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IV.

Zur Bau-Geschichte

des

Doms zu Güstrow

mit

2 Tafeln und 10 Textabbildungen.


Von
Oberlandbaumeister Dr. F. E. Koch zu Güstrow.

~~~~~~~~~~~~

S pärlich sind die Nachrichten, die über die Baugeschichte des Doms zu Güstrow auf uns gekommen sind; und: mögen wir die für ihre Zeit fleißige Arbeit des alten Dom=Oeconomus Gustaw Thielen * ), oder die mehrfachen Mittheilungen unseres verdienten Archäologen, des Geheimen Archivraths Dr. Lisch, in den von ihm redigirten Jahrbüchern für Geschichte und Alterthumskunde ** ) durchforschen — Alle geben in der Hauptsache nur geschichtliche Data, und beschreiben das jetzt Vorhandene, befriedigen aber nicht den Kunstarchäologen, der vergeblich eine Darstellung der verschiedenen an dem Dom hervortretenden Architekturformen, die historische Entwickelung derselben und eine Erläuterung


*) G. Thielen: Der Hochfürstl. Domkirchen zu St. Caecilien zu Güstrow fünfhundertjähriges Alter, oder Nachricht u. s. w. Rostock bei Schwechten 1726. — (Jubiläumschrift.)
**) G. C. F. Lisch: Der Dom zu Güstrow. Jahrb. 8, B, 97.
Derselbe: Der Dom zu Güstrow und die heilige Caecilie. Jahrb. 20, 238.
Derselbe: Der alte Taufstein des Doms zu Güstrow, und: Thürbeschlag am Dom zu Güstrow. Jahrb. 27, 236.
Derselbe: Die Domkirche zu Güstrow. Jahrb. 35, 165.
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für das scheinbare Durcheinander der Formbildung weit auseinander liegender Bauperioden zu finden hofft. — Denn gerade in dieser Beziehung bietet der Dom auf den ersten Blick so manches Räthselhafte; und sehr eingehende Studien gehören dazu, um einige Klarheit zu gewinnen in der Beurtheilung der Auseinanderfolge der, vier bis fünf Bauperioden aus dem 12. bis Ende des 15. Jahrhunderts umfassenden, verschiedenen Bautheile dieses alten interessanten Bauwerks.

Die in den Jahren 1865-1868 von dem Berichterstatter geleitete Restauration des Doms gab demselben die beste Gelegenheit zu eingehenden Studien, so daß es längst im Plan lag, einige Mittheilungen über den Dom vom kunsthistorischen Standpunkte aus zu machen. — Wenn nun die Ausführung dieses Plans so lange sich verzögert hat, so liegt der Grund dafür in dem Umstande, daß für das richtige Verständniß die Beigabe von Abbildungen und möglichst detaillirten Darstellungen unumgänglich erforderlich ist; und um diese zu beschaffen, fehlte dem Autor in früheren Jahren die Zeit, während in späteren Jahren die Augen nicht mehr die Anfertigung von Zeichnungen in so kleinem Maßstab gestatten wollten. Dazu kommt, daß für die Detaildarstellung architektonischer Formen, aus denen man ein Urtheil über die Zeit ihrer Herkunft sich bilden will, photographische Aufnahmen bei weitem einer Darstellung durch Handzeichnung vorzuziehen sind, indem bei aller Tüchtigkeit des ausführenden Zeichners seine individuelle Anschauung gar zu leicht Einfluß ausübt, so daß die charakteristische Darstellung darunter leidet, und, wie Dohme in dem Vorwort zu seiner "Deutschen Baukunst" sehr richtig sagt: "die Subjectivität des modernen Zeichners die originelle Eigenart der alten Monumente mehr oder minder verdunkelt".

Nachdem nun in letzterer Beziehung dem Berichterstatter Hülfe geworden ist, theils durch die dieser Arbeit beigegebenen Handzeichnungen des Herrn Baumeisters Raspe, theils durch photographische Aufnahmen seines Sohnes, des Malers Herm. Koch in München, soll nicht länger gezögert werden, eine Darstellung der architektonisch interessanten Beobachtungen am Güstrower Dom zu veröffentlichen.


