zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 237 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

X.

Charles Philippe Dieussart

und

Leonhardt Christoph Sturm,

zwei alte Baumeister des 17. u. 18. Jahrhunderts in Meklenburg.

Von
Dr. F. C. Koch, Oberlandbaumeister zu Güstrow.


I n dem schönen Werke von Cornelius Gurlitt: Geschichte des Barockstils in Deutschland, führt dieser Autor einen alten Baumeister der Barockzeit auf: Ch. Ph. Dieussart, der in Meklenburg gewirkt, und ein in Güstrow gedrucktes "Theatrum Architecturae civilis" herausgegeben hat. — Meine Hoffnung, dies vaterländische Werk in der aus dem 16. Jahrh. stammenden Bibliothek der Domschule in Güstrow zu finden, bestätigte sich nicht, wohl aber erhielt ich dasselbe durch freundliches Entgegenkommen aus der Universitätsbibliothek zu Rostock.

Aus dem Titelblatt geht hervor, daß das Werk i. J. 1679, von dem Hofbuchdrucker Christian Scheippel in Güstrow gedruckt ist. — Der Autor nennt sich: Fürstl. Meklenb. Architect, und führt Rom als seinen derzeitigen Wohnort auf, während er das Werk "Seinem gnädigsten Fürsten und Herrn, dem Durchleuchtigsten Herrn Christian Ludwig" widmet. — Er bezeichnet die Architectur als "eine Heroische Kunst", der schon Alexander der Große besonders gewogen gewesen sei, und fühlt durch "die große Begierde und Luft, so seine Hochfürstl. Durchl. zu der Architectur tragen, sich angereitzet, diesen Tractat der Architectur parallelischer Weise an den Tag zu geben".

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 238 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Diese "parallelischeWeise" bezieht sich darauf, daß Dieussart in seinem Werke eine vergleichende Darstellung der Maßverhältnisse giebt, wie solche von den bekannten Schriftstellern der Renaissancezeit: Palladio, Vignola, Skamozzi u. s. w. als maßgebend betrachtet wurden. — Diese Darstellung vervollständigt der genannte Autor durch Abbildungen auf 64 schön in Kupfer gestochenen Foliotafeln, von denen ein großer Theil instructive Zeichnungen der verschiedenen Säulenordnungen mit Gebälken römischer Monumentalbauten vorführt.

Dies Werk übte derzeit einen großen Einfluß aus, indem es wie Gurlitt S. 105 1. c. sagt: "das Deutsche Volk an den seit Rivius' Publication zu Mitte des 16. Jahrhunderts fast ganz wieder in Vergessenheit gerathenen Vitruv erinnerte," und "die Antike im Gegensatz zu den deutschen Tischlerarchitecten in den Formen der Italiener vorführte"; so daß dies Werk auf zwei der bedeutendsten Architecten jener Zeit, "auf Decker und Dientzenhofer einen vortheilhaften Einfluß gewann, indem Dieussart ihnen die Lehre der reineren Formensprache und die Sicherheit in Behandlung der antiken Ordnungen gab". — Ein Beweis für die Wichtigkeit, die dies Werk auf die damalige Zeit ausübte, erkennt man in dem Umstand, daß dasselbe zum zweiten Mal i. J. 1692 von Dieussart selbst in Bayreuth, und zum dritten Mal daselbst von Leonhard Dientzenhofer 1696 herausgegeben wird.

Ein Umstand aber, der das Interesse für dies Werk in ganz besonderem Maße belebt, ist der darin enthaltene Nachweis, daß wir in Dieussart den Baumeister des Schlosses Rossewitz bei Güstrow zu erkennen haben! Dies wird constatirt durch die eigenen Worte des Autors in Cap. XVIII, S. 93, sowie durch die zugehörige Kupfertafel, die das Hauptgesims, wie es noch heute das alte Gebäude ziert, sowohl in einer guten perspectivischen Ansicht, wie in einem geometrischen Schnitt darstellt.

Ich unterlasse es, hier specieller auf diese 1657 ausgeführte Leitung Dieussarts einzugehen, da dieselbe von hinreichender Wichtigkeit ist, um derselben eine eigene monographische Arbeit zu widmen, wie ich das in nächster Zeit auszuführen gedenke.

