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A.

Jahrbücher

für

Geschichte.

 


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I.

Wallensteins

Kirchen= und Schul=Regierung

in Meklenburg.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


E s lag der Geschichtsforschung und der Wißbegierde immer sehr nahe, zu erkennen, wie Wallenstein sich gegen die Kirchen und Schulen in seinem neu erworbenen Lande Meklenburg benommen habe, theils um seine eigenste Gesinnung und Richtung, theils um das Schicksal und die Behandlung seiner neuen Unterthanen genauer kennen zu lernen. Im Großen und Allgemeinen ist auch seine Handlungsweise in dieser Beziehung bekannt, da sie öffentlich wirkte; aber im Einzelnen und nach manchen wichtigen Seiten hin ist vieles, ja das Meiste noch völlig dunkel und zum Theil ganz unbekannt. Es ist mir in vieljähriger Forschung im Staats=Archive zu Schwerin gelungen, viele unscheinbar aussehende, aber wichtige Papiere zu entdecken, und bin dadurch in den Stand gesetzt, diese Sache um einen guten Schritt weiter zu fördern.

Zur bessern Uebersicht möge eine kurze Schilderung der damaligen kirchlichen Zustände in Meklenburg voraufgehen.

In Meklenburg war durch die Reformation der Katholicismus völlig abgeschafft, die lutherische Kirche allein herrschend und selbst geringe confessionelle Abweichung von dieser nicht geduldet, ja sogar der dauernde Aufenthalt und der Privatgottesdienst Andersdenkender kaum gestattet. In Meklenburg regierten zu Wallensteins Zeit zwei Herzogliche Brüder, welche sich in das Land getheilt hatten: Adolph

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Friedrich I., welcher in Schwerin, und Johann Albrecht II., welcher in Güstrow residirte. Herzog Adolph Friedrich hatte eine entschieden lutherische Richtung. Herzog Johann Albrecht hatte sich aber zum großen Anstoß früh der reformirten Kirche Calvins zugewandt und den reformirten Gottesdienst an seinem Hofe eingeführt und in dessen Sinne sonst zu wirken gesucht. Die Landstände hatten aber sogleich und ununterbrochen ein wachsames Auge darauf gehabt, daß die lutherische Lehre dem Lande rein erhalten werde und wiederholt von den Herzogen die Zusicherung erhalten, daß sie "bei der unveränderten Augsburgischen Confession und Lutherischen Religion ohne alle Veränderung und bei der Lehre und Ausübung der Meklenburgischen Kirchenordnung im ganzen Lande ruhig verbleiben 1 ) sollten." Der Herzog Johann Albrecht führte aber vergleichsmäßig den reformirten Gottesdienst, von einiger Bilderstürmerei begleitet, in seine Schloßkirche zu Güstrow und sonstigen Residenzschlösser ein und fing an, aus den Steinen abgebrochener ehemaliger katholischer Klostergebäude und Kapellen vor dem Schlosse zu Güstrow eine reformirte Kirche zu erbauen. Auch stiftete er zu Güstrow eine reformirte Schule, in welcher die Knaben auch in Wohnung und Kost gehalten wurden; diese Schule bestand aber in dieser Gestalt nur vom 9. Nov. 1632 bis zum 13. Julii 1636, indem der Herzog Adolph Friedrich sie bald nach seines Bruders Tode "cassirte".

Wallenstein war mit Familie, Hof, Dienern und seinen böhmischen Unterthanen bekanntlich katholisch. Die Besitznahme Meklenburgs durch Wallenstein brachte daher begreiflicher Weise eine große Aufregung nicht nur in politischer, sondern auch und vorzüglich in kirchlicher Richtung hervor. Die Landstände sträubten sich mit allen Kräften gegen das neue Regiment und gaben sich nicht eher zufrieden, als bis Wallenstein ihnen bei der Erbhuldigung im Januar 1630 die Versicherung hatte geben lassen, daß "ihre Privilegien confirmirt, und insbesondere die Landesreligion und Augsburgische Confession im ganzen Lande unverändert und unberührt bleiben" sollten.

Für sich selbst und seine katholische Umgebung nahm Wallenstein aber selbstverständlich das Recht in Anspruch, auf seinen Residenzen den katholischen Gottesdienst einzuführen. Er hob daher den reformirten Gottesdienst in der Schloßkapelle zu Güstrow auf und ließ die noch nicht ganz vollendete reformirte Kirche vor dem Schlosse abbrechen und die


1) Vgl. Wiggers Meklenb. Kirchen=Geschichte S. 177 und 179.
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Steine zur Erbauung eines Schloßflügels an einer offenen Stelle des Vierecks verwenden 1 ). Auf dem Schlosse zu Güstrow herrschte also unter Wallenstein nur katholischer Gottesdienst.

Aber auch in dem zweiten Hauptresidenzschlosse des Herzogs Adolph Friedrich zu Schwerin ward der katholische Gottesdienst eingeführt, obgleich Wallenstein hier nicht residirte, und dies ist bisher noch nicht bekannt gewesen. Die einzige bisher aufgefundene Nachricht enthält die Armenkasten=Rechnung der Schweriner Schloßkirche vom J. 1613 bis 1658 im Staats=Archive. Vom 20. Dec. 1627 bis zum 30. Oct. 1631 ist in der Rechnung vollständige Lücke und am 3. October 1631 wird die Rechnung mit folgenden Worten wieder aufgenommen.

"S. D. G. Als der Durchlauchtige Hochgeborne Furst vnd Herr Herr Adolph Friederich Herzog zu Meckelnburgk durch gnedigen beystandt des allerhöchsten dero Residentz=Schloß Schwerin wiederumb eingenommen, vnd die Papisten weichen mußten, ist den 30. October, Ao. 1631 durch Herrn Casparum Wagener Hoffpredigern die Schloßkirche mit einer Evangelischen Predigt hinwiederumb consecrirt vnd eingeweihet vnd ist von der Zeit an bis heute den 3. January Ao. 1632 in den Gotteskasten für die nottürftigen Armen gesamlet worden 67 Fl."

Der Hofprediger Caspar Wagner war zur Wallensteinschen Zeit im Lande eine nicht unwichtige Persönlichkeit und wohl erfahren in kirchlichen Dingen. "M. Caspar Wagner war früher evangelischer deutscher Prediger an der Kirche der Heil. Dreifaltigkeit zu Prag", und sammt den andern deutschen evangelischen Predigern am Ende des J. 1622 auf kaiserlichen Befehl seines Dienstes entlassen und mit Weib und Kind ins Elend getrieben. Am 28. April 1623 ward er von der theologischen Facultät zu Wittenberg dem Herzoge Adolph Friedrich von Meklenburg=Schwerin empfohlen und von diesem am 24. Junii 1623 als Hofprediger an der Schloßkirche zu Schwerin bestellt. Er ging mit dem Herzoge, als dieser das Land verlassen mußte, am 18. April 1628 bis nach Mirow mit, wo er sich eine kurze


1) Diesen Schloßflügel ließen die Meklenburgischen Herzoge nach ihrer Rückkehr in ihre Lande wieder abbrechen, damit kein Andenken von dem "Tyrannen" übrig bleibe. Am Schlosse zu Güstrow ist kein Wallensteinscher Bau mehr Vorhanden, wahrscheinlich auch im ganzen Lande kein solcher.
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Zeit aufhielt, mußte sich aber vor den Friedländischen, nachdem der Herzog am 12. Mai sein Land verlassen hatte, von dort wegbegeben. Er ging daher nach Lübz zu der Herzogin Mutter Sophie, welche standhaft im Lande blieb, wo ihm der Herzog von Torgau aus am 30. Junii 1628 den "nothdürftigen Unterhalt" anwies, damit er der Herzogin ferner nicht beschwerlich sein möge.

Die Herzogin Mutter antwortete aber ihrem Sohne am 19. Julii 1628: "Deinen Hofprediger wil ich wol in acht nehmen, darfst nicht vor ihm sorgen; ich habe ihn ein Hauß in der stadt eingethan, darin ehr mitt den seinen wol bleiben kan, vnd soll ihm die nothdurft wol geschaft werden." Ferner am 4. August 1628: "Vor deinen Hofprediger sorge mir nicht; ihm soll nichts vbels wiederfharen."

Am 11. Febr. 1629 fügt C. Wagner am Schlusse eines theologischen Geschäftsbriefes die merkwürdige Nachricht hinzu: "Gn. Fürst und Herr; es hat mir nechst vergangenen Freitage Herr Joachim Diaconus allhier referiert, daß er gehört, wie der Kaiserl. General sollte gesagt haben: Man muß die Hertzogen von Mekelnburg nicht gar verstossen, wir müssen ihnen was einreumen vnd iederen 50 tausent Rthaler geben lassen, biß diß Wesen seine Endschaft gewinnt."

Nach der Rückkehr der Herzoge ging auch Caspar Wagner nach Schwerin zurück. Im J. 1638 ward er Superintendent zu Neubrandenburg und starb im J. 1651. (Vgl. auch Cleemann Syllabus S. 191.)

Dem Aeußeren und der Form nach blieb Wallenstein während seiner kurzen Regierung auch seinem Versprechen treu, die Lutherische Religion und die Meklenburgische Kirchenordnung aufrecht halten und schützen zu wollen. Es ist wohl kein Beispiel bekannt, daß er gewaltsam gegen die bestehende Ordnung eingriff. Vielmehr bezeugen alle Berufungen zu geistlichen Aemtern dafür, daß er nur Lutheraner kirchenordnungsmäßig beförderte. Die Berufungen und Bestätigungen gehen immer nach früherer herkömmlicher Weise von der Landesregierung in seinem oder seines Statthalters Namen aus und die Concepte der Bestallungen sind häufig von den Regierungsräthen Gebhard v. Moltke, Justus Lüders und andern, gewöhnlich aber von Dr. Oberberg unterzeichnet.

So viel ich während eines langen Zeitraums habe beobachten und sammeln können, wurden während der

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Wallensteinschen Zeit folgende lutherische Prediger im Lande bestellt.

1628, Julii 24, zu Lanken und Gneven: stud. theol. Marcus Dencker: "Weil Wir sein suchen Unser Kirchordnung vnd vnsern außgegebenen Reuersalen gemeß gefunden."

1628, Aug. 28, zu Granzin bei Lübz: stud. theol. Carolus Wachenhusen, Northeimensis.

1628, Nov. 2, zu Stralendorf: stud. theol. Hartwig Kuphal, auf Wallensteins eigenen Befehl, unterzeichnet: Jussu. J. Lüderß.".

1628, Nov. 15, zu Alt=Bukow: Tilemannus Comander, "nach Inhalt Vnserer Kirchenordnung und Landes=Reversalen."

1628, Nov. 27, zu Penzlin: stud. theol. Nicolaus Meinichius, dem alten Pastor Nicolaus Burmeister als Nachfolger substituirt.

1629 zu Barkow: Joachim Colerus, welcher erst 1679 starb, also die ganzen schlimmen Zeiten des dreißigjährigen Krieges überlebte.

1629, Aug. 22, zu Warnemünde: stud. theol. Joachimus Albinus: "Es hat der Statthalter auf Joachimum Albinum geschlossen."

1629, Sept. 8, zu Warnkenhagen: stud. theol. Johannes Bannier von Malchow.

1629. Sept. 15, zu Zarnin und Warnow: Hinricus Turgelow.

1630. Dec. 25, zu Bützow: Johannes Stavenow, seinem betagten Schwiegervater M. Andreas Cracovius adjungirt: von dem Statthalter Wingerski unterzeichnet.

In Rostock kamen unter den Predigern viele Veränderungen vor.

Rostock, Petri=Kirche.

1628. Junii 16: Jonas Richter, Capellan, "wie Herkommens ist, unter dem Canzlei=Siegel", unterzeichnet von Dr. Oberberg.

1629. Sept. 28: Hinricus von der Widen, Capellan nach Richters Tode, von Dr. Oberberg unterzeichnet.

1630. Jul. 12: M. Hinricus von der Widen, Pastor nach M. Andreas Dunckers Tode.

1630, Oct. 7: Elias Taddelius Diakonus an v. d. Widens Stelle.

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Rostock, Jacobi=Kirche.

1630, Oct. 21, der bisherige Archidiakonus M. Christianus Michaelis erster Pastor und M. Stephanus Clotzen Archidiakonus.

Rostock, Nicolai=Kirche.

1630, Mai 27, der Pastor M. Johannes Goltstein an der Nicolai=Kirche in Rostock zum Superintendenten daselbst bestätigt, nachdem die Bestellung schon seit dem Anfange des J. 1628 von den Herzogen vorbereitet war.

Das Verfahren in Besetzung der Schulstellen war dem in Besetzung der Predigerstellen gleich.

1629, Nov. 26, Georgius Schedius zum Rector der Domschule zu Güstrow nach Herkommen bestellt, von J. Oberberg unterzeichnet. G. Schedius war vorher zu Kadan und Kumthau in Böhmen evangelischer Lehrer gewesen, aber um des Glaubens willen durch die Jesuiten verdrängt und verjagt. (Thomas Anal. Gustrov. Catalogus p. 66.)

1628, Jun. 19, zu Sternberg Johannes Chelingus zum "Schulgesellen" bestellt.

Es ist also außer Zweifel, daß Wallenstein während seiner kurzen Regierungszeit in Meklenburg die von ihm gegebenen Reversalen hielt und die lutherische Religion nach dem Aeußern und der That aufrecht erhielt und unangetastet ließ. Es ist aber eben so unzweifelhaft, daß es im Innern sein Bestreben war, die Leute wieder katholisch zu machen, und er fing dies schlau genug an, indem er sich einstweilen darauf beschränkte, die vornehme Jugend in eine katholische Luft zu bringen, wozu die Jesuiten ihm treulich halfen, welche er sehr beschützte, wenn auch fürchtete. Ueber diese Seite seiner Bestrebungen in Meklenburg ist noch nichts bekannt geworden. Die gegenwärtige Abhandlung will vorzüglich diese Seite aufklären.

"Wallenstein 1 ), weit entfernt davon, mit fanatischem Eifer die kaiserlichen Befehle in Beziehung auf Vertreibung der Protestanten zu vollziehen, blieb mehrere Jahre hindurch darin nachsichtig. - - So ganz aus den Augen verliert er jedoch die evangelischen Unterthanen nicht. - - Er läßt die Bekehrungsversuche in der Stille, wenn auch glimpflich, fortsetzen und richtet sich hierbei nach Umständen. - - -In einem Briefe vom 27. Aug. 1627 schreibt er: "Dieweil


1) Nach Friedrich Förster: Wallenstein als Feldherr und Landesfürst. Potsdam, 1834, S. 356.
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itzunder Zeit ist, so hebt wiederum an, die Leut chatolisch zu machen."

Uebrigens meinte Wallenstein es sehr ernst mit der Ausbildung der Jugend.

"Die Sorge für die Schulen 1 ) begleitet ihn auf allen seinen Feldzügen. Mit dem ihm eigenen Ueberblick des Ganzen und der zugleich in das Einzelne eingehenden scharfen Beurtheilung ordnet er den Studienplan, giebt die gesonderten Zweige des Unterrichts näher an und behält fast jeden einzelnen Schüler im Auge, wenn er auch noch so weit auf seinen Eroberungszügen von der Heimath entfernt ist. Schon diese lebhafte und unausgesetzte Theilnahme, welche er der Erziehung und dem Unterricht schenkt, überzeugt uns, daß er, von dumpfem Pfaffenthum umgeben, dennoch den höhern Werth wahrer Bildung zu schätzen wußte. Obwohl er aber die jungen Leute den Jesuiten übergiebt, so will er deshalb keine gelehrten Stubenhocker oder scheinheiligen Betbrüder aus ihnen gebildet wissen, sie sollen zwar lateinisch und französisch lernen, zugleich aber auch Musik, Tanzen, Fechten, Reiten und andere Leibesübungen treiben, damit sie in allen freien und ritterlichen Künsten wohlgebildet würden."

Ferner schreibt er am 19. Mai 1629 2 ) an Taxis nach Gitschin: "Bitt, gebt ihr fleißig selbst Achtung, und wenn man's nicht thun wird, so avisirt mich, als nehmlich, daß die Knaben sich sollen in allem sauber halten, früh in die Schul gehn, auf daß sie die lateinische Sprach begreifen, nachmittag teutsch und welsch sollen sie schreiben lernen, wie auch die arithmeticam, und Tanzen und auf der Laute schlagen."

Dennoch vertraute er die Sorge den Vätern vom Orden Jesu an. "Von allen geistlichen Brüderschaften 3 ), die der Herzog in sein Land gezogen, machten die Jesuiten ihm am meisten zu schaffen. Er selbst war in einem Jesuitercollegium zu Olmütz erzogen worden, und blieb mit diesem Orden in näherer Verbindung, dessen Eifer und Geschick bei der Bildung und Erziehung der Jugend er benutzte, ohne sich von ihm abhängig zu machen. Vorzugsweise finden wir die Jesuiten von ihm unterstützt." "Das Collegium


1) Nach Fr. Förster a. a. O. S. 352 und 353.
2) Daselbst. S. 355.
3) Daselbst S. 349.
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zu Olmütz", sagt der Jesuit Ignatius Schmidt, "bedachte er mit reichlichen Wohlthaten; er erwies sich als Stifter und Mäcen des Hauses der Professoren zu Prag, errichtete zu Gitschin und Sagan Seminarien und Collegia und dotirte sie mit reichlichen Einkünften, u. s. w. - -Außerdem war er noch Willens, zwei Collegia in Mähren und eins in Friedland zu errichten, und gedachte die frommen Väter auch in sein Herzogthum Meklenburg einzuführen."

In diesem Sinne stiftete er früh zu Gitschin bei den Jesuiten ein Collegium oder eine Akademie vorzugsweise für junge Edelleute und Herren (vom höhern Adel).

Am 3. Aug. 1625 schreibt er aus Eger an seinen Landeshauptmann 1 ): "Ich bin resolvirt, acht oder mehrere Herrenstandes bei den Jesuiten zu Gitschin studiren zu lassen, und die Unkosten auf sie zu wenden. Itzunder seind ihr nicht mehr als drei. Sehet, daß sie ebbesweilen in der Wochen einmal mit dem Bereiter ausreifen, daß sie sich gewöhnen, zu Roß zu sitzen, auch daß sie die arithmeticam fleißig lernen und etwan ein musicam instrumentalem." Am 4. Oct. 1625 schreibt er von Göttingen an seinen Landeshauptmann 2 ): "Ich will auch zum wenigsten an zwölf Knaben Herren= oder Ritterstandes, doch nicht von den schlechten von Adel, halten; die dort studiren, sollen Spirituosi sein. Die Schulen nehmt in Acht und thut mit Ernst und Glimpf dazu, daß die Umliegenden vom Adel, insonderheit die unter mir meinen, ihre Kinder und Freund hinein zum Studiren thun, doch selbst darauf die Spesa zahlen." Zunächst sind die höhern Schulen, insonderheit das Collegium zu Gitschin für den Adel bestimmt; doch läßt er auch eine Anzahl Bürgersöhne aufnehmen und giebt deutschen Knaben, wenn sie nur eine Lust zur virtu haben, den Vorzug vor den "tölpischen böhmischen Janken."

Aus einigen Andeutungen ist es im Allgemeinen bekannt, daß Wallenstein wiederholt adelige Knaben aus Meklenburg nach Gitschin geschickt haben soll, um sie dort erziehen zu lassen, was allerdings von einem sehr nachdrücklichen Einfluß des Herrschers auf den meklenburgischen Adel Zeugniß giebt. Am 7. Julii 1629 schreibt er 3 ): "Ich berichte euch auch, daß ich gern etliche Mechelnburgische Knaben von


1) Nach Fr. Förster a. a. O. S. 352.
2) Daselbst S. 353.
3) Daselbst S. 355.
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Adl wollte auf Gitschin schicken, allda bei den Patribus zu studiren, weis aber nicht, wie viel ihr derselben allbereit dorten habt, denn ich wollte die Zahl der 20 nicht excediren, berichtet mich derowegen, wie viel ihrer dorten seindt, auch wie alt sie seind, denn welche etwas groß seindt, die wollte ich zum Heere geben, daß sie dienten, und wiederum kleine an ihre Stelle hinschicken."

Und jetzt kommen wir dem fraglichen Punkte näher. Es sind zwar Aussprüche Wallensteins bekannt, daß er junge Meklenburgische Edelleute nach Gitschin zur Erziehung nach seinem Sinne schicken wollte. Es ist aber bisher durchaus nicht zu beweisen gewesen, daß dies wirklich geschehen sei. Es ist mir durch vieljährige aufmerksame Forschung gelungen, ein Beispiel und eine und die andere Andeutung im Archive zu entdecken, welche die Hergänge nach der folgenden wortgetreuen Darstellung aus den Original=Acten in ein helles Licht setzen.

"Otto Christoph v. Bülow, ein Sohn des Heinrich Dietrich v. Bülow auf Gülzow an der Nebel, im Stifte Bützow, und der Elisabeth geb. v. Preen, war nach dem Tode seines Vaters, welcher vor Octbr. 1628 starb, jedoch noch bei Lebenszeiten seiner Mutter, von dem Herzog von Friedland, als derselbe mit der kaiserlichen Armee im Herzogthum Meklenburg begriffen gewesen, bei dessen Herausmarsch nebst noch andern adeligen Knaben als ein unerzogener Knabe aus dem Lande Meklenburg den Eltern entführt und weggenommen worden. Nach Entleibung des Herzogs von Friedland hatte er in unmündigen Jahren als eine verlassene Waise niemand gehabt, der sich seiner angenommen, sondern in der Fremde bei Herren Dienste suchen müssen. Da hatte der Herr Octavio Piccolomini, Herzog von Amalfi, ihn zuerst zum Pagen, darauf zur Aufwartung ganz in Dienst und ins Kriegswesen genommen, mit welchem er sich eine geraume Zeit in Spanien, Italien, Niederlanden und andern Orten hatte aufhalten müssen, nachdem der Fürst und seine Gemahlin ihn als eine verlassene Waise in allen Tugenden hatten erziehen lassen." Otto Christoph von Bülow hatte nie zu den Seinigen in sein Vaterland kommen und dazu Urlaub erhalten, auch auf vielfältige Schreiben an seine Landsleute nie Antwort und Nachricht gewinnen mögen. Nachdem er "zu seinen vogtbaren Jahren gekommen" war, glaubte er an den Nachlaß seines Vaters und seiner Mutter Ansprüche erheben zu können, und bat am 9. März 1654 den Herzog Adolph Friedrich von Meklen=

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burg, als seinen "obersten Vormund", den ihm in Abwesenheit und seinen Geschwistern bestellten Vormündern oder Curatoren Befehl zu ertheilen, über die Verlassenschaft seiner Aeltern und seine Erbschaft umständlichen Bericht zu erstatten, namentlich da er doch erfahren habe, daß seine Mutter und seine Geschwister während seiner Abwesenheit gestorben seien. Der Fürst Piccolomini hatte in dieser Sache am 26. Febr. 1654 von Regensburg auf v. Bülow's Bitte, welcher seiner Frau Gemahlin "Kammerjunker" geworden war, Vorschrift an den Herzog erlassen. Hieraus konnte wohl so bald keine Auskunft gegeben werden, da die vorauf gegangenen schrecklichen Kriegsjahre in Meklenburg Alles gründlich verwüstet hatten. Während der Zeit starb der Herzog Piccolomini 10. Aug. 1656 und seine Wittwe Maria Benigna, geborne Herzogin von Sachsen=Lauenburg von der katholisch gewordenen Linie, welche zu Nachod in Böhmen residirte, behielt den Kammerjunker v. Bülow als Stallmeister im Dienst und vertraute ihm "ihren Hofstaat" an. Da v. Bülow bis dahin keine Auskunft erhalten hatte, so wandte er sich am 23. Sept. 1656 an des Herzogs Adolph Friedrich Kanzler Dr. Daniel Nicolai, den spätern Schwedischen Kanzler für Bremen Daniel Nicolai von Greiffencrantz, mit einem Vorschreiben der verwittweten Herzogin Piccolomini an den Herzog von demselben Datum. Auch der Kaiser Ferdinand III. hatte auf v. Bülow's Bitten am 6. Julii 1656 den Herzog aufgefordert, denselben zu seinem Rechte zu verhelfen, auch denselben auf seinen Wunsch "in seinem katholischen Glauben , in welchem er von Jugend an erzogen worden, unverhindert zu lassen." Da in der Canzlei zu Schwerin keine Acten über diesen Gegenstand vorhanden waren, so fragte der Kanzler Nicolai bei dem Güstrowschen Geheimen Rath Dietrich v. d. Lühe über die Verhältnisse an. Nach dessen Erkundigungen d. d. 28. Octbr. 1656, und den noch vorhandenen geringen Acten hatte der Vater des Otto Christoph v. Bülow einen Theil des Gutes Gülzow von Otto v. Bülow auf Hohen=Pritz zu des Herzogs von Friedland Zeiten, ungewiß wann, nach den Acten aber schon Antoni 1622, an sich gebracht, war aber in Schulden und Concurs gerathen. Diesen Theil hatte der Landrath Heinrich v. Levetzow auf Mistorf, den andern Theil die Brüder Hans und Christoph Haltermann von den Gläubigern zu Pfande genommen, bis das ganze Gut als Pfand an den Rittmeister Fritz v. Ihlefeld auf Ihlefeld, v. Levetzow's Schwiegersohn, überging. Da die berechtigten v. Bülow theils das Lehn nicht gemuthet hatten,

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theils das Gut nicht wieder einlösen konnten, so ging dasselbe 1671 durch Verkauf in den Besitz des Rittmeisters Jürgen Ernst v. Lepel über.

Zwar hatte der katholische Herzog Julius Heinrich von Sachsen=Lauenburg zu Prag, der Vater der Herzogin Piccolomini, noch am 26. April 1657 für Otto Christoph v. Bülow intercedirt. Der Herzog Adolph Friedrich erwiederte aber, daß für jetzt mehr Nachricht und Gewißheit nicht zu erlangen sei, da sich die Hauptbegebenheiten alle zu der Friedländischen und Schwedischen Zeit im Stifte Bützow zugetragen hätten und Acten darüber bei der Meklenburgischen Regierung fehlten. Ueber das ehemalige Vermögen der Mutter war gar keine Nachricht mehr zu ermitteln.

Damit hören alle Nachrichten auf. Es wird sich auch wohl nichts mehr finden lassen, da der dreißigjährige Krieg in Meklenburg in den Jahren 1637 und 1638 so gründlich Alles vernichtete, daß von schwankenden Verhältnissen, wie die Gülzower waren, schließlich nichts übrig blieb.

Auch von Otto Christoph v. Bülow und etwanigen Nachkommen desselben ist weiter keine Spur zu finden.

Ein anderes, wenn auch nicht so schlagendes Beispiel ist folgendes, obgleich die Acten nach dem Brande des Regierungs=Gebäudes 1865 noch nicht wieder aufzufinden sind. Jedoch ist der Inhalt nach einer früheren Regeste von mir aufbewahrt. Im J. 1638 ward der Sohn der Lucia von Ditten, damals zu Ahrensbök wohnhaft, von den "Jesuiten zu Prag" erzogen. Der Herzog Adolph Friedrich, welcher dies erfahren hatte, ermahnte die Mutter, ihren Sohn von der päpstlichen Lehre und zu sich nach Hause zu rufen. (Lucia v. Ditten, geb. v. Flotow, war die Wittwe Georg's v. Ditten auf Werle und lebte noch 1644 verarmt mit ihren verwaisten Kindern.)

Für die gegenwärtige Untersuchung ist das folgende Verzeichniß der jungen Edelleute im December 1630 am Friedländischen Hofe zu Gitschin, welches Schottky 1 ) mittheilt, von hervorragender Wichtigkeit.

Verzeichniß der jungen Edelleute an Wallensteins Hofe zu Gitschin.
1630. December.

In einem "Verzeichniß der Friedländischen Hofstatt" vom December 1630 werden unter Andern auch folgende Personen mit ihrem Monatsgehalt zu Gitschin aufgeführt.


1) J. M. Schottky: Wallensteins Privatleben. München. 1832, S. 180.
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Julie Caesare, Edelknaben=Hofmeister 20 Fl.
Francisco de Frantisse, Voltigeurmeister 20 "
Thema de Roviger 40 "
Juan Genaro 40 "
Antoni Baldiron  40 "
Amerigo Sazzifanti 30 "
Nicolaus Peverello, Doctor 40 "
P. Johann Benesperi 30 "
Augustin Morando 150 "
Johann Eberhard 150 "
Sigmund Peter Adolph von Schönkirchen 100 "
Hermann Felix von Bubna 40 "
Philipp von Pappenheim  40 "
Ehrenreich Christoph von Concin 40 "
Heinrich von der Kettenburg 40 "
Conrad Christoph von Arzot  40 "
Adolph Benno von Buchwald 30 "
Paul Joachim von Bülau 30 "
Bernh. Moritz von Oyenhausen 30 "
Gebhard von Gersdorf 20 "
Ulrich von Malzan  20 "
Heinrich Christian von Schönberg 20 "
Jachim von Bernsdorf 20 "
Ehrenreich von Möllendorf 20 "
Emanuel von Raschau 20 "
Adam von Dreiberg 20 "
Bertold Heinrich von Lützau 20 "

Von diesen sind zum Theil wahrscheinlich, theils sicher die Folgenden junge Meklenburgische Edelleute:

1) Heinrich von der Kettenburg, wahrscheinlich, da die v. d. Kettenburg (aus dem Hannoverschen) seit dem Anfange des 17. Jahrh. in Meklenburg ansässig waren.

2) Adolph Benno von Buchwald, wahrscheinlich, da die v. Buchwald (aus Holstein) schon seit dem 14. Jahrh. in einem Zweige in Meklenburg auf Johansdorf ansässig waren.

3) Paul Joachim von Bülow, sicher aus der bekannten Meklenburgischen Adelsfamilie, wenn auch noch nicht nachweisbar.

4) Ulrich Maltzan, sicher aus der bekannten Meklenburgischen Adelsfamilie, aus dem Erblandmarschallshause Grubenhagen, kommt mit Namen später in Meklenburg vor.

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5) Joachim von Bernsdorf, sicher aus der Meklenburgischen Adelsfamilie von Bernstorf auf Bernstorf, wird in Stammbäumen als geb. 1609, † 1682, aufgeführt.

6) Ehrenreich von Möllendorf, wahrscheinlich, da die v. Möllendorf (aus der Mark Brandenburg) schon seit dem 14. Jahrh. in Meklenburg auf Dargelütz ansässig waren.

7) Adam von Dreiberg, sicher aus der Meklenburgischen Adelsfamilie v. Drieberg auf Kl. Sprenz, wird in Stammtafeln des 17. Jahrh. aufgeführt, aber ohne weitere Nachrichten.

8) Berthold Heinrich von Lützow, sicher aus der bekannten Meklenburgischen Adelsfamilie. Ueber diese Person allein giebt es ausführlichere Nachrichten, auch über seinen Aufenthalt am Wallensteinschen Hofe, in seiner Leichenrede. Er war ein Sohn des kaiserlichen Truchsessen und Mundschenken Joachim v. Lützow auf Seedorf im Lauenburgischen bei Ratzeburg, nicht weit von der Meklenburgischen Grenze und den 8. Octbr. 1609 geboren. Seit seinem 14. Jahre studirte er in Leyden und trat nach einiger Zeit in Niederländische Kriegsdienste. Nachdem er 1627 zurückgekehrt war, trat er bei dem General Tilly in Kriegsdienste und war mit bei der Belagerung von Magdeburg und in der ersten Schlacht bei Leipzig. "Nach seines Vaters Tode 1629, "also in seinem 20. Jahre, hat er sich selbigen Jahres annoch bei dem Herzog von Friedland in Diensten wieder eingelassen und ist bei dessen großem Hofstaat zwei Jahre lang Truchseß und zugleich Fähnrich unter dem Tiefenbachschen Regiment gewesen." Nach dem Abrücken Wallensteins im J. 1631 ging er von seinem Regiment ab, setzte sich 1632 mit seinen Brüdern auseinander, und nahm das väterliche Gut Seedorf an. Er starb am 12. Mai 1665 als Sachsen=Lauenburgischer Landrath und Meklenburgischer Hauptmann zu Stove im Fürstenthum Ratzeburg.

Es ist hiernach unverkennnbar, daß Wallenstein, gewiß wiederholt, junge Söhne vom Meklenburgischen Adel nach Gitschin zu den Jesuiten zur Erziehung schickte. Dennoch bezweifeln alle neueren Meklenburgischen Geschichtschreiber diese Thatsache. Obgleich v. Lützow zu seiner Meklenburgischen Geschichte das Staats=Archiv benutzte, sagt er doch in seiner Meklenburg. Geschichte, III, 1835, S. 235: "Wallenstein hatte selbst für die vermehrte Ausbreitung des Katholicismus in seinem protestantischen Herzogtum Meklenburg zu wirken gesucht und aus Güstrow den 5. März und 7. Juli nach Gitschin geschrieben,er sei

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Willens, eine Fundation der Jesuiten von wegen etlicher Jungen von Adel zu machen, die er zu dem Ende nach Gitschin schicken wolle, allda bei den Patribus zu studiren" u. s. w.

Auch E. Boll sagt in seiner Meklenb. Geschichte II, 1856, S. 457: "Wallenstein war Willens, etliche meklenburgische Knaben von Adel nach Gitschin zu schicken, wo sie bei den Jesuiten studiren sollten. Ob dieser Plan ausgeführt ist, kann ich nicht sagen, aber selbst wenn es geschehen wäre, würde bei der kurzen Dauer der Wallensteinschen Regierung wohl nur wenig dadurch erreicht sein."

Ebenso sagt Krabbe in seinem Buche: Aus dem kirchlichen und wissenschaftlichen Leben Rostocks. Zur Geschichte Wallenstein's und des dreißigjährigen Krieges. 1863, S. 117: "Das Factum, daß Wallenstein während seines kurzen Regiments wiederholt Söhne meklenburgischer Adliger nach Gitschin zu senden beabsichtigte, um sie dort, wo ein Jesuiter=Collegium blühete, ihre Studien machen zu lassen, zeigt wenigstens, daß er keinesweges die alten Beziehungen abgebrochen hatte, daß er sie vorkommenden Falles zu benutzen wußte" u. s. w. - - "Indessen läßt sich nicht sagen, daß diese Absicht während der Zeit, daß Meklenburg sich unter seiner Botmäßigkeit befand, erkennbar hervorgetreten wäre."

Wallenstein begnügte sich aber nicht, die jungen Leute in die weite Ferne von der Heimath zu schicken: er stiftete auch in seiner neuen Residenz Güstrow mit reichen Mitteln eine glänzende Ritter=Akademie. Diese Akademie hat sicher anderthalb Jahre, vom Anfange des J. 1629 bis gegen die Mitte des J. 1630, also bis zur Landung der Schweden in Deutschland, in Güstrow in voller Blüthe bestanden. Es ist mir gelungen, eine hinreichende Anzahl bisher unbekannter und unerkannter Schriftstücke zu entdecken, durch welche ich dies vollständig zu beweisen vermag, und aus welchen man wohl noch weitere Schlüsse zu machen berechtigt sein dürfte.

Eine Aeußerung Wallensteins war aber schon längere Zeit bekannt. "Ich bin Willens, schreibt Wallenstein an den Landeshauptmann nach Gitschin aus Güstrow am 5. März 1629, dahie eine Fundation zu machen, von wegen etlicher Jungen von Adl, so dahie studiren sollen. Nun wollte ich gern eine Abschrift derselbigen haben, welche ich den P. S. J. (Patribus Societatis Jesu, Jesuiten) zu Gitschin wegen der Zwanzig vom Adl gegeben hab.

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Ich vermeine auch in Kurzem etliche Knaben von hinnen nach Gitschin zu schicken; ein Theils werden dort studiren, ein Theil aber werden unter die Knaben, so bei meinem Weib sein, gethan werden."

Zum Glück für Meklenburg 1 ), fügt Fr. Förster dieser Mittheilung hinzu, kam die von dem Herzoge beabsichtigte Fundation der Jesuiten zu Güstrow nicht zu Stande!?

Kaum war Wallenstein am 17. Julii 1628 in Güstrow, das er sich zur Residenz ausersehen hatte, eingerückt, als er sogleich die großartigsten Anstalten machen ließ, Alles nach seinem Sinne umzugestalten und einzurichten 2 ). Ja, er ließ sogar, wie sich unten zeigen wird, einen Theil seiner Familie nach Güstrow nachkommen. Ich glaube aus dieser Thätigkeit schließen zu können, daß er die Absicht hatte, seine dauernde Residenz in Güstrow 3 ) zu nehmen, theils wohl wegen der Nähe des Meeres, theils um sich in seinem neuen Lande zu befestigen, da ihm seine böhmischen Herrschaften wohl sicher genug waren. Zur Erreichung dieses Zweckes wird er denn auch wohl die Benutzung des Katholicismus und Jesuitismus beabsichtigt haben. Seit dem J. 1628 beschäftigte ihn die Erziehung des Adels lebhaft, wozu er wohl von den Jesuiten ermuntert ward. Schon am 25. Oct. 1628 schreibt er 4 ) aus dem Feldlager bei Krempe an Taxis nach Gitschin: "Ich vernehme, daß die Jesuiten den Franzel von Harrach beredet haben, er solle ein Jesuiter werden; sein Vater aber hat mir ihn gegeben, daß ich einen Soldaten und nicht einen Jesuiter aus ihm mache. - - - - Ist derwegen mein Befehl an euch, ihr sollt diesem Allen, was ich dahin contra setzen werde, fleißig nachkommen und auf keinerlei Weis anders thun: nämlich befehlt in continenti dem Präceptor, er solle mit allen den drei Knaben, als zwei von Harrach und dem von Waldstein, auch ihren Dienern und allen denen, so bei ihnen sind, sich fertig machen. - - - Dennoch aber kann es der Herzog nicht gewinnen, sich ganz von der verrätherischen Gesellschaft (der Jesuiten) loszumachen; vielmehr sorgt er für ihre Verbreitung und ist sogar Willens, sobald er sich einigermaßen in Meklenburg eingerichtet hat, auch dort ein Collegium zu errichten."


1) Vgl. Fr. Förster a. a. O. 1834, S. 355.
2) Vgl. Jahrbücher XXXV, S. 48 flgd.
3) Nach einer Verwaltungsverordnug über Heu=Lieferungen hatte Wallenstein auch seine "Leibrosse" in Güstrow zurückgelassen.
4) Vgl. Fr. Förster a. a. O. S. 354 flgd.
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In der zweiten Hälfte des J. 1628 kam in Wallenstein der Plan zur Reise, in Güstrow eine Ritter=Akademie zu stiften, und im Anfange des J. 1629 brachte er den Plan zur Ausführung. Nachdem er schon am 1. Jan. 1629 den Magister Christian Schilt 1 ), sicher wohl einen Deutschen, zum Professor der lateinischen Sprache berufen hatte, erklärte er am 31. Januar 1629 die Stiftung für gegründet und bestellte den Johann de Lasure zum Gubernator (auch maitre de l'Academie und Patron genannt) 2 ). Lasure war, nach seinem Abschiede, ein Niederländer, ohne Zweifel Edelmann, und französischer Zunge. Von dem Rentmeister wird sein Name gewöhnlich Delasure, von der Kammer de l'asseur geschrieben; er selbst schreibt seinen Namen in seinen häufig vorkommenden Unterschriften (in französischen Schriftzügen) immer de Lasure, immer mit einem großen L und das de davon getrennt: ein Mal hat er auch das de übergeschrieben; es war sein Name also Lasure oder de Lasure, wie er auch in seinem Abschiede geschrieben ist.

Die Akademie ward für 5 junge Herren, d. h. aus der Wallensteinschen Familie und Verwandtschaft, und für 12 Edelknaben in einem eigenen Hause auf der Domfreiheit gestiftet und zum Zusammenwohnen eingerichtet. In dem Hause wohnten der Gubernator, der Präceptor, die Zöglinge und die zahlreichen Diener. Der Gubernator übernahm die Unterhaltung aller dieser Personen für eine bestimmte Summe wöchentlich. Außerdem sollten dem Gubernator für die Akademie noch geliefert werden: jährlich 50 Tonnen Bier, ein gewisses an Wein, 70 Faden (Klafter) Brennholz und 3 Fuder Kohlen. Die Kosten wurden jährlich auf 6282 Thaler veranschlagt 3 ), ohne die Kosten für Kleidung und Pferde. - Besonders lebhaft war die Nachfrage nach Bier und die Lieferung ward bald auf 150 Tonnen jährlich erhöht.

Am Ende des Monats Januar 1629 war die Wohnung für den Gubernator eingerichtet 4 ) und im Februar rückte er mit seinen Sachen und seinem Gesinde ein 5 ). Mit dem Monat März 1629 scheint die Bildung der Akademie vollendet worden zu sein. Am 1. März wurden Lieferungen


1) Vgl. Anlage Nr. 1.
2) Vgl. Anlage Nr. 2.
3) Vgl. Anlage Nr. 6.
4) Vgl. Anlage Nr. 3.
5) Vgl. Anlage Nr. 4.
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von Bettstellen für die "neu angelegte Akademie" befohlen 1 ) und die bedeutenden Bierlieferungen beginnen nach den zahlreichen Registern mit dem Anfange des Monats März und werden regelmäßig fortgeführt; so z. B. waren vierzehn Tage vor Fastnacht die Bierlieferungen von den Aemtern Schwan und Dargun, auch von Rostocks Bier alle 14 Tage regelmäßig erfolgt, und schon am 3. März erhielt das Amt Schwan ein scharfes Mandat zur förderlichsten Lieferung von 6 Tonnen Bier.

Im Monat Mai 1629 war die Akademie vollständig eingerichtet. Am 22. Mai ward ein ausführlicher Ueberschlag der Kosten an Gehalten und Beköstigung vorgelegt 2 ).

Von ganz besonderm Interesse ist der sehr bemerkenswerthe Umstand, daß Wallenstein schon bei der ersten Einrichtung der Akademie seine und seiner Gemahlin männlichen jungen Verwandten nach Güstrow kommen ließ, um sie unter seinen Augen in der Akademie und am Hofe erziehen zu lassen. Diese blieben auch ununterbrochen in Güstrow, so lange die Akademie bestand.

Diese jungen "Herren und Grafen" waren nach zahlreichen Registern und Quittungen "drei Herren von Harrach und zwei von Walstein," nämlich:

1) "Herr Albrecht Freiherr von Wallenstein",
2) "Herr Adam von Wallenstein",
3) "Herr Maximilian Graf von Harra
4) "Herr Franzel Graf von Harrach",
5) "Herr Hans Carl Graf von Wallenstein".

Dieser letztere war besonders bevorzugt, da ihm außer der Dienerschaft besonders ein Edelknabe, der auf ihn zu "warten" hatte, und zwei Pferde gehalten wurden.

Diese jungen Herren hatten zusammen einen Kämmerling und 4 Diener; dazu kamen später noch 5 Stallknechte der jungen Herrschaft zur Wartung der Pferde, denen seit August 1629 das gewöhnlich "Commiß" an Bier und Brot gereicht werden sollte.

Die Akademie war unter Wallenstein's Augen vollständig fertig geworden, als er am 13. Julii 1629 Güstrow und das Land, gegen seine Gedanken auf immer, verließ. Noch auf seiner Reise, zu Schwerin, am 20. Julii in seiner hinterlassenen Kammer= und Hof=Verordnung 3 ) gedachte er wieder=


1) Vgl. Anlage Nr. 5.
2) Vgl. Anlage Nr. 6.
3) Vgl. Jahrb. XXXVI, S. 49 und 50.
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holt seiner Akademie, welche neben den Bau= und Schanzkosten aus den Ueberschüssen der Landeseinnahme unterhalten werden sollte, und erhöhte noch die jährliche Lieferung an Bier, obgleich er es noch kurz vorder abgeschlagen hatte 1 ), auf 150 Tonnen, räumte auch der Akademie die Benutzung der Jagd ein 2 ). Endlich sollten die jungen Pferde, welche der Bereiter Caspar aus Gitschin holen sollte, dem Gubernator de Lasure überantwortet werden 3 ).

Der Personenstand der Akademie läßt sich aus verschiedenen allgemeinen Schriftstücken, so wie aus zahlreichen Quittungen der einzelnen Personen klar übersehen. Die allgemeinen Schriftstücke sind ein Kostenanschlag vom 22. Mai 1629 4 ), eine Tischgeldquittung des Gubernatores de Lasure vom 22. Febr. 1630 5 ), deren in ähnlicher Form vom October 1629 bis April 1630 viele vorhanden sind, und die allgemeine Berechnung der Ausgaben für die Akademie in den Meklenburgischen Renterei=Rechnungen von Trinitatis 1630 bis Febr. 1631 6 ).

Der Personenstand der Akademie war durchschnittlich folgender.

5 junge Grafen und Herren, nämlich 3 von Wallenstein und 2 von Harrach.

7 Meklenburgische Edelknaben. Der Anschlag war auf 12 gemacht; es rückten aber gegen die Veranschlagung die 5 böhmischen jungen Herren ein: mehr als 7 Meklenburger scheinen nicht in der Akademie gewesen zu sein. Die Namen sind leider nicht zu erforschen gewesen.

Der Gubernator Johann de Lasure, ein niederländischer Edelmann, französischer Zunge, ohne Zweifel Katholik, berufen 31. Jan. 1629, verabschiedet 3. Sept. 1631.

Der Präceptor oder Professor der lateinischen Sprache. Am 1. Jan. 1629 ward Christian Schilt bestellt. Von Trin. 1630 bis Febr. 1631 war nach der Renterei=Rechnung Joachim Schebelius Präceptor.

Der Sprachmeister Johann Courtin 7 ), wahrscheinlich ein Franzose, ohne Zweifel Katholik, erscheint nach den Quittungen vom August 1629 bis Febr. 1630. Im April


1) Vgl. Anlage Nr. 7.
2) Vgl. Jahrb. a. a. O. S. 57.
3) Vgl. daselbst S. 58.
4) Vgl. Anlage Nr. 6.
5) Vgl. Anlage Nr. 8.
6) Vgl. Anlage Nr. 9. und Jabrb. XXXVI, S. 39.
7) Vgl. Anlage Nr. 10.
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1631 war "Juan Courtin" des "Herrn Grafen von Harrach" Sprachmeister zu Gitschin mit 20 Fl. Monatsgehalt (vgl. Schottky: Wallenstein's Privatleben, S. 179).

Der Fortificationsmeister Capitain Felice Floriani, Italiäner 1 ) und ohne Zweifel Katholik, war zugleich Wallenstein's Baumeister. In seiner letzten Verordnung bestimmt der Herzog noch am 20. Julii 1629, daß "Capitain Floriani bei dem Schloßgebäude nicht gehindert werde" 2 ). Am 20. Oct. 1629 bewilligte die Kammer ihm bei seinem "Abzuge" nach dem "Hofgebrauch" einen Monatsgehalt, weil er in fürstlicher Bestallung bleibe; er kommt auch im J. 1630 in der Akademie nicht mehr vor.

Der Fechtmeister und Voltigiermeister Cosmo Peretti, Italiäner und ohne Zweifel Katholik, erscheint mit Unterschrift sicher Sept. 1629 bis April 1630 3 ).

Der Tanzmeister war bis in den Anfang des Jahres 1630 William Daniel 4 ), wie es scheint ein Engländer. Nach seiner Verabschiedung folgte "Christopher de Quinceste dict du Fraisne", offenbar ein Franzose.

Der Bereiter Ditmar Frese, wahrscheinlich ein Deutscher, vielleicht ein Meklenburger, ward von Wallenstein bei dessen Abzuge mündlich und durch Verordnung vom 25. Julii 1629 der Akademie überwiesen 5 ). Im Mai 1629 wird noch kein Bereiter aufgeführt. Nach der Kammer= und Hof=Verordnung vom 20. Julii 1629 sollte der Bereiter Caspar erst junge Rosse von Gitschin holen und dieselben dem Gubernator de Lasure überliefern 6 ). Im Febr. 1631 war noch "der Roßbereiter" im Dienste der Akademie.

Der Capellan, zur kirchlichen Erziehung und Hausandacht, war Johannes Franciscus Castriota, ohne Zweifel ein Italiäner. Gehaltsquittungen von ihm reichen vom 1. Sept. 1629 bis 28. Febr. 1630 7 ). Jesuit war Castriota wohl nicht, da er seinem Namen nie die Buchstaben P. S. J. hinzufügt, wie die Jesuiten immer zu thun pflegen. Im März 1630 ward von Wismar ein Capellan geholt, welchem die jungen "Herren" beichteten 8 ).


1) Vgl. Anlage Nr. 11.
2) Vgl. Jahrb. XXXVI, S. 50.
3) Vgl. Anlage Nr. 12.
4) Vgl. Anlage Nr. 13.
5) Vgl. Anlage Nr. 14.
6) Vgl. Jahrb. XXXVI, S. 53.
7) Vgl. Anlage Nr. 15.
8) Vgl. Anlage Nr. 16.
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Ein Arzt war auch eigens für die Akademie mit 40 Fl. Monatsgehalt angenommen. Es war dies der Hof=Medicus Doctor Wilhelm Bökel 1 ), welcher sich als Akademie=Arzt sicher vom October 1629 bis in den Mai 1630 verfolgen läßt.

An Dienern wurden gehalten:

ein "Kämmerling" für die "jungen Herren",
ein Edelknabe für den Grafen Hans Carl von Wallenstein,
vier Diener für die "jungen Herren",
drei Diener für die Meklenburgischen Edelknaben,
ein Diener für den Cappelan,
fünf Stallknechte.

Dazu kamen in außerordentlichem Dienst:

eine Wäscherin,
ein Barbier,
ein Schneider,
ein Schmied,
ein Apotheker.

Außerdem mußte der Gubernator de Lasure ohne Zweifel ein großes Personal halten, da er die Verpflegung der jungen Herren, Edelknaben, Diener und gelehrten Lehrer contractlich übernommen hatte, und für sich selbst Pferde und Wagen hielt.

Alles dieses zeigt klar, daß die Wallensteinsche Ritter=Akademie zu Güstrow nach dem entworfenen Plane vollständig bestand und glänzend eingerichtet und ausgestattet war.

Wie lange die Akademie bestand, wie sie aufgelöset ist, wo die jungen Leute und die Lehrer nach der Auflösung zunächst geblieben sind, läßt sich nicht genau ermitteln. Acten sind aus den Jahren 1629 und 1630 genug vorhanden. Nach den Renterei=Rechnungen 2 ) bestand die Akademie noch sicher bis zum Februar 1631. Ohne Zweifel wird sie sich im Anfange des Frühlings 1631 in der allgemeinen Flucht vor den anrückenden Schweden aufgelöset haben. Im April 1631 war der Sprachmeister Johann Courtin des "Herrn Grafen von Harrach Sprachmeister zu Gitschin" 3 ). Einige Nachricht haben wir von dem Gubernator de Lasure. Er war bei der Auflösung der Akademie Wallenstein nach Böhmen, wohl ohne Zweifel nach Gitschin, nachgegangen. Wallenstein gab ihm zu Prag am 3. Sept. 1631 auf seinen


1) Vgl. Anlage Nr. 17.
2) Vgl. Anlage Nr. 9.
3) Vgl. Schottky: Wallenstein's Privatleben, S. 179.
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Wunsch einen ehrenvollen Abschied 1 ), dessen Entdeckung wir Schottky verdanken. Dieser irrt aber, wenn er ihn für den "Lehrer des Gitschiner Convicts" hält 2 ); freilich war bisher von der Güstrowschen Akademie nichts bekannt.

Hiemit verschwindet die Wallensteinsche Ritter=Akademie 3 ) zu Güstrow völlig aus der Geschichte.

Wenn auch keine gewaltsamen Bekehrungsversuche unter Wallensteins Herrschaft bekannt geworden sind, so waren doch durch die Stiftung der Ritter=Akademie die Vorbereitungen zur Wiedereinführung des Katholicismus in Meklenburg so gut getroffen, daß an einem gewünschten Erfolge kaum zu zweifeln gewesen wäre, wenn der Machthaber seine Herrschaft längere Zeit hätte behaupten können.

Daß zur Wallensteinschen Zeit die Katholiken im protestantischen Norden wieder dreist wurden und die Jesuiten vordrangen, beweiset die Kühnheit, daß sie sich sogar fürstlicher Personen mit Gewalt bemächtigen wollten. Das Schweriner Archiv enthält eine sehr merkwürdige Nachricht. Am 21. Sept. 1631 schrieb der Herzog Johann Friedrich von Holstein=Gottorp, postulirter Erzbischof von Bremen und Bischof von Lübek, von Bremen aus an den Herzog Adolph Friedrich 4 ) von Meklenburg, daß er sichere Nachricht habe, daß der Dechant der Stiftskirche zu Eutin im Bisthume Lübek, Richard Blankenheim, welcher katholisch war, "gefährlicher Weise und zur Ungebühr hiebevor mit Jesuiten und katholischen Pfaffen, die er auch eine Zeit lang in seinem Hause zu Eutin beherbergt, correspondirt und conspirirt und zum öftern einen Anschlag und unterschiedliche Practiken auf den Herzog Adolph Friedrich, als dieser sich in Lübek aufgehalten, habe machen und zu Werk richten wollen, denselben zwischen Lübek und Eutin unterwegs anzufallen und aufzuheben, wie auch andere hohe Personen in Gefahr und Ungelegenheit zu bringen". Der Herzog von Holstein warnte daher seinen Neffen und rieth ihm, "auf den Dechanten und dessen katholische Cohärenten mit Fleiß zu passen und denselben in der Stille beim Kopf nehmen und


1) Vgl. Anlage Nr. 18.
2) Vgl. J. M. Schottky: Wallenstein's Privatleben, München, 1832, S. 190.
3) Der Herzog Gustav Adolph von Meklenburg=Güstrow stiftete am 17. Mai 1664 wieder eine Ritter=Akademie zu Güstrow. Diese blieb aber auch nicht lange von Bestand. Es vind nur sehr wenig Nachrichten über dieselbe vorhanden.
4) Der Herzog Johann Friedrich von Holstein war ein Bruder der meklenburgischen Herzogin "Sophie von Lübz", der wackern Mutter des Herzogs Adolph Friedrich von Meklenburg.
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gefänglich einbringen und behalten zu lasen, bis er, der Herzog, sich weiter erklärt haben werde". Der Herzog Adolph Friedrich ging auch sogleich am 1. October "im Feldlager vor Rostock" auf diesen Rath ein und ließ den Quartiermeister Marquard von der Jahn mit 8 Reitern nach Eutin und Umgegend abschicken, um den Dechanten zu suchen und einzufangen. Diese fanden ihn denn auch nach einigem Suchen am 9. Octbr. Morgens früh auf seinem Landhofe Gysselrade und nahmen ihn nicht allein gefangen, sondern nahmen auch seinen Wagen und alle Pferde, baares Geld und viel werthvolles Geräth mit nach Schwerin, wo er auf dem Schlosse gefangen gehalten ward. Der ganze Vorgang war allerdings gewaltthätig, namentlich die "Plünderung", welche der Herzog auch nicht billigte, da er "die Plünderung nicht befohlen" habe, und daher auf Beschwerde im "ungnädigen Mißfallen" befahl, daß die Officiere und Reuter zur Herausgabe des entführten Gutes angehalten werden sollten. Da sich die Beschwerden gegen die geübte Gewalt mehrten, so mochte der Herzog Johann Friedrich die längere Gefangenhaltung des Dechanten wohl nicht für gerathen halten und ersuchte daher am 4. Novbr. den Herzog Adolph Friedrich, denselben gegen Revers und Ranzion für die Reiter der Haft zu entlassen. Am 14. Novbr. ward denn auch der Dechant "gegen gewöhnliche Urfehde, 300 Rthlr. Ranzion und schriftlichen Revers" der Haft entlassen, unter dem schriftlichen Versprechen, in keinen Wegen "und zu keiner Zeit mit Jesuiten oder römisch=katholischen Leuten gegen einen oder andern evangelischen Stand und deren Verwandten zu ewigen Zeiten mit Correspondiren oder viel weniger Conspiriren sich verdächtig zu machen, sondern sich deren gänzlich zu entäußern und enthalten".


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Anlagen.


Nr. 1.

Wallenstein bestellt den Magister Christian Schilt zum Professor der lateinischen Sprache (Präceptor) an der neu gegründeten Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow.

D. d. Güstrow. 1629. Jan. 1.

Wir Albrecht von Gottes gnaden Hertzogk zu Friedelandt vnd Sagan, Rom. Kay. Maytt. General, Oberster Feldhauptmann, Wie auch des Oceanischen vnd Baltischen Meers General, Thunn knndt vnd bekennen hirmit, das Wir den Hochgelärten unsern lieben Besondern Magistrum Christianum Schiltten zum professorn latinae linguae in vnserm alhie angerichtetem furstlichen Ritter Collegio auf ein Jhar langk von Dato an zu rechnen bestellet vnd angenommen, Dergestaldt vnd also, das er Vns getrew vnd holdt seien, Vnser vnd Vnser academien bestes wißen vnd befodern, Dargegen schaden vnd vnheil verwarnen, verhutten vnd abwenden, Insonderheitt aber die in gedachtem vnserm furstlichen Collegio iunge Herren vnd Edeleute in Lateinischer Sprachen vleißig instituiren vnd vnderrichten vnd Sie zu gutten tugenden vnd Sitten gewehnen, Sich zu rechter zeit vnd stunden darbei finden, der gegebenen Ordinanz bei Vnserm Patrono Academiae geburlich nachleben vnd sonsten in allem wie einem getrewen aufrichtigen Professorn in alleweg ruemlich vnd wol anstehet fleißig vnd aufwertig erweißen sol, Dargegen vnd zu ergettzung solches seines angenommenen Dienstes, muhe vnd arbeidt Wollen wir Ihme zu dieses einen Jhares Besoldung hunderdt Siebentzig Reichsthaler reichen, vnd alle Viertel Jhar daruon

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den Vierten theil, auch nebenst einer Stuben freyen tisch oder Speißung geben laßen, Vnd zum fal er einiger sachen halben bei Vns angegeben wurde, Wollen wir Ihn hiruber zuvorderst horen, vnd ohne vorgangener seiner verandtwortung, vnd gestatteter Defension mit keiner vngnade belegen. Deßen zu vrkundt haben wir diese vnsere Bestallung mit vnserm Furstlichen Handtzeichen vnd Insiegel bekrefftigt, Gegeben zu Gustrow den Ersten January nach Christi geburdt im Ein Tausendt Sechshundertten vnd Neun vnd Zwantzigsten Jhare.

Nach dem Concept im Staats=Archive zu Schwerin.


Nr. 2.

Wallenstein stiftet eine Ritter=Akademie zu Güstrow und bestellt den Johann de Lasure zum Gubernator derselben.

D. d. Gustrow. 1629. Jan. 31.

Nachdeme der Durchläuchtiger, Hochgeborner Fürst vnd Herr Herr Albrecht, Herzog zu Friedland vnd Sagan etc. ., Röm. Kaysrl. Maytt. General, Obrister Feld=Hauptmann, Wie auch des Oceanischen und Baltischen Meerß general in dero residentz Stadt zu Güstrow eine Academie anzurichten in gnaden verordnet, Welcher vorzustehen Hochermelte I. f. g. Johan de l'asseur alß maistre de l'Academie vermög einer gewißen bestallung bestellet, So haben I. f. g. ferner geschloßen, Ihm vff die Persohn zu deren vnterhaltung wochendlich ein gewißes einß fur alles geben vnd reichen zu laßen, Alß fur 5 junge Herrn vff iedwedern 4 Rthlr, 12 Edelknaben vff ieden 3 Reichster., 1 Präceptor 3 Rthlr. vnd fur die 9 Diener, so vff die jungen Herrn vnd Edelknaben wartten, ieden 2 Rthlr., Workegen der Maistre de l'Academie weder vff sich, noch andere seine diener, so er zur speisung, auch in Küchen vnd Keller zu gebrauchen benötigt, kein ferner spese annehmen, sondern das alles hiemit eingeschloßen vnd vberhäubt gehandelt sein soll. Damit er auch so viel beßer auskomen möge, Alß haben I. f. g. gemeltem maistre de l'Academie vber vorige provision jährlich noch 50 thonnen Bier, wie auch ein gewißes an wein, neben 70 Faden brennholzvnd 3 fueder Kohlen zu einer

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zubuß reichen vnd geben zu laßen in gnaden verwilligt. Vnd dieweil auch zu einrichtung solchs provision werkes an nothwendigen mobilien nichts vorhanden, So seind ihm zu deßen erkäuffung 150 Reichsthaler zu geben vorwilligt, vnd sollen die ienigen mobilien, so dafür eingekauft werden, geburelich vorzeichnet vnd inventirt werden. Eß sol sich aber daß Kostgeld nicht ehe anheben, biß ein vnd andere Persohnen den Tisch würcklich antreten vnd hinein kommen, Alß dann von der speisung nach advenant der Persohnen die wochentliche abgifft erfolgen vnd ihm iedesmal richtig außgezahlt werden soll. Deß zu Vhrkund ist dießer Accord mit I. f. g. Cammer=Secret besiegelt vnd geben in I. f. g. Hoffstad Güstrow am 21/31 January Anno 1629.

Nach zwei auf einander folgenden Concepten, von denen das erste außerordentlich viel geändert ist, im Staats=Archive zu Schwerin. Auf der Rückseite steht: "Accord mit Johan de l'asseur wegen provision "vff etzliche Persohnen in der newen Academia."

Die Stelle über Inventirung der Mobilien scheint ganz getilgt sein zu sollen. In einem gleichzeitigen Ueberschlage der Personen und Kosten heißt es am Schlusse:

"150 Rthlr. sein von hern Stadhalter dem h. Patrono zu erkauffung der nothwendiaen mobilien zu geben bewilliget, praesente patrono. Actum in des H. Stadthalters staube d. 21. Jan. ao. 1629."


Nr. 3.

Der Wallensteinschen Kammer Verordnung wegen Lieferung von Hausgeräth für die Ritter=Akademie zu Güstrow.

D. d. Güstrow. 1629. Januar 25.

Albrecht etc. .

Ersahmer, lieber getrewer. Nachdeme für unsern vorweser der Academia hieselbst zu Güstrow etzliche Betten von nöthen, Alß befehlen wir Dir hiemit gnedig, vnß gestraxs angesichts nach empfahung dießes 2 vnter= vnd 2 vberbetten herüberzuschicken vnd in das hauß, worinnen vnser Cammerrath Gebhard Moltke biß her gewesen,

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liefern zu laßen. An deme etc. . Datum Güstrow am 15/25 Jan. 1629.

An den Ambtman zu Schwan.
               Similiter
An den Ambtman zu Goltberg.

Nach dem Concept im Staatsarchive zu Schwerin.


Nr. 4.

Zuzug des Gubernators der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow.

(D. d. 1629. Febr. - März.)

Memoriall
des Herrn Gubernators
der F. Academiae.

Biettet, weil Er den Freigtagk den Anfangk machen wirtt, von seinen Sachen etwas auff Grabow zu schicken, das ihme wegen 6 wagen ein pas mochte ertheilleth werden.

Vors ander das dem weinschencken befohlen, das er sich mitt seinem weine, welchen er mitt wegk geben soll, denselben auch in bereittschafft habe.

Vors dritte wegen des Vberigen alße 6 Thonnen Bier von Criewitz das die selben auch von da nach Grabow mochten eingelieffert werden.

Vors Vierde das auch Acht Thonnen Bier vors Gesinde nach Grabow mochten geliefferth werden, wan aber der Herr Gubernator nicht weiß, woher die selben werden geschaffeth werden, alß kan er solches nicht nahmkundig machen.

Vors Funffte wolle sich der Herr praesidenthe erinnern, weil ich in 8 Wochen keine Bezalung bekommen, das dem Rentmeister anbefehlen, mich zu bezahlen.

Nach einer Aufzeichnung wahrscheinlich in Folge mündlichen Vertrages im Staats=Archive zu Schwerin. Neben den einzelnen Absätzen steht immer die Originale Decretur "Fiat" geschrieben.


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Nr. 5.

Der Wallensteinschen Kammer Verordnung wegen Lieferung von Hausgeräth für die Ritter=Akademie zu Güstrow.

D. d. Güstrow. 1629. März 1.

Albrecht etc. .

Erbar, Ersahmer, liebe getrewen. Nachdeme wir etzliche Bettespunden in vnsere alhie new angelegte Academia benötigt, Alß befehlen wir euch hiemit gnedig drey Bettestädten mit himeldecken vnd anderer ihrer zubehöer an holtz, doch von den geringesten, alßbalt nach empfahung dießes herüberzuschicken vnd an vnsern hiesigen Bawschreiber Paul Sagern liefern zu laßen. An dem Ihr v. g. vnd zuverleßige meinung. Datum Güstrow am 19. Febr./1. Martii 1629.

H. H. v. d. L.     

     An
die Beambten zu Dobberan.
          In simili
An den Ambtman zu Schwan.

Nach dem Concept im Staats=Archive zu Schwerin.


Nr. 6.

Anschlag der Kosten zur Unterhaltung der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow.

D. d. Güstrow. 1629. Mai 22.

Vberschlag
waß zu vnterhaltunge der Frstl. Academie zu Gustrow erfordert wird.

Den 12/22 May 1629.

Dem Herrn Gouverneur besoldung 1200 Rthlr.
Dem Fechtmeister, welche zugleich voltisiret vnd mit der picquen vmbgehet, eines für alles 400    "
Dantzmeister in alles vngefehr  200    "
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Fortification=meister vngefehr 200 Rthlr.
Dem bereiter in alles 150    "
Praeceptori 170    "
Sprachmeister 160    "
--------------------
Summa 2480 Rthlr.
Drey HH. vn Harrach vnd zwene von Walstein Kostgeld, wochentlich 4 Rthlr.
Ihrem Kemmerlinge 3 Rthlr. wochentlich.
4 Diener iegligem wochentlich 2 Rthlr. Kostgeld.
Ist iehrlich 1488 Rthlr.
Zwolf Edelknaben iedem wochentlich 3 Rthlr. Kostgeld.
Praeceptori vnd Sprachmeister iedem 3 Rthlr. wochentlich Kostgeld.
Drey iungen auf ieden 2 Rthlr. wochentlich.
Thut iehrlich 2304 Rthlr.
--------------------
Summarum 6282 Rthlr.

Wie viele roß I. F. G. halten laßen werden, weis der H. Gouverneur nicht vnd kan derhalben kein vberschlag machen. Desgleichen was auf die Kleidung der Jungen hern vnd Edelleute, wie auch auf schneider, balbir, wescherin, satler, schmiede (!) etc. . gehen mochte, kan er ietzo auch nicht wißen, zuforderst da I. F. G. sich nicht ercleret, ob sie statlich oder gering sollen gekleidet werden.

Nach dem Original im Saats=Archive zu Schwerin.


Nr. 7.

Wallensteins Verordnung in Güstrow wegen Bier= und Kleider=Lieferung für die Ritter=Akademie.

Güstrow. 1629. Julii 7.

Mit dem Gubernatore der Academie alhie felt Zweifel ein, weil ihme vber das ordinarie Kostgeld iehrlich 50 tonnen hier verschrieben vnd er sich beclaget, das er nicht darmit zureichen kan, mit bitte, ihme so viele vaß folgen zu laßen. Weil man aber keine andere vaß, als iedes von drittehalb, welches 75 tonnen mehr austragen würde, Als thut die Cammer vnterthenig fragen, ob dieselbe sollen gegeben werden.

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Desgleichen erinnert er, das die Edelknaben mußen gecleidet werden, wovon aber der Cammer bisher noch keine ordinantz zukommen.

I. F. G. bescheid

Man soll ihme nichts mehr geben vnd haben I. F. G. gefragt, ob sie ihme die 50 tonnen verschrieben hetten, Worauf der H. Stadhalter angezeiget, das es I. F. g. selbst gethan. Gustrow den 7. Julii ao. 1629.
Wegen der Kleider haben I. f. g. nichts verordnet.

Nach einer gleichzeitigen (Original=) Aufzeichnung im Staats=Archiv zu Schwerin. - Wallenstein verließ Güstrow am 13. Jul. 1629.


Nr. 8.

Quittung des Akademie=Guberuators de Lasure über das Tischgeld.

D. d. Güstrow. 1630. Febr. 22.

Es soll der Rentmeister Johannes Kühle dem Herrn Gubernator der Fürstlichen Academie Mons. Delasure sein vorschienß Dischgelth von Secks wochen, alß von dem 14/4 January biß den 25/15 February Anno 1630 vor die funff junge Graffen vnd Herrn, wie auch vor den Capellan von Funff wochen, vor jede Person die woche Vier Rthaller, vor Sieben Meckelburger Edelknaben wie auch dem Sprachmeister, der Praeceptor vnd Einem Edelknaben, welcher auf I. G. Herrn Hanß Carel warten thut, vor jede Person die woche Drey Rthaller, vor Sieben Diener, wie auch des Capellans Diener von Funff wochen vor jede Person die woche Zwey Rthaller, Thut In alles Vierhundert Viertzen Rthaller, So der Rentmeister kegen der Quitunge entrichten vnd hiemitt ferner berechnen. Güstrow den 25/15 February Anno 1630.

Künfftigen montack soll dieses Renthmeister bezahlen werden. D. 16 Feb. ao. 1630.

H. H. v. d. Lühe mpp.     

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Ich Mons. Delasure Gubernator der F. Academiae bekenne hiemitt, das Mich heute dato von I. F. G. Rentmeister Johannes Kühlen die oben ernannte vierhundert viertzen Rthaller bezahlet sein, vnd vhrkundlich habe ich dieße quitunge mitt eigener handt vnderschrieben. Güstrow den 4 Marty/22 February Anno 1630.

de Lasure.

Nach dem Original im Staats=Archive zu Schwerin.


Nr. 9.

Meklenburgische Renterei=Rechnung von Trinitatis bis Michaelis 1630 und von Michaelis 1630 bis 6. Februar 1631.

Auszug.

Akademie.

Dem Gubernatori Academiae Kostgeld 5. April bis 16.
     Sept. = 1489 Rthlr. 18 ßl.

Dem Gubernatori Academiae
     Besoldung, monatlich 100 Rthlr.

Jochimo Schebelio, Preceptori Academiae,
     Besoldung, monatlich 14 Rthlr. 8 ßl.

Dem Sprachmeister in der Academy
     Besoldung, monatlich 13 Rthlr. 16 ßl.

Dem Tantzmeister.
Dem Fechtmeister
     Besoldung, monatlich 33 Rthlr. 16 ßl.

Dem Voltisier=Meister
     Besoldung, 3 Monat = 65 Rthlr.

Dem Roßbereiter in der Academi
     Besoldung, Quartal 37 Rthlr. 24 ßl.

Der Wescherin zu Bützow.

Dem Balbierer zu Bützow Michel Deleman, so die junge Hern balbiret vnnd sonsten curiret.

Dem Apoteker zu Bützow für die junge Herren. Dem Hern Patrone, so er auff etliche Handtwercker vorschossen.

Original im Staats=Archive zu Schwerin.


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Nr. 10.

Des Sprachmeisters Johann Courtin an der Wallensteinschen Ritter=Akademie zn Güstrow Gehaltsquittung.

D. d. Güstrow. 1630. März 1.

Ich Johann Curtin Sprachmeister in der Fürstlichen Academia Vhrkunde und bekenne hiemitt, das ich heutte Dato von I. F. G. Rentmeister Johannes Kuhlen wegen meiner verschienen besoldunge von dreien Monathen, alße von den 1. Xbris/21 9bris Anno 1629 biß den 1. Marty/19. February Anno 1630, Secksich Reinsche gulden empfangen vnd bekommen habe, Thu Ihme demnach hiemitt vnd krafft dieses wegen der wolempfangenen Secktzich Reinsche gulden quitiren. Vhrkundlich habe Ich diese quitunge mitt eigener handt vnterschrieben. Actum Gustrow den 1. Marty/19. February Anno 1630.

de Lasure.

Hanß Heinrich v. d. Luhe mpp.     

Jehan Courtin.

Nach dem Original im Staats=Archive zu Schwerin.

Courtin schreibt sich sonst in allen Quittungen mit Vornamen immer Jehan, nicht Johan. Hiernach und nach den Schriftzügen war er wohl ein Franzose.


Nr. 11.

Des Fortificationsmeisters Capitains Felice Floriani an der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow Gehaltsquittung.

D. d. Güstrow. 1629. Oct. 7.

Das der Ernuester, Achtbar vnd Wolweiser H. Johannes Kuhl Furstl. Mechlenburgischer vnd Friedlandischer verordneter Rentmeister vnd Rahtsuerwanter hieselbst mir untenbenanten Eine Monat betagte besoldung benentlich Viertzigk Reichsthaler zum guetem genuge entrichtet, Solches thue ich in Craft dieser Quitung bezeugen. Actum Gustrow den 7. Octob./27. Septemb. 1629.

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Jo Felice Floriani o riceuto dal sopradetto tallari quaranta per quatro settimane dalli unici (undici?) di 7bre sino alli 8 di 8bre 1629, dico tallari . . . . 40.

Dieses zahlet der Renthmeister vnd berechnet es.

H. H. von der Luhe mpp.
B. v. Platen.     

Anmerkung: Florians Ringpitschier hat unter einem unkenntlichen Helme einen quer getheilten Schild, oben leer, unten geschacht.

NB. Wahrscheinlich ist undici statt unici zu lesen, da er über 4 Wochen quittirt, während der Rentmeister die Quittung auf einen Monat ausstellt; denn vom 11. Sept. bis 8. Oct. sind grade 4 Wochen.

Nach dem Original im Staats=Archive zu Schwerin. Auf der Rückseite steht: "H. Capitanei Felice Floriani Ouitantz auf 40 Rthlr."


Nr. 12.

Des Voltigier= und Fechtmeisters Cosmo Peretti an der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow Gehaltsquittung.

D. d. Güstrow. 1630. April 22.

Ich Cosimo Pereti Voltisermeister in der Furstlichen Academia Vhrkunde vnd bekenne hiemit, das Ich heutte Dato von I. F. G. Rentmeister Johannes Kuhlen wegen meiner vorschienen besoldunge von vierdehalb Monath, Alße von den 15/5 January biß den 30/20 Aprilis Anno 1630, jeden Monath 21 Rthaller 32 ßl., thut auf vierderhalb Monath 75 Rthaller 40 ßl., Empfangen vnd bekommen habe, Thue demnach hiemitt vnd Krafft dieses wegen der wolempfangenen 75 Rthaller 40 ßl. quitieren. Vhrkundtlich habe Ich dieße quitunge mitt eigener handt vnderschrieben. Actum Gustrow den 22/12 April 1630.

Cosmo Peretti.     

de Lasure.

Dieweil . . . furst . . denselben zu
Sich gefodret, wird man ihn alsbaldt
bezalen mussen.

A. Wengiersky mpp.

Nach dem Original im Staats=Archive zu Schwerin.


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Nr. 13.

Des Tanzmeisters William Daniel an der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow Gehaltsquittung.

D. d. Güstrow. 1630. Febr. 18.

Es wolle der Rentmeister Johannes Kuhl dem Dantzmeister in der F. Aacademei Wilhelm Daniel seine verschriebene besoldung von zwenen Monatten alß den 17/7 Decemb. 1629 biß den 17/7 February 630 Jahrs Drey vnd Dreysigk Richstaler 16 ßl. gegen gebuerliche Quitung außfolgen laßen. Actum Güstrow den 18/8 February 1630.

Dießes will der Rentmeister noch zahlen vnd weil er seine abscheidt bekommen, solche hiebei vorpleiben zu laßen.

de Lasure.     

Weill aber kein bahr geldt bey der Kammer, als schaffet der Renthmeister, das der Kuchenmeister ihm mit Korn bezahlet werde.

H. H. v. d. Luhe.     

Dieses alles ist mir vom Herren Rentemeister Johanni Kulen richtig bezalet.

William Daniell.     

Der Herr Kuchenmeister wird obengesetzter Ordnung wissen zu geleben Sign. Gustrow den 18. März 1630.

Johannes Kuhl Rentmeister.     

Nach dem Original im Staats=Archive zu Schwerin.


Nr. 14.

Der Bereiter Dittmar Frese wird der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow zugewiesen.

D. d. Güstrow. 1629. Jul. 25.

Von wegen I. F. g. wird dero Rosbereiter Ditmar Fresen hiemit anbefohlen, das er von Monsieur de lasseur, Gubernatore der Academie, alhie dependiren Vnd sich auff

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alle vorfallende Zeitt seiner ordinantz bedienen vnd geleben solle. Wornach er sich zu richten. Datum Gustrow den 25. Jul. ao. 1629.

Ad Mandatum. pp.     

An

Ditmar Fresen.

Nachdem wegen I. F. G. dem Roeßbereitter Dittmar Fresen anbefohlen, das ehr von dem Herrn Gubernatore der Acad. dependiren vnd sich auff alle vorfallende Zeitt seiner ordinanz bedienen vnd geleben soll, Als wirdt dem H. Gubernatori solches auch hiemit zu gutter nachrichtung angemeldet, etc.

I. F. G. Guberneur de l'academie
Herrn de l'asseur zu handen.     

Nach dem Concept im Staats=Archive zu Schwerin.


Nr. 15.

Des Capellans Johannes Franziscus Castriota an der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow Gehaltsquittung.

D. d. Güstrow. 1630. Jan. 31.

Ego Joannes Franciscus Castriota Serenissimi Principis Megapolitani in Academia Gustrouiensi pro tempere Capellanus Hac scedula Contestor, me a suae Serenitatis Domino Quaestore Joanne Kuhulen uiginti taleros Imperiales ut semestre salarium recte accepisse a Calendis scilicet Januarii usque ad Calendas Februarii.

Actum Gustrouii 31. Januarii Anno 1630.

Idem Joannes Franciscus Castriota qui supra mpp.

Bezahlet der Renthmeister          
H. H. von der Luhe mpp.

Nach dem Original im Staats=Archive zu Schwerin. Dieser Capellan Castriota kommt in seinen Quittungen vor vom 1. Sept. 1629 bis 28. Febr. 1630. In einer Quittung vom 5. Nov. 1629 nennt er sich: "Johannes Franciscus Castrioto Petre Altensis Capellanus Serenissimi Principis Megapolitani."


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Nr. 16.

Berufung eines Capellans aus Wismar, um von den jungen Herren auf der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow Beichte zu hören.

D. d. Güstrow. 1629. März 29.

Weil die jungen Herrn einen Capellan von der Wißmar haben hollen laßen, welchem sie gebeichtet, vnd ihme der Herr Gubernator Academiae ihrent halber Achte Rthaller entrichten mußen, Alß soll der Renthmeister Johannes Kühle hiemitt befehliget sein, solches geldt hinwieder zu entrichten vnd hiemitt zu berechnen. Güstrow den 29/10 Martii Anno 1630.

de Lasure.

H. H. v. d. Luhe mpp.     
S. D. von Semanina. mpp.

Daß dießes von Herrn Rentmeister Johannes Kühlen bezahlet worden, solches thue ich vnten benanter quitierende hiemitt bescheinigen. Güstrow den 17May/27 Aprilis Anno 1630.

Johann Trost,
Schreiber in der Fürstl. Academia mpp.

Nach dem Original im Staats=Archive zu Schwerin.


Nr. 17.

Des Hof=Medicus Dr. Wilhelm Bökel als Arztes an der Wallensteinschen Ritter=Akademie zu Güstrow Gehaltsquittung.

D. d. Güstrow. 1630. Mai 5.

Bey den Herrn Cammerpresidenten vnd Rethen dienstfleißig zu erinnern, weill mir vermuge meiner bestallungk monatlich 4o Reichsfl. vorschrieben vnd vom Herrn Stadhalter die Ordinanz gemachtt, das die bey der Furstl. Academien bestalte vor allen andern ihres MonatsSoldes contentiret werden sollen, vnd mir so woll hier als

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zu Stendal mich vnd die meinen zu alimentiren, die hand sehr kurz fellet vnd dahero beim H. Doctor Joachime Krazen abreise etwas hinaufzuschicken hochbenotiget, Das darnach mein bitten, dem Herrn Rentemeister, wo nicht meine ganze nachstellige besoldungk vff vier Monatt, jedoch zum wenigsten vff zwey Monatt gegen genuchsamer quittungk außgefolget werden muge. Actum Gustrow am 5. May Ao. 630.

Wilhelm Bockell D. mpp.     

Der Rentmeister wird sich bey dieser ausgab nach des Hern stadthalters ordinanz gebührlich wissen zu richten.

J. Lüderß mpp.
Vlrich Pentz mpp.
S. Daniel mpp.

Auf abschlagk der mir nachstendigen vier Monat besoldungk habe ich heute dato Sechzigk Reichsth. vom Herrn Rentmeister Johan Kuhlen empfangen, dar um ich hiemit vffs bestendigste quitieren thu. Actum Gustrow am 5. May Ao. 630.

Wilhelm Bockell D. mpp.     

Nach dem Original im Staatsarchive zu Schwerin.


Nr. 18.

Wallenstein verabschiedet den bisherigen Gubernator der Ritter=Akademie zu Güstrow Johann de Lasure.

D. d. Prag. 1631. Sept. 3.

Demnach Uns Gegenwärtiger, der gestrenge Johann de Lasure in die drei Jahr vor einen Academi= und der jungen Grafen von Harrach Hofmeister dergestalt aufrichtig und wohl gedient, daß Wir jedesmal mit seiner Person sowohl auch seinen Amts=Verrichtungen gnädigst zufrieden gewesen, auch dannenhero ihn in solchen Diensten wohl hätten länger dulden und leiden mögen: Alldieweilen Uns aber er gehorsamst vorgebracht, was gestalt er ihme hochangelegenersachen halben nach den Niederlanden in seine Heimath zu verreisen Vorhabens, mit angehefter gehorsamen Bitte, Wir geruheten ihn solcherwegen seines Dienstes in Gnaden zu entlassen, wie auch seines

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redlichen Wohlverhaltens schriftlichen Schein zu ertheilen, welches Wir dann ihm füglich nicht abschlagen können noch wollen: Als gelanget an alle Obgemeldt Standesgebühr nach Unser freundlich Ersuchen, gnädigstes Gesinnen und Begehren, obermeldten Johann de Lasure nicht allein seines Wohlverhaltens und geleisteten treuen Dienste halber alle Beförderung und geneigten guten Willen (dessen er dann in Ansehung seiner guten Qualitäten wohl würdig) zu erweisen, sondern ihn auch nebenst denen bei sich habenden Leuten, Rossen, Wagen und Sachen aller Orten, zu Wasser und Land, frei, sicher und ungehindert passiren und durchkommen zu lassen. Solches seyn Wir um einen Jeden Standesgebühr nach in dergleichen und andern Fällen zu erwiedern willig und geneigt.

Gedruckt in J. M. Schottky "Wallenfteins Privatleben", München, 1832, S. 190. Schotte hält den Johann de Lasure irriger Weise für den "bisherigen Lehrer des Gitschiner Conviktes". Johann de Lasure war aber die längere Zeit Gubernator in Güstrow, wo er die neu gestiftete Akademie einrichtete; zuletzt mag er in Gitschin gewesen sein, wohl sicher seit der Wiederkehr der Meklenburgischen Herzoge in ihre Residenzen und dem Abzug der Wallensteinschen Beamten im Monat Julii 1631.

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Georg Kustosz,

Wallensteinscher Hauptmann in Meklenburg.

Nachtrag zu Jahrb. XXXVI, S. 19 und 25.


E ine sehr angesehene und einflußreiche Stellung unter Wallenstein in Meklenburg hatte der "Regent" Heinrich Kustosz, welcher seine Lage sehr ergiebig für sich ausgebeutet zu haben scheint. Heinrich Kustosz hatte zwei Brüder, Hans und Georg (Jahrb. a. O. S. 19). Hans Kustosz ward zuerst Hauptmann zu Neustadt, dann bis zuletzt Hauptmann zu Stargard. Von Georg Kustosz wußten wir bis jetzt nur, daß er 1632 zu Hamburg wohnte, dort krank lag und seinen Bruder Hans bei sich aufnahm (Jahrb. S. 25). Aber auch diesen Bruder hatte Heinrich Kustosz, welcher denselben auch gleich mit ins Land gebracht hatte, anzubringen gewußt. Es sind nach Vollendung der obigen Abhandlung neue Entdeckungen im Archive gemacht, welche seine Stellung klar bezeichnen. Er war hinter einander und zu gleicher Zeit Hauptmann mehrerer Domanial=Aemter in Meklenburg. Zuerst scheint er Hauptmann zu Dömitz geworden zu sein; er erscheint hier sicher seit 8. Sept. 1629 und bis in das Jahr 1631 häufig in Unterschrift der Amtsrechnungen. Gleich darauf oder gleichzeitig ward er Hauptmann zu Neu st ad t. Der Küchenmeister Friedrich Thefandt zu Neustadt (vgl. Jahrb. XXXV, S. 56 und 75) titulirt seine Amtsrechnungen seit Trinitatis 1629 als "Ampt=Register bei Zeiten Herrn Georg Custos Hauptmanns durch Friedrich Thesandt Küchenmeistern" geführt; die Wochenzettel sind in dieser Zeit von Georg Kustosz unterschrieben. Georg Kustosz wird also den Hauptmann Gottschalk v. Kleinow (vgl. Jahrb. XXXV, S. 75)

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verdrängt haben. Mit dem Amte Neustadt erhielt er zugleich auch das Amt Marnitz. Etwas später ward Georg Kustosz auch Hauptmann zu Grabow. Am 11. Julii 1630 schreibt er in Neustadt von "seinem ihm jetzt anbefohlenen Amt Grabow". Sein "Schwager" war damals Albrecht Rabenhaupt, "Meklenb. Friedl. Hauptmann der Aemter Schwerin und Crivitz", welcher bis 16 31 vorkommt. Ohne Zweifel wird Georg Kustosz beim Anmarsch der Schweden im Frühling 1631 auch die Flucht ergriffen haben.

G. C. F. Lisch.      

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II.

Die

Landwehren und die Grenzheiligthümer

des

Landes der Redarier.

Vom

Archivrath Dr. Beyer zu Schwerin.

Mit drei Steindrucktafeln.


Vorbemerkungen über die Gauverfassung und die Landwehren der Wenden überhaupt.

D as kleine, aber tapfere und Freiheit liebende Volk der Redarier spielt in der Geschichte der Ostsee=Slaven eine eigenthümliche und hervorragende Rolle, die wir besser verstehen würden, wenn wir überhaupt genauer über die Verfassung der wendischen Völkerschaften dieser Gegend unterrichtet wären. In den ältesten Zeiten scheinen dieselben in kleinen Gruppen, mit einem von natürlichen Grenzen umschlossenen Gebiete von etwa 25-30 Quadratmeilen, oder je nach den topographischen Verhältnissen mehr oder weniger, in unbeschränkter Selbstständigkeit nach Außen und republikanischer Freiheit im Innern unter selbst gewählten Oberhäuptern gelebt zu haben. Ein solches Oberhaupt führte den einheimischen Titel kneze, kniaze, d.h. Herr (dominus), und das von ihm beherrschte Gebiet etwa knezewice oder knezota 1 ), deutsch Herrschaft (dominium, provincia, auch


1) Die kleinen Fürstenthümer in Rußland hießen knüschenaja. In Pommern scheint knezycze eine Herrnsteuer in diesem Sinne gewesen zu sein. S. Lisch Maltzan. Urk. II. Nr. 223 vom Jahre 1338.
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terra im weitern Sinne). Diesen Titel Herr, z. B. zu Meklenburg und Werle oder Wenden (dominus de Mikilinborg, und de Werle oder Slavia), führten bekanntlich unsere einheimischen erblichen Fürsten auch noch nach der Germanisirung des Landes, bis erstere 1348 zu Herzogen des deutschen Reiches erhoben wurden, während die Herren zu Werle denselben erst kurz vor dem Erlöschen des Hauses gegen den ihnen vom Kaiser verliehenen Titel Fürst (princeps) vertauschten. Ja, in dem vollen Titel unserer Großherzoge hat sich bekanntlich auch der eines Herrn von Rostock und Stargard (terrarum Rostock et Stargard dominus) bis heute erhalten. Daß aber der dem deutschen "Herr" entsprechende wendische Titel kneze lautete, wird z. B. durch die Parchimsche Genealogie bezeugt, wonach der Herr Johann von Meklenburg, Borwins Sohn, vom Volke noch im 13. Jahrhundert kneze Yaneke genannt ward 1 ).

Eine jede solcher Herrschaften, bei den Schriftstellern des Mittelalters häufig auch regio genannt, hatte ihr besonderes National=Heiligthum 2 ), d. h. einen von Holz erbaueten, durch kunstreiche Schnitzereien verzierten und von einem heiligen Haine umgebenen Tempel, eine Art Pantheon, in welchem außer der kolossalen hölzernen oder ehernen Statue der Hauptgottheit desselben auch die kleinen Bilder der übrigen Götter aufgestellt waren. Diese Tempel waren, wenn nicht immer, doch in der Regel befestigt, und mit bedeutendem Grundbesitze dotirt, wie wir beispielsweise aus der Geschichte Arkonas und Rethras mit Sicherheit erfahren. Auch scheint der nicht blos moralische, sondern auch politische Einstuß der Priester dieser Tempel, mit welchen z. B. in Arkona, wie mit unabhängigen Fürsten verhandelt und Verträge geschlossen wurden, und deren Ansehen das des Königs übertraf, einen unabhängigen Territorialbesitz, wie bei den christlichen Bischöfen nothwendig vorauszusetzen.

In politischer Beziehung war die Herrschaft in mehrere kleine Gaue oder Länder (terrae im engern Sinne) getheilt,


1) Meklb. Jahrb. XI, 15.
2) Quot regiones, tot templa habentur et simulacra demonum singula ab infidelibus coluntur. Thietm. Mers. VI, 18. Es ist zunächst von den Liutizen die Rede, doch wird dasselbe auch von den übrigen Wendenvölkern gelten. Regio ist kein bloßer Gau in dem gleich zu besprechendem Sinne, sondern eine größere selbstständige Provinz, wenn der Begriff sonst auch etwas schwankend ist, vgl. z B. Thietm. I. 6. Has Regiones: Boiemorum, Deleminciam, Obetritos, Wilci, Hevellos et Redarios. Ferner die Descript. regionum et civitatum u. s. w.
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die spätem Vogteien (advocatiae), welche großenteils in den heutigen Aemtern, oft selbst noch genau in den alten Grenzen fort bestehen, und von den Schriftstellern des Mittelalters pagi oder im Gegensatze zu den Regionen auch civitates genannt wurden 1 ). In jedem Gaue lag eine fürstliche Burg, Gauburg (urbes cum suis territoriis), deren z. B. die Zircipanier nur drei 2 ), andere Herrschaften bedeutend mehr hatten, wie aus der gedachten Descriptio hervorgeht, welche namentlich den Wilzen nicht weniger als 95 auf die 4 unter ihrem Fürsten vereinigten Regionen vertheilte Gauburgen, den Obotriten dagegen nur 53 zuschreibt. In diesen Burgen saß später ein Vogt (advocatus) oder Amtmann, als Administrator der Vogtei, welcher früher in Abwesenheit des Fürsten auch den Kriegsbann geführt, und das Vogteigericht gehegt haben wird. Der wendische Titel des Vogtes scheint wenigstens in Pommern zupa (zupanus) gewesen zu sein, wie der Gau selbst zupy hieß 3 ). Hier scheint aber die Würde der Zupane schon früh hin und wieder erblich geworden zu sein, wenn anders die, oft freilich sehr kleinen, Castellaneien mit den Zupaneien zusammenfallen sollten. In Ungarn und Böhmen heißt zupy: Kreis. Aus zupan ist in Ungarn durch Lautverschiebung ispan geworden, und daraus deutsch: Gespan. In Polen scheint dem Zupan der Titel Starost zu entsprechen. Das Gebiet des Zupan scheint sich also hier überall erweitert zu haben.

In Kriegszeiten scheinen sich dann mehrere Herrschaften durch Wahl eines gemeinschaftlichen Heerführers zu einem größern Verbande vereinigt, und dadurch den Grund zu einer dauernden, wenn auch lockern Bundesverfassung gelegt zu haben. Ein solcher gemeinschaftlicher Kriegsfürst wird von Anfang an den Namen woywode: Kriegsführer (von woy: Krieg und wodec, wodceck, führen, leiten), also dem deutschen Herzog entsprechend, geführt haben. Dies erhellt namentlich auch daraus, daß unsere Wenden nach ihrer Unterwerfung unter die sächsischen Herzoge jenen einheimischen Namen auf diese übertrugen, weßhalb der von ihnen zu


1) S. namentlich die Descriptio regionum et civitatum des 9. Jahrh. Wigger, Mekl. Ann. S. 21. ad a. 890-900. Ebenso auch bei Thietmar.
2) Ann. Corbej ad a. 1114. Mon. G. H. V. p. 8.
3) Vgl. z. B. die Urk. des Michael=Kl. zu Bamberg um 1189. Cod. diplom. Pom. No. 64.
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zahlende Tribut urkundlich woiwodnizha, Herzogssteuer, genannt wird 1 ).

Bei dem Beginn unserer Geschichte mit dem Erscheinen Karls des Gr. in Sachsen bildeten sich diese Woiwodschaften zunächst längs der deutschen Grenze zu dauernden, erblichen Reichen aus, deren Oberhaupt von den Deutschen mit dem Titel König (rex, regulus) beehrt ward. So namentlich das Reich der Wilzen an der Mittelelbe, das aber in Folge seiner feindlichen Stellung gegen die Franken bald wieder zerstört ward, und das obotritische Reich an der Unterelbe, zu beiden Seiten des Schweriner Sees, wozu sich wohl erst später in Folge der Kriege mit Pommern und Polen von der Insel Rügen aus das theokratisch=monarchische Reich der Ruyaner bildete, das sich zur Zeit seiner größten Blüthe östlich bis an die Oder ausgedehnt zu haben scheint.

Zu der obotritischen Woiwodschaft gehörten ursprünglich vielleicht nur die Herrschaften Kussin, Warnow und Müritz, östlich vom Schweriner See und der Stör, mit der Grenzburg Mikilinburg (Wiligard, oder Wiligrod?), während westlich von dieser Grenze eine eigne Woiwodschaft der Reregen bestand. Nachdem diese jedoch schon zu Anfang des 9. Jahrhunderts durch den Dänen=König Gottfried gesprengt war, wird Zwerin und Brezen den Obotriten zugefallen sein, wogegen die Smeldinger in dem Winkel zwischen Elde und Elbe kurze Zeit hindurch im Bunde mit den wilzischen Lingonen oder Linonen ziemlich unabhängig erscheinen, dann aber, durch die Fränkischen Waffen bezwungen, gleichfalls den Obotriten unterworfen wurden. Später breiteten sich die Polaben von Ratzeburg her bis zur Elbe aus, wie ihr Name (po Labe: an der Elbe) beweist, wogegen die Smeldinger verschwinden. Bald aber wurden auch jene nebst den Wagriern nicht ohne Kampf dem Obotritenreiche einverleibt, in welchem sich eben um diese Zeit die erbliche königliche Macht entwickelt haben dürfte. Zugleich ward die Grenze gegen Nordsachsen durch den limes Saxonicus, von der Delbende bei Boitzenburg ausgehend, bestimmt, aber später, vielleicht


1) Daß alle diese Titel im Laufe der Zeit ihren Werth veränderten, auch wohl von Anfang an nicht in allen slavischen Provinzen dieselbe Bedeutung gehabt haben mögen, versteht sich von selbst. Der polnische Woiwode und sein Gebiet, Woiwodschaft, mag dem altwendischen am nächsten stehen. In Ungarn scheint Zupan und Woiwode nicht wesentlich unterschieden zu sein. Dreger Cod. Pomer. No. LVI. v. J. 1222.
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erst unter Krutos Herrschaft, gleichfalls überschritten, und auf sächsischem Boden eine neue slavische Provinz Zadelbandia (trans Delbende) gegründet.

Der neuere Ursprung dieser königlichen Macht folgt schon daraus, daß es der slavischen Sprache an einem einheimischen Worte für den Begriff König fehlt, denn das Wort Krol oder Kral, ist lediglich dem deutschen Karol, Karl, dem Namen des großen Königs der Franken nachgebildet.

Mitten unter diesen größern Woiwodschaften mit erblichem, königlichem Oberhaupte, behaupteten sich die 4 kleinen Liutizischen Stämme der Kissiner, Zircipaner, Tholenzer und Redarier Jahrhunderte hindurch in alter Unabhängigkeit und nationaler Freiheit. Die Vorherrschaft unter ihnen aber, d. h. nicht bloß die factische Uebermacht, sondern auch die rechtlich anerkannte Woiwodschaft über die 4 verbündeten Herrschaften führten offenbar die Redarier, wenn ihnen dieselbe auch zu Zeiten von den Tholenzern streitig gemacht ward. Adam von Bremen bezeichnet sie sogar, offenbar mit Rücksicht auf diese ihre verfassungsmäßige Stellung zu ihren Stammesgenossen, als die mächtigsten (potentissimi) aller slavischen Völker zwischen der Oder und Elbe. In der That finden wir fast in allen, beinahe ununterbrochenen Kriegen der Wenden für ihre Unabhängigkeit und die Religion ihrer Väter die Redarier an der Spitze. Von ihnen ging der Kampf aus, sie waren die letzten auf dem Platze. Ihr dem Gotte des Krieges geweihetes Heiligthum zu Rethra bildete den Mittelpunkt aller Empörungen gegen das fremde, christliche Joch. Dorthin führte man von der äußersten Grenze durch alle verbündeten Völker die christlichen Märtyrer als wohlgefällige Opfer der heimischen Gottheit.

Zu diesen Erfolgen der 4 verbündeten Völker wird die geschützte Lage des Gebietes der 3 erstern allerdings wesentlich beigetragen haben. Zwischen der schiffbaren Warnow, dem Krakower See und den großen Wasserbecken an der obern Elde auf der einen, und der Recknitz, Trebel und Tollense mit ihren tiefen, sumpfigen Ufern auf der andern Seite eingeschlossen, und auch unter sich durch natürliche Grenzen geschieden, mochte ein Angriff bei der damaligen Kriegskunst in der That schwierig und ihre Unabhängigkeit bei tapferer Gegenwehr als ziemlich gesichert erscheinen. Nur die Redarier in dem heutigen Meklenburg=Strelitz erfreuten sich dieses Vortheils nicht, vielmehr lagen ihre Grenzen fast ringsum offen, oder waren doch bei weitem

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weniger geschützt, als die ihrer Stammesgenossen, und doch waren gerade sie den feindlichen Angriffen von der Elbe her zuerst und am meisten ausgesetzt. In diesem Mißverhältnisse lag gewiß ein starker Antrieb, durch Kunst zu ersetzen, was die Natur versagte. In der That finden wir denn auch das heutige Land Stargard mit seinen Nebenländern, d. h. die ehemalige Herrschaft der Redarier, fast ringsum von künstlichen Grenzgräben und zum Theil sehr bedeutenden Wällen umschlossen, die gewiß in hohem Grade die Aufmerksamkeit des Geschichtsforschers verdienen. Gleichwohl sind diese merkwürdigen Werke noch niemals Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung gewesen, ja es ist ihrer, so viel ich weiß, noch niemals öffentlich gedacht worden. Auch mir war es, meines Alters und sonstiger Verhältnisse wegen, nicht vergönnt, nachdem ich bei Gelegenheit meiner Untersuchungen über die wendischen Schwerine darauf aufmerksam geworden war, dieselben persönlich in Augenschein zu nehmen. Ich kenne sie nur aus den Acten des 15. und 16. Jahrhunderts, in welchen sich jedoch sehr umfängliche, genaue und durchaus zuverlässige Beschreibungen derselben finden, auf deren Mittheilung ich mich hier im Wesentlichen beschränken, und die künftige Localuntersuchung Anderen überlassen muß.

Vor allem wird es sich darum handeln, das Alter dieser Werke, soweit das überhaupt möglich ist, zu bestimmen. Stammen dieselben wirklich aus heidnisch=wendischer Zeit, wie ich oben anzunehmen geneigt war, oder sind sie erst im christlichen Mittelalter angelegt? Wir lernen dieselben in ihrer zusammenhängenden Kette erst bei Gelegenheit der vielseitigen Grenzstreitigkeiten Meklenburgs bald mit Pommern, bald mit Brandenburg seit der Mitte des 16. Jahrhunderts kennen. Damals aber war der Ursprung dieser Werke längst unbekannt, und die bei den wiederholten Grenzcommissionen vernommenen alten Zeugen sagen wenigstens in Bezug auf einzelne Theile ausdrücklich aus, daß dieselben seit uralten Zeiten eine rechte Landwehre gewesen seien. In der That treten diese Werke in ihrem ganzen Zusammenhange so großartig hervor, daß ihre Anlage innerhalb der urkundlichen Zeit kaum denkbar erscheint, ohne daß irgend eine Kunde davon auf uns gekommen wäre. Auch dürfte seit Gründung des Christenthums in dieser Gegend und der Einwanderung deutscher Kolonisten schwer ein Zeitraum zu finden sein, wo für die Anlage so umfassender Grenzbefestigungen hinreichende Veranlassung, und zugleich die nöthige Ruhe zu ihrer Ausführung nachzuweisen wäre.

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Der einzige, hier möglicher Weise in Betracht kommende Zeitpunkt dürften die nächst folgenden Jahre nach dem Abschlusse des Vertrags zu Kremmen zwischen Pommern und Brandenburg im Jahre 1236 sein, indem die damals festgestellten Grenzen beider Länder wirklich dem Zuge unserer Befestigungswerke von der westlichen Spitze des Tollenser Sees um die Ländchen Wustrow und Beseritz herum längs der Pommerschen Grenze bis zum Galenbecker See und weiter an der Grenze der Ukermark bis zu der östlichen Spitze der Feldberger Gewässer so ziemlich entsprechen, nachdem durch jenen Vertrag das Land Stargard nebst den gedachten Nebenländern an Brandenburg abgetreten war, die Ukermark aber noch bis zum Jahre 1250 im Pommerschen Besitze verblieb.

Allein dieser Annahme widerspricht schon der Umstand, daß das Land Wustrow niemals wirklich in Brandenburgischen Besitz kam, vielmehr sich schon vor dem Vertrage von Kremmen in den Händen der Herrn von Werle befand und auch darin verblieb, wenn nicht gar ein Theil desselben, wie Boll vermuthet, an Pommern zurück fiel, gleichwohl aber von unserm Grenzzuge umschlossen ist, während gerade die alte Grenze Brandenburgs gegen die Ukermark, zwischen Havel und Oder, wo eine scharfe Naturgrenze fehlt, offen liegt. Ueberdies ist in Bezug auf mehrere einzelne Punkte unserer Werke urkundlich nachzuweisen, daß sie bereits vor dem Kremmener Vertrage existirten, ja, es befinden sich, wie wir im Fortgange dieser Untersuchung sehen werden, auf 3 verschiedenen Seiten, gegen Norden, Süden und Westen (nur gegen Osten ist Aehnliches bis jetzt nicht nachgewiesen), genau mit jenem Grenzzuge zusammen fallend und von demselben mit umschlossen, heidnische Heiligthümer, die nicht unwahrscheinlich schon bei Besetzung des Landes durch die Slaven vorhanden waren, und deren Gründung mithin in das höchste Alterthum zurück reicht, wie denn auch der Bau einzelner Grenzwälle ganz mit dem der bekannten heidnischen Burgwälle übereinstimmt.

Diese Auffassung wird ferner durch die alterthümlichen Namen einzelner besonders wichtiger Grenzpunkte bestätigt, wohin namentlich die Eisernen Pforten gehören, welche sowohl an der nordwestlichen, als an der südöstlichen Grenze in die dort befindlichen Heiligthümer führen. Mit diesem Namen wurden schon im Alterthum mehrere feste Grenzpässe bezeichnet, die zum Theil noch heute so heißen. Der bekannteste dieser Pässe ist wohl das Eiserne Thor in der Stromschnelle der Donau bei Orsowa, wo der mächtige Strom

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sich durch den Felsenspalt zwischen dem Banater und dem Serbischen Haiducken=Gebirge hindurch zwängt, also in einer von Slaven bewohnten Gegend. Dieser Paß ward von den Römern Porta Trajani genannt. Ein anderer Paß desselben Namens findet sich gleichfalls hart an der Grenze des Banates in dem Comitate Vayda an dem Flüßchen Biztra in Siebenbürgen. Er hieß im Alterthum Pons Augusta, und ward im Mittelalter Porta Vaczil genannt. Ein drittes eisernes Thor, das schon von den Byzantinern Sideras, oder Sidero castrum genannt ward, wohl nach einem einheimischen Namen, liegt im Balkan, auf der Straße von Adrianopel nach Schistowa an der Donau, nördlich von der Stadt Islemia. Einer von diesen 7 Pässen, türkisch Demir kapi genannt, wird derjenige sein, welcher nach der vita d. Eugendi (um 540) "gallica lingua isarno dort i. e. ferreum ostium" hieß. Es stand dort ein berühmter heidnischer Tempel, in dessen Nachbarschaft der Heilige geboren ward 1 ). Andere Pässe dieses Namens liegen weiter entfernt, namentlich ein Küstenpaß am Ostende des Kaukafus gegen das Kaspische Meer, bei der Stadt Derbend in Dagisthan, der früher die porta Albanica genannt ward, ein Gebirgspaß in der großen Bucharei, auf der Straße von Balkh über das Gebirge Karadagh, endlich bei dem Küstenorte La Calle, nördlich von Konstantineh in Algier.

Im Innern Deutschlands dagegen ist mir keine eiserne Pforte bekannt, wenngleich die nahe liegende Bezeichnung eines Engpasses als Thor oder Pforte natürlich auch hier gebräuchlich war, wie z. B. die Porta Westphalica im Wesergebirge beweiset. Auch in Meklenburg kommt der Ausdruck Pforte zur Bezeichnung eines Passes öfters vor. So führte namentlich bei dem Samoter Krug eine Pforte in den Schwerin am Plauer See. Dieser Krug, welcher erst um 1780 erbauet ward, wird nämlich noch von dem Pastor Uhlig zu Groß=Poserin und Carow, der sein Amt 1784 antrat, in einem Schreiben von 1805 genauer der Krug zur Samoter Pforte genannt. Diese Pforte schließt den schmalen Paß zwischen dem Samoter und dem Dreier See und hat ihren Namen von dem früh untergegangenen Dorfe Zarmoth A. Plau erhalten 2 ). Ja, nicht unwahrscheinlich sind durch die an den Innern Gaugrenzen des Landes Stargard und ebenso in den westlichen Gauen Meklenburgs, den ehemaligen Graf=


1) Mabillon act. ordin. Benedicti I. 553.
2) Vgl. Jahrb. XXXII, 85.
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schaften Schwerin und Ratzeburg wiederholt vorkommenden, mit Furt (Fuhrt), hochdeutsch Fort oder Förde, zusammengesetzte Ortsnamen, wie Düsternfurt, Steinfurt u. s. w. auf solche Grenzpforten zu beziehen, da das einfache Wort Furt auch in den spätem Grenzbeschreibungen häufig offenbar nichts anders als Paß, Grenzpaß bedeutet. Wenigstens ist sicher, daß sich an den so bezeichneten Orten nicht immer eine eigentliche Furt, d. h. ein durch die Untiefe eines Gewässers führender Weg, findet. In der Mitte des Landes findet sich auffallender Weise kein einziges Beispiel solcher Ortsnamen.

Daß auch noch nach der Germanisirung des Landes im 13. und 14. Jahrhundert ausgedehnt Grenzbefestigungen unter den Namen Landwehren, (propugnacula), abgesehen von der um eben diese Zeit, wahrscheinlich nach dem Muster der altern eigentlichen Landwehren unter eben diesen Namen angelegten Umwallungen der Stadtfeldmarken, an verschiedenen Orten bestanden und sorgfältig erhalten wurden, läßt sich aus den Urkunden vollständig beweisen. Auch der, wie es scheint, durch eine Art Blockhäuser geschützten Pässe, die den Namen Borg= oder Bergfrieden führten, wird in den Urkunden namentlich gedacht. Die Vertheidigung solcher Landwehren gehörte zu den allgemeinen Unterthanenpflichten, weßhalb auch das zu diesem Zwecke erlassene kriegerische Aufgebot selbst Landwehr genannt ward, von welcher auch die meist begünstigten Lehnleute und Städte für sich und ihre Hintersassen nur selten befreiet wurden. Nur der Geistlichkeit ward auch diese Exemtion für ihre Güter öfter ertheilt, aber auch eben so häufig in späteren Zeiten nicht geachtet. Dieser Verpflichtung zur Landwehr in dem letztern Sinne wird der Sache nach schon im 12. Jahrhundert gedacht 1 ), das deutsche Wort dagegen kommt zuerst 1217 und von da ab in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts öfter vor 2 ). Die Bezeichnung der Grenzbefestigung selbst durch das Wort Landwehr findet sich in unsern Gegenden freilich erst 1298, und zwar gerade in einer stargardischen Urkunde, worin der Markgraf Albrecht die Unterthanen der Comthurei von der Pflicht zur Vertheidigung der Landwehren befreit 3 ). Daß


1) Meklb. U.=B. No. 152 u. 167 aus den Jahren 1192 und 1200.
2) Meklb. U=B. No. 233. 252. 323. 340. 348. 582.
3) - - numquam curruum vel alia servicia requirentur, et ad custodienda propugnacula, vel viarum transitus, qui wlgariter lantwere dicuntur, numquam de cetero tenebuntur. M. U.=B. IV, 2499. Vgl. auch Boll a. a. O. I. 65-66.
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aber die Anlage dieser Werke selbst in die heidnische Zeit fällt, scheint mir nach diesem ganzen Zusammenhange nicht zweifelhaft zu sein. Welch großes Gewicht grade die Wenden von jeher auf den Schutz ihrer Grenzen gelegt haben, geht überdies schon daraus hervor, daß die sämmtlichen wendischen Gauburgen, selbst die Hauptsitze ihrer Fürsten, soweit ich mich entsinne, ohne alle Ausnahme hart an der Grenze lagen. Ebenso die befestigten Tempel des höchsten Gottes, der zugleich Kriegsgott war. Auffallend ist es allerdings, daß sich ungeachtet jener urkundlichen Zeugnisse außerhalb Stargards im Ganzen nur geringe Spuren solcher alter Grenzwehren in den ehemaligen wendischen Ländern an der Ostsee erhalten zu haben scheinen. Was in dieser Art bisher bekannt geworden, ist wenigstens nur unbedeutend.

Innerhalb Meklenburgs erinnern daran vielleicht schon in alter Zeit die Verhaue, durch welche die Wenden im Jahre 955 dem Heere des Kaisers Otto vor der Schlacht an der Raxa, wie ich darzuthun gesucht habe, im Lande der Muritzen 1 ), den Rückzug abzuschneiden suchten. Nach den Worten des Chronisten handelte es sich hier freilich nicht um schon vorhandene dauernde Befestigungen, sondern nur um neue Werke, welche durch die augenblickliche Stellung der Heere veranlaßt wurden. Aber der beabsichtigte Zweck, die allerdings durch die Natur gebildeten Pässe dieser Landschaft vollständig abzuschließen, erscheint in der gegebenen kurzen Zeit kaum erreichbar, wenn nicht schon ältere Grenzwehren vorhanden gewesen wären, an welche sich die neuen Werke anlehnten. Wirklich scheinen auch noch heute Spuren dieser alten ausgedehnten Befestigungswerke der Grenzen der Herrschaft Müritz erhalten zu sein. Vor etwa 50 Jahren fand ich in einem Walde auf der Höhe bei dem Dorfe Stuer eine solche alte Landwehr, aus einem nicht unbedeutenden Walle zwischen zwei breiten verfallenen Gräben bestehend, welche sich südwärts von der Straße nach Röbel in die sumpfigen Niederungen am Ufer der Dosse hinzuziehen schien, woselbst ich dieselbe späterhin in Acten des 18. Jahrhunderts wieder aufgefunden habe. In einem Grenzstreite über die wüste Feldmark Loitz bei Dannenwalde und Tönnichow in den Jahren 1706-8 weisen nämlich die vernommenen Zeugen auf eine "Mauer oder aufgeworfenen Graben" neben einem Erlenbruch, die Beeke genannt, als die alte Grenzscheide dieser Gegend hin. Offenbar haben wir hier die


1) Jahrb. XXXVII, 89.
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Reste der alten Grenzwehr zwischen der Herrschaft Müritz und der Thure vor uns, an welche sich im Süden der erstgenannten Herrschaft die aus der uralten Waldung Bezunt am Gaue Vepro von Osten nach Westen fließende sumpfige Dosse anschloß.

Auch am Ostufer der Müritz in der Umgegend der Bolter Mühle zwischen dem Klopzower und dem Karp=See wird in Acten des 16. Jahrhunderts einer alten "Landwehr" gedacht, welche hiernach genau auf der Grenze des Tholenzer Gaues Zlone (Vogtei Waren) gegen den wahrscheinlich Rezenischen Gau Turne (Mirow) lag.

Ebenso scheint die vor mehreren Jahren von dem Pastor Ritter nur unvollständig untersuchte und beschriebene 1 ), seit dem aber unbeachtet gebliebene, sogenannte Riesenmauer auf den Feldern Gresse, Granzin, Gallin und Vallun in den Aemtern Boitzenburg und Zarrentin, welche längs des Flüßchens Boitze hinläuft, an dessen gegenüberliegendem rechten Ufer das zu Gresse gehörige Vorwerk Leisterförde liegt, ein wirklicher alter Grenzwall zu sein, wenn man annimmt, daß derselbe sich früher bis zum Schaalsee fortgesetzt habe. In diesem Falle würde hier mit großer Wahrscheinlichkeit die uralte Slavengrenze gegen Altsachsen anzunehmen sein, welche später bei Anlage des berühmten limes Saxoniae durch Karl den Gr. zu Gunsten der Slaven bis an den heutigen Augraben westlich von Boitzenburg und die Delbende hinaus gerückt ward, bis letztere, auch diese Kaisergrenze überschreitend, jenseit derselben in dem alten Sachsenwalde die neue Mark Sadelbandia gründeten.

Desgleichen kann auch die in einer Urkunde vom Jahre 1407 genannte "landwere" zwischen Picher und Krenzlin im Amte Hagenow wirklich eine alte wendische Gaugrenze gewesen sein, da sie ziemlich genau mit der spätem Diöcesangrenze der Bisthümer Ratzeburg und Schwerin zusammen trifft 2 ).

Dagegen ist die sogenannte Heiden= oder Kunkel=Mauer bei Brüsewitz im Amte Schwerin, die in der gedachten Urkunde von 1407 gleichfalls als eine Landwehr bezeichnet wird 3 ), wenigstens in ihrer spätem Beschaffenheit sicher jüngeren Ursprungs. Diese bei Gelegenheit des Chausseebaues von Schwerin nach Gadebusch fast ganz abgetragene Mauer


1) Jahrb. IV, B. 26 ff.
2) Jahrb. V, B. 117.
3) Jahrb. IV, B. 78 u. 79. und V, B. 117.
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bestand nämlich nach den noch vorhandenen Ueberresten in dem alten, prächtigen Buchenwalde an dem hohen, steilen Ufer des Wandrumschen oder Neumühlschen Sees, wie ich nach wiederholter, sorgfältiger Localuntersuchung im Jahre 1865 bestätigen kann, aus Felsen, welche in Kalk gelegt waren, eine Bauart, welche im Heidenthume unbekannt war. Das Werk ist nicht unwahrscheinlich von dem Grafen Heinrich von Schwerin, oder dessen Gemahlin Audacia 1 ), zum Schutze der Hauptstadt gegen die Dänen aufgeführt worden, für welchen Zweck es in hohem Grade geeignet war. Die Mauer erstreckte sich nämlich von dem Ufer des tiefliegenden Wandrumschen Sees die steile Höhe hinauf über den schmalen, bewaldeten Bergrücken bei der einsamen Waldhütte Wahrholz auf der Feldmark Gottmannsförde zu dem ebenso tiefliegenden Thale hinab, in welchem das genannte Dorf liegt, und sperrte somit den ziemlich engen Paß, über welchen die Hauptstraße von Schwerin über Lübeck nach Holstein führt, vollständig ab, während sich zu beiden Seiten starke natürliche Grenzen befanden, die nur an wenigen, leicht zu vertheidigenden Punkten überschritten werden konnten.

In dem gedachten Gottmannsförder Thale liegen nämlich, nur eine kurze Strecke von dem Wandrumschen See entfernt, die Quellen der Stepnitz, welche durch sumpfige, auf beiden Seiten von Höhen eingeschlossene Wiesen nordöstlich zu der Maurin und mit dieser in den Meerbusen bei Dassow abfließt. Auf der andern Seite des Passes dagegen, in dem tiefen Kessel des obern Sees von Wandrum, entspringt ein bedeutender Bach, welcher jetzt durch den Damm bei Neumühlen seeartig aufgestaut, ehemals ohne Zweifel durch ein dem Stepnitzer ähnliches Wiesenthal fließend, in den Ostorfer und weiter den großen Schweriner See ausmündet.

Diese natürliche Beschaffenheit des Terrains läßt aber zugleich vermuthen, daß jene Flußthäler die ursprüngliche Grenze des Gaues Schwerin bildeten, und daß also auch die Gottmannsförder Heidenmauer, wenn auch in christlicher Zeit erneuert und in Kalk aufgeführt, gleichwohl wirklich schon zur Heidenzeit als alte Landwehr bestanden habe. Dafür scheinen die Namen der an den natürlichen Uebergangspunkten über jene Grenze liegenden Dörfer zu sprechen, welche sämmtlich mit dem Worte Förde zusammen gesetzt sind.


1) Darauf könnte sich der Name Kunkelmauer, d. i. Weibermauer, beziehen, vielleicht nicht ohne Spott, weil sie die Dänen nicht abhielt, Schwerin zu nehmen.
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Von dem schon besprochenen Gottmannsförde trifft die Grenze in südöstlicher Richtung zunächst auf Wittenförde, dessen Feldmark sich bis nach Neumühlen erstreckt, wo der Weg von Wittenburg nach Schwerin den Grenzbach durchschneidet, indem er sich von beiden Seiten her durch tiefe Hohlwege ins Thal hinab zieht. Dann folgt Krebsförden am Ostorfer See, dessen Feldmark vor Gründung der Stadt Schwerin mit der Feldmark Ostorf gegrenzt haben wird, wo jener Grenzbach aus dem Ostorfer in die Schweriner Seen fließt, auf welcher Strecke er von mehreren Straßen durchschnitten wird. Ebenso liegen an den Ufern der Stepnitz nordöstlich von Gottmannsförde die Dörfer Fräulein=Steinfort und Rüting=Steinfort bei Wüstmark, und noch weiter hinab Tesdorfer=Steinfort. In Mitbetracht der Localverhältnisse darf man sicher annehmen, daß alle diese Dörfer ihren Namen von alten Grenzpässen haben, welche die deutschen Einwanderer bei der Gründung derselben bereits vorfanden. Diese Thatsache hat um so größeres Interesse, als der Krebsförder Paß bei Ostorf, dem alten Orsesthorp, direct in den von mir vermutheten heiligen Hain der Tempelburg von Schwerin führte, dem also gleichfalls seine feste Pforte nicht gefehlt hätte 1 ).

Alle diese Werke reichen aber an Umfang und Bedeutung nicht an die Grenzbefestigungen des Landes Stargard hinan, was sich eben aus der Sonderstellung der Redarier erklärt. Außerhalb Meklenburgs bieten sich zunächst zwei alte größere Werke zur Vergleichung dar, der schon beiläufig erwähnte limes Saxonicus aus der Zeit Karls des Großen und das sogenannte Danewirk an der dänisch=sächsischen Grenze aus der Zeit der Ottonen. Beide sind aber nicht slavischen Ursprungs. In slavischen Ländern finden sich nur in Böhmen analoge Erscheinungen, soweit zwischen diesem rings von Gebirgen eingeschlossenen Königreiche und der kleinen, in einem an Sümpfen und Seen reichen Flachlande gelegenen Herrschaft der Redarier eine Vergleichung zulässig ist. Die Verkehrswege Böhmens mit den Nachbarländern führten nämlich sämmtlich durch feste Grenzpässe, welche oft durch erbliche privilegirte Grenzwächter vertheidigt wurden, und noch heute Pforten, Landespforten genannt werden. So führte z. B. der "Egerpfad", d. h. die Straße in das nicht zu Böhmen, sondern zur Nordmark gehörige Egerland, durch die Landespforte von Tepel, der Tauserpfad von Taus nach


1) Jahrb. XXXIII. 76.
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Plan des Landes Raduir oder Wustrow.
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Regensburg durch den Paß oder die Pforte von Taus, der Böhmensteg nach Niederösterreich durch die Landespforte von Zagor in der Nähe von Gratzin, der polnische Steg in die polnisch=schlesische Ebene durch die Landespforte von Nachod bei Glatz vorbei u. s w. 1 ). Leider sind die slavischen Namen der Pforten nicht bemerkt.


Die Grenzen der Redarier.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen wende ich mich nunmehr zu der genauem Beschreibung der Redarischen Grenzwerke, und zwar in 4 Abschnitten, die Grenzstrecken gegen die Herrschaften der Tholenzer, Pommern, Ukrer und Rezener behandelnd.

1) Die nordwestliche Grenze des Gaues Wustrow gegen die Herrschaft Tholenze und das Heiligthum Rethra. 2 ).

In meiner Abhandlung über die Wendischen Schwerine habe ich gelegentlich bereits den an der Grenze der Herrschaft Tholenze gelegenen Redarischen Gau Raduir, später Wustrow und dann Penzlin genannt, besprochen und darzuthun gesucht, daß innerhalb dieses Gebiets, also am Westufer des Tollenser Sees, das berühmte Heiligthum Rethra gelegen habe 3 ). Die gegenwärtige Untersuchung schließt sich hieran unmittelbar an, weßhalb ich mich im Allgemeinen zur Vermeidung von Wiederholungen auf das dort ermittelte Resultat beziehen darf. Doch habe ich gegenwärtig noch mehrfache, inzwischen neu aufgefundene Nachrichten mitzutheilen, wodurch namentlich die Grenze dieses Gaues gegen die Tholenzer in ihrer scharf ausgeprägten Eigenthümlichkeit genauer bestimmt, überhaupt aber meine ganze Auffassung der hohen Bedeutung dieses Gebietes wesentlich bestätigt wird.

Der wichtigste Punkt in dieser Grenze ist die Eiserne Pforte, welche schon in der Urkunde des Herrn Nicolaus zu Werle vom 28. Februar 1263, worin derselbe der Stadt Penzlin das ihr von seinem Vater, Herrn Heinrich, verliehene Schwerinsche Recht bestätigte, unter dem Namen "Hiserne


1) Vgl. Ludw. Schlesinger Geschichte Böhmens. Innere und Kulturgeschichte (768-1190) S. 69.
2) Hierzu gehört der beigegebene Plan des Landes Wustrow nach den Acten des 16. Jahrhunderts mit Beifügung der ältesten Namensformen.
3) Jahrb. XXXII, 134 ff.
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porte" genannt wird 1 ). Die Versicherung, daß schon sein Vater Heinrich Borwin II. die Stadt gegründet habe, welche in einer ähnlichen Urkunde vom 21. Januar 1261 in Bezug auf die Stadt Röbel wiederholt wird 2 ), führt uns aber noch weiter in die Zeit vor 1226, dem Todesjahre Borwins, zurück, und es ist mindestens in hohem Grade wahrscheinlich, daß die hier gegebenen Grenzbestimmungen sich gleichfalls schon in den ersten Stiftungsurkunden dieser Städte befunden haben werden. Die Ausdehnung der Herrschaft der Herren zu Werle bis in diese Gegend zu so früher Zeit, wird auch durch die Bestätigung der Güter des Klosters Broda durch eben diesen Herrn Nicolaus vom 24. April 1230 bestätigt 3 ), denn wenngleich die betreffende Urkunde erwiesen falsch ist, so trifft das doch nur einen Theil des Inhalts, da solchen gefälschten Urkunden erfahrungsmäßig in der Regel ächte Urkunden ähnlichen, aber beschränktem Inhalts zu Grunde liegen. Sind aber diese Zeugnisse richtig, so wäre damit mindestens die Existenz unserer Eisernen Pforte vor dem Vertrage von Kremmen 1236 gesichert.

Ueber diesen uralten Paß geben uns nun die Acten, betreffend die Grenzstreitigkciten zwischen der Bauerschaft zu Hohen=Zieritz und der Lucie v. Rohr, Georg Maltzans Wittwe auf Penzlin, vom Jahre 1575 höchst willkommenen nähern Aufschluß, da die hier streitige Feldgrenze mit der alten Grenze des Landes Wustrow zusammen fällt, welche jetzt ein wenig nach Norden verschoben ist, so daß die ursprünglich zu Wustrow gehörige Zipplower Waldung, die heutige Feldmark Zipplow, jetzt zu Strelitz gehört. Nach den von den Klägern übergebenen Beweisartikeln begannen dieselben ihren Grenzzug bei dem "Eichsehe", welcher noch heute der Eichsoll heißt, aus welchem der in südöstlicher Richtung durch ein breites Wiesenthal mit starkem Gefälle in den Lieps=See bei Prillwitz hinabströmende Zipplower Bach entspringt. Bis dahin war also die Grenze, eben dieser Bach, nicht streitig. Von dem Eichsee ab zogen dann die Bauern ihre Grenze weiter nach Nordwesten längs eines "alten Grenzgrabens" auf den Rhunsee oder das Rhaunseken und die Rhun= oder Rhaun=Wiese, dem heutigen, durch einen breiten Graben durchschnittenen Raumbruche. Von hier führte der gedachte Graben auf die Malstätten, der Müggenborn und die


1) Meklb. Urk.=B. II, 987. Slavisch etwa zelezny wrat?
2) Meklb. Urk.=B. II, 911.
3) Meklb. Urk.=B. I, 377.
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Kesselkule genannt, und von dort ununterbrochen bis an den "Lütken=Stadtsehe" und weiter "vor dem Burgkwhall her" bis an das "Teufelsbrock" oder "Teufelsbruck", wo die Grenze auf die Scheide zwischen Hohen=Zieritz und Peccatel stieß. - Die von Seiten der Maltzane gezogene Grenze scheint im Ganzen nicht sehr bedeutend von der ihrer Gegner abzuweichen. Sie ziehen dieselbe zunächst von dem Rhunbruche bis an den nahen Hohen=Zieritzer Weg, der als ein fester Grenzpunkt und Haupt=Eingang in unsern Gaubezirk erscheint. Hier stoßen auch sie an einen Graben, der aber mit dem oben bezeichneten Grenzgraben der Bauern nicht identisch zu sein scheint. Derselbe lief von dem gedachten Wege zwar gleichfalls in die Teufelsbrüche, deren hier 3 unterschieden werden, welche aber alle 3 vor dem kleinen Stadtsee genannt werden, während der von den Bauern in Bezug genommene auf den See folgt. Der Maltzansche Graben setzte sich jedoch gleichfalls jenseit des Sees fort und scheint hier mit dem der Bauern zusammen zu fallen. Dabei wird gelegentlich zwischen dem 2. Auf der nordöstlichen, d. h. der Wustrower Seite dieser von den Maltzanen gezogenen Grenzlinie dehnten sich nun vom Ufer des Lieps= und Tollenser=Sees bis zu dem Penzliner See hinauf große Waldungen aus, welche sich wahrscheinlich auch auf einen Theil der Hohen=Zieritzer Feldmark hinüber erstreckt haben werden. In den Acten werden namentlich 3 Theile dieser Waldung unterschieden: das Zippelower Holz, die Eisern pfort und der Borgwall. Ersteres, vom Liepssee bis zum Eichsee und dem Rhunsee, wird anderswo als Pertinenz von Wustrow bezeichnet, die Eisen pfort, noch heute als Eisen Pfort, Euserfort oder Euser=Forst auf unsern Karten verzeichnet, erstreckt sich von dem Wege Hohen=Zieritz nach Penzlin in der Nähe des Raumbruches nordwestlich bis zu dem kleinen Stadtsee, wo er mit dem Borgwall zusammengestoßen sein wird. Letzterer scheint sich nach oben angeführter Aussage der Bauern zwischen dem kleinen und großen Stadtsee hindurch längs des aus dem Klein=Vielener Bache etwa bis zu dem kleinen Wodensee ausgedehnt zu haben, wenngleich es sonst nahe liegt, den Namen auf den später zu besprechenden Burgwall auf einer Halbinsel im großen Stadtsee zu beziehen. In eben jener Gegend, zu beiden Seiten des kleinen Stadtsees und an dem gedachten Bache neben der

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Schwanheide bis zu dem Wodensee hinauf, werden dann auch die Teufelsbrüche zu suchen sein, woraus sich zugleich die abweichenden Angaben der beiden streitenden Theile über die Lage dieser Brüche erklären würden, wenn man annimmt, daß die von den Bauern behauptete Grenze den Stadtsee an der südöstlichen Spitze berührte, und sich dann nördlich um denselben herumzog, die Grenze der Maltzane dagegen sich südlich des Sees hielt und, denselben einschließend, sein Ufer erst an der Westspitze berührte. Darnach würde der kleine Stadtsee, mitten zwischen den Teufelsbrüchen gelegen, selbst als Teufels=, d. h. als ein zweiter, wenn nicht als der eigentliche Woden=See aufzufassen sein, während der große Stadtsee in der Urkunde von 1263 stagnum Domini, d. i. Gottessee, genannt wird, was nach heidnischer Auffassung wiederum dasselbe ist.

Die von den Bauern producirten Zeugen bestätigen im Allgemeinen den Grenzzug ihrer Producenten. Sie geben demnach zwar das ausschließliche Recht der Maltzane auf den Borgwall und das Teufelsbruch zu, nehmen aber für Hohen=Zieritz das Holzungsrecht in einem Theile der Eisernen Pforte und den Besitz der bereits abgeholzten "Isernen Port=Stücke" in Anspruch. Auf eine genauere Beschreibung des Grenzgrabens zwischen der Rhunwiese und dem kleinen Stadtsee lassen sie sich nicht ein. In Bezug auf die Strecke jenseit des Sees, d. h. zwischen dem Kl. und dem Gr. Stadtsee, dagegen setzt ein Zeuge hinzu: "Das der articulirter Graben ein rechter Alter Landgrabe where, vnd quehme von Treptow herab, vnd ginge bis an den Lütken Pentzliner Stadtsehe." Die Maltzane dagegen beschreiben in ihren Zeugenartikeln den von ihnen bezeichneten Grenzgraben schon auf der ersten Strecke von dem Zierzower Wege bis zum kleinen Stadtsee als einen "von beiden seitten vffgeworfenen und mit vielen Eichenen beumen bewachsenen Graben," und behaupten, daß derselbe einer alten "Landwehren" gleiche, welche "durch und an vielen Morassen her gegraben" worden, und sich auch jenseit des Stadtsees bis an das alte Penzliner Stadtfeld erstrecke. Auch diese Angaben werden durch die von ihnen producirten Zeugen bestätigt, wobei dieselben den Graben wiederholt als einen dreifachen bezeichnen, und theilweise gleichfalls ausdrücklich für eine alte Landwehr erklären.

Nach diesen Angaben kann kein Zweifel bleiben, daß es sich hier wirklich um die uralte Grenzwehre des Landes

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Wustrow handelt, dessen ehemalige Ausdehnung bis zu der Stadt Treptow hinab, in Uebereinstimmung mit den früher besprochenen Urkunden, noch im Bewußtsein des Volkes lebte. Auch ist klar, daß die Waldungen Eiserne Pforte und Borgwall, welche noch in Acten des 18. Jahrhunderts genannt werden, ihren Namen nur von bestimmten festen Pässen in dieser Grenzwehre trugen, wenn gleich diese letztere ihrer Lage und Beschaffenheit nach nicht näher angegeben werden. Hier greift nun die ausführliche Grenzbeschreibung der Stadtfeldmark Penzlin in der Urkunde von 1263 ergänzend ein. Diese Feldmark liegt außerhalb des Landes Wustrow an der Westseite des großen Stadtsees, welcher sie von Wustrow scheidet. Wenn daher dieser Grenzzug, bei der Eisernen Pforte beginnend, zunächst in der Richtung auf Kl. Vielen, sodann in einem Bogen den von Gr. Vielen kommenden Bach durchschneidend in den Schmorter=See und weiter um die Stadt herum durch den großen Stadtsee zu seinem Anfangspunkte zurück geführt wird, so ist klar, daß dieser letztere, d. h. die Eiserne Pforte, in dem Engpaß zwischen dem kleinen und großen Stadtsee gelegen haben muß 1 ). Dieser Paß, durch den beide Seen verbindenden, aus dem See von Kl. Vielen kommenden Bach quer durchschnitten, nordwestlich durch einen Sumpf, das Teufelsbruch, östlich aber durch eine Höhe geschlossen, auf welcher nach dem Namen des angrenzenden Waldes ein Burgwall gelegen haben wird, verdient wegen dieser festen Lage jenen bezeichnenden Namen vollkommen. Die große, zu beiden Seiten der sich an diesen festen Paß anlehnenden Landwehre liegende Waldung wird daher in ältern Zeiten in ihrer ganzen Ausdehnung der Eiserne Pforten=Wald genannt sein, bis man später den zunächst an den Burgwall grenzenden Theil unter dem von ihm entlehnten besondern Namen davon abtheilte, wenn anders die Lage dieses letztern oben richtig bestimmt ist.


1) Mekl. U.=B. II, No. 987. A Hiserenporten (dem Vielenschen Bach aufwärts folgend), vsque in Slavicum Vilem, vltra (nordwärts) vsque in fluvium Teuchtonici Vilem, fluvium in descensu vsque in pontem Vilem, agrum sursum vsque ad salicem, de salice viterius vsque in Ridam (zwischen Molmesdorp und dem Rathssee), vlterius de Rida in stagnum Scomort (der Schmorter= oder Rathssee), vsque in molendinum (vor Penzlin), de molendino per rivulum deorsum vsque in Wosten (Wötz=See), de Wosten in magnum stagnum domini (nordöstlich um die Stadt herum und dann grade nach Osten in den großen Stadtsee, und durch diesen, wie sich von selbst versteht, wieder zur Eisernen Pforte).
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Von der Südspitze des großen Stadtsees weiter hinab wird die Grenze des Landes dann entweder direct dem an Penzlin vorbei durch den kleinen Wötzsee in den Krukower oder Malliner See fließenden Bache gefolgt sein, oder sich etwa östlich in einem Bogen, die "alte Burg" mit einschließend, durch den Rathssee, den Ziesekensee, und den Rahnenfelder See in den gedachten Malliner See herumgezogen haben. Jedenfalls war Penzlin mit seiner ungewöhnlich festen Lage ein Haupteingangspaß.

An dem nördlichen Ende des Malliner Sees liegt das Dorf Passentin am Ausflusse des wiederholt erwähnten, hier schon sehr ansehnlichen Baches, welcher in den Acten des 16. Jahrhunderts der Fischstrom, jetzt gewöhnlich der Malliner Bach genannt wird, und sich 1/2 Meile unterhalb der Stadt Neubrandenburg mit der Tollense vereinigt. Der Ort, welcher in der gefälschten Urkunde des Herzogs Kasimir von Pommern von 1170 und deren Confirmation von 1244 Patsutin, später auch Patsentin genannt wird, soll nach diesen Urkunden schon damals dem Kloster Broda geschenkt sein, fehlt jedoch in der echten Bestätigungsurkunde der Klostergüter durch den Herzog Bugislav von 1182, und ebenso in der wiederum untergeschobenen Urkunde des Herrn Nicolaus zu Werle von 1230. Dagegen ist urkundlich sicher, daß hier früher eine alte Burg stand, welche in einem Kriege in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts zerstört ward. In einer Urkunde der Herren Claus und Christopher zu Werle vom Jahre 1395 bestätigen dieselben dem Gerde Barenfleth die große Stadtmühle bei Penzlin nebst dem Stadtsee, welche der Herr Claus zu Werle seinen Vorfahren, den Rittern Johann und Gerke Barenfleth 1291 verkauft habe, mit der Bemerkung, daß das Original der darüber ausgestellten Urkunde bei Gelegenheit der Zerstörung der Burg Passentin verloren gegangen sei 1 ). Die Burg scheint hiernach gleichfalls im Besitz des Gerke Barenfleth gewesen zu sein. Vielleicht aber war derselbe nur fürstlicher Vogt auf derselben. Später trugen die zuerst im Jahre 1402 auftretenden v. Passentin den Ort, von welchem sie den Namen führten, zu Lehn, bis das Geschlecht im Jahre 1520 erlosch, worauf das heimgefallene Lehn, welches jedoch theilweise an die v. Holstein verpfänden war, dem Freiherrn Bernd Maltzan


1) Nach einer beglaubigten Abschrift des verlorenen Originals mit dem Transfumte der Urkunde von 1291 im Geh.= und Haupt=Archive. (Noch ungedruckt.)
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auf Penzlin verliehen ward. Die Maltzane behaupteten aber, daß Passentin ein altes Penzliner Afterlehn sei, und rechneten es also ohne Zweifel zu dem ihnen 1501 verpfändeten Lande Penzlin, oder zu den ihnen ausdrücklich mit verliehenen Penzliner Burglehen. In der That zwang auch Georg Maltzan im Jahre 1549 den Hans v. Holstein, seinen Antheil an dem Dorfe von ihm zu Lehn zu empfangen, was auch später z. B. 1610 erneuert ward. Passentin scheint also wirklich im Alterthume in einem nähern Verhältnisse zu der Burg Penzlin gestanden zu haben, was dann der Vermuthung festern Halt geben würde, daß die alte Burg Passentin zu den befestigten Eingangspunkten oder Pforten des Landes Raduir gehört habe. Die Burg lag an dem Südrande des Dorfes in dem umfänglichen Wiesngrunde an den Ufern des Malliner Sees und des Fischstroms, welcher hier noch einen kleinen von Norden herabkommenden Bach in sich aufnimmt. Die Wiebekingsche Original=Karte im Archive hat hier hart neben einander den "großen" und "kleinen Burgwall", beide viereckig, und etwas weiter nordöstlich neben dem Dorfe den runden "Möllerwall". Dorf= und Burgwälle liegen jetzt auf der linken, Meklenburg=Schwerinschen, Seite des Stromes, welcher aber vielleicht seinen Lauf in den letzten Jahrhunderten geändert und früher Dorf und Burg getrennt, oder letztere auf beiden Seiten umflossen haben mag, da die Grenze zwischen Passentin und Mallin schon vor der Mitte des 18. Jahrhunderts streitig war. Das Strelitzer Amt Sponholz nahm noch bedeutende Wiesenflächen auf der jetzt Passentiner Seite des Stromes für Mallin in Anspruch, und drang damit theilweise auch durch.

Weiter hinab von Passentin bis zu dem Flusse Tollense bildet der mehr gedachte Fischstrom mit seinen breiten Wiesenrändern zwischen theilweise erheblichen Höhen eine natürliche Grenze, welche denn auch von altersher den Havelberger und Camminer Bischofsprengel und damit zugleich die Redarier, die zu Havelberg gehörten, von den unter Cammin stehenden Tholenzern trennte 1 ). Auch in dem Kremmener Vertrage von 1236 werden die Grenzen des Ländchens Wustrow bis an den Fluß Tollense, also längs des ganzen Fischbachs bis zu dessen Mündung ausgedehnt 2 ). Nicht unwahrscheinlich befanden sich auf dieser Strecke zwei weitere feste Grenzpforten, die schon von der Natur dazu geschaffen scheinen, nämlich an den beiden Straßen, welche aus den Tholenzer


1) Wigger Meklb. Annal. S. 113.
2) Die Zweifel Boll's in Betreff dieser völlig klaren Vertragsbestimmung in seiner Geschichte des Landes Stargard I, 54 sind nach meiner An= (  ...  )
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Gauen Gotebant und Trebetow durch den Raduir nach Stargard führen. Erstere überschreitet den Grenzstrom in der Richtung von Chemnitz (Caminitz: Steinort) nach Weitin (wojutin: Kriegshagen) bei der Chemnitzer Mühle, wo sie sich zwischen bedeutenden Höhen in das bewaldete Flußthal hinabzieht, letztere bei der Zierzower Mühle, gleichfalls durch eine enge Bergschlucht zu Thal führend. Aus älterer Zeit weiß ich indeß über die Beschaffenheit dieser Pässe nichts beizubringen.

Die innere Grenze des Landes Wustrow gegen den gleichfalls Redarischen Gau Stargard (Oldenburg) endlich ward durch den Fluß Tollense aufwärts bis in den gleichnamigen See, und weiter durch diesen selbst und den damit zusammenhangenden Liepssee bis zu unserm Anfangspunkte, d. h. der Mündung des Zippelower Baches in die Lieps gebildet. Auf dieser Strecke finden wir an dem Ausflusse der Tollense aus dem See den Ort Broda, den Sitz eines ehemaligen Klosters, als alten Grenzpaß an der Straße nach Stargard, denn das slavische brod bedeutet Fähre, auch Eingang, Durchgang überhaupt, und entspricht in dieser allgemeinern Bedeutung dem deutschen Furt (Ford), sowie dem lateinischen porta, die zu derselben Wurzel gehören. Höchst wahrscheinlich wird aber an dem entgegengesetzten Ende dieses Abschnitts an der Mündung des Zippelower Baches von dem in älterer Zeit bedeutenden Burgflecken Prillwitz her ein ähnlicher Eingangspaß gewesen sein. Demnach scheint unser Gau im Ganzen 8 Grenzpforten gehabt zu haben, nämlich auf dem Wege von Hohen=Zieritz aus dem Gaue Chotibanz bei dem Rhunbruche, wo die großen Waldungen Eiserne Pforte und Zippelow zusammen stießen, bei der eigentlichen Eisernen Pforte zwischen dem kleinen und großen Stadtsee, bei den Burgen Penzlin und Passentin an den Hauptstraßen aus der Herrschaft Tholenze, bei den Chemnitzer und Zierzower Mühlen an den Straßen aus dem Gaue Gotebant und endlich bei Broda und Hohen=Zieritz zu beiden Seiten des Hauptortes Wustrow.


(  ...  ) sicht durchaus unbegründet. Daß die Herzoge von Pommern noch 1244 die Güter des in diesem südöstlichen Theile des hier beschriebenen Gebietes liegenden Klosters Broda bestätigten, beweist nicht, daß das Kloster damals noch zu Pommern gehörte. Anderer Seits spricht aber die Bestätigungsurkunde des Herrn Nicolaus zu Werle Von 1230 trotz ihrer Unechtheit dafür, daß seine Herrschaft sich schon damals über das ganze Land Wustrow einschließlich des Klosters erstreckt habe. Seine Nachkommen beider Linien hatten dies Gebiet urkundlich unter sich getheilt, ohne daß wir über den spätern Erwerb des nordöstlichen Theiles irgend Kunde hätten.
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Vergleichen wir nun die vielfach besprochenen Schilderungen, welche uns Thietmar von Merseburg (1012) und Adam von Bremen (1075) von dem Rhedarischen Heiligthum geben 1 ), theils unter sich, theils mit den urkundlichen Nachrichten über die betreffenden Ortsverhältnisse im Lande Wustrow in jüngerer historischer Zeit, so kommen wir zu Ergebnissen, die nach meiner Ueberzeugung so zuverlässig sind, als in solchen Forschungen überhaupt erwartet werden darf. Zunächst springt in die Augen, daß die Burg (urbs) bei Thietmar dem Tempel (templum) Adams entspricht, da es sich eben um eine Tempelburg handelt. Daraus folgt, daß unter der angeblichen Stadt Rethra (civitas), worin nach Adam der Tempel lag, dem in den einleitenden Bemerkungen nachgewiesenen Sprachgebrauch vollkommen gemäß, nichts anderes zu verstehen ist, als der Gau (pagus) Riederun Thietmars, dessen Identität mit dem Gaue Raduir unserer Urkunde von 1170, d. h. dem spätem Lande Wustrow in dem Kremmener Vertrage von 1236, man nach meinen frühern Ausführungen hoffentlich nicht weiter bezweifeln wird. Daraus aber folgt wiederum unwidersprechlich, daß die in dem letztgenannten Vertrage als Hauptort genannte Burg (castrum Wustrow) am Tollenser See, die dem Gaue den Namen gab, und der Bedeutung dieses Namens nach (wustrow oder ostrow: Insel) ursprünglich auf dem dortigen kleinen Werder gelegen haben muß, eben jene Tempelburg Thietmars und Adams sei, welcher sie auch, wie ich ausgeführt habe, der genau geschilderten Lage nach vollkommen entspricht.

Dieser Tempel war nun nach Thietmar dreieckig (tricornis), und hatte 3 Thore, vermuthlich also auf jeder Seite eins, wovon die beiden landwärts gehenden allem Volke zugänglich waren, das dritte, engere also, aus welchem ein schmaler Pfad nach Osten an das schaurige Ufer des waldumkränzten Sees führte, nur dem Priester oder den Opfernden geöffnet ward. Von allen diesen Eigenthümlichkeiten des Tempelbaues weiß Adam nichts, dagegen führten nach ihm 9 Pforten in die vermeintliche Stadt (in ciuitatem), d. h. in den Gau Raduir. Diese 9 Gaupforten haben also mit jenen 3 eigentlichen Tempelpforten des Thietmar nichts gemein, entsprechen dagegen offenbar den oben geschilderten 8 festen Grenzpässen des Landes Wustrow, zu


1) Thietm. Mers. VI, 16-18. Adam. Brem. VI, 2. Daß beide Schriftsteller trotz ihrer anscheinenden Widersprüche von demselben Heiligthum reden, halte ich für ausgemacht. Die folgende Erklärung löst diese Widersprüche, wie mir scheint, ungezwungen.
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welchen der ohne Zweifel noch besonders befestigte, über eine Brücke führende Weg zu der Tempelinsel selbst als neunte hinzukommt 1 ).

Als Namen der Tempelburg giebt Thietmar zu Eingang seiner Schilderung Redigast an, wofür es genauer heißen müßte: Der Tempel des Redigast, den wir aus andern Quellen mit Sicherheit als eine wendische Gottheit kennen, deren Verehrung nach ihrem eigenthümlichen Wesen gerade in diesem Heiligthum erwartet werden durfte, und welche Adam - und nach ihm Helmold - auch ausdrücklich als Hauptgottheit des Tempels zu Rethra, wie derselbe hier genannt wird, bezeichnet. Thietmar ließ sich aber anscheinend dadurch irre führen, daß ihm neben Redigast noch ein anderer Name des Gottes, Zuarasici, genannt ward, den schon der Erzbischof Brun im Jahre 1008, vermuthlich gerade in Bezug auf unser Heiligthum, gehört hatte. So nahm er Redigast als Tempelnamen, Zuarasici aber als Namen des höchsten der daselbst verehrten Götter, während in Wahrheit beide dieselbe Gottheit bezeichneten.

Noch ein Einwurf, den man mir gegen meine Auffassung gemacht hat, bedarf hier einer besonderen Besprechung. Man meint, das Gebiet, welches ich der Tempelburg zugewiesen habe, d. h. der ganze, etwa eine Quadratmeile umfassende Gau Raduir, sei denn doch zu unverhältnißmäßig groß für ein bloßes Heiligthum, und man hat Recht, wenn man lediglich an den eigentlichen, den Tempel zunächst umgebenden heiligen Hain denkt. Es ist schon oben in den einleitenden Bemerkungen darauf hingewiesen worden, daß die großen National=Tempel der wendischen Völkerschaften mit bedeutendem Grundbesitze dotirt gewesen seien. Dies ergiebt sich namentlich aus dem durch Saxo ausführlich mitgetheilten Friedensvertrage zwischen dem Dänen=Könige Waldemar und


1) Hiernach muß ich meine frühere Hypothese über das Verhältniß der 3 Pforten Thietmars zu den 9 Adams ausdrücklich widerrufen. Ganz eben so wird es mit der Stadt Lebus (civitas Liubusua) in der Herrschaft der Lusizi zusammenhangen. Sie hatte nach Thietmar 12 Thore und Raum für eine Besatzung von 1200 Mann und umschloß zugleich die eigentliche Burg (urbs). Thietmar sah sie selbst um das Jahr 1010, wo sie aber seit der Zerstörung von 932 wüst und unbewohnt gelegen hatte. Thietmar I, 9 u. VI, 39. Ganz klar sind sich übrigens beide Schriftsteller über die Beschaffenheit unseres Heiligthums nicht. Nach dem strengen Wortlaute Adams hätte die ganze civitas auf einer Insel gelegen, was doch der Angabe über die nur für die Opfernden bestimmte Brücke und die 9 Thore widerspricht. Nach Thietmar dagegen scheint selbst die Burg nur am Ufer des Sees zu liegen.
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der Priesterschaft von Arkona nach der Zerstörung dieses Tempels im Jahre 1168. Hiernach verpflichteten sich die Priester, nach geschehener Taufe nicht nur die Aecker und Landgüter der Götter (agros et latifundia Deorum) zum Besten christlicher Stiftungen abzutreten, sondern von jedem Joch Ochsen einen jährlichen Tribut von 40 Silberdenarien an die Krone Dänemark zu zahlen, und dem Könige die Heerfolge zu leisten. Der Tempel besaß also, außer den selbstbebaueten Gütern, offenbar auch bewohnte Dörfer, welche unmittelbar unter der Herrschaft des Oberpriesters standen 1 ). Für die Größe dieses Gebietes fehlte uns bisher jeder Maaßstab. Nach weiterer Forschung glaube ich aber nicht mehr zweifeln zu dürfen, daß die ganze ungefähr 1 1/4 Quadratmeile umfassende Halbinsel Wittow unabhängiges Tempelgebiet von Arkona war, wie ich an einem andern Orte auszuführen beabsichtige.

Daß nicht alle Nationalheiligthümer so reichlich bedacht waren als Arkona, versteht sich von selber, denn mit diesem Haupttempel des gesammten von Wenden bewohnten Gebietes längs der Ostseeküste, von der Mündung der Oder bis zur nordsächsischen Grenze, dem die gesammten Völker dieser Gegend regelmäßig Tribut zahlten, kann sich kein anderer messen. Der Umfang des Tempelgaues wird nach der Macht und dem Ansehen des Volkes, dem er angehörte, und aus andern zufälligen Gründen sehr verschieden gewesen sein. Aber auch Rethra erfreute sich, weit über die engen Grenzen der Redarier hinaus, eines hohen Ansehens, so daß wir eine nicht allzukärglich bemessene Dotation mit Sicherheit voraussetzen dürfen. Nun erscheint aber das Ländchen Wustrow nach der obigen Beschreibung durchaus als ein durch scharf hervortretende natürliche und künstliche Grenzen umschlossenes, selbstständiges und untheilbares Gebiet, das den Namen der Tempelburg führte, und schon zu einer Zeit, wo das Heidenthum kaum überwunden war, urkundlich wirklich als Zubehör dieser, nun freilich bereits weltlichen, Burg betrachtet ward. War diese Burg daher wirklich der gesuchte heidnische Tempel Rethra, so ist damit zugleich der Beweis geführt, daß das ganze dazu gehörige Gebiet den unter der unmittelbaren Priesterherrschaft stehenden Tempelgau Riederun bildete. Dies wird auch dadurch bestätigt, daß nach Einführung des Christenthums fast das ganze Ländchen zur Ehre Gottes dem in seinen Grenzen errichteten Kloster Broda


1) Saxo Gr. XIV, 834 (Ed. Velschow).
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überwiesen ward, denn abgesehen von der gefälschten Urkunde von 1170, werden doch auch in der echten Confirmation der verlorenen ersten Dotation bereits sämmtliche Dörfer des jetzt zu Strelitz gehörigen südöstlichen Antheils von Wustrow aufgeführt, wogegen der nordwestliche Theil fast ganz zu dem eigentlichen heiligen Haine gehört haben wird, also unbebaut war. Vielleicht betrachtete das Kloster aus diesem Grunde den allmählich angebaueten Urwald als Zuwachs seines Gebietes, und ließ sich eben dadurch zu jener Fälschung verleiten.

Auch in dem Innern dieses Haines in der nähern Umgebung der Tempelburg sind neuerdings noch einige Oertlichkeiten bekannt geworden, die ich nicht übergehen darf, da meine ganze Auffassung dadurch wesentlich gestützt wird. Die erste dieser Oertlichkeiten befindet sich auf der Feldmark Werder bei Penzlin, am Ostufer des großen Stadtsees (stagnum domini). Die Feldmark kommt anscheinend schon in einer Urkunde von 1309 unter dem Namen Grapenwerder vor 1 ). Sie wird diesen Namen von dem in der Vogtei Penzlin angesessenen Geschlechte Grope erhalten haben, war aber damals noch unbebauet. Daß hier aber nicht von einer wirklichen kleinen Insel, etwa im Stadtsee, die Rede ist, folgt daraus, daß auf dem Werder selbst nicht nur eines Sees, sondern auch eines Baches gedacht wird, welcher erstere ganz zum Werder gehören soll, vermuthlich der kleine Lödsee, welcher durch den Lübkower Bach gebildet wird, und auf der Grenze zwischen Werder und Lübkow liegt. Später ward der Ort Hohen=Werder genannt, ich kann nicht sagen, ob nur das höher gelegene Dorf im Gegensätze zu dem Hofe unmittelbar am Seeufer, oder zu dem Dorfe Wustrow am Tollenser See, also mit dem Bewußtsein, daß das wendische Wustrow dem deutschen Werder entspreche. Jedenfalls ist Werder eine spätere deutsche Gründung in dem ehemaligen zu Wustrow gehörigen heiligen Haine. Noch im 16. Jahrhundert war der größere Theil der Feldmark gleich der von Zipplow mit altem Wald bestanden, wozu namentlich der uns schon bekannte Eiserne=Pforten=Wald gehörte. Auf dieser Feldmark nun, südlich von dem gedachten Hofe, erstreckt sich eine niedere Halbinsel in den See, auf welcher nach der officiellen sogenannten Directorialkarte aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts (sub No. 87) ein von Wiesen umgebener runder Burgwall von 425 □ Flächeninhalt liegt. Es ist möglich, daß


1) Insula dicta Grapenwerder. Meklb. U.=B. V, No. 3345.
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die oben S. 57 besprochene Waldung "der Burgwall" sich bis hierher erstreckte, und ihren Namen eben von diesem Walle empfangen hat, obwohl die dort angeführten Grenzbestimmungen auf die Gegend der Eisernen Pforte und des Teufelsbruches hinzuweisen scheinen. Gegenwärtig heißt der hier gemeinte Wall, dessen Rand durch eine Brustwehr erhöht ist, und der überhaupt ganz das Ansehen unserer heidnischen Burgwälle hat, der "Radegast", ist auch nach Aussage alter Zeugen, namentlich einer 93 jährigen Frau, seit Menschengedenken so genannt worden. Vor dieser Zeit aber, wo es Niemandem einfiel, die Riedegost= oder Radegast=Burg in der Herrschaft Penzlin zu suchen, wenn auch hin und wieder schon lange Zeit zuvor an die Burg Prillwitz gedacht ward, fehlte es an jeder Veranlassung zur Erfindung dieses Namens, der mithin sicher alt und echt ist. Auf der Karte ist kein Name angegeben; der unmittelbar vor der Halbinsel liegende Ackerschlag aber heißt hier die Pferdekoppel, vielleicht zufällig, vielleicht aber auch mit Bezug auf eine nun wohl verschollene Sage. Könnte auf diesem Walle etwa gar die Kontine 1 ) des heiligen Rosses gestanden haben? Aber welchen Zweck die Anlage auch gehabt haben möge, der Name Radegast für eine Oertlichkeit innerhalb des Bezirks, in welchem ich schon vor Jahren das Heiligthum der Gottheit dieses Namens suchen zu müssen glaubte, ist unter allen Umständen von hoher Bedeutung 2 ).

Eine zweite aus derselben Quelle stammende Nachricht über eine neuere wichtige Entdeckung auf der Feldmark Wustrow selbst scheint dagegen auf Irrthum zu beruhen. Darnach sollte nämlich eine Höhe in der Nähe des Tollenser Sees noch heute den Namen Tempelburg führen. Nach eingezogener weiterer Erkundigung ist hiervon jedoch in der Gemeinde von Alt=Rehse, dem Pfarrdorf von Wustrow, nichts bekannt, da auf der ganzen Feldmark vielmehr nur 2 namhafte Höhen existiren, der "spitze Hügel" und der "Patterietenberg", beide vermutlich heidnische Grabhügel. In dem erstern, welcher in der Nähe der Wustrower Forst, unfern der Tollense liegt, und neuerdings mit 7 Friedenslinden bepflanzt ist, ward früher eine Aschenurne gefunden. In dem zweiten Hügel


1) Vgl. unten über das Heiligthum Konow.
2) Die erste Kunde von dieser Entdeckung verdanke ich meinem Collegen, Herrn Archivar Dr. Wigger, nach mündlicher Mittheilung des Herrn Reichsfreiherrn v. Maltzan auf Schloß Penzlin, welche später durch den Herrn Staatsminister Freiherrn von Hammerstein zu Neu=Strelitz aus eigener Anschauung bestätigt ward.
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nahe an der Feldmark Zipplow, auf welchem große Feldsteine regellos durch einander liegen, ward zwar bei einer neuern Nachgrabung nichts gefunden, doch ist derselbe anscheinend schon früher durch Schatzgräber, welche hier schon im 16. Jahrhundert hausten, ausgebeutet worden 1 ).

Die Acten dieser Zeit berichten nämlich über eine Sage von der Bergung eines Schatzes in eben dieser Gegend hart neben dem ehemaligen Bauhof Wustrow am Ufer des Sees, der Tempelburg gegenüber. In einem erbitterten Prozesse des Claus Barenfleth zu Hohen=Werder - er wohnte auf einem Hofe am Ufer des Stadtsees, dessen Ueberschwemmungen ausgesetzt, - wider Jürgen Maltzan vom Jahre 1530 ff. behauptet Kläger, daß der Vater seines Gegners, der verstorbene Bernd Maltzan, ihn unter andern Vergewaltigungen auch eigenmächtig aus dem Besitze seiner Hälfte der Feldmark Wustrow gesetzt habe. Die Feldmark wird hier zugleich wiederholt als wüst und mit Wald bewachsen (also als ein sogenanntes "Holzgut") geschildert. In den Klageartikeln 14 u. 15 heißt es dann: "Ed hefft sick begeven, dat etlike Lude sint gekomen vp die wuste Veltmark Wustrow, wo vormelt, hebben dar gegraven nha etliken verdecketen Schatze, welks vp dem meynen geschehen." Bernd Maltzan, wird dann weiter behauptet, habe die Schatzgräber greifen lassen und ihnen die nach damaligem Geldwerte bedeutende Summe von 140 Gulden abgepreßt, auch später 3 Mal selbst nach dem Schatze graben lassen, wie Kläger vermuthet, nicht ohne Erfolg. Beklagter giebt die Thatsache des Schatzgrabens zu, behauptet aber, daß dasselbe auf dem Maltzanschen Antheile an Wustrow, hart am Thorwege seines Bauhofes, geschehen sei, und hätten die Bauern die Schatzgräber gefangen und abgeliefert. Was weiter geschehen, will er nicht wissen, da er selbst zu der Zeit im Auslande gewesen sei. Diese Geschichte beweist jedenfalls, daß mindestens schon im Anfange des 16. Jahrhunderts Sagen über einen bedeutenden Schatz in Wustrow allgemein verbreitet waren, so daß fremde Schatzgräber angelockt wurden, denselben zu heben, was uns einen gewiß interessanten Blick auf die Meinung des Volkes über die frühere Bedeutung dieser Oertlichkeit thun läßt.

Von ganz besonderem Interesse aber scheint mir diese Entdeckung mit Rücksicht auf die angeblichen Prillwitzer


1) Mein gefälliger Berichterstatter ist der Herr Pastor Hilbenz zu Alt=Rehse, dem ich für seine freundliche Mittheilung hiemit nochmals meinen besten Dank sage.
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Götzenbilder in der großherzoglichen Alterthumssammlung zu Neustrelitz zu sein. Aus der ausführlichen Geschichte dieser Bilder von dem stets besonnenen Forscher Fr. Boll zu Neubrandenburg ergiebt sich nämlich, daß noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Sage von einem großen an den Ufern des Tollenser Sees verborgenen Schatze ging und namentlich von einem in dem See selbst versenkten goldenen Götzenbilde 1 ). Die Vermuthung eines Zusammenhanges dieser letztern Sage, welche ganz ohne Zweifel die Veranlassung jener großartigen Fälschung geworden ist, mit derjenigen über den Wustrower Schatz aus dem 16. Jahrhundert liegt aber so überaus nahe, daß sie kaum abzuweisen sein dürfte. Nur die Stätte, wo dieser Schatz verborgen sei, war in der Zwischenzeit nach Prillwitz verlegt worden, nachdem man sich gewöhnt hatte, die dortige mittelalterliche Burgruine als die Trümmer des berühmten Tempels zu Rethra zu betrachten. Demnach würde uns diese neuere Sage zugleich eine willkommene Aufklärung über die eigentliche Beschaffenheit des bei Wustrow gesuchten Schatzes geben.

Ueber die Beschaffenheit der kleinen Tempelinsel selbst, welche in älterer Zeit vor Aufstauung des Wassers durch die Brandenburger Mühlenanlagen größer gewesen sein dürfte, habe ich auch jetzt bei fortgesetzter Forschung keine entscheidende Nachrichten aufgefunden. Im 17. Jahrhundert hieß sie schlechthin der Tollenser Werder, und ward von den Brandenburger Fischern als Stationsort auf der Fahrt nach der Lieps benutzt, welche z. B. 1604 verabredungsmäßig dort während der Nacht zusammentrafen, um am Morgen gemeinschaftlich in die Lieps zu fahren, wo sie Streit mit den Bauern hatten. Der Tollenser See nebst der Lieps mit allen darin befindlichen Inseln und dem flachen Vorlande an beiden Ufern, "soweit die Schölung reicht", oder "soweit die Bulgen schlagen", wie es in einem Zeugenverhöre von 1616 heißt, war nämlich der Stadt Brandenburg bald nach ihrer Gründung von dem Kloster Broda abgetreten, welche sehr eifersüchtig über ihre Rechte wachte. Auch der Lehnbesitzer von Wustrow war daher nach den Acten nicht berechtigt, an dem Ufer fischen oder Rohr schneiden zu lassen, ohne des Rathes sonderbare Erlaubniß, welche dieser nicht ohne Gegenleistung zu ertheilen pflegte. So wird z. B. über einen Fall aus dem Jahre 1613, der für uns nicht ohne Interesse ist, durch einen Zeugen berichtet, daß Lütke Maltzan


1) Jahrb. XIX, 168 ff., besonders S. 174, 179 a. E. und 182 a. E.
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zu Wustrow für die Erlaubniß des Rohrschneidens an seinem Ufer dem Rathe gestattet habe, "etliche Erde vom Reseschen Felde (an der Grenze von Wustrow), woselbst er (Maltzan) seine Bauern gehabt, zu nehmen, um den Werderschen Doen (!) damit auszubessern." Das Wort "Doen" ist aber unsicher und scheint Spuren einer Correctur zu haben. Wahrscheinlich soll es Dam heißen, was auf die Existenz künstlicher Erdarbeiten auf der Insel hinweisen würde, welche der Rath zu Gunsten der Stadtfischer, welche hier wenigstens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch ein Häuschen besitzen, zu erhalten wünschte.

Eine besondere kurze Hervorhebung scheinen noch die Schlußworte in der Rethra betreffenden Stelle Thietmars über eine alte heidnische Sage zu verdienen, die ich früher ganz übersehen habe. Darnach herrschte nämlich bei dem wendischen Volke der Aberglaube, daß bei dem drohenden Ausbruche eines bedeutenden kriegerischen Aufstandes mit seinen wilden Schrecken ein mächtiger Eber mit glänzenden Hauern aus den schäumenden Wellen des den Tempel umgebenden Sees emportauche, und sich vor den Augen der Menge, die furchtbaren Glieder schüttelnd, in dem benachharten Wale ergötze 1 ). Diese Erzählung erinnert an die Eberbilder, als kriegerische Insignien der Aestyer, eines höchst wahrscheinlich lettischen Volkes an der Bernsteinküste des heutigen Preußens und Esthlands, welche nach Tacitus die Mutter der Götter (matrem Deum) verehrten, wofür aber eine Wiener Handschrift den Gott Mars (Martem Deum) substituirt 2 ). Wäre dies die richtige Lesart, so hätten wir hier bei der nahen Verwandtschaft der lettischen und slavischen Mythologie die älteste Nachricht über die Gottheit Arkonas und Rethras. Auch bei den Römern ward dem Heere in älterer Zeit unter den Kriegsinsignien das Bild des Ebers vorgetragen, vielleicht wegen der schwert=


1) Testatur idem antiquitas errore delusa vario, si quando bis seva longae rebellionis asperitas immineat, ut e mari predicto aper magnus et candido dente e spumis lucescente exeat, seque in volutabro delectatum terribili quassatione multis ostendat. Die Versuchung ist zu groß, als daß ich ihr Widerstehen könnte, auf die überraschende Aehnlichkeit dieser Erzählung Thietmars mit meiner Erklärung des von Boll erwähnten Bacherwalls durch volutabrum apri beiläufig hinzuweisen, ohne aber im Ernste den Namen dieser Oertlichkeit auf die Sage Thietmars zurückführen zu wollen. Grimm kennt übrigens nur Bache, masc. u. fem., nicht Bacher, was ich z. B. bei Evers deutsch=engl. W. B. finde, vermuthlich niederdeutsch.
2) Tacit. Germ. c. 45.
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ähnlichen Hauer dieses kräftigen Thieres 1 ). In der nordischen Mythologie dagegen erscheint der Eber als das schnelle Roß Freiers, des Gottes des Friedens und der Fruchtbarkeit, und die Goldborsten dieses Rosses erhellen die Nacht gleich dem Tage. Doch scheint das Eberbild auch in der Julnacht, dem Feste Othins, eine Rolle zu spielen.


2) Die Grenze des Gaues Beseritz und eines Theiles von Stargard gegen Tolenze und Pommern bis zum Galenbecker See.

An die nordöstliche Spitze des Redarischen Tempelgaues Wustrow bei der Mündung des Fischstromes in die Tollense schließt sich der jenseits, d. h am rechten Ufer des letztern Flusses, gelegene kleine Gau Beseritz unmittelbar an. Derselbe gehörte, gleich Wustrow, im Mittelalter zum Bisthum Havelberg und wird in dem Vertrage von Kremmen von 1236 gleichfalls als Nebenländchen von Stargard durch Pommern an Brandenburg abgetreten, war also in älterer Zeit ohne Zweifel ein Redarischer Gau. Er wird ringsum von sumpfigen Niederungen eingeschlossen, weßhalb er seit dem 15. und 16. Jahrhundert der Werder genannt wird, und umfaßt wenig mehr als 3 Quadratmeilen mit 21 Hauptdörfern. Hier interessirt uns nur die äußere Grenze.

Diese folgte zunächst noch gegen die alten tholenzischen Gaue Gotebant und Treptow dem Flusse Tollense. Gleich zu Anfang dieser Linie, jedoch nicht hart an der Grenze, sondern etwa eine halbe Meile davon entfernt, finden wir ein merkwürdiges alterthümliches Werk, die sogenannte Ravensburg. Sie liegt auf dem Wege von Neubrandenburg nach Ihlenfeld, jenseits des Datzebaches, also schon auf Beseritzer Gebiet, in einem uralten Walde auf einer Horst in tiefem Bruche und besteht aus 3 Wallgräben, von welchen der innere ringförmig ist, und 294 Schritt im Umfange hat, die beiden äußern aber sich halbkreisförmig an jenen ansetzen, und nur zur Verstärkung desselben, namentlich zum bessern Schutze des Einganges, dienen. Die Umwallung verdankt ihren Namen der früher herrschenden Ansicht, daß die Burg des Ritters Albrecht v. Raven, des Erbauers der Stadt Neubrandenburg 1248, auf ihr gestanden habe, stammt


1) Plin. H. N. X, 4.
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aber nach den neuesten Untersuchungen sicher aus der heidnischen Zeit, und war entweder zu religiösen Zwecken bestimmt, also eine Tempelstätte oder Opferplatz des Gaues Beseritz, oder sie war ein sogenanntes receptaculum, eine Zufluchtsstätte der Umwohner in Zeiten der Kriegsnoth. Für diese letztere Annahme entscheidet sich unser Boll, da selbst der innere Hauptwall alte heidnische Grabhügel durchschneide und somit der jüngern Wendenzeit angehöre. Nach Boll's Fundbericht scheint es indeß nicht ganz sicher zu sein, ob die aufgefundenen zahlreichen Urnenscherben und Kohlen wirklich von Graburnen und Leichenbränden herrühren. Die vielen Thierknochen, welche sich zwischen den Kohlen fanden, und die Großartigkeit der ganzen Anlage scheinen wenigstens den Wunsch einer nochmaligen Untersuchung mit Benutzung der inzwischen gesammelten Erfahrungen zu rechtfertigen 1 ).

Jenseits des meklenburgischen Dorfes Neddemin (Nieder=Min, im Gegensatz zu Hohen=Min), bei dem sogenannten "Stad", oder "Stadt zu Neddemin", der Feldmark der pommerschen Stadt Treptow gegenüber, verläßt die Grenze den Tollensefluß und wendet sich nordöstlich einem tiefen, breiten Wiesenthale zu. Von hier ab folge ich dem überaus sorgfältig ausgearbeiteten Berichte des einer herzoglichen Commission zur Untersuchung der Landesgrenzen als Sachverständiger beigeordneten herzoglichen Mathematikers Tilemann Stella vom Jahre 1578, womit auch der ältere, aber nicht so ausführliche Bericht des Licenciaten Erasmus Behm und des Secretairs Johann Koch von 1553 in allen wesentlichen Punkten übereinstimmt. Darnach mündete bei der genannten Malstätte ein das Thai herabkommender Bach, die "Halebeke" genannt, in die Tollense, war aber künstlich zu einem breiten und tiefen Graben erweitert, welcher von jeher den Namen eines Landgrabens geführt hatte und die anerkannte Landesgrenze bildete. Dieser Landgraben reichte indeß nur etwa bis zu der Feldmark Dalen hinauf, weiterhin, wo das Grenzbruch weiter und tiefer ward, hatte man den Graben, der hier zur Landesvertheidigung allerdings weniger nothwendig schien, fast ganz zuwachsen lassen, in Folge dessen es nicht an Grenzstreitigkeiten der beiderseitigen Dörfer fehlte.

Auf der Feldmark des Dorfes Beseritz selbst, welches dem Gau den Namen gegeben, sind die Wälle der alten Gauburg in dem erwähnten tiefen Sumpfe noch heute er=


1) Jahrb. V, 110 ff. (mit einer Steindrucktafel) und VI, 78.
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kennbar, und unter dem Namen Mühlenberg bekannt 1 ). Diese Burg, deren unsere commissarischen Berichte nicht gedenken, wird hier die Hauptschutzwehr der Grenze gebildet haben. Später ward statt dessen zu Schwanebek ein festes Schloß erbaut, welches aber nach den Bestimmungen des Templiner Friedens zwischen dem Herrn Heinrich von Meklenburg und dem Markgrafen Waldemar am 25. Novbr. 1317 wieder abgebrochen werden mußte 2 ). Oberhalb Beseritz, ungefähr an der Scheide mit Schwanebek, beginnt in der mehrgedachten sumpfigen Niederung, die hier in dem Berichte des Erasmus Behm die Mudelwisch heißt, ein neuer Landgraben, der durch einen kleinen in der Nähe von Bresewitz entspringenden Bach gespeist wird, den Tilemann Stella gleichfalls die Modell nennt, aber irrig mit der gleich zu erwähnenden kleinen Tollense identificirt 3 ). Die gedachte Modell oder der Landgraben vereinigt sich nämlich nach kurzem Laufe gegen Nordwest mit einem ziemlich bedeutenden Bache, welcher in der Nähe von Neubrandenburg in der Niederung bei Warlin und Glieneke, in der auch der Datzebach seinen Ursprung hat, entspringt 4 ), nordöstlich nach Friedland strömt, dann aber, in einem ziemlich scharfen Winkel sich nach Nordwesten wendend, bei dem Schlosse Klempenow und dem Dorfe Golchen in die Tollense mündet, und nach unsern Berichterstattern in seinem untern Laufe längs der Grenze gleichfalls die (kleine) Tollense genannt ward. Unmittelbar vor dem Zusammenflusse dieser kleinen Tollense mit dem Modellbach befindet sich, auf der ganzen bisher beschriebenen Linie von etwa 3 Meilen, der erste Grenzpaß des Landes Beseritz, und zwar an der Straße von Friedland über die Modell in den alten Tholenzergau Treptow (Treptower Werder). An dieser "Modell=Furt" lag nach Erasmus Behm "ein doppelt begrabener Wall", der "Priester=Thorn" (Thurm) genannt, wo vor Zeiten ein Meklenburgischer Zoll gewesen sein solle. Nach Tilem. Stellas nicht ganz klarer Schilderung war die Furt etwa 30 Ruthen lang,


1) Boll, Gesch. von Stargard I, 49.
2) Boll a. a. O. I, S. 243-244.
3) Erasm. Behm und Tilem. Stella stehen in Bezug auf die Benennung und den Lauf dieser kleinen Gewässer mehrfach in Widerspruch, letzterer aber auch zugleich mit sich selbst. Behm war aus Neubrandenburg und scheint genauere Localkenntniß besessen zu haben.
4) Die Datze heißt in einem Zeugenverhör von 1552 die Dartze, oder Dassebeck. Andere Zeugen nennen das ganze Wiesenthal von Friedland nach Neubrandenburg "die alte Rahne".
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auf welcher Strecke der Grenzbach durch sie hindurch stoß, indem auf jeder Seite ein Berg aufgegraben war, worauf vor Zeiten diesseits eine Meklenburgische, jenseits eine Pommersche Zollbude gestanden haben solle, doch sei die letztere erst später von den Schwerinen, nicht dem Landesherrn, willkürlich errichtet worden. Nach diesen Schilderungen glaube ich dem Modell=Paß mit dem Priesterthurm ein hohes Alter zuschreiben zu müssen, wenn es auch zu gewagt erscheinen sollte, den Namen Modell auf das Slavische: modla, Götze, Götzenbild zurückzuführen und an irgend einen Zusammenhang mit dem Priesterthurm zu denken. Zu erwähnen ist noch eines "großen und ansehnlichen Waldes", welcher sich auf pommerscher Seite vor dem Passe ausbreitete, und sich zugleich ziemlich weit an der kleinen Tollense hinauf zog. Er hieß der Ropenack, welchen wahrscheinlich gleichfalls wendischen Namen man damals im Volke daher ableitete, "weil in dieser Gegend weit und breit kein Paß existire, sonderlich zu Roß, habe man sich an dieser Furt einander auf den Dienst gepasset und sich die Köpfe zerschlagen, was man zu der Zeit den Nacken ropen genannt."

Von diesem Passe wendete sich die Grenze südöstlich an der kleinen Tollense hinauf, an deren jenseitigem Ufer im 12. Jahrhundert die kleinen Gaue Plothe, Mizerez, Grozwin (Cithne), Wanzlow und Wostrozne als Nachbaren der Tholenzer und Redarier genannt werden, offenbar Trümmer einer zerfallenen größern Herrschaft, die früher mit den Ukrern und Wulinen zusammen eine besondere Woiwodschaft gebildet, dann unter der Herrschaft Krutos zu Rügen geschlagen sein mögen, nach dem Auftreten Bolezlaws von Polen an der Oder aber zu Pommern gerechnet wurden, und noch jetzt zu der Provinz Vorpommern gehören. In kirchlicher Beziehung ward diese Landschaft zuerst zum Havelberger Sprengel gelegt, 1170 ward Plothe, 1186, 89 und 97 auch Mizerez und Wolgast zu Schwerin gerechnet, bis später die ganze Landschaft an Camin überging.

In den Wiesen an dem gedachten Flusse, der von Til. Stella auch als Landgraben bezeichnet wird, in der Nähe des Stargardschen Dorfes Ramelow lag ein alter, stattlicher und sehr hoher und steiler Burgwall, rings von einem Wassergraben umschlossen, anscheinend der auf den neuern Karten als ein kreisförmiger Graben gezeichnete Rohrteich, welcher früher das Haus Ramelow geheißen und meklenburgisch gewesen sein solle, damals aber als zu Robelow in Pommern gehörig, im Besitze des Ulrich Schwerin

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zu Spantekow und Putzar war. Von diesem Hause ging die Sage, daß es den Bertekowen gehöret, und während einer Belagerung von dem "Schlüter Stoffregen" den Feinden verrathen sei, weil er seine Besoldung nicht erhalten habe. Diese Feinde sind ohne Zweifel die Brandenburger unter dem Markgrafen Waldemar, während der sogenannten Markgrafenfehde 1315-17, denn unter den festen Schlössern, welche nach dem Templiner Frieden gebrochen werden sollten, befand sich neben Schwanebeck auch Ramelow. Ein eigentlicher Paß nach Pommern befand sich hier nicht, doch führte ein Steindamm von Ramelow durch die Wiese zur Burg und weiter nach Robelow hinüber. Die Bauern zu Ramelow hatten auch ein wüstes Feld Wendorf unterm Pfluge, vermuthlich das alte wendische Dorf Ramelow. Ob auch der Burgwall schon zur Wendenzeit existirte, und später zu der Erbauung des Schlosses benutzt ward, könnte nur etwa durch Localuntersuchung entschieden werden.

Der nächste Grenzpaß, und zwar der erste und Hauptpaß auf der ganzen Linie gegen Pommern, befindet sich dort, wo die kleine Tollense unter dem Namen der Friedländer Bek zwischen den Ländern Stargard und Beseritz von der Stadt Friedland herabkommend, gegen Nordwesten umwendend, zuerst die Landesgrenze berührt. Hier befindet sich nämlich der Friedländer Kavel=Paß, nach Erasm. Behms Angabe ein Damm vor der Brücke über den Grenzgraben, also eine Art Brückenkopf, wo die Stadt zugleich einen Zoll erheben ließ. Auch Til. Stella nennt denselben ein mit einem Wassergraben umgebenes Zollhaus, und erwähnt zugleich auf der Pommerschen Seite, etwa einen Morgen von der Brücke entfernt, links von der Landstraße eines "kleinen Bergleins oder Walles, worauf in alten Jahren auch eine Zollbude gestanden." Diese moderne Erklärung der alten Borgfrieden für bloße Zollbuden im 16. Jahrhundert, der wir schon öfter begegnet sind, scheint aber in diesem Falle urkundlich widerlegt zu werden. Am 19. Apr. 1306 verglichen sich nämlich Herzog Otto von Pommern und Herr Heinrich von Meklenburg über das anscheinend von dem letztern auf der Grenze erbauete Schloß Kogel (stede vnde hus to der Koghelen), welches derselbe bedingungsweise zu brechen und keine andere Feste auf der Grenze wieder zu bauen verspricht, wogegen auch die von Schwerin auf Putzar den von ihnen begonnenen Bau nicht fortsetzen sollten. Doch sollte es ihnen verstattet sein, einen Bergfrieden von 4 Ruthen ohne Graben auf schlichter Erde anzulegen. Es ist nicht

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zu bezweifeln, daß sich dieser Streit auf den Friedländischen Kavelpaß bezieht, dessen ursprüngliche Bedeutung dadurch vollkommen klar wird 1 ).

Von dem Friedländer Kavelpaß ab wird die Grenze zwischen Pommern und dem eigentlichen Stargard, dem Kern des Redarierlandes, das aber im Alterthum wohl in mehre kleinere Gaue getheilt sein mochte, weiter durch einen Bach gebildet, welcher unter dem Namen Augbeke oder Augang in der Fortsetzung desselben Wiesenthales zu dem See bei Putzar abfloß. Dieser Bach war aber durch Kunst zu einem breiten Landgraben erweitert, auf dessen beiden Seiten "ein stattlicher, ansehnlicher Wall" aufgeschüttet war. An jenem See lag auf pommersche Seite das feste Schloß Putzar des Ulrich Schwerin, diesseits aber auf der Feldmark des Friedländer Stadtdorfes Schwichtenberg lag im Wiesengrunde ein hoher, jetzt mit Holz bewachsener Burgwall, der Ritterstab genannt, unter welchem sich ein Keller befand, und von welchem ein alter Graben in den See führte, der früher zur Hälfte zu dieser Burg gehörte. Auf diesem Walle sollten vor Alters die Dollen gewohnt haben, nach anderer Angabe aber wäre Schwichtenberg vor Erwerb durch die Stadt im 13. Jahrhundert ein v. Borksches Lehn gewesen 2 ).

Jenseits des Putzarschen Sees setzte sich dieser Landgraben weiter gegen Osten fort, indem das Wasser seit alten Zeiten durch die Friedländer Große Wiese in den Galenbeker See lief. Vor einigen Jahren hatte aber nach Til. Stella (Erasm. Behm weiß davon noch nichts) Ulrich v. Schwerin den Graben, der hier wohl eine Ruthe, und wenn er ordentlich geräumt würde, wohl zwei Ruthen breit war, auf einer Strecke von 3 Ruthen durch Versenkung großer Steine und Aufschüttung von Sand, 19 Ruthen weiter hinunter aber nochmals durch ein Pfahlwerk 1 Ruthe weit verstopfen lassen. Dadurch war der Spiegel des Sees um 2 Fuß aufgestauet, und das Wasser gezwungen, seinen Lauf durch eine neu angelegte Mühle über Schwiggerow, Doggerow und Buggewitz in das frische Haff zu nehmen. Vor dieser Neuerung zog sich die


1) Mekl. U.=B. V, Nr. 3084. - Die Buchstaben v und g gehen gerade in diesem oft vorkommenden Namen wiederholt in einander über. Kawat wird im Böhmischen eine besondere Art von Befestigungen genannt.
2) Beide Angaben werden übrigens durch die Kaufbriefe von 1288 und 1296 nicht bestätigt. Mekl. U.=B. III, 1288 und 2413.
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Grenze längs des Grabens zunächst zu dem kleinen, noch zu Schwichtenberg gehörigen, jetzt bereits größten Theils versumpften See Lubichow, neben welchem ein "Furtt" und eine Landstraße durch die Loitzer (Lowitzower) Horst nach Pommern führte. Ueber einen Bergfrieden zur Vertheidigung dieses zweiten unbedeutendern pommerschen Passes ist nichts bekannt.

Von dem Lubichower See ab breitet sich die sumpfige Niederung, welche jetzt die Friedländer Große Wiese heißt, östlich um den Galenbeker See herum mehr und mehr aus und ist fast eine Meile breit. Auf dem pommerschen Antheil dieser Niederung befand sich ein 10 Morgen großes Buchholz, das Loch oder mit einem wendischen Namen Ozernemutz genannt. Der friedländer Antheil scheint zwar durch den Fleiß der Bürger größtentheils ausgerodet gewesen zu sein, doch wird die Gegend zu beiden Seiten der Grenze als eine ungeheure, unzugängliche Wildniß und "Bärenlager" geschildert. Durch diese Wildniß zog sich nun nach Angabe der Friedländer der alte Landgraben durch 2 kleine Werder, den Hopfenhorst, über welchen der Ketzersteig nach Demmenitz führte, und den Kohlhof, ferner an den Lindsteter Ort und die Jägereiche, wo vor Zeiten ein meklenburger Herzog gestorben sein soll. In der Nähe des Brandenburgischen Dorfes Zarow, 1 Meile nordöstlich vom Galenbeker See, stieß derselbe im spitzen Winkel auf den gleichnamigen Fluß, der hier die Grenze gegen die Ukermark bildet. Diese Grenze scheint der noch heute geltenden so ziemlich zu entsprechen, der Bericht Til. Stellas giebt aber zu, daß auf dieser Strecke von dem alten Landgraben, der angeblich in Folge der gewaltsamen Zustopfung durch Ulrich v. Schwerin sehr versumpft und fast zugewachsen sein soll, nur noch an wenig Orten eine Spur zu entdecken sei. Allein schon Erasm. Behm weiß hier überall nichts von einem Graben, sondern giebt nur Grenzmale an und Til. Stella selbst sagt schon in einem Specialbericht von 1572, daß der Graben nunmehr zugewachsen sei, obgleich die Friedländer 2 Jahre früher längs der von ihnen behaupteten Grenze eine Schnese durch den Bruch gehauen hatten. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß der Landgraben nur bis zum Lubichow=See gegangen sei, von wo aus der ihn speisende Bach vielleicht direct in den Galenbeker See lief. In der beschriebenen großen und unzugänglichen Wildniß aber wird man in älterer Zeit keine bestimmte Grenzlinie für nöthig erachtet haben. Sie bildete eben selbst die Grenze.

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Galenbek selbst, am Südufer des gleichnamigen Sees in einer Wiese erbauet, war in älterer Zeit vielleicht gleich Schwanebek, Ramelow und Schwichtenberg eine fürstliche Burg. Es wird zuerst 1277 genannt, wo die Markgrafen von Brandenburg und Fürst Witzlav von Rügen eine Zusammenkunft daselbst hielten, und 1298 schenkte Markgraf Albrecht dem Kloster Wantzka 36 1/2 Schillinge aus seiner verhältnißmäßig sehr geringen Hebung daselbst von 18 1/2 Pfund. Seit dem Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag ist es urkundlich ein Lehn des aus Lüneburg, Lauenburg und Danneberg nach Stargard eingewanderten alten Geschlechtes der v. Rieben, hatte aber noch im 16. Jahrhundert insofern eine privilegirte Stellung, als es von der Bede und sonstigen fürstlichen Hebungen befreiet war. Die mittelalterliche Burg Galenbek ward im Jahre 1440 von den Brandenburgern erobert, aber bald darauf zurückgegeben, und 1453 von den Stralsundern zerstört. Sie muß nach den noch vorhandenen romantischen Trümmern sehr fest gewesen sein, und ist nach der Beschaffenheit der sie umgebenden Wälle und Gräben wohl sicher auf schon vorhandener heidnischer Grundlage gebauet 1 ). Der Ort spielte auch schon seit alter Zeit eine hervorragende Rolle, da sich selbst heidnische Sagen daran knüpfen. Vom diesseitigen Ufer, in der Nähe der Burg, ragt nämlich unter dem Namen der Teufelsbrücke ein nicht vollendeter Damm bis über die Mitte hinaus in den See, in der Richtung auf eine gegenüberliegende Halbinsel, auf der einst eine Kapelle gestanden haben soll. Diesen Damm soll nach der Sage der Teufel in Folge eines Bündnisses mit dem wilden Bauern Petzow in einer Nacht aufgeschüttet haben, indem er im Sturme uralte Bäume entwurzelte und gewaltige Steinblöcke in die Tiefe schleuderte, aber durch die List der frommen Geliebten des Bauern, Noinewskow, welche vor Anbruch des Tages die Hähne des Dorfes weckte, das Werk unvollendet lassen mußte 2 ). Ein Paß nach Pommern befindet sich in dieser Gegend nicht. Die erwähnte Halbinsel mit der Kapelle am jenseitigen Ufer des Sees hinter dem


1) Jahrb. XIX, 340.
2) Meklb. Sagen von Studemund III, No. 6, S. 45. Diese Teufelssage, den vielfachen heidnischen Riesensagen entsprechend, ist echt und wird noch jetzt im Volke erzählt. Die slavischen Bauernnamen gehören aber natürlich zu den Ausschmückungen, wodurch der poetische Verfasser seine Erzählungen interessanter zu machen glaubte.
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dichten Urwalde und die daran haftende Teufelssage ist aber sehr geeignet, dort ein pommersches Heiligthum vermuthen zu lassen.


3) Die Grenze gegen die Ukermark von Zarow an der Friedländischen Wiese bis zur Havel mit dem Heiligthum Konow.

Das schon im vorhergehenden Abschnitte genannte Flüßchen Zarow, Zerow oder Zerue, welche Namen während des 16 Jahrhunderts selbst in gleichzeitigen Acten wechseln, entspringt im Lande Stargard theils aus dem Zarowbruche südöstlich von dem Dorfe Golm, theils aus dem nahegelegenen Netze=See, und mündet bei dem Dorfe Galenbek in den Galenbeker See, an dessen Westende dasselbe wiederum ausfließt, und in südwestlicher Richtung seinem Mündung in das kleine Haff nahe bei Ukermünde zuströmt. Der Fluß bildete seit alten Zeiten 1 ) von seiner Mündung aufwärts bis zu dem Dorfe Zarow die Grenze zwischen der Ukermark und Pommern, von Zarow ab aber, wo die beschriebene Pommersch=Stargardische Grenze ihn im spitzen Winkel berührt, bildet er weiter aufwärts in der genannten Wiese durch den kleinen Bladensee und den Gießing oder Geseken bis nahe vor seiner Ausmündung aus dem Galenbeker See die Grenze zwischen Stargard und der Ukermark. Diese letztere kennen wir von dem genannten See ab bis zu dem Dorfe Wolfshagen nur aus einer kurzen "artikulirten Grenzbeschreibung" des uns schon bekannten Erasm. Behm von 1564 und einzelnen zerstreuten Nachrichten. Darnach verlor sich der kleine bei Neuensund entspringende Grenzbach, die Knüppelbeke, bevor er den Galenbeker See oder die Zarow erreichte, in dem sumpfigen Seeufer und der tiefen Waldung Schwarze Horst, so daß die Grenze hier schon früh streitig ward. Zwischen den Dörfern Neuensund in der Ukermark und Gehren oder Gören in Stargard, beide im Besitze der von Rieben, führte die Straße von Friedland in die Mark bei Bollbrücke in einer wüsten Haide über den Bach. Näheres ist über diesen ersten Paß in die Ukermark nicht bekannt.

An diesem Passe begann wiederum ein großer Landgraben, der von Jedermann als solcher anerkannt ward,


1) Wigger Mekl. Ann. 126, Not. 4.
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und sich ununterbrochen fast genau in der Richtung nach Süden bis zu dem See bei Schönhausen fortsetzte, an welchem Joachim Riebe ein neues, am Ufer des Sees gelegenes und von Höhen eingeschlossenes festes Haus gebaut hatte, wahrscheinlich auf alter Grundlage. An der Südspitze des Sees setzte sich der Landgraben weiter fort, über welchen hier hart am See der zweite Paß in die Mark führte, und der sodann durch das Hagerbruch und eine große Waldung, wo er ein "besonders vornehmes Ansehen" hatte, weiter durch den See oder Teich Oldenfliet und die Grepelkule in den See bei dem wüsten Dorfe Lawenhagen bei Straßburg floß. In diesem rund von Wald umgebenen See befand sich ein Werder, der Lange Wall genannt, welcher die Grenze bildete, so daß die wüste Feldmark zur Hälfte zu Stargard, zur andern Hälfte zur Ukermark gehörte, letztere aber wieder zwischen der genannten Stadt und den Rieben, welche auch die stargardsche Hälfte besaßen, getheilt war. Von dem See selbst gehörte nur etwa ein Drittel zu Meklenburg, welches am 24. Jun. 1569 durch Georg Glowen mit dem Schütt vor dem Grenzgraben, welcher hier ausdrücklich als eine Landwehr bezeichnet wird, an die Stadt Straßburg verkauft ward 1 ). Jenseits des Sees zog sich die Grenze durch eine große Wiese längs der Daberkower Waldung bis zu dem Rubenberge, an dessen Fuße der dritte Paß in die Mark durch die Langhägener Haide auf die Stadt Straßburg führte. Auf der andern Seite des Berges begann von Neuem ein großer aufgeworfener Landgraben und zog sich durch das große Langebruch und die Mildenitzer Haide unter dem Namen der Kerne in den Wulfshagener Haussee.


1) - - dat Schütt thom Lauenhagen, tho samt dem dritten dele des waters mydden im dyke bei an den groten Sten nach der Landwehr am dyke vnd von den grotten stene twer ewer an den Daberkow so wyt als dat water schleit, ock den Bomgarden vnd wat dar to belegen ysz, - - -, ock dat Schütte so hoch tho holdende, als wenn ein guth Mann vor dei Schüttes grundt up einen Parthe (perde, Pferd) sete und hefte einen glewinger stacken up den voth stehende.
Riedel Cod. Brand. A, 21, S. 504, No. LIV.
Schon 1502 Oct. 9 hatte die Stadt ein anderes Drittel des Sees nach der Kabelow hin von Hans v. Schwecheln erkauft, worüber der Markgraf Joachim am 20. Octbr. 1517 weinen Willbrief ertheilte. