ich nicht, einen ähnlichen Gründungsakt bzw. eine entsprechende Entstehung des Rates für Rostock annehmen zu dürfen.

Es ist als wahrscheinlich anzusehen, daß die Mitglieder des ersten Ratskollegiums in Rostock von dem Landesherrn in ihre Ämter eingesetzt worden sind. Diese Annahme läßt sich durch spätere uns bekannte Ereignisse rechtfertigen. Als im Jahre 1314 acht Rostocker Ratsherren, die infolge innerer Wirren aus Rostock vertrieben waren, mit dem Landesherrn Fürst Heinrich von Mecklenburg in Verbindung traten, um die verfassungsrechtlichen Zustände in der Stadt wiederherzustellen, wurde urkundlich festgesetzt, daß der Landesherr gemeinsam mit den acht Ratsherren einen neuen Rat einsetzen sollte 49 ). Ferner war der Rostocker Rat, wie aus einer Urkunde vom Jahre 1314 hervorgeht, alljährlich nach seiner Umsetzung ver-


47) M.U.B. V Nr. 2749.
48) Vgl. F. Rörig, Der Markt von Lübeck, Hansische Beiträge zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, Breslau 1928, S. 40 ff.; vgl. auch ebend. S. 25, 254, 268, 269 Anm. 33 über die Gründung Rostocks.
49) M.U.B. VI Nr. 3669. - Die einschlägige Stelle der Urkunde ist zitiert Kapitel IV, b, 2, S. 93.
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pflichtet, dem Landesherrn den Huldigungseid zu leisten. In der Urkunde heißt es: "adicientes quoque, quod nostri successores, consules eiusdem civitatis Roztoch consequente seu succedente tempore singulis annis, quando electi de novo fuerint, per iuramenta fidelitatis homagyum facient" 50 ). Diese Tatsachen lassen daraut schließen, daß die Amtsgewalt der Ratsherren abgeleitet ist aus der landesherrlichen Gewalt. Wir sind demnach wohl zu der Annahme berechtigt, daß der Landesherr die Mitglieder des ersten Ratskollegiums in Rostock in ihre Ämter eingesetzt hat 51 ). Ob bei der Einsetzung der ersten Ratsherren auch die Bürgergemeinde beteiligt war, vielleicht dergestalt, daß ihr ein Vorschlagsrecht zugebilligt war, läßt sich nicht entscheiden.

b) Grundzüge der Stadtverfassung um 1218.

1. Die Stellung des Vogtes.

Die Verwaltung der Stadt hat um 1218 unter dem vorwiegenden Einfluß des Landesherrn gestanden. Der fürstliche Vogt, der die landesherrliche Gewalt in der Stadt vertrat, hatte in jener Zeit eine mächtige Stellung inne. Wahrscheinlich hatte er seinen Sitz auf der fürstlichen Burg 52 ), wodurch seine Position schon äußerlich als machtvoll und überragend gekennzeichnet wurde. Der "advocatus" war der Vertreter des Gerichtsherrn und führte daher den Vorsitz bei der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit 53 ). Ferner standen ihm auch wichtige administrative Befugnisse zu. Das letztere können wir daraus schließen, daß in Urkunden des Rates aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts der Vogt verschiedentlich neben Rat und Gemeinde an erster Stelle genannt wird, und zwar handelt es sich um folgende Fälle: 1. Vogt, Rat und Gemeinde urkunden über eine von Rostock und Lübeck


50) M.U.B. VI Nr. 3674.
51) Rörig a. a. O. S. 254 schreibt: "von dem um 1218 gegründeten Rostock, wo von vornherein als bürgerliche Behörde die consules auftreten, vermutlich auch hier im engsten Zusammenhang mit dem Gründungsvorgang stehend"; S. 268: "Rostock beginnt gleich mit der fertigen Ratsverfassung, wie sie in Lübeck damals längst sich durchgesetzt hatte."
52) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S.39.
53) M.U.B. III Nr. 1671: "sedente pro tribunali Dethardo advocato ..."
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gegenseitig erfolgte Verzichtleistung auf Schadenersatzansprüche (1257) 54 ), 2. Vogt und Rat bezeugen, daß die Bürger von Ribnitz sich des zu Lübeck und Rostock üblichen Rechtes bedienen (1257) 55 ), 3. ein Schreiben rechtlichen Inhalts ist von Lübeck gerichtet an den Vogt und den Rat von Rostock (ca. 1267) 56 ). Diese drei Fälle beziehen sich sämtlich auf den Verkehr des Rostocker Rates mit anderen Städten und zeigen, daß der Rat in der ersten Zeit seiner Tätigkeit nicht als der ausschließliche Vertreter der Stadt auftrat, sondern vom fürstlichen Vogt überwacht wurde.

Auch in der inneren Verwaltung muß der Vogt um 1218 eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Allein die Tatsache, daß sich damals wahrscheinlich noch sämtliche Regalien in der Hand des Landesherren befanden, weist auf ein umfangreiches Kompetenzgebiet des fürstlichen Beamten hin. Da an den Vogt noch in späterer Zeit häufig die Bede 57 ) bezahlt wurde 58 ), hatte er wahrscheinlich auch dafür zu sorgen, daß die von der Stadt an den Landesherrn zu zahlenden Abgaben pünktlich einkamen.

2. Die Befugnisse des Rates.

Die Befugnisse, welche dem Rate um 1218 zustanden, waren wahrscheinlich noch nicht sehr umfangreich. Nach den uns erhaltenen Quellen dürfen wir wohl annehmen, daß die Überwachung und Regulierung des Marktverkehrs einen Teil seiner ersten Rechte bildete. Dem Rate stand wahrscheinlich eine Marktgerichtsbarkeit zu, die sich in der Hauptsache auf


54) M.U.B. II Nr. 786.
55) M.U.B. II Nr. 794.
56) M.U.B. II Nr. 1106.
57) Über "Bede" vgl. Kap. III, c, S. 62.
58) M.U.B. II Nr. 1140 (Jahr 1268). Ratsarchiv Rostock, Stadtbuch-Fragment (im Folgenden zitiert: St. B. Fragm.) III, 1, fol. 8 a (ca. 1274/75): "dabuntur advocato de petitione pasche ..."; ebd. fol. 14 b (ca. 1270/75): "Domino Georgio de Maiorken (d. i. der Vogt) date sunt 30 mr. de petitione ..."; ebd. fol. 17 a (ca. 1270 bis 1275): "Cum dominus Georgius de Maiorken recepit VI mr. et duos solidos, fatebatur, peticionem domini W. de pasca totam datam." - St.-B.-Fragm. III, 3 fol. 1 a. (1279): "civitas dedit domino Frederico de Kerichtorp advocato 40 mr." - Rostocker Stadtbuch (im Folgenden zitiert: St.-B.), I. fol. 68 a (ca. 1270): "De peticione domini Waldemari, que erit Michaelis, dabuntur Bernardo scriptori 36 1/2. Si autem Bernardus non fuerit, dabuntur domino Georgio ..."
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Maß, Gewicht und Qualität der Waren erstreckte. Daß der Rat ein derartiges Aufsichtsrecht besaß und ausübte, ist aus einem 1275 entstandenen Geldbußenregister ersichtlich, worin es u. a. heißt: "Ecghehardus sutor emendavit 12 sol. de malo coreo, Monec 6 sol. de parvis vitris, Lutfridus Wullenwewer 10 sol. pro falso pondere, Rapesulver 10 sol. de malo ardorio" 59 ). Es ist anzunehmen, daß die hier aufgeführten Vergehen selbständig vom Rate gesühnt wurden, und daß die gezahlten Strafgelder der Stadtkasse zugute kamen; ein Ratsbeschluß aus dem Jahre 1275 besagt: "Consules arbitrati sunt, quod, quicunque vadiaverit 20 sol., illos dabit civitati. Si autem poterit gratiam consequi, non dabit minus quam 10 sol." 60 ). Der Rat hatte wahrscheinlich auch das Aufsichtsrecht darüber, daß die marktgesetzlichen Bestimmungen, wie das Verbot des Vorkaufs usw., beachtet wurden. Hierauf beziehen sich folgende Aufzeichnungen: "Jacobus magnus piscator totiens excessit in preempcione piscium" 61 ), "Pistor in domo Wasmodi emit carnes in navi. Engelbertus Buckelberg et faber in domo Frisonum emerunt ferrum in navi" 62 ).

Die uns erhaltenen Verordnungen über die allgemeine Regulierung des Marktverkehrs sind ebenfalls auf die Tätigkeit des Rates zurückzuführen, so daß diesem wahrscheinlich auch das Verordnungsrecht in Marktangelegenheiten zustand. Die erste uns erhaltene Bestimmung dieser Art stammt aus dem Jahre 1265 und war durch die damals erfolgte Vereinigung der Einzelgemeinden notwendig geworden. Es wurde in dieser Verordnung vom Rate und der Gemeinde festgesetzt, daß die Marktverhältnisse in der Petri- und Mariengemeinde durch die Zusammenlegung der einzelnen Städte nicht geändert werden sollten. Die Vieh- und Pferdemärkte sollten nach wie vor auf dem Markte der Jakobigemeinde stattfinden, wohin außerdem der Haupthopfenhandel verlegt wurde 63 ). Im Jahre 1278 bestimmten "consules cum senioribus civitatis", daß die städtischen Verkaufsbuden im Rat-


59) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b, 6 a, z. T. veröffentlicht M.U.B. II. Nr. 1374.
60) M.U.B. II. Nr. 1379.
61) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 9 b (ca. 1274/75).
62) St.-B.-Fragm. III, 5 fol. 1 a (ca. 1278).
63) M.U.B. II Nr. 1051.
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hause zweimal jährlich unter den Interessenten ausgelost werden sollten 64 ), wahrscheinlich, um eine einwandfreie Verteilung zu gewährleisten. Wenn auch die uns erhaltenen Quellen über die Tätigkeit des Rates in der Überwachung und Regulierung des Marktverkehrs nur bis 1274/75 bzw. 1265 zurückreichen, so ist es doch wahrscheinlich, daß dieser Zweig der städtischen Verwaltung mit zu der ursprünglichen Kompetenz des Rates gehört hat, zeigt doch der Entwicklungsgang in zahlreichen anderen Städten, daß die Überwachung des Marktverkehrs vielfach die erste Aufgabe des neu entstandenen Rates gewesen ist 65 ).

Auf dem Gebiete der Rechtspflege gehörte wahrscheinlich die freiwillige Gerichtsbarkeit zum anfänglichen Kompetenzbereich des Rates. Schon nach dem ältesten uns erhaltenen Stadtbuchfragment, das vermutlich noch vor 1257 entstanden ist, finden die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit "coram consulibus" statt 66 ). In dem Stadtbuchblatt von 1257/58 finden sich in den Aufzeichnungen über die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit folgende Ausdrücke: "coram consulibus universis", "in presencia consulum", "consules testantur" oder "notum sit universis consulibus" 67 ), welche sämtlich darauf hinweisen, daß die freiwillige Gerichtsbarkeit vom Rate gehandhabt wurde. Dieselben Ausdrücke kehren auch in späterer Zeit in den Aufzeichnungen über die einzelnen Tatbestände der freiwilligen Gerichtsbarkeit stets wieder 68 ), Ein weiteres Recht des Rates war die Teilnahme an der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit. Das für Kriminalsachen zuständige fürstliche Vogtgericht setzte sich aus dem "advocatus" als Vorsitzendem und mehreren Ratsherren, welche als Beisitzer fungierten, zusammen. Eine Aufzeichnung vom Jahre 1283 über eine Verfestung führt neben dem Vogt 4 Ratsherren als Gerichtspersonen an 69 ). Seit 1301 werden stets nur noch


64) M.U.B. II Nr. 1447.
65) Vgl. Schröder- v. Künßberg a. a. O. S. 693 u. Eberle a. a. O. § 8.
66) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 3 a, 3 b, 4 b und öfter.
67) St.-B.-Fragm. I, 2 veröffentlicht: Beiträge Bd. III, 1 S. 3 ff.
68) St.-B. I fol. 1 b, 2 a, 2 b usw., auch sehr häufig in anderen Stadtbüchern.
69) M.U.B. III Nr. 1671: "sedente pro tribunali ...... Henrico Monacho, Johanne de Bruneswich, Alberto de Cosveld et Euerhardo Nachtraven."
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2 Ratsherren als Beisitzer genannt 70 ). Die dem Rate um 1218 zustehenden Befugnisse dürften hiermit wohl erschöpft sein.

Im Anschluß hieran müssen wir noch zu einer von Lisch und Mann geäußerten Ansicht Stellung nehmen: Aus dem Jahre 1360 ist uns ein Aktenstück erhalten, das sich auf den Streit der Stadt Rostock mit dem Lübischen Domherrn Heinrich von Femern bezieht. Hierin heißt es: "Quod proconsules et consules dicti opidi a fundatione ipsius et a tempore, cuius in contrarium memoria hominum non existit, potuerunt et consuerunt facere et fecerunt statuta, precepta et mandata et collectas inponere opidanis in opido Rozstok, prout eis tamquam ad hoc iuratis super possessionibus, domibus et hereditatibus in dicto opido et in districtu eorum constitutis visum est expedire. Super quibus statutis, preceptis, mandatis et consuetudinibus dictis proconsulibus et consulibus nunquam fuit facta vel mota contradictio, precipue in foro ecclesiastico ...." 71 ). Lisch und Mann haben auf Grund dieser Stelle die "ursprünglichen Rechte" des Rates folgendermaßen umschrieben: "Repräsentation und Vertretung der Stadt, die volle Verwaltung des Stadtvermögens ..., die Annahme der neuen Bürger, der Beisitz im Gericht, die Feststellung der Bürgersprache und der Amtsrollen, sowie die Erlassung der sonstigen Verordnungen" 72 ). Diese Auffassung muß nach meiner Meinung zurückgewiesen werden. Erstens stammt dieses Aktenstück aus viel späterer Zeit und ist schon deshalb als historische Quelle für die ältere Zeit mit Vorsicht zu benutzen, und zweitens haben wir es hier mit den Worten eines Autors zu tun, der höchst wahrscheinlich nach einseitigen Gesichtspunkten urteilte. Es handelt sich bei diesem Aktenstück um Ausführungen, die von dem Anwalt des Rostocker Bürgermeisters, also einer Partei des Prozesses gemacht worden sind mit dem Zwecke, die geistliche Gerichtsbarkeit als unstatthaft zurückzuweisen. Wir dürfen aus diesem Grunde bei dem Autor den Willen zu wirklicher Objektivität nicht voraussetzen.

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70) M.U.B. V Nr. 2731, 2763 und häufiger.
71) M.U.B. XIV Nr. 8749, 2.
72) Vgl. Lisch und Mann a. a. O. S. 13, Anm. 3.
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Kapitel III.

Stadt und Landesherr
im Kampfe um die Stadtherrschaft.

Das Verhältnis der Stadt zu ihrem Landesherrn hat während des 13. Jahrhunderts und der folgenden Jahrzehnte beträchtliche Umgestaltungen erfahren. Wir können die Beobachtung machen, daß im Laufe der Zeit wichtige Hoheitsrechte des fürstlichen Stadtherrn in die Hände der "civitas" übergehen. Der Kompetenzbereich des Stadtrates nimmt dadurch allmählich an Umfang zu, während die ursprünglich überragende Machtstellung des Landesfürsten in der Stadt schwindet. Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung ist neben anderen der Geldmangel der Fürsten gewesen. Wie wir noch sehen werden, hat die Stadt in vielen Fällen Rechte und Liegenschaften durch Kauf aus fürstlicher Hand erworben. Schon diese Tatsache läßt wohl auf ein dringendes Geldbedürfnis der Fürsten schließen. Die finanzielle Bedrängnis der Fürsten kommt außerdem auch in anderer Form zum Ausdruck. So besagt eine Stadtbuch-Notiz aus den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts, daß Fürst Borwin der Stadt mit über 100 Mark "alter Schulden" verpflichtet ist 73 ). Fürst Waldemar verpfändete im Jahre 1282 gegen ein Darlehn von 300 Mark 40 Mark jährlicher Rente aus der Rostocker Bede 74 ). Er nahm also Kapitalien zu einem Zinsfuß von über 13 % auf, während damals bei derartigen Renten nur ein Zinsfuß von 10 % üblich war 75 ). Sein Sohn Nikolaus überließ im Jahre 1286 der Stadt umfangreiche Ländereien. Als Gegenleistung mußte die Stadt die Schulden seines Vaters bezahlen 76 ). Auch diese Tatsachen lassen auf die finanzielle Not der Fürsten schließen.


73) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 7 b: "... dominus Borwinus tenetur civitati 100 mr. et 9 mr. de antiquo debito."
74) M.U.B. III Nr. 1634.
75) Vgl. St.-B. II fol. 48 a, 48 b, 54 a, 59 a, 66 b, 74 a und öfter.
76) M.U.B. III Nr. 1836.
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Bevor wir uns nun mit der rechtlichen Seite des Verhältnisses der Stadt zum Landesherrn befassen, werfen wir einen Blick auf die Gestaltung der Stadtfeldmark.

a) Erweiterung der Stadtfeldmark und Beseitigung der fürstlichen Burgen 77 ).

Die Begründung der Stadtfeldmark geht auf das Privilegium von 1218 zurück, das den Einwohnern Rostocks das Lübische Stadtrecht bestätigte für ihre "Ländereien, Äcker, Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Fischereien und Jagden, Gewässer und Wasserläufe, Wege und Unwege, Ab- und Zugänge" 78 ). Diese langatmige Aufzählung der verschiedenen Geländearten in der Urkunde beruht allerdings nur auf einem damals üblichen Kanzleigebrauch 79 ), und man darf hieraus nicht schließen, daß die Ansiedler im Jahre 1218 alle diese Geländearten tatsächlich schon besessen hätten. Es ist vielmehr anzunehmen, daß das ursprüngliche Eigentum der Stadt wahrscheinlich nicht über die Zingeln vor dem Stein- und Kröpeliner Tor und vor dem Petri- und Mühlentor nicht über die Warnow hinausgegangen ist 80 ). Ausdrücklich als solche erwähnt wird die Stadtfeldmark erst im Jahre 1252, als Borwin III. den Geltungsbereich des Stadtrechtes auf die gesamten der Stadt gehörigen Ländereien ausdehnte 81 ). Der Grund und Boden innerhalb der Stadtgrenze wurde damit dem Rate als Obrigkeit unterstellt. Am 12. Oktober 1264 überließ Fürst Borwin den Bürgern auch seine sonstigen Rechte, die er noch an deren Feldmark hatte. Es heißt in der Urkunde: "Preterea iura per portum ipsorum in Warnemunde et per omnes terminos dicte civitatis versus campum, qui vulgariter markschede nuncupatur, sepedictis burgensibus nostris damus cum sua utilitate eternaliter possi-


77) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 37 ff. und S. 54 ff.
78) M.U.B. I Nr. 244.
79) Vgl. M.U.B. III Nr. 1784, 1788, 1792, 1812, 1817, 1847 und öfter.
80) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 56.
81) M.U.B. II Nr. 686: "Volumus insuper, ut in omnibus terminis suis, qui vulgariter markescede vocantur, iure gaudeant civitatis."
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denda" 82 ). Hierdurch hatte die "civitas" die ausschließliche Verfügungsgewalt über die Stadtfeldmark erhalten. Es geht weiter aus der Urkunde hervor, daß das Warnemünder Hafengebiet damals schon zum Eigentum der Stadt gehörte.

Die erste uns überlieferte Erweiterung der Stadtfeldmark fand im Jahre 1252 statt. Damals erwarb die Stadt von Fürst Borwin für einen Kaufpreis von 450 Mark das Gebiet der Rostocker Heide 83 ). Im Jahre 1264 schenkte derselbe Borwin der Stadt den fürstlichen Anteil an dem Bruche vor der Petristadt 84 ), und am 21. Dezember 1275 verkaufte Fürst Waldemar den Rostockern das Dorf Nemezow mit der gesamten Lype 85 ). Im Jahre 1286 überließ Fürst Nikolaus der Stadt dafür, daß sie die Schulden seines Vaters bezahlte, das Dorf Wendisch Wik, den Burgwall mit der sich bis zum Mühlendamm erstreckenden Wiese und die Pferdewiese bei Warnemünde 86 ). Im Jahre 1323 schließlich kaufte die Stadt von Fürst Heinrich von Mecklenburg das Dorf Warnemünde 87 ). Auf diese Weise war der Geltungsbereich des Stadtrechtes und damit auch der Herrschaftsbereich des Stadtrates ganz beträchtlich in die Breite gewachsen.

Ebenso wie die Stadt bestrebt war, die städtischen Liegenschaften auf Kosten des landesherrlichen Besitzes zu vermehren, war sie erfolgreich bemüht, die befestigten Anlagen der Fürsten in bzw. bei der Stadt zu beseitigen, um sich desto ungehemmter entwickeln zu können. Wann die vermutlich in der Altstadt gelegene Burg und die Burg in der Mittelstadt von den Fürsten aufgegeben worden sind, wissen wir nicht. Wie bereits erwähnt, erreichten die Bürger im Jahre 1266 von Fürst Waldemar, daß die Vorbereitungen für den Bau einer fürstlichen Burg am Bramower Tore, das ist in der damaligen Neustadt, für immer eingestellt wurden 88 ). Seit dieser Zeit


82) M.U.B. II Nr. 1021. - Herrlich a. a. O. S. 17 f. interpretiert diese Stelle folgendermaßen: "Borwin erneuert die Verzichtleistung auf alle Zölle und Abgaben im Warnemünder Hafen." Diese Interpretation hat durchaus keine Berechtigung.
83) M.U.B. II Nr. 686.
84) M.U.B. II Nr. 1021.
85) M.U.B. II Nr. 1381.
86) M.U.B. III Nr. 1836.
87) M.U.B. VII Nr. 4422.
88) M.U.B. II Nr. 1096.
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mußten sich die Landesfürsten damit begnügen, einen unbefestigten Fürstenhof in der Stadt zu unterhalten, der später - etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts - in Privatbesitz überging 89 ). Ein weiterer Fortschritt zur Selbständigkeit der Kommune erfolgte im Jahre 1278. Damals brachte die Stadt den Grund und Boden der fürstlichen Hundsburg an der Warnow in ihren Besitz und erhielt gleichzeitig das Versprechen, daß in Zukunft von Seiten des Landesherrn keine Befestigungen an der Warnow im Umkreis einer Meile errichtet werden sollten 90 ). Auch in späterer Zeit war die Stadt bemüht, irgendwelche in ihrer Interessensphäre von den Fürsten errichtete befestigte Anlagen zu schleifen. So erwarb sie im Jahre 1322 auf Abbruch die von den Dänen erbaute Festung zu Warnemünde 91 ).

Während die fürstlichen Befestigungen in und bei der Stadt beseitigt wurden, schritten die Bürger ihrerseits dazu, die Stadt mit einer Mauer zu umgeben. Wann die Stadtmauer errichtet worden ist, läßt sich nicht feststellen. Um 1270/75 wird gebucht: "14 mr. date sunt pro lapidibus ad murum" 92 ). Wir finden ferner um 1280 verschiedentlich Aufzeichnungen, wonach von Bürgern Geldbeträge "ad murum" an die Stadt bezahlt worden sind. Es heißt z. B.: "Hillebrandus faber 1 mr. ad murum in pascha persolvet" oder "Hinricus Jampesvar sutor I (Druckfehler) mr. ad murum" 93 ), Ähnliche Aufzeichnungen treffen wir häufiger in dieser Zeit an 94 ).

b) Erwerbung des Fischerei- und Strandrechtes.

In den Besitz des Fischereirechtes auf der Unterwarnow gelangte Rostock im Jahre 1252. Borwin III. überließ damals der Stadt die Fischerei auf der Warnow bis Warnemünde und


89) Die urkundlichen Nachrichten über den Fürstenhof sind zusammengestellt M.U.B. II Nr. 1422, Note. - Vgl. auch Ludwig Krause a. a. O. S.41.
90) M.U.B. II Nr. 1474. - Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 43 ff.
91) M.U.B. VII Nr. 4377.
92) St.-B.-Fragm. III 1 fol. 16 b.
93) St.-B.-Fragm. III, 5 (1278-1294) fol. 1 b.
94) St.-B.-Fragm. III, 5 fol. 2 a, 2 b, 3 a. - St.-B.-Fragm. III, 2 (1279-1280) fol. 3 a.
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darüber hinaus auf dem offenen Meer, soweit die Witterung es gestattete. Es heißt in der Urkunde: "... a ponte aquatico proximo ecclesie sancti Petri et sic per alveum fluminis Warnowe usque Warnemunde, necnon extra portum in marinis fluctibus eos tanto dotamus beneficio piscature, quantum pre intemperie aeris audeant attemptare" 95 ). Im Jahre 1323 bestätigte Fürst Heinrich von Mecklenburg der Stadt den Besitz dieses Rechtes 96 ). Daneben erlangte die Stadt auch noch andere Fischereigerechtigkeiten, die z. T. später verpachtet oder auch verpfändet wurden 97 ).

Das Strandrecht für den Rostocker Hafen ging ebenfalls im Jahre 1252 aus der Hand des Fürsten in die der Stadt über. In jenem Jahre versprach Fürst Borwin, daß er hinfort auf alle Rechte an den im Rostocker Hafen gestrandeten Schiffen verzichte. Die einschlägige Stelle der Urkunde lautet: "Si vero in portu ipsorum ... navis collidatur, nobis in ea vel rebus attinentibus nichil iuris penitus usurpamus" 98 ). Das Strandrecht hatte zu damaliger Zeit wahrscheinlich schon seine ursprüngliche Bedeutung, wonach Schiffbrüchige mit Leib und Gut dem Strandherrn verfallen waren, verloren, denn bereits im Jahre 1220 hatte Borwin I. das Strandrecht in dieser Form in seiner ganzen Herrschaft aufgehoben 99 ). Es wird damals wohl nur noch auf herrenloses Strandgut oder gegenüber reklamierenden Eigentümern auf den Bergelohn angewendet worden sein 100 ).


95) M.U.B. II Nr.686.
96) M.U.B. VII Nr. 4422.
97) M.U.B. V Nr. 3134. - St.-B.-Fragm. II, 5 fol. 6 b (1312): "Civitas posuit Heyen piscariam supra quatuor rotas pro 40 mr. den. Et quando civitas sibi 40 mr. solverit, tunc piscaria est libra." - Vgl. auch Ahrens, Die Wohlfahrtspolitik des Rostocker Rates, Rostocker Diss. 1927, Beiträge Bd. XV S.24.
98) M.U.B. II Nr. 686.
99) M.U.B. I Nr.268: "Igitur ne tam abhominanda consuetudo in posteros nostros quasi heredetario iure radicem figat, ipsam radicitus decrevimus exstirpari, statuentes, ut, si quis naufragium apud littora nostra perpessos molestaverit in rebus aut personis, tamquam violator pacis atque iusticie contemptor reus iudicio deputetur." - Vgl. Herrlich a. a. O. S. 15.
100) Vgl. Schröder-v. Künßberg a. a. O. S.580.
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c) Steuer- und Finanzverwaltung.

Die "civitas" als Gesamtheit war ihrem Stadtherrn zur Zahlung von Geldabgaben verpflichtet. Diese Steuer, welche in den Stadtbüchern meistens als "petitio" (Bede) bezeichnet ist, wird schon im ältesten Stadtbuch-Fragment mehrfach erwähnt. Sie war eine direkte Steuer und wurde von dem Rate an den Landesherrn oder auch an dessen Vertreter, den "advocatus" 101 ), gezahlt. Es heißt z. B. "Consules concesserunt domino meo de peticione paschali 20 mr." 102 ), oder "Consules dederunt domino terre de peticione Michaelis 40 mr." 103 ). In der Praxis war es häufig so, daß der Landesherr die Bede z. T. im voraus an seine Gläubiger verpfändet hatte. Die "petitio" wurde dann am fälligen Termin gleich an diese ausgezahlt, wie es aus folgenden Inskriptionen ersichtlich ist: "De petitione Michaelis demonstravit dominus meus primo Johanni Albo 15 1/2 mr. 1 sol. minus, item Ludolfo Stormclocke 7 mr. et Herbordo Meibom 9 mr., item domino Johanni Peniz 20 mr." 104 ), oder "Dominus Johannes de Brunswic recipiet de peticione a nunc pascha per annum 100 mr. den." 105 ). Die Höhe der Summe, welche die Stadt vor dem Jahre 1262 an den Landesherrn an Bede zahlen mußte, ist uns nicht bekannt. Im Jahre 1262 wurde dann diese Steuer auf eine jährlich zu zahlende Pauschalsumme von 250 Mark festgesetzt 106 ). Aus Stadtbuch-Inskriptionen von ca. 1268-1279 und mehreren Quittungen, die dem Rat in der Zeit von 1324-1343 von den Fürsten über gezahlte Bede oder "Orbör" 107 ) ausgestellt wurden, geht hervor, daß die Steuer in zwei Raten zu Ostern und Michaelis


101) Vgl. Anmerkung 58.
102) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 2 b.
103) M.U.B. II Nr. 878 (Jahr 1260).
104) St.-B.-Fragm.I, l fol. 2 b.
105) Ebendort fol. 6 a. - Vgl. auch fol. 7 b.
106) M.U.B. II Nr. 959: "statuimus et dedimus ...., ut petitionem nostram nobis singulis annis persolvant, videlicet ducentas et quinquaginta marcas denariorum eiusdem civitatis monete."
107) Der Name "Orbör" für "Bede" findet sich zuerst 1324: "nostros annuos redditus, qui vulgo orbore dicuntur." (M.U.B. VII Nr. 4527).
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fällig war 108 ). In einer Empfangsbescheinigung, die Fürst Albrecht dem Rate im Jahre 1346 über 500 Mark gezahlter Orbör (für 2 Jahre) ausstellte, werden als Zahlungstermine die Tage Philippi und Jakobi (1. Mai) und Martini (11. Nov.) namhaft gemacht, und zwar waren am 1. Mai 160 Mark und am 11. November 90 Mark fällig 109 ). Irgendwelche Nachrichten über die Erhebung weiterer fürstlicher Steuern in der Stadt sind nicht überliefert, und wir können daher wohl annehmen, daß die Bede die einzige von der Stadt an den Landesherrn zu zahlende direkte Steuer war.

In diesem Zusammenhang ist eine Stadtbuch-Inskription von Wichtigkeit, welche vermutlich in das Jahr 1268 zu setzen ist und u. a. zwei Eintragungen folgenden Wortlauts enthält: "Item quinquaginta marce date sunt domino Waldemaro de petitione, que erit Michaelis. In pascha de ipsa petitione 32 marcas pro vino et pro allecibus 21 m." 110 ). Bei der ersten Buchung kann es sich nur um eine im voraus geleistete Abschlagszahlung auf die Bede handeln. Die Worte der zweiten Buchung "de ipsa petitione" sollen offenbar darauf hinweisen, daß es sich ebenfalls um eine Bedezahlung handelt, außerdem aber werden "vinum" und "alleces" angegeben. Der Sinn dieser Notiz ist nicht klar zu erkennen. Es ist möglich, daß wir es hierbei mit einer Bedezahlung zu tun haben, die in Form von Naturalien, nämlich Wein und Heringen, geleistet wurde.

Die Quellen über die Steuer- und Finanzverwaltung Rostocks beginnen ungefähr mit dem Jahre 1260/62 und zeigen, daß die "civitas" seit der Zeit in diesem Zweige der städtischen Verwaltung weitgehende Selbständigkeit besaß. Als wichtigste städtische Steuer wurde die "collecta" erhoben, die auch "tallia" oder "schot" (Schoß) genannt wurde 111 ). Über den Charakter dieser Steuer erfahren wir Näheres aus


108) St.-B. I fol. 67 b, 86 b. - St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 8 a, 13 b, 14 b, 17 a. - St.-B.-Fragm. III, 3 fol. 1 a. - M.U.B. VII Nr. 4527, 4894, VIII Nr. 5674, 5688, IX Nr. 6312.
109) M.U.B. X Nr. 6637.
110) M.U.B. II Nr. 1140.
111) M.U.B. VI Nr. 3743: "tallie, que schot communiter nuncupatur." - M.U.B. XIV Nr. 8547: "collecta, dicta vulgariter schod." - Vgl. auch M.U.B. V Nr. 3144, 3184.
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einer Urkunde vom Jahre 1279: Ein Ritter erwirbt ein Grundstück und übernimmt außer anderen Lasten die Pflicht, für das Grundstück "collecta" zu zahlen. Er darf das Grundstück außerdem nur an einen Bürger weiterverkaufen 112 ). Es geht hieraus hervor, daß die Bürger der Stadt steuerpflichtige Personen sind, und daß Grund und Boden Steuerobjekt ist. Die "collecta" ist demnach eine direkte Vermögenssteuer 113 ).

Zum ersten Male tritt uns die "collecta" in einem Stadtbuch-Fragment entgegen, das nach Dragendorff etwa 1260/62 entstanden ist und eine Abrechnung der Stadt mit einer Reihe von Gläubigern enthält. Die Stadt hatte von zahlreichen Bürgern Anleihen erhalten, und die Abtragung der Schuld erfolgte zum Teil in der Weise, daß die Gläubiger solange von ihrer Schoßpflicht befreit waren, bis ihr Guthaben erschöpft war 114 ). Es heißt z. B.: "Andreas de Cosfelt prestitit puram marcam. Quam demit pro duabus collectis", oder "Gerlagus de Cosfelde prestitit 5 mr. den. Illas demit pro 2 collectis" 115 ). Der Steuereinnehmer für die "collecta" ist hiernach die "civitas". Zahlreiche Stadtbuch-Inskriptionen beweisen außerdem, daß die Stadt oder der Rat als Träger der Verwaltung selbständig über die Einnahmen aus der "collecta" verfügte. Zum Jahre 1284 lesen wir im Stadtbuch: "Notum sit, quod Salathiel Judeus civitati prestitit 400 mr., quas sibi debet solvere civitas sub hac forma, quod recipiet in proxima collecta 100 mr. et in secunda collecta 100 mr. et sic de aliis collectis, donec sibi dicta


112) M.U.B. II Nr. 1480: "Reimboldus vendidit domino Redago militi hereditatem suam tali pacto, quod de ea vigilet et collectam faciat ....; et si eam vendere voluerit, nulli eam vendere potest, preterquam uni civium."
113) Vgl. Staude, Die direkten Steuern der Stadt Rostock im Mittelalter. (Jahrbücher Bd. 77) 1912 S. 133 ff.
114) Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. III, 1 S. 29 f.
115) Beiträge III, 1 S. 37. - In ähnlicher Weise verfuhr die Stadt auch häufig in späterer Zeit, um Schulden zu tilgen, z. B. St.-B.-Fragm. IV, 2 fol. 158 b: "Civitas tenetur Conrado 50 mr. den. .... Tres mr. defalcavit pro collecta." - Ebendort fol. 159 b: "Civitas vendidit Gerwino Wilden 5 mr. redditus pro 50 mr. den. ....... Et consules deputabunt sibi ad talliam hos redditus." - Vgl. auch ebendort fol. 161 b. - St.-B.-Fragm. II, 3 fol. 5 a. - St.-B.-Fragm. II, 4 fol. 5 b und St.-B. III fol. 150 a.
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pecunia totaliter sit soluta" 116 ). In besonderen Fällen stand es auch der Stadt zu, Befreiung von der Schoßpflicht zu erteilen 117 ).

Neben der "collecta" hatte der Rat auch das Recht, Verbrauchssteuern für einzelne Marktartikel zu erheben, was aus der im Jahre 1275 erlassenen Verordnung über die Hopfensteuer ersichtlich ist. Der hierüber gefaßte Beschluß des Rates lautet: "Item quicunque voluerit humulum vendere assidue, debet habere dolium in foro, et inde dabit in anno 1 mr. Si duo simul stant et vendunt, dabunt 2 mr.; et si quatuor socii de uno dolio vendunt, dabunt 4 mr. in anno" 118 ). Es hat den Anschein, als ob eine ähnliche Steuer auch für Butter erhoben wurde, denn wir finden hin und wieder verzeichnet, daß Gewerbetreibende Abgaben "de butyro" zahlten 119 ).

Die übrigen städtischen Einnahmen setzten sich aus Abgaben privatrechtlichen Charakters zusammen. Die "civitas" tritt uns als Eigentümer des Marktplatzes entgegen, und daher kamen ihr die von den Gewerbetreibenden für die Marktplätze zu zahlenden Standgelder zu. Die Stadt war ferner im Besitz zahlreicher Marktbuden, welche an die Krämer der Stadt vermietet wurden. Über diese Verhältnisse gibt uns ein Kämmerei-Register vom Jahre 1325 Aufschluß, das u. a. einen "liber de redditibus civitatis, quos officiales ac manuales de locis suis perpetuo singulis annis temporibus solutionis determinatis erogabunt", enthält 120 ). Es finden sich hierin u. a. folgende Aufzeichnungen: "Primo pannicide unam marcam de quolibet loco in theatro dabunt singulis annis . . . ., sed pannicide in propriis domibus


116) M.U.B. III Nr. 1756. - Ähnlich häufiger, z. B. St.-B.-Fragm. III, 8 fol. 41 a: "refundet eidem de prima collecta." - St.-B.-Fragm. IV, 2 fol. 161 b: "de prima talia dictos denarios recipiet ..." - St.-B.-Fragm. II, 4: "Quas (nämlich 30 Mark) recipiet de prima talia. - Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1856, 2122; V Nr. 3374; VI Nr. 4241.
117) M.U.B. III Nr. 1709: "Notum sit, quod ipsum, quamdiu in civitate manserit a collecta supportavit." - Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1719; V Nr. 3144.
118) M.U.B. II Nr. 1379.
119) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 6 a: "Hermannus de Ruda dedit 6 sol. de butyro." "Tidemann Volmann niger 8 sol. de butyro" und öfter.
120) M.U.B. VII Nr. 4608.
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pannum vendentes octo solidos eodem termino civitati erogabunt. Cerdones de palude de locis suis universis supra theatrum dabunt triginta marcarum redditus ... civitati annuatim. Item notandum, quod albi cerdones, qui witgherwer dicuntur, de locis suis dabunt civitati in universo duas marcas denariorum ..." 121 ). Die Gelder, welche als Pacht für die öffentlichen städtischen Wagen gezahlt wurden, flossen ebenfalls in die Stadtkasse 122 ). Weiter verfügte die Stadt über Einnahmen aus Schlachthäusern 123 ), Türmen und Torhäusern 124 ), die ebenfalls an Gewerbetreibende vermietet wurden.

Ferner bildete die Stadtfeldmark eine wichtige Einnahmequelle für die Stadtkasse. Die "civitas" war im Laufe der Zeit in den Besitz umfangreicher Liegenschaften gelangt. Diese Ländereien verpachtete die Stadt zu einem großen Teil nun ihrerseits an die Bürger. Es handelt sich hierbei um Gärten, Wiesen, Äcker und auch ganze Bauernhöfe in den städtischen Dörfern. So lautet eine Stadtbuchnotiz von 1273: "Arnoldus et Johannes ... habent de civitate ortum unum apud Nemezov, de quo singulis annis ... civitati dabunt 8 mr. perpetuo" 125 ). Sehr häufig finden sich Abgaben der sogenannten "graminarii", d. h. der Wiesenpächter 126 ), in den Stadtbüchern, etwa in folgender Art: "Anno domini


121) Ebendort S. 256.
122) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 1 b (1270/75): "De libra super aquam 3 mr. dabit Petrus et optinebit eam ad duos annos." - Ebendort fol. 4 a: "Thidericus cum kalibe convenit libram civitatis ad duos annos pro 20 mr." - Vgl. auch M.U.B. II Nr. 1175, Note; St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 4 b, St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 8 a, St.-B.-Fragm. III, 5 fol. 3 a; St.-B. VII fol. 55 b; M.U.B. VI Nr. 4064, VII Nr. 4844.
123) M.U.B. III Nr. 2194: "Hermannus fartor convenit domum mactatoriam pro 5 1/2 mr. den." Ähnlich öfter.
124) M.U.B. III Nr. 2256: "Arnoldus rasor habet duas testudines in muro retro domum suam, de quibus solvet annuatim civitati 12 sol. ...." - "Nycolaus de Molendino convenit turrim iuxta portam supra quatuor rotas ad 12 annos, de qua dabit annis singulis 24 sol. ..." Ähnlich öfter.
125) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 12 b. - Ähnlich häufiger, vgl. St.-B.-Fragm. III, 3 fol. 2 a. - St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 1 b, 8 b; M.U.B. III Nr. 1992.
126) Über "graminarii" vgl. Dragendorff, Rostocks älteste Gewerbetreibende, Beiträge II, 4, 1899 S. 30.
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1281. Graminarii dederunt 7 mr. et 4 sol. Item 6 mr. et 2 sol ... etc." 127 ). Nicht minder zahlreich sind Pachteingänge für städtische Äcker gebucht. Zum Jahre 1284 heißt es z. B.: "Johannes Molkenere recepit a civitate 3 iugera, que habebit 3 annos gratis. Quarto anno dabit de quolibet iugere 1 mr." 128 ). Seltener dagegen finden wir städtische Bauernhöfe in Pacht gegeben. So heißt es 1292: "Gerhardus carnifex tenet curiam supra Wich ... et dabit annis singulis 12 mr. 129 ).

Die Selbständigkeit der Stadt in der Finanzverwaltung zeigt sich endlich auch in den zahlreichen städtischen Anleihen, die vom Rate aufgenommen wurden. Die erste Anleihe dieser Art, von der wir Kunde haben, fällt in das Jahr 1262 130 ), weitere folgen 1283 131 ), 1284 132 ) und 1286 133 ).

d) Zoll- und Münzwesen.

Als Borwin im Jahre 1218 den Einwohnern Rostocks den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes bestätigte, erteilte er ihnen zugleich Zollfreiheit in seinem ganzen Herrschaftsbereich 134 ). Dagegen hatten die auswärtigen Kaufleute, wenn sie nach Rostock kamen, für ihre Waren einen bestimmten Zoll an den Landesherrn zu entrichten, wobei es sich in der Hauptsache wohl um Importzölle gehandelt hat. Im Jahre 1252 versprach Fürst Borwin der Stadt, den freien Handel nicht zu stören, jedoch fügte er im Hinblick auf die auswärtigen Kaufleute ausdrücklich den Vorbehalt hinzu: "dummodo adstricti iuri theloneario erogent, quod tenentur" 135 ). Auch das


127) St.-B.-Fragm. III, 3 fol (Druckfehler) 1 a. - Vgl. ebendort fol. 2 a. - St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 5 b, 7 a, 7 b; M.U.B. III Nr. 2195 und öfter.
128) St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 4 b (es folgen 6 Eintragungen ähnlichen Charakters). - Vgl. auch ebendort fol. 6 a. - St.-B.-Fragm. III, 8 fol. 38 b. - M.U.B. III Nr. 1742, 1992.
129) St.-B.-Fragm. III, 8 fol. 41 b. - Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1901, Note, 1918, 2155.
130) M.U.B. II Nr. 962.
131) M.U.B. III Nr. 1683, 1693.
132) M.U.B. III Nr. 1756.
133) M.U.B. III Nr. 1856.
134) M.U.B. I Nr. 244: "omnimoda in iuridictione nostra thelonii exemptione."
135) M.U.B. II Nr. 686.
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Recht der Zollbefreiung stand dem Landesherrn zu. So erteilte Fürst Waldemar im Jahre 1267 den Lübeckern Befreiung vom Zoll für Rostock und die anderen Orte seines Herrschaftsbereiches 136 ).

Seit dem Jahre 1311 finden sich in steigendem Maße in den Stadtbüchern Aufzeichnungen über den An- bzw. Verkauf von Renten aus dem Rostocker Zolle durch Private. So wurden z. B. 1311 verpfändet "30 mr. redditus, quos habet in theloneo" 137 ), oder zum Jahre 1313 heißt es: "Johannes ... posuit 1 mr. redditus in theloneo pro 10 mr." 138 ). Diese "redditus in theloneo" waren jährliche Zahlungen aus dem Rostocker Zolle, die vom Landesherrn an Private verpfändet worden sind und nun weiterverkauft wurden. Derartige Fälle mehren sich besonders stark seit 1315 139 ). Mitunter ist in den Aufzeichnungen ausdrücklich die Bedingung hinzugefügt, daß dem Landesherrn das Rückkaufsrecht für die Renten zusteht 140 ), ein deutliches Zeichen dafür, daß die Fürsten bestrebt waren, nach Möglichkeit die Zolleinnahmen ungeteilt für sich zu erhalten.

Es gelang auch der Stadt vorläufig nicht, sich in den Besitz des Zollrechtes zu setzen. Noch unter dem 8. April 1347 verschrieb Herzog Albrecht einem Gläubiger für eine Schuld von 500 Mark 30 Mark jährlicher Rente "in deme tollen to Rozstoke" 141 ), d. h. der Landesherr verfügte damals noch selbständig über die Zolleinnahmen in Rostock.

Für das Verhältnis der Stadt zum Landesherrn hinsichtlich des Zollwesens ist noch eine urkundliche Bestimmung von 1264 wichtig. Damals schenkte Borwin III. den Bürgern Rostocks


136) M.U.B. II Nr. 1125, VII Nr. 4810.
137) St.-B.-Fragm. II, 5, fol. 5 a.
138) St.-B.-Fragm. II, 6 fol. 7 a.
139) St.-B. V fol. 137 b, St.-B. VI fol. 17 b, 23 b, 33 a und öfter; St.-B. VII fol. 12 a, 15 a, 16 a, 22 a und öfter. - St.-B.-Fragm. II, 7 fol. 1 b, 5 a, 7 b; St.-B.-Fragm. II, 9 fol. 1 b, 2 b. - M.U.B. VII Nr. 4819, VIII Nr. 5307.
140) St.-B. VI fol. 24 b (1215): "Decem mr. redditus ... sicut ipse tenuit in theloneo Rozstoc, quos, dominus rex (der dänische König hatte damals vorübergehend die Herrschaft über Rostock erworben) redimere poterit. - Vgl. auch ebendort fol. 25 a, 25 b. - M.U.B. VII Nr. 4640, 4746.
141) M.U.B. X Nr. 6746.
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"freie Fuhr zu allen Mühlen" (vecturam per omnia molendina sua liberam dictis burgensibus ... indulgemus) 142 ). Diese Bestimmung deutet darauf hin, daß die Bürger Rostocks bis zum Jahre 1264 zur Zahlung eines landesherrlichen Zolles, vielleicht eines Straßenzolles oder einer ähnlichen Abgabe, verpflichtet waren, wenn sie ihr Korn nach den Mühlen fahren wollten. Näheres läßt sich hierüber nicht feststellen.

Die Rostocker Münze wird bereits in dem ältesten Stadtbuch-Fragment häufig erwähnt. Die Aufzeichnungen lassen den Schluß zu, daß die fürstliche Münze schon in den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts zwar nicht in das Eigentum, wohl aber in die Verwaltung der Stadt übergegangen war. Es heißt z. B.: "Dominus meus (d. i. der Landesfürst) recepit de moneta: primo domino Reimberto 62 mr., item Conrado de Godebuz 6 mr. ..., item Conrado de Darzowe 6 mr. ..." 143 ), oder an anderer Stelle: "Dominus meus premonstravit domino Reinberto 9 mr. de moneta. Item domino Bertrammo Institori 14 mr. Item Stormclocke 15 mr. ... etc." 144 ). Es handelt sich bei diesen Buchungen um Zahlungen an verschiedene Bürger der Stadt, die der Rat "de moneta" im Auftrage des Landesfürsten leistet. Der Rat wird ausdrücklich an mehreren Stellen als zahlende Instanz angeführt, so z. B. 1259/60: "Consules dederunt domino Burwino de moneta 100 mr." 145 ) oder etwa 1270/75: "Consules promiserunt H. Sapienti, Conrado Parvo et Johanni de Luneburg 70 mr. unam minus de moneta istius anni, sicut domino Burwino dare tenentur" 146 ). Ähnliche Aufzeichnungen finden sich häufig 147 ). Die Zahlungen des Rates "de moneta" sind wahrscheinlich die von der Stadt an den Landesherrn zu zahlenden Abgaben für die Überlassung der Münze. In der Praxis wurden anscheinend die Zahlungen - ebenso wie bei der Bede 148 ) - häufig in der Weise geleistet, daß der Rat


142) M.U.B. II Nr. 1021.
143) St. -B.-Fragm. I,1 fol. 2 a.
144) Ebendort fol. 4 b.
145) Beiträge Bd. II, 2.
146) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 16 b.
147) Vgl. St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 2 a, 2 b, 4 b, 6 a. - M.U.B. II Nr. 1140. - St.-B. I fol. 71 a. - St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 15a, 16 b.
148) Vgl. Kap. III, c, S. 62.
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die fälligen Beträge auf Anweisung des Fürsten direkt an Gläubiger des letzteren auszahlte.

Die Annahme, daß die fürstliche Münze bereits seit den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts unter der Verwaltung der "civitas" stand, wird außerdem dadurch gerechtfertigt, daß um 1260 in Rostock ein "magister monete" vorhanden war, der, nach verschiedenen Stadtbuch-Inskriptionen zu urteilen, ein städtischer Beamter gewesen sein muß. Dieser Münzmeister bewohnte nämlich ein Haus, dessen innere Einrichtung städtisches Eigentum war. Zum Jahre 1260 heißt es: "Cum magister monete in lecto egritudinis jaceret et communicasset et iniunctus esset, recognovit, quod universa bona, que habebit in domo, in culcitris, pulvinaribus, ollis eriis, cocliaribus, et quicquid ibi erat, haberet de civitate" 149 ). Um dieselbe Zeit wird gebucht, daß der Münzer Silber empfangen hat, das zum Nutzen der Stadt verwendet werden soll 150 ).

Als Rat und Bürger Rostocks im Jahre 1323 dem Fürsten Heinrich von Mecklenburg gehuldigt hatten, bestätigte dieser der "civitas" ihre Rechte hinsichtlich der Münze in folgender Weise: "adicientes, quod monetam nostram in ipsa civitate habeant et de nostro consensu et scitu custodiant et nusquam alias in terris nostris in locis inconsuetis denarii fabricentur" 151 ). Die landesherrliche Münze ging dann im Jahre 1325 mit sämtlichem Zubehör für einen Kaufpreis von 1000 Mark in den Besitz der Stadt über, und gleichzeitig erwarb diese damit das alleinige Münzprägerecht für die gesamte fürstliche Herrschaft Rostock 152 ). In der Verkaufsurkunde wurde bestimmt, daß in keinem anderen Orte des Herrschaftsbereiches wie Ribnitz, Sülz, Marlow, Tessin, Kröpelin, Warnemünde oder in Dörfern und Vogteien Münzen hergestellt werden durften, sondern die Rostocker Münze mußte


149) Beiträge II, 2 S. 18.
150) M.U.B. IV Nr. 2683. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 3 S. 80.
151) M.U.B. VII Nr. 4449.
152) M.U.B. VII Nr. 4675: "vendidimus rationabiliter ac dimisimus ..... monetam nostram ibidem cum omni fructu et utilitate, cum campsuris ac libertate et cum omnibus aliis attinenciis ...."
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in der ganzen Herrschaft Rostock als verbindliches Zahlungsmittel angenommen werden 153 ).

Im engen Zusammenhang mit der Münze stand das Wechselgeschäft. Schon etwa 1270 wird in einem Kämmerei-Register verzeichnet, daß die Wechsler Abgaben an die Stadt bezahlt haben 154 ). Das Wechselgeschäft als solches wird 1304 zum ersten Male urkundlich erwähnt, und zwar unterstand es hiernach der Verfügungsgewalt der Stadt. Es heißt: "Civitas dimisit Johanni Scilling illos sexdecim mr. redditus, quos Bernardus filius Arnoldi de Kyra solvere tenetur de campsura" 155 ). Im Jahre 1319 vergab der Rat das Wechselgeschäft auf 3 Jahre an Nikolaus von Kyritz. In der Aufzeichnung hierüber wird ausdrücklich bemerkt: "Finitis tribus annis campsura ad civitatem revertetur" 156 ).

e) Geleitsrecht und Judenregal.

Quellenmäßige Belege dafür, daß das Geleitsrecht für Rostock ursprünglich im Besitze des Landesherrn gewesen ist, sind uns nicht erhalten. Nach den uns überlieferten Quellen finden wir den Rat im Besitze des Geleitrechtes am Ende des 13. Jahrhunderts. In einer Urkunde vom 26. November 1299, durch welches sich "consules universi, novi et veteres, necnon communitas civitatis" verpflichteten, an mehrere Fürsten 5000 Mark zu zahlen, heißt es: "Promittimus etiam eisdem, nos una cum domino nostro Nicolao de Rostoc conducere bona fide pro omnibus, qui faciunt vel dimittunt aliquid nostri causa, ad locum, quem prefati principes duxerint eligendum" 157 ). König Erich von Däne-


153) Ebendort: "quod nusquam locorum extra civitatem nostram Rozstok in districtu dominii nostri Rozstokcensis, utpote Rybeniz, Sulta, Marlow, Tessin, Cropelin, Warnemünde, in villis vel in advocatiis aut in terminis earundem civitatum ... umquam denarii de cetero debeant fabricari, sed denarii in Rozstok fabricati iuxta tenorem premissum dativi ubique locorum per totum dominium nostrum Rozstokcense predictum debeant recipi."
154) St.-B.-Fragm. III, 3, fol. 7 b: "Campsores post hoc 5 mr. 4 sol. minus, post hoc 3 mr.; 16 mr."
155) St.-B. III fol. 160 b.
156) M.U.B. VI Nr. 4073.
157) M.U.B. IV Nr. 2583.
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mark beschuldigte um 1312 den Rat von Rostock in mehreren Fällen des Geleitbruches 158 ). Am 13. März 1315 beurkundeten Bürgermeister und Rat von Rostock, daß die Leute und Güter des Klosters Doberan keines freien Geleites in der Stadt bedurften 159 ). Aus späterer Zeit sind uns mehrere Fälle überliefert, in denen Verbrecher verfestet wurden, weil sie Personen verletzt hatten, die unter dem Geleit des Rates standen. Es heißt zum Jahre 1337: "quod Berchane armigerum infra conductum dominorum consulum vulneraverunt" 160 ) oder 1343: "quod percusserunt ... in presencia domini nostri Magnopolensis et sub conductu dominorum consulum huius civitatis" 161 ).

Das Judenregal hat in Rostock keine große Rolle gespielt. Nur eine einzige aus dem Jahre 1283 stammende Aufzeichnung gibt uns hierüber Aufschluß. Damals nahm die Stadt bei dem Juden Salathiel eine Anleihe auf und versprach ihm nach 2 Jahren freien Abzug, falls er sich nicht mit der Landesherrin über einen längeren Aufenthalt einigen würde. Die Inskription lautet: "Finitis autem duobus annis, si cum domina terre uniri non poterit, cum bonis suis recedendi habebit libram potestatem" 162 ). Hieraus ist ersichtlich, daß die in Rostock ansässigen Juden Verpflichtungen gegenüber dem Landesherrn hatten. Es wird sich hierbei wahr-


158) M.U.B. V Nr. 3504: "Vi drog ind udi deris By, under deris obne Leyde, huor de giorde offte forsamling imod os imorcke oc der med brod leyden. Item sidst vi vilde vere udi deris By, vilde de icke giffue os Leyde, uden til it vist Antal, vort Gods der inde blifuendis. Item under Leyde gifuen haffue de fanget en vor Drostis Karle." - "Wir zogen unter ihrem offenen Geleit in ihre Stadt, wo sie häufige Versammlungen insgeheim gegen uns veranstalteten und damit das Geleite brachen. Weiter wollten sie das letzte Mal, als wir in unserer Stadt sein wollten, uns kein Geleite geben, außer auf eine gewisse Anzahl, bei Verbleib unserer Güter in derselben. Ferner haben sie während gegebenen Geleits einen Knecht unseres Drosten gefangen genommen.
159) M.U.B. VI Nr. 3743: "nullo conductu vel securatione indigeant."
160) M.U.B. IX Nr. 5782.
161) M.U.B. IX Nr. 6321. - Vgl. auch M.U.B. IX Nr. 5855 und Nettelbladt, Von dem Ursprunge der Stadt Rostock Gerechtsame, Rostock 1757 S. 151 f.
162) M.U.B. III Nr. 1683.
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scheinlich um Geldabgaben gehandelt haben. Das Judenregal befand sich demnach in jener Zeit in fürstlicher Hand. Weitere Quellen sind uns hierüber nicht erhalten 163 ).

f) Das Gerichtswesen.

Im städtischen Gerichtswesen jener Zeit haben wir zu unterscheiden zwischen der höheren oder der Kriminalgerichtsbarkeit, der zivilen Gerichtsbarkeit, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und einer Polizeigerichtsbarkeit. Im Laufe der Zeit ist es der "civitas" gelungen, sämtliche Zweige des Gerichtswesens in ihre Hand zu bringen.

Der Landesherr war zugleich der Gerichtsherr der Stadt, und daher gebührte ihm der Vorsitz bei der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit. In der Praxis übte der Landesherr jedoch dieses Amt nicht persönlich aus, sondern ließ sich durch seinen Vogt vertreten. Das fürstliche Vogtgericht bestand bis zum Jahre 1358 aus dem "advocatus", der den Vorsitz führte, und 2 Ratsherren, die als Beisitzer fungierten 164 ). Bei der Erwerbung der höheren Gerichtsbarkeit ging die Stadt in der Weise vor, daß sie dieses Hoheitsrecht zunächst für einzelne Gebiete und schließlich für den gesamten Umkreis des städtischen Herrschaftsbereiches in ihre Hand brachte. Nach den uns überlieferten Quellen erlangte die "civitas" die Kriminalgerichtsbarkeit zuerst für die Rostocker Heide. Im Jahre 1323 bestätigte nämlich Fürst Heinrich von Mecklenburg Rat und Bürgerschaft den Besitz des im Jahre 1252 erworbenen Waldgebietes mit folgenden Worten: "Unde ad noticiam ... volumus pervenire, nos dilectis nobis consulibus et universitati in Rozstok silvam quandam, quam primitus a domino Borwino comparaverant, cum omni proprietate, iudicio supremo et ymo ... liberaliter contulisse" 165 ). Nach dem Wortlaut dieser Urkunde besaß die Stadt bereits im Jahre 1323 die höhere Gerichtsbarkeit für den Bereich der Rostocker Heide. In demselben Jahre kaufte die Stadt von Fürst Heinrich das Dorf Warnemünde "cum fundo, proprie-


163) Vgl. Herrlich a. a. O. S. 49 ff.
164) M.U.B. V Nr. 2731. - Ratsarchiv Rostock, Liber proscriptorum (im Folgenden zitiert: Lib. proscr.) fol. 1 a ff.
165) M.U.B. VII Nr. 4424.
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tate et iudicio quolibet maiore et minore" 166 ). Dazu kam im Jahre 1331 Barnstorf, dessen Bede und gesamtes Gericht Fürst Heinrich im Jahre 1319 einem Rostocker Bürger abgetreten hatte 167 ), welcher seinerseits beides 12 Jahre später an die Stadt verkaufte. Es heißt in der hierüber ausgestellten Urkunde: "... cum iudicio maiore, scilicet manus et colli, ac minore, cum omni fructu et utilitate" 168 ). Im Jahre 1358 erwarb dann die "civitas" von Herzog Albrecht von Mecklenburg für einen Kaufpreis von 2000 Mark die volle Gerichtsbarkeit innerhalb des gesamten städtischen Herrschaftsbereiches 169 ).

Über das Verhältnis der Beisitzer zum fürstlichen Vogt gewinnen wir näheren Aufschluß durch den sogenannten "Liber proscriptorum", der Aufzeichnungen über Verfestungen, Stadtverschwörungen und Stadtverweisungen aus der Zeit von 1301 bis 1379 enthält. Aus den zahlreichen Eintragungen ist ersichtlich, daß die Bedeutung des "advocatus" gegenüber der der Beisitzer allmählich abnimmt 170 ). Bis zum Jahre 1341 wird in den Aufzeichnungen in der Regel der Name des Vogtes vor denen der Beisitzer genannt. Es heißt z. B.: "Hanc causam iudicavit: Michel, advocatus, ascessores: Gerhardus Reyneri et Hinricus Albus" 171 ). Seit 1341 dagegen stehen die Namen der Beisitzer stets an erster Stelle, wie in folgender Eintragung: ... Judices: dominus Hinricus de Vemeren, dominus Hinricus Quast et Gerhardus advocatus 172 ). Nachdem die Stadt im Jahre 1358 die volle Gerichtsbarkeit für ihr Gebiet erworben hatte, verschwindet der Name des Vogtes vollständig aus dem "Liber proscriptorum". Als Gerichtspersonen werden hinfort nur noch die beiden Ratsherren aufgeführt, die nunmehr als "iudices civitatis" 173 )


166) Ebendort.
167) M.U.B. VII Nr. 4063.
168) M.U.B. VIII Nr. 5229. - Die fürstliche Bestätigung dieses Kaufes erfolgte im Jahre 1333. (M.U.B. VIII Nr. 5447.)
169) M.U.B. XIV Nr. 8533: ".... totum et integrum nostrum iudicium maius ac medium et minus et ius ad ipsum pertinens ..."
170) Vgl. zum Folgenden M.U.B. V Einl. S. XVII ff.
171) Lib. proscr. fol. 2 a. - Vgl. auch fol. 2 b, 3 a, 3 b, 4 a und öfter. - M.U.B. V Nr. 2731, 2763, 2839 und öfter.
172) Lib. proscr. fol. 46 a. - Vgl. auch fol. 46 b, 47 a ff. M.U.B. IX Nr. 6106, 6180, 6321 und öfter.
173) Lib. proscr. fol. 76 b, 80 a, 90 a und öfter.
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"iudices et advocati ex parte dominorum consulum" 174 ) oder am häufigsten als "iudices et advocati" 175 ) bezeichnet werden.

Die beiden als Beisitzer fungierenden Ratsherren führen bis zum Jahre 1337 lediglich den Titel: "assessores" 176 ) oder auch nur "consules" 177 ), jedoch seit 1337 werden sie "iudices" 178 ) genannt.

Während in den Aufzeichnungen des "Liber proscriptorum" über Verfestungen stets das fürstliche Vogtgericht (bis 1358) als richtende Instanz angeführt wird, finden wir, daß vereinzelt auch schon vor 1358 Stadtverweisungen vom Rate ausgesprochen wurden. So wurden im Jahre 1338 mehrere Personen "coram consistorio" der Stadt verwiesen 179 ), oder in einem anderen Falle heißt es: "Consules prohibuerunt Hennekino Raat, filio Olrici Rat, civitatem penes suum proprium collum" 180 ). Ferner wird der "ganze Rat" 181 ) in mehreren Meineidsverfahren als richtende Instanz genannt. Es heißt in zwei Aufzeichnungen: "Dit is wiltlich deme gantzen rade" 182 ) und an anderer Stelle: "Hir war over die gantze rat, de dit scrieven liet" 183 ). Diese Fälle müssen wohl als Ausnahmen angesehen werden.

Während die Kriminalgerichtsbarkeit erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts vollständig an die Stadt übergegangen ist, finden wir die übrigen Zweige des Gerichtswesens schon zu bedeutend früherer Zeit in der Hand der Stadt. Als richtende Instanz in einem Zivilprozeß wird der Rat zum ersten Male im Jahre 1265 genannt. Damals wurde Heinrich von Tessin "coram consulibus" verurteilt, und zwar durfte er nach dem ergangenen Urteilsspruch sein Haus nur unter der


174) Lib. proscr. fol. 60 a, 60 b.
175) Lib. proscr. fol. 60 b, 61 a, 61 b, 62 a und öfter.
176) Lib. proscr. fol. 1 b, 2 a, 2 b und öfter. - M.U.B. V Nr. 2839, 3194 und öfter.
177) Lib. proscr. fol. 10 a. - M.U.B. V Nr. 2763, 3147, 3267 und öfter.
178) Lib. proscr. fol. 15 b, 16 a, 16 b und öfter. - M.U.B. IX Nr. 5785, 5786, 5787, 5788 und öfter.
179) Lib. proscr. fol. 17 b, 18 a, 20 a.
180) Lib. proscr. fol. 19 a.
181) Über den Ausdruck "ganzer Rat" vgl. Kap. IV b, 3 S. 94.
182) M.U.B. III Nr. 2385, 2386.
183) M.U.B. III Nr. 2424. - Vgl. auch Nr. 2423.
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Bedingung verkaufen oder verpfänden, daß er an die Rostocker Kirchen die Summe von 33 Mark zahlte 184 ). Im Jahre 1282 entschied der Rat die Streitigkeiten mehrerer Bürger mit dem Kloster Neuenkamp wegen Güter in Kordshagen 185 ). Der Träger der Zivilgerichtsbarkeit war hiernach der Rat; die Zivilprozesse wurden von den "consules" entschieden. Seit welcher Zeit die "civitas" im Besitze der zivilen Gerichtsbarkeit war, läßt sich nicht feststellen.

Gegen die Entscheidung des Rostocker Rates war eine Appellation an den Lübecker Rat als höhere Instanz möglich. Als im Jahre 1270/71 ein Rostocker Ratsherr wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses mit einer Buße von 60 Mark bestraft worden war, drohte ihm der Rat "Hanc causam conscribi faciemus et Lubecam transmittemus" 186 ). Im Jahre 1358 wurden die Befugnisse des Rates durch Herzog Albrecht von Mecklenburg dahin erweitert, daß es in Zukunft der Entscheidung der Ratsherren überlassen wurde, ob sie in den einzelnen Fällen eine Appellation von Rostock nach Lübeck zulassen wollten 187 ).

Wie Lübeck für Rostock, so bildete Rostock wiederum einen Obergerichtshof für Stralsund. Als der Stralsunder Rat sich im Jahre 1295 damit einverstanden erklärte, daß vom Hofe zu Nowgorod nur nach Lübeck appelliert werden durfte, behielt er sich ausdrücklich für die in Stralsund anhängig gemachten Rechtssachen den Instanzenweg Rostock-Lübeck vor 188 ).

Von der freiwilligen Gerichtsbarkeit war schon an früherer Stelle die Rede. Dieser Zweig des Gerichtswesens gehörte


184) St.-B. I fol. 23 b: "Hynricus de Tussin arbitratus est coram consulibus, quod hereditatem suam non vendat nec exponat alicui pro pignore, nisi prius persolvat ecclesiis in Rozstok 33 mr. den."
185) M.U.B. III Nr. 1636.
186) M.U.B. II Nr. 1206.
187) M.U.B XIV Nr. 8533: "Adicimus eciam, quod dicti consules .... licite poterunt prohibere omnes appellationes faciendas et interponendas ad consules in Lubeke a quibuscunque diffinitionibus, pronunciationibus et sentenciis per eosdem consules Rozstoccenses dandis et ferendis, et eas eciam quandocunque et quocienscunque ipsis placuerit, in omnibus causis generalibus et specialibus admittere et prohibere, prout eorum fuerit arbitrii, commodi et voluntatis."
188) M.U.B. III Nr. 2361.
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wahrscheinlich zu dem anfänglichen Kompetenzbereich des Rates, denn schon nach dem ältesten uns erhaltenen Stadtbuch-Fragment finden die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit stets ihre Erledigung "coram consulibus" 189 ).

Ebenso dürfen wir wohl annehmen, daß, wie bereits erwähnt, auch die Polizeigerichtsbarkeit, soweit sie sich auf die Überwachung des Marktverkehrs erstreckte, zu den ursprünglichen Befugnissen des Rates gehörte 190 ). In dem bereits oben zitierten Geldbußenregister vom Jahre 1275 finden sich u. a. auch Geldstrafen für Vergehen folgender Art verzeichnet: "Johannes emendavit 10 sol., quod percussit Sameke", "Petrus Deme emendavit 10 sol. de percussione", "Steminc emendavit 10 sol. de percussione beachii ...", "Bernert Widenese 10 sol., quod extraxit cultellum", "Johannes Rozstok 18 sol. de lesione Ladercoper" etc. 191 ). Es handelt sich hierbei um weniger schwere Vergehen, wie Schlägerei und Verstöße gegen die im Interesse der allgemeinen Sicherheit erlassenen Verordnungen. Diese Fälle fanden wahrscheinlich, ebenso wie die Übertretungen der marktgesetzlichen Bestimmungen, ihre Sühne vor dem Rate. In welchem Jahre die "civitas" dieses Recht erworben hat, darüber geben uns die Quellen keinen Aufschluß.

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Kapitel IV.

Die Verfassung Rostocks seit der Ausbildung
der bürgerlichen Selbstverwaltung.

In ständig fortschreitender Entwicklung war es den zielbewußten Bestrebungen der Bürger gelungen, den anfangs vorherrschenden Einfluß des Landesherrn auf die Verwaltung der Stadt allmählich zu verdrängen. Die Fürsten hatten es nicht verhindern können, daß die Gewalt über die "civitas" allmählich ihren Händen entglitt. Die städtische Feldmark hatte sich beträchtlich auf Kosten des landesherrlichen Besitzes


189) Vgl. Kap. II, b 2 S. 55.
190) Vgl. Kap. II, b 2 S. 53 f.
191) St. -B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b, 6 a.
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erweitert, die fürstlichen Burgen, einst das Wahrzeichen für die landesherrliche Macht in der Stadt, waren geschleift worden. Das Fischerei- und Strandrecht war aus der Hand der Fürsten in die der Stadt übergegangen. In der Steuer- und Finanzverwaltung besaßen die Bürger seit den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts weitgehende Selbständigkeit. Auch die städtische Münze, die sich anfangs im fürstlichen Besitz befand, war Eigentum der Stadt geworden, und schließlich gelang es der "civitas" auch, die volle Gerichtsbarkeit für den gesamten Umkreis der städtischen Besitzungen an sich zu bringen. Bereits um 1325 war, abgesehen von wenigen Rechten, die dem Landesherrn noch in der Stadt verblieben waren, die bürgerliche Selbstverwaltung voll ausgebildet.

Soweit es die Quellen gestatten, soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, einen Überblick über die verfassungsrechtlichen Zustände der Stadt um 1325 zu geben.

a) Das Verhältnis der Stadt zum Landesherrn.

Die große Veränderung, die in dem Verhältnis der Stadt zu ihrem Landesherrn eingetreten war, zeigt sich nicht nur in der inneren Verwaltung der "civitas", sondern auch in den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, die Rostock seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit den übrigen Ostseestädten unterhielt. In der ersten Zeit seiner Tätigkeit trat der Rat nicht als der ausschließliche Vertreter der Stadt nach außen auf, sondern er wurde in seinem Verkehr mit anderen Städten vom fürstlichen Vogt überwacht 192 ). Seit dem Jahre 1257 jedoch begann die "civitas" selbständig mit anderen Städten in Verbindung zu treten 193 ). Sie traf nicht nur Abmachungen rechtlicher und wirtschaftlicher Natur mit den übrigen deutschen Ostseestädten 194 ), sondern führte mit diesen sogar einen siegreichen Krieg gegen Norwegen 195 ). Durch die gemeinsamen Beschlüsse der Ostseestädte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald wurde damals der Grund-


192) Vgl. Kap. II, b 1 S. 52 f.
193) Vgl. Koppmann, Rostocks Stellung in der Hanse, Jahrbücher LII 1887 S. 192 ff.
194) M.U.B. II Nr. 786, 847, 873, 1586.
195) M.U.B. III Nr. 1733, 1806. - Vgl. Koppmann, Jahrbücher LII S. 193 f.
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stein gelegt für den mächtigen hansischen Städtebund, der schon in jener Zeit Rostock zu einer hohen politischen Machtstellung verhalf. Im Jahre 1293 wurde zur Erhaltung des Friedens und zum Nutzen der Kaufleute zwischen den genannten Städten ein dreijähriges Schutzbündnis abgeschlossen 196 ), und als dieses Bündnis auf weitere drei Jahre verlängert wurde, verpflichteten sich die Städte, im Kriegsfalle einander selbst gegen den eigenen Landesherrn finanzielle Hilfe zu leisten 197 ). Diese Tatsache legt Zeugnis davon ab, daß Rostock am Ende des 13. Jahrhunderts fast zu einem selbständigen Staat im Territorium des Landesherrn geworden war 198 ). Allerdings war diese hohe politische Machtstellung der Stadt nicht von langer Dauer. In dem Kampfe, der in den beiden ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts unter der Führung des dänischen Königs vom deutschen Fürstentum gegen die deutschen Ostseestädte geführt wurde, wurde im Jahre 1312 auch Rostock niedergeworfen 199 ), so daß dem Streben der Stadt nach voller Selbständigkeit eine Grenze gesetzt war. Die Niederwerfung Rostocks kam schließlich den Mecklenburger Fürsten zugute, denn im Jahre 1317 erhielt Fürst Heinrich von Mecklenburg das Land Rostock von König Erich von Dänemark zu erblichem Lehen 200 ). Wenn auch durch den für Rostock ungünstigen Ausgang des Kampfes die politische Machtstellung der Stadt für längere Zeit stark gemindert war, so blieben der "civitas" doch die im Laufe der Zeit erworbenen Rechte und Freiheiten erhalten. Am 19. April 1313 wurden die Gerechtsame der Stadt Rostock urkundlich von König Erich bestätigt 201 ). Durch die kriegerischen Ereignisse wurde demnach das rechtliche Verhältnis der Stadt zu der landesherrlichen Gewalt auf die Dauer nicht geändert.


196) M.U.B. III Nr. 2248.
197) M.U.B. III Nr. 2414.
198) Vgl. Fischer, Heinrich der Löwe von Mecklenburg (Rostocker Dissertation 1889) S. 43.
199) Vgl. Koppmann, Jahrbücher LII S. 200 ff. und Schäfer, Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark, Jena 1879, S. 92 ff.
200) M.U.B. VI Nr. 3871.
201) M.U.B. VI Nr. 3608: "Dictique consules et cives nostri Rozstokcenses de cetero in regno nostro gaudere debebunt libere omnibus iuribus et libertatibus eisdem concessis per privilegia progenitorum nostrorum seu nostra ...."
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Als Zeichen dafür, daß die Stadt den Landesfürsten als rechtmäßigen Herrn über sich anerkannte, war sie verpflichtet, dem Fürsten zu huldigen. Der Huldigungseid wurde vom Rate geleistet und urkundlich festgelegt. Eine solche Huldigungsurkunde ist uns aus dem Jahre 1314 erhalten. Nachdem die Namen der einzelnen Ratsherren aufgeführt worden sind, heißt es: "... protestamur, quod magnifico principi, domino nostro domino Erico regi Danorum, ac nobili domino Hinrico Magnopolensi ipsius nomine per iuramenta fidelitatis homagyum fecimus, quod vulgariter dicitur hulden" 202 ). In dieser Urkunde wurde außerdem bestimmt, daß künftig der Rat alljährlich nach seiner Neuwahl den Huldigungseid leisten sollte 203 ). Nach erfolgter Huldigung pflegte der Landesherr die Privilegien und Gerechtsame der Stadt urkundlich zu bestätigen. Derartige Bestätigungsurkunden sind uns aus den Jahren 1323 und 1349 erhalten 204 ).

Als ständiger Vertreter der landesherrlichen Gewalt war auch noch um 1325 der "advocatus" im Dienste des Fürsten in der Stadt tätig, jedoch hatte sein Amt keine große Bedeutung mehr. Aus den Ratsurkunden ist sein Name schon seit den 80er Jahren des 13. Jahrhunderts vollständig geschwunden, so daß als Aussteller der Urkunden nur noch Rat und Gemeinde genannt werden 205 ). Das einzige Amt, das dem "advocatus" noch in der Stadt verblieben war, war der Vorsitz bei der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit. Dieses Amt hat er bis zum Jahre 1358 behauptet, bis er auch auf diesem Posten durch städtische Richter abgelöst wurde 206 ).

In finanzieller Hinsicht waren dem Landesherrn zwei wichtige Rechte verblieben. Die Stadt war ihm nach wie vor zur Zahlung der jährlichen Bede von 250 Mark verpflichtet 207 ), und ferner gebührte dem Fürsten die Einnahme aus dem Rostocker Zolle 208 ). Ob die Stadt an der Verwaltung der Zoll-


202) M.U.B. VI Nr. 3674.
203) Ebendort. - Die einschlägige Stelle der Urkunde ist zitiert Kap. II a S. 52.
204) M.U.B. VII Nr. 4449, X Nr. 6944. - Vgl. auch X Nr. 6955.
205) M.U.B. III Nr. 1649: "consules ceterique burgenses" (1282) und ebenso ein Jahr später (M.U.B. III Nr. 1669).
206) Lib. proscr. fol. 60 ff. - Vgl. Kap. III f S. 74 f.
207) Vgl. Kap. III c S. 62 f.
208) Vgl. Kap. III d S. 68 f.
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angelegenheiten beteiligt war, läßt sich nicht feststellen. In den Stadtbüchern werden hin und wieder "theolonarii" oder Zöllner erwähnt 209 ), jedoch ist es nicht erkennbar, ob es sich um städtische oder fürstliche Beamte handelt.

Damit sind die dem Fürsten in der Stadt zustehenden Rechte erschöpft. Es zeigt sich, daß die ursprünglich überragende Machtstellung des Landesherrn in der Stadt verschwunden ist. Demgegenüber aber hatte sich die Institution des Rates zu immer größerer Bedeutung erhoben.

b) Der Rat als Organ der Selbstverwaltung.

Als Hauptträger der bürgerlichen Selbstverwaltung besaß der Rat um 1325 die eigentliche Regierungsgewalt in der Stadt. An der Spitze des Rates standen Bürgermeister, die in den Urkunden als "proconsules'', "burgimagistri", "magistri civium" oder als "magistri burgensium" bezeichnet werden 210 ), jedoch traten diese wie allgemein in den mittelalterlichen Städten bei weitem nicht so in den Vordergrund wie in der modernen Stadt 211 ). Den Bürgermeistern stand es zu, die Ratssitzungen zu leiten. So heißt es einmal zum Jahre 1343: "duo proconsules ... sedem consulum Rozstok regentes" 212 ). Weitere Nachrichten über besondere Funktionen der Bürgermeister sind uns nicht überliefert. Wir dürfen deshalb wohl annehmen, daß sie gegenüber den übrigen Ratsmitgliedern keine weiteren erheblichen Vorrechte besaßen. Die eigentliche Bedeutung für die Verwaltung der Stadt kommt daher dem Rate als Gesamtheit zu. Wir versuchen nun zunächst, uns ein Bild von der sozialen Zusammensetzung des Rates zu machen.

1. Die soziale Zusammensetzung des Rates.

Der Kreis der Rostocker Ratsherren setzte sich wahrscheinlich in der Hauptsache aus Kaufleuten zusammen. Schon die Namen mehrerer Ratsherren weisen darauf hin, daß ihre Träger den kaufmännischen Kreisen der Stadt entstammten.


209) M.U.B. III Nr. 1705, V Nr. 3140.
210) M.U.B. III Nr. 2008, VII Nr. 4461, IX Nr. 6030, 6567, X Nr. 6802, IV Nr. 2488, IX Nr. 5967, VIII Nr. 5454, VI Nr. 4131.
211) Vgl. v. Below, Vom Mittelalter zur Neuzeit, Leipzig 1924, S. 52.
212) M.U.B. IX Nr. 6295.
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Derartige im Rate auftretende Namen sind folgende: Lübbert Dünafahrer (1289) 213 ), Heinrich von Gotland, der auch Heinrich Gotlandfahrer genannt wird (1268) 214 ), Heinrich von Kurland (1312) 215 ), Ludolf und Arnold von Gotland (1312 bzw. 1333) 216 ) und Gottfried Isländer (1319) 217 ). Diese Ratsherren haben wahrscheinlich ihre Namen nach den Ländern erhalten, mit denen sie die meisten Handelsbeziehungen unterhielten. Daß Ludolf von Gotland tatsächlich mit gotländischen Bürgern in geschäftlicher Verbindung stand, geht daraus hervor, daß er gemeinsam mit seinem Bruder im Jahre 1301 von zwei Bürgern zu Wisby eine Anleihe von 400 Mark erhielt 218 ). Auch der Name Kopman = Kaufmann, der im Rate bereits 1267 auftaucht 219 ), läßt auf die kaufmännische Tätigkeit seines Trägers schließen. Aus den Stadtbüchern geht ferner hervor, daß eine ganze Reihe von Ratsherren im Besitze eines "granarium" war. Wahrscheinlich haben wir hierunter einen Getreidespeicher zu verstehen, denn der Getreidehandel hat in Rostock von jeher eine große Rolle gespielt 220 ). Keinesfalls darf man das Wort "granarium" mit "Scheune" übersetzen; zur Bezeichnung eines der Unterbringung von Erntevorräten dienenden Gebäudes gebrauchen die Stadtschreiber stets das Wort "horreum" 221 ). Die im Besitze eines "granarium" befindlichen Ratsherren dürfen wir wohl ebenfalls als Kaufleute betrachten. Es sind dies folgende: Johannes Mönch


213) M.U.B. III Nr. 2006. - Die diesem und den folgenden Namen in Klammern hinzugefügte Zahl bedeutet das Jahr, in dem die Personen zum ersten Male im Rate nachweisbar sind.
214) M.U.B. II Nr. 1138, IV Nr. 2424. - Vgl. auch IV Nr. 2488, 2598.
215) M.U.B. V Einl. S. XII.
216) M.U.B. V Einl. S. XIII, M.U.B. VIII Nr. 5411.
217) M.U.B. V Einl. S. XIX.
218) M.U.B. V Nr. 2739.
219) M.U.B. II Nr. 1101.
220) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 9.
221) Das Wort "horreum" tritt daher meistens in Verbindung mit einer "curia" auf, so z. B. St.-B. VII fol. 12 a: "Wulbrandus vendidit horreum et curiam ... et duos mansos." oder ebenda fol. 20 b: "Johannes Gunter et domina Lysa .... vendiderunt tres mansos .... Item vendiderunt curiam et horreum." Ähnlich sehr oft. - Vgl. St.-B. V fol. 135 a, St.-B. VI fol. 20 b, 47 b, 57 b, St.-B. VII fol. 5 b, 51 a, 68 b, 75 b.
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(1252) 222 ), Hermann v. Lage (1257) 223 ), Johannes Rathenow (1257) 224 ), Johannes v. Staden (1262) 225 ), Heinrich Adolphi (1262) 226 ), Heinrich v. Hart (1278) 227 ), Nikolaus v. Möhlen (1280) 228 ), Johannes Rufus (1284) 229 ), Marquart v. Ribnitz (1285) 230 ), Arnold Quast (1287) 231 ), Johann Nising (1287) 232 ), Bernhard Kopmann (1287) 233 ), Herder [cum macula] (1288) 234 ), Lübbert Dünafahrer (1289) 235 ) und Konrad Dubben (um 1298) 236 ).

Es läßt sich weiterhin feststellen, daß einige Ratsherren über größeren Grundbesitz verfügten, den sie teils zu Eigentum erworben, teils von Fürsten oder Rittern zu Lehn erhalten hatten. Im letzteren Falle waren die Ratsmitglieder regelmäßig von den Vasallendiensten befreit, meistens gegen Zahlung eines mäßigen Jahreszinses. Es handelt sich hierbei wahrscheinlich ebenfalls um Kaufleute, die das im Handel erworbene Kapital nutzbringend in Landbesitz anlegten. Zu dieser Annahme berechtigen uns folgende Tatsachen: 1. Wir wissen, daß der Ratsherr Johann Pape (1279) 237 ) Schiffseigentümer war 238 ) und daß er im Jahre 1284 eine Reise nach Halkill in Norwegen unternehmen mußte, um von einem dortigen Schuldner eine größere Geldsumme einzutreiben 239 ). Wir können ihn daher den kaufmännischen Kreisen zurechnen. Außerdem aber finden wir ihn auch im Besitz von Landgut.


222) M.U.B. II Nr. 938.
223) Ebendort.
224) St.-B. II fol. 112 b.
225) St.-B. II fol. 7 b.
226) St.-B. II fol. 48 b.
227) St.-B. II fol. 20 a.
228) St.-B. IV fol. 15 a.
229) St.-B. II fol. 141 a, - St.-B. III fol. 75 b.
230) St.-B. II fol. 141 b.
231) St.-B. II fol. 30 a.
232) St.-B. II fol. 160 a.
233) St.-B. IV fol. 166 b.
234) St.-B. V fol. 105 a.
235) St.-B. III fol. 100 b.
236) St.-B. IV fol. 174 b. - St.-B. V fol. 32 a.
237) M.U.B. II Nr. 1507.
238) St.-B. I fol. 61 a: "Johannes Pape posuit navem suam cum armamentis ...."
239) M.U.B. III Nr. 1738.
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Er wurde im Jahre 1283 gemeinsam mit dem Ratsherrn Albrecht Lore (1261) 240 ) von dem Ritter Gerhard v. Rostock mit dem Dorf Kassebohm belehnt unter der Bedingung, daß sie an Stelle der zu leistenden Lehndienste einen Jahreszins von 2 Mark zahlten 241 ). 2. Der Ratsherr Nikolaus von Möhlen war im Besitze eines "granarium" 242 ), gehörte also wahrscheinlich ebenfalls den kaufmännischen Kreisen der Stadt an. Er und sein Sohn wurden im Jahre 1285 von Fürst Heinrich von Werle mit dem Dorf Dolgen belehnt, und zwar wurden sie von den Lehndiensten gegen eine jährliche Abgabe von einem Pfund Honig befreit 243 ). Diese beiden Beispiele zeigen uns, daß die kaufmännische Tätigkeit der Ratsherren und der Besitz von Landgütern in engem Zusammenhang stehen. Es ist uns weiterhin aus einer testamentarischen Verfügung bekannt, daß die Familie von Baumgarten, von der ein Vertreter zuerst im Jahre 1265 im Rate nachweisbar ist 244 ), umfangreiche Ländereien in Brinkendorf, Diedrichshagen, Prangendorf und Mönchhagen besaß 245 ). Im Jahre 1278 verkauften die Fürsten Heinrich und Johann von Werle dem Ratsherrn Gerhard von Lage (1280) 246 ) das Dorf Bölkow zu Lehen mit der Bestimmung: "quolibet servitute remota" 247 ). Der Ratsherr Heinrich Frese (1284) 248 ) kaufte gemeinsam mit der Stadt Rostock im Jahre 1284 von Fürst Heinrich von Werle das Dorf Spotendorf zu Eigentumsrecht 249 ). Zwei Jahre später verzichtete Heinrich Frese auf sein Eigentumsrecht zugunsten der Stadt, erhielt aber dafür für sich und seine Erben die unbeschränkte materielle Nutzung des Dorfes 250 ). Im Jahre 1304 endlich verlieh Fürst Nikolaus


240) M.U.B. II Nr. 924.
241) M.U.B. III Nr. 1694: "..... hoc excepto, quod de ipsa villa in nullo servicio nec exactione tenebuntur, sed pro servicio michi .... duas marcas usualis monete annis singulis ministrabunt."
242) St.-B. IV fol. 15 a.
243) M.U.B. III Nr. 1792. - Vgl. auch III Nr. 2329 und 2342.
244) M.U.B. II Nr. 1041.
245) M.U.B. II Nr. 1203.
246) M.U.B. II Nr. 1520.
247) M.U.B. II Nr. 1459.
248) M.U.B. III Nr. 1718.
249) M.U.B. III Nr. 1730.
250) M.U.B. III Nr. 1847.
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von Werle dem Ratsherrn Johann von Dame (1314) 251 ) und dessen Brüdern das Dorf Niex "absque servicio quolibet" 252 ).

Handwerker finden wir nur ganz vereinzelt im Rate. Im Jahre 1259 war "Rodolfus pellifex" Mitglied des Rates 253 ), und außerdem wissen wir, daß Johann Kempe, der im Jahre 1287 dem Rate angehörte, Handwerker war 254 ). Weitere urkundliche Belege dafür, daß Handwerker im Rate vertreten waren, sind nicht überliefert 255 ). Da nach dem Rechte der Stadt Lübeck Handwerker nicht in den Rat gewählt werden durften 256 ), ist es wahrscheinlich, daß die Handwerker in Rostock ebenso wie in Lübeck bereits seit dem Bestehen des Rates in der Regel von der Teilnahme am Ratsstuhle ausgeschlossen waren 257 ).

Wir kommen also zu folgendem Ergebnis: Im Rate waren wahrscheinlich in der Hauptsache Kaufleute vertreten, die zum Teil den Fernhandel betrieben und die zum Teil das im Handel erworbene Kapital in Landgütern anlegten. Dagegen waren die Handwerker wahrscheinlich in der Regel nicht im Rate vertreten.

Wenn wir nun die für die einzelnen Jahre überlieferten Verzeichnisse der Ratsmitglieder miteinander vergleichen, so ergibt sich, daß die meisten Namen sehr häufig wiederkehren. Als Ratsherren lassen sich z. B. nachweisen:


251) M.U.B. VI Nr. 3674.
252) M.U.B. V Nr. 2970.
253) M.U.B. II Nr. 838.
254) M.U.B. III Nr. 1889, 1956.
255) Es treten im Rate auch folgende Namen auf: 1218: Hinricus Faber (M.U.B. I Nr. 244), 1252: Gerardus Lore (M.U.B. II Nr. 686), der auch unter dem Namen "Cerdo" vorkommt (M.U.B. IV Nr. 2637), 1252: Eilardus Faber (M.U.B. II Nr. 686) und 1279: "Elerus Pannicida" (M.U.B. II Nr. 1507); jedoch handelt es sich hierbei wohl nicht um Berufsbezeichnungen, sondern um Familiennamen; man kann daher diese Personen nicht den Handwerkerkreisen zurechnen.
256) Schon die erste Verfassung, die Lübeck von Heinrich dem Löwen erhielt, schloß die Handwerker von der Teilnahme am Ratsstuhle aus. - Vgl. C. Wehrmann, das Lübeckische Patriziat (Hans. G. B. Jahrg. 1872) S. 93.
257) Nicht in allen Städten, die sich des lübischen Stadtrechtes bedienten, wurde die Bestimmung durchgeführt. In Wismar waren z. B. die Handwerker bis zum Jahre 1323 ratsfähig. - Vgl. Techen, Abriß der Geschichte Wismars bis zur Revolution, Wismar 1922, S. 20.
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Hermann v. Lage für die Jahre; 1257, 1262, 1265, 1266, 1275, 1281 258 ).

Hermann Witt; 1259, 1261, 1263, 1266, 1267, 1275, 1278 259 ).

Andreas v. Kosfeld: 1259, 1265, 1266, 1268?, 1275 260 ).

Albrecht Lore: 1261, 1265, 1266, 1277, 1278, 1281, 1282 261 ).

Heinrich Wiese: 1262, 1263, 1265, 1266, 1267, 1275, 1277, 1278, 1279, 1281, 1282, 1284, 1285, 1296/1300 262 ).

Engelbert v. Baumgarten: 1262, 1265, 1275, 1277, 1279, 1280, 1283 263 ).

Reineke, Reimberts Sohn: 1266, 1267, 1275, 1278, 1282, 1283, 1285, 1286, 1297 264 ).

Albrecht v. Kosfeld: 1275?, 1279, 1280, 1282, 1283, 1286, 1288, 1289, 1298 265 ).

Reineke v. Lage: 1275, 1278, 1282, 1283, 1286, 1293, 1294, 1296, 1297 266 ).

Herder: 1278, 1279, 1281, 1282 267 ).

Die häufige Wiederkehr der einzelnen Namen in den Ver-zeichnissen der Ratsmitglieder läßt wohl den Schluß zu, daß sich in Rostock schon im 13. Jahrhundert ein Kreis von Familien oder Geschlechtern gebildet hatte, deren Angehörige in der


258) M.U.B. II Nr. 793, 962, 973, 1041, 1051, 1076, 1096, 1381, III Nr.1565, 1568, 1586.
259) M.U.B. II Nr. 835, 924, 931, 973, IV Nr. 2685, II Nr. 1076, 1096, 1102, 1381, 1474, IV Nr. 2710.
260) M.U.B. II Nr. 835, 836, 1041, 1051, 1076, 1096, 1140, 1381.
261) M.U.B. II Nr. 924, 1041, 1051, 1076, 1444, IV Nr. 2710, II Nr. 1474, III Nr.1565, 1586, 1591, 1615, 1625, 1628.
262) M.U.B. II Nr. 962, 973, 1041, 1051, 1076, 1096, 1125, 1381, 1444, IV Nr. 2710, II Nr. 1474, 1507, III Nr. 1565, 1586, 1591, 1615, 1625, 1628, 1718, 1729, 1782, 2424.
263) M.U.B. II Nr. 962, 1041, 1051, 1381, 1441, 1507, 1520, III Nr. 1670.
264) M.U.B. II Nr. 1076, 1096, 1102, 1125, 1381, 1459, III Nr. 1615, 1625, 1628, 1670, 1693, 1700, 1715.
265) M.U.B. II Nr. 1378, 1507, 1520, III Nr. 1615, 1622, 1625, 1626, 1628, 1670, 1671, 1693, 1700, 1836, 1837, 1841, 1847, 1956, 2008, 2018, IV Nr. 2488.
266) M.U.B. II Nr. 1378, 1474, III Nr. 1615, 1625, 1628, 1670, 1693, 1700, 1837, 1841, 1847, 2227, 2262, 2416, 2009, Note, 2424, IV Nr. 2441, 2483, 2428.
267) M.U.B. IV Nr. 2710, II Nr. 1474, 1507, III Nr. 1565, 1586, 1591, 1615, 1625, 1628.
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Regel in den Rat gewählt zu werden pflegten, und der deshalb das Recht der ausschließlichen Ratsfähigkeit für sich in Anspruch nahm. Da die Erneuerung des Rates alljährlich auf dem Wege der Kooptation, d. h. der Selbstergänzung, erfolgte 268 ), war es dem jeweils fungierenden Rate naturgemäß sehr leicht, eine seinen Wünschen entsprechende Neuwahl zu treffen. Wahrscheinlich bildete sich auf diese Weise eine sozial abgeschlossene bürgerliche Oberschicht, die den Anspruch der ausschließlichen Ratsfähigkeit erhob und damit die Grundlage schuf für das spätere Rostocker Patriziat. Dieses städtische Patriziat tritt uns in späterer Zeit als der Kreis der "beslechteten" entgegen 269 ).

Auch andere urkundliche Zeugnisse berechtigen uns, die Anfänge für die Ausbildung einer patrizischen Oberschicht in Rostock in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zu verlegen. In dieser Zeit werden verschiedentlich "seniores civitatis" und "discretiores civitatis" erwähnt, die in einigen Fällen an der Verwaltungstätigkeit des Rates teilnehmen 270 ). So wurde im Jahre 1278 die Verordnung über die Verlosung der städtischen Marktbuden von den "consules cum senioribus civitatis" erlassen 271 ). Im Jahre 1283 verzichtete ein städti-


268) Vgl. Kap. IV b, 2 S. 93.
269) Es heißt im Artikel 35 des Bürgerbriefes vom 22. Februar 1428: "Item so en schal me nemande in den Radt kessen, de beslechtet is, oc nene swegers." - Diese Bestimmung hatte den Zweck, die Geschlechter von der Besetzung des Rates auszuschließen. Der Bürgerbrief ist veröffentlicht bei Lange, Rostocker Verfassungskämpfe bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (Rostocker Gymnasialprogramm 1888) S. 27 ff.
270) Die Rostockische Chronik spricht zum Jahre 1313 von "beslechteten" und "riken lude" und an einer anderen Stelle heißt es: "do sammelte de Radt de oppersten van den borgeren." - Vgl. Rostockische Chronik, ed. v. Schröter, Beiträge zur Mecklenburgischen Geschichtskunde Bd. I, 1, 1826, S. 19 f. u. S. 29. Da jedoch die Rostockische Chronik keine historische Selbständigkeit besitzt, sondern in ihrer Darstellung völlig von der Reimchronik des Ernst v. Kirchberg abhängig ist, dürfen wir diesen Worten keine Bedeutung beimessen. Vgl. Koppmann, Rundschau über die Literatur der Hansischen Geschichte, Hans. G. B. Jahrg. 1872, S. 161 ff., K. E. H. Krause, Über den 1. u. 2. Teil der Rostocker Chronik (Rostocker Gymnasialprogramm 1873) S. 1 ff.; derselbe, Die Chronistik Rostocks, Hans. G. B. Jahrg. 1873, S. 163 f. und Koppmann, Übersicht über die Rostockische Historiographie, Beiträge Bd. I, 1 1890, S. 1.
271) M.U.B. II Nr. 1447.
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scher Vogt "coram discretioribus nostre civitatis" auf den Ersatz von Geld, welches er im Interesse der Stadt ausgegeben hatte 272 ), und ein Jahr später heißt es: "De quo dum consules mirarentur satis, vocatis ad se discretioribus civitatis" 273 ). Wahrscheinlich haben wir unter diesen "seniores civitatis" oder "discretiores civitatis" den Kreis derjenigen Bürger zu verstehen, die als ratsfähig galten 274 ).

Eine ähnliche bürgerliche Oberschicht, die das Recht der ausschließlichen Ratsfähigkeit für sich in Anspruch nahm, läßt sich urkundlich auch in zahlreichen anderen Städten nachweisen. So werden z. B. im dritten Straßburger Stadtrecht (1245 bis 1260) "consules et ceteri meliores et sapientiores" einander gegenübergestellt und an einer anderen Stelle werden "consules et ceteri cives civitatis" voneinander geschieden. Es folgt hieraus, daß die "consules" in Straßburg nur aus dem Kreise der "meliores et sapientiores" entnommen wurden 275 ). Das Heilbronner Stadtrecht von 1281 enthält sogar die Bestimmung, daß die Ratsherren "de melioribus et utilioribus civitatis" gewählt werden mußten. In Basel werden zum Jahre 1118 "civium nobiliores", in Worms (1110) und Aachen (1160) "cives maiores" erwähnt 276 ). In der zwischen 1165 und 1170 entstandenen Soester Stadturkunde werden "meliores" aufgeführt 277 ), und schließlich werden uns um 1275 in Lindau "burgenses pociores Lindaugiae" und "nobiles familiae in Lindou" bezeugt 278 ).

Es ist somit sehr wahrscheinlich, daß sich in Rostock schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein Kreis von


272) M.U.B. III Nr. 1926.
273) M.U.B. III Nr. 1977.
274) Die "seniores" werden auch in Lübeck urkundlich bezeugt. Eine Urkunde vom Jahre 1266 lehrt uns, daß in Lübeck die "seniores" identisch waren mit den "maiores". - Urkundenbuch der Stadt Lübeck Bd. I Nr. 284: "suo et maiorum sive seniorum nomine."
275) Vgl. Eberle a. a. O. § 12 und Foltz, Beiträge zur Geschichte des Patriziates in den deutschen Städten vor dem Ausbruch der Zunftkämpfe (Marburger Dissertation 1899) S. 21.
276) Vgl. Eberle a. a. O. § 12 u. Foltz a. a. O. S. 41 u. S. 64.
277) Vgl. v. Klocke, Patriziat und Stadtadel im alten Soest, Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins, XVIII, 1927 S. 11.
278) Vgl. Keller, Patriziat und Geschlechterherrschaft in der Reichsstadt Lindau, Deutschrechtliche Beiträge, herausgegeben von Konrad Beyerle Bd. I, 5 1908 S. 396.
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angesehenen Familien oder Geschlechtern gebildet hatte, deren Angehörige fast ausschließlich in den Rat gewählt zu werden pflegten. Dadurch, daß in der Hauptsache nur die Angehörigen eines engeren Familienkreises in den Rat gewählt wurden, wurde die politische Macht in der Stadt naturgemäß in die Hand dieser bürgerlichen Oberschicht gelegt und der Gemeinde der Einfluß auf die Leitung der Stadt zum Teil entzogen. Es entstand auf diese Weise eine Geschlechterherrschaft in der Stadt 279 ). Die Geschlechterherrschaft hat in Rostock bis in das 15. Jahrhundert hinein gedauert. Erst in den Verfassungskämpfen, welche die Stadt in der Zeit von 1427 bis 1439 erfüllten, ist es der Gemeinde gelungen, die Macht der im Rate vertretenen Geschlechter zu brechen. Das Ergebnis der damaligen inneren Kämpfe war der Vertrag vom Jahre 1439. Hiernach sollte der aus den Vertretern der Geschlechter bestehende Rat gemeinsam mit einem weiteren Rate, der unter Mitwirkung eines aus 60 Personen bestehenden Bürgerausschusses, den sogenannten "Sechzigern", gewählt worden war, die Regierung der Stadt übernehmen 280 ).

Bestrebungen der Gemeinde, eine Änderung in der Besetzung der Ratsämter durchzuführen und damit die Macht der im Rate vertretenen Geschlechter zu brechen, machen sich auch schon in der uns beschäftigenden Zeit bemerkbar. Insbesondere strebten die Handwerker danach, Einfluß auf die Besetzung des Ratsstuhles zu erringen. Bereits am Ende des 13. Jahrhunderts hören wir von Verfassungskämpfen in Rostock. Um 1287 wurden 6 Ratsherren (Johann v. Lemhus, Reineke, Reimberts Sohn, Dietrich Koggenmeister, Reineke von Lage, Reinhard Lore und Johann Zöllner) aus der Stadt vertrieben und ihrer Habe beraubt. Sechs andere (Johann Rode, Eberhard Nachtrabe, Heinrich Mönch, Heinrich von Ivendorf, Johann Kempe und Christian von der Altstadt) wurden an


279) Auch Lisch ist der Ansicht, daß sich "schon im 13. Jahrhundert in Rostock einflußreiche vornehme Geschlechter gebildet hatten, welche allein den Rat besetzten". - Vgl. Lisch, Über das Rostocker Patriziat, Jahrbücher Bd. XI, 1846, S. 177. Ähnlich äußert sich Lange a. a. O. S. 3: "Eine Anzahl von vornehmen Geschlechtern hatte sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt, sich als allein ratsfähig zu betrachten." Vgl. auch Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock, S. 27.
280) Vgl. Lange a. a. O. S. 17 ff., Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock S. 27 ff und Lisch a. a. O. S. 179.
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ihre Stelle gesetzt 281 ). Von den letzteren war Johann Kempe Handwerker 282 ). Von Heinrich v. Ivendorf wissen wir, daß er sechs Handwerksämtern eine Beteiligung am Ratsstuhle zugelobt hatte. Er stellte dieses Versprechen später vor dem Rate eidlich in Abrede und wurde deshalb als des Meineides überwiesen verfestet. Es heißt in der Stadtbuchaufzeichnung: "Dit is deme rade witlich, dat ses ammete vor sie quemen unde segeden, dat her Heinric van Ibendorpe im den rat lovede, in to kesende unde to besittende" 283 ). Es liegt daher die Vermutung nahe, daß auch schon bei diesen Ereignissen der Eintritt von Handwerkern in den Rat eine Rolle gespielt hat 284 ). Die sechs vertriebenen Ratsherren wandten sich zunächst an den Schweriner Bischof und dann an den Erzbischof von Bremen, während die sechs neuen Ratsherren und die Gemeinde Rostock an den Papst appellierten 285 ). Außerdem versuchten die Städte Lübeck, Wismar und Greifswald vermittelnd einzugreifen 286 ). Die Streitigkeiten endeten damit, daß die vertriebenen Ratsherren wieder in ihre Ämter eingesetzt wurden; wir finden sie in späterer Zeit sämtlich wieder im Rate vor 287 ).

