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VIII.

Die Gemeinde Vellahn

zu Anfang des 18. Jahrhunderts.

Vom

Archivar Dr. Fr. Schildt


I n amtlicher Beschäftigung habe ich mehrfach Nachforschungen über einzelne Mitglieder der Gemeinde Vellahn, welche zu Anfang des vorigen Jahrhunderts lebten, angestellt und dabei manche Notizen gefunden, welche über den Zustand der Gemeinde und das Leben der Gemeindemitglieder reichen Aufschluß gaben. In der Hoffnung, daß Manches von dem, was die Acten überliefern, auch für einen größern Leserkreis von Interesse sein möchte, habe ich versucht, zusammenhängend darzustellen, was sich hier und da einzeln fand.

Die Gemeinde Vellahn 1 ) war früher räumlich größer als jetzt; erst 1870 wurde die neue Gemeinde Melkhof, außer dem Kirchdorf noch Jesow und Langenheide umfassend, von ihr abgezweigt. Neben der Mutterkirche in Vellahn bestanden zu Anfang des 18. Jahrhunderts längst die Filialkirche in Marsow und die Kapelle in Banzin. Seelsorger waren in der Zeit der Pastor Jonas Rentz (1697-1707) und der Pastor Dolch (1708-1735).


1) Man vergleiche den Aufsatz von Lisch: "Die Kirche und Pfarre zu Vellahn." Jahrb. 41, S. 177 ff.
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Die elf eingepfarrten Dörfer waren für jene Zeit, 50 Jahre nach dem 30jährigen Kriege, recht gut bevölkert, und das Handwerk befand sich in ihnen im frischen Aufblühen.

1) Das Kirchdorf Vellahn , früher ritterschaftlich 1 ), wie alle übrigen Dörfer der Gemeinde, seit 1403 aber völlig herzoglich, besaß einen kleinen Hof, auf dem sich die herrschaftliche Schäferei unter dem "Schäfer=Verwalter" Hans Dittmann befand. Auf dem Hofe wohnten 1703 nur 10 confirmirte Personen; im Dorfe Vellahn aber 11 Hüfner oder Hauswirthe, 4 Kossaten und mehrere Handwerker und andere Einwohner. 1710 wurden nach den Acten über die Feldvermessung schon 13 Bauer= und 5 Kossatenstellen bebaut, und doch gab es dort noch 4 wüste Hauswirths= und 4 wüste Kossatenstellen. In Folge der Feldvermessung wurden eingerichtet und auch besetzt: 1 Dreiviertelhufe (die Schulzenstelle), 17 Halbhufen, 5 Viertelhufen und 4 Kossatenstellen. Das Handwerk war durch 3 Schneider, 2 Schuster, 1 Rademacher und 1 Böttcher (der 1703 im Prediger=Wittwenhause wohnte) vertreten. An Arbeit scheint es den Handwerkern nicht gefehlt zu haben, denn die meisten hielten sich einen Gesellen und einen Lehrjungen zugleich; der Schneider Brockmöller hatte neben einem Schneidergesellen sogar noch einen Tischlergesellen, der freilich sein Sohn war. Nur "Meister" Rahtke hatte wohl wenig Arbeit; er ging in die Häuser Anderer und besserte dort die Kleider aus. Der Schuster Langheim war nicht Unterthan des herzoglichen Amtes, denn er bewohnte eine nach Gresse gehörige Büdnerei, auf dem jetzigen Antheil des ritterschaftlichen Amtes Boizenburg in Vellahn. Langheim zeichnete sich durch seine vornehme Verwandtschaft vor den übrigen Dorfbewohnern aus. Es hielt sich öfter bei ihm der meklenburgische Lieutenant, spätere Hauptmann Langheim auf, auch mit der Frau, und letztere beide sind in Vellahn gestorben. Bis 1706 hatte Vellahn auch einen Dorfbarbier, der zugleich Krüger war, und 1710 siedelte sich dort sogar ein Kaufmann (der Viertelhüfner Jürgens) an. Ein Krüger genügte aber schon damals den Vellahnern lange nicht, daher hatte neben dem Barbier noch ein anderer Einwohner eine Krugwirthschaft, und auch der herzogliche Zollpächter "Monsieur" Milatz schenkte


