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VI.

Der Leibarzt Dietrich Ulsenius.

(zu Jahrb. XXXIX, S. 53 ff.)

Vom

Gymnasialdirector Dr. K. E. H. Krause.


U eber die Vorgeschichte des Dietrich Ulsenius läßt sich aus dem Sammelbande des bekannten Humanisten und Arztes Dr. Hartmann Schedel in Nürnberg einige Kenntniß erlangen, den Dr. Anton Ruland aus der königl. Hof= und Staatsbibliothek zu München im "Serapeum" 1855, Nr. 11 ff. beschrieb.

Die Abschriften, welche Ulsenius betreffen, folgen auf Schedel'sche Eintragungen von 1496 und 1498 und vor einer von 1500; jene werden also auch, da sie älter sein müssen, als Schedel schrieb, in die Zeit der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts gehören. Der gelehrte Sammler copirte aber die folgenden Gedichte (vergl. Serapeum l. c. S. 170 f.):

A. Hegius ad librum T. Ulsenii medici et poetae,
Th. Ulsenius A. Hegio Daventriano Ginasiarchae,
Ad. P. Bonomum T. Ulsenius,
Ad T. Ulsenium P. Bonomus,

ferner eine Zuschrift an Georg Truchseß von Waldburg:

"Georgio Truchsess, Religioso Patri et Fratri",

der eine poetische Erklärung seines Wappens gewünscht hatte. Ulsenius giebt diese in 3 Distichen und erklärt den Namen Truchseß von "Drucths, Essen", als Dapifer, während Archimagiros, Archidapifer oder Architruchsess der Pfalzgraf am Rhein sei. Das nicht datirte Schreiben unterzeichnet er: Th. Ulsenius tuus.

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"Erratum ni semper eas, mi chare Georgi,
Theutonibus dru o chses est Latiis dapifer."

Im Serapeum ist der ganze Brief abgedruckt.

Ob die gleich darnach von Schedel abgeschriebenen Stücke: "Querela Reginae Franciae viduae" und "Ad Lectorem" auch dem Ulsenius zuzuschreiben seien, bleibt fraglich; dann folgt aber:

"Theodorici Ulsenii inscriptio libro de pacientia facta", und nach einer "Spielerei auf einige Medicamente" erwähnt Ruland noch (ich weiß nicht, ob es dazu gehören solle):

"Brodium Hartmanni simulat scienciam Theodorici blandore" etc.

Aus dem letzteren, nicht ganz verständlichen Satze erhellt wenigstens die Freundschaft zwischen Schedel und Ulsenius; den Georg Truchseß, dessen Titulatur rel. pater et frater auf einen Abt oder Ordensprovincial zu weisen scheint, kann ich nicht genauer bestimmen. Die gegenseitige Ansingung mit Hegius, dem berühmten Rector der Deventer'schen Schule, könnte andeuten, daß Ulsenius den Unterricht dieses Mannes genossen habe. Da Schedel vieles Gedruckte abschrieb, können die oben angeführten Gedichte aus den mir nicht zugänglichen, von Blanck, Mekl. Aerzte S. 4, erwähnten Elegiae et epigrammata stammen. Nach dem Sprachgebrauch jener Zeit ist der "Liber de pacientia" nicht von Ulsenius, sondern er hatte nur eine vorzudruckende empfehlende poetische Epistel dazu verfaßt. Peter Bonomus aus Triest war kaiserlicher Protonotar und poeta laureatus, der Epistolae und Epigrammata herausgegeben. Vergl. Jöcher. Es fällt auf, daß Boger, der doch der fürstlichen Familie, namentlich Herzog Erich, so nahe stand und fast alle berühmten Rostocker und Norddeutschen mit lateinischen Gedichten beglückte, namentlich auch Lübeker, mit dem berühmten Arzte und Poeten Ulsenius nicht in Verbindung getreten zu sein scheint, obwohl dieser schon ein Jahr vor Bogers Tode von dem meklenburgischen Hofe und speziell dem kranken Herzoge Erich herangezogen war. Das Epitaphium auf den 1503 1 ) verstorbenen Herzog Magnus wird erst nach Bogers Abscheiden von Ulsenius verfaßt sein, da die Anspielung darin auf die Judenver=


1) Nach den Genealogien, auch im Staatskalender, am 20. November. Marsch. Thur. (Jahrb 39, 57) nennt aber X kal. December = 22. November. - Vergl. oben S. 08 und 82.
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brennung zu Sternberg sich direct auf das diese That verherrlichende Boger'sche Gedicht zu beziehen scheint.

Auf zwei Versen dieses Epitaphs, das freilich ein Arzt verfaßte, aber nicht der behandelnde, auch nicht einer, der den Kranken sah, beruht die im Jahrb. 39, S. 50 ausgesprochene Ansicht, daß Herzog Magnus am orientalischen Aussatz, der lepra, gestorben sei. Es sind die Verse:

"Nam dum saeva lues toto grassatur in orbe
Lichnica, crustosis ulcera stigmatibus."

