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2.

Eine frühmittelalterliche Bronzeschale.

Von Dr. Robert Beltz.

(Mit Abbildung.)

Bei der Aushebung des Baugrundes zu dem neuen Postgebäude in Schwerin wurde in einer alten Kulturschicht eine bronzene Schale gefunden, welche unter der liebenswürdigen Beihülfe des Herrn Bauführers Ollenschläger vor Kurzem in das Großherzogliche Museum gelangt ist. Die Schale ist ziemlich schwachwandig, kreisrund, hat eine Höhe von 5,5 cm, eine innere Weite von 24,5 cm und eine Bodenweite von 17 cm; der horizontal abstehende schwache Rand ist 1 cm breit. Die Außenseite ist unverziert, die Innenfläche mit Zeichnungen rohester Art gravirt. In der Mitte befindet sich eine Halbfigur in Profil, nach rechts blickend, mit flacher, rundlicher Mütze, hängenden Haaren, Flügeln und weitem faltigen Gewande; vier ähnliche Figuren befinden sich symmetrisch vertheilt an der aufsteigenden Wandung, umgeben von Zickzacklinien in einem unregelmäßigen Halbrund; zwischen diesen je eine Horizontallinie,

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von welcher acht Linien in ungleichen Abständen nach unten und drei Büschel von je drei Linien strahlenförmig nach oben gehen; den Abschluß nach dem Rande zu bildet eine Linie von schwachen spitzen Zacken, welche in die Umrahmung der Figuren theilweise hineinschneidet.

Bronzeschale

Die Schale gehört einer Gruppe frühmittelalterlicher Geräthe an, welche an verschiedenen, sehr entlegenen Orten zu Tage getreten sind und, erst neuerdings in ihrem Zusammenhange erkannt, von verschiedenen Seiten eine sachkundige Behandlung erfahren haben. 1 )


1) de Bethune, les bassins liturgiques. Revue de l'art chrétien 1886, S. 318 ff. - M. Prou, bassin de bronce du Xl. ou du XII. siécle. (  ...  )
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Mit der Schweriner fast ganz übereinstimmende Schalen sind auf dem Zobten (Grempler a. a. O., Tafel I), in Lübeck (Grempler a. a. O., Tafel IV) und an verschiedenen Orten in Ostpreußen (z. B. bei Dolkeim; Schriften der physikalisch=ökonomischen Gesellschaft in Königsberg 1892, S. 73, Tafel VIII), sehr ähnliche in Olmütz (Grempler a. a. O., Tafel III) und in Worms (Weckerling, Die römische Abtheilung des Paulus=Museums in Worms II, 1887, S. 47) gefunden worden.

Die Deutung der Darstellung und die zeitliche Bestimmung dieser Schalen ergiebt sich am besten im Anschluß an eine zweite Lübecker Schale (Grempler a. a. O., Tafel VI 1), welche mit der ersten zusammengefunden wurde. Hier erscheinen die Zickzacklinien als regelmäßige Umrahmungen der Halbfiguren, welche durch (zum Theil entstellte) Beischriften als Tugendgestalten (spes, caritas, pudicitia, fides) charakterisirt werden; auch in dem Raum über und zwischen den Halbfiguren stehen die Namen von christlichen Tugenden (mansuetudo, castitas, religio u. s. w.). Schalen dieser zweiten Gruppe mit ähnlichen Darstellungen und Beischriften finden sich in größerer Zahl, besonders in der Rheingegend und den Niederlanden, aber vereinzelt bis Esthland; durch die Fundverhältnisse näher bestimmt sind, soweit ich sehen kann, nur eine Anzahl Fragmente von Schalen im Prussia=Museum in Königsberg, welche aus Brandgräbern der letzten Heidenzeit stammen; so aus einem Gräberfelde von Ekritten bei Fischhausen, welches Professor Heydeck ausgebeutet und in den Sitzungsberichten der Prussia, Band 45, Königsberg 1890, S. 127 f., veröffentlicht hat. Die Form der Waffen (Wickingerschwert jüngerer Form), Aexte und Thongefäße weist das Grabfeld in das 11. oder 12. Jahrhundert. Zu derselben Zeitbestimmung hat die Betrachtung der Schalen von kunstgeschichtlichem Standpunkte geführt, indem speciell Prou a. a. O. die Zeit von 1050 bis 1140 für dieselben annimmt.

Es ist klar, daß das Schweriner Stück und seine Verwandten eine barbarische Nachahmung der anderen Gruppe ist, und es liegt der Gedanke nahe, daß diese Nachahmung auf dem Boden des östlichen Deutschland, wo die Mehrzahl gefunden ist, stattgefunden habe. Doch widerspricht dem einmal die Gleichartigkeit der weit von einander auftretenden Stücke, sowie der Umstand, daß wenigstens ein Exemplar auf altem, westlichem Kulturgebiet (in Worms) gefunden


(  ...  ) Gazette archèologique 1886 (XI), S. 38 ff. - Und besonders: W. Grempler , Mittelalterliche Bronzeschalen in Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift. V. Band, 1894, S. 271 ff.
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ist; dagegen weist gerade die Gleichartigkeit auf einen gemeinsamen Ort der Herstellung, und die flüchtige Arbeit macht eine massenhafte Anfertigung zu Exportzwecken in ein Gebiet mit geringen künstlerischen Ansprüchen wahrscheinlich. Bekanntlich hat seit der Thätigkeit des Bischofs Bernward von Hildesheim die niedersächsische Metallgießerei im 11. und 12. Jahrhundert eine weit über die Grenzen Deutschlands hinausgehende Bedeutung gehabt, und besonders den Osten beherrscht; es liegt am nächsten, hier den Ursprung der besprochenen Schalen zu suchen, zumal Stücke wie die "Bernwardspatene" im Welfenschatze (abgebildet z B. Otte=Wernicke, Christliche Kunstarchäologie I, S. 283) in Anordnung der Figuren =und Geschmack auf das Genaueste mit denselben stimmen; doch reicht das vorhandene Material zu einer endgültigen Entscheidung noch nicht aus. Nächst Niedersachsen und Hildesheim kämen in zweiter Linie die Niederlande mit der Schule von Dinant in Frage.

Die Bestimmung der Gefäße anlangend, so sind sie von den meisten Bearbeitern für "liturgische Geräthe" erklärt worden, speciell als Patenen für das heilige Oel (so Aldenkirchen in den Jahrbüchern des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 1883, S. 78) oder Handwaschbecken (pelves, vasa aquamanilia). Ich halte die dagegen erhobenen Bedenken nicht für durchschlagend, ohne aber die Möglichkeit, daß einzelne auch weltlichen Zwecken gedient haben, leugnen zu wollen. Wenn sich gelegentlich profane Darstellungen auf verwandten Schalen finden, die den von uns speciell besprochenen sehr nahe stehen und wir das ausdrückliche Zeugniß in dem Lehrbuch des Theophilus (gegen 1100) diversarum artium schedula besitzen, welcher als Schmuck der Wasserbecken Könige und Ritter, Thier= und Schnörkelornament empfiehlt, was doch nur auf Schalen zu profanen Zwecken gehen kann, so treten doch diese Darstellungen der Zahl nach weit zurück. Auch das Vorkommen in einem heidnischen Grabfelde (Ekritten) hat nichts Befremdliches, da es sich hier sehr wohl um Beutestücke handeln kann, die den Bestatteten als besondere Kostbarkeiten mitgegeben sind, zumal sich dort die Schalen nur in kleinen Bruchstücken finden.