Von den oben angeführten Autoren wird das Jahr 1226 als das der Gründung des Doms angenommen. — Fürst Burwy II. gründet am 3. Juni 1226 das Domstift zu Güstrow als Collegiatkirche mit 10 Präbenden (Mekl. Ukb. Nr. 323), stirbt aber schon am 5. Juni 1226. Sein Vater Burwy I., der die reichen

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Schenkungen seines Sohnes bestätigt hatte (M. U. Nr. 331), folgte ihm am 28. Januar 1227, so daß der Bau des Doms erst von seinem Nachfolger ausgeführt wird.

Aus den angeführten Urkunden geht nicht hervor, ob es sich um die Neuschaffung einer Kirche handelt, oder ob nicht vielmehr schon ein Gotteshaus vorhanden gewesen, welches von dem Eifer der heidnischen Wenden zerstört worden war, oder welches für eine Collegiatkirche nicht den nöthigen Raum gewährte, so daß es sich also nur um die Wiederherstellung und Erweiterung des Gotteshauses durch Burwy, sowie um die sichere Fundirung der Hülfsquellen für dasselbe handelt. — Diese Frage hat insofern ein Interesse für die vorliegende Darstellung, als die Altersbestimmung für zwei Bautheile zur Frage steht. Zunächst sind es die drei Granit=Monolithen, die jetzt die Stützen für das zweischichtige nördliche Seitenschiff bilden, und deren rohe Form jedenfalls auf ein höheres Alter wie 1226 schließen läßt, so daß dieseIben von einem schon vor diesem Jahr zerstörten Bauwerk abstammen dürften. Dann handelt es sich darum, das isolirte Auftreten der romanischen Rundbogen=Pforte im Nordgiebel des Kreuzschiffes zu erklären, worauf weiter unten spezieller eingegangen werden soll.

Der Dom zu Güstrow findet seine nächsten Verwandten in den Domen zu Ratzeburg und zu Kammin in Pommern. — Der Bau des ersteren aber ist gleich nach der Begründung des Bisthums (im Jahre 1154) begonnen, so daß der Bischof Jsfried von 1178 bis 1204 nur den Bau des von seinem Vorgänger begonnenen Langschiffes fortsetzte * ). Damit stimmt auch Rickmanns ** ) Annahme, daß der Bau des Ratzeburger Doms in die letzte Hälfte des 12. Jahrhunderts zu versetzen sei. Derselbe weist nach, daß 1180 der Bau unterbrochen sein werde, indem durch die Aechtung Heinrichs des Löwen die Subsidien aufgehört haben, so daß der Bau erst nach der Rückkehr ruhiger Zeiten, 1226, seiner Vollendung entgegengeführt werden konnte.

Der Dom zu Kammin ist nach Kasten *** ) im Jahre 1175 geweiht worden, und schätzt derselbe den Beginn des Baues auf 1170 bis 1172, ist aber der Ansicht, daß nur noch der untere Theil des nordlichen Kreuzschiffes mit der


*) Vgl. auch Dohme, Deutsche Baukunst, pag. 106 (mit Ansicht des Doms), der den Beginn des Baues auch 1178 setzt.
**) Fr. W. J. Rickmann: Die Domkirche zu Ratzeburg mit 3 Tafeln. Ratzeburg 1881.
***) A. Kasten: Beiträge zur Baugeschichte des Kamminer Doms mit 4 Tafeln. Berlin 1883.
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charakteristischen Rundbogenthür jenem ursprünglichen Bau angehört.

Nun aber stehen die übrigen Bautheile dieses Doms, die dreifach gestellten Fenster mit gedrücktem Spitzbogen, von denen das mittlere an Höhe die Seitenfenster überragt, die Anlage der nach Innen vorspringenden Schildbogen=Pfeiler u. s. w. in so enger Beziehung zum Güstrower Dom, daß man für diese Theile des Kamminer Doms dieselbe Bauzeit wie für die entsprechenden Theile des Doms zu Güstrow annehmen muß.

Die oben ausgesprochene Vermuthung also, daß die nördliche Rundbogenthür des Güstrower Doms von einem vor 1226 vorhandenen Bau stammen möchte, findet ein so interessantes Analogon in dem eben angeführten Verhältniß an dem Dom zu Kammin, daß jene Vermuthung nicht als eine allzu unbegründete Annahme erscheinen dürfte; und indem es vorbehalten wird, auf diesen Punkt später noch zurückzukommen, soll hier nur noch darauf hingewiesen werden, daß schon bald nach 1160 Pribislav zum christlichen Glauben übertritt, und 1171 das Kloster zu Doberan stiftet, und daß, wenn sein Enkel Burwy II. der Stadt Güstrow (schon 1222) Schweriner Recht verlieh * ) und dort ein Collegiatstift gründete, man annehmen dürfte, daß daselbst schon eine größere Ansiedlung oder wohl gar eine zur fürstlichen Wohnstätte geeignete Burg vorhanden gewesen ist, in deren Schutz eine christliche Kirche existiren konnte, wie das nach obigen Darlegungen in nicht allzuweiter Entfernung östlich zu Kammin, und westlich zu Ratzeburg der Fall gewesen ist.

Zum besseren Verständniß der nachstehenden Darlegungen geben wir auf Tafel I den Grundriß des Doms in seiner jetzigen Gestaltung und auf Tafel II die Ansicht der Nordseite, wie sie vor der 1865 vorgenommenen Restauration sich gestaltete.

Abgesehen von den drei Granit=Monolithen des nördlichen Seitenschiffes und der obenerwähnten Rundbogenthür des nördlichen Kreuzschiffes, die unbedingt der romanischen Formbildung angehören, ist jedenfalls das Gewölbjoch 1, der älteste Theil der Kirche, der in dem Profil der Pfeiler, dem Laubschmuck und der Form der Capitäle und den mit dem charakteristischen Eckblatt ausgestatteten attischen Basen eines der schönsten Beispiele des


*) Das Jahr ist zweifelhaft, es beruht auf dem, was Westphalen I. 2007 bei Abdruck des Güstrower Codex des Schweriner Rechtes sagt. Die Bestätigung der Söhne Burwys II. von 1228 (M. U. Nr. 359) sagt ausdrücklich, daß dieselbe geschehe secundum que eis pater noster indulserat.
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Dom zu Güstrow (Grundriß)
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Dom zu Güstrow (Ansicht der Nordseite)
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Ziegelbaues aus der Uebergangszeit darstellt. — Die nachstehend=Fig. 1 giebt das Profil des Mittelpfeilers zwischen diesem Gewölbe

Profil des Mittelpfeilers
Fig. 1.

joche und dem des anstoßenden Altargewölbes und Fig. 2 eine Ansicht der attischen Base mit dem Eckblatt; sowie die nachstehende

Ansicht der attischen Base mit dem Eckblatt
Fig. 2.

photographische Aufnahme, Fig. 3, die Ansicht des vorgenannten Pfeilerbündels mit dem Capitäl und den Gurtbogenansatz zeigt.

Sehr charakteristisch für die Beurtheilung der Bauzeit ist das Gewölbe dieses Bautheils. In völliger Abweichung von allen übrigen, als regelrechte Kreuzgewölbe mit 1/2 Stein starken Kappen zwischen Diagonalgurten ausgeführten Wölbungen, ist das in Rede stehende Joch mit einem hohen, backofenartig einen vollen Stein stark mit concentrischen Schichten ausgeführten Gewölbe überdeckt, und zwar mit unten vorliegenden, aus starken Rundstäben bestehenden Diagonal= und Kreuzgurten, die ohne constructiven Zweck, nur als Decorationsmittel dienend, lose, unter das Gewölbe untergelegt sind, wie dies häufig im Uebergangsstil vorkommt.

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In Uebereinstimmung mit der Formbildung dieser Zeitperiode sind die Fenster als schmale Oeffnungen mit schräge einfallenden Laibungen, zu je 3 gestellt, mit gedrücktem Spitzbogen überwölbt, und das mittlere wesentlich höher wie die beiden Seitenfenster ausgeführt, wie aus Taf. II ersichtlich.

Die völlig gleiche Ausbildung wird jedenfalls das zunächst daran stoßende Gewölbe (2) des hohen Chors gehabt haben, wie solches ersichtlich ist durch das Profil des Fig.1 und 3 dargestellten, beide Gewölbjoche trennenden Wandpfeilers, durch die in der Ringmauer noch guterhaltenen Fugenlinien der alten Fensterlaibungen und durch die vor der Restauration noch erhalten gewesene Wandlisene, wie solches in Tafel II dargestellt ist. Wahrscheinlich hat hier ein rechtwinklicherAbschluß des hohen Chors stattgehabt; die jetzige Form des hohen Chors soll weiter unten besprochen werden.

Profil
Fig. 3.

Nach den Fensteranlagen zu urtheilen, stammen die Ringwände des Querschiffs aus derselben Bauzeit wie das erste Gewölbe des hohen Chors, und stimmt hierzu namentlich der Giebel des nördlichen Kreuzschiffes, den man selbst noch als romanisch ansprechen könnte, wenn nicht die alten, vor der Restauration wohl erhaltenen Fensterlaibungen schon den gedrückten Spitzbogen der Uebergangszeit zeigten, während der im Jahre 1866 wegen Baufälligkeit abgebrochene Giebel des südlichen Kreuzschiffes schon eine mehr nüchterne Behandlung zeigte und jedenfalls aus späterer Zeit stammte. Eine gleichfalls spätere Formbildung, schon mehr der Frühgothik angehörig. zeigt die südliche Ausgangspforte des Kreuzschiffes; dieselbe ist im Spitzbogen geschlossen, die Rundstäbe der

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ziemlich reich profilirten Laibungen sind in der Kämpferhöhe durch Kelchcapitäle mit einfachen Rinnblättern mit Knollen abgeschlossen, und die Fortsetzung der Rundstäbe innerhalb der Spitzbögen zeigt jene der Frühgothik eigenthümlichen Ringe. Die nachstehenden photographischen Aufnahmen zeigen die beiden Pforten des Kreuzschiffes, die romanische der Nordseite in Fig. 4 und die frühgothische der Südseite in Fig. 5. — Die romanische Thür hat in der Kämpferlinie ein Gesims von gebranntem Thon von dem Profil, Fig. 6, welches gleichzeitig die Knäufe der Rundwulste bildet. Diese einfache Behandlung stimmt nicht zu der reichen Ausbildung der Bautheile des Gewölbejoches 1, und dürfte die Annahme eines hlöheren Alters dieser Thür rechtfertigen.

Pforte der romanischen Nordseite
Fig. 4.

Die innere Architektur des Kreuzschiffes zeigt wieder in räthselhafter Weise von einander abweichende Details. Das südliche Schiff hat in den 4 Ecken mächtige Rundwülste als Dienste, die in einer gewissen Höhe sich auf Consolen aufsetzen von einer Form, wie sie häufiger in ber Frühgothik vorkommt: Kelche mit Rinnblättern in 2 Reihen übereinander, deren umgerollte Knollen abgebrochen erscheinen, so daß das Consol mit stumpfen Blattästen bebeckt erscheint (siehe Fig. 7). Im Kämpfer endigen diese Rundwülste mit einem romanisirenden Blattcapitäl, welches dann die Profilsteine der Schildbögen und Diagonalrippen des Kreuzgewölbes aufnimmt. Während aber diese mächtig profilirten Dienste noch durchaus den Charakter der Frühgothik tragen und eher noch an Uebergangsstil erinnern, gehören die Gewölbe selbst mit dem birnförmigen Profil der Rippen schon der ausgebildeten Gothik an.