S. 52 desselben Bandes (unten) wird dieser Aussatz auch vermuthungsweise als Herzog Erichs Krankheit genannt.

Die Lues lichinica etc. wird durch "räudiger Aussatz" und "ansteckende Räudigkeit" wiedergegeben; was die ohnehin völlig unsichere Diagnose jener Zeit darunter verstand, ist aber durchaus nicht sicher. Daß damals, im Anfange des 16. Jahrhunderts, die lepra als saeva lues über den Erdkreis, oder nur Europa, gelaufen sei, davon ist meines Wissens nirgends die Rede. 1495 giebt Hartmann Schedel an: "dum pestis apud austriam, bohemiam, bajoariam fimbrias suas extendit" (Serapeum l. c. 162), und Wilibald Pirkheimer schrieb im October 1494 "a Ticino": "cum quotidie totam ferme Germaniam pestilenti lue infectam esse audio" 1 ) (Serap. l. c. S. 163). Diese Pest oder "lues" von damals, während deren Wüthen in Süddeutschland Schedel und Ulsenius in Nürnberg Waren, vermag ich aber nachzuweisen. Am Main wurde in derselben Zeit geschrieben, wie ich im Jahrb. des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 4, S. 95 (vergl. 5, 190) mittheilte:

Planta surrexit mortis, quam medici sie vocabant,
Nomen ejus Poccas . . . . .
At vulgus vulgo vocavit malefranzosa,
Nomen indens ei regis a Franciae terra.

Im Wolfgangk Hamer'schen Holzschnitt des Heiligen Minus, der gegen diese Seuche schützen sollte, sind die Anbetenden deutlich Pockenkranke, und die Unterschrift nennt ebenfalls "mala frantzosa" "die grausamlich Kranckheit der blattern".

Auch in den Halberstädter Bruchstücken des 15. Jahrhunderts in demselben Jahrb. f. niederd. Sprachf. 3, 64


1) Von einer Pest unter den Franzosen in Italien schreibt er nichts.
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und 65 wird die Krankheit genannt (angeblich nach einer in Frankreich gefundenen Schrift von 204 p. Chr.): "mala francosa" und "de bleddern Sti Job." - "de is seker vor den bladdern genant Jobs bleddern edder mala frantzosa" - "hef up disse plage der bladderen, mala franzosa genant, unde lat mik armen sunderinnen nich beflecket werden".

Ich denke mir, es sei klar: die Pest der neunziger Jahre war eine bösartige Pockenseuche, welche über Europa sich ausbreitete; sie wird 1496 die Franzosen in Neapel decimirt haben, nicht die Syphilis; und sie, wähnte man, sei aus der neuen Welt gekommen, d. h. doch nur: durch die Spanier verbreitet! So sagte Sebastian Franck (aber ad a. 1491), so die Hamburger Chronik bei Lappenberg, S. 414, welche a. 1498 das erste Auftreten "der grusamen plage", "de men de Franzosen nomet", angiebt. Damals muß sie sich also in Norddeutschland verbreitet haben.

Auf sie wird vermuthlich auch die "lichnica lues" und die Geschwüre (Pusteln?) des Herzogs Magnus zu deuten sein; er starb an der damals im Norden noch unbekannten Seuche der Pocken. Daß 1503 eine Lepra=Pest über Deutschland gelaufen sei, darüber verlautet nichts; auch ist jetzt bekannt, daß die Lepra nicht ansteckt, also pestartig nicht weiterlaufen kann, wohl aber hartnäckig vererbt und daher in Deutschland und Mittel=Europa durch Isolirung in den Leprosen=Häusern und Colonien zum fast völligen Aussterben gebracht ist. Es ist daher auch schwerlich die Lepra, von der Gustav Adolf von Schweden noch 1620 sagte, daß "die böse ansteckende Krankheit, der Aussatz, auf der Seeseite, meist in Finnland" 1 ), überhandnehme, obwohl wir wissen, daß jene in Norwegen, vielleicht auch in Finnland, noch forterbt; denn gerade 1620, 1621 und 1622 raffte eben eine "Pest" in Süd=Schweden und Finnland eine Menge Menschen weg und war überaus ansteckend, so daß, als sie 1622 nach Stockholm kam, dort in diesem und dem nächsten Jahre 20000 Leute gestorben sein sollen. Auch 1625, 1629 und 1630 wüthete sie dort 2 ).

Daß die Krankheit des Herzogs Magnus bösartige, rasch hinraffende Pocken waren, geht wohl deutlich daraus


1) Geijer=Leffler Gesch. Schwedens 2, 80
2) Ebenda 2, 50 und 82. 1629 verlief sich auch die Universität von Upsala. In Deutschland wird während des dreißigjährigen Krieges einmal die "Pest der rothen Ruhr" genannt.
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hervor, daß die Ulsen'sche Grabschrift ein rasches Ende mitten in größeren Plänen, nicht ein langes Siechthum angiebt.

Gerade diese ausdrückliche Nachricht von dem schnellen Tode verbietet auch unbedingt an die heute übliche Bedeutung des damaligen Seuchennamens franca lues oder mala francosa zu denken; noch Luther bedient sich seiner in ruhiger Rede neben Pestilenz und Fieber als gleichwerthig mit "Blattern", den schwarzen Pocken 1 ). Man kannte ja freilich, wie historische Beispiele, selbst das des Kaisers Karl V., lehren, auch die andere Krankheit und verwechselte häufig beide; erst Paracelsus 2 ) scheint sie streng unterschieden zu haben. Die Spur der Verwirrung ist indessen noch im Simplicissimus zu finden, und im Italienischen kreuzten sich ebenso im vorigen Jahrhundert die beiderseitigen Namen, wahrscheinlich auch heute noch.

Vignette

1) Grimm, deutsches Wb. 4 (Weigand), 62 f.
2) Allg. d. Biogr. 12, 675 ff. v. v. Hohenheim. Vergl. übrigens auch die bekannte Schrift Ulrichs v. Hutten. Neuerdings besprach L. Conrady den Gegenstand im Anz. f. d. Kunde d. deutschen Vorzeit 28, Nr. 11.