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XLII, 4.

Quartal= und Schlussbericht

des

Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.


Schwerin, 11. Juli 1877.


I. Wissenschaftliche Tätigkeit.

Die heutige Generalversammlung des Vereins ward unter dem Vorsitze des Vicepräsidenten, Herrn Staatsraths Dr. Wetzell Exc., abgehalten.

Zunächst verlas der unterzeichnete zweite Secretair folgenden Jahresbericht:

"Wenn wir auf den Verlauf des 42. Vereinsjahres heute am Schlusse zurückblicken, so dürfen wir dasselbe als ein im Ganzen recht glückliches und für die Thätigkeit und Wirksamkeit des Vereins gedeihliches bezeichnen, während es in andern Beziehungen in der nunmehr schon langen Reihe von Jahren, welche der Verein zurückgelegt hat, keineswegs eine hervorragende Stelle einnimmt, weder durch eine Vermehrung der Mitgliederzahl noch durch bedeutende Bereicherungen unserer Sammlungen oder durch wichtige Entdeckungen auf unserm Arbeitsfelde. In ersterer Beziehung ist sogar bedauerlichst zu constatiren, daß die Zahl unserer ordentlichen Mitglieder, welche am Schlusse des vorigen Jahres auf 272 angegeben ward und in Wirklichkeit 271 betrug, im Laufe des 42. Vereinsjahres auf 262 heruntergegangen ist. Nämlich außer den in den drei früheren

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Quartalberichten aufgeführten dreien ist nur noch ein neues Mitglied zu nennen, Herr Archivassistent Saß hieselbst. Dagegen haben wir sechs ordentliche Mitglieder durch den Tod verloren, nämlich die Herren Gutsbesitzer Maue auf Gr.=Siemen, Hofbuchdrucker Dr. Sandmeyer hieselbst, Regierungsrath Dr. Prosch, Landrath v. Rieben auf Galenbek und im letzten Quartal den Herrn Kaufmann Wilh. Dumrath zu Rostock († 18. April) und Herrn Grafen Ludwig v. Blücher († zu Wiesbaden am 15. Mai); und zu den sechs Mitgliedern, welche bis Ostern ihren Austritt angezeigt hatten, ist seitdem noch Herr Hofrath Müller, Bürgermeister zu Penzlin, hinzugekommen. Es steht also dem Beitritt von nur vier Mitgliedern der Verlust von dreizehn gegenüber.

Von unsern 56 correspondirenden Mitgliedern sind, wie schon in den früheren Quartalberichten gemeldet ist, zwei gestorben, nämlich die beiden Geh. Regierungsräthe Pertz und v. Quast. Dagegen sind Herr Lorange, der Conservator am Museum zu Bergen in Norwegen, und in der letzten Vorstandsversammlung unser berühmter Landsmann, der durch seine Ausgrabungen von Troja und Mykenä um die Archäologie hochverdiente Dr. Heinrich Schliemann, wiederum in die Zahl der correspondirenden Mitglieder aufgenommen, welche zur Zeit also wiederum 56 beträgt.

Unter den Geschichtsvereinen und Instituten, welche mit uns in Correspondenz und Schriftenaustausch stehen, hat einer, der historische Verein zu Münster, seine Auflösung angezeigt; dagegen ist ein neuer Schriftenaustausch angeknüpft mit dem Oldenburgischen Landesverein für Alterthumskunde, mit der Norwegischen Alterthums=Gesellschaft und mit dem Königl. Norwegischen Reichs=Archiv zu Christiania.

Rücksichtlich unserer neuen Erwerbungen für die Sammlungen des Vereins habe ich aus dem letzten Quartal keine neue Eingänge für die Alterthümer=Sammlung zu erwähnen. An Münzen waren uns bis Ostern 27 Stücke zugegangen; einige neuere werden im nächsten Quartalbericht zur Anzeige kommen. Die Bildersammlung hat einen Zuwachs von 40 Blättern erhalten; darunter sind die neuerdings von Herrn Dr. Crull zu Wismar geschenkten acht Blätter und eine vom Herrn Gastwirth Stern hieselbst geschenkte Photographie des langjährigen Vorstehers der Sammlung, des weil. Herrn Architekten Stern, bereits eingerechnet. (S. Anlage A.)

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Die Urkundensammlung des Vereins beschenkte Herr Gutsbesitzer Glantz auf Wölzow mit einer Originalurkunde auf Pergament aus dem Jahre 1618, den Ehepacten zwischen Katharine Elisabeth, einer Tochter des Herzogs Augustus von Braunschweig=Lüneburg, postulirten Bischofs des Stifts Ratzeburg, und Jürgen v. Lützow auf Wölzow.

Die größte Vermehrung hat auch in diesem Jahre die Vereins=Bibliothek aufzuweisen, nämlich 157 Nummern, von denen, wie Anlage B. nachweist, 43 auf das letzte Quartal entfallen. Die meisten derselben sind die durch Austausch gewonnenen auswärtigen Vereinsschriften; die Zahl der Meclemburgica beträgt nur 15.

Erscheinen nun in dieser statistischen Uebersicht einige Angaben nicht eben günstig, so würde es doch irrig sein, wollte man aus denselben den Schluß ziehen, als ob das Interesse für die Bestrebungen unsers Vereins unter unsern Landsleuten matter zu werden drohete. Geringe Schwankungen in der Zahl der ordentlichen Mitglieder sind auch früher vorgekommen. Und wenn uns weniger Alterthümer als in manchen früheren Jahren zugegangen sind, so beruht dies ja zum Theil natürlich auf Zufall, weil im Laufe dieses Jahres gerade weniger Funde gemacht sind; anderntheils aber ist nicht zu verkennen, daß eben unser Verein erst den Sinn für Alterthümer erweckt hat, und dieser jetzt manchen Liebhaber von Antiquitäten zurückhält, sich seiner Schätze, deren Werth ihm nun erst erschlossen ist, zu entäußern. Dazu kommt, daß das Vorbild unsers Vereins bereits mehrere Localvereine hervorgerufen hat, die freilich manches Stück dem Untergange entreißen, andererseits aber unsers Erachtens förderlicher wirken würden, wenn sie sich auf Gegenstände beschränkten, die wirklich nur ein locales Interesse haben, dagegen solche von allgemeiner Bedeutung, namentlich heidnische Alterthümer, an die Vereinssammlung abgeben wollten. Denn viele Stücke werden erst in ihrem rechten Werthe erkannt, wenn sie in einer Sammlung von verwandten Erscheinungen ihre Stelle finden.

Wie allmählich Sinn und Verständniß für unsere Alterthümer steigt, ergiebt sich am besten aus dem Besuch des Antiquariums durch Einheimische und Fremde. Mehrere auswärtige Gelehrte, welche unsere Alterthümer im Laufe des Jahres studirten, haben wir schon früher genannt. Es sei hier nur noch erwähnt, daß auch JJ. DD. die Prinzessinnen Alexandrine und Marie von Windischgrätz am 30. April und wieder am 2. Mai d. J. sich die seltenen Schätze des

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Antiquariums eingehend erklären ließen und durch ihre Sachkenntniß, namentlich in Bezug auf die älteste Bronzezeit, die Custodin Frl. Buchheim überraschten.

Wenden wir uns nunmehr zu den Arbeiten des Vereins, so können wir erfreulicher Weise berichten, daß diese ihren ungestörten Fortgang genommen haben. Wie gewöhnlich, ward das fällige Jahrbuch, bereits der 41. Jahrgang, im Spätherbst 1876 an die Mitglieder versandt. Ebenso konnte im Frühling dieses Jahres der X. Band des Meklb. Urkundenbuches ausgegeben werden, mit welchem die zweite Abtheilung des ganzen Werkes ihr Ziel, das Jahr 1350, erreichte. Der Druck der lange entbehrten Register zu der zweiten Abtheilung, welche den XI. Band füllen werden, hat nach Ostern mit dem Ortsregister des Herrn Dr. Crull begonnen und ist bis zum 7. Bogen, etwa bis zur Hälfte, vorgeschritten; das sehr ausführliche Personen=Register, welches sich demselben anschließt, unterwirft Herr Rector Römer zu Grabow bereits einer Schlußredaction.

Endlich ist auch das neue Jahrbuch, der 42. Jahrgang, wie die Vorgänger, vom Herrn Geh. Archivrath Dr. Lisch schon soweit im Druck gefördert worden, daß der Generalversammlung 11 Druckbogen desselben vorgelegt werden können. Die erste Abtheilung, die "Jahrbücher für Geschichte", sind bereits vollendet. Sie bringen uns 1) eine kulturhistorisch sehr interessante und geschmackvoll geschriebene Abhandlung unsers fleißigen Mitarbeiters Herrn Dr. Crull über die "Frau Fineke", jene durch ihren Reichtum und Luxus der Sage anheim gefallene Katharina v. Fineke, geb. v. d. Lühe, auf Greese, welche 1540 oder 1541 gestorben ist. Als Seitenstücke zu ihrem sehr reichen Inventarium theilt 2) Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch ein Verzeichniß der baaren Kosten mit, welche das Begräbniß des Vicke v. d. Lühe auf Buschmühlen und Thelkow († 1671) verursachte, und eine Uebersicht von dem Aufwande, mit welchem der Oberst und Hauptmann Claus v. Peccatel 1605 seine Hochzeit mit Elisabeth v. Sperling auf dem Schlosse zu Ivenack begangen hat. 3) folgt eine ausführliche und frisch geschriebene Abhandlung des Herrn Ministerial=Registrators F. W. Lisch zu Schwerin über "Die Stadt Schwerin bis zum Uebergange der Grafschaft Schwerin an das Haus Meklenburg", in welcher der Verfasser, anknüpfend an Herrn Geh. Archivrath Lischens Forschungen über das Schloß und den Dom und des Referenten Forschungen über die erste Anlage von Schwerin,

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die Stadtgeschichte bis um die Mitte des 14. Jahrhunderts auf Grund des Meklenb. Urkundenbuches fortführt.

Die zweite Abtheilung bilden die "Jahrbücher für Alterthumskunde"; sie enthalten eine Reihe kleinerer antiquarischer Aufsätze des Herrn Herausgebers über neuaufgefundene Alterthümer, sowie neue Nachrichten über den Capitelsaal zu Rehna und über andere Gebäude. Doch ist diese Abtheilung noch nicht abgeschlossen.

Wenn ich nun nach der löblichen Sitte meines Vorgängers noch kurz die anderweitig erschienenen Beiträge zur Aufklärung der meklenburgischen Geschichte berühre, so kann ich das abgelaufene Vereinsjahr als ein verhältnismäßig recht ergiebiges bezeichnen. Mit Bezug auf den letzten Jahresbericht habe ich zunächst zu erwähnen, daß die dort besprochene Discussion über die prähistorischen Alterthümer des Nordens und überhaupt diesseit der Alpen, welche Herr Dr. Hostmann im 8. Bande des Archivs für Anthropologie gegen Herrn Hans Hildebrand begonnen hatte, im 9. Bande jener Zeitschrift lebhaft, mitunter sogar nicht ohne Leidenschaft fortgeführt ist. Herr Sophus Müller stellt in einer Abhandlung, betitelt: "Dr. Hostmann und das nordische Bronzealter", die Frage so: Hat im Norden ein Bronzealter existirt, eine Periode, in welcher die Bronze zu Waffen und Geräthschaften angewandt ward, das Eisen aber noch unbekannt war? Und er bejaht diese Frage, indem er annimmt, daß die alte Bronzecultur nach Dänemark - nur nicht über die Alpen - allerdings eingeführt sei, dort aber eine eigenthümliche Ausbildung empfangen habe. - Hierauf hat Herr L. Lindenschmit (S. 142) eine "Entgegnung" folgen lassen, worin er an einer Zweitheilung, einer vormetallischen und einer Metallzeit (in der Eisen und Bronze neben einander vorkommen), festhält, in der Einheit der Bronzearbeiten und der Rohheit der gleichzeitigen Töpferei aber ein unüberwindliches Hinderniß findet, den ersteren überall einen nordischen Ursprung beizumessen, und es für unmöglich erklärt, daß die feinen, "mit Gravirungen" (?) versehenen alten Bronzen ohne Stahlwerkzeuge, nur mittels des Stein= oder Bronzehammers und des Schleifsteins, hergestellt seien.-Endlich hat auch Herr Dr. Hostmann (S.185 f.) eine neue Erörterung: "Zur Kritik der Culturperioden" in demselben Bande veröffentlicht, worin er mit großem Scharfsinn besonders die technischen Schwierigkeiten gegen die Annahme Müller's hervorhebt. Die Streitfrage ist aber meines Erachtens hiermit noch nicht zum Austrag

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gekommen. Die nordischen Gelehrten haben eingeräumt, daß die ältesten Bronzen vom Auslande her eingeführt wurden; andererseits ist es ihren Gegnern aber bisher noch nicht gelungen, die eigenthümlichen Formen der ältesten nordischen Bronzen in Italien nachzuweisen; die ursprüngliche Heimath der nordalpinischen Bronzen ist noch nicht entdeckt, doch weisen viele Spuren auf eine Einführung derselben über Ungarn aus dem griechischen Culturgebiete hin. Sind sie aber von einem südlichen Culturvolke gearbeitet, so ist es fast eine müssige Frage, ob sie sich ohne Stahlwerkzeuge herstellen ließen. Uebrigens wird die Technik der ältesten Bronzen noch näher von Sachverständigen zu untersuchen sein, namentlich die Herstellung jener Ornamente, die man, wie der Augenschein zeigt, unrichtig als "Gravirungen" auffaßt. Daß Steingeräthe auch noch neben der Bronze und später neben dem Eisen fortbenutzt sind, und daß jüngere Bronzen italischen (römischen) Ursprungs zahlreich neben dem Eisen vorkommen, bestreitet niemand; aber in Hünengräbern weiß auch Herr Dr. Hostmann trotz seiner bewundernswürdigen Belesenheit nur so wenig Fälle von Eisenfunden nachzuweisen, daß diese bei der unendlichen Zahl von aufgedeckten Gräbern als verschwindend seltene Ausnahmen erscheinen, welche die Annahme eines Steinalters nicht zu erschüttern vermögen und in einer späteren, neuen Benutzung einzelner Hünengräber viel eher ihre Erklärung finden. So lange die Unterschiede der Formen und des Inhalts der Hünengräber, der Kegelgräber und der Urnenfriedhöfe nicht wegzudemonstriren sind, wird die auf langjährige und vielfältige Beobachtung gegründete Unterscheidung zwischen einer Steinzeit, einer Bronzezeit und einer Eisenzeit ihre volle Berechtigung behalten.

Die prähistorischen und überhaupt die ausgestorbenen Jagdthiere in Meklenburg hat Herr Forstgeometer Bölte in einem Vortrage auf der 4. Versammlung der meklenb. Forstmänner besprochen. Diese sorgfältige Arbeit ist hernach in dem Bericht über jene Versammlung auch gedruckt und hat verdienten Beifall gefunden. Indessen in Bezug auf seine Deutung des Stierkopfes im meklenburgischen Wappen vermag ich dem Herrn Verfasser nicht beizustimmen. Nämlich ausgehend von der Behauptung der Naturforscher, daß der Bos primigenius mehr in dem gebirgigen Deutschland, dagegen der Wisent (Bos [Bonassus] Bison) mehr in der großen germanisch=sarmatischen Ebene gelebt habe, erkennt Herr Bölte in dem Stierkopfe des Wappens einen Wisentkopf, und in dem, was man bisher

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für abgerissenes Halsfell hielt, den Bart des Wisents. Dieser Deutung steht 1) entgegen, daß hier im Lande wohl oft Gebeine vom Bos primigenius, aber noch nie vom Wisent gefunden sind, und 2) zeigen die ältesten großen Siegel unserer Fürsten des 13. und 14. Jahrh., auf denen zuerst das in Zweifel gezogene Halsfell erscheint, daß dieses der Zeichnung nach gar nicht für einen Bart gehalten werden kann.

Indem wir nun zur historischen Zeit vorschreiten, begegnen wir zuerst einem sehr umfänglichen Werke des auch sonst als Historiker bekannten Bibliotheksrathes Dr. Böttger zu Hannover: "Diöcesan= und Gaugrenzen Norddeutschlands - von Ort zu Ort schreitend festgestellt, nebst einer Gau= und einer dieselbe begründenden Diöcesankarte". In der 3. Abth., welche 1875, und in der 4. Abth., welche 1876 erschien, hat der Herr Verfasser die meklenburgischen Gau= und Bisthumsgrenzen ausführlich besprochen, und auf diese Partie beschränke ich hier, von sonstigen Bedenken absehend, mein Urtheil. Sicherlich behält dieses höchst mühsame Werk immer den großen Werth, eine unendliche Fülle urkundlichen Materials in sich zu vereinigen; aber in Bezug auf Meklenburg kann man Unkundige vor Böttger's Resultaten nur dringend warnen. Denn die von ihm gesammelten Quellenstellen sind bei weitem nicht ausreichend; er hat zur Deutung der ältesten Urkunden die späteren ganz ungenügend herangezogen und darum unbegreifliche Fehler begangen, die er leicht hätte vermeiden können, wenn er nur von dem Anhang zu meinen "Mekl. Annalen" und meinen Bestimmungen der Schweriner Sprengelgrenzen im 28. Jahrbuche, sowie von Beyer's trefflicher Abhandlung über das Land der Redarier hätte Kenntniß nehmen wollen. Um unsere Behauptung nur mit wenigen Beispielen zu belegen, so hat Böttger die Gaue der Polaben und der Circipaner bis an die Ostsee ausgedehnt, dagegen versetzt er das Kessinerland zwischen Trebel und Oder. Das Gut des Bischofs von Schwerin im Lande Müritz sucht er in Müritz bei Rostock, das Gut im Lande Warnow in Warsow bei Neukalen (III, 295); den Werder Schwerin, d. h. die Insel, auf welcher die Stadt Schwerin angelegt ward, findet Böttger (S. 290) in der Halbinsel zwischen dem Plauer See und Schweriner See, mit Alt=Schwerin, und die Insel bei Dobin (es ist bekanntlich die Lieps im Schweriner See) sucht er im Krakower See u. s. w.

Eine recht erfreuliche Bereicherung der Litteratur über unsere Wendengeschichte bietet uns dagegen Georg Dehio

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in seiner Geschichte des Erzbisthums Hamburg=Bremen bis zum Ausgang der Mission (2 Bde. Berl. 1876-77). Wie schon der Titel erwarten läßt, hat der Herr Verfasser vornehmlich der Missionsthätigkeit des Erzbisthums seine Aufmerksamkeit zugewandt und die Ergebnisse seiner gründlichen und umsichtigen Forschung mit Geschmack dargestellt. Die Wendische Missionsgeschichte ist dabei gebührend berücksichtigt, mehrere Excurse, welche zur Begründung von des Verfassers Ansichten über einzelne schwierige Fragen dienen sollen, zeugen von besonnener Kritik.

Dieselbe Zeit, namentlich Helmold's Darstellung derselben, behandelt Herr Prof. Dr. Schirren in seinen "Beiträgen zur Kritik älterer holsteinischer Geschichtsquellen" (Lpz. 1876). Dieses Buch verlangt eine ausführlichere Besprechung. Ich bitte, meine Ansicht von demselben hernach vortragen zu dürfen.

Ueber einen andern meklenburgischen Quellenschriftsteller, den Marschalk Thurius (der bekanntlich 1525 zu Rostock verstarb), verbreitet sich Herr Dr. E. Müffelmann in einer recht fleißig gearbeiteten Rostocker Inaugural=Dissertation, betitelt: "Die Reimchronik des Marschalk Thurius und ihre Quellen". Ueber die von Marschalk fingirten Ahnen unsers Fürstenhauses faßt sich Herr Dr. Müffelmann mit Recht kurz; es hieße Zeit verschwenden, wollte man für diese Partie Marschalks Quellen alle aufsuchen. Das wesentlichste Verdienst des Verfassers ist vielmehr, dargethan zu haben, daß Marschalk der Reimchronik Kirchberg's, die ihm noch lückenlos vorgelegen hat, bis zu ihrem Schlusse gefolgt ist, und daß er sie mit großer Willkür und Liederlichkeit benutzt hat. Dies warnt natürlich davor, dem Marschalk dort zu trauen, wo wir seine Quellen nicht mehr vergleichen können, also gerade in der Partie, welche für uns vornehmlich Werth haben könnte. Herr Dr. Müffelmann schließt daraus, daß Marschalk einstweilen noch in demselben Tone forterzählt, es müsse ihm eine etwa bis 1412 reichende gereimte Fortsetzung der Kirchberg'schen Chronik vorgelegen haben, und vermuthet in dieser das von Kirchberg erwähnte Herzog=Albrechts=Buch, das dann aber, als es Marschalk zu Händen kam, anderweitig fortgesetzt sein müßte. Hier wird eine spätere Untersuchung einsetzen und durch eine genaue Vergleichung mit allen urkundlichen und annalistischen Nachrichten feststellen müssen, in wie weit Marschalk in der Reimchronik und in den Annales Herulorum da, wo er zu controliren ist, zuverlässiger arbeitete, um danach zu bemessen, ob er da, wo uns das

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Material zur Prüfung fehlt, etwa Nekrologien und andere sichere Quellen gewissenhaft benutzt hat.

Unter allen neueren auswärtigen Publicationen, welche auch die ältere Geschichte Meklenburgs angehen, nehmen bei weitem den ersten Rang ein die Druckschriften des Vereins für hansische Geschichte. Die hohe Bedeutung dieser Publicationen auch für die Bestrebungen unsers Vereins darzuthun, wird sich ein ander Mal mehr Muße finden. Hier sei nur kurz bemerkt, daß außer dem jüngsten Jahrgange (1875) der hansischen Geschichtsblätter im Laufe des verflossenen Jahres der erste Band des von Dr. Höhlbaum bearbeiteten hansischen Urkundenbuches, der bis 1300 reicht, ausgegeben ist. Man muß staunen über die Energie, mit welcher der Vorstand des Vereins seine Unternehmungen fördert. Von den hansischen Geschichtsquellen sind bereits mehrere Bände erschienen, darunter bekanntlich die Wismarsche Rathslinie unsers verehrten Mitgliedes Dr. Crull. Zum Anschlusse an die Hanse=Recesse bis zum Jahre 1430, welche Herr Dr. Koppmann im Auftrage der Münchener Commission trefflich bearbeitet und bereits bis zum Jahre 1386 in drei starken Bänden der Oeffentlichkeit übergeben hat, sammelt Herr Dr. von der Ropp die Hanse=Recesse seit dem Jahre 1431, und hat 1876 bereits den ersten Band, in gleicher Weise bearbeitet, erscheinen lassen. Dieser umfaßt aber nur erst wenig Jahre; es ist daher nur sehr zu loben, daß der Vorstand des Vereins für hansische Geschichte die Sammlung und Bearbeitung der Recesse aus dem Ende des 15. und aus dem 16. Jahrhundert von Herrn Dr. von der Ropp's Schultern genommen und einem andern bewährten Forscher in der Geschichte der Hanse, Herrn Dr. Dietrich Schäfer aus Bremen, übertragen hat. Wie die Leistungen des hansischen Vereins in der Gelehrtenwelt überall laute Anerkennung gefunden haben, verdient derselbe auch in weiteren Kreisen mehr Berücksichtigung und Theilnahme, als er bei uns bisher gefunden zu haben scheint.

Der Erinnerung an Herzog Albrecht II. von Meklenburg ist, um damit die Schriften über das Mittelalter zu beschließen, ein Vortrag des Herrn Dr. C. Brecht gewidmet, gehalten im Verein für die Geschichte Berlins am 30. December 1876 über das Thema: Herzog Albrecht von Meklenburg rettet Berlin im Jahre 1319. Im engsten Anschlusse an Klöden's bekanntes Werk über den Markgrafen Waldemar erzählt der Verfasser den Zug des Herzogs nach Berlin im Jahre 1349 und erwartet von seinen Mitbürgern, daß sie diese That

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durch die Benennung eines neuen Platzes als: "Herzog=Albrechts=Platz" ehren mögen.

Den wichtigsten Beitrag zur neueren meklenburgischen Geschichte: "Die Meklenburgischen Finanzen" des Herrn Revisionsraths Balck, habe ich schon in dem 3. Quartalbericht besprochen. Zu erwähnen bleiben hier nur noch einige Beiträge zur Geschichte des Herzogs Carl Leopold. Nämlich zunächst hat Herr Professor J. G. Droysen in einer seiner "Abhandlungen zur neueren Geschichte" (Lpz. 1876) dargethan, daß die Wiener Alliance vom 5. Januar 1719 zwischen dem Kaiser, dem Könige von Polen und dem Könige von England als Kurfürsten von Hannover keineswegs, wie man nach den veröffentlichten Artikeln glauben mußte, nur den Schutz ihrer Lande zum Zweck hatte, daß vielmehr die geheimen Artikel und die Correspondenzen über das Bündniß zeigen, wie die Contrahenten es auf eine Demüthigung Preußens abgesehen hatten, und namentlich der hannoversche Minister Freiherr von Bernstorff den Plan verfolgte, "das weiße Roß bis an die Ostsee weiden zu lassen", d. h. Meklenburg für Hannover zu annectiren. Die hannoversch=braunschweigische Reichsexecution gegen den Herzog Carl Leopold im Jahre 1719 empfängt hiedurch eine eigenthümliche Beleuchtung.

Einen ferneren schätzbaren Beitrag zur Geschichte dieses Herzogs hoffte ich in einem vom Herrn Geheimen Rath Peter v. Goetze in der Russkaja starina veröffentlichten Aufsatze zu finden. Doch ergab sich aus einer gütigen Aufklärung des Herrn Verfassers und aus einem von ihm eingesandten Separatabdruck, den Herr Hauptmann Baron von Langermann = Erlenkamp die Freundlichkeit hatte aus dem Russischen zu übersetzen, daß diese Abhandlung nur einen Auszug giebt aus den ungedruckten, aber in mehreren Abschriften vorhandenen Briefen des ritterschaftlichen Agenten v. Beehr an den Baron v. Bernstorff über den Herzog Carl Leopold, die noch einer genaueren Kritik rücksichtlich ihrer Glaubwürdigkeit zu unterwerfen sind.

Von großem Interesse sind dagegen die vom Herrn Professor Brückner zu Dorpat ursprünglich in der "Russischen Revue" veröffentlichten Artikel, die dann auch unter dem Titel: "Die Familie Braunschweig in Rußland im 18. Jahrhundert" zu Petersburg in einem besonderen Abdruck erschienen sind. Sie geben uns sehr ausführliche Nachrichten über die unglückliche Tochter des Herzogs Carl Leopold, Elisabeth (Anna) Leopoldowna, Gemahlin des Herzogs

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Anton Ulrich von Braunschweig, namentlich auch über ihre und ihrer Familie langjährige Gefangenschaft auf der Insel Cholmogory.

Schließlich mag hier noch erwähnt sein, daß die Biographie unsers Landsmannes, des Dichters Joh. Heinrich Voß, von Herbst, mit dem Erscheinen der 2. Abtheilung des 2. Bandes ihren Abschluß gefunden und die Erwartungen, zu welchen der Name des Verfassers berechtigte, auch erfüllt hat. Für uns wird der erste Band, die Jugendgeschichte des Dichters, weil sie in Meklenburg spielt, einen besonderen Reiz behalten. In einem unerfreulichen Contrast steht zu dieser ausgezeichneten Dichterbiographie die unter dem Titel: "Ein seltenes Leben, von Paul Welf" in Zürich 1876 erschienene Lebensgeschichte des Dichters Fr. W. Rogge, der bekanntlich viele Jahre in Schwerin verlebte. Doch gehen wir auf dieses Buch voll Eitelkeit, Undankbarkeit und Indiscretion hier um so weniger ein, da es wenigstens nach einer Seite hin schon die verdiente Abfertigung durch eine Brochure des Herrn Ober=Schulraths Dr. F. Schröder gefunden hat."-


Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch legte der General=Versammlung den X. Band des Urkundenbuches und den 42. Jahrgang der Jahrbücher, soweit er gedruckt ist, zur Ansicht vor.

Der Cassenführer des Vereins, Herr Hofrath Dr. Wedemeier, erstattete hierauf seinen Bericht über die Verwaltung der Vereinscasse (s. Anlage C.), aus welcher sich durch eine Vergleichung mit dem vorjährigen Rechnungsabschluß leider herausstellt, daß das Vermögen des Vereins

von ........................................... 7086 Mark  20 Pfg.
gesunken ist auf ........................ 6952     "  57   " 
----- ----- -- ---
mithin eine Verminderung von 133  Mark 63 Pfg.
eingetreten ist.  

Die Verhandlungen über das abgelaufene Vereinsjahr wurden hiermit geschlossen, das neue ward, da von den Beamten keiner sein Amt niedergelegt hatte, wie gewöhnlich mit der statutenmäßigen Wahl der vier Repräsentanten eröffnet. Die Herren Revisionsrath Balck, Ministerialrath Burchard und Herr v. Kamptz wurden wieder gewählt; als vierter Repräsentant trat Herr Rittmeister v. Weltzien hinzu. Sein Vorgänger, Herr Prorector Reitz, welcher seit 1848 alljährlich auf's Neue zum Repräsentanten erwählt war, hatte sich seines hohen Alters wegen bedauerlichst

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genöthigt gesehen, eine neue Wahl zu verbitten. Den Vorstand des Vereins bilden hiernach folgende Mitglieder:

Präsident: Herr Minister=Präsident Graf v. Bassewitz, Exc.
Vice=Präsident: Herr Staatsrath Dr. Wetzell, Exc.
Erster Secretair: Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch.
Zweiter Secretair: Archivrath Dr. Wigger.
Cassenführer: Herr Ministerial= Secretair Hofrath Dr. Wedemeier.
Aufseher der Münzsammlung: Herr Archivrath Senior Dr. Masch zu Demern.
Bibliothekar: Herr Oberlehrer Dr. Latendorf.
Aufseher der Bildersammlung: Herr Ministerial=Registrator Lisch.
Repräsentanten: die Herren

Revisionsrath Balck,
Ministerialrath Burchard,
v. Kamptz und
Rittmeister v. Weltzien.

Ferner ward Herr Archivrath Dr. Beyer, der sich durch 30jährige Führung des zweiten Secretariats und durch seine ebenso gründlichen als ansprechenden Beiträge zu den Jahrbüchern um die Bestrebungen des Vereins so hohe Verdienste erworben hat, in schuldiger Anerkennung derselben zum Ehrenmitgliede ernannt.

Ein Vortrag des Unterzeichneten über die jüngste Kritik Helmold's, welcher etwas weiter ausgeführt in Anlage D. folgt, beschloß die Verhandlungen der diesjährigen General=Versammlung.

Archivrath Dr. F. Wigger,      
zweiter Secretair des Vereins.          

Vignette
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Anlage A.
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Verzeichniß
der seit Ostern 1877 eingegangenen Bilder.


1) Von Herrn Dr. Crull zu Wismar sind dem Vereine als Geschenk übergeben folgende Bilder:

S. K. H. der Großherzog Friedrich Franz I.
Königin Louise von Preußen.
Kammerherr v. Vieregge.
Bürgermeister Haupt zu Wismar.
Bürgermeister v. Breitenstern zu Wismar.
Dr. Crull daselbst.
Professor Dahlmann.
Der heilige Damm.

2) Der Herr Hotelbesitzer Stern hieselbst schenkte:

das Porträt seines verstorbenen Bruders, des Architecten G. Stern.

F. W. Lisch.

Vignette
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Anlage B.
horizontale Klammer

Verzeichniß
der neu erworbenen Bücher.

(Ostern bis Johannis 1877)


I. Russische Ostseeprovinzen.

  1. Sitzungsberichte der gelehrten estnischen Gesellschaft zu Dorpat. 1876. Dorpat 1877. (Tauschex. der genannten Gesellschaft.)

II. Norwegen.

  1. Foreningen til Norske Fortidsmindesmaerkers Bevaring. Aarsberetning for 1846-1853. Christiania 1847-1854. 4°.
  2. Foreningen til Norske Fortidsmindesmerkers Bevaring. Aarsberetning for 1854. 1857-1875. Christiania 1855. 1859-1876. 8°.
  3. Nicolaysen, N., Register til Selskabets scrifter, derunder indbefattet aarsberetningen for 1875, i forbindelse med statistiske fundoversigter. Kristiania 1876. 8°.
  4. Norske Fornlevninger. En oplysende fortegnelse over Norges Fortidslevninger, aeldre end reformationen og henforte til hver sit sted af N. Nicolaysen. Heft I -V. Kristiania 1862-1866. 8°. (Nr. 2-5 Tauschex. von der genannten, neuerdings in Schriftwechsel und Austausch mit unserm Verein eingetretenen Gesellschaft.)
  5. Chr. C. A. Lange, Carl R. Unger og H. J. Huitfeldt: Diplomatarium Norvegicum. I, 1 -IX, 1. Christiania, 1847-1876. 17 Bände. 8°. (Tauschexemplar des k. Norwegischen Reichsarchivs zu Christiania.)

III. Niederlande.

  1. De vrije Fries. Mengelingen, uitgegeven door het friesch genootschap van geschied-, oudheid- en taalkunde. 13 Deel. Leeuwarden1876.
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  1. Verslag 48. der handelingen van het friesch genootschap over het jaar 1875-1876. (Tauschex. der gen. Gesellschaft. Mit Nr. 7.)
  2. Handelingen en medelingen van de maatschappij der nederlandsche letterkunde te Leiden over het jaar 1876. Leiden 1876.
  3. Levensberichten der afgestorvene medeleden van de maatschappij der nederlandsche letterkunde. Leiden 1876.
  4. Alphabetische lijst der leden van de maatschappij der nederlandsche letterkunde te Leiden, opgemaakt den 15 Juni 1876. (No. 9-11 Tauschex. der genannten Gesellschaft.)
  5. Vereeniging tot beoefening van overijsselsch regt en geschiedenis. Verslag van de handelingen der 38. vergadering gehouden te Zwolle den 31. October 1876. Zwolle 1877.
  6. Overrijsselche Stad-, Dijk- en Markeregten. Deel III, Stuk 10 en 11. Zwolle 1877 (Nr. 12 und 13 Tauschex. des Overysselschen Vereins zu Zwolle).

IV. Luxemburg.

  1. Publications de la section historique de l'institut royal grandducal de Luxembourg, année 1876. Luxembourg 1877.
  2. Charles de la famille de Reinach, déposées aux archives du grand duché de Luxembourg. Fasc. I. Luxemb. 1877. (Nr. 14 und 15 Tauschex. der archäol. Gesellschaft zu Luxemburg.)

V. Oesterreich=Ungarn.

  1. Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. VII. Nr. 4 und 5. Wien 1877. (Tauschex. der genannten Gesellsch.)
  2. Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie. Herausgegeben von dem Geschichtvereine für Kärnten. Jahrg. 13. Klagenfurt 1876.
  3. Carinthia, Zeitschrift herausgegeben vom Geschichtverein und naturhistor. Landesmuseum in Kärnten. Jahrg. 65.
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1875. Klagenfurt (Nr. 17 und 18 Tauschex. des gen. Vereins).

  1. Sitzungsberichte der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. Jahrg. 1876.
  2. Jahresbericht der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, ausgegeben am 12. Mai 1876.
  3. Abhandlungen der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften vom Jahre 1875 und 1876. Prag 1877. 4. (Nr. 19 und 20 Tauschex. der gen. Gesellschaft.)

VI. Allgemeine deutsche Geschichts= und Alterthumskunde.

  1. Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts= und Alterthumsvereine. Jahrg. 25. (1877.) Nr. 3 und 4. (Zwei Ex.)
  2. Literarischer Handweiser, zunächst für das katholische Deutschland. Jahrg. 16 (1877), Nr. 4-7. (Tauschex. der Redaction.)

VII. Baiern.

  1. Sitzungsberichte der philosophisch=philologischen und historischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München. 1876. Heft V. (Tauschex. der gen. Akademie.)
  2. Archiv für Geschichte und Alterthumskunde von Oberfranken. Bd. XIII, Heft 2. Bayreuth 1876. (Tauschex. des betr. Vereins.)
  3. Die Wartburg. Organ des Münchener Alterthumsvereins. Jahrg. IV, 9-12. München 1877. (Geschenk des genannten Vereins.)

VIII. Würtemberg.

  1. Korrespondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthümer in Ulm und Oberschwaben. 2. Jahrg. 1877, Nr. 3-5. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

IX. Sachsen.

  1. Vierter Bericht des Museums für Völkerkunde in Leipzig. 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

X. Preußen.

  1. Altpreußische Monatsschrift. Bd. XIV. Heft 1 und 2. Königsberg 1877. (Tauschexemplar der Alterthumsgesellschaft Prussia.)
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  1. Hensche, Dr. W., Wappen und Siegel der Königl. Haupt= und Residenzstadt Königsberg. Königsberg 1877. Fol. (Geschenk des Herrn Verf.)
  2. Schriften der naturforschenden Gesellschaft in Danzig. Bd. IV, I. Heft. Danzig 1876. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)
  3. Jahresbericht 38. und 39. der Rügisch=Pommerschen Abtheilung der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde von 1874-1877. Greifswald 1877. (Tauschexemplar der betreffenden Gesellschaft.)
  4. Pommersche Genealogien. Nach den urkundlichen Forschungen von Dr. Theodor Pyl in den Greifswalder Stadtbüchern und anderen Quellen. Herausgegeben von E. R. Schoepplenberg. Bd. 3. Die Patricierfamilie Schoepplenberg in Greifswald. Berlin und Greifswald 1878.
  5. Schoepplenberg, E. R., Die Familie Schoepplenberg. I. Berlin 1870. (Als Manuscript gedruckt.) - Nr. 33 und 34 Geschenke des Herrn Dr. Pyl.
  6. Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Jahrg. 1876. Hannover 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)
  7. Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 53. Heft I. Görlitz 1877. (Tauschexemplar der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften.)
  8. Scriptores rerum Silesiacarum. Herausgegeben vom Vereine für Geschichte und Alterthum Schlesiens. Bd. X. Breslau 1877. 4.
  9. Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens. Bd. XIII. Heft 2. Breslau 1877. (Nr. 37 und 38 Tauschexemplare des betreffenden Vereins.)

XI. Anhalt.

  1. Mittheilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. I. Heft 7. Dessau 1877. (Tauschexemplar des betreffenden Vereins.)

XII. Lübeck.

  1. Urkunden=Buch der Stadt Lübeck. Herausgegeben von dem Verein für Lübeckische Geschichte und Alterthumskunde. Theil V. Lieferung 5 und 6. Lübeck 1876. 4°.
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  1. Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. III. Heft 3. Lübeck 1876. (Nr. 40 und 4l Tauschexemplare des genannten Vereins.)

XIII. Meklenburg.

  1. Meklenburgisches Urkunden=Buch, herausgegeben von dem Verein für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. X. Schwerin 1877. 4°.
  2. Meklenburgische Siegel. Heft 2. Siegel aus den Jahren 1301-1350. Separat=Abdruck aus dem X. Bande des Meklenburgischen Urkunden=Buches. Schwerin 1877. 4°.

F. Latendorf, Dr. Oberlehrer,     
als Bibliothekar des Vereins.                 

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Anlage C.
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Auszug
aus der Berechnung der Vereins=Casse vom 1. Juli 1876 bis zum 30. Juni 1877.


Auszug aus der Berechnung der Vereins=Casse vom 1. Juli 1876 bis zum 30. Juni 1877. Einnahme - Ausgabe

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Auszug aus der Berechnung der Vereins=Casse vom 1. Juli 1876 bis zum 30. Juni 1877. Abschluß - Uebersicht des Vereins-Vermögens

Schwerin, den 30. Juni 1877.

F. Wedemeier

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Anlage D.
horizontale Klammer

Ueber die neueste Kritik des Helmold.


Möge es mir vergönnt sein, etwas genauer einzugehen auf Herrn Prof. Schirrens "Beiträge zur Kritik älterer holsteinischer Geschichtsquellen" (Lpz. 1876)! Denn hier werden nicht allein ausschließlich holsteinische Quellen einer Prüfung unterzogen, sondern der größte Theil des Buches ist der für Meklenburgs und Holsteins Geschichte gleich wichtigen Wendenchronik Helmolds gewidmet, und nebenbei werden auch unsere ältesten meklenburgischen Bisthumsurkunden berührt.

Freilich über unsere Urkunden erfahren wir hier nichts Neues. Ueber den Stiftungsbrief Heinrichs des Löwen für das Bisthum Ratzeburg vom Jahre 1158 bemerkt der Herr Verfasser S. 66: "Man braucht sich mit den wohlerwogenen Gründen Boll's nicht zu begnügen, und wird ihm doch Zustimmen"; er bestreitet nicht die äußeren Merkmale der Echtheit; aber (meint er S. 168) "in den Zeilen des Protocolls und der Disposition drängen sich - die inneren Merkmale der Lüge." Bedauerlichst hat der Kritiker sich jedoch weder herbeigelassen seine Ansichten zu beweisen, noch die Gründe zu entkräften, mit denen ich in Jahrb. XXVIII. Bolls Angriffe widerlegt zu haben glaube. In der That hilft auch kein Streiten, so lange es nicht gelingt, die Schrift und das Siegel Heinrichs des Löwen an unsern Bisthumsurkunden als unecht nachzuweisen. Und verstehen wir den Herrn Professor recht, so bestreitet er auch im Grunde nicht deren Echtheit; sondern Anstoß erregen ihm vornehmlich die im Fundationsbriefe für das Bisthum Ratzeburg gegebenen Andeutungen über vormalige Kirchenstiftungen in den Wendenlanden, die natürlich nicht durch den Namen des Ausstellers gedeckt werden, sondern ebensowohl der historischen Kritik unterliegen wie die Angaben eines Annalisten.

Wenn nun der Herr Professor schon die Originale in dieser Weise beurtheilt, so darf man sich nicht wundern, daß er (S. 106) den nur abschriftlich auf uns gekommenen Bestätigungsbrief Kaiser Friedrichs I. für das Bisthum

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Schwerin (M. U.=B. I., Nr. 91), der bisher noch unangefochten dastand, gleichfalls als eine "Urkunde von zweifelhafter Echtheit" bezeichnet. Doch giebt er wiederum seine Gründe für solche Verdächtigung nicht an, und anscheinend sind jene Worte auch nicht so ernst gemeint. Wenigstens sagt er in Bezug auf dieses Privilegium an einer andern Stelle (S. 101): "Wie lebhaft man auch für die Echtheit des Zeugnisses" (über Berno's Zug nach Rügen im Jahre 1168) "eintreten möge, man wird nicht bestreiten, daß durch den Mund des Kaisers doch auch der Bischof spricht." Das kann man natürlich zugeben, obgleich Bernos Thätigkeit dem Kaiser ohne Zweifel auch auf anderm Wege bekannt ward. Für die Echtheit oder Unechtheit der kaiserlichen Urkunde ist hieraus nichts zu folgern. Wir kommen übrigens hernach auf dieselbe zurück.

Viel wichtiger sind nun aber Herrn Prof. Schirrens Erörterungen über den Helmold. Das ganze Buch hätte auch fast den Titel tragen können: "Wider Helmold;" denn es hat vornehmlich den Zweck, diesem Geschichtschreiber alle Glaubwürdigkeit zu entziehen, und zwar nicht etwa darum, weil er leichtgläubig, unkritisch, beschränkten Geistes gewesen sei, sondern weil er mit vollem Bewußtsein, durch Entstellung der Ueberlieferungen und durch Erdichtung von Thatsachen, die Geschichte gefälscht habe, weil (S. 37) "die Geschichte der Slavenbekehrung unter seinen Händen zu einer aus Wahrheit und Dichtung gemischten Parteischrift" werde. Als Helmolds Tendenz bezeichnet Schirren (S. 79): "dem Bisthum Lübeck von den ältesten Zeiten her vor allen Nebenbuhlern den Vorrang zu sichern, in der Vergangenheit Alles, was dazu in Beziehung gesetzt werden konnte, zu verklären, zu vergrößern, in der Gegenwart Alles, was dem im Wege stand oder damit concurriren mochte, zu verschweigen oder zu verkleinern", - "Lübeck heben, Bremen zurückdrängen, Schwerin nicht aufkommen lassen." Und zwar soll Helmold damit einen praktischen Zweck verfolgt haben. "Eifersüchtiger Nachbarn", bemerkt unser Kritiker S. 79, "gab es genug. Am gefährlichsten waren die Fürsten der Obotriten -; ihre alten Ansprüche mochten einmal mit andern Waffen aufgenommen werden, und unter Umständen wurden Bischöfe und Mönche schlimmere Nachbarn als heidnische (?) Fürsten. In dieser Lage gab es für eine geistliche Macht, welcher ein eigenes Schwert nicht zur Verfügung stand, außer Gebet, Ermahnung, Drohung, Bann, nur echte oder gefälschte Ur=

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kunden, Legenden, allenfalls eine Chronik. Eine solche Chronik übernahm Helmold zu schreiben."

Diese Ansicht ist neu. Bisher galt Helmold für einen nicht gerade sehr hochbegabten und sehr scharfsichtigen, aber doch ehrlichen Schriftsteller, der in allen Fragen freilich nirgends seinen eigenen Standpunkt verhehlt, der den heidnischen Wenden gegenüber für die christlichen Sachsen Partei nimmt, in den Differenzen zwischen Päpsten und Kaisern den kirchlichen Standpunkt vertritt, in dem Investiturstreit zwischen Herzog Heinrich dem Löwen und dem Erzbischof von Bremen sich auf die Seite des Ersteren und seines lieben Lehrers und Bischofs Gerold von Lübeck stellt, der aber andererseits auch nicht unterläßt, die große Tapferkeit, die Gastfreundschaft der Wenden (I, 83), ihren Familiensinn und ihre Mildthätigkeit (II, 12) zu loben, ihre Anhänglichkeit an den von den Vätern überkommenen Glauben hervorzuheben, der sich nicht scheut, die Erfolglosigkeit der Bemühungen um ihre Bekehrung immer wieder der Habsucht der Sachsen Schuld zu geben, und der dabei auch den Herzog Heinrich den Löwen nicht mit seinem Tadel verschont, der endlich auch die Metropolitanrechte der Erzbischöfe von Hamburg über das Stift Oldenburg=Lübeck offen anerkennt.

Man hat früher Helmold wohl getadelt, daß er allzu sorglos um die chronologische Klarstellung der Thatsachen ist, daß er sich hie und da wiederholt, gelegentlich in untergeordneten Dingen sich auch einmal widerspricht. Wenn er seine Hauptquelle, den Adam von Bremen, nicht sklavisch ausschreibt, sondern hie und da einen Ausdruck wählt, der ihm richtiger oder passender erscheint, wenn er bei Adam übergeht, was er für seine Wendenchronik nicht nothwendig hält, wenn er in der Anordnung des Stoffes manchmal abweicht, verschiedene Stellen zusammenzieht und die Scholien zum Adam hineinfügt: so hat man bisher darin eben nur eine Freiheit gesehen, die man sonst jedem verständigen Schriftsteller gönnt und die täglich geübt wird. Neuerdings hat nun aber C. Hirsekorn in der fleißigen Abhandlung: "Die Slaven=Chronik des Presbyter Helmold" (1874) alle derartigen Abweichungen mit achtungswerthem Scharfsinn, doch nicht eben in wohlwollender Weise aufgespürt und darin nicht allein eine Absicht Helmolds gefunden, sondern auch eine unerlaubte Berechnung. Diese Anschauung von dem Charakter des Chronikenschreibers theilt nun Herr Professor Schirren, geht jedoch über seinen Vorgänger noch weit hinaus. Ihm sind selbst Wiederholungen verdächtig; er hält

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Helmold für äußerst verschmitzt. "Man wird", äußert er S. 70, "überall, wo Helmold sich in dergleichen Wiederholungen" (wie über den alten Bischofszins) "gefällt, eine Fälschung, zum mindesten eine bedenkliche Absicht versteckt finden".

Und der neueste Kritiker ist seiner Sache sehr sicher; er glaubt (S. 113), "die Berechnungskunst, mit welcher Helmold fälscht, erwiesen" zu haben. - Ist das keine Selbsttäuschung oder Selbstüberschätzung, so müssen wir wenigstens von da an, wo Adam uns verläßt, fortan auf die Vorstellung von der Wendengeschichte, wie wir sie bisher vornehmlich durch Helmold gewonnen hatten, einfach verzichten. Selbst die Geschichte, welche der Chronist als Zeitgenosse erzählt, wird dann völlig schwankend und zweifelhaft; denn Saxo Grammaticus, dem wir gleichfalls bisher für viele Nachrichten aus dem 12. Jahrhundert danken zu müssen glaubten, soll auch den Helmold benutzt haben, und die Urkunden aus jener Zeit sollen die "inneren Merkmale der Lüge" tragen. Helmold ist für die meklenburgische Geschichte aber eine viel zu wichtige Quelle, als daß wir solche Behauptungen ungeprüft lassen dürften, zumal wenn sie von einem holsteinischen Geschichtsprofessor ausgehen und mit großer Gelehrsamkeit und mit blendendem Scharfsinn vorgetragen werden.

Schon von vorne herein erregt es freilich einiges Mißtrauen, daß Helmold von dem angeblichen "Oldenburgischen Primat" gar nichts äußert; - denn daß Oldenburg zeitlich das erste Wendenbisthum in unsern Gegenden war, und daß Erzbischof Adalbert den Sprengel desselben in drei Bisthümer: Oldenburg, Ratzeburg und Meklenburg zerlegte, das wissen wir ja auch durch Adam. Wo hätte denn der Bischof von Lübeck auch je Primatrechte gegen den Bischof von Schwerin geltend gemacht? Ebenso wenig zeigt sich - bis Schirren eine Beweisstelle beigebracht haben wird - irgend eine Spur davon, daß Helmold Schwerin habe "nicht aufkommen lassen" wollen; es gab dazu eben gar keine Gelegenheit. Und warum soll denn Helmold nur gegen das Bisthum Schwerin so übelwollend gewesen sein, und nicht auch gegen das Stift Ratzeburg? Dieses letztere läßt Schirren ganz aus den Augen.

Ferner, die staats= und kirchenrechtlichen Zustände der Wendenlande zu Helmolds Zeit beruhten auf den Einrichtungen Herzog Heinrichs des Löwen, wie sie sich in dessen Urkunden und Ordnungen darstellten, die größtentheils schon vorlagen, als Helmold seine Chronik zu schreiben anfing.

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Sein Zeugniß vermochte dagegen gar nichts und war bei etwa ausbrechenden Streitigkeiten neben den Urkunden ohne jede rechtliche Bedeutung. Auch standen die Obotritenfürsten mit den Lübischen Bischöfen und Domherren in keiner andern rechtlichen Beziehung, als daß Pöl zum Sprengel des Bischofs von Lübeck gehörte; und dies Diöcesanrecht über Pöl erwähnt Helmold nicht einmal, sondern es beruht auf den Urkunden Heinrichs des Löwen! Man dürfte übrigens zweifeln, ob die Obotritenfürsten die Insel in kirchlicher Beziehung nicht ebenso gern unter den Bischöfen von Lübeck sahen, als unter dem Stift Schwerin, das Schon im 12. Jahrhundert Gefahr lief, in eine gewisse Abhängigkeit von den Grafen von Schwerin, den unwillkommenen Nachbaren der Obotritenfürsten, zu gerathen.

Theilen wir also nicht Schirrens unbegründete Ansicht von der praktischen Tendenz Helmolds, so können wir uns doch nicht der Verpflichtung entziehen, seiner Kritik im Einzelnen zu folgen. Wir unterscheiden dabei zunächst des Chronisten Darstellung seiner eigenen Zeitgeschichte, die um die Mitte des 12. Jahrhunderts beginnen mag (obwohl Helmold schon früher, in seiner Jugend [als adolescentulus I, 149], in Holstein war, und es nicht einmal feststeht, ob er dort nicht auch seine Kindheit verlebte) - und seine Mittheilungen über seine Vorzeit; letztere zerfällt dann wieder in die beiden Perioden vor und nach dem Jahre 1066, weil ihm für die erstere als Hauptquelle die um 1075 geschriebene Chronik Adams von Bremen diente.

Gerade diese früheste Periode ist nun für Schirrens Zweck die Wichtigste; er findet (S. 112) eben "in Adam die richtige Basis für die Kritik Helmolds"; "nirgends", so versichert er, "decken sich seine geheimen Motive so verrätherisch auf, als wo er den Adam ausschreibt und ändert". Der Kritiker kommt (S. 77) zu dem Ergebniß: "daß Helmold von den alten Bischöfen von Oldenburg mit verschwindenden Ausnahmen nichts Glaubwürdiges zu berichten weiß, was nicht schon in Adam zu finden wäre". - Dies möchte man hingehen lassen, insofern bei Helmold mancherlei Sagenhaftes zu lesen steht; aber Schirren setzt dann hinzu: "Den großen Rest hat er" (Helmold) "erdichtet".

Eine solche Beschuldigung, die ärgste, welche einen Chronikenschreiber treffen kann, muß natürlich auf's Strengste bewiesen werden; man darf sie nur aussprechen, wenn sich zeigen läßt, daß Helmold keine Quelle neben Adam gehabt

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haben kann. Zum Beweise seiner überraschenden Behauptung unterwirft Schirren zunächst die Angaben Adams und Helmolds über die alten Oldenburgischen Bischöfe (- 1066) einer Vergleichung.

Da springt dann gleich in die Augen, daß beide von dem anderweitig bezeugten Bischof Reinher (1023-29) nichts Wissen, Adams Reihe also auch nicht vollständig ist, daß ferner Helmold die von Adam aufgezählten neun Bischöfe in derselben Reihenfolge wie Letzterer aufführt, daß er aber vor dem ersten, vom Erzbischof Adeldag von Hamburg=Bremen geweiheten Bischof Euagrius, von dem Adam nicht weiß, ob er auf deutsch Evrac oder Evarg oder Egward geheißen habe, noch einen Oldenburgischen Bischof angiebt, den Marco, den Adam nicht nennt. Helmold erzählt bekanntlich (I, 12), Kaiser Otto der Große habe der Oldenburg diesen Marco zum Bischof gegeben und ihm die ganze obotritische Provinz bis zur Peene und Demmin hin unterstellt, auch Schleswig seiner Seelsorge anvertraut; Marco habe Wagrier= oder Obotritenvölker getauft; nach seinem Tode aber sei Schleswig mit einem besonderen Bischof beehrt, und für Oldenburg (besonders) sei Ecward vom Erzbischof Adeldag von Hamburg ordinirt.

Der Marco ist uns nun, aber allerdings nur als Bischof zu Schleswig, nicht zu Oldenburg, auch anderweitig aus zwei Quellen bekannt. Wir finden ihn 1) in "Ordo et nomina Sieswicensium episcoporum", einer etwa bis zum Jahre 1070 reichenden und wahrscheinlich auch um jene Zeit verfaßten Liste, welche wir hier (nach Pertz, Scr. VII, p. 392, und Archiv IX, S. 397) einrücken:

"Horedus episcopus XI. kalendas Maii. Sedit annos XXIV." [also Ende 947-972.]
Adaldagus episcopus IV. non. Maii. S. a. XII. [- 984.]
Folcbertus episcopus XVIV. kal. Januarii. S. a. VII. [-991. ]
Marco episcopus III. id. Nov. S. a. XX. [- 1011.]
Poppo episcopus XIV. kal. Aug. S. a. V. [- 1017.]
Esico episcopus II. id. Febr. S. a. XI. [-1028.]
Rodulfus episcopus II. non. Nov. S. a. XVIV.
Ratolfus episcopus." (Noch ohne Todestag!)

2) berichtet Saxo Grammaticus p. 506: "lisdem temporibus Popponi Rimbrandus Henrico 1 ) Marcus pontificii


1) Saxo meldet X, p. 499. 500: "Quam ob rem Poppo a maximo pontifice Bremensi Adaldago apud Arusiam honorem gerendi pontincii, vitae atque operibns suis perquam debitum, impetravit. Eodem offcii nomine Henrico Slesvicum, Lefdago Ripae cesserunt." Die Ed. pr. giebt aber nicht "Henrico", sondern "Harico Seuiscus cum." Daraus geht bervor, daß Saxo p. 500 und p. 506 nicht Henrico, sondern Harico oder (da t und c im Mittelalter so häufig verlesen sind) Harito geschrieben hat. Es ist mir auch nicht zweifelhaft, daß Harig, den Adam II, 23 unter den Bischöfen mit unbekannter Residenz aufführt und der nach Adam II, 62 "(Harich") Zu Bremen begraben liegt, kein Anderer ist als "Horit vel Haredus", der erste Bischof von Schleswig, Saxos "Haric" oder "Harit". Diese Namensformen stehen noch nicht so weit auseinander wie "Euraccum vel Ewargum, quem latine dicimus Euagrium" (Ad. II, 14) oder Evargus (II, 24), der bei Helmold Ecwardus und bei Trithem Egwardus genannt wird.
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religione successit; pro Lefdago Fulbertus sacerdocio fulsit, post quem Othincarus Albus" -. Zur Erklärung bemerken wir, daß nach Saxo (p. 500) "Henricus" oder richtiger Haricus 1 ) der erste Bischof von Schleswig, wie Lefdagus der erste zu Ripen war. - Auch Adam berichtet an zwei Stellen (II, 4. 23) von den ältesten dänischen Bischöfen, Erzbischof Adaldag von Hamburg=Bremen habe zuerst (947) Horit oder Hared nach Schleswig, Liafdag nach Ripen, Reginbrond nach Aarhuus gesetzt; wo aber "nach ihnen Harig, Stercolf, Folgbract, [Adelbrect], Merka und Andere" gesessen hätten, bekennt Adam nicht zu wissen, vermuthet auch, sie mögen noch keinen festen Sitz gehabt haben.

Schirren ist nun (S. 57) der Meinung: "Adams Merka empfahl sich ihm" (Helmold) "als herrenloses Gut, dessen sich Jeder ungestraft bemächtigen durfte." Helmold hat seinen Marco (S. 56) "zwar erdichtet, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen", d. h. also, er hat ihn durch eine Namensentstellung aus dem Merka Adams gebildet. Indessen wäre es doch ein wunderlicher Glücksfall, wenn Helmold, ohne eine andere Quelle als den Adam vor sich zu haben, von den 4-5 vagirenden Bischöfen, die bei diesem zur Auswahl standen, gerade den rechten für Schleswig herausgegriffen und seinen Namen Merka auch durch Zufall richtig in Marco umgebildet hätte. An dergleichen Zufälle wird nicht leicht jemand glauben; Helmold hat vielmehr aus einer andern Quelle, sei es aus mündlicher oder aus schriftlicher Ueberlieferung, geschöpft. Wie diese lautete, entzieht sich freilich völlig unserer Kenntniß; wie können wir also ohne Weiteres den Schriftsteller, der diese Nachricht zuerst aufgezeichnet hat oder dessen Aufzeichnung die älteste auf uns gekommene ist, für den Erfinder derselben ansehen


1) Saxo meldet X, p. 499. 500: "Quam ob rem Poppo a maximo pontifice Bremensi Adaldago apud Arusiam honorem gerendi pontincii, vitae atque operibns suis perquam debitum, impetravit. Eodem offcii nomine Henrico Slesvicum, Lefdago Ripae cesserunt." Die Ed. pr. giebt aber nicht "Henrico", sondern "Harico Seuiscus cum." Daraus geht bervor, daß Saxo p. 500 und p. 506 nicht Henrico, sondern Harico oder (da t und c im Mittelalter so häufig verlesen sind) Harito geschrieben hat. Es ist mir auch nicht zweifelhaft, daß Harig, den Adam II, 23 unter den Bischöfen mit unbekannter Residenz aufführt und der nach Adam II, 62 "(Harich") Zu Bremen begraben liegt, kein Anderer ist als "Horit vel Haredus", der erste Bischof von Schleswig, Saxos "Haric" oder "Harit". Diese Namensformen stehen noch nicht so weit auseinander wie "Euraccum vel Ewargum, quem latine dicimus Euagrium" (Ad. II, 14) oder Evargus (II, 24), der bei Helmold Ecwardus und bei Trithem Egwardus genannt wird.
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oder ihn (mit Hirsekorn) auch nur der "Mitwissenschaft bei seiner Erfindung" bezichtigen?

Ganz verfehlt scheint mir auch Schirrens Vermuthung über den Beweggrund Helmolds; er meint nämlich (S. 80), dieser habe seine Marcosage erfunden, um "die Kirche Lübeck=Aldenburg von Anfang an über alle Ansprüche, welche aus Osten (?) und Westen concurriren, hinauszurücken, nicht als bloße Dienerin (?) Bremens, sondern als fast ebenbürtig neben Hamburg hinzustellen und als vormals bestimmt Herrin (!) über Schwerin zu sein." (Nicht auch über Ratzeburg?) - Schirren schließt sich damit im Grunde nur Hirsekorn an, der (S. 18) Marco als eine "mythische Person" ansah, welche Helmold "benutzt habe, um für sein Bisthum Oldenburg=Lübeck" "eine ursprüngliche Unabhängigkeit von dem Erzbisthum Bremen=Hamburg geltend zu machen."

Wie schon bemerkt ward, hat es mit dem angeblichen Anspruch Oldenburg=Lübecks auf einen Primat über Schwerin nichts auf sich. Und was Bremen angeht, so ist Helmold diesem Bischofssitze allerdings abhold, namentlich jedoch nur den beiden Erzbischöfen Adalbert, der zu seinem großen Schmerz die Oldenburger Diöcese in drei zerspalten hatte, und Hartwig, der diese Dreitheilung wieder aufnahm und in dem Investiturstreit mit Heinrich dem Löwen Vicelins Ausgleichung mit dem Herzoge hemmte und den Bischof Gerold anzuerkennen Schwierigkeiten machte. Im Uebrigen theilt Helmold diese Abneigung gegen Bremen mit der ganzen höheren Geistlichkeit diesseit der Elbe; bekanntlich haben nicht nur die Domherren zu Hamburg, sondern auch die drei nordelbischen Bischöfe bis ins 14. Jahrhundert hinein Processe mit den Bremischen Erzbischöfen geführt, weil sie nicht in Bremen, sondern nur in Hamburg den Sitz der ihnen übergeordneten Metropolitangewalt erblickten. Weit entfernt, Oldenburg=Lübeck, wie Schirren vermuthet, "als fast ebenbürtig neben Hamburg zu stellen", hält Helmold jenen nordelbischen Standpunkt durchaus correct fest; ja in diesem Sinne ändert er sogar an mehreren Stellen Adams Worte. Wenn Letzterer z. B. (I, 29) sagt, das Bremische und das Hamburgische Bisthum seien durch päpstliche Gewalt zu einem verbunden, so braucht Helmold den Ausdruck, das Bremische Bisthum sei der Hamburgischen Kirche zugelegt (ut Bremensis sedes, quae tunc defuncto pastore vacabat, Hammemburgensi ecclesiae adiceretur), um Hamburgs erzbischöfliche Würde gegen Bremens nur bischöfliche hervorzuheben; wenn Adam (I, 56) einen Vers

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anführt, der Unni als den neunten (Bremischen) bezeichnet, so führt ihn Helmold (I, 6) als den sechsten (Hamburgischen Erz=) Bischof auf. Die Beziehungen des Wendenfürsten Gottschalk zum Erzbischof Adalbert übergeht Helmold mit Stillschweigen, entweder, weil der Kirchenfürst ihm (wie schon vielen Zeitgenossen) zuwider war, oder auch, weil er an der Wahrheit des Berichtes zweifelte. Vielleicht aus dem letzteren Grunde übergeht er auch die Nachricht Adams (I, 15) über des Bremischen Bischofs Willerich Predigt in Holstein vor Ansgar und von seinen häufigen Besuchen der Kirche in Meldorf, wie denn auch Schirren (S. 88) hierin eine "Berechnung" Adams vermuthet. - Ganz unerwiesen aber ist es, daß Helmold Thatsachen erfunden hätte, um Bremen "zurückzudrängen". Und dem Verdacht, daß er Hamburgs Metropolitanrechte über die drei Wendenbisthümer je hätte bestreiten oder verkürzen wollen, hätten seine gestrengen Kritiker um so weniger Raum geben sollen, da er nicht nur eben so gut wie Mag. Adam von dem Oldenburgischen Bischof Egward und seinen Nachfolgern erzählt, sie seien von den Hamburgischen Erzbischöfen geweihet, sondern noch viel bestimmter als Adam Hamburgs Metropolitanrecht begründet. Denn während Letzterer nur sagt, Oldenburg sei bei der Stiftung des Erzbisthums Magdeburg von den sechs Wendenbisthümern allein, und zwar nur um der größeren Nähe Willen, dem Erzbisthum Hamburg, und nicht Magdeburg, unterstellt (II, 14), so berichtet Helmold vielmehr (I, 11), der Kaiser habe ursprünglich auch dieses Bisthum, also sämmtliche wendische diesseit der Saale und Elbe, Magdeburg untergeben wollen, Adeldag habe aber auf das Metropolitanrecht seiner Kirche über dasselbe auf Grund alter Privilegien Anspruch erhoben. Und das mag richtig sein; wir wissen, wie schwer sich Mainz und Halberstadt dazu verstanden haben, ihre Rechte zu Gunsten Magdeburgs beschränken zu lassen, und daß Adeldag sich sein Metropolitanrecht bis an die Peene eigens vom Kaiser Otto I. beurkunden ließ. Daß aber der Kaiser das Bisthum Oldenburg dotirt und somit gegründet haben muß, versteht sich ganz von selbst, mochte nun zuerst Ecward oder Marco dasselbe empfangen, und ebenso wahrscheinlich ist es in beiden Fällen, daß der Kaiser bei der Besetzung des Bisthums seine Rechte hier, wie in ähnlichen Fällen, wahrnahm. Uebrigens sagt Helmold nirgends, daß Ecward der erste von dem Hamburgischen Erzbischof ordinirte Oldenburgische Bischof gewesen sei, er läßt Adams primum (II, 14) oder primo (II, 24)

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aus; es bleibt uns also nach seiner Darstellung durchaus frei, auch den Marco als vom Hamburgischen Erzbischof geweiht zu denken, und vielleicht nur, weil dies selbstverständlich war, ist ihm gar nicht eingefallen es noch ausdrücklich zu erwähnen.

Auch Lappenberg hatte früher (Pertz, Archiv IX, S. 388) einmal den Gedanken hingeworfen, daß die Sage von der Combination der beiden Sprengel Oldenburg und Schleswig unter Marco vielleicht "erst aus der Zeit der Erneuerung des Bisthums Oldenburg durch Herzog Heinrich den Löwen stamme"; sie möge aufgebracht sein, "um Ansprüche" (des Stifts Oldenburg=Lübeck) "auf Schleswig zu begünstigen". Den Helmold selbst beschuldigt Lappenberg, vorsichtiger als Schirren, aber nicht. Und mit Recht; denn gab es damals, als dieser den Stoff zu seiner Chronik sammelte, nicht auch noch andere Männer, die gleichfalls ein Interesse an der Geschichte und ein noch größeres als er für Rechte und Prätensionen des Stifts Oldenburg hatten? Hat ihn nicht Gerold, den er als seinen Lehrer und Bischof so hoch verehrte, zur Abfassung seiner Stiftsgeschichte ermuntert?

Aber ich kann überhaupt nicht an den von Lappenberg vermutheten Beweggrund für solche Erfindung um die Mitte des 12. Jahrhunderts glauben. Denn wer hätte damals, als das Bisthum Schleswig längst unter dem Erzbischof von Lund stand, noch die Hoffnung fassen können, daß ein Suffraganbischof des Hamburg=Bremischen Erzbischofs zu seinem Stift noch je ein dänisches von dem dänischen Erzbischof erlangen könnte! Eher hätte (wenn überall eine absichtliche Erdichtung angenommen werden dürfte) eine solche Combination beider Bisthümer als möglich erscheinen und durch die Erfindung einer solchen vormaligen Combination beider Sprengel erleichtert werden mögen, als auch Schleswig noch unter dem deutschen Erzbischof stand; und dann wäre die Erfindung am leichtesten in Schleswig selbst gemacht, und zwar zu einer Zeit, als - nach 1066 oder nach des letzten Bischofs Tode - das Stift Oldenburg nicht wieder besetzt war.

Das Mißliche solcher Vermuthung wird sich auch Lappenberg selbst klar gemacht haben. Denn er "möchte eher annehmen, daß dem (deutschen) Markgrafen der dänischen Grenze Schleswig sowie Oldenburg zum Schutze übertragen worden, und daß dadurch die Sage von einem Marco, Bischofe von Oldenburg und Schleswig, entstanden ist".

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"Selbst die unabsichtliche Auslassung eines Buchstaben im Titel marchio kann", wie er meint, "den Grund zu dieser Erzählung, so weit sie Schleswig betrifft, gelegt haben."

Annehmlicher erscheint mir freilich Waitzens Vermuthung (Schl.=Holst. Gesch. I, 31), wenn er die Entstehung der Oldenburgischen Marcosage darauf zurückführt, daß die deutsche Mark zwischen der Eider und der Schlei, der man später unrichtig die Stadt Schleswig beigezählt hätte, bis dahin, daß sie (im Jahre 1027?) an König Kanut von Dänemark abgetreten ward, in kirchlicher Beziehung nicht unter dem dänischen Bischofe zu Schleswig, sondern unter dem Oldenburgischen gestanden habe, und danach erst dem Bischof von Schleswig untergeben sei. In der That wissen wir nicht, wie Otto I. und Adeldag bis zur Errichtung des Bisthums Oldenburg für die geistlichen Bedürfnisse der in der schleswigschen und in der wagrischen Mark angesiedelten Christen (deren Spuren Helmold [I, 12] noch verfolgte) gesorgt haben. Immerhin ist es denkbar, daß dort Marco (wenn auch freilich nicht als Bischof von Oldenburg) thätig gewesen wäre, sei es als Bischof von Schleswig oder vor seiner Erhebung zu dieser Würde.

Der Vermuthung Lappenberg's steht entgegen, daß ja zu Schleswig wirklich ein Bischof Marco regiert hat. - Oder kann dieser nicht hierher gezogen werden, weil er nach der oben S. 26 mitgetheilten Schleswigschen Bischofsliste erst etwa 991 zur Bischofswürde gelangt sein soll? Die Liste verdient eine erneuerte Prüfung.

So viel ist auf den ersten Blick klar, daß weder die Regierungsjahre in derselben zuverlässig angegeben sind, noch die Reihenfolge der Bischöfe richtig ist, (während die Todestage auf Nekrologien beruhen mögen). Denn entweder ist Ekkehard, der meistgenannte Schleswigsche Bischof aus dieser Zeit, in der Liste ganz ausgelassen, oder er ist identisch mit dem hier aufgeführten Esiko. (Der Name Eziko ist dann also aus Ekkehard und Ezo entwickelt, wie aus Gotthard oder Gottfried oder Goswin: Götz, Gözeke, aus Hinrich: Hinz, Hinzeke und ähnliche zwiefache Kosenamen gebildet sind.) Ekkehard aber hatte schon im Jahre 1000 seinen Aufenthalt zu Hildesheim genommen, weil sein Bischofssitz und sein Sprengel verheert waren (Thangmar, vita Bernw. 18. 20), und er blieb dort auch bis an sein Ende († 1026), wozu stimmt, daß Adam (II, 47) erzählt, Esiko habe müßig daheim gesessen (Esico domi sedit), während Odinkar d. j. und Poppo auf ihrem

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schweren Posten aushielten. Wäre die Angabe der Liste von der Regierungszeit Esikos zuverlässig, so müßte er aber nicht schon im Jahre 1000 oder früher, sondern erst etwa 1017 zur bischöflichen Würde gelangt sein! Oder dürften wir wenigstens die Dauer von 11 Jahren als glaubwürdig hinnehmen, so würde, da Ekkehard im Jahre 1000 sein Bisthum bereits aufgegeben hatte, der Anfang seiner Regierung frühestens ins Jahr 989 (also 28 Jahre vor 1017!) fallen; und dazu würde stimmen, daß er (nach Adam II, 44) vom Erzbischof Libentius ordinirt war, der 988 zur Regierung gelangte. Erst nach Esiko aber sollte in der Liste Adaldag (der als der zweite Bischof zu Schleswig genannt ist!) folgen, wenn er überall in derselben seinen Platz haben sollte - nämlich nur als Stellvertreter des in Hildesheim verbliebenen Esiko. Denn Adaldag ist der Taufname des Odinkar d. j., Bischofs von Ripen (Odinkar junior -- Adaldagus vocatus est. Ad. II, 34); eigentlicher Bischof von Schleswig ist er nie gewesen. Wenn er sich aber als stellvertretender Bischof die Aufnahme in die Liste verdiente, so gilt Gleiches vielleicht vom Folkbert, der nach Saxos Bericht (s. S. 27) ebenfalls Bischof zu Ripen war. Uns bleiben mithin als für Schleswig ordinirte Bischöfe zur Zeit Adeldags, d. h. von 947 oder 948 bis zum Jahre 988, nur drei übrig: Hored, Marco, Poppo, und Saxo hatte Recht, wenn er den Marco als den zweiten Bischof zu Schleswig bezeichnete, Poppo ging später nach dem Norden, zunächst nach Aarhuus, wo ihn Saxo kennt, und empfing nach Adam II, 44 den Esiko in Schleswig zum Nachfolger. Wann Poppo aber den bischöflichen Stuhl zu Schleswig bestiegen hatte, ist nicht ganz genau zu bestimmen, jedoch annähernd. Denn nach Adam II, 33 war er bereits für Schleswig ordinirt (tunc ad Sliaswig ordinatus), als er mit Aufträgen des Kaisers und des Erzbischofs sich nach Dänemark zum König Harald Blauzahn begab und vor diesem das vielfach gerühmte Wunder ausführte, durch welches der König bekehrt ward. Siegbert von Gembloux sagt, Harald sei 966 getauft (Pertz, Scr. VI, 351), nach Ruotger (ib. IV, 270) geschah es noch beim Leben Brunos, also vor dem 11. October 965. Dazu stimmt, worauf W. Giesebrecht (Kaiserzeit I, S. 832) aufmerksam macht, daß Poppo nach den Annales Ryenses (Scr. XVI, 399) damals, als er Harald taufte, "cappellanus domini papae" war, d. h. Caplan des Papstes Benedict V., welcher 964 abgesetzt war und seinen vom Kaiser angewiesenen Verbannungsort

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Hamburg 965 erreichte. - Der älteste Zeuge für Poppos Wunder, Widukind, der (III, 65) es als Zeitgenosse erzählt, sagt freilich, daß Poppo damals noch nicht Bischof gewesen sei (clericus quidam, nunc vero religiosam vitain ducens episcopus nomine Poppa); und das mag richtiger sein. Doch Adams Ausdruck läßt die Deutung zu, daß er schon für Schleswig ordinirt war, sein Amt daselbst aber erst nach der Rückkehr von König Harald antrat. Vielleicht mag Schleswig damals, 965, nach dem großen Kriege Ottos I. mit Harald (den ich mit Dahlmann in dieses Jahr setze und als die Veranlassung zur Mission Poppos ansehe) ohne Bischof gewesen, und die Seelsorge daselbst vom Bischof Folkbert von Ripen eben damals mit besorgt sein. So wie so ist die Angabe der Bischofsliste, daß Hored 24 und Marco 20 Jahre (vor Poppo!) das Bisthum Schleswig verwaltet hätten, ganz unhaltbar.

Meines Erachtens fallen alle Schwierigkeiten fort, wenn man, worauf die Nachrichten über Poppo hinführen, den Bischöfen Hored und Marco die Zeit von 947-965 zuweist; und das wird um so mehr gestattet sein, wenn unsere Annahme (S. 27 Anm.) von der Identität Hareds oder Horeds mit Harich oder Horic statthaft ist, der erste Bischof zu Schleswig also nicht in seiner bischöflichen Residenz, sondern zu Bremen sein Leben beschlossen hat. Die Neuordnung der Grenzmarken an der Eider und in Wagrien wird den Kaiser Otto den Großen veranlaßt haben, jetzt - nach Marcos Tode - in Oldenburg ein besonderes Wendenbisthum aufzurichten, während Marco, und vielleicht schon Hored, als Bischof von Schleswig die schleswigsche und die wagrische Mark in kirchlicher Hinsicht mitverwaltet hatte. Daraus aber, daß man von Marcos bischöflichem Walten in dem späteren Sprengel von Oldenburg Kunde hatte, entsprang dann leicht die Sage, daß er dort in der Oldenburg auch seinen Bischofssitz gehabt habe, ganz wie man auch Folkbrecht und Adaldag=Odinkar wegen ihrer Vertretung im Schleswigschen Sprengel später unter die Schleswigschen Bischöfe rechnete, und der Bischof Egward von Oldenburg, ehedem "monachus sancti Aurelii Hirsaugiensis", wahrscheinlich darum, weil er die Mark gegen Schleswig mitverwaltete, auf Kaiser Ottos Befehl Bischof von Schleswig geworden sein soll (jubente Ottone imperatore magno, episcopus Sleswicensis in finibus Saxoniae factus est, Trithem im Chron. Hirsaug. ad a. 965). - Die Oldenburgische Marcosage kommt also der historischen Wahrheit anscheinend ziemlich

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nahe. Woher sie aber auch zu Helmolds Kenntniß gekommen sein mag, aus derselben Quelle werden ihm auch die Nachrichten über die ältesten Kirchen und Klöster zur Zeit Egwards (I, 12) zugeflossen sein, soweit er sie nicht aus Adam II, 17 und 24 entnahm.

Der Hauptangriff Schirrens gegen Helmolds Ehrlichkeit, den er auf die aus Adam angeblich construirte Marcosage gründet, ist also gescheitert; der Chronist hat offensichtlich eine Quelle neben Adam benutzt. Es ist aber auch sonst dieses Kritikers Ansicht, daß Helmold außer Adam keine Quelle für die ältesten Wendenbischöfe gekannt hätte, ganz unrichtig. Für die Zeit König Heinrichs IV. u. s. w. ist neuerdings aus der Verwandtschaft seiner Nachrichten mit denen der Annales Disibodenbergenses und der Annales Rosenveldenses nachgewiesen, daß dem Helmold eine sächsische Quelle vorgelegen hat, die noch nicht wieder aufgefunden und vermuthlich auch nicht mehr erhalten ist (Hirsekorn S. 24 flgd.) Wie weit sie zurückreichte, ist nicht zu sagen; auch kann es mir nicht einfallen, behaupten zu wollen, daß Helmold diese schon für die Zeit Kaiser Heinrichs II. benutzt habe. Immerhin aber zeigt ein solcher Fall, daß dem Schriftsteller des 12. Jahrhunderts auch für die frühere Zeit schriftliche Aufzeichnungen, die wir nicht mehr haben, bekannt gewesen sind; und er mahnt zur Vorsicht in dem Urtheil über die Ehrlichkeit des Pfarrers von Bosau.

Jedenfalls kann Schirren selbst (S. 54) nicht in Abrede nehmen, daß Helmold in Bezug auf den Bischof Bonno von Oldenburg noch andere Ueberlieferungen benutzt hat als den Adam, der ihm nichts als den Namen dieses Bischofs bot. Denn Helmold berichtet von Bennos Ende (I, 18), daß er bei der Weihe der Hildesheimer Michaeliskirche, die sicher am 29. Septbr. 1022 stattfand (Ann. Hild., Thangmar) mitwirkte, dabei aber im Volksgedränge so schwer beschädigt ward, daß er davon "nach wenigen Tagen" den Tod nahm, und daß er in derselben Kirche sein Grab fand. Nun ist aber auch anderweitig, in den Hildesheimer Quellen, bezeugt, daß Benno in der That bei jener Kirchweihe thätig war, und mehrfach wird berichtet, daß er 1023 gestorben ist, und zwar (nach dem Lüneburger Todtenbuche) am 13. August. Irrig ist hiernach freilich Helmolds Angabe, daß Benno "post paucos dies" gestorben sei; die Todesursache mag aber allerdings jene Verletzung geworden sein. In den uns bekannten Quellen wird sie nicht erwähnt; es ist klar, daß

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Helmolds Angabe aus einer uns unbekannten Ueberlieferung stammt.

Auch was uns Helmold über Bennos vergebliche Versuche, durch Fürsprache des Herzogs Bernhard II. von Sachsen und des Kaisers Heinrich II. die durch den Aufstand und den Abfall der Wenden verlorenen bischöflichen Güter und Hebungen wiederzuerlangen, mittheilt, ist ja nicht aus Adams Chronik geflossen. Wir kennen auch hierfür Helmolds Quelle nicht; daß die Sache aber keineswegs eine freie Erdichtung desselben ist, ersieht man aus Thietmars Angabe (VIII, 4), wonach Benno schon 1018, auf die erste Kunde von dem Wendenaufstande, sofort beim Kaiser Schritte that, seine Angelegenheit damals aber noch verschoben ward. Den Thietmar selbst hat Helmold, wie auch Schirren (S. 53) annimmt, nicht gekannt; er hätte sich sonst sicherlich Thietmars Nachricht über Bischof Reginbert (VI, 30) und den Benno als confrater Parthenopolitanus (VIII, 4) nicht entgehen lassen. Will man aber Alles, was Helmold von Benno zu berichten weiß, auf mündliche Sage zurückführen, so muß man die Sicherheit derselben in Einzelheiten noch nach zwei Jahrhunderten in der That bewundern.

Daß wir jenen Abschnitt seiner Chronik nicht controliren können, erschwert die Kritik Helmolds ungemein. Jene Verhandlungen des Herzogs und des Kaisers mit den Wenden sind für die Geschichte dieses Volkes aber von der größten Bedeutung. Denn Helmold meldet bekanntlich (I, 18), der Sachsenherzog habe dem Bischof Benno die alten Einkünfte, wie sie Kaiser Otto ursprünglich festgestellt hatte - nämlich (I, 12, 14) von jedem Wendenpflug (aratrum) jährlich ein Maß (mensura) Korn (granum, nicht Weizen, wie Schirren S. 68 übersetzt), 40 Risten Flachs und 12 Pfennige nebst einem Pfennig für den Einsammler - nicht wieder verschaffen können, sondern es sei dafür nur eine Haussteuer von 2 Pfennigen zugesagt, und von den ursprünglichen Besitzungen, deren Zahl Helmold nicht kannte (I, 12), seien dem Bischof nur 2 Höfe, nämlich Bosau und Nezenna (Gnissau), zurückgegeben, die entfernteren dagegen, wie Derithsewe (Dassow), Moritz (im Müritzerland) und Cuzin, welche nach "Erwähnung der alten Zeit" (antiquitas commemorat) dem Stift gehört hätten, seien ihm verloren geblieben; die Wenden hätten freilich zu Werben vor dem Kaiser des Bischofs Anrecht auf jene Burgen mit den vor denselben liegenden Orten (praedia, urbes cum suburbiis, welche

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letztere später Wiken genannt wurden) und auf den Zins anerkannt, jedoch nichts geleistet.

Woher weiß denn Helmold nun überhaupt, daß der Kaiser Heinrich II. je zu Werben Tage mit den Wenden zu halten pflegte? Denn den Thietmar, der solche Zusammenkünfte (zum Jahre 1005) erwähnt, kannte er ja nicht, und Adam erzählt davon nichts. Auch das ist ein Anzeichen einer andern Quelle für Helmold, sei es, daß er schriftlicher oder daß er mündlicher Ueberlieferung folgte.

Freilich nach Schirrens Vermuthung ward jener angeblich von Kaiser Otto I. eingeführte Zins erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts "ersonnen", und zwar, "um den Zinsanspruch einer spätem Zeit zu unterstützen"; und in dem 13. Pfennig für den Einsammler erkennt der Kritiker nur "eine sinnreiche Anordnung, welche jedenfalls einem Herzenswunsche der Geistlichkeit zu Helmolds Zeit entgegen gekommen wäre." - Indessen, die Richtigkeit solcher Vermuthungen einmal vorausgesetzt, wäre Helmold mit seiner Erfindung ja zu spät gekommen, weil die biscopnitza schon 1158 festgestellt war. Und hätte der Pfarrer die ihm untergeschobene Tendenz gehabt, so wäre es doch recht thöricht von ihm gewesen, zu erdichten, daß jener Zins schon zu Anfang des 11. Jahrhunderts vertragsmäßig durch den geringeren Hauszins ersetzt sei. Ueberdies wissen wir nicht einmal, wie sich der Betrag der im 12. Jahrhundert eingeführten biscopnitza zu dem des alten Wendenzinses verhielt, ob die drei Curitze des 12. Jahrhunderts zusammen mehr, oder ob sie weniger betrugen als eine mensura des 10. Jahrhunderts. Der 13. Pfennig für den Einsammler blieb im 12. Jahrhundert weg; statt der 12 Pfennige fein, die Kaiser Otto I. dem Bischof zuerkannt hatte, wurden nun nur 12 Pfennige gangbarer Münze gefordert. Helmold berichtet auch gar nicht, daß der alte Zins wieder eingeführt sei, sondern ein Zins, der dem bei den Polen und Pommern üblichen gleichkam (I, 87).

Nicht günstiger betrachtet Schirren, wie man erwarten durfte, was Helmold von den alten Besitzungen des Bisthums Oldenburg berichtet. Dem Kritiker liegt (S. 62) "die Vermuthung nahe, daß mit dem angeblich alten Anspruche auf" Derithsewe, Cuzin und Morize "auch nur ein jüngerer Anspruch hat gestützt werden sollen", daß das Stift Oldenburg=Lübeck solchen auf die "Landschaften" Cuzin und Moriz gegen Heinrich den Löwen geltend gemacht und

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dafür wirklich den Zins und Zehnten von Pöl empfangen habe.

Aber ich muß bekennen, der Herr Professor scheint mir sein Wild allzu hitzig zu verfolgen und dem unglücklichen Helmold selbst einen Ausweg zu bereiten. Denn Wendenzins und Zehnten von Pöl waren dem Domcapitel zu Lübeck bereits beigelegt, als der Pfarrer von Bosau seine Chronik schrieb; und Helmold spricht ja nicht einmal davon! Ueberdies, wenn, wie Schirren (S. 172) selbst anerkennt, Grundbesitz zur Stiftung jedes Bisthums nothwendig und ein canonisches Erforderniß war, so verstand es sich von selbst, daß auch die Stifter Schwerin und Ratzeburg bei der Theilung des Oldenburgischen Sprengels in drei Bisthümer ihren Antheil von dem ursprünglichen Stiftsgut, das durch den Sprengel zerstreut lag, empfangen, und damit Oldenburg seinen Anspruch auf die entfernteren Güter verloren hatte. Endlich aber scheint Schirren den Helmold gar nicht richtig verstanden zu haben. Denn dieser spricht nicht von "Landschaften" (terrae, pagi), die Kaiser Otto den Bischöfen von Oldenburg verliehen hätte, sondern von Burgen mit ihren Vororten (de urbibus vero aut praediis aut curtium numero, I, 12; illa vero praedia, quae fuerunt in remotiori Sclavia . . ., memoratas urbes cum suburbiis, I, 18). Ganz verfehlt sind darum auch Schirrens Betrachtungen über die Landschaft Dassow. Er bemerkt freilich ganz richtig: "Jedenfalls wäre die Landschaft für Lübeck von ungemeinem Werthe gewesen"; aber von einer Abtretung derselben an Lübeck, sei es an das Stift oder an die Stadt Lübeck, ist nie und nirgends die Rede gewesen. Und recht bedenklich finde ich Schirrens weitere Betrachtung über den Nutzen der Landschaft Dassow für Lübeck. "Sie hätte", meint er, "ihm den Fluvius Ducius (l. Ducis!) einverleibt (Mekl. U.=B. Nr. 88), Hafen und Grenze gesichert und den Wohlstand unverhältnißmäßig erhöht." Doch der "Fluvius ducis", bekanntlich der unbedeutende Landgraben, die alte Hertogenbeke, welche die Bisthümer Lübeck und Ratzeburg auf eine kurze Strecke schied, lag vom Lande Dassow noch meilenweit entfernt, zwischen dem Lübischen Gebiete und dem Lande Dassow breitete sich noch das Land Boitin aus, die dos des Bischofs von Ratzeburg! - Und wenn wirklich das Bisthum Lübeck hätte für ein praedium im Lande Dassow (wo der Bischof von Ratzeburg das Vorwerk vor dem Burgorte Dassow empfing) entschädigt werden sollen, so bekam das Domcapitel zu Lübeck bekanntlich sogar

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zwei Dörfer im Lande Dassow (Seedorf und Johannsdorf) zugleich mit den Hebungen aus Pöl; letztere können also nicht als Entschädigung dafür angesehen werden. Für die ganzen Landschaften Cutzin und Müritz wären aber die geistlichen Hebungen von Pöl ein gar schwacher Ersatz gewesen.

Kurz, daß Helmold zu einem praktischen Zwecke den ursprünglichen Wendenzins und das ursprüngliche Oldenburgische Stiftsgut erfunden haben sollte, ist eine ganz unstatthafte Annahme. Es ist möglich, daß er seine Nachrichten darüber aus derselben Quelle empfing, die ihm die Kunde von den Verhandlungen Kaiser Heinrichs II. und des Herzogs Bernhard mit den Wenden zuführte. Aber es ist andererseits auch nicht undenkbar, daß man in Bremen im 12. Jahrhundert noch urkundliche Nachrichten über den alten Zins und den vormaligen Güterbesitz des Stifts Oldenburg hatte. Denn es ist unzweifelhaft, daß Oldenburg so gut wie die Bisthümer Havelberg, Brandenburg u. s. w. einen Stiftungsbrief empfangen hat; und wenn auch das Original bei einer der Zerstörungen des Bischofssitzes seinen Untergang gefunden haben mag (die Bischöfe selbst kamen freilich immer glücklich davon), so wird doch im Archiv des Erzbischofs von Bremen eine Abschrift davon aufbewahrt sein. Es ist mir sogar nicht unwahrscheinlich, daß Adam aus der Grenzbeschreibung in diesem Fundationsbrief seine Angaben über die Grenze dieses Stifts mit dem Hamburgischen, den limes Saxoniae (quem quidem ipsi Saxones a tempere primi Ottonis unquam possessione vel etiam nomine tenere videbantur, M. U.=B. I, Nr. 25) entnommen hat. Daß man zu Bremen im 12. Jahrhundert noch viele Urkunden, die wir nicht mehr kennen, wenigstens abschriftlich aufbewahrte, ist nicht fraglich; z. B. gilt dies von Kaiser Ottos I. Privilegium über die Ausdehnung des erzbischöflichen Sprengels von Hamburg bis an die Peene, welches noch 1158 dem Kaiser Friedrich I. vorgelegt ward (Mekl. U.=B. I, Nr. 63). Man wird ferner nicht bestreiten, daß, als der Erzbischof Adalbert die drei Wendenbisthümer herstellte, neue Urkunden entstanden sein müssen, in denen die Grenzen und Besitzungen und Einkünfte jedes Bischofs festgestellt waren. Sollte man davon in Bremen nicht Concepte oder Abschriften aufbewahrt haben? Als aber Erzbischof Hartwig daran ging, auf eigene Hand die Bisthümer wieder aufzurichten, und es sich darum handelte, den Bischöfen wieder Güter und Hebungen zu ihrem Unterhalte zu verschaffen, hat er doch sicher in seinem Archiv Nachforschungen

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über die vormaligen Verhältnisse angestellt. Helmold selbst freilich hat die Documente nicht gesehen; er sagt auch vorsichtig von den alten Stiftsgütern nur: "quae olim ad Oldenburgense episcopium pertinuisse antiquitas commemorat", was man doch nicht ohne Weiteres nur für "mündliche Ueberlieferung aus alter Zeit" nehmen darf; es ist aber höchst wahrscheinlich, daß man in Neumünster von Bremen aus wohl unterrichtet war, und daß auch Bischof Gerold Helmold über die Thatsachen aufklärte.

Das sind freilich nur Muthmaßungen, und für mehr gebe ich sie auch nicht aus; ich führe sie auch nur an, um zu zeigen, wie mißlich es ist, Helmold sofort der tendenziösen Erfindung zu beschuldigen, wenn wir nicht anderweitig eine ältere Quelle zur Hand haben. Die wenigen Trümmer des alten erzbischöflichen Archivs von Bremen=Hamburg, welche uns bekannt sind - und in welchem Zustande! - lassen gewiß kaum eine Vorstellung von dem ehemaligen Reichthum zu; gerade diejenigen Acten, an denen wir die Genauigkeit der Ueberlieferungen, die Helmold empfing und uns wiedergiebt, zu prüfen vermöchten, fehlen uns. Diese große Lückenhaftigkeit unsers Quellenschatzes hat Herr Professor Schirren, wie mich dünkt, nicht hoch genug in Anschlag gebracht.

Ferner aber scheint er mir auch den Umfang und die Bedeutung der mündlichen Ueberlieferung ganz zu verkennen. Wie weit sie an Glaubwürdigkeit auch hinter schriftlicher Aufzeichnung zurücksteht, und wie mancherlei Umbildungen die Thatsachen im Munde des Volkes auch ausgesetzt sind, immerhin sind die historischen Sagen nicht unwillkommen, wenn eine schriftliche Fixirung der geschichtlichen Vorgänge fehlt. Wer will Helmold es verübeln, wenn, wie vor ihm Adam des Königs Svend Mittheilungen, so auch er die Erzählungen der Holsteiner und der Wenden in seiner Gegend aufzeichnete und in sein Werk einreihete, so gut es eben ging? Rühmt er doch (I, 16) den alten Leuten unter den Wenden dasselbe nach, was Adam von König Svend sagt: sie hätten alle alten Geschichten der Barbaren im Gedächtniß! und dies schon bei seiner Erzählung von dem ersten Abfall der Wenden. Aber, wiewohl sich aus solcher Tradition auch die chronologische Unklarheit in Helmolds Darstellung, die hier noch größer ist als schon bei Adam, genugsam erklärt, läßt sie Schirren doch nicht zu. Und nach seinem einmal eingenommenen Standpunkt müßte man sich auch wundern, wenn er nicht auch die wendische Sage von dem

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Fürsten Billug, seiner Gemahlin, ihrer Tochter Hodika u. s. w. für eine "Fiction" Helmolds (S. 151) ausgegeben hätte, erfunden "zu besserer Beglaubigung des oldenburgischen Anspruchs auf Güter und Zins im Lande der Slaven" (S. 70). Schirren spürt glücklich bei Thietmar (dessen Kenntniß er bei Helmold anderswo richtig in Abrede nimmt!) zwei verschiedene Damen Namens Oda auf, schmelzt sie zusammen und gewinnt dadurch ungefähr eine Gestalt wie Helmolds Hodika. Aber warum nennt sie denn Helmold so befremdend Hodika, und nicht Odeke? Und wenn er fälschen wollte, warum giebt er dem Wendenfürsten den an Billung so verdächtig erinnernden Namen Billug, da ihm ja eine Auswahl von ganz unverdächtigen Wendennamen zu Gebote stand? Warum macht er sich auch nur überall die Mühe, diese Geschichte so ungeschickt einzuschalten, da es ja aus der Erzählung vom Untergange des Christenthums am Ende des 10. und im Anfange des 11. Jahrhunderts schon klar genug ward, wie die alten Bischofsgüter verloren gingen? - Schirren hat uns auch hier nicht überzeugt; und noch unglaublicher erscheinen uns die auf S. 150 flgd. vorgetragenen angeblichen Parallelen und Warnungen, die Helmold mit diesen angeblichen Erdichtungen beabsichtigt hätte, nämlich den Herzog Heinrich den Löwen vor verwandtschaftlichen Verbindungen mit dem Wendenfürsten Pribislav zu warnen!

Mündlicher Ueberlieferung verdankt nun unsers Erachtens Helmold auch alles dasjenige, was er mehr als Adam von dem Wendenfürsten Gottschalk zu erzählen weiß; und er durfte auf diese um so eher Rücksicht nehmen, als Gottschalks Ende nicht einmal ein volles Jahrhundert, sondern nur 60-70 Jahre vor der Zeit lag, da Helmold als Kind oder heranwachsender Jüngling in Holstein verkehrte.

Anders Schirren. - Der Kritiker ist schon mit Adam an dieser Stelle recht unzufrieden; er beschuldigt denselben (S. 117) der Uebertreibung in seinen Angaben über die Ausbreitung des Christenthums unter König Gottschalk (III, 18, 19). Doch für Adam, der als Zeitgenosse eher hätte seine Berichte prüfen können, und dem sie Helmold nur in gutem Glauben nachgeschrieben hat, weiß er sofort eine Entschuldigung vorzubringen. "Man würde", bemerkt er (S. 118), "Adams Glaubwürdigkeit zu nahe treten, wenn man aus diesen beiden Capiteln, die nur Phrasen (??) enthalten, einen Maßstab für den Geschichtschreiber Adam

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entnehmen wollte." Es kam jedes Mal auf die Quelle an, bei Adam sowohl wie bei Helmold. "Es sind eben Auswüchse", setzt Schirren hinzu, "die einfach wegzuschneiden sind, eine Operation, die für Helmold gefährlich ist, während Adam sie zu überleben vermag." Wir unsererseits vermissen in diesen Worten die erforderliche Unparteilichkeit und Unbefangenheit der Kritik. Schirren scheut sich (S. 115) nicht, zu behaupten: "Sicher haben Helmold und Saxo, was nicht von ihnen hinzugedichtet worden ist, mittelbar oder unmittelbar aus Adam von Bremen."

Es ist für den Kritiker natürlich störend, daß Saxo Grammaticus an mehreren Stellen Helmolds Erzählungen mehr oder weniger bestätigt. Ein solcher Entlastungszeuge muß daher beseitigt werden. An dieser Stelle läßt Schirren es zweifelhaft, ob der dänische Geschichtschreiber direct aus Adam geschöpft habe, an einer späteren aber (S. 136) will er - nicht etwa, wie es ihm doch zukäme, beweisen, daß und wo Saxo den Helmold benutzt habe, sondern den "Beweis abwarten, daß Saxo nicht Alles" (was er von Gottschalks Sohn weiß) "aus Helmold geschöpft habe." Wir werden in Bezug auf den Wendenfürsten Heinrich diesen Beweis später führen. Aber auch in Rücksicht auf die Geschichte Gottschalks erweist sich Schirrens Behauptung als unhaltbar; die Differenzen zwischen dem dänischen und den deutschen Chronikenschreibern sind zu groß. Z. B. gleich zu Anfang nennen diese Gottschalks Vater: Uto, bei Saxo (S. 523) heißt er: Pribignev; nach Adam war der Vater ein Scheinchrist (male christianus), der Däne nennt ihn einen frommen Christen, der es vergeblich versucht habe, sein abtrünniges Volk zum Glauben zurückzuführen u. s. w. Saxo weiß nur, daß Gottschalk auf die Nachricht von des Vaters gewaltsamem Tode die Schule (Lüneburg nennt er nicht) verläßt, an den nordelbischen Sachsen Rache nimmt und dann in König Kanuts Heer eintritt. Konnte er das denn nicht ebenso gut wie so vieles Andere aus mündlicher Ueberlieferung in Dänemark erfahren, zumal Gottschalk später durch seine Vermählung mit einer dänischen Königstochter das Interesse der Dänen zwiefach erregt hatte? Von der Loslassung Gottschalks durch den Sachsenherzog spricht Saxo gar nicht, wohl aber hernach von des Wendenfürsten Heimkehr. Freilich von dieser ganz abweichend von den Deutschen. Man vergleiche nur, wie sehr schon sein Bericht über die Niederlage der Wenden (S. 545) im Kampfe mit den Dänen abweicht! Dem Gottschalk macht er bittere Vor=

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würfe über seinen Abfall von Svend, während die Deutschen zwischen diesen gar keine Beziehungen kennen, Helmold den Wendenfürsten sogar schon nach Kanuts Tode († 1035) heimkehren läßt. Dann berichtet Saxo von Gottschalk nur noch, daß er sich durch verschiedene Kämpfe das Wendenland unterwirft und abermals zur Rache für seinen Vater das Sachsenland bekriegt, während dieser nach der deutschen Erzählung sich gerade an die Sachsen anlehnt. Von Allem, was Adam und Helmold von Gottschalks Herrschaft und Missionsbestrebungen aufzeichneten, ist bei Saxo keine Spur. Hätte er von diesen etwas erfahren, wie hätte er den Wendenfürsten als einen Sachsenfeind hinstellen können?

Doch dies Letzte verschlägt für Schirren wohl nicht viel. Denn - gegen alle Quellen! - ist Gottschalk für ihn kein Herrscher über die Wendenlande bis zur Peene geworden, sondern "unstreitig", wie er (S. 126) versichert, nur ein "slavischer Bandenführer im Wickingerstil", ein "Parteigänger um Sold (!) und Beute gewesen, und nur, weil er Hamburg besonders erfolgreich gedient haben mag, von Adam gepriesen." Den Beweis für diese Anschauung ist der Kritiker aber schuldig geblieben.

Seiner Herkunft nach hält er (S. 116) Gottschalk für einen Elbwenden, einen südlichen Polaben, obwohl es keine Quelle meldet und der junge Fürst so gut z. B. von der Meklenburg als von Ratzeburg aus auf die Schule zu Lüneburg geschickt werden konnte. Die "vielen Tausende" von nordelbischen Sachsen, welche er nach Adam (II, 64) an der Spitze wendischer Schaaren zur Sühne für den Vater hinmordete, wohnten nach Schirren alle im südlichen Lauenburg (schon damals, als noch die Stadt Lauenburg nicht existirte, der Sachsenwald noch viel größer war und Einfälle der Wenden das Grenzgebiet unsicher machten!) - und nicht in Holstein; denn in Holstein soll Helmold Gottschalk nur thätig sein lassen, um ihn unvermerkt aus der Elbgegend nach Wagrien zu versetzen (S. 120): "Der Winulerfürst von der Elbe ist völlig vergessen, in Wagrien sitzt ein Fürst aus altem Geschlecht"!!

Dieser ganzen Schirrenschen Hypothese fehlt nun aber jede Grundlage. Helmold berichtet mit keinem Worte, daß Gottschalk seine Residenz in Wagrien gehabt habe; nach Adams Vorgange erzählt er nur, es sei je eine Mönchs= oder Nonnen=Congregation zu Lübeck, Oldenburg, Ratzeburg und Lenzen gewesen, dagegen drei zu Meklenburg; hier in der Meklenburg verweilte auch seine Gemahlin Siritha

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mit ihren Frauen (Ad. III, 50; Helmold I, 24), als 1066 die Wenden abfielen und Gottschalk zu Lenzen ermordeten: die Meklenburg tritt dem unbefangenen Leser sofort als der Hauptsitz des Fürsten entgegen. Aber einmal von Mistrauen erfüllt, tadelt Schirren sogar, daß Helmold und die Abschreiber Adams unter Lëubice (Alt=)Lübeck verstehen; er weist auf ähnlich klingende Namen in der Prignitz und bei Jericho hin, selbst auf "Lubowe" bei Meklenburg, das doch eine ganz andere Endung hat; ja er hält es noch für eine "ungelöste Frage, wann der Name Bukowec durch den Namen Lübeck verdrängt worden ist", obwohl bekanntlich Helmold (I, 51) mit dürren Worten erzählt, daß Graf Adolf den Namen der bei der Einmündung der Schwartau in die Trave untergegangenen Stadt Lübeck auf seine neue, auf dem Hügel Buku, zwischen der Trave und der Waknitz, angelegte Stadt übertrug. -

Jene irrige Idee vom "Wagrischen Principat" tritt dann auch noch weiter bei Schirren hervor. Bekanntlich weicht Helmold (I, 21) in mehreren Stücken ab von Adams, auf Mittheilungen eines glaubwürdigen Nordalbingiers beruhender Erzählung von dem gemeinsamen Zuge Gottschalks, des Dänenkönigs und des Sachsenherzogs gegen die Redarier (III, 2l), namentlich, insofern nach Helmold die Kessiner nicht auf Seiten der Redarier und Tholenser, sondern auf Seiten der Circipaner standen. Am einfachsten erklärt sich Helmolds Abweichung, zumal er auch die Dauer des Zuges anders angiebt, daraus, daß er abweichende mündliche Sagen gekannt hat. Schirren sieht dagegen (S. 146 und 147) auch hierin wieder eine Tendenz: Gottschalk soll von Helmold um so mehr verherrlicht sein, indem dieser ihn "ein obotritisches Stammland unter den wagrischen Principat zwingen läßt" u. s. w. Was es mit dem Wagrischen Principat auf sich hat, sahen wir schon; die Kessiner aber waren kein "obotritisches Stammland", sondern sie waren Liutizen. Aufrichtig gestanden, scheint uns Helmolds Bericht correcter als der von Adam; ob historisch richtiger, lassen wir dahin gestellt. Beide beklagen, daß die Sieger - denn die Circipaner unterlagen - nur an Beute oder Geld gedacht hätten, vom Christenthum dabei nicht die Rede gewesen sei. Soll das heißen, die Sieger haben von den Besiegten die Annahme des Christenthums nicht verlangt? Aber beide Chronisten haben schon vorher erzählt, daß die Kessiner und die Circipaner sich bereits zum Christenthum verstanden hatten; Adam widerspricht sich also, indem er die

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Circipaner noch wieder als Heiden (pagani) bezeichnet, und bei ihm gehen die Worte: "de christianitate nullus sermo" also wenigstens mit auf diese. Helmold dagegen vermeidet diesen Widerspruch, setzt für "paganorum" vielmehr "hominum". Wenn er aber dennoch hernach schreibt: "De christianitate nulla fuit mentio", so will er also nur sagen: Die christlichen Herren haben ihren Verbündeten, den Redariern, den Inhabern des berühmten Tempels (zu Rethra), die Annahme des Christenthums nicht zur Bedingung gemacht, es kam den Dänen und Sachsen nur auf's Geld an.

Wir haben hiermit die Punkte erledigt, welche Herr Professor Schirren hervorgehoben hat, um zu zeigen, daß sich Helmolds Geschichtsfälschung vornehmlich aus der Vergleichung mit dem Adam erweise; wir haben diesen Beweis aber durchaus nicht stichhaltig befunden.

Für die spätere Zeit wird dem Herrn Professor die Begründung solcher Anklage jedoch noch viel schwerer, weil es uns erstens an der Controle durch einen andern Schriftsteller fehlt, und weil zweitens wir uns immer mehr der Zeit nähern, aus welcher Helmold durch mündliche Berichte alter Männer (quae longaevis viris referentibus percepi, sagt er in der Widmung) über die Erlebnisse ihrer Großväter und Väter Vieles erfahren konnte. Unser Kritiker empfindet den Mangel eines "unabhängigen Textes zur Vergleichung" auch allerdings, tröstet sich jedoch (S. 145) damit: "Helmold richte sich selbst." Er macht übrigens große Anstrengungen und schlägt einen ganz neuen Weg ein, um Helmolds Erzählungen von dem Wendenfürsten Heinrich, dem Sohne des Fürsten Gottschalk, für welchen Herr Schirren den Namen "Slavenheinrich" erfunden hat, als eine Tendenzschöpfung Helmolds hinzustellen.

Ihm sind nämlich "die mehreren Heinriche" (S. 150) des 12. Jahrhunderts aufgefallen. Er stellt (S. 157 flgd.) 5 Fürstenpaare zusammen: Heinrich den Löwen und Mechthild, Heinrich=Burwin und Mechthild, Pribislav und Woislava, Heinrich=Pribislav von Brandenburg und Petruschka, endlich den Slavenheinrich und die Slavina. Er entdeckt eine "Heinrichssucht" unter den Mönchen, die zu Helmolds Zeit "aller Wahrscheinlichkeit nach" "schon mehr als ein Opfer gefordert" (S. 160), und erklärt dann (S. 158) alles Weitere aus einem "Legendenkriege" dieser Mönche; und zwar so: "Ein Heinrich genügte, alsbald einen zweiten und dritten auf die Bühne zu rufen. Rühmten die Cistercienser von

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Schwerin sich ihres Burewin" [aber wo hätten sie das gethan? und sie saßen ja nicht unter Burwin, sondern unter Graf Gunzel von Schwerin, und jener regierte überhaupt noch nicht, als Helmold schrieb!] "oder, was durchaus nicht unwahrscheinlich ist, schon ebenso vorlaut (sic!) seines Vaters, so blieben die Prämonstratenser von Brandenburg mit einem Heinrich=Pribislaw gewiß nicht lange in Rückstand. Hatte der eine seine Frau und war zu beneiden, so fanden sich die andern gewiß bald gleichfalls versorgt, und konnte man mit auswärtigen Frauen nicht concurriren, so standen einheimische Dobrawen" [auf wen geht das?], "Woislaven, Slavinen vollauf zur Verfügung." Schirren nimmt es mit dieser Phantasie in der That. ernst; er empfiehlt (S. 189), die Geschichte "möge sich eine Zeitlang mit einigen berechtigten Heinrichen weniger behelfen." Aber andererseits hat er doch nicht ganz so schlimme Absichten, wie man hiernach denken sollte; denn da jene Heinriche alle durch Zeitgenossen hinlänglich beglaubigt sind, so zweifelt er nicht an ihrer Existenz; nur das, was von ihnen berichtet wird, hält er meistens für reine Tendenzdichtung. Härter geht er dagegen mit den Frauen um. Nur Heinrichs des Löwen Gemahlin läßt er frei passiren. Als Heinrich Burwins Gemahlin nennt freilich schon ihr jüngerer Zeitgenosse Arnold von Lübeck (III, 4) Mechthild, Tochter Herzog Heinrichs des Löwen; dennoch aber "wäre es" nach Schirren (S. 155) "möglich, daß ihm vor Allem von den Mönchen der Doppelname und seiner Frau der Name Mechthildis beigelegt wurde." "Die Mönche wollten es so haben, und das entscheidet." - Solche Behauptung wird wohl kaum Beifall finden. - Die Petruschka, deren Geschichte für Schirren eine verdächtige Aehnlichkeit mit der der Semiramis zeigt, mögen die Brandenburger vertheidigen! Für die Woislava rede, bemerkt Schirren, "sogar ein Ziegel, während man sich in Meklenburg sonst wohl auch mit einem Brett begnüge." (S. 157.)

Ein Kritiker, der sich solchen Hohn erlaubt, verwirkt den Anspruch auf eine höfliche Polemik! Denn jeder Historiker weiß, daß ein späteres Zeugniß - und jene Doberaner Ziegelinschrift auf dem Grabe der Woislava stammt allerdings frühestens aus dem Ende des 13. Jahrh. - weniger gilt als ein zeitgenössisches, und bemißt danach den Werth; aber ebenso bekannt ist, daß Klöster ihre Stifter und Stifterinnen dankbar im Gedächtniß behielten. Es wäre auch wohl der Beachtung werth gewesen, daß die Woislava in der von Kirchberg aufgezeichneten Ueberlieferung nicht als eine

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"einheimische", sondern als eine "normannische" Fürstentochter erscheint; und mehr als sein Spott hätte, es der Wissenschaft genützt, wenn Herr Professor Schirren die bisher geäußerten Vermuthungen über die Herkunft dieser Fürstin einer ernsten Prüfung unterzogen und widerlegt oder bestätigt hätte. Endlich in Bezug auf die Slavina meint Schirren (S. 158), schon ihr Name verrathe die Fabrik, ohne daß er auch nur in Erwägung gezogen hätte, ob nicht oder warum nicht der Name eine Ableitung von dem wendischen Worte slava = Ruhm sein könnte.

Also, um auf den "Slavenheinrich" zurückzukommen, "der Heinrich Adams ist" auch für Schirren (S. 160) "historisch" und ihm (S. 159) "darum unverdächtig, weil Adam mit diesem Heinrich" (der, als Adam schrieb, 1075, nach Schirren noch nicht volle zwanzig Jahre zählte!) "weiter nichts anzufangen gewußt hat." Aber er setzt hinzu: "Wo Adam von ihm schweigt, hebt die Tendenzdichtung an." "Wo Schwerin und Brandenburg concurrirten, durfte Lübeck nicht fehlen." "Seine Tendenz schrieb ihm (Helmold) gebieterisch vor, Vicelin wirklich und in der That zum Slavenheinrich nach Lübeck zu führen" (S. 166). - Hier verräth aber Schirren seine eigene Tendenz. Um zu bestreiten, daß Vicelin nach Lübeck zu König Heinrich gekommen sei - eine ebenso unverdächtige, als verhältnißmäßig untergeordnete Mittheilung -, soll Heinrichs Lebensgeschichte eine Tendenzdichtung sein; dies war übrigens auch schon das Motiv Schirrens, den Wagrischen Principat Gottschalks zu erfinden und des Fürsten Heimath an die Elbe zu verlegen. (Vgl. S. 123. 424.)

Wer aber den Helmold unbefangen liest, wird leicht begreifen, warum Heinrich zu Lübeck seine Residenz aufschlug. Die dem christlichen Gottschalk feindliche, heidnisch gesinnte Nationalpartei unter den Wenden hatte nach Gottschalks Tode den Kruto zu ihrem Fürsten gewählt, und diesem war es gelungen, Gottschalks ältesten Sohn Butue trotz der Begünstigung durch die Sachsen zu vertreiben und durch List um's Leben zu bringen. Heinrich vergalt das Kruto auf höchst unedle Weise; aber er fühlte die Schwäche seiner Herrschaft, wagte nicht einmal einen Missionsversuch wie sein Vater und nahm seinen Sitz in der Nähe der Holsteiner, auf deren Kraft er sich stützte und stützen mußte, zumal seitdem weiter im Osten die Gegenpartei zu Krutos Nachfolger einen unversöhnlichen Christenfeind wählte (Helmold I, 24), dessen Namen Helmold nicht nennt (obwohl man sich, wäre er der, für den ihn Schirren ansteht, wundern

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müßte, daß er keinen Namen für ihn erfunden hätte). Erst der Sieg bei Schmielau, der mit der Hülfe der Sachsen errungen wird, verschafft Heinrich die Herrschaft über östliche Slavengebiete. Der Mittelpunkt der wendischen Opposition ist Rügen, von dort her geschieht später der Angriff auf Lübeck; die Niederlage der Ruyaner vor Lübeck durch Heinrich ist eben darum von so großer Wirkung. Der Streit um die Oberherrschaft endet vorerst mit Heinrichs Tode (I. 38) - was in Schirrens Augen eine "wunderliche Motivirung" ist -; Heinrichs Söhne treten nicht in die volle Macht des Vaters ein, doch Zwentepolch erobert die Burgen Werle und Kessin. Der Kampf zwischen Heinrichs Haus und Krutos Haus setzt sich noch fort, als Heinrichs Nachkommenschaft erloschen ist und seines Bruders Sohn Pribislav die Herrschaft wenigstens im Westen behauptet, Race aus Krutos Stamm diesem aber Lübeck zerstört.

Es ist für Schirrens ganze Anschauung ohne Zweifel sehr drückend, daß auch Saxo den Fürsten Heinrich gerade in Wagrien auftreten läßt; er behauptet ja aber, Saxo habe den Helmold gelesen.

Vergleichen wir also die beiden Chronisten! Der dänische berichtet (p. 618) zunächst nur Beziehungen Heinrichs zu den Dänen und zwar meistens Ereignisse, von welchen Helmold kein Wort erwähnt. Nach Saxos Darstellung ist Heinrich, der Sohn der dänischen Siritha, von König Niels seiner mütterlichen Erbschaft in unwürdiger Weise beraubt, verheert das südliche Schleswig und veranlaßt dadurch Niels zu einer Landung bei Lütjenburg, besticht jedoch dessen Reiteranführer und schlägt die Dänen in zweitägigem Kampfe, 9. und 10. August (1113?), fetzt seine Verheerungen fort und greift selbst die Stadt Schleswig an. Dadurch fühlen sich auch Friesen, Holsteiner und Dithmarsen zu Raubzügen ermuntert, und sogar ein vornehmer Däne treibt solch Geschäft. Dieser mag derselbe sein, den nach Helmold (c. 49), der sonst von allem Erwähnten gar nichts bringt, Kanut Laward, trotz seiner Verwandtschaft, seiner hohen Abkunft halber am höchsten Mast aufknüpfen ließ; hätte aber Saxo diese Stelle des Helmold gekannt, er hätte bei seiner Vorliebe für Pointen diese Erzählung gewiß nicht verschmäht. In Bezug auf die Jugendgeschichte Kanut Lawards weichen Saxo und Helmold wieder völlig von einander ab; von Helmolds Bericht (c. 49), wonach König Erich der Gütige bei seiner Abfahrt von Dänemark sein Reich und seinen Sohn dem Bruder Niels befahl, mit der eidlichen Verpflichtung,

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Kanut, wenn er erwachsen, das Reich zu übergeben, weiß Saxo nichts, berichtet dagegen (p. 609), wer des Prinzen Erzieher wird, ferner (p. 619), wie Kanut sich in der schon erwähnten unglücklichen Schlacht gegen Heinrich den Wenden auszeichnet, wovon wieder nichts bei Helmold vorkommt. Dagegen von Helmolds Angabe, Kanut sei in seiner Jugend vor dem Oheim Niels zu Kaiser Lothar entwichen, ist bei Saxo nichts zu lesen; nach Helmold empfing Kanut bei der Heimkehr vom Oheim den "ducatus totius Daniae", nach Saxo (p. 623) erkaufte er sich die Statthalterschaft in Schleswig. Von Kanuts glücklichen Kriegszügen gegen Heinrich den Wenden erzählt Saxo (p. 624 flgd.) ausführlich, Helmold erwähnt sie gar nicht. Endlich berichtet der deutsche Chronist ziemlich weitläufig (I, 48), daß auf Heinrich seine Söhne Zwentepolch und Kanut in der Regierung folgen, in Feindschaft leben, Kanut zu Lütjenburg ermordet wird, Zwentepolch im Bunde mit dem Grafen Adolf die Burgen Werle und Kessin erobert, die Ruyaner dagegen Lübeck zerstören, Zwentepolch vom Daso, sein Sohn Svinike bei Artlenburg ermordet wird, und damit Heinrichs Nachkommenschaft, wie er selbst geahnt, erlischt, Kanut Laward aber vom König Lothar die wendische Krone als Lehn um viel Geld erwirbt. Ganz anders Saxo. Nach seiner Darstellung soll vielmehr Heinrich der Wende, weil er seine Söhne für unfähig zur Regierung angesehen, dem Herzog Kanut das Reich vermacht, dieser es zögernd angenommen und nach Heinrichs Tode sofort besetzt und des Kaisers Gunst durch ein mit goldenen Hufeisen geschmücktes Pferd gewonnen haben.

Was soll denn nun Saxo dem Helmold verdanken? - Schirrens Behauptung ist eben ganz unbegründet.

Sehr beachtenswerth ist es nun aber, daß, wie Saxo nur Beziehungen Heinrichs zu den Dänen kennt, Helmold uns fast nur solche Dinge erzählt, bei welchen die Sachsen, namentlich die Holsteiner, in des Wendenfürsten Geschichte hervortreten. Gleich von Butues Untergang weiß er viel zu melden, weil dieser in Holstein geschah; er ward nur dadurch möglich, daß die Holsteiner nicht eingreifen wollten (c. 25, 26); sie werden nun auch vom Kruto unterjocht, mehr als 600 Familien von ihnen wandern nach dem Harze aus; Kruto setzt sich in Wagrien fest, wo seine Gegenwart in der That am nötigsten war. Weiter weiß Helmold auch von Kruto dann nichts mehr, als dessen gewaltsamen Untergang, und anscheinend hievon auch nur, weil Heinrichs

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Angriffe sich vorzugsweise gegen Oldenburg und die wagrische Küste, gerichtet hatten. Was Helmold darauf zunächst hervorhebt, ist dies, daß Heinrich, sobald er dem Sachsenherzoge Magnus den Eid der Treue geleistet hat, mit den Holsteinern Frieden schließt und treue Freundschaft mit ihrem, anscheinend nun erst nach Krutos Tode eingesetzten, Grafen hält. Der Chronist berichtet (I, 34) weiter von der Tapferkeit, welche die Lüneburger (Barden) und die Holsteiner bei Schmielau gegen die Wenden bewiesen, und beruft sich dabei für eine Einzelheit geradezu auf die Erzählung solcher, deren Väter dabei gewesen. Er entwickelt dann die Folgen des Sieges, wie Heinrich die jetzt gehorchenden Wenden vom Räuberleben zur Arbeit zurückführt, und welchen Einfluß dies auf die Verhältnisse Holsteins gehabt habe. Aber er fügt doch hinzu, daß in Heinrichs Reich nur eine Kirche, die zu Lübeck, gewesen sei, wo der Fürst mit seinem Hause am meisten verweilte, und vergißt nicht zu zeigen, wie unsicher seine Herrschaft war, wie Beutemacher den holsteinischen Grafen Gottfried ermorden, wie die feindliche Wendenpartei unter Führung der Rujaner die Burg (Alt=) Lübeck angreift, aber von Heinrich mit Hülfe der Holsteiner geschlagen wird. Bei Heinrichs Zuge gegen Havelberg (c. 37) führt sein Sohn Butue die günstige Entscheidung herbei durch 300 Wenden und durch 200 Sachsen; bei der Erzählung von dem Zuge in's Rujanerland (c. 38) meldet uns Helmold ziemlich genau, auf welchem Wege die Sachsen aus Holstein und Stormarn dahin gezogen sind, was mit ihnen Fürst Heinrich gesprochen hat, wie er auf sie allein sein Vertrauen setzt; sie treten als die Hauptabtheilung des Heeres hervor, von den Wenden im Heere ist nur nebenbei die Rede, und diesen mißtraut der Fürst. Selbst Helmolds übertriebene Angabe von der Ausdehnung des Wendenreiches über Pommern bis an's Polenland (I, 36) wird auch nur auf die Erzählung der Sachsen zurückzuführen sein, die bis Wolgast gelangten, also in ein Gebiet, das im 12. Jahrhundert zu Pommern gerechnet ward.

Es springt, denke ich, klar genug in die Augen, woher die von Schirren (S. 131) gerügte "Armseligkeit" der Geschichte Heinrichs bei Helmold entsteht. Helmold weiß von dem Fürsten nur zu berichten, was ihm Sachsen in Holstein von ihren eigenen und von ihrer Väter Erlebnissen und Thaten erzählt haben, wie er sich denn ja an einer Stelle auf solche mündliche Erzählung geradezu beruft. Aus der mündlichen Tradition erklären sich auch die chronologischen

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Schwierigkeiten, welche uns seine Berichte verursachen. Mitunter (z. B. S. 129) kommt Schirren der Gedanke, Helmold möge kurze schriftliche Aufzeichnungen vor sich gehabt und sie nach Gefallen ausgeschmückt haben; aber er hat nichts davon nachzuweisen gewußt. Seine ganze Anschauung von jener Zeit ist nun einmal irrig; Heinrich ist ihm (S. 126), wie sein Vater, nur ein wendischer Bandenführer im Wickinstil u. s. w.

Daß der Heinrich Helmolds nicht der Heinrich Adams sei, vermag er aber gar nicht darzuthun. Wenn Helmold Adams um 1075 gemachte Aeußerung (III, 50) wiederholt, daß beide Söhne Gottschalks den Wenden zum Verderben geboren seien, und doch erzählt, Heinrich sei - als Kind (auch nach Schirren noch nicht 11 Jahre alt), ohne Zweifel mit der Mutter - 1066 nach Dänemark entflohen, so sehe ich darin gar keinen Widerspruch. Denn was hindert anzunehmen, daß Heinrich als Jüngling aus Dänemark zurückeilte, um sich an den Kämpfen seines Bruders und der Sachsen gegen die feindliche Wendenpartei zu betheiligen? - Die Ermordung Krutos ist für Schirren (S. 132) eine "nackte Dichtung", eine "Fabel", "deren Vorbild man um so leichter irgenwo im Norden finden mag." Leider hat er jedoch trotz seiner großen Belesenheit und seiner Liebe zu Vergleichungen, die ihn, wie wir sahen, sogar auf die Semiramis zurückgreifen ließ, kein Vorbild aufgesucht oder aufgefunden. Und warum konnte in Wagrien nicht Aehnliches geschehen wie im Norden?

Ueberhaupt hinken die Vergleichungen Schirrens meistentheils. Die "sogenannte Schlacht auf dem Smilowerfelde" leugnet er nicht geradezu, aber er vermuthet (s. 257), Helmold habe sie "mit einem ganzen Gewebe von Dichtung umsponnen." Wenn dieser unter Berufung auf Söhne von Kämpfern in dieser Schlacht mittheilt, den Wenden sei es im Streite sehr nachtheilig gewesen, daß ihnen die Abendsonne in's Gesicht schien, so soll dies Helmold dem Widukind "nachgedichtet" haben, der bekanntlich berichtet, im Jahre 929, in der Schlacht bei Lenzen, sei in der Morgensonne von den in der vorigen Nacht vom Regen durchnäßten Kleidern der Wenden ein Qualm aufgestiegen, der sie eingehüllt, während die Deutschen hellen Sonnenschein um sich gehabt hätten! Schirren scheint selbst zu fühlen, wie wenig dieser Vergleich ganz verschiedener Dinge leistet; er giebt uns deshalb (S. 258) ein anderes, seiner Versicherung nach "minder leicht abzufertigendes Beispiel." Nämlich Helmold

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soll für seinen Bericht über die Schlacht wider die Rugier am 1. August, für welche dieser sich auf den Ranenberg und das Gedenkfest beruft, "sein Vorbild entlehnt" haben von K. Heinrichs IV. Flucht aus der Harzburg am 9. August 1073 und dessen Sieg an der Unstrut am 9. Juni 1075, der Ranenberg aber erinnert Schirren an jenes Runibergun, welches nicht etwa in jenem Streite König Heinrichs, sondern bei Widukind (I, 9) in den sagenhaften Kämpfen des Frankenkönigs Dietrich mit dem Thüringerkönig Irminfried vorkommt und nach Schirren "nicht allzuweit von der Unstrut" lag, was aber noch etwas zweifelhaft ist. Nach Schirrens Zusammenstellung einiger Auszüge aus Helmold und Lambert, von dessen Kenntniß freilich Helmold keine Spur verräth, sollte man denken, selbst in der Zeitbestimmung (August), in der Zweizahl und Vierzahl herrsche eine auffallende Uebereinstimmung; liest man aber jene Stellen im Zusammenhange, so löst sich das Nebelbild sofort wieder auf. Es ist richtig, Heinrich der Wende wird durch seine Feinde in seiner Burg belagert wie Heinrich IV, und beide entkommen, um sich Hülfe zu suchen, jener im Juli, dieser 9. August (also nicht in demselben Monat!). Ist solche Flucht etwas Charakteristisches? Der Wende hat zwei, der deutsche König aber drei Begleiter; die Zweizah l ist also auch schon zu streichen. Der Wende befiehlt seinen Leuten die Burg bis zum vierten Tage zu halten, und ist dann auch mit seiner Hülfe zur Stelle. Der deutsche König flieht drei Tage lang durch die Wälder, erreicht am vierten Eschewege, am fünften Hersfeld und wartet hier vier Tage auf das von Mainz heranziehende Heer (das giebt also 9 Tage). Jener besiegt am 4. Tage die Feinde, dieser erst nach beinahe 2 Jahren. Was bedeutet denn nun die parallele von den 4 Tagen? Richtig ist, daß bei Lübeck wie an der Unstrut die Feinde überrascht wurden; aber in wie viel hundert Treffen ist das nicht geschehen! Man vergleiche einmal Helmolds eigene Berichte von der Schlacht an der Unstrut im Jahre 1075 (I, 27) und von der Schlacht auf dem Ranenberge, so sieht man sofort, daß es mit Schirrens Parallelen nichts auf sich hat. - Dies sind aber die Einwendungen alle, welche unser Kritiker gegen Helmolds Erzählungen von den Kämpfen bei Schmielau und bei Lübeck vorzubringen weiß.

Nicht stichhaltiger ist, was er gegen den ersten Zug Heinrichs des Wenden nach Rügen bemerkt, den uns Helmold nach mündlicher Tradition wiedergiebt. Wenn Helmold

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dabei in den Reden des Fürsten und der Holsteiner einmal ungeschickt war, wer wird darum mit Schirren (S. 260 flgd.) gleich den ganzen Zug in Zweifel ziehen? Uebrigens ist es doch noch fraglich, ob der hervorgehobene Widerspruch dem Helmold oder seinem Kritiker zur Last fällt. Jener erzählt, der Zug sei im Winter unternommen, Heinrich sei vom Festlande über das Eis auf die Insel Rügen gelangt; als ihm nun ein sächsischer Kundschafter das Herannahen der Feinde, der Rujaner, meldet, redet der Fürst seine sächsischen Bundesgenossen an: . . . "Seht, wir sind ringsum vom Meere eingeschlossen, Feinde vor uns, Feinde hinter uns" (ecce mari undique conclusi sumus, hostes ante nos, hostes post nos), ein Entkommen, fährt er fort, sei unmöglich, es gelte zu siegen oder zu sterben. Schirren deutet dies triumphirend: "Das offene Meer" - das soeben noch als gefroren geschildert war - "versagt den Rückzug"! Er findet hier ein "Phantasiegebilde, bei welchem die Phantasie der Controle entschlüpft." Unsers Erachtens sagt aber der Fürst Heinrich bei Helmold nur: Vor uns stehen die feindlichen Rujaner, hinter uns die mir feindselig gesinnten Wenden, die leicht mit jenen gemeinschaftliche Sache machen können. Jenseit des schmalen Sundes finden wir, wenn wir geschlagen werden, nur diese feindseligen Wenden, anderswohin entfliehen, anderswoher, aus Dänemark oder Holstein, Hülfe herbeirufen können wir nicht, weil wir vom Meere umschlossen sind. Daß das ganze Meer gefroren gewesen sei, sagt aber Helmold nicht und ist auch nicht glaublich. Doch wie man auch jene Worte auffasse, als eine Gedankenlosigkeit des Schriftstellers oder als eine wohlüberlegte Aufzeichnung, es bedeutet für Helmolds Ehrlichkeit nichts. Mit Bedauern bekennen wir, bei Schirren über den Wenden Heinrich keine neuen Aufschlüsse oder eine haltbare Auffassung gefunden zu haben.

Wir sind bereits bei einem Zeitraum angelangt, aus welchem ältere Männer dem Chronisten die Thatsachen aus eigener Anschauung oder doch als ihre Erlebnisse mittheilen konnten. Hier tritt uns dann auch der Bischof Vicelin entgegen, dessen Leben Helmold, der Bedeutung des Mannes entsprechend, verhältnißmäßig ausführlich behandelt, - "ne posteros lateat". Er hat schon selbst den Bischof gekannt und öfter sprechen hören (I, 42), über dessen Jugendgeschichte auch anscheinend Aufzeichnungen in Versen vor sich gehabt; seine meisten und wichtigsten Mittheilungen wird er aber

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mündlicher Ueberlieferung zu Faldera verdanken. In diesen biographischen Angaben hat nun der Scharfsinn neuerer Gelehrten Unrichtigkeiten entdeckt, mit Hülfe anderer Angaben, wie sie dem Helmold freilich noch nicht zu Gebote standen, und namentlich hat neuerdings Schirren in seinen Erörterungen gegen Höhlbaum (Forschungen z. d. Gesch. XVII) sich in dieser Hinsicht ein sehr anzuerkennendes Verdienst erworben. Doch sind die Gelehrten uneins darüber, wo der Hauptfehler bei Helmold steckt; und wenn nicht neues Material entdeckt wird, mag eine Einigung auch für die Zukunft unwahrscheinlich sein. Daß Vicelin als magister scholae von Bremen und noch als Akoluth mit seinem Lieblingsschüler Thetmar nach Frankreich gezogen ist, um dort in Laon Anselm († 1117) und Radolf zu hören, finde ich meinestheils unbedenklich und kann mir nicht vorstellen, daß man in Holstein den beiden hervorragendsten Geistlichen daselbst sollte eine solche Reise nach Frankreich angedichtet haben. Auf den in Frankreich gefaßten Entschluß, sich einer Askese, die noch über die Anforderungen der Augustinerregel hinausging, und eifrigerer Pflege des Gottesdienstes zu weihen, scheint sich auch die Bezeichnung Vicelins als religiosus in der bekannten Einzeichnung des Cod. Vicelini (Pertz, Scr. II, 378) zu beziehen. Eben diese steht aber auch, indem sie Vicelin weiter als canonicus Bremcnsis ecclesiae bezeichnet, zu Helmold im Widerspruch; denn Letzterer erzählt, Vicelin habe, als er nach dreijährigem Aufenthalte in Frankreich nach Bremen zurückgekehrt war, eine ihm angebotene Domherrenstelle zu Bremen abgelehnt, sei noch in demselben Jahre zum Erzbischof Norbert von Magdeburg gezogen und von diesem zum Priester geweiht. Jene Worte sollen nach Ausweis der Handschrift im 12. Jahrh. in den Codex Vicelini eingetragen sein; daß sie erst nach 1123 aufgezeichnet sind, scheint der unbestimmte Eingang: "Temporibus d. Hamukonis Patherburnensis abbatis" (1118- † 1123) zu beweisen, und der Ausdruck quidam religiosus spricht für eine etwas spätere Zeit. Helmolds Nachrichten zeigen hier aber allerdings eine Lücke; ich zweifle nicht, daß Vicelin nach seiner Rückkehr aus Frankreich einige Jahre Domherr zu Bremen gewesen ist und als solcher auch die Zwischenstufen bis zur Priesterwürde durchlaufen hat. Ja, wenn die bei Lappenberg, Hamb. U.=B. Nr. 131, abgedruckte undatirte Urkunde des Erzbischofs Friedrich von Bremen († 1123), welche uns nur in einer Abschrift vorliegt, wirklich, wie Schirren (S. 24.) versichert, "unter den vielen

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verdächtigen Urkunden jener Zeit gerade von dem Verdacht einer Fälschung frei ist", so ist Vicelin in Bremen sogar bis zur Würde eines Scholasticus emporgestiegen, da in jener Urkunde: "Adelbertus custos, Vicelinus scholasticus" als Zeugen vorkommen. Mir fehlt das Material zur Prüfung der Echtheit, oder der Genauigkeit jener Abschrift; auffällig ist mir nur, daß hier gegen die Regel, wonach die Prälaten dem Range gemäß geordnet zu werden pflegen, der Custos dem Scholasticus vorangeht, und daß Vicelin in dem Cod. Vicel. schlechthin nur canonicus, nicht scholasticus betitelt wird. Indessen lege ich auf diese Frage weniger Werth, da, wie Schirrens sehr gelehrte Erörterungen beweisen, der Scholasticus nicht schon Priester sein mußte, Helmolds Angabe von der Priesterweihe Vicelins durch Norbert, der erst 1126 den erzbischöflichen Stuhl zu Magdeburg bestieg, also dadurch nicht widerlegt wird, auch nichts dagegen spricht, daß Vicelin durch Norbert den Impuls zur Mission empfing. - Kurz, über die Zeit von etwa 1120-26 hatte Helmold aus Vicelins Leben keine Nachrichten, er erfuhr nichts von seiner Domherrnwürde und glaubte, daß er gleich nach der Heimkehr nach Magdeburg gezogen sei. Auch hat unser Chronist bei seiner Schwäche für Zeitbestimmungen die Dauer von Vicelins Aufenthalt in Holstein bis zur Bischofsweihe unrichtig auf 30 Jahre angeschlagen, wo 22 das Richtige waren. - Aber um jener einen Lücke willen möchte ich doch nicht mit Schirren (S. 22) gleich, "was Helmold erzählt, großen Theils in das Gebiet der Legende verweisen." Legendenhaft mochte Schirren nennen, was Helmold von Erscheinungen und Wundern erzählt (in dieser Hinsicht ist der holsteinische Chronist nicht unbefangener als andere mittelalterliche, Thietmar etc .), und legendenhaft auch den Ton der Darstellung, der sich für solche Biographien nach Legenden bildete; aber absichtliche Umbildungen, Entstellungen und Erfindungen in der wahren Lebensgeschichte Vicelins (S. 22) vermag ich bei Helmold und den Zeitgenossen nicht vorauszusetzen, und erwiesen sind sie nicht.

So sehr ich auch Schirrens Scharfsinn anerkenne und so sehr ich die Fruchtbarkeit seiner Erfindungsgabe bewundere, ich vermisse die zwingende Kraft seiner Ausführungen und noch häufigeren bloßen Behauptungen, und kann mich an denselben nicht erfreuen, da sie nur den Zweck haben, einen Schriftsteller als einen Lügner hinzustellen. Es fehlt an Raum, um auf alle einzugehen, aber einige zu berühren kann ich mir nicht versagen. Z. B. ohne jeglichen ersicht=

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lichen Grund bezweifelt er die für uns ganz gleichgültige Angabe Helmolds (I, 45), daß der Probst Adalbert zu Bremen ein Verwandter Vicelins gewesen sei; ebenso willkürlich (S. 19), daß Helmold den Dietrich, seinen Gewährsmann für eine Angabe (I, 43), erfunden habe, weil der Chronist nicht hinzufügt, wo er ihn gesprochen! Wenn der Verfasser der (S. 53) erwähntem Notiz im Codex Vicelini, der vielleicht erst 30-40 Jahre später schrieb, nichts weiß oder erwähnt von Vicelins ehemaligem Schulbesuch zu Paderborn, so schöpft Schirren daraus (S. 215) sofort wieder Verdacht gegen Helmold! - Der Chronist soll ferner, um dem Bischof Gerold von Lübeck, der "magister scole et canonicus" in Braunschweig gewesen war, einen Vorzug vor Vicelin zu gönnen (S. 34), des letzteren Domherrnwürde verschweigen! - Der Kritiker muß nun einmal sein Opfer überall bemängeln; er tadelt sogar, daß Vicelin (I, 53) calvus genannt wird, obwohl er doch als Priester die Scheiteltonsur hatte! Ja, Wenn Helmold (I, 14) erzählt, Segeberg sei auf dem vormals so genannten Oilberg erbaut, den schon das Scholion 13 zum Adam Alberc nennt, so hält Schirren (S. 252) dies für falsch; Oilberg sei der Berg erst genannt, seitdem 1172 Heinrich der Löwe auf dem Oelberg bei Jerusalem gestanden habe! Und das Scholion muß nun natürlich "zweifellos jünger" sein. Sollte denn Helmold jene Notiz noch nachträglich in sein erstes Buch (das spätestens 1168 vollendet war) eingeschaltet haben, um sich vor seinen zeitgenössischen Landsleuten als Lügner bloßzustellen?

Je weiter die Erzählung Helmolds vorschreitet, desto mehr ermattet sichtlich der Kritiker in seinen Angriffen, und desto unglaublichere Motive schiebt er jenem unter; es verlohnt sich kaum, sie alle zu berücksichtigen. Helmold kann es ihm eben nirgends recht machen. Lobt er (I, 40) mit wenigen, aber sehr warmen Worten den Missionar Otto von Bamberg, dessen er ja, weil er seinem Thema fern lag, kaum zu gedenken brauchte, so tadelt ihn Schirren S. 91 (nach Hirsekorns Vorgang), daß er sich gegen Otto "kühl verhalte"; ja er soll seiner Erwähnung thun, "nicht um ihm den Ruhm zu gönnen, der ihm etwa gebührte, sondern um (ihm), einem gefährlicheren Nebenbuhler (Vicelins), den Ruhm, den dieser in Anspruch nahm (?), nach Kräften zu schmälern" - und (denn der verschmitzte Helmold schlägt zwei Fliegen mit einem Schlag) um Berno damit entgegen zu treten! Doch davon hernach.

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In Bezug auf den Kreuzzug vom Jahre 1147 "befindet sich Helmold, wie es" Schirren S. 96 "scheint, mit den Thatsachen" (welch ein Zugeständniß!) "und jedenfalls mit der Stimmung weiterer Kreise in Einklang"; aber Helmold soll doch nur darum über den Erfolg so ungünstig geurtheilt haben, weil der h. Bernhard "einen Kreuzzug an die Peene nicht hätte predigen und dem Interesse Lübecks nicht zu nahe treten sollen." Dem Interesse Lübecks? 1147 gab es ja noch kein Bisthum Lübeck, und hernach stand ja das Peenegebiet nicht unter Lübeck, sondern unter Schwerin!

Wenn Helmold II, 12 den Zug nach Rügen im Jahre 1168 mit großer Theilnahme schildert und als den Erfolg derselben die Bekehrung Jarimars und seines Volkes berichtet, so "räumt er" doch nach Schirren S. 97 nur "ein, was sich nicht hat verschweigen lassen", "ist weit entfernt es feiern zu wollen; bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, rächt er sich an der Thatsache, welche ihm nicht genehm ist (!), so weit er es wagt und der Stil des Chronisten es gestaltet, mit Spott und Hohn", - indem er nämlich hernach einfach meldet, wie Heinrich der Löwe, um einen Beuteantheil zu erlangen, die Wenden gegen Dänemark losläßt! Ja Wenn der Chronist voll tiefen Unwillens die Beutegier der Wenden schildert (II, 13): "et saturati sunt Sclavi post diutinam inediam divitiis Danorum" etc . und von Hörensagen (audivi a referentibus) hinzufügt, die Wenden hätten in Meklenburg 700 dänische Gefangene zum Verkauf gestellt, so findet Schirren vielmehr (S. 98): "der Chronist freut sich und spottet zugleich ihres Erfolges in einem Anfalle mönchischer Wildheit"! Dabei tadelt er Helmold S. 18 noch obenein, daß er nur von Hörensagen berichte, "obgleich dergleichen wohl auch aufgezeichnet zu finden war." Und zwar - in den Ann. Magd. zum Jahre 1164! [Ipso die in Magnopoli civitate occisa et captivata est multitudo christianorum a Sclavis.] Dabei passirt es Schirren dann noch gar, daß er selbst unrichtig citirt. Denn jene Worte der Ann. Magd. betreffen gar nicht jenen Zug der Wenden gegen die Dänen, sondern, wie die genaue Zeitangabe (1164, 14. kal. Martii) unwiderleglich darthut, den bei Helmold II, 2 von demselben Tage datirten Angriff Pribislavs auf die Meklenburg.

Eigenthümlich ist endlich auch Schirrens Erörterung über Helmolds Angaben vom Götzen Swantewit. Bekanntlich hatten die Corveyer, und wahrscheinlich nicht sie allein, die Meinung, Swantewit sei der zum Götzen gewordene St. Vit;

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sie hatten deshalb erdichtet, daß ihre Vorgänger einst die Insel bekehrt und ihres Klosterheiligen Dienst dahin verpflanzt, König Ludwig oder Kaiser Lothar ihnen das Land geschenkt habe, die Rujaner aber hernach abgefallen, und der Heilige zum Götzen geworden sei. (Vgl. meine Mekl. Ann. I, S. 16, 144.) Spätestens in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts muß die Entstehung der Gleichung St. Vit = Swantewit fallen; denn natürlich nur deshalb setzten die Corveyer auf den Kreuzzug vom Jahre 1147 die Hoffnung, die Insel zu erlangen (vgl. M. U.=B. I, Nr. 46); aber der Kreuzzug mißlang bekanntlich, man erreichte die geheimnißvolle Insel nicht und bekam das Götzenbild mit den vier Gesichtern nicht zu schauen. Die Sage war aber so bekannt, daß König Waldemar 1168 gerade am St. Veitstage (15. Juni) den Fall Arkonas erwartete (Saxo p. 828) und deshalb an diesem Tage angriff; die Burg und das Götzenbild fielen. Auch in dem Privilegium Kaiser Friedrichs vom Jahre 1170 (M. U.=B. I, Nr. 91) heißt es: "maximo ydolo eorum Szuentevit destructo in die beati Viti." Die Vernichtung des Suanteviz-Bildes berichtet auch die Knytlingasaga (c. 122), und ebenso Helmold. Letzterer erzählt jene Corveyer Sage zweimal, das erste Mal (I, 6) als "veterum antiqua relatio", hernach (II, 12) als "tenuis fama", was auf Zweifel bei ihm schließen läßt. Neuere Gelehrte haben wohl vollends nicht gezweifelt, daß die Sage von der Identität Swantewits und St. Vits ihren Grund in einer zufälligen Namensähnlichkeit habe, Swantewit ein wendischer Götzenname sei. Auch die böhmische Mater verborum nimmt den Suatouytt, Zuatouit, Suatouit (S. 3, 13) nicht anders und vergleicht ihn einem altrömischen Gotte. An Analogien in wendischen Namen fehlt es nicht; den ersten Stamm haben wir in Zwantepolch, Zwantwustrow u. s. w., den zweiten in den rujanischen Götzennamen Rugiaevith (bei Saxo 842, Rinvit oder Rutvit in der Knyti. 122) und Porevith (in der Knytl. Puruvit, Prunvit) und auch in dem Namen des Gerovit, dem bei Ankunft des h. Otto zu Havelberg ein Fest gefeiert ward. Diese Analogien behalten ihre Bedeutung, auch wenn Schafarik und angeblich neuerdings Miklosich -vit nicht aus dem Slavischen zu deuten vermocht haben. Hat man denn schon alle Namen der griechischen, römischen und germanischen Götzen genügend deuten können? - Aber anscheinend hat Miklosichs angebliches Bedenken (S. 252) Schirren sofort für die Meinung bestimmt, Swantewit sei kein echt wendischer Götze gewesen, sondern

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(S. 103) "im Grunde nichts als ein gestürzter St. Vitus." Den Helmold hält er für fähig, "das Kloster (Corvey) mit dem Geschichtchen von ehemals, c. 6, aufzuziehen." "Saxo bleibt billig bei Seite", urtheilt er S. 254, obwohl der Däne doch das Datum von der Vernichtung des Götzenbildes und seine Erzählung von der Weihe eines Geschenkes an den Swantewit durch Svend, Waldemars Nebenbuhler, der dafür (1157) elend verstorben sei (S. 825), nicht bei Helmold fand (und denselben überhaupt nicht gekannt hat); "und die Mater verborum" meint Schirren, "vermag mit ihrem Suatovit an sich (?) nicht viel, am wenigsten für Rügen, zu beweisen." Dies Letztere verstehe ich nicht, am wenigsten, warum sie nichts für Rügen beweisen soll; denn war der Name in Böhmen slavisch, so wird er es auch in Rügen sein. - Wie kann übrigens bei so vielen Zeugnissen Schirren S. 254 schreiben: "daß Swantewit ein rügischer Gott gewesen sei, behauptet außer Helmold nur Mekl. U.=B. 91"? Er beachtet "die Affectation (?), mit welcher Mekl. U.=B. 91 das Bild des Swantewit, als habe sich der ganze Feldzug einem berechneten Theatercoup anpassen müssen, genau am Tage des h. Vitus gefällt werden läßt." Aber der Herr Professor beachtet nicht Saxo p. 828 (s. o.), wo er die Aufklärung für den "Theatercoup" findet. Oder soll Saxo gar auch jene Urk. Nr. 91 gekannt haben?

Schirren ist nun um die Deutung der Sage in ersichtlicher Verlegenheit. Er weiß nicht, ob er sie für einen "Witz auf Corvey" (S. 252) nehmen soll, oder für einen "slavischen Witz". "Dem slavischen Genius," meint er S. 254, "wäre es ganz angemessen gewesen, allzu dringender Empfehlung des S. Vitus" [durch wen? wann?] "mit der Antwort zu dienen: seht her, das hier ist unser Swantewit! der Gott mochte im Uebrigen heißen, wie er wollte; und im Verkehr mit Christen hätten sie dann den einmal gemachten Witz" - also einen Spitznamen für ihren höchsten Götzen - "um so unermüdlicher wiederholt" - das soll wohl heißen: durch das ganze Gebiet der Ostsee=Wenden bis in Wagrien hinein verbreitet, so daß niemand den andern, eigentlichen Namen erfuhr? - "je sicherer ihn die Christen ihrerseits, obwohl zu anderer Nutzanwendung, adoptirt haben mochten". Also Mystification der Christen von Seiten des gesammten, zum Verschweigen des wahren Götzennamens gleichsam verschworenen Wendenvolkes", oder gar gegenseitiges Versteckspiel? - Auch Schirren selbst kann sich das Unwahrscheinliche dieser Hypothese nicht verbergen. Seine unerschöpfliche

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Phantasie erfindet also eine neue Vermuthung: von den Schwerinern ist die Gleichung ausgegangen, sei es nun "auf eine Verspottung (!) des S. Vitus abgesehen gewesen" - oder auf eine Ueberbietung Corveys. Herr Professor Schirren scheint sich nicht zu vergegenwärtigen, daß bei dem Kreuzzuge v. J. 1147, als die Gleichung S. Vitus = Swantewit sicher schon existirte, Schwerin noch tief im Heidenthum steckte. - Aber einmal im Zuge, stürzt er mit dem Swantewit sofort auch noch einen zweiten Wendengötzen. " Gerade im Meklenburgischen und unter Berno scheint" ihm "zu solchen Gleichungen besondere Neigung geherrscht zu haben." "Die Gleichungen: S. Vitus = Swantewit und Godehardus = Goderac verrathen" meint er S. 255, "neben einander zu sehr die Manier, als daß aus Arnold. Lub. V, 24: Berno - lucos succidit et pro Gutdracco Godehardum episcopum venerari constituit, mit gutem Fuge ein neuer slavischer Gott deducirt werden dürfte, da sich - der Gutdraccus am einfachsten (?) als ein Godehardus in slavischem Munde deutet." Ich weiß nun allerdings nicht, wie der Name Godehardus im Slawischen gelautet haben würde, erinnere jedoch daran, daß es in Herzog Heinrichs des Löwen Urkunde von 1171 (Mekl. U.=B. I, Nr. 100, S. 97) heißt: "uillam sancti Godehardi, que prius Goderac dicebatur", daß auch Papst Alexander (Nr. 124) 1178 diese Worte wiederholt, daß Saxo den Warnowfluß (p. 762) "Gudacram amnem", die Knytl. (c. 119) ihn auch "Gudacra" - nach dem an demselben belegenen Tempelort der Kiziner - nennt; solche Namen pflegen aber nicht schnell eingeführt und abgeschafft zu werden, und ich sehe nicht ein, wie die heidnischen Wenden zur Kenntniß und zur Verehrung des h. Godehard gekommen sein sollten.

Doch sind dies mehr Einzelheiten. Falsche, erdichtete Thatsachen hat Schirren dem Helmold auch aus seiner Zeit gar keine nachgewiesen. Dagegen bemüht er sich, bei dem Chronisten versteckte Motive und daraus entsprungene Parteilichkeit in der Darstellung zu enthüllen. Richtig ist, aber nicht neu, zunächst Schirrens Wahrnehmung, daß Helmold ein Gegner der wendischen Fürsten ist. Daraus macht er selbst gar kein Hehl. Er scheut sich nicht (I, 52), Niklot und den Polabenfürsten Pribislav als "truculente bestie, cristianis valde infesti", zu bezeichnen und ist entrüstet über Niklots trotziges Widerstreben gegen die Annahme des Christenthums. Er läßt allerdings Niklot zu Worte kommen und seine Lage schildern, aber er achtet es nicht genug, daß der Fürst ohne

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Verständniß für die neue Lehre war und von derselben die völlige Unterwerfung seines Volkes unter die Sachsen fürchtete. Und dennoch blickt aus den Reden Niklots, die uns Helmold giebt, ein gewisses Interesse des Chronisten an des Fürsten Klugheit und Tapferkeit hervor. Die Abneigung gegen Pribislav, Niklots Sohn, verhindert den Schriftsteller, sich genauer nach dessen persönlichen Schicksalen zu erkundigen; wir erfahren nicht einmal, wann er zum Christenthum übergetreten ist. Helmold macht ihm (II, 4) zum Vorwurf, daß er durch seinen Friedensbruch 1164 die Erhängung seines Bruders Wartislav durch Herzog Heinrich den Löwen verschuldet habe; indessen erzählt er doch auch (II, 2), daß sein Bruder ihn dazu bewogen hatte, und die Motive, welche die beiden Fürsten 1164 leiteten, läßt Helmold genugsam in ihren Reden hervortreten. Wenn Schirren (S. 144) argwöhnt, es möge in Helmolds Erzählung von diesem Jahr, zu welcher die Nachrichten ihm doch erst aus zweiter oder dritter Hand zukamen, "ein Meisterstück höhnischer Fiction" vorliegen, so erklärt sich dies aus des Kritikers unrichtiger Gesammtanschauung von "Helmolds Art". Das ganze Unternehmen Pribislavs im Jahre 1164, den Versuch dem mächtigen Sachsenherzog zu widerstehen, nennt Helmold einen Wahnsinn (insania, II, 6); er ist ersichtlich zufrieden damit, daß der Fürst sich völlig unterwirft und von des Herzogs "Gnade" sein Erbe fast ganz zurückempfängt (II, 7). Er erwähnt auch, daß er auf des Herzogs Befehl an dem Zuge nach Rügen theilnahm (II, 12), und bemerkt am Schlusse beifällig, daß derselbe nicht mehr versuche wider den Stachel zu lecken, sondern seine Burgen baue und in ihren Gebieten sein Volk wieder ansiedele. Gunzels Strenge gegen die Wenden hebt Helmold hervor; er ist anscheinend damit zufrieden, weil sie den wendischen Räubereien ein Ende machte.

Dies sind Dinge, die man offen bei Helmold lesen kann. Und wer möchte ihm, der selbst mitten in der Mission stand, der Zeuge eines langen und heftigen Kampfes um die höchsten Principien war, einen Vorwurf daraus machen, wenn er dem Gange der Dinge nicht mit jener Unparteilichkeit und Unbefangenheit folgte, die dem späteren Historiker allerdings Pflicht, aber auch eine viel leichter zu erfüllende Aufgabe ist? - Daß Schirren (S. 151-155) nun bei Helmold auch noch versteckte Absichten herausklügelt, Winke für Herzog Heinrich den Löwen, sich in keine verwandtschaftliche Beziehungen zu Pribislavs Haus einzulassen, kann nicht auffallen; ich vermag sie aber in Helmolds Worten nicht zu

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erkennen. Da sie bisher noch niemand entdeckt hatte, bezweifle ich auch, ob sie Heinrich der Löwe - wenn ihm die Chronik je zu Gesicht kam - erkannt hat, jedenfalls hat er sie nicht beachtet. Auch dürfte man zweifeln, ob Helmold schon die Eitelkeit heutiger Publicisten theilte, als ob mächtige Fürsten durch solche Winke sich in ihrer Politik bestimmen ließen.

Die Sucht, hinter Helmolds Worten immer noch eine geheime Absicht aufzuspüren, hat dann endlich Schirren auch verleitet, bei dem Chronisten (S. 245) "Eifersucht auf die Cisterciensermission unter den Obotriten" als "ein vielbestimmendes Motiv" und Spott gegen Bernos Missions=Thätigkeit anzunehmen (S. 100 flgd.); er hat sich nun einmal eine Opposition des Bisthums Lübeck gegen Schwerin eingeredet. So sieht er denn in Helmolds Erzählung von Bernos Gefahr und Rettung zu Meklenburg im Jahre 1164 (II, 3) nur Spott. Vornehmlich findet er aber einen Widerspruch zwischen der Urkunde Kaiser Friedrichs vom Jahre 1170 (Mekl. U.=B. I, Nr. 91) und dem Chronisten in Bezug auf Berno; auf des Kaisers Lob: daß Berno der erste Prediger in jener Gegend zu jener Zeit sei, der erste Bischof, daß er durch Predigt Volk und Fürsten bekehrt habe, soll Helmold nach Schirren nicht "direct (!), aber zuletzt, wenn die Summe gezogen werde, auf alle mit einander nicht ohne schneidenden Hohn (!) geantwortet" haben. Es gehört in der That Schirrens argwöhnischer Scharfblick dazu, um dies zu entdecken; im Grunde spitzen sich des Kritikers Bemerkungen zu einer Anklage gegen den kaiserlichen Brief zu. Aber mit Unrecht. Wenn der Kaiser bezeugt, Berno habe als primus predicator nostris temporibus die Wenden bekehrt, so steht dem die vormalige, vorübergehende Mission Ottos von Bamberg nicht entgegen; wie kann denn die frühere, von den Capiteln, die über Berno handeln, weit entfernte Erwähnung desselben bei Helmold eine Widerlegung sein sollen? Wie kann Helmolds Angabe vom Bischof Emmehard, der nie zur Wirksamkeit in seinem Sprengel gelangt war, etwas dagegen bedeuten? Ward denn nicht wirklich erst Berno durch die Einsetzung des Herzogs Heinrich und durch die Annahme von Seiten Pribislavs und der Pommernfürsten der erste Bischof des Wendenvolkes? Wenn der Kaiser Berno nachrühmt, daß er mit Hülfe Kasimars dessen Lande alle bekehrt habe, und wenn Helmold (I, 40) von Ottos Wirksamkeit sagt, daß sie bis auf seine Zeit fruchtbar geblieben sei: so ist da kein anderer Widerspruch, als daß

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Helmold anscheinend die Erfolge Ottos zu hoch anschlägt, wenn er ihm schon die Bekehrung des ganzen Volkes beimißt. Und doch soll er sich nach Schirren gegen Otto "kühl verhalten" haben! Wenn der Kaiser sagt, die drei Fürsten Bogislav, Kasimar und Pribislav seien durch Bernos Predigt tief ergriffen (compuncti) und hätten seiner mühevollen Arbeit den wärmsten Antheil gezollt (pacienter compassi sunt), ihn gütig aufgenommen und zum Bischof angenommen, liegt denn darin: "Berno will die drei slavischen Fürsten bekehrt haben?" Bekehrt waren die zwei sicher schon und allem Anscheine nach (durch ihn) auch Pribislav. Wenn der Kaiser den Bischof Berno "gleichsam als Bannerträger" auf dem Zuge nach Rügen bezeichnet - hat ihm und Bischof Absalon nicht auch Helmold (II, 12) nachgerühmt, daß sie dem König Waldemar "mit allem Fleiß" zur Gründung des Christenthums unter dem "ungeschlachten und verkehrten Volk" behülflich gewesen sind? War es denn angemessen, daß der Kaiser, wo er dem Berno seine Anerkennung aussprechen wollte, im Eingange zu seiner Urkunde über die Gründung des Bisthums Schwerin, auch gleich den Bischof Absalon und den Fürsten Jarimar und König Waldemar hineinzog?

Daß Helmold über Evermod (I, 77, 87) und über Berno nicht weitläufiger berichtet, können wir nur lebhaft bedauern; er hat nun aber einmal sein Werk auf die Geschichte des Bisthums Oldenburg=Lübeck beschränken wollen; und es ist auch fraglich, ob er viele Einzelheiten über die benachbarten Wendenbischöfe erfahren hat. Aber von der angeblichen Eifersucht und Scheelsucht auf das Bisthum Schwerin und auf den Cistercienser Bischof Berno vermag ich bei dem Chronisten, der selbst nicht einmal einem Orden angehörte, eben so wenig etwas zu entdecken wie von einer Vorliebe für den Prämonstratenser Bischof Evermod zu Ratzeburg.

Herrn Professor Schirrens und meine Ansichten von Helmolds Charakter und von der Zuverlässigkeit seiner Chronik, in so weit sie auf dem redlichen Willen des Schriftstellers beruht, stehen, wie meine Ausführungen zeigen, einander gerade gegenüber; ich darf daher kaum hoffen, meinen Gegner selbst durch meine Erörterungen von der Richtigkeit meiner Auffassung zu überzeugen. Dennoch glaubte ich meine Gegengründe nicht zurückhalten zu sollen, nachdem ich des Kritikers Gründe für seine Verurtheilung des Chronisten nicht stichhaltig befunden hatte. Denn der Gegenstand erscheint mir zu wichtig, als daß er nicht zur Discussion gezogen werden müßte. Jeder Historiker weiß nur zu gut,

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wie es bei jeder einzelnen Untersuchung störend wirkt, wenn eine Hauptquelle, sei es eine Chronik oder eine Urkunde, dem Verdacht absichtlicher Fälschung unterliegt. Es ist besser, wenn die von Schirren angeregte Helmoldfrage bald zur Klarheit gelangt, als wenn das Mißtrauen gegen die Chronik einwurzelt. Ohnehin ist schon zu fürchten, daß das alte Wort: "semper aliquid haeret" auch hier eine Bestätigung finden wird.

Dr. F. Wigger,
Archivrath     

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