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Dieselben mächtigen Rundwülste finden wir in den beiden östlichen Ecken des Langschiffs an den Vierungspfeilern, von denen der in der südlichen Ecke sich in gleicher Weise wie oben beschrieben auf ein Consol aufsetzt, während der der nördlichen Ecke von unten herauf geführt ist. — Oben aber hören beide Rundwülste stumpf auf, und es setzen sich zwei schwächere Rundstäbe als sog. junge Dienste darauf, die mit ihren Capitälen einer späteren Bauperiode angehören. — Die photographische Aufnahme Fig. 8 zeigt dies interessante Durcheinander architektonischer Formen. Man sieht den eben erwähnten Rundwulst mit dem jungen Dienst in der Südostecke des Langschiffs, hat einen Blick in das südliche Kreuzschiff und in den hohen Chor.

frühgotische Pforte der Südseite
Fig. 5.

Die eben geschilderten Verhältnisse lassen auf eine längere Unterbrechung des Baues schließen.

Eine völlig abweichende Behandlung zeigt das Innere des nördlichen Kreuzschiffs und der Vierung, in denen die Profile der Pfeiler, statt aus Formsteinen als Rundstäbe oder Wülste ausgebildet zu sein, einfach rechtwinkelig zurückspringende Ecken, roh aus gewöhnlichen Mauersteinen gebildet, darstellen. Ob solche Abweichung von der reichen Behandlung des südlichen Kreuzschiffes auch mit einer Unterbrechung des Baues zusammenhängt, oder ob Mangel an Formsteinen die Schuld trägt, muß dahingestellt bleiben. Die Gewölbe des südlichen Kreuzschiffes und die des Langschiffs sind von denen der Vierung getrennt durch je einen breiten Gurtbogen, der eine zierliche Ausbildung erhält durch eine auf consolenartiger Auskragung ruhende Lisene (siehe Fig. 8), die in der Kämpferlinie ein zierliches Gesims zeigt. Auch diese Aus=

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bildung fehlt dem Gurtbogen, der das nördliche Kreuzschiff von der Vierung trennt. Sollte diese soviel rohere Ausbildung des nördlichen Kreuzschiffes wohl noch als der Ausfluß des schon oben angedeuteten älteren Baues aus der romanischen Zeit und als ein mit der Nordthür erhaltener Rest dieser Zeit anzusehen sein?

Wie oben erwähnt zeigen die beiden ostwärts gelegenen Ecken des aus zwei Gewölbjochen bestehenden Langschiffes noch die mächtigen Rundwulste des südlichen Kreuzschiffes als Anlage für die Dienste der Gewölbegräte, und geht daraus zweifelsohne hervor, daß man die Absicht gehabt hat, die Architektur jenes Schiffs hier fortzusetzen. Doch beweisen die jungen Dienste einer späteren Zeit, die sich in dem oberen Theil aus die älteren Dienste aufsetzen, daß eine erheblich lange Unterbrechung in der Fortführung des Baues stattgehabt haben muß.

Gesimsprofil
Fig. 6.

Diese jungen Dienste wiederholen sich consolenartig geformt in völlig gleicher Ausbildung in den übrigen 6 Ecken dieses Langschiffes, welches übrigens in allen Theilen noch den Charakter der Frühgothik an sich trägt. Ein breiter Gurtbogen, getragen von eigenthümlichen Consolen, und gestützt durch nach Innen vorspringende Pfeiler, die sich im Aeußern nicht markiren, trennt die beiden quadratischen Kreuzgewölbe, deren Gräte auf jenen consolenartigen Diensten ruhen. Diese beiden Consolen des Gurtbogens haben einen Abschluß durch eine Hohlkehle mit Blattwerk in der Formbildung des Uebergangsstils, und fanden sich bei der Restauration nach Entfernung der Kalktünche die beiden Wappenthiere auf der Platte des Consols, die Lisch, Jahrb. 35, S. 179 und 183 beschreibt, und als Greif und Leopard (Werle und Dänemark) ansieht, während aber der Leopard den Umrissen nach mehr den Charakter eines schreitenden Löwen zeigt.

