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Der Dom zu Schwerin.

Nachtrag zu Jahrb. XXXVI, S. 148 und 172 flgd.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


Wandmalereien im Kapitelhause.

Einleitung.

Nach Vollendung der Restauration des Domes zu Schwerin, 1866-1869 (vgl. Jahrb. XXXVI, S. 148) ward im Frühling 1875 noch eine Entdeckung gemacht, welche für die Geschichte der alten Kunst und des Schweriner Domes von großer Bedeutung ist. An der Südseite des Chores, dem Altmarkt gegenüber, ist von der südlichen Chorpforte bis an das südliche Kreuzschiff eine schmale, zweistöckige Kapelle angebauet, welche bis heute das "Kapitelhaus" genannt wird. Diese Kapelle ist nach Archivnachrichten unter dem Bischofe Friedrich II. v. Bülow (1365-1375) bei dem Bau des polygonen Chorschlusses, also während der Vollendung des Domes in seiner jetzigen Gestalt, angebauet und von dem Bischofe vorzüglich zum Dom=Archive bestimmt (vgl. Jahrb. a. a. O. S. 149), daher noch jetzt der Name "Kapitelhaus".

Die Kapelle ist ein schmales Gebäude im gothischen Baustyl von zwei Gewölben Länge und in beiden Stockwerken gewölbt. Das obere Stockwerk ist bis heute zum Aufbewahrungsort der Domschriften (Archiv) bestimmt gewesen. Das untere Stockwerk war aber eine gottesdienstliche Kapelle, für deren Bestimmung der noch stehende kleine Altar mit einer dicken Granitplatte zeugt.

Die Kapelle hat in der langen südlichen Außenwand zwei Fenster und in der schmalen östlichen Wand ein kleineres

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Fenster, unter welchem der Altar steht. Die westliche Wand stößt an das südliche Kreuzschiff. Die Eingangspforte im Norden von der Kirche her ist unter dem östlichen Gewölbe durch die sehr dicke Kirchenmauer durchgebrochen und im Spitzbogen gewölbt.

Diese untere Kapelle war mit Kalk leicht geputzt und übertüncht, jedoch an vielen Stellen, auch an den Gewölben etwas schadhaft geworden. Als die Kapelle im Jahre 1875 zu einer zweiten "Sakristei" bestimmt und deren Restauration beschlossen war, ward mit der Abnahme des schadhaften Putzes und der Tünche im April 1875 begonnen. Dabei entdeckte man nach vereinzelten Spuren, daß die ganze Kapelle nicht nur mit Ranken, sondern auch mit Figuren bemalt war. Es ward daher, wo der Putz noch fest war, nur die Tünche behutsam abgenommen und dadurch ein großer Theil der Malereien frei gelegt 1 ).

Die Wandmalereien.

Es zeigte sich nun, daß die ganze Kapelle bemalt war. Die Wände waren mit lebensgroßen Figuren und mit Rankenwerk bemalt, auch die Gewölbe waren angemessen und stylgemäß bemalt. Leider war schon sehr viel abgefallen und verblichen, auch bei der Abnahme des Kalkputzes zerstört, da man von den Malereien unter der Tünche keine Ahnung hatte.

Was aber noch erhalten war, ist ungewöhnlich schön und giebt Zeugniß von einer hohen Kunstausbildung. Die Gemälde, welche ohne Zweifel der Zeit der Vollendung der großartigen Kirche, also der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts angehören, sind sehr schön, und die schönsten alten Gemälde in Meklenburg und vielleicht in Norddeutschland. Jedenfalls sind sie schöner und edler, als die etwas Jüngern, wenn auch reichen Gemälde in der Kirche zu Lohmen (vgl. oben S. 161 flgd.)

Die figürlichen Darstellungen.

Das Hauptgemälde steht in dem gothischen Bogenfelde über der Eingangsthür und stellt dar:

1) Die Anbetung der Jungfrau Maria, der Schutzpatronin und Localheiligen des Domes, durch die Dona=


1) Die Entdeckung der Wandmalereien und die Leitung der Erhaltung und Wiederherstellung gebührt dem Herrn Domkirchenvorsteher Georg Voß zu Schwerin.
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loren, d. i. die Gründer und Wohlthäter der Kapelle. Die gekrönte heilige Jungfrau in blauem Untergewande und rothem Obergewande sitzt auf einem Throne von mittelalterlichen Formen und hält im linken Arme das auf ihrem Schoße stehende, mit einem rothen Rock bekleidete Christuskind und in der rechten Hand einen Lilienstengel. Zur linken Hand der Maria knieet anbetend ein Bischof mit Bischofsmütze und Bischofsstab, zur rechten Hand eine weibliche Figur in langem, rothem Mantel. - Die Prüfung und Bestimmung dieses Bildes wird mit der Zeitbestimmung unten folgen.