1) Die Behauptung von Lisch (Jahrb. 41, S. 182), daß Vellahn "immer landesherrliches Eigenthum" war, ist eine irrige.
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Bier 1 ). Wie damals gewöhnlich in den Bauerdörfern, wohnte hier für die Dorfherden ein Kuhhirt und ein Schweinhirt, doch kein Schäfer wie anderswo.

Zu Vellahn gehörte damals wie noch jetzt ein Ausbau: die Stoltenau, wo neben einem Kossaten ein Schmied und ein Müller (Meister Barkholt von der Brokmühle) 2 ) wohnten.

Im Ganzen waren 1703 in Vellahn mit der Stoltenau und der Brokmühle 31 Haushaltungen, 33 Familien und 137 Beichtkinder, also etwa 200 Seelen 3 ) (1880: 684 Seelen). Ein solcher Ort mußte in einer Gegend, wo Städte nicht nahe liegen, eine große Bedeutung haben, und daher hatte er auch das Recht, jährlich drei Jahrmärkte abhalten zu dürfen.

2) Kloddram , im Besitze des Majors v. Bülow. Auf dem Hofe wohnte der Pächter "Herr" Wichmann, dessen Wirthschaft nur klein war, da er nur 2 Knechte und 2 Mägde im Dienst hatte; seine Feldwirthschaft mußten freilich die Bauern zum größten Theil besorgen. Im Dorfe wohnten 5 Hüfner, 9 Kossaten, 1 Schneider, der zugleich Krüger war, 1 Ziegler, 1 Schmiedegesell, 1 Tischler (seit 1713), 1 Vogt, 2 Tagelöhner und die 3 üblichen Dorfhirten.

Auf dem Kloddramer Felde befand sich eine Glashütte, die in ihrem Betriebe nicht unbedeutend erscheint. Der Besitzer derselben war ein "Kaufmann" Müller, welcher sicher in guten Verhältnissen lebte, da er sich eine zahlreiche Dienerschaft hielt und seine Kinder von einem studirten Hauslehrer unterrichten ließ. Die Hütte beschäftigte 1703 13 Gesellen,


1) Peter Milatz aus Vellahn, "welcher sich etzliche Jahr in dem Kriegswesen gebrauchen lassen", erhielt 1652 die Erlaubniß, an der Stelle des 7 Jahre vorher abgebrannten Zoll= und Krughauses Oevelgonne auf eigene Kosten sich anzubauen, und zugleich die Berechtigung, den Zoll einzunehmen, Bier und Branntwein zu schenken und "Hakwaaren" zu verkaufen, "wie vormals gewesen".
2) Diese Mühle heißt jetzt die Bruchmühle; sie liegt südlich von der Stoltenau, nicht weit von dem Schnittpunkt des Weges von Jesow nach Dammereez und der Brahlstorfer Chaussee. Sie ist seit 1680, wo sich (am 8. November) "Hanß Barcholt" mit "Cathrina Meyers", der Tochter des am 20. August desselben Jahres begrabenen Müllers Meyer verheirathete und in Folge dessen die Mühle übernahm, im Besitze der Familie Barckholtz.
3) Das Beichtkinder=Verzeichniß von 1703 führt 129 Beichtkinder auf, zählt aber den Pastor und den Küster mit ihrem Hausstand nicht mit. Man darf diese beiden Familien wohl zu 8 erwachsenen Personen veranschlagen. Die Zahl der nicht confirmirten pflegt fast halb so groß zu sein wie die der confirmirten Bewohner.
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von denen 9 verheirathet waren, und 2 Lehrjungen; 1708 wohnte auf der Glashütte auch ein "Schuldiener" (Schullehrer).

3) Jesow . Auf dem Hofe (Besitzer 1701 Lieutenant Reibitz) wohnte der "Hofmeister" mit 4 erwachsenen Personen, im Dorfe 3 kleine Hüfner, 13 Kossaten, 1 Krüger, 1 Kuhhirt und bis 1703 auch 1 Zimmermann.

4) Melkhof . Der "adelige" Hof wurde bewohnt von der Frau Oberstin v. Pentz, welche in ihrem Dienst 1 Schreiber, 1 Kutscher, 1 Bauknecht, 2 Jungen und 5 Mägde hatte; das Dorf hatte 7 Hüfner, 6 Kossaten und 9 andere Einwohner: 1 Müller, 1 Schmied, 1 Schützen (Jäger), 1 Maurer, 1 Vogt, 4 Hirten (1 Hofkuhhirten und 1 Dorfkuhhirten).

5) Langenheide . Hier befand sich ein kleiner Meierhof, auf welchem der Kuhhirt wohnte. Die 6 Bauern und 2 Kossaten hielten sich einen Kuhhirten und einen Schweinehirten, aber keinen Schäfer. Die Beichtkinder=Specification von 1703 führt hier auch einen Holländer (Holländerei=Pächter) auf, in den anderen Dörfern der Gemeinde nicht, obgleich auch anderswo, wie sich nachweisen läßt, schon damals Holländer wohnten.

6) Garlitz . Ein adeliger Hof oder eine Meierei war hier nicht angelegt; im Dorfe wohnten 6 Bauern, 2 Kossaten und 1 Schullehrer (sicher 1712).

7) Düssin . Hier wohnte die Frau Hauptmann v. Pentz mit 3 Töchtern und Dienerschaft: 1 Schreiber, 1 Jungen zum Aufwarten, 2 Kleinmädchen, 1 Köchin, 1 Hausmagd, 2 Baumädchen und 1 Baujungen. Bauern waren 6, Kossaten 7 vorhanden, und von anderen Bewohnern finden sich 1703: 1 Krüger, 1 Leinweber (mit 1 Gesellen), 1 Tischler, 1 Schütze, 1 Gärtner und 4 Hirten; später zog auch 1 Schmied, 1 Rademacher und 1 Schneider zu.

8) Brahlstorf . Auf dem Hofe wohnte der Besitzer Oberst v. Oertzen mit Frau und Töchtern und zahlreicher Dienerschaft; im Dorfe 10 Hüfner, 7 Kossaten und 12 andere Einwohner. Hier befanden sich zwei Mühlen; die eine, die "Boltenmühle", nach einem früheren, 1698 verstorbenen Müller Bolt benannt, war eine freie Erbmühle und im Besitze des Hüfners und Müllers Lübcke, die andere, die Junker= oder Hofmühle genannt, wurde von dem Besitzer des Gutes verpachtet. Die "Junkermüller" wechselten daher

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häufiger. Ein Krüger und die gewöhnlichen Handwerker waren vorhanden, der Rademacher war einer der Hüfner.

9) Dammereez . Der kleine Hof wurde von einem "Verwalter" bewohnt; in dem großen Bauerdorfe wohnten 12 Hüfner, 11 Kossaten, 1 Krüger (1711), 1 Tischler, 1 Leinweber und 2 Hirten. Die im 17. Jahrhundert oft genannte "Nachtgahlen"= Mühle scheint um 1700 schon eingegangen zu sein.

10) Banzin . Der Hof war einem "Verwalter" übergeben, der nur wenig Dienstboten hielt; das Dorf bewohnten 8 Hüfner, 7 Kossaten und 4 andere Einwohner (kein Handwerker und kein Krüger genannt).

11) Marsow . Der Hof und ein Theil des Dorfes gehörten dem Obersten v. Zülen, von den 11 Bauern einige dem Baron v. Lützow, 1 der Kirche, 2 der Pfarre zu Vellahn; Kossaten wohnten hier 3, von Handwerkern 1 Leinweber und 2 Zimmerleute und außerdem 3 Hirten.

Nach Ausweis des alten Vellahner Kirchenbuchs waren in allen Dörfern außer Jesow, Langenheide und Marsow schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts Ortsschulen errichtet, in Kloddram sogar 2 (eine auf der Glashütte). Da die Specification der Beichtkinder von 1703 den Pastor und die Schullehrer nicht mit aufzählt, so können wir zu der Summe der dort angegebenen Beichtkinder (758) für den Hausstand des Pastors und der 9 Schullehrer etwa 32 hinzuzählen und kommen darnach auf die Zahl 790. Die ganze Seelenzahl für die Gemeinde Vellahn, die (nicht confirmirten) Kinder eingerechnet, dürfte mithin 1703 etwa 1100 betragen haben. Die Volkszählung von 1880 ergab für dieselben Ortschaften, d. h. für die Kirchspiele Vellahn und Melkhof, 2689 Seelen.

Das stabilste Element in der Gemeinde sind natürlich die Bauern; die Namen der Verwalter, Schulmeister, Handwerker und Schäfer wechseln öfter, auch haben die meisten nicht die in der Gemeinde gewöhnlichen Familiennamen; am sichersten ist aber der Zuzug aus der Ferne von den Glashüttengesellen aus ihren fremden Namen zu schließen. Die Dienstboten, welche sich die Bauern halten, sind meistens ihre eignen Kinder; zum Theil sind dieselben verheirathet.

Die Ehen werden meistens innerhalb der Gemeinde, doch nicht grade häufig innerhalb desselben Dorfes geschlossen.

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Aus den Taufregistern läßt sich nach der Wahl der Taufzeugen einigermaßen ersehen, wie die einzelnen Stände sich ihren Verkehr suchten, und welche Rangverhältnisse sich gebildet hatten oder bildeten.

1) Die niedrigste Klasse sind die Bauern, Handwerker, Schulmeister und Dienstboten, etwas erheben sich über diese schon die Schäfermeister; 2) dann stehen eine bedeutende Stufe höher die Schreiber, Verwalter, der Zollpächter und der Kaufmann Müller; dieselben werden meistens Monsieur, auch wohl gar Herr genannt. Darauf kommt 3) der Pastor, "Ehren=Pastor", und hoch über allen stehen 4) die adeligen Mitglieder der Gemeinde, die "wohlgebornen" oder "hochwohlgebornen Herren und Frauen". Die Taufzeugen der letztgenannten sind immer Adelige; der Pastor wählt sich zum Theil auch diese Klasse, oder er sucht sich Pathen aus den Familien seiner Amtsbrüder oder aus seinen Verwandten. In der hier mit 2 bezeichneten Klasse verschafft man sich immer möglichst standesmäßige Taufzeugen, oft aus fernen Gegenden. In dem niedrigsten Stande bildet sich sehr deutlich eine Gesellschaft heraus, die etwas höher hinaus will. Sie bleibt meistens unter sich oder sieht zu, daß sie mit Vornehmeren zusammenkommt. Zu diesen Leuten zählen einige Bauern, z. B. der Schulze Brockmöller zu Vellahn, einige Handwerker, vorzüglich Müller und Schmiede, und auch der eine oder der andere der Schulmeister, vor allem der Küster Gering zu Vellahn. Sie nehmen gern den Herrn Verwalter oder doch wenigstens den Monsieur Schreiber zum Gevatter, auch wohl den Kaufmann Müller und den Zollpächter. Aber die Verwaltersfrau Lucie Wichmann ist als Gevatterin am meisten begehrt, daher denn die vielen Lucien (im Volksmunde Ciek genannt) in der Vellahner Gemeinde. Natürlich bat der Kutscher oder der Vogt seinen Herrn, weil er dabei seinen Vortheil im Auge hatte, und ebenso ist die Gevatterschaft des Kaufmanns Müller bei allen Kindern der Hüttengesellen zu erklären. Wie aber wohl der Vogt von Düssin seine Tochter rief, die nach der Frau v. Pentz Gertrud Eleonore hieß? Angenehm berührt die Beobachtung, daß unter den Handwerkern gleicher Profession der Brodneid die Freundschaft nicht beeinträchtigte; man findet grade bei ihnen viele Beweise freundschaftlichen Zusammenhaltens.