Die photographische Aufnahme Fig. 9 stellt die ebengeschilderten Details dar und wird bemerkt, daß der hier angebrachte, gut stilisirte Crucifixus früher jedenfalls oberhalb des Lettners mit dem Laien=Altar seinen Platz gehabt hat. Das hübsche Skulpturwerk von Eichenhotz war dick mit grauer Oelfarbe überstrichen, die bei der Restauration entfernt wurde. — Die oben erwähnte Unterbrechung und spätere Weiterführung des Baues documentirt sich auch durch

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deutliche Ansatzstellen in der südlichen und nördlichen Langschiffwand oberhalb der Gewölbe, jederseits am Vierungspfeiler.

Den beiden Gewölben des Langschiffes entsprechen je vier quadratische Gewölbe der beiden sehr niedrigen Seitenschiffe, die durch je vier niedrige spitzbogige Arkadenbögen mit dem Mittelschiff in Verbindung stehen, eine bassilikale Anlage der Uebergangszeit. — 

Consol
Fig. 7.

Das nördliche Seitenschiff ist zweischiffig, indem die acht Kreuzgewölbe durch die drei oben bereits erwähnten achtseitigen Granitmonolithe getragen werden, von einer so einfachen Formbildung der Capitäle, daß man auf ein hohes Alter derselben zu schließen geneigt ist. Die Basen bestehen aus den umgekehrten Capitälen. Dies Seitenschiff wird durch vier rechtwinkelig auf die nördliche Langwand stoßende Capellendächer überdacht.

An das südliche Seitenschiff stießen in früherer Zeit drei Capellen, die zur katholischen Zeit wahrscheinlich Altäre enthalten haben, jetzt aber zu anderen Zwecken umgestaltet sind, und über denselben erhebt sich in einer zweiten Etage das gewölbte Dom=Archiv mit selbstständigem Dache.

Nach vorhandenen Daten ist das Langschifs 1308 vollendet, und 1330 geweiht worden.

Wahrscheinlich von gleichem Alter ist derThurm, der als mächtiger massiver Querbau von oblonger Grundform, 36 Meter hoch, die Westfront, über die Breite des Hauptschiffs hinausragend, abschließt. Er ist in drei Etagen gegliedert und durch Spitzbogen=Blendnischen hübsch belebt. — Das Dach ist ein steiles, quer zur Kirche gestelltes Satteldach mit theilweise abgewalmten Giebelseiten, eine Form, die sich mehrfach an den norddeutschen Ziegelbaukirchen findet.

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Der jüngste Theil des Doms ist der octogone Abschluß des hohen Chors, der im ausgebildeten Spitzbogenstil etwa aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts stammen wird, während genaue

Die Gewölbe des südlichen Kreuzschiffes und die des Langschiffs sind von denen der Vierung getrennt durch je einen breiten Gurtbogen, der eine zierliche Ausbildung erhält durch eine auf consolenartiger Auskragung ruhende Lisene, die in der Kämpferlinie ein zierliches Gesims zeigt.
Fig. 8.
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Nachrichten darüber leider nicht vorhanden sind. Wie oben bemerkt, hatte wahrscheinlich die alte Kirche zwei Gewölbjoche im hohen Chor von der Formbildung des Uebergangsstils, wie ihn das

Cruzifixus
Fig. 9.
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Gewölbjoch 1 zeigt. Bei diesem Erweiterungsbau wird durch den Abbruch der östlichen Abschlußwand das Gewölbe 2 eingestürzt sein, und hat man nun das jetzige Kreuzgewölbe gleichzeitig mit dem des hohen Chors hergestellt.