2) In dem breiten Mauerbogen über der Thür sind in grünem Rankenwerk auf großen kreisrunden Scheiben, die lebensgroßen Brustbilder von 6 Propheten mit Spruchbändern in den Händen, auf denen aber keine Schriftzüge mehr zu erkennen waren.

Die Wände sind alle mit Heiligenfiguren in Lebensgroße und mit Rankenwerk bemalt gewesen. Von dem Rankenwerk waren nur noch einzelne geringe Spuren zu bemerken, so daß sich mit Sicherheit nichts herstellen ließ.

Die vorzüglichsten Gemälde standen an der südlichen Hauptwand, an jeder Seite der beiden Fenster eines, der Eingangsthür gegenüber. Es sind noch folgende Gemälde vorhanden.

3) An der westlichen Seite des östlichen Fensters steht die Heilige Katharina, eine sehr schöne, meisterhafte Figur, ein mit Messern besetztes kleines Richtrad in der erhobenen rechten Hand tragend und ein gesenktes großes Schwert von altmittelalterlichen Formen mit der linken Hand haltend.

4) Daneben an der östlichen Seite des westlichen Fensters steht der Evangelist Johannes, im grünen Obergewande, in der linken Hand den Kelch haltend, mit der rechten Hand denselben segnend oder auf denselben zeigend. Aus dem Kelche ragt eine Hostie hervor.

An jeder der beiden andern Seiten der Fenster hat nach geringen Spuren auch noch eine Figur gestanden. Es war aber durchaus nichts mit Gewißheit zu erkennen.

Die beiden schmalen Wände im Osten und Westen der Kapelle waren auch mit Figuren geschmückt gewesen, welche jedoch auch gänzlich verfallen waren.

Die nördliche Längswand war ebenso bemalt gewesen, wie die südliche Wand. Jedoch ist die Wand durch Türen, nämlich durch die Eingangsthür und durch die Seitenthür zur Capitelstube und eine andere Thür durchbrochen, so daß die Wandflächen nur unbedeutend sind. Dennoch ist unter

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dem westlichen Gewölbe, der Figur des Evangelisten Johannes gegenüber, noch eine Figur erhalten, nämlich

5) die Figur des Apostels Paulus mit der rechten Hand ein Schwert in die Höhe haltend.

Alle diese Gemälde sind im Frühling 1875 mit der größten Schonung des noch Vorhandenen und Erkennbaren restaurirt 1 ) oder vielmehr ausgebessert, so daß ohne Uebermalungen nur die durch die Putzabnehmung schadhaft gewordenen Stellen durch einzelne Linien und kleine Flächen ergänzt sind. Namentlich sind alle Conturen, also die Composition, bei der Restauration strenge geschont und nur einzelne Gewandflächen theilweise übermalt. Die Malereien geben also noch jetzt ein treues Bild der ursprünglichen Darstellung.

Die Gewölbe

waren nach einigen leisen Spuren auch bemalt gewesen. Da die Gewölbe im Bau und im Kalkputz ausgebessert werden mußten, so ist allerdings eine neue Gewölbeverzierung auf dem weißen Kalk nach Maßgabe der noch vorhandenen Farbenreste ausgeführt. Zu Hülfe genommen sind dabei die reichen Gewölbemalereien der leider zum Abbruch bestimmten Schwarzen=Mönchs= oder Dominikaner=Kloster= Kirche zu Wismar, welche aus gleicher Zeit stammt und in gleichen Farben bemalt ist. Die Rippen sind, wie dort, grün und dunkelgrau oder schwarz bemalt und von rothem Blattwerk begleitet; um die Schlußsteine sind in den Gewölbekappen größere rothe Lilien=Ornamente gemalt. - Der Sockel der Wände ist allerdings nach Art eines Teppichs neu bemalt, um die Figuren nicht zu sehr in der Luft schweben zu lassen.

Bedeutung und Zeitbestimmung.

Die Malereien haben einen großen geschichtlichen und künstlerischen Werth, vorzüglich durch die noch mögliche Bestimmung des 1. Hauptgemäldes mit der Anbetung der Jungfrau Maria durch die Donatoren, welche sich noch bestimmen lassen.