Für die letzte Zeit des 17. Jahrhunderts kann man es nachweisen, daß der Hang zu Gelagen und Schwelgereien in der Vellahner Gemeinde ebenso groß war wie anderswo,

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für den Anfang des 18. Jahrhunderts fehlen wenigstens die Beweise; möglich, daß die "Polizei=Ordnungen" hier eine heilsame Wirkung geübt hatten. Aber die vielen Krüge mußten für Trinklustige eine große Verführung sein. Ein Fall von unsolidem Wirthshausleben liegt uns vor. Der Pastor Dolch klagte 1710 dem Herzog, daß die beiden Krüger Abel und Schultze zu Vellahn am Sonntag oft unmittelbar vor und nach der Predigt das Haus voller Gäste hätten, die dann so viel Bier tränken, daß sie in aufgeregtem Zustande lauten Lärm machten und die Ruhe des Feiertags störten. Er nennt dann als passionirte "Säufer" die beiden "lediglosen" Männer Mahncke und Brockmöller, die oft vom Sonntag=Mittag bis Montag=Mittag im Kruge tobten, und den Knecht Schwenke, der im Kruge sein "Futterhemd" vom Leibe verspielt hätte. Der Pastor schlägt als Züchtigung dieser Ausschreitungen "die Karre" in Dömitz und den Militärdienst vor.

Das kirchliche Leben in dieser Zeit erscheint fast musterhaft. In der Kirche zu Vellahn wurde alle Sonntage gepredigt, zu Marsow alle 2-4 Wochen, in der Kapelle zu Banzin hingegen nur an den Aposteltagen. Die Kirche war immer voll Andächtiger, auch die Marsower und Banziner gingen, wenn in ihren Dörfern nicht Gottesdienst war, alle Sonntage in die Vellahner Kirche. Daher reichte auch das schon etwas schadhafte Gestühl zu Sitzplätzen bei weitem nicht aus, obgleich im Jahre 1700 acht neue Stühle für die Glashütter gebaut waren. Die Gemeinde stand immer in großen Schaaren in den Gängen und um den Altar herum, so daß die Adeligen nach Aussage des Pastors Dolch nicht mehr zum Abendmahle gehen wollten, weil sie beim Durchdrängen durch die Umstehenden in ihrer Andacht gestört würden. Dolch bat daher den Herzog, daß der Adel in der Woche oder sonst am Sonntag nach dem Gottesdienst (also nicht publice) communiciren dürfe, damit die "personae honestiores bei dem nothwendigen Herumdrängen und Aufsehen unter den gemeinen Leuten nicht aus ihrer heiligen Andacht kämen". Seine Bitte wurde ihm 1708 gewährt. Zum heiligen Abendmahl ging man zweimal im Jahr, und außerdem die Brautleute kurz vor dem Eingehen der Ehe.

Wann die Kinder getauft wurden, ist speziell aus dieser Gemeinde für unsere Zeit nicht bekannt; es wird aber sicher ebenso wie anderswo am 3. Tage nach der Geburt geschehen sein. Wie sehr man darauf hielt, die Kinder möglichst früh

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zur Taufe zu bringen, ersieht man daraus, daß der Bauer Kaast aus Garlitz im December 1708, da man wegen des schlechten Wetters nicht nach Vellahn kommen konnte, sein Kind in dem näher gelegenen Lübtheen taufen ließ. Taufzeugen waren für jedes Kind in allen Fällen drei; jeder Täufling erhielt nur einen oder höchstens zwei Vornamen. Uneheliche Kinder wurden verhältnißmäßig wenige geboren, in der Regel sind es nur 1, 2 oder 3 von 40-70 Kindern im Jahr. Der Pastor Rantz nennt sie unechte Kinder, aber sein Nachfolger Dolch hat für dieselben schärfere Ausdrücke. Die Eltern eines unehelichen Kindes mußten öffentlich Kirchenbuße thun, wenn sie wieder zum Abendmahl zugelassen werden wollten. Diese Buße bestand in dem Sitzen auf der Sünderbank in der Kirche während des Gottesdienstes. Nach den vielen Bittgesuchen um Erlaß der Buße kann man annehmen, daß dieselbe große Furcht einflößte. Nach der "Neuen Erläuternden Kirchenordnung" war eine Begnadigung durch den Herzog "in simplici stupro" allerdings möglich, aber der Herzog Friedrich Wilhelm begnadigte selten, "weil die Kirchenbuße Niemandem zur Verkleinerung seiner Ehre gereichet, sondern zur Aussöhnung mit der durch des Büßenden Begangenschaft geärgerten Gemeinde abzielet". Aus der Zeit des Herzogs Karl Leopold liegen uns zwei Fälle von Begnadigungen vor. 1722 erlangte der Erbmüller Lübcke gegen Zahlung von 4 Rthlrn. für seine gefallene Tochter Ann Trien Erlaß der Kirchenbuße. Die Eltern baten die Sühne durch Geld leisten zu dürfen, "weil sie Leute wären, die in Aemtern und Gilden ständen, und weil die Kirchenbuße ihrer Tochter bei deren künftiger Verheirathung Schaden thun möchte, auch sie ohnehin genug Elend erduldet". 1726 bat v. Bülow auf Kloddram, daß die bei ihm dienende Amme ohne vorherige Kirchenbuße zum Abendmahl gehen dürfe, "weil die Aufregung (beim Sitzen auf der Sünderbank) seinem Kinde bei dessen Zärtlichkeit schaden möchte". Schuster Langheim's Tochter suchten die Eltern vergeblich durch die Behauptung zu befreien, daß dieselbe gewaltsam zu Fall gebracht sei.

Die vorliegenden Gesuche um Dispensation vom Verbot der Ehe wegen zu naher Verwandtschaft wurden alle abschläglich beschieden.

Ein abscheuliches Verbrechen ereignete sich leider im Jahre 1708. Es wurde in der Nacht vom 1. zum 2. November der Gotteskasten in der Kirche aufgebrochen und das

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Klingbeutelgeld, das seit Ostern gegeben war, weggenommen. Die Diebe, von denen nicht erwiesen ist, daß sie zur Vellahner Gemeinde gehörten, waren in's Fenster gestiegen.

Zum Schlusse möge hier noch eine Notiz aus dem Kirchenbuche gegeben werden, die eine Heldenthat berichtet.

"1718, 3. Maji, Liesch Dorthie Schliesch, des Müllers zu Brahlstorf Jochim Meyer's Stieftochter (begraben), welche leider, da sie ihre Schwester, welche sich gebadet, aus der Wassernoth erretten wollen, elendiglich ertrunken." Die verunglückte Schwester wurde gerettet.

Wenn die obige Schilderung eine Vorstellung von dem Zustande der Gemeinde Vellahn kurz nach 1700 möglich macht, so giebt sie zugleich ein Bild der damaligen Zustände unsers Vaterlandes überhaupt: die meisten hier gegebenen Verhältnisse kehren überall wieder.

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