Die im lahre 1866 vorgenommene Restauration der Wände und Gewölbe hatte ihren Ausgangspunkt in der Baufälligkeit des Altargewölbes. Dasselbe drohte den Einsturz, wurde herausgenommen, und nach vorgenommenen Verankerungen und Restauration der Strebepfeiler wurde das jetzige Gewölbe des Octogon=Abschlusses eingespannt, nachdem zuvor der das Altargewölbe von dem Krreuzgewölbe 2 trennende Gurtbogen in entsprechender Weise verstärkt worden war, * ) um den Nachsturz dieses Gewölbes zu verhindern.

Abgesehen von dem ältesten Gewölbe aus der Uebergangszeit stammen alle übrigen Gewölbe des Kreuz= und Langschiffes, wie es scheint, aus derselben Zeit, werden also gleichzeitig eingespannt sein. Dieselben waren unter der Kalktünche, die wir der Reformationszeit verdanken, mit Malerei versehen, ** ) etwas roh in der Ausführung, aber von hübscher Conception, so daß diese Decoration das Vorbild für die Bemalung der Gewölbe bei der letzten Restauration gegeben hat, während das Motiv für die Behandlung der Gurtbogen=Laibungen den alten Malereien der Klosterkirche in Berlin entnommen wurde.

Wie Lisch, Jahrb. 27, mittheilt, fand sich an der Nordpforte als Verzierung eines Thürklopfers ein sehr schöner Kopf, wohl ein Christuskopf, in Laub=Ornamenten von schöner alter Arbeit, mit einem Klopfringe, den schon Lisch als heidnischen Halsring anspricht.

Bei der Restauration wurde dieser Kopf an der Eingangsthür zur Sakristei angebracht und wird eine photographische Aufnahme dieses Thürbeschlages als Schlussvignette gegeben.

Wegen der Details des inneren Ausbaues, namentlich der durch schöne Formbildung sich auszeichnenden Zuthaten der Renaissance=Zeit wird auf die citirten Arbeiten von Lisch verwiesen, sowie auf die sehr naturgetreuen Darstellungen in dem schönen Werk über Deutsche Renaissance von Professor A. Scheffers, Leipzig 1887, welches in den Heften 215 bis 218 die nachfolgenden Abbildungen giebt:

Abtheilung 59 D, Güstrow.
Bl. 14: Das schöne Eisengitter vor den Epitaphien.

*) Ich führe dies absichtlich an, um späteren Forschern einen Anhalt für die Beurtheilung des Alters der betreffenden Theile zu geben.
**) Lisch in Jahrb. 35, S. 181 f.
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Bl. 15: Den Sarkophag von Burwin II, in Schwedischem Marmor gearbeitet.
Bl. 16, 17: Das Epitaphium des Herzogs Ulrich mit beiden Gemahlinnen, ein herrliches Werk deutscher Renaissance in schwarz und weißem Marmor.
Bl. 18: Das Epitaphium der Herzogin Dorothea.
Bl. 19: Das Epitaphium des Herzogs Henricus Burwinus (Burwy II.) in edlen, der italienischen Renaissance sich nähernden Formen aus Sandstein.

Diese drei Sculpturwerke sind von Krommeny und Ph. Brandin gearbeitet.

Bl. 20: Details der drei Epitaphien.
Bl. 21: Der schöne Taufstein auf dem Altar von Sandstein und Alabaster, der Deckel von Eichenholz in dem reichen deutschen Renaissancestil gearbeitet.
Bl. 22: Das Gitter, welches früher den Taufstein umschloß, jetzt im nördlichen Seitenschiff aufgestellt.
Bl. 23: Die Ansicht der Kanzel, ein minder schönes Werk, und ein Teppichmuster von dem Bl. 16 dargestellten Epitaphium.

Die vorstehenden Mittheilungen legen Zeugniß dafür ab, daß der Dom in Güstrow eine reiche Fundgrube für das Studium sowohl des Architekten wie des Bildhauers bietet.