Dagegen soll die weitere Thätigkeit des genannten Künstlers noch einer Erörterung unterzogen werden. — Zunächst spricht Gurlitt die Vermuthung aus, daß Dieussart die Kanzel der Pfarrkirche in Güstrow im Jahre 1683 gearbeitet hat. — Nun aber ist auf der Rückwand des Sandsteinportals zu der Kanzel die Jahreszahl 1583 eingemeißelt, und da auch nach einem Kirchenregister aus dem städtischen Archiv von 1632 diese Kanzel im

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 239 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Jahre 1583 erbaut sein soll, so muß hier ein Mißverständniß vorliegen, obwohl nicht zu leugnen ist, daß die ganze Formbildung der Kanzel mehr den Charakter des 17. wie des 16. Jahrhunderts trägt.

Dagegen dürfte ein sehr reiches Epitaphium, welches an der nördlichen Seitenschiffwand unmittelbar neben der dort befindlichen Eingangsthür hängt, auf Dieussarts Wirksamkeit zurückzuführen sein; dasselbe ist dem Joh. Gerdes zu Ehren im Jahre 1681 gestiftet. Das von ihm herrührende Epitaph Günter Passows wird unten erwähnt werden.

Ob möglicher Weise auch der Altar der Heiligen=Geistkirche dem Dieussart zuzuschreiben ist, muß dahin gestellt bleiben. Die hübsche, dieser Zeit angehörige Formbildung, sowie der Umstand, daß diese kleine Kirche im Jahre 1662 aus dem Patronat der Stadt in das des Herzogs Gustav Adolf übergeht, der im Jahre 1664 die Feier der 100jährigen Einführung des lutherischen Cultus in dieser Kirche anordnet, sprechen für diese Annahme, um so mehr als für diese Feier Restaurationsarbeiten vorgenommen wurden.

Weiter stammt von Dieussart ein Altarblatt der Schloßkirche zu Dargun, welches aber nicht hohen künstlerischen Werth hatte, und im Jahre 1866 beseitigt und durch eine im gothischen Stil neu gearbeitete Altarwand ersetzt wurde. — Die Altarwand Dieussart's bildete ein Gemälde, die Kreuzigung, welches jetzt an der Westwand des nördlichen Kreuzschiff's aufgehängt ist, während die Umrahmung mit Bekrönung in dem Vorraum für die Kanzel aufbewahrt wird.

Dieussart lieferte den Altar im Jahre 1669 für 250 Thaler. Das künstlerisch Werthvollste dieses Werkes ist der Altarblock mit Tisch, der nach gefälliger Mittheilung des Herrn Oberlanddrost von Pressentin bei Bestand gelassen ist. Derselbe besteht aus einem farcophagartigen massiven Unterbau, dessen Seitenwände in Gypsstuck mit einem Gitterwerk, in dem zahlreiche vierblätterige Rosen angebracht, decorirt sind. Der Tisch selbst ist gebildet aus einem schön erhaltenen Grabstein vom Jahre 1334.

Dieussart scheint ein unstätes Leben geführt zu haben. Ueber seine Thätigkeit in Meklenburg, die mit Bestimmtheit vom Jahre 1657 bis 1683 stattgehabt hat, geht mir aus dem Großherzoglichen Geheimen= und Haupt=Archiv in Schwerin die folgende Mittheilung zu:

D. d. Güstrow, d. 4. Juni 1660 verpflichtete sich "Charles Philippe Dieussart, Sculpteur," für die Ueberlassung eines Hauses

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 240 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

am Schloßplatz nahe an dem Kutschstall um 400 Thlr. erb= und eigenthümlich die angenommene Arbeit, als: die Schloßkirche Günter Passows Epitaphium (im Güstrower Dom) und das Lusthaus zu Dargun innerhalb 16 Wochen fertig zu stellen. Der Herzog von Meklenburg wollte außerdem durch diesen billigen Hauskauf dem Baumeister eine Gnade erweisen, weil derselbe einen Ruf nach Dänemark abgelehnt habe.

Trotzdem begab sich Dieussart 1668 wegen einer Anstellung nach Kopenhagen, und der König von Dänemark war nicht abgeneigt, den "Architectus, der seiner Kunst halber gerühmt worden", anzunehmen. Als aber Herzog Gustav Adolf um Zurücksendung des Baumeisters nach Güstrow bat, verzichtete der König aus Dieussart aus Gefälligkeit für den Herzog von Meklenburg.

Hieraus geht hervor, daß Dieussart am Schloßplatz in Güstrow ein Haus gehabt hat. Leider haben meine Bemühungen, festzustellen, welches der alten Häuser daselbst dies gewesen, kein Resultat gehabt. — Wenn es richtig ist, daß das jetzige Wollmagazin der "Kutschstall" war, so wird es das Wohnhaus Nr. 6 am Schloßplatz gewesen sein. — Die oben erwähnte "Schloßkirche" existirt nicht mehr.

1662 war Dieussart in London, 1668 in Hamburg und Kopenhagen, 1676 in Berlin, 1677 in Leipzig, außerdem finden wir ihn nach der Vorrede seines oben erwähnten Werkes 1679 in Rom, während er 1678 bei der inneren Decoration des Schlößchens Kl.=Glienicke bei Potsdam thätig ist. — In Bayreuth soll der achteckige Schloßthurm sein Werk sein, und in Erlangen ist er bei der 1686-93 erbauten französisch=reformirten Kirche thätig gewesen.

Ueber Dieussarts Geburtsort und Alter ist mir nichts bekannt; jedoch wird er mit den Hugenotten nach Deutschland gekommen sein, durch deren Einwanderung überhaupt die holländisch Palladieske Bauweise in Deutschland eingeführt worden ist. — Der Umstand, daß im Jahre 1696 sein Werk zum dritten Mal durch Dientzenhofser, der Hof= und Landbaumeister zu Bayreuth war, herausgegeben wird, läßt darauf schließen, daß Dieussart damals verstorben war.


Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 241 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Leonhardt Christoph Sturm

ist im Jahre 1669 zu Altdorf bei Nürnberg geboren und 1729 zu Blanckenburg gestorben 1 ). —

Er war der wissenschaftliche Vertreter der norddeutsch=protestantischen Hoch=Renaissance, und erbitterter Gegner Schlüters in Berlin. — Ursprünglich Mathematiker, ist er als solcher zunächst in Wolfenbüttel, und seit 1700 in Frankfurt a. O. thätig, von wo er 1711 nach Meklenburg berufen wurde. — Sein Lehrer war Nicolaus Goldmann zu Breslau und diesem folgend erging er sich derart in Spitzfindigkeiten, daß er "über die Lehre des Vitruv hinaus die Wurzel der Architectur am Salomonischen Tempel entdeckt und so den rechten Urquell heiliger Baukunst gefunden" zu haben glaubte. (Gurlitt 1. c.).

1696 gab Sturm seine "Vollständige Anweisung zur Civilbaukunst" heraus; und mehr durch seine Veröffentlichungen und theoretischen Arbeiten, wie durch eigene praktische Leistungen hat er auf die Fachgenossen seiner Zeit gewirkt. — Seine baukünstlerischen Anschauungen gründen sich auf die seitens der Franzosen und Holländer verfolgte Auffassung der Lehren des Vitruv; und gleich wie Dieussart bewirkt er durch seine schriftstellerischen Arbeiten die Beseitigung der Anschauungen, wie sie durch die deutschen Tischler=Alrchitecten verbreitet waren. —

Ueber Sturm's Thätigkeit in Meklenburg entnehme ich den gefälligen Mittheilungen aus dem Großherzoglichen Archiv die folgende Notiz:

Unter dem Datum Schwerin, 27. März 1711 stellte Herzog Friedrich Wilhelm den bisherigen Professor ord. Math. Sturm zu Frankfurt a. O., der schon im November 1710 nach Meklenburg berufen war, als Oberbaudirector an. Derselbe soll alle nöthigen Bauten "so wir bei unsern fürstlichen Häusern, Vestungen, Aembtern, Höfen und Mühten, dann auch bei denen Landmessungen und anderen unserer Lande Angelegenheiten entweder selbst oder durch unsern Hofmarschall oder Ober=Hauptmann oder unserer fürstlichen Cammer anordnen und Befehlen lassen werden, im Einvernehmen mit der Kammer anlegen, fortsetzen und ausführen." Seine jährliche Besoldung soll betragen 800 Thtr. meklenb. Valeur und 200 Thlr. für Wagen und Pferde, für Zehrungsgelder bei Arbeiten an fürstlichen Gebäuden 50 Thlr. Bei Reisen aufs Land soll ihm außerdem den Tag 1 Thlr. gezahlt werden. Sturm erhält dazu


1) Nach C. Gurlitt: Barockstil in Deutschland, S. 65.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 242 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die Erlaubniß, "Scholaren" auszubilden, auch darf er einen Tag in der Woche sich mit Privatarbeiten des Nebenverdienstes wegen beschäftigen.

Seiner etwaigen Wittwe werden 100 Thlr. jährlich versprochen.

Sturm hat den Rang eines fürstlichen Hofraths.

Am 19. April 1712 legte der Herzog dem Bau=Director den Charakter eines Cammerraths bei. Sturm ließ die Arbeiten am Neustädter Schloß ausführen, die aber vor ihm schon angefangen waren.

Herzog Carl Leopold bestätigte zwar den Cammerrath und Baudirector Sturm am 7. September 1715, zahlte demselben indessen nur einmal 800 Thlr. Bis 1719 war Sturm in herzoglichen Dienst.

Der in dem voraufgeführten Document erwähnte Bau des Schlosses zu Neustadt soll nach Gurlitt (1. c, S. 71) in dem vollständigen Umbau des alten im Renaissance=Stil aufgeführten Gebäudes bestanden haben. Sturm hat ein Kupferstich=Werk von diesem Bauwerk herausgegeben, welches leider im Großherzoglichen Kupferstichkabinet nicht vorhanden ist. — Die sorgfältige Durchbildung des Grundrisses und Ausnutzung des vorhandenen Raumes zwischen den alten Umfassungsmauern wird gelobt.

In den Jahren 1712-18, also noch während seiner Wirksamkeit in Meklenburg erschienen Sturm's bahnbrechende Arbeiten über die Grundrißbildung der protestantischen Kirchen. — Mit Schärfe weiset er nach, daß die mittelalterlichen Dome sehr wohl den Anforderungen des katholischen, keineswegs aber denen des protestantischen Cultus entsprechen. Der katholische Gottesdienst erfordert Gotteshäuser, in denen möglichst viele Seitencapellen für die Errichtung von Nebenaltären sich befinden, und die Raum bieten zur Entfaltung der Processionen, während die Protestanten eine Predigt=Kirche beanspruchen mit möglichst vielen Sitzplätzen, von denen man den Prediger auf der Kanzel sehen und hören kann.

Während also die basilikale Anlage mit Langschiff den Anforderungen des katholischen Cultus entspricht, weiset uns der Cultus der Protestanten auf die centrale Anlage hin. — Dieser Gedanke bricht sich in der zweien Hälfte des 17. Jahrhunderts Bahn, und da in diese Zeit die Blüthe des Barockstils fällt, der sich aus den antiken Säulenordnungen entwickelt, so liegt es nahe, daß mit der Ausbildung des protestantischen Kirchengedankens Werke desselben dem Geist der Zeit entsprechend, im Barockstil ausgebildet werden.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 243 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

So entwickelt sich eine protestantische Kirchenbaukunst im Gegensatz zu dem gothischen Stil der früheren katholischen Kirchen.

Freilich haben theilweise auch die Katholiken den Barockstil für ihre derzeitigen Gotteshäuser adoptirt, der ihnen die gewünschte Gelegenheit zu üppiger Prachtentfaltung bot, wie kein anderer Stil und beruht namentlich der sogenannte Jesuitenstil im wesentlichen auf den antiken Säulenordnungen, während aber doch die mittelalterliche Basilika als der eigentlichste Ausdruck der katholischen Kathedrale zu betrachten ist.

Diesen Gedanken nun hat Sturm als eifriger Protestant aufgefaßt und in zwei Werken ausführlich entwickelt. "Im Jahre 1712 gab Sturm ein kleines Heft heraus = Architectonische Gedanken von protestantischer kleiner Kirchen=Figur "und Einrichtung (Hamburg bei Schiller) = Welchem 1712 die — Vollständige Anweisung alter Art Kirchen wohlanzugeben (Augsburg bei Wolff) -= folgte. — Waren Sturm's ästhetische Entwickelungen auch ohne tiefen Zusammenhang, ohne logische Folgerung der Gedanken, so zeigt sich in seinen Ausführungen über den Kirchenbau das in zahlreichen Streitschriften verfochtene religiöse Bekenntniß klar zur künstlerischen Erscheinung gebracht. — Hier liegt hauptsächlich der Werth seines Wirkens; hier ebnet sich das Sprungartige seines Gedankenganges zu ruhiger Fortbildung" (Gurlitt 1. c. p. 72.)

Sturm gab verschiedene Grundrißformen 1 ) zur Klarstellung seiner Ideen, zum Theil allerdings etwas eigenthümlich, während dieselben aber doch von tief eingreifendem Einfluß auf den späteren protestantischen Kirchenbau geworden und speciell zum Ausdruck gekommen sind in den Kirchen zu Freudenstadt in Würtemberg und Ruhla in Thüringen, sowie in der Katharinenkirche zu Frankfurt a. M. und den Trinitatiskirchen zu Speyer und Worms. — Dieselbe Idee einer Centralanlage zeigt ferner die 1711 erbaute Nicolai=(Schelf=)Kirche 2 ) zu Schwerin, die unter dem unmittelbaren Einfluß Sturms entstanden sein dürfte, sowie ich glauben möchte, daß der Thätigkeit desselben die eigenthümliche saalartige Kirche zu Lübtheen mit der Anlage von Altar und Kanzel in der Mitte der einen Langseite zuzuschreiben ist.

Derselbe Grundgedanke spricht sich aus in der Michaeliskirche in Hamburg, in der sog. Hauptkirche zu Altona, sowie in


1) Siehe: Oscar Sommer, Dom zu Berlin etc. , Braunschweig 1890, S. 14 ff. — und C. Gurlitt, Deutschlands Barockstil S. 73.
2) Siehe C. Gurlitt 1. c. S. 75, und Oskar Sommer 1. c. S. 13 (Grundriß d. Kirche).
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 244 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

mehreren der kleinen Kirchen des 18. Jahrhunderts in Berlin. — Als die höchste Leistung aber in der Nachfolge Sturm's ist die Frauenkirche in Dresden zu betrachten, die 1726-40 von dem genialen Georg Bähr erbaut wurde, und als Frucht jahrelanger Experimente dieses Künstlers an einer Anzahl kleinerer Kirchen der Umgegend anzusehen ist.

Es ist hier nicht der Ort, specieller auf die Details dieses Bauwerks einzugehen; doch kann ich diese Arbeit nicht schließen, ohne auf die Bedeutung dieser auf Sturm's Principien sich gründenden Kirche als maßgebendes Beispiel für den protestantischen Kirchenbau hinzuweisen und das eingehende Studium der gleichlautenden Urtheile über Bähr's Leistung zu empfehlen, wie solche abgegeben werden von Dohme in dem Werk über Geschichte der Deutschen Kunst, sowie von Cornelius Gurlitt und Oscar Sommer in den vorstehend citirten Arbeiten.


Anmerkung: Die Katharinenkirche zu Frankfurt wurde von 1678 bis 1680 erbaut und 1681 eingeweiht; sie hat ein Langhaus von sechs Gewölbjochen. Die ihr nachgebaute Trinitatiskirche in Worms (1725) eines von fünf Jochen. Es sind diese demnach keineswegs Centralbauten und kann nur eine Verwechslung mit der Paulskirche in Frankfurt zu Grunde liegen, einem im letzten Viertel vorigen Jahrhunderts begonnenen Rundbau. Ueber die erstgenannten Kirchen handelt ein Aufsatz in den Mittheilungen des Vereins für Geschichts= und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M., Band VI, Heft 2, S. 269ff., über die Paulskirche das Neujahrsblatt des genannten Vereins für das Jahr 1870. Ich füge dieses nach Verabredung mit dem Herrn Verfasser hier an, da derselbe wegen längerer Abwesenheit nicht im Stande war, selbst eine Nachprüfung vorzunehmen.

Grotefend.

Vignette