zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 168 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

Die
S. Marienkirche auf der Neustadt Parchim.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.



Nachträge zu Jahrb. XXXIII, S. 164.


Erster Nachtrag


In den Jahrbüchern XXXIII, 1868, S. 164 flgd. habe ich durch die bischöfliche Urkunde nachgewiesen, daß die S. Marien= Kirche auf der Neustadt Parchim am 19. Juni 1278 eingeweihet ist. Der noch stark romanisirende Bau, so wie er jetzt äußerlich erscheint, stammt also aus diesem Jahre, mit Ausnahme des jungem weiten Anbaues an der Nordseite. Im Innern deuten aber viele Spuren darauf hin, daß in dem Bau von 1278 ein noch älterer Bau steckt; namentlich sprechen die beiden starken Halbsäulen mit Würfelkapitälern am Triumphbogen stark für eine ältere Zeit.

Im Jahre 1869 fiel von den Gewölben des Chores über dem Altare Kalkputz herunter, und so ward man auf den Zustand der Gewölbe aufmerksam. Bei näherer Untersuchung zeigte sich, daß die Wände ausgewichen und die Gewölbe dadurch baufällig geworden waren. Es mußte daher der Chor sogleich abgesperrt werden, und es wurden sogleich zwei starke Pfeiler an den beiden äußern Ostecken des Chors aufgeführt. Als man nach Vollendung derselben im Innern an die Ausbesserung und Sicherung der Gewölbe und Wände ging, entdeckte man unter der jungen Kalktünche alte Wandmalereien, und legte die Wände so viel als möglich frei. Leider ließ sich nicht viel mehr erkennen. Im September 1869 nahm ich persönlich eine Untersuchung vor und fand den erwarteten alten Zustand. Alle drei Wände sind ganz mit Gemälden bedeckt. Diese bestehen aus lebensgroßen Figuren unter Baldachinen. Ich konnte in der Höhe zwei Reihen über einander erkennen. An der Nordwand war noch ein alter, bärtiger Mann zu erkennen, mit einem langen Dolchmesser in der Hand: also der Opferversuch Abrahams. An der Südwand hatte eine Figur

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 169 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

ein Spruchband in der Hand, auf welcher deutlich die Buchstaben Spruchband zu erkennen waren. Dies wird also eine Darstellung des Apostels Paulus gewesen sein, nach Apostel=Geschichte 9,4: "Saul, Saul, was verfolgest Du mich". Nach den ganz alten Schriftzügen auf diesem Spruchbande gehörte die Malerei dem Ende des 13. Jahrhunderts an, und ist sicher älter als 1350, stammt also aus der Zeit der Vollendung der Kirche. Leider ließ sich nichts erhalten.

Diese Malereien sind denen sehr ähnlich, welche im Dome zu Schwerin auf den Pfeilern hinter dem Hochaltare, der Heiligen=Bluts=Kapelle gegenüber, stehen und noch ziemlich erhalten sind. Auch diese werden ungefähr aus jener Zeit stammen.

Nach diesem Beispiele so wie aus sehr vielen andern, wird es immer sicherer, daß im Lande fast alle, sicher die meisten Kirchen des romanischen und des Uebergangs=Styls bis in die altgothische Bau=Periode hinein mit Kunstmalereien geschmückt waren.

Mit dieser Kirchweih mag der Sommer=Jahrmarkt auf der Neustadt Parchim am 17. Juli zusammenhangen, welcher also die Kirmeß sein würde. Freilich scheint der Monat jetzt verschoben zu sein.

Zweiter Nachtrag.

In den neuesten Zeiten ist eine Entdeckung gemacht, welche die vorstehenden und früher mitgetheilten Forschungen zu bestätigen scheint. Im Jahre 1876 entdeckte Herr Advocat Kahle zu Parchim, Provisor der S. Marien=Kirche auf der Neustadt, in einer alten Kiste im Kirchenarchiv eine zusammen gefaltete kleine Pergament=Urkunde. Diese in der Anlage mitgetheilte Urkunde ist ein Ablaßbrief des Schweriner Bischofs Hermann für die S. Marien=Kirche vom Jahre 1277. Der Bischof Hermann, ertheilt hierdurch allen Gläubigen, welche die Marien=Kirche auf der Neustadt Parchim am Tage der Kirchweihe (in anniversario dedicationis) jährlich in Andacht besuchen, den ungewöhnlichen Ablaß auf ein Jahr. Da nach der in Jahrb. XXXIII, S. 165 mitgetheilten Urkunde die Einweihung (consecratio) der jetzt noch stehenden fertigen Kirche am 19. Juni 1278 vollzogen war, so wird unter der durch die neu entdeckte Urkunde vom Jahre 1277 beglaubigten Einweihung oder Widmung (dedicatio) wohl eine ältere oder vielmehr die erste Gründungs=Weihung der Kirche zu verstehen sein.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 170 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Möglich ist es freilich, daß der Bischof im Jahre 1277 in Voraussicht des nahe bevorstehenden Ausbaues den Ablaß ertheilt hat. Aber die Urkunde beweist doch klar, daß schon vor dem Jahre 1278 eine Marien=Kirche auf der Neustadt stand. Die ermittelten Reste eines alten Baues werden also viel älter sein, als 1277.

Anlage.
-----------

Hermann, Bischof von Schwerin, verkündigt allen Gläubigen, welche die Marien=Kirche in der Neustadt Parchim am Jahrestage der Kirchweihe jährlich zur Andacht besuchen, Ablaß auf ein Jahr.
                              D. d. 1277.

Hermannus dei gracia episcopus Cwerinensis vniuersis Christi fidelibus salutem in domino. Splendor paterne glorie, qui sua mundum illuminat ineffabili claritate, pia uota fidelium de clementissima ipsius maiestate sperancium tunc primum benigno fauore prosequitur, cum ipsorum deuota humilitas sanctorum meritis et precibus adiuuatur. Cupientes igitur, ut ecclesia sancte dei genitricis et virginis Marie Noue Ciuitatis de Parchem in anniuersario dedicacionis eius die ab omnibus Christi fidelibus congrua deuocione frequentetur et eis ibidem crescat assecucio beneficii specialis, nos de omnipotentis dei misericordia confisi omnibus vere penitentibus, qui eandem ecclesiam in dicto die congruis honoribus frequentauerint annuatim, vnum annum de iniuncta eis penitencia misericorditer relaxamus. Datum anno domini Datum LXXVH°.

Nach dem Original auf einem schmalen Pergamenistreifen in einer kleinen, gedrängten Minuskel im Archive der Marienkirche zu Parchim, von dem Herrn Advocaten Kahle zu Parchim, Provisor der Kirche, im Archive in einer alten Kiste vereinzelt gefunden und zur Abschrift mitgetheilt. Ein aus der Charte geschnitten gewesener schmaler Pergamentstreifen zur Anhängung eines Siegels ist abgeriffen. - Wahrscheinlich ward dieser Ablaß während des Ausbaues der jetzt noch stehenden Kirche gegeben, da die fertige Kirche erst am 19. Junii 1278 eingeweihet ward; vgl. Lisch in Jahrb. XXXIII, S. 164 flgd. Die vorstehende Urkunde ist auch schon 1876 vorweg gedruckt in Meklb. Urk.=Buch Bd. X, Nr. 7197. - (Ueber römische große Ablaßbriefe für die S. Georgen=Kirche zu Parchim vgl. (Cordes) Cleemann Chronik von Parchim S. 20.) -

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 171 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Dritter Nachtrag.

Der Altarschrein der S. Marien-Kirche zu Parchim

und

Die Jagd des Einhorns.

In Folge der Beschreibung kirchlicher Werke in den Jahrb. XXXIII, 1868, hat der seitdem verstorbene Pastor Koch an der S. Marien=Kirche zu Parchim 1868 einen von ihm früher gehaltenen Vortrag über den Altar dieser Kirche zur Ansicht und Benutzung mitgetheilt, welchem wir auszugsweise die unten folgende Beschreibung entnehmen. Der Altar ist ein reicher, sinnreicher Doppelflügelaltar. Auf den innern Flügeln ist in Malerei auch die "Jagd auf das Einhorn" dargestellt.

"Auf der Tafel zur Linken steht rings von Waldung und blauen Bergen umgeben die kräftige Gestalt eines Engels mit ausgebreiteten bunten Flügeln und einem wehenden rothen Mantel. In seiner Rechten hält er einen Speer und in der Linken ein langes, gebogenes goldenes Horn, das er mit vollen Backen bläst. Darüber liest man auf einem aufgerollten Bande die Worte: "Ave Maria, gratia plena, dominus tecum." Vor ihm weg springen drei schlanke Hunde von rother, schwarzer und weißer Farbe, und über ihnen flattern wieder drei Bänder mit den Worten: Spes, fides, caritas. Nun erhebt sich vor ihnen ein hohes Brettergehege, in brauner Farbe, oben im Zickzack ausgeschnitten, und zieht sich um einen grünen blumigen Hügel (Garten). Man sieht eine verschlossene Thür. Auf der Mitte des Hügels sitzt die heilige Jungfrau. Mit beiden Händen umfaßt sie die Vorderfüße eines schlanken, weißen Einhorns, das sich vor ihr erhebt und sich umsieht, als horche es auf den Klang des Horns und auf die heranspringenden Hunde. Links steht ein rother, vorn geöffneter Altar nach alter Weise, zu dem Stufen hinaufführen. Ein leinenes Tuch mit goldener Borte ist darüber gebreitet und darauf stehen 12 Lichter, davon das mittelste sich oben in drei Rosen theilt (die grünende Ruthe Aarons). Daneben auf der Erde liegt der Laib eines weißen Brotes. Auf der andern Seite dagegen steht ein Brunnen mit drei Röhren, aus denen Wasser in ein Kübel fließt, aus welchem es dann wieder hervorquillt. Vor dem Brunnen steht ein goldener Eimer mit schwarzen Bändern. Hinter dem Brunnen sieht man meinem grünen

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 172 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Busch Gott den Vater. Am Fuße des Busches taucht die goldene Sonne aus mit einem Gesicht darin, dessen große Augen eben noch sichtbar werden. Strahlen gehen von ihr aus."

Dieses Altarbild gleicht also ganz der Darstellung auf dem Altare in der Kirche zu Lübbersdorf bei Friedland, welche in Jahrbüchern XXXIII, 1868, S. 169 flgd. genau beschrieben und beurtheilt ist.