So ist denn nach unserer Auffassung die besprochene Schale im Laufe des 12. Jahrhunderts (denn nach dem oben Gesagten müssen wir sie zu den jüngsten Vertretern ihrer Gattung zählen) als kirchliches Geräth nach Mecklenburg gekommen, und sie verdient ein besonderes Interesse als das älteste Denkmal aus der Zeit der Christianisirung des Landes, welches bisher bekannt ist. Vielleicht hat die Schale dem ersten Bischof von Schwerin, Berno, der von Armelungsborn, also aus einem Gebiete, in welchem wir

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die Heimath dieser Geräthe vermutheten, 1155 nach Meklenburg und einige Jahre später nach Schwerin kam, 1 ) persönlich gedient.

Wichtig ist auch ihr Fundort. Derselbe gehört zu dem Grunde des alten Bischofshauses, welches . auf dem jetzigen Posthofe, dem Dome gegenüber, lag und in seiner letzten Gestalt erst im Jahre 1846 entfernt ist (vergl. Lisch, Jahrb. XV, S. 320 ff.). Das älteste urkundliche Zeugniß über dieses Gebäude stammt vom Jahre 1305, wo der Verkauf eines Domhofes "gegenüber dem Thurmeingange nahe bei dem Kirchhofe" bezeugt wird. 1 ) Der Zeitpunkt, in welchem der Raum zwischen dem Westende des Doms und dem Verbindungsgraben zwischen Pfaffenteich und Burgsee (der heutigen Kaiser Wilhelmstraße) von dem Domkapitel resp. dem Bischof bebaut ist, wird nirgends ausdrücklich überliefert; ob es gleich bei der Dotation des Bisthums durch Heinrich den Löwen 1171, in welchem Jahre nach Wigger (Jahrb. XXVIII, S. 221) das Domkapitel überhaupt erst gegründet wurde, ob nach 1238 geschehen ist, aus welchem Jahre wir einen Vertrag haben, nach dem Bischof Friedrich sich mit dem Grafen Guncelin über seinen Wohnsitz auseinandersetzen sollte (siehe F. W. Lisch, Jahrb. XXXXII, S. 80) ist zweifelhaft. Die Funde, welche beiden jetzigen Bauten gemacht sind, sprechen mindestens nicht gegen den älteren Termin.

Außer unserer Schale ist nämlich eine durchbrochene Zierscheibe mit einer Umrahmung verschlungener Drachenleiber und einer Vogelgestalt in altromanischem Stil, ein länglicher Knochenkamm von der Art der aus wendischen Burgwällen bekannten und Töpfereiproducte des frühesten Mittelalters gefunden, lauter Gegenstände, welche in die älteste Zeit des christlichen Schwerin gehören.

Die Schweriner Schale ist bisher die einzige ihrer Art in Mecklenburg; ich kenne nur eine, die ihr den Rang des Alters streitig machen könnte und die bisher als die älteste galt, eine Schale von Krassow bei Wismar, welche 1835 in die Großherzogliche Alterthümersammlung gekommen ist. 1 ) Dieselbe gleicht der unseren in Bezug auf Form, ist aber etwas kleiner. Der Grund ist durch regelmäßig sich spitzwinklig schneidende Linien gemustert, und zur Verzierung sind vier schmale Streifen Bronzeblech im Innern an der Wandung aufgekittet, auf welchen dasselbe Bild, Petrus mit den Schlüsseln, durch einen Stempel ausgepreßt, sich befindet. Auf dem


1) Wigger, Jahrb. XXVIII, S. 95 f.
1) in opposito contra hostium turris iuxta cimeterium Suerinense. M. U.=B. V, Nr. 3032, 31. October 1305; vgl. F. W. Lisch, Jahrb. XXXXII, S. 43 und S. 80.
1) Vergl. Lisch, Jahrb. II B, S. 82.
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Boden soll früher ein Madonnabild derselben Arbeit gesessen haben. Diese Dekoration durch "ausgeschnittene Arbeit" oder gestempelte Bleche war im 12. Jahrhundert sehr beliebt, und wir haben auch dafür ein Zeugniß bei dem oben genannten Theophilus, welcher dem Künstler räth, oft wiederkehrende Darstellungen in Eisenstempeln bereit zu halten.