Zu neuen Unruhen kam es im Jahre 1312 in der Stadt. Den äußeren Anlaß hierzu bot der Kampf König Erichs von Dänemark und des Fürsten Heinrich von Mecklenburg gegen Rostock. Wie uns die Reimchronik des Ernst v. Kirchberg 288 ) und die auf ihr beruhende Rostockische Chronik von 1310 bis 1314 289 ) berichten, brach nach der Übergabe des von den Rostockern besetzten Turmes bei Warnemünde (17. September 1312) ein Aufruhr in der Stadt aus. Ein Teil der Ratsherren wurde ermordet, acht andere (Arnold Kopmann, Arnold Quast, Wasmot, Bernhard Kopman, Otbert von Zelow, Therwin Wilde, Tige und Heinrich Sclichtop) 290 ) verließen die Stadt,


281) M.U.B. II Nr. 2003.
282) M.U.B. III Nr. 1956, Note.
283) M.U.B. III Nr. 2423.
284) Vgl. M.U.B. II Nr. 2003, Note. - Herrlich a. a. O. S. 43. - Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock, S. 19, und Lange a. a. O. S. 4.
285) M.U.B. II Nr. 2003.
286) Hanserezesse Bd. I Nr. 61.
287) M.U.B. III Nr. 2227, 2262, 2416; IV Nr. 2441, 2442, 2483, 2488.
288) Ernst v. Kirchberg, ed. von Westphalen, Monumenta inedita rerum Germanicarum, Bd. IV, Leipzig 1745 Kap. 148.
289) Rostockische Chronik a. a. O. S. 26 ff.
290) M.U.B. VI Nr. 3669.
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und ein neuer Rat wurde gewählt 291 ). Diese Unruhen gingen wahrscheinlich in der Hauptsache von den Handwerkern aus, denn im weiteren Verlauf der inneren Kämpfe wurde der neu eingesetzte Rat gezwungen, einen sogenannten Bürgerbrief zu besiegeln, der den Älterleuten, d. h. den Vorsitzenden der Handwerkerzünfte einen Einfluß auf die Besetzung der Ratsämter einräumte. Der Bürgerbrief ist uns nicht erhalten, und wir wissen von seinem Inhalt nur durch die Reimchronik des Ernst v. Kirchberg. Dieser berichtet hierüber:

"Also sy solden kysen nicht
ymans zu des rades phlicht,
an dy die aldirmanne wolden,
zu rade sy dy kysen solden" 292 ).

In welcher Weise die Älterleute an der Wahl des Rates teilnehmen sollten, darüber ist uns nichts bekannt. Eine weitere Bestimmung des Bürgerbriefes bezieht sich auf die Gerichtsbarkeit des Rates; nach dem Bericht Kirchbergs sollte der Rat nur mit Zustimmung der Älterleute Strafen an Geld und Gut verhängen. Es heißt bei Kirchberg:

"Der Rad solde keyne bruche richten,
mit namen daz an gelt und gud
ginge, an ires wissins mud,
ob die aldirmanne icht tobin" 293 ).

Die dritte Bestimmung des Bürgerbriefes, von der Kirchberg uns berichtet, enthält das Verbot für alle Bürger, für irgendeinen Edelmann Bürgschaft zu leisten:

"Es solde keyn burgir ouch gelobin
me vur keynen hovemann,
wilchir stunde der solde vordan
daz burfeczog kundigen offinbar,
idel vnd vnwerlich gar" 294 ).


291) Vgl. Lange a. a. O. S. 4 ff. - Koppmann, Die Ereignisse von 1312 Sept. 17 bis 1314 Jan. 21, Jahrbücher Bd. 56 S. 33 ff.; derselbe, Gesch. der Stadt Rostock S. 20.
292) Kirchberg a. a. O. Kap. CL. - Vgl. auch Rostockische Chronik a. a. O. S. 30 ff. Die einschlägige Stelle aus Kirchbergs Reimchronik ist abgedruckt M.U.B. VI Nr. 3590.
293) Ebendort.
294) Ebendort.
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Diese Neuerung sollte wahrscheinlich verhindern, daß Mitglieder des Rates von Fürsten oder Rittern Landgüter zu Lehen erhielten und auf diese Weise mit den fürstlichen oder ritterlichen Lehnsherren in nähere Verbindung kamen. Auch in späterer Zeit ging das Bestreben der Bürgerschaft dahin, die mit Landgut ausgestatteten Personen vom Rate fernzuhalten. So lautet Artikel 10 des Bürgerbriefes vom Jahre 1408: "Item wille my nemande in den Radt kessen, de landtgudt hefft; ock schal nyn man mer landtgudes thokopen, de nu in dem Rade is" 295 ).

Die hauptsächlich zugunsten der Handwerkerämter durchgesetzten Verfassungsänderungen hatten nur ganz kurzen Bestand. Auf Betreiben der oben erwähnten acht vertriebenen Ratsherren schritt Fürst Heinrich von Mecklenburg gegen die Neugestaltung der inneren Verhältnisse in Rostock ein. Am 14. Januar 1314 hielt er Gericht in der Stadt. Die acht vertriebenen Ratmannen wurden wieder in ihre Ämter eingesetzt und wählten mit Fürst Heinrich gemeinsam einen neuen Rat, der sich von nun an wieder in der alten Weise selbst ergänzte 296 ). Dagegen wurde gegen mindestens 58 Personen, meistens Handwerker, "qui fecerunt congregationes pessimas, per quas iuriditionen Lubicensen leserunt et civitatem Roztok multis malis perturbaverunt", die Verfestung ausgesprochen 297 ). Der Bürgerbrief aber wurde von Fürst Heinrich eigenhändig zerrissen und verbrannt 298 ).. Der Versuch, eine Änderung in der Besetzung der Ratsämter durchzuführen, war damit fehlgeschlagen. Für das ganze 14. Jahrhundert sind uns keine weiteren Nachrichten über Verfassungskämpfe in Rostock überliefert 299 ). Wir können daher wohl annehmen, daß während dieser Zeit die soziale Zusammensetzung des Rates keine wesentliche Änderung erfahren hat.


295) Der Bürgerbrief ist veröffentlicht bei Lange a. a. O. S. 25 ff. Dieser Artikel wurde in derselben Fassung auch in den Bürgerbrief vom Jahre 1428 aufgenommen, Lange a. a. O. S. 28.
296) M.U.B. VI Nr. 3669. - Kirchberg a. a. O. Kap. 152. - Rostockische Chronik a. a. O. S. 40 ff.
297) M.U.B. VI Nr. 3672.
298) Kirchberg a. a. O. Kap. 152, Rostockische Chronik S. 40 ff.
299) Vgl. Lange a. a. O. S. 11.
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2. Das aktive und passive Wahlrecht.

Eine Wahlrechtsordnung oder eine ähnliche Bestimmung über die Art und Weise der Bestellung des Rostocker Rates ist uns nicht überliefert, jedoch deuten die Quellen darauf hin, daß die Neubildung des Rates alljährlich durch Kooptation erfolgte. Als im Jahre 1314 die acht Ratsherren, die infolge der inneren Kämpfe aus der Stadt vertrieben waren, mit Fürst Heinrich von Mecklenburg einen Vertrag über ihre Wiedereinsetzung in das Ratsamt abschlossen, wurde vereinbart, daß der Fürst gemeinsam mit den vertriebenen Ratsherren einen neuen Rat einsetzen sollte; in Zukunft aber sollte sich der Rat dann wieder selbst ergänzen. Die Vereinbarung lautet: "Ipse dominus Hinricus una nobiscum eligere debebimus consules ista vise, prout nos utrobique valeamus exvedire; post hec nos consules eligere debemus novos consules, sicut ab antiquo" 300 ). Das Kooptationsrecht des Rates wird hier als von alters her gebräuchlich bezeichnet. In der Praxis wirkte sich das Recht der Selbstergänzung so aus, daß nicht alle Mitglieder jährlich aus dem Rate ausschieden, sondern nur ein Teil. In zahlreichen Fällen können wir beobachten, daß Ratsherren mehrere Jahre nacheinander im Amte waren. Wie wir bereits oben festgestellt haben, kehren zwar die einzelnen Namen in den Verzeichnissen der Ratsmitglieder sehr häufig wieder 301 ), jedoch in unregelmäßigen Zeitabständen. Ein bestimmter Ratsturnus, d. h. der Brauch, daß sich mehrere Räte gegenseitig in einer festen Reihenfolge im Amte ablösten, hat sich demnach in Rostock nicht eingebürgert.

Das passive Wahlrecht unterlag ähnlich wie in vielen anderen Städten 302 ) auch in Rostock einschränkenden Bestimmungen. Die Handwerker waren wahrscheinlich in der Regel von der Teilnahme am Ratsstuhle ausgeschlossen. Seit der Ausbildung einer: patrizischen Oberschicht, deren Anfänge wir in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts setzen können 303 ), wurde das passive Wahlrecht wahrscheinlich praktisch eingeschränkt auf die Angehörigen eines engeren Familienkreises,


300) M.U.B. VI Nr. 3669.
301) Vgl. Kap. IV, b, 1 S. 85 f.
302) Vgl. Eberle a. a. O. § 12.
303) Vgl. Kap. IV, b, 1 S. 88 f.
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die sich allein als ratsfähig betrachteten. Wie schon erwähnt, tritt uns diese bürgerliche Oberschicht später als der Kreis der "beslechteten" entgegen 304 ).

3. Amtsdauer, Zahl und Besoldung der Ratsherren.

Die Rostocker Ratsherren traten ihr Amt am Tage Petri Stuhlbesteigung (22. Februar) an, und zwar für die Dauer eines Jahres 305 ). In einer Aufzeichnung der fungierenden Ratsmitglieder vom Jahre 1281 heißt es ausdrücklich: "Anno domini 1281 in die cathedre Petri consilio presidebant" 306 ). In anderen Verzeichnissen werden die neuen Ratsherren kurz nach dem 22. Februar genannt 307 ). War der neue Rat gewählt, so waren die Ratsherren des vergangenen Jahres noch nicht völlig ihres Amtes ledig, sondern bei wichtigen Entscheidungen wurden sie von dem neuen Rat mit hinzugezogen. In solchen Fällen führte das Ratskollegium den Namen "ganzer Rat" oder "consules novi et veteres", während man sich zur Bezeichnung des einfachen Rates des Ausdrucks "consules consilio presidentes" bediente 308 ). Die Ratsherren waren also nach Absolvierung ihres Amtsjahres noch ein weiteres Jahr zum Bereitschaftsdienst verpflichtet, um über einzelne wichtige Entscheidungen mitzuberaten. Am Eingang einer Verordnung vom Jahre 1292, welche die Grundbesitzer verpflichtete, sich gegenseitig beim Bau der Mauern zwischen den einzelnen Grundstücken behilflich zu sein, heißt es: "Arbitrati sunt consules novi et veteres" 309 ). Ein Meineidverfahren wurde (1296-1300) verhandelt vor "deme menen rade, beyde olde unde nyie", und in derselben Aufzeichnung heißt es am Schluß: "Hir war over die gantze rat" 310 ). "Consules novi et veteres" untersagten im Jahre 1298 Bernhard Molzan, als Fürsprecher vor Gericht aufzutreten 311 ). Derselbe Terminus


304) Vgl. Kapitel IV, b. 1 S. 87 und Anm. 269.
305) Vgl. M.U.B. V Einl. S. XII und S. XVIII.
306) M.U.B. III Nr. 1565.
307) M.U.B. IV Nr. 2710: "in vigilia beati Mathie." - III Nr. 1889: "post Mathie." - III Nr. 1837: "in octava Mathie."
308) M.U.B. II Nr. 962.
309) M.U.B. III Nr. 2186.
310) M.U.B. III Nr. 2424.
311) M.U.B. IV Nr. 2488.
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findet sich 1309 in der Willkür des Rates über die nach Lübeck verwiesenen Rechtshändel 312 ), in einer Aufzeichnung über die Verpachtung der Stadtwage vom Jahre 1327 313 ), in einer Ratsverordnung über Maßnahmen gegen säumige Zinszahler vom Jahre 1328 314 ) und schließlich in einer Abrechnung des Rates über geliehene Gelder, ebenfalls aus dem Jahre 1328 315 ).

Die Zahl der Rostocker Ratsherren war anscheinend nicht gesetzlich festgelegt, sondern mitunter sogar beträchtlichen Schwankungen unterworfen 316 ). Für eine ganze Reihe von Jahren liegen uns Verzeichnisse von Ratsmitgliedern vor, jedoch läßt es sich in den einzelnen Fällen nicht feststellen, ob es sich um ein vollständiges Verzeichnis handelt. Häufig ist der Ausdruck "consilio presidentes" den Namensverzeichnissen der "consules" hinzugefügt, ein Zeichen, daß wir es in diesen Fällen (in der folgenden Aufstellung gekennzeichnet durch +) mit dem einfachen Rate zu tun haben. Für die einzelnen Jahre sind uns folgende Zahlen überliefert:

1218: 10 317 ), 1252: 23 (wahrscheinlich der ganze Rat) 318 ), 1257: 16 319 ), 1258: 16 320 ), 1261: 14 + 321 ), 1263: 16 + 322 ),


312) M.U.B. V Nr. 3302.
313) M.U.B. VII Nr. 4844.
314) M.U.B. VII Nr. 4938.
315) M.U.B. VII Nr. 4996.
316) Lisch und Mann (a. a. O. S. 13) und ebenso Koppmann (Gesch. der Stadt Rostock S. 18) haben angenommen, daß die Zahl der Ratsherren auf 24 festgelegt war. Sie sind wahrscheinlich von der Tatsache ausgegangen, daß im Jahre 1252 23 "consules" auftreten, und daß die Zahl 12 bzw. 24 auch in den Ratskollegien anderer Städte häufig eine Rolle spielt. Diese Ansicht ist nicht haltbar. Wir treffen auch in anderen Städten nicht immer die Zahl von 12 bzw. 24 Ratsherren an; so haben wir z. B. in Osnabrück deren nur 16, in Straubing 8 und in Worms 15 (vgl. Eberle a. a. O. § 14). Es läßt sich außerdem geltend machen, daß höchstwahrscheinlich auch in Lübeck die Anzahl der Ratsmitglieder nicht gesetzlich vorgeschrieben war. (Vgl. Frensdorff, Die Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks im 12. und 13. Jahrhundert, Lübeck 1861, S. 101.).
317) M.U.B. I Nr. 244.
318) M.U.B. II Nr. 686.
319) M.U.B. II Nr. 793.
320) Beiträge Bd. III, 1 S. 10, Nr. 69.
321) M.U.B. II Nr. 924.
322) M.U.B. II Nr. 973.
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1264-65: 18 323 ), 1266-67: 18 + 324 ), 1278: 17 + 325 ). In den Jahren 1279 und 1280 steigt dann plötzlich die Zahl auf 24 an, wobei es ausdrücklich heißt: "consilio presidentes" 326 ). Irgend ein Grund für diese starke Vermehrung der Ratssitze ist nicht ersichtlich. Im Jahre 1281 beträgt dann die Zahl wieder 18 + 327 ).

1282: 17 + 328 ), 1283: 18 + 329 ), 1284: 18 + 330 ), 1286: 17 + 331 ), 1287: 18 + 332 ), 1288: 18 + 333 ), 1314: 21 334 ).

Der "ganze Rat" bestand im Jahre 1262 aus 24 Mitgliedern 335 ). Dieselbe Ziffer ist für das Jahr 1298 überliefert 336 ). Dagegen werden in einer in die Jahre 1296 bis 1300 fallenden Urkunde für den "ganzen Rat" 36 Mitglieder namhaft gemacht 337 ).

Wie in den meisten mittelalterlichen Städten 338 ) war auch in Rostock das Amt des Ratsherrn ein Ehrenamt, d. h. es war unbesoldet. Der ehrenamtliche Charakter des Ratsamtes schloß jedoch nicht aus, daß die Ratsherren bestimmte Entschädigungen für ihren Arbeitsaufwand erhielten. Eine solche Amtsentschädigung der "consules" war der "solidus ad bibendum". Im Jahre 1289 verpfändete der Rat eine städtische Wiese unter der Bedingung, daß der Empfänger "singulis annis solvet consulibus 8 sol. ad bibendum" 339 ). Die Ratsherren hatten hiernach wahrscheinlich das Recht, die für einen bestimmten Teil der städtischen Liegenschaften ein-


323) M.U.B. IV Nr. 2685, II Nr. 1041.
324) M.U.B. II Nr. 1076, 1102.
325) M.U.B. IV Nr. 2710.
326) M.U.B. II Nr. 1507. - St.-B.-Fragm. III, 6 fol. 2 b u. 3 a. - M.U.B. II Nr. 1520.
327) M.U.B. III Nr. 1565.
328) M.U.B. III Nr. 1615, 1625, 1628.
329) M.U.B. III Nr. 1670, 1693.
330) M.U.B. III Nr. 1718; - St.-B. II fol. 92 b. - St.-B.-Fragm. III, 5 f, 3 b.
331) M.U.B. III Nr. 1837, 1841, 1847.
332) M.U.B. III Nr. 1889.
333) M.U.B. III Nr. 1956.
334) M.U.B. IV Nr. 3674.
335) M.U.B. II Nr. 962.
336) M.U.B. IV Nr. 2488.
337) M.U.B. III Nr. 2424.
338) Vgl. Eberle a. a. O. § 18.
339) M.U.B. III Nr. 2033.
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kommenden Gelder "ad bibendum" zu verwenden. Eine ähnliche Einrichtung bestand auch in Wismar. Hier nannte man die Amtsentschädigung der Ratsherren "denarii ad vinum consulum" 340 ).

4. Der Kompetenzbereich des Rates.

Der Kompetenzbereich des Stadtrates besaß im Mittelalter einen außerordentlich großen Umfang. Das mittelalterliche Rostock war ja nicht nur Gemeinde, sondern es hatte sich zu einem fast selbständigen Stadtstaat im Territorium des Landesherrn entwickelt. Der Rat besaß daher in jener Zeit eine weit höhere Bedeutung als etwa das Stadtverordnetenkollegium in der Gegenwart. Er war in höherem Maße, als heute das Stadtverordnetenkollegium es ist, der Regent der Stadt.

Der Rat vertrat die Stadt nach außen gegenüber dem Landesherrn und anderen Ländern oder Gemeinden. Durch ihn wurde dem Landesherrn der Huldigungseid geleistet. Er zahlte auch die dem Fürsten zustehende Steuer, die jährliche Bede 341 ). Als Vertreter der Stadt gegenüber auswärtigen Mächten entfaltete der Rat eine lebhafte Tätigkeit, die besonders in den politischen und wirtschaftlichen Abkommen zwischen Rostock und anderen Ostseestädten zutage tritt. So faßten im Jahre 1259 die Städte Lübeck, Rostock und Wismar gemeinsam den Beschluß, daß See- und Straßenräuber bei allen Städten und Kaufleuten (ab universis civitatibus et mercatoribus) als verfestet gelten sollten 342 ). Um 1260 und wiederum um 1265 wurden von den Städten gemeinsame Beschlüsse gefaßt "in subsidium omnium mercatorum, qui iure Lubicensi gaudeant et reguntur" 343 ). Im Jahre 1283 wurde zu Rostock ein großes Landfriedensbündnis abgeschlossen, an dem außer einer Reihe von Fürsten auch die "consules et universitates" der Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Greifswald, Stralsund, Stettin, Demmin und Anklam beteiligt waren 344 ),

Jahrbuch des Vereins f. mecklb. Gesch. LXXXXIII.


340) M.U.B. III Nr. 2090. Vgl. auch Bd. IX Nr. 6529.
341) Vgl. Kap. III, c, S. 62.
342) M.U.B. II Nr. 847.
343) M.U.B. II Nr. 873, 1030.
344) M.U.B. III Nr. 1682.
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und ein Jahr später traten die diesem Landfriedensbündnis angehörenden Städte in Wismar zusammen und beschlossen, die Getreideausfuhr auf den Verkehr untereinander zu beschränken und die Einfuhr norwegischer Waren zu verbieten 345 ). Im Jahre 1293 schließlich wurde von den Ratmannen der Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald für die Dauer von 3 Jahren ein Schutzbündnis abgeschlossen, das im Jahre 1296 auf weitere 3 Jahre verlängert wurde 346 ).

Auf dem Gebiete der inneren städtischen Angelegenheiten erstreckte sich der Kompetenzbereich des Rates nicht nur auf die einzelnen Zweige der Verwaltung, sondern auch auf die Gerichtsbarkeit. Solange das für die Ausübung der Kriminalgerichtsbarkeit zuständige fürstliche Vogtgericht sich in der Stadt befand (bis 1358), fungierten zwei Ratsherren, die "assessores" oder "iudices" als Beisitzer unter dem Vorsitz des fürstlichen "advocatus". Seit 1358 saßen die beiden Ratsherren selbständig zu Gericht 347 ). Der Rat war außerdem der Träger der Zivilgerichtsbarkeit. Nach den uns überlieferten Quellen wurden die Zivilprozesse "coram consulibus", d. h. vor dem "plenum" des Rates entschieden. Der Lübecker Rat bildete im Bereiche der zivilen Gerichtsbarkeit eine Appellationsinstanz für Rostock 348 ). Bei schwierigeren Rechtsfällen wandte der Rat auch das Mittel der Konsultation an, d. h. er wandte sich an den Obergerichtshof in Lübeck und holte sich hier Rechtsbelehrung 349 ). Den "consules" standen zu diesem Zwecke besondere städtische Beamte, die "rhetores", zur Verfügung. Eine Ratswillkür vom Jahre 1275 bestimmte, daß die Rhetoren, wenn sie in einer verwickelten Rechtssache Dienstags, Mittwochs oder Freitags nach Lübeck gesandt wurden, am Mittwoch der folgenden Woche den Fall in Lübeck zur Sprache bringen sollten 350 ). Die genaue Vorschrift der Reise-


345) M.U.B. III Nr. 1733.
346) M.U.B. III Nr. 2248. 2414. - Vgl. Koppmann, Jahrbücher Bd. LII, S. 193 ff.
347) Vgl. Kap. III, f, S. 74 f.
348) Vgl. Kap. III, f, S. 75 f.
349) Vgl. v. Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum, Bielefeld und Leipzig 1905, S. 77.
350) M.U.B. II Nr. 1379.
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dauer hatte wahrscheinlich den Zweck, die Erledigung der schwebenden Prozesse zu beschleunigen. Um einer Verschleppung der nach Lübeck verwiesenen Prozesse vorzubeugen, erließ der Rat im Jahre 1309 eine Willkür. Hiernach sollten Anwälte, die absichtlich einen an das Obergericht verwiesenen Prozeß verschleppten, 3 Mark Silber Strafe bezahlen; außerdem mußten sie die der gegnerischen Partei durch die Verschleppung entstandenen Kosten ersetzen 351 ). Der Rat hatte auch das Recht, jemanden als "prolocutor" oder Fürsprecher vor Gericht abzulehnen. Von diesem Rechte machten die "consules" im Jahre 1298 Gebrauch, als sie Bernhard Molzahn untersagten, als "prolocutor in civitate Roztoc" aufzutreten 352 ). Sehr umfangreich war dann die Tätigkeit des Rates auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit, deren Akte ebenso wie die Zivilprozesse "coram consulibus" ihre Erledigung fanden. Die einzelnen Tatbestände der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie Käufe und Verkäufe von Häusern und Renten, Verpfändungen, Testaments- und Erbschaftssachen, Alimentations- und Lehrverträge usw., wurden in das Stadtbuch eingetragen. Der Rat übte schließlich eine Polizeigerichtsbarkeit aus, die sich auf Übertretungen der marktgesetzlichen Bestimmungen, auf Gewicht, Maß und Qualität der Waren, sowie auf weniger schwere Verstöße gegen die im Interesse der allgemeinen Sicherheit erlassenen Verordnungen erstreckte 353 ).

Neben der Rechtspflege bildete die Steuer- und Finanzverwaltung eine der wichtigsten Aufgaben des Rates. Der Rat sorgte für die Erhebung der städtischen Steuern. Unter den Steuern nahm die direkte Vermögenssteuer, die "collecta", auch "tallia" oder Schoß genannt, die erste Stelle ein. Außerdem erhob der Rat auch Verbrauchssteuern für einzelne Marktartikel. So waren z. B. der Hopfen- und wahrscheinlich auch der Butterverkauf auf dem Markte einer Steuer unterworfen 354 ). Weitere Einnahmequellen der "civitas" bildeten die Standgelder und Mieten, welche die Gewerbetreibenden


351) M.U.B. V Nr. 3302.
352) M.U.B. IV Nr. 2488.
353) Vgl. Kap. III, f, S. 76 f.
354) Vgl. Kap. III, c, S. 65.
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oder sonstigen Interessenten für die Marktplätze und städtischen Verkaufsbuden, sowie für andere städtische Gebäude, wie Schlachthäuser, Türme und Torhäuser zu zahlen hatten. Dazu kamen weitere Abgaben privatrechtlicher Art, wie Pachtgelder für die vom Rate vergebenen städtischen Gärten, Wiesen, Äcker und Bauernhöfe in den Stadtdörfern.

In welcher Weise die Münze verwaltet wurde, läßt sich aus den Quellen nicht erkennen. Da diese jedoch wahrscheinlich schon seit den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts in die Verwaltung der Stadt übergegangen war 355 ), dürfen wir wohl annehmen, daß auch hierfür der Rat zuständig war. Im 15. Jahrhundert bestand für die Verwaltung der Münze ein besonderes Münzamt, das von zwei Ratsherren geleitet wurde 356 ).

Eine bedeutsame Pflicht der Stadtobrigkeit war ferner die Sorge für den Schutz der Stadt gegen äußere und innere Feinde. Der Rat hatte darüber zu wachen, daß die städtischen Befestigungen in Ordnung gehalten wurden. Wahrscheinlich war in der ältesten Zeit jeder Bürger verpflichtet, am Mauerbau mitzuwirken 357 ). Nach einer im "Liber arbitriorum" aufgezeichneten Ratswillkür mußte jeder, der in ein Handwerkeramt eintreten wollte, Geld für die Mauer geben 358 ). Besondere Aufmerksamkeit hatte der Rat auf die Ausbildung des städtischen Militärwesens zu richten. Das städtische Militärwesen beruhte auf dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht. Jeder Bürger war verpflichtet, mit der Waffe in der Hand für die Verteidigung der Stadt einzutreten. Wie uns aus späterer Zeit überliefert ist, verlangte der Rat, daß die Bürger Waffen und Pferde hielten 359 ). In Friedenszeiten waren die Bürger zu einem Wachdienst verpflichtet. Bei Hausverkäufen mußten die Käufer mitunter ausdrücklich die Verpflichtung zum Wachdienst übernehmen 360 ). Wenn sich ein Bürger wider-


355) Vgl. Kap. III, d, S. 69 f.
356) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 2.
357) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 28.
358) Beiträge Bd. I, 4 S. 65: "Si vero voluerit aliquod officium intrare, dabit pecuniam ad murum."
359) Beiträge Bd. IV, 2 S. 51.
360) M.U.B. III Nr. 1722.
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rechtlich dieser Pflicht entzog, konnte er bestraft werden 361 ). Befreiungen von der Wachpflicht ließ der Rat nur in Ausnahmefällen zu 362 ). Dieser Wachdienst der Bürger diente wahrscheinlich zu einem großen Teil als militärischer Schutz der Stadt nach außen. In einer Ratsurkunde vom Jahre 1315 ist nämlich die Rede von einer Verpflichtung der Bürger "ad vigilias nocturnas seu custodias valuarum, portarum, fortaliciorum vel murorum" 363 ). Es geht hieraus hervor, daß der Hauptzweck dieser Bürgerpflicht die Bewachung der städtischen Befestigungen war. Mochte auch die Bürgerwehr eine große Bedeutung für die Sicherheit der Stadt besitzen, so ist es dennoch zu verstehen, daß sie im Ernstfalle nicht immer für die Verteidigung der Stadt genügte. Der Rat sah sich deshalb gezwungen, in Kriegsfällen oder Zeiten drohender Gefahr geübte Söldner anzuwerben. Im Jahre 1300 wurden z. B. von den "consules" die Ritter Reimar von Wachholz, Berthold von Artlenburg und deren "socii" auf ein halbes Jahr in Sold genommen 364 ), und aus dem Jahre 1311 ist uns eine Urkunde überliefert, nach der der Rat Hermann Horn und Genossen, im ganzen 11 Personen, darunter 5 Reiter und 3 Bogenschützen, auf ebenso lange Zeit als Söldner in seinen Dienst nahm 365 ).

Das der mittelalterlichen Stadt eigentümlichste Gebiet der Verwaltung war die "Polizei", wie man seit Ende des Mittelalters diesen Verwaltungsbezirk zu benennen pflegte 366 ). Wir haben hierunter die Wohlfahrtspflege des Rates im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen. Dazu gehören die Lebensmittel- und Teuerungspolitik des Rates, die Sicherheits-, Straßen-, Bau-, Feuer- und Sittenpolizei und schließlich auch die Tätigkeit des Rates für Krankenpflege und Armenfürsorge.

In der Lebensmittel- und Teuerungspolitik war es die hauptsächliche Aufgabe des Rates, dafür zu sorgen, daß die notwendigen Lebensmittel in zureichender Menge, zu ange-


361) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 6 a: "Swetsin emendavit 2 sol. de vigiliis."
362) M.U.B. III Nr. 1709, 1719; V Nr. 3144; VI Nr. 3743.
363) M.U.B. VI Nr. 3743.
364) Beiträge Bd. III, 1 S. 47.
365) Beiträge Bd. III, 1 S. 52.
366) Vgl. v. Below, Städtewesen und Bürgertum, S. 99 ff.
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messenen Preisen und in guter Qualität ohne Zwischenhandel erworben werden konnten. Der Rat mußte auf den Handel in der Weise einwirken, daß sowohl die Interessen des städtischen Käufers als auch die des Verkäufers geschützt wurden. Um hier überhaupt die Möglichkeit des Eingreifens zu haben, galt es, den Handel an die Öffentlichkeit zu zwingen. Kauf und Verkauf durften nur an den vom Rate festgesetzten Orten und nur zu bestimmten Zeiten vor sich gehen 367 ). Diese Vorschrift wurde ergänzt durch das Verbot des Vorkaufs und den Wägezwang. Beides ist uns schon aus dem Jahre 1275 bezeugt. Damals wurde ein Bürger wegen "preempcio piscium" und ein anderer "de butyro non ponderato" bestraft 368 ). Um den in Rostock angesessenen Kaufleuten Vorteile zu verschaffen, waren die Gäste, d. h. die fremden in die Stadt kommenden Kaufleute, durch besondere Vorschriften in der Ausübung des Handels beschränkt. Im Jahre 1275 hatte sich ein Bürger strafbar gemacht, "quod hospitibus emerat annonam" 369 ). Es ist anzunehmen, daß für die einzelnen Gewerbe auch in der uns beschäftigenden Zeit schon besondere Vorschriften bestanden. Diese sind allerdings erst in späterer Zeit urkundlich nachweisbar 370 ). Im einzelnen sorgte dann auch die vom Rate ausgeübte marktpolizeiliche Aufsicht dafür, daß die Bürger nicht durch minderwertige Qualität oder falsches Gewicht der Waren übervorteilt wurden 371 ).

Die Sicherheitspolizei lag ursprünglich wohl ausschließlich in den Händen der Bürgerschaft. Wahrscheinlich dienten die Nachtwachen der Bürger nicht allein als militärischer Schutz, sondern sie hatten daneben auch den Zweck, die innere Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten 372 ). Neben die Bürger traten schon frühzeitig von der Stadt angestellte Wächter oder Polizeimannschaften, die teilweise beritten waren. Zum


367) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 8 und Kötzschke, Grundzüge der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis zum 17. Jahrhundert, 2. Auflage, Leipzig und Berlin 1923 (Meister, Grundriß der Geschichtswissenschaft) S. 126.
368) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 6 a, 9 b.
369) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b.
370) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 9 ff.
371) Vgl. Kap. II, b, 2 S. 53 f.
372) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 28.
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Jahre 1275 heißt es: "Tercio in noctis silentio, cum vigiles equitaverunt" 373 ). Wahrscheinlich sind diese Wächter identisch mit den seit 1349 in den Kämmereiregistern regelmäßig auftauchenden "servi equitature" 374 ). Die städtischen Wachtmannschaften wurden zu ihrer Pflicht durch einen Eid angehalten, und außerdem übten die Ratsherren eine persönliche Kontrolle des Nachtschutzes aus 375 ). Um Zusammenstöße und Schlägereien zu verhüten, bestand für die Einwohner das Verbot, Waffen zu tragen. Auch machte sich derjenige strafbar, der im Verlaufe eines Streites das Messer zog. Es heißt im ältesten Stadtbuchfragment: "nocturno tempore deprehensus est cum armis; ... noctis similiter armata manu est deprehensus, pro quo eandem sententiam est arbitratus" 376 ). Im Jahre 1275 mußte ein Bürger 10 sol. Strafe zahlen, "quod extraxit cultellum" 377 ), und im Jahre 1352 wurde eine Person wegen dieses Vergehens sogar verfestet 378 ).

Die Tätigkeit des Rates auf dem Gebiete der Straßenpolizei erstreckte sich auf die Sorge für die Instandhaltung und Reinigung der Straßen, der öffentlichen Plätze und Gebäude und der städtischen Verkaufsstände 379 ). Die Instandhaltung von Brücken überließ die Stadt wahrscheinlich auch einzelnen Bürgern, die für ihre Arbeit eine jährliche Entschädigung erhielten 380 ). Von großer Bedeutung für die Stadt war die Erhaltung des Warnemünder Hafens. Vor allem kam es hierbei darauf an, die Einfahrt in See vor der Versandung zu schützen. Schon im Jahre 1288 hören wir von einem Angebot an den Rat, wonach ein Bürger gegen eine Entschädigung von 400 Mark und Lieferung von 100 000 Ziegelsteinen die Warnow-


373) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 9 b.
374) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 30, Anm. 141.
375) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 8 a: "a consulibus, qui custodiebant vigilias noctis." - Vgl. Ahrens a. a. O. S. 30.
376) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 8 b.
377) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b.
378) Lib. proscr. fol. 49 b.
379) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 32 f.
380) Beiträge Bd. III, 1 S. 8 Nr. 56 (1258): "Thidericus de Hildensem faciet pontem trans aquam Vlet, quanto tempore manserit ibidem, et propter hoc dabuntur ei 12 sol. singulis annis."
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mündung bei ruhigem Meer 5 Jahre hindurch in einer Tiefe von 6 Ellen erhalten wollte 381 ).

Die uns überlieferten baupolizeilichen Maßnahmen des Rates zielten darauf ab, eine allzu enge Bauweise in der Stadt zu verhüten, die Errichtung von Ziegelbauten an Stelle von Holz- und Lehmhäusern zu fördern und das Verhältnis der Nachbargrundstücke zueinander zu regeln. Als die Stadt im Jahre 1307 dem Kloster zum heiligen Kreuz in Rostock einen Platz zum Bau von Häusern verkaufte, schrieb sie vor, daß jedes der zu bauenden Häuser einen Hof von 34 Fuß Länge haben sollte 382 ). Offenbar sollte diese Vorschrift für Licht und Luft in der Stadt sorgen. Die Förderung von Ziegelbauten, welche wahrscheinlich wegen der Feuersicherheit betrieben wurde, geschah in der Weise, daß die Stadt einzelnen Bürgern zum Bau von Ziegelhäusern finanzielle Beihilfen gewährte. Im engen Zusammenhang mit den baupolizeilichen Maßnahmen stehen die im Interesse der Feuersicherheit erlassenen Vorschriften. Wahrscheinlich unterlagen die Gewerbe, welche mit offenem Feuer arbeiteten, einer besonderen feuerpolizeilichen Kontrolle. Nach einer in die Jahre 1279/80 fallenden Stadtbuchnotiz waren anscheinend die Älterleute der Schmiedezunft verpflichtet, die Essen ihrer Amtsbrüder zu prüfen und darüber zu wachen, daß diese nicht fahrlässig mit dem Feuer umgingen 383 ). Wahrscheinlich war auch das Brauen aus Gründen der Feuersicherheit für die Nachtzeit verboten 384 ). Brandstiftung wurde schwer bestraft. So mußte in den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts ein Bürger die Stadt verschwören, lediglich weil er gedroht hatte, "comburere civitatem" 385 ).

Eine Sittenpolizei ist in Rostock erst für das 14. Jahrhundert nachweisbar. Es gab auch damals in Rostock schon weibliche Personen, die aus der Liebe ein Gewerbe machten.


381) M.U.B. III Nr. 1977.
382) M.U.B. V Nr. 3184.
383) Beiträge Bd. II, 3 S. 72: "Johannes Widenbrugge, Hinricus Tulendhorp, Hinricus de Homburg fabri respicere debent ignem et Johannes Gote."
384) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b: "Uxor Halshaghen 4 sol. dedit, quod braxavit nocte."
385) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 1 b.
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Wahrscheinlich wurden sie vom Rate geduldet und nur dann zur Verantwortung gezogen, wenn sie sich anderweitig strafbar machten. So mußten im Jahre 1319 zwei "meretrices" die Stadt verschwören, weil sie einem Bürger 22 sol. entwendet hatten 386 ). Der Versuch, ehrbare Frauen und Mädchen zur Unzucht zu verleiten, wurde scheinbar streng bestraft, denn als im Jahre 1310 mehrere Personen wegen dieses Vergehens die Stadt verschwören mußten, wurde der Aufzeichnung ausdrücklich die Bemerkung hinzugefügt: "propter hoc nunquam redibunt" 387 ). Ein originelles Beispiel aus dem Jahre 1338 zeigt uns, daß der Rat auch diejenigen Personen zur Verantwortung zog, die in irgend einer Weise den öffentlichen Anstand verletzten. Die Aufzeichnung lautet: "Item Thideke Zothebotter carnifex abiuravit civitatem coram consistorio penes collum suum propterea, quod posuit dactilum porcinum, quod in vulgo eyn pezerik dicitur, supra tybiam de una suwe et sic vendidit suas carnes" 388 ).

Auf dem Gebiete des Gesundheitswesens hat der Rat schon in früher Zeit eine Tätigkeit entfaltet. Ärzte finden wir bereits im 13. Jahrhundert in der Stadt. Im ältesten Stadtbuch-Fragment wird ein "magister Sibertus medicus" erwähnt 389 ), und in den 80er Jahren werden sogar drei Ärzte urkundlich genannt: "Johannes medicus, Rodolphus cyrurcigus" und "Bertrammus medicus" 390 ). Diese Ärzte standen wahrscheinlich nicht im Dienste der Stadt, jedoch da der letztere von der Wach- und Schoßpflicht befreit war 391 ), dürfen wir wohl annehmen, daß der Rat auf die Anwesenheit von Ärzten in der Stadt Wert legte. Auch "apothecarii" treten uns verschiedentlich in Stadtbuch-Aufzeichnungen des 13. Jahrhunderts entgegen 392 ). Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden in den Gewettrechnungen wiederholt größere Aus-


386) M.U.B. VI Nr. 4044.
387) M.U.B. V Nr. 3365.
388) M.U.B. IX Nr. 5856.
389) St.-B.-Fragm. I, 1.
390) M.U.B. III Nr. 1607. - St.-B. II fol. 140 a. - M.U.B. III Nr. 1569, 2103.
391) M.U.B. III Nr. 1709.
392) Beiträge Bd. II, 2 S. 21 Nr. 114. - M.U.B. II Nr. 951, III Nr. 1560.
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gaben für Apotheker gebucht 393 ). Es scheint hieraus hervorzugehen, daß einige Apotheker in dieser Zeit im Dienste der Stadt standen. Für die Unterbringung von Kranken dienten besondere geistliche Institute, das Hospital zum heiligen Geist und das St. Georgs-Hospital. Beide werden schon im Jahre 1259/60 urkundlich bezeugt 394 ). Außer den Kranken fanden in ihnen auch Arme Aufnahme 395 ). Die finanziellen Mittel für die Kranken- und Armenfürsorge wurden wohl zum größten Teil durch private Stiftungen aufgebracht 396 ), nur in einzelnen Fällen leistete die Stadt auch Beihilfen 397 ). Die Verwaltung der Spenden für die Armen stand wahrscheinlich dem Rate zu. Es heißt im ältesten Stadtbuch-Fragment: "Reliquam partem hereditatis resignavit consulibus, ut convertant ad elemosinas pauperum et ubicumque voluerint" 398 )(im Text andere Zahl), und einige Zeit später: "... et alia pars de pleno consensu consulum inter pauperes dividetur" 399 ). Für die Isolierung der Geisteskranken war eine besondere Einrichtung vorhanden, die sogenannte "Torenkiste", die urkundlich zuerst im Jahre 1355 erwähnt wird. Für die Erhaltung und Reinigung dieses Gelasses sorgte die Stadt 400 ).

5. Ratsdeputationen und städtische Beamte.

Die Fülle der den "consules" gestellten Aufgaben hat schon im 13. Jahrhundert zu einer Art Arbeitsteilung im Rate geführt. Es bildeten sich innerhalb des Rates engere Ausschüsse oder Deputationen, denen bestimmte Gebiete der städtischen Verwaltung oder der Rechtspflege zugeteilt wurden. Die Amtsdauer dieser Ratsdeputationen betrug ebenso wie die des Rates ein Jahr 401 ).


393) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 45 f.
394) Beiträge Bd. II, 2 S. 9 Nr. 17 und M.U.B. II Nr. 865.
395) M.U.B. X Nr. 7139.
396) M.U.B. II Nr. 865, 924, 1104, 1153, 1200 und öfter.
397) St.-B. I fol. 71 a: "Consules concesserunt sancto spiritui 55 mr. den."
398) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 3 b.
399) St.-B. II fol. 1 b,
400) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 47.
401) Vgl. M.U.B. V Einl. S. XII und S. XVIII.
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Die wichtigste Ratsdeputation war die der Kämmereiherren oder "camerarii". Sie setzte sich anfangs aus drei Mitgliedern zusammen 402 ), seit 1321 werden meistens nur noch zwei genannt 403 ). Die bedeutendste Aufgabe der Kämmereiherren war die Verwaltung des städtischen Vermögens. Sie empfingen und leisteten Zahlungen für die Stadtkasse. Es heißt z. B. zum Jahre 1275: "Camerarii acceperunt duas mr. ad usus civitatis" 404 ), oder zum Jahre 1301: "Civitas vendidit ... 5 mr. redditus pro 50 mr. den. de cista erogandos annis singulis per camerarios ..." 405 ). Ähnliche Inskriptionen finden sich häufiger 406 ). Städtische Grundstücke wurden im Auftrage des Rates von den Kämmerern verkauft oder verpachtet, wie es in folgenden Stadtbuch-Aufzeichnungen niedergelegt ist: "Gotscalcus ... Hermannus Lyse et Bernardus Copman camerarii ex iussu consulum omnium vendiderunt ... hereditatem unam" 407 ), oder "Civitas vendidit ... spacium unum ... quod spacium Lutbertus Dunevar, Johannes de Lemhus, Hermannus Lise (Kämmerer) resignaverunt ex iussu consulum" 408 ). Bei der Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit stand den Kämmerern der Vorsitz zu. Sehr häufig wurden ihre Namen den Inskriptionen hinzugefügt mit dem Hinweis: "tabule presidebant" 409 ). Schließlich lag den Kämmereiherren noch die Verwaltung des städtischen Archivs ob. Im Jahre 1265 wurde urkundlich bestimmt, daß die der Stadt verliehenen Privilegien an einem sicheren Orte der Petristadt "sub custodia trium camerariorum" aufbewahrt werden sollten 410 ).


402) M.U.B. II Nr. 1051.
403) Ein Namensverzeichnis der Kämmerer für die Zeit von 1295 bis 1350 ist abgedruckt M.U.B. V Einl. S. XII ff.
404) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 4 b.
405) St.-B. III fol. 154 a.
406) M.U.B. III Nr. 1693, IV Nr. 2441. - St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 16 b. - St.-B. III fol. 31 a, 88 b, 154 b, 179 a. - St.-B.-Fragm. II, 6 fol. 1 a.
407) St.-B. IV fol. 96 b.
408) St.-B. III fol. 131 a. - Vgl. auch St.-B.-Fragm. III, 2 fol. 4 a. - St.-B. III fol. 161 a, 161 b. - St.-B. VII fol. 31 a, 39 b. - St.-B.-Fragm. III, 10 fol. 1 a. - M.U.B. V Nr. 2848, 2875 und öfter.
409) M.U B. III Nr. 1560, 1568, 1569, 2103, 2175 und öfter.
410) M.U.B. II Nr. 1051.
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Eine weitere Ratsdeputation tritt uns in den beiden "assessores" oder "iudices" entgegen, die unter dem Vorsitz des fürstlichen "advocatus" als Beisitzer im Kriminalgericht fungierten und seit 1358 selbständig zu Gericht saßen 411 ).

Die Deputationen der Wein-, Schoß-, Münz-, Wedde- und Bauherren lassen sich in der uns beschäftigenden Zeit noch nicht nachweisen 412 ).

In ihrer Verwaltungstätigkeit wurden die Ratsherren unterstützt durch eine Reihe von Personen, die im Dienste der Stadt angestellt waren, und die man als besoldete Berufsbeamten bezeichnen kann. Die Anstellung dieser städtischen Beamten erfolgte wahrscheinlich durch den Rat, der auch die Höhe der Besoldung festsetzte. So traf der Rat im Jahre 1260 mit einem Schreiber und mehreren Boten eine Vereinbarung über das zu zahlende Gehalt. Die Aufzeichnung trägt die Überschrift: "Statuta consulum cum scriptore et nunciis eorum" 413 ).

Unter den städtischen Beamten sind in erster Linie die Stadtschreiber zu nennen, die in den Urkunden als "notarii" oder "scriptores civitatis" bezeichnet werden. Zwischen diesen Benennungen bestand wahrscheinlich kein Unterschied, denn der Stadtschreiber Gerhard wird sowohl mit dem Titel "notarius" als auch mit "scriptor civitatis" erwähnt 414 ). Auch in der Besoldung der "notarii" und "scriptores" bestand kein Unterschied. Sie betrug um 1260 6 Mark jährlich 415 ). Die Beschäftigung der Stadtschreiber bestand wahrscheinlich in der Ausstellung von Urkunden, in der Führung der Stadtbücher und sonstigen Kanzleiarbeiten.

Zum ersten Male wird urkundlich ein Stadtschreiber im Jahre 1257 erwähnt. Ein Stadtbuch-Fragment aus dieser Zeit


411) Vgl. Kap. III, f S. 73 f. - Ein Namensverzeichnis der "assessores" oder "iudices" für die Zeit von 1302-1375 ist abgedruckt M.U.B. V Einl. S. XVIII f.
412) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 2 und Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock S. 18.
413) M.U.B. IV Nr. 2674.
414) M.U.B. V Einl. S. VII.
415) M.U.B. II Nr. 835, IV Nr. 2674. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 4 S. 66 f.
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beginnt mit den Worten: "Anno 1257 sub Alexandro scriptore civitatis" 416 ). Im Jahre 1259 wurde Heinrich von Bremen für zwei Jahre als Notar von der Stadt angestellt 417 ). Wahrscheinlich wurde der Dienstvertrag zwischen ihm und der Stadt später verlängert, denn Heinrich von Bremen wird noch im Jahre 1286 als "notarius civitatis" bezeichnet 418 ). Aus dem Jahre 1279 liegt uns ein Stadtbuch-Fragment vor, dessen Niederschrift begonnen wurde "per manum Arnoldi" 419 ). Seit dem Jahre 1325 finden wir den Notar Gerhard im Dienste der Stadt. Dessen Vorgänger war Volbertus 420 ). Gerhard legte sein Amt im Jahre 1358 nieder. Sein Nachfolger wurde Bernhard Steinbrink 421 ).

Neben den Stadtschreibern treten uns Ratsboten und Stadtdiener entgegen, die "nuncii consulum" und "famuli" oder "servi civitatis". Das jährliche Gehalt der Ratsboten betrug im Jahre 1260 zwei Mark 422 ). Wahrscheinlich erhielten die Ratsboten und Stadtdiener außer ihrem Gehalt freie Kleidung von der Stadt. In einer Kämmereirechnung von etwa 1283 ist unter Ausgaben gebucht: "Item Volmaro 6 1/2 mr. pro tunicis nuntiorum" 423 ), und 1350 heißt es an entsprechender Stelle: "Item 3 1/2 mr. pro tunicis servorum" 424 ). Im Jahre 1260 standen vier "nuncii consulum" in städtischen Diensten 425 ). Nach einer Stadtbuch-Notiz von 1274 übertrugen die Ratsherren dem "maiori nuncio Hermanno" und dem Ratsboten Konrad je eine Baustelle 426 ). Es werden ferner urkundlich erwähnt, 1282: "Wernerus nuncius civitatis" 427 ) und 1296: "Henricus sagittarius


416) Beiträge Bd. III, 1 S. 3.
417) M.U.B. II Nr. 835.
418) M.U.B. III Nr. 1877. - Vgl. auch St.-B. I fol. 71 a.
419) M.U.B. III Nr. 1507.
420) M.U.B. V Einl. S. VII: "Volbertus quondam notarius vendidit Gerrardo suo successori ...."
421) M.U.B. V Einl. S. VIII.
422) M.U.B. IV Nr. 2674.
423) M.U.B. III Nr. 1705.
424) M.U.B. X Nr. 7118.
425) M.U.B. IV Nr. 2674.
426) M.U.B. II Nr. 1320. - St.-B. II fol. 13 a.
427) St.-B. II fol. 70 b.
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civitatis nuncius" 428 ). An Stadtdienern lassen sich urkundlich nachweisen: 1307: "Willekinus civitatis famulus" 429 ) und 1348/49: "Wulfardus servus civitatis" 430 ). Im Jahre 1351 wurden zwei Personen verfestet, "quod famulum civitatis percusserunt" 431 ).

Ein wichtiges städtisches Amt war das des Münzmeisters. Diesem war wahrscheinlich die Prägung der Münzen anvertraut. Aus dem 13. Jahrhundert ist uns nur der Name eines Münzmeisters überliefert: "Albertus magister monete" 432 ). Im Jahre 1306 wird ein "Wulfardus monetarius" 433 ) und 1320/21 "Bernardus monetarius" erwähnt 434 ). Welches Gehalt der Münzmeister bezog, darüber ist uns nichts bekannt.

Für die Verwaltung des sehr umfangreichen städtischen Grundbesitzes und der städtischen Dörfer stellte die Stadt besondere Vögte an. Diese lassen sich erst für das 14. Jahrhundert nachweisen. Zum Jahre 1305 heißt es: "Henricus de Todendorp, tunc advocatus consulum in bonis civitatis" 435 ). Ferner werden "Volziko de Alen" und "Gerhardus de Lawe" im Jahre 1314 als "advocati civitatis" bezeichnet 436 ). In Warnemünde tritt uns im Jahre 1339 ein städtischer Vogt entgegen. Nach einer Stadtbuch-Inskription dieses Jahres erfolgte die Auflassung eines dortigen Hauses "coram advocato et omnibus civibus ibidem" 437 ).

Außerdem finden wir im Dienste der Stadt "advocati", die nicht in der inneren Verwaltung der Stadt tätig waren, sondern ihren Sitz in auswärtigen Städten hatten. Vermutlich lag ihnen die Pflicht ob, in ihrem Wirkungskreis die


428) St.-B. IV fol. 37 a. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 4 S. 67.
429) M.U.B. V Nr. 3161.
430) M.U.B. X Nr. 6826.
431) M.U.B. V Einl. S. XXI.
432) M.U.B. IV Nr. 2683. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 3 S. 80.
433) M.U.B. V Nr. 3073.
434) M.U.B. VI Nr. 4240.
435) M.U.B. V Nr. 2991. - Vgl. auch St.-B. V fol. 154 a.
436) St.-B. V fol. 155 b.
437) M.U.B. IX Nr. 5991.
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Interessen der Stadt Rostock zu vertreten und die Rostocker Bürger während ihres Aufenthaltes in der Fremde zu unterstützen. Ein derartiger Rostocker Vogt befand sich (1275) am Hofe des Fürsten Witzlav von Rügen 438 ) und (1283) in Schonen in Dänemark 439 ).

In Stadtbuch-Aufzeichnungen von 1267 und 1281 wird auch ein "advocatus Slavorum" erwähnt 440 ), jedoch läßt es sich nicht feststellen, ob es sich hierbei um einen fürstlichen oder städtischen Beamten handelt.

Zur Unterstützung des Rates in der Rechtsprechung dienten ebenfalls besondere städtische Angestellte, die sogenannten Rhetoren. Diese wurden vom Rate insbesondere dafür verwendet, in schwierigeren Rechtsfällen von dem Obergerichtshof in Lübeck Rechtsbelehrung zu holen 441 ). An Rhetoren lassen sich in Rostock nachweisen, 1268: "Sybernus retor 442 ), Bertrammus retor 443 ), Meineco retor" 444 ), 1275: "Thancmarus retor" 445 ), 1295: "Henricus Lange retor" 446 ).

Schließlich sind unter den städtischen Beamten noch die Büttel und Wächter zu nennen. Der Büttel oder "preco" war der Gerichtsdiener und Gefangenenaufseher. Er wird urkundlich in Rostock zuerst 1268/70 erwähnt 447 ). Im Jahre 1342 wurde ein Büttel verfestet, weil er mit einem Gefangenen entflohen war, und 1354 traf dieselbe Strafe einen anderen aus einem ähnlichen Grunde 448 ). Städtische Wächter werden in den Quellen nur sehr selten erwähnt. Um 1270/75 treten uns berittene "vigiles" entgegen 449 ). Seit 1349 werden regel-


438) M.U.B. II Nr. 1372.
439) M.U.B. III Nr. 1705: "Item advocato in Nore." Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1226, VI Nr. 3788, VII Nr. 4956.
440) M.U.B. IV Nr. 2692, III Nr. 1559.
441) Vgl. Kap. IV, b, 4 S. 98 f.
442) St.-B. I fol. 39 a.
443) St.-B. I fol. 46 a.
444) St.-B. I fol. 47 a, 54 b.
445) St.-B. II fol. 5 a, 30 b, 48 b und öfter.
446) St.-B. IV fol. 27 b.
447) M.U.B. II Nr. 1152.
448) M.U.B. V Einl. S. XXII.
449) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 9 b.
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mäßig in den Kämmereiregistern Ausgaben "pro tunicis servorum equitature" gebucht 450 ). Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um städtische Wächter.

c) Die Gemeinde.

Die Gemeinde setzte sich aus den in der Stadt ansässigen Bürgern zusammen. Wer Mitglied der Bürgergemeinde werden wollte, hatte das Bürgerrecht oder die "civilitas" zu erwerben. Das Recht der Bürgerannahme stand dem Rate zu, und zwar waren es die Kämmerer, die, wie es scheint, über diesen Akt entschieden. Eine Willkür des Rates bestimmte: "Item si aliquis voluerit effici burgensis, debet venire ad camerarios civitatis et acquirere civilitatem" 451 ). Für die Bürgerannahme war es erforderlich, daß der Bewerber einen Bürgen stellte. Dieser mußte wahrscheinlich ein in der Stadt angesessener Bürger sein und für die Dauer von 5 Jahren dafür die Gewähr übernehmen, daß der neu Aufgenommene die Bürgerpflichten erfüllte. In einem Verzeichnis neu aufgenommener Bürger von etwa 1259 heißt es einleitend: "Isti sunt fideiussores illorum, qui habent civilitatem, ut conservent iusticiam civitatis ad quinque annos". Hiernach folgt das Verzeichnis der neuen Bürger mit ihren Bürgen, z. B.: "Ysenart, fideiussit pro civilitate Ludekini ad V annos, Andras de Cosfelde fideiussit similiter pro Johanne de Lussen ad V annos etc." 452 ). Aus dem Jahre 1334 ist uns eine Aufzeichnung überliefert, nach der ein neu aufgenommener Bürger jährlich 1 Mark "pro sua civilitate" zahlen mußte 453 ). Ob wir es in diesem Falle mit einer Ausnahme zu tun haben, oder ob regelmäßig von den neuen Bürgern ein Geldbetrag erhoben wurde, läßt sich nicht entscheiden.

Die Gemeinde oder die "universitas civium" war der Träger der Privilegien, welche der Stadt von fürstlicher Seite


450) M.U.B. X Nr. 6826. - Vgl. Ahrens a. a. O. S. 30.
451) Beiträge Bd. I, 4 S. 66.
452) M.U.B. II Nr. 836.
453) M.U.B. VII Nr. 4806.
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erteilt waren. In den der Stadt während des 13. Jahrhunderts verliehenen Privilegien werden stets als Empfänger die Bürger oder Einwohner Rostocks genannt 454 ), dagegen werden in den Privilegien des 14. Jahrhunderts als Empfänger regelmäßig die "consules" und die Gemeinde aufgeführt 455 ).

Die allgemeinen Pflichten der Bürger waren in erster Linie die Wach- und Schoßpflicht, außerdem waren die Bürger zur Mitarbeit an der Mauer und am Bau von Straßen und Brücken verpflichtet 456 ). Diesen und anderen Pflichten der Gemeinde stand das wichtige Recht des "civiloquium" gegenüber, m. a. W. die Gemeinde besaß das Recht, durch Beschlüsse der Bürgerversammlung oder Bürgersprache in die Entscheidung wichtiger Dinge einzugreifen. Daß es in Rostock eine derartige Institution gab, lehrt uns eine Urkunde von 1270/71, welche mit folgenden Worten beginnt: "Cum esset civiloquium in civitate Rozstok, Wulphardus Luscus cepit contradicere decretum totius civitatis et reclamare . ." 457 ). Das Wort "civiloquium" bedeutet hier sicher die Versammlung der gesamten Bürger, denn es ist ausdrücklich die Rede von einem Beschluß der ganzen Gemeinde 458 ). Leider ist die zitierte Quelle die einzige, welche uns über die wichtige Institution des "civiloquium" Auskunft gibt. Bei welchen Gelegenheiten die Bürgerversammlung stattfand und wer diese einberief, ist uns aus dem Quellenmaterial der älteren Zeit nicht bekannt. Wahrscheinlich erfolgte im Jahre 1265 die Vereinigung der drei Rostocker Einzelgemeinden durch einen Bürgerversammlungsbeschluß, denn die hierüber ausgestellte


454) M.U.B. I Nr. 244; II Nr. 686, 959, 1021, 1096, 1381; III Nr. 1836.
455) M.U.B. VII Nr. 4377, 4424, 4675; XIV Nr. 8533.
456) M.U.B. VI Nr. 3743.
457) M.U.B. II Nr. 1207.
458) Das Wort "civiloquium" kommt, wie aus späterer Zeit überliefert ist, auch in einer anderen Bedeutung vor. Man verstand darunter auch eine Sammlung von Verordnungen, größtenteils polizeilichen Charakters, die an bestimmten Tagen von der Laube des Rathauses herab durch den wortführenden Bürgermeister der versammelten Bürgerschaft verkündet wurden. - Vgl. Dragendorff, Die Rostocker Burspraken, Beiträge Bd. VI, 2 1905 S. 47 und Frensdorff a. a. O. S. 165.
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Urkunde beginnt mit den Worten: "consules et universitas civitatis Roztok" 459 ).

Vignette

459) M.U.B. II Nr. 1051. - Auch sonst wird in den vom Rate ausgehenden Urkunden als Aussteller fast immer die Gemeinde neben den "consules" aufgeführt, so 1257: "consilium et commune civitatis Rozstokiensis", 1275: "consules necnon universitas burgensium de Rostock", 1282: "consules ceterique burgenses de Roztoc", ebenso 1283, 1284: "nos consules ceterique burgenses civitatis Rozstoc", 1293: "consules universitas et burgensium in Rozstoc", ebenso 1312 (M.U.B. II Nr. 786, 1361; III Nr. 1649, 1669, 1715, 2241; V Nr. 2770, 3537.) Aus dieser Formulierung dürfen wir wahrscheinlich nicht schließen, daß die in den Urkunden niedergelegten Beschlüsse unter ausdrücklicher Zustimmung der Bürgerversammlung zustande gekommen sind. Die Gemeinde wird meistens auch in den Urkunden anderer Städte neben dem Rat genannt, (vgl. Eberle a. a. O. § 8) und ferner wird sie auch häufig in den an die Stadt Rostock gerichteten Urkunden besonders neben dem Rate aufgeführt. (M.U.B. VII Nr. 4377, 4424, 4675; XIV Nr. 8533.) Es ist daher wahrscheinlich, daß diese Formulierung auf eine damals allgemein übliche Kanzleisitte zurückzuführen ist.