Den anbetenden Bischof kann man mit Sicherheit als den Bischof Friedrich II. von Bülow (1365 † 1375)


1) Die Restauration der Gemälde hat Herr Maler Michaelsen aus Wismar mit großem Geschick und strenger Achtung und Enthaltsamkeit unter des Herrn Domkirchenvorstehers Voß und meiner Leitung und Aufsicht ausgeführt. - G. C. F. Lisch.
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erkennen, unter welchem die Domkirche in ihrer jetzigen Gestalt (1374) vollendet und die Kapelle gebauet ward, und welcher unter der in der Kirche vorhandenen, jetzt an der Nordwand aufgerichteten großen und prachtvollen Messingplatte 1 ) in Messingschnitt 2 ) vor dem Hochaltare, ungefähr vor der Eingangsthür der Kapelle, begraben ward, wie noch vor vielen Jahren zu sehen war.

Die anbetende Figur in dem rothen Mantel soll klar eine weibliche Figur darstellen, sowohl nach dem Gesichtsausdruck, als nach den Locken an den Schläfen, dem Kopfschleier und dem Diadem um die Stirne. Die Figur ist ohne Zweifel die Königin Richardis von Schweden. Richardis war die erste Gemahlin, 1359 † 1377, des Herzogs Albrecht III. von Meklenburg, welcher 1363 bis 1389 auch König von Schweden war. Als Königin von Schweden ist sie erkennbar an dem rothen Königsmantel, in welchem auch ihr Gemahl auf mehreren alten Bildern dargestellt ist. Richardis war der letzte Sproß des Hauses der Grafen von Schwerin und ihre Vorfahren lagen alle im Dome zu Schwerin, in der Heiligen=Bluts=Kapelle, begraben. Die Königin hat sich daher noch kurz vor ihrem Tode der Kirche dankbar bezeigen und sich ein Familien=Denkmal stiften wollen. Aus gleicher Veranlassung war auch in der Heiligen=Bluts=Kapelle das lebensgroße Bild ihres Gemahls, des Königs, neben den Bildern der Grafen von Schwerin, gemalt. (Vgl. Jahrb. XIII, S. 161 flgd.) Das Bild der Königin ist wohl das älteste Portraitbild in Meklenburg und vielleicht in Nord= Deutschland. Die Königin ist freilich nicht in Meklenburg, sondern in Schweden begraben.

Das ganze Gemälde soll also die "Donatoren", d.h. die Erbauer und Wohlthäter, der Kapelle darstellen. Man konnte das Gemälde auch ein Denkmal auf die Vollendung des Domes nennen.

Hiernach und nach der Baugeschichte des Domes läßt sich auch die Zeit der Gemälde feststellen. Das Hauptgemälde, so wie auch die andern Bilder, werden um das Jahr 1375, zur Zeit der Vollendung der Kirche und der Kapelle, also grade vor 500 Jahren, gemalt sein, als beide Personen noch lebten. Und hiezu stimmt auch der ganze,


1) Vgl. Jahrb. XXXVI. S. 196 flgd.
2) Die gemalte Bischofsfigur in der Kapelle stimmt selbst in Einzelnheiten mit der Figur des Bischofs Friedrich II. auf der Grabplatte überein, z. B. in der kreisrunden Stickerei auf der obern Fläche des linken Handschuhes.
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edle Styl der Gemälde, welche zu den bedeutendsten alten Denkmälern im Lande gehören.

Die kirchliche Bestimmung der Kapelle läßt sich wohl schwer mit Sicherheit nachweisen. In dem Verzeichniß der 42 Altäre des Domes vom J. 1553 (vgl. Jahrb. XXXVI, S. 167 flgd.) wird auch ein Altar in der "geschlossenen Kapelle des Blutes Christi" ("in sacello clauso Sanguinis Christi") als der 39. aufgeführt. Dies mag die Kapelle im "Capitelhause" sein, da im Dome keine andere geschlossene Kapelle ist. Die berühmte "Heiligen=Bluts=Kapelle" hinter dem Hochaltare kann nicht gemeint sein, da diese in dem Altarverzeichniß an erster Stelle als "des "heiligen Bluts = Kapelle" ("capella cruoris Christi") aufgeführt wird. Vielleicht war in der Kapelle im Kapitelhause das ältere Heilige Blut, welches der Graf Gunzelin I. von Schwerin schon im 12. Jahrhundert aus dem Gelobten Lande heimgebracht haben soll (vgl. Jahrb. XX, S. 234) oder überhaupt das "Sacrament" aufbewahrt. Zur Bestimmung eines andern Altars für die Kapelle giebt das Altarverzeichniß keine Veranlassung.

Die Restauration der Kapelle ist, bis auf das Fenster in der schmalen Ostwand, Ende Mai 1875 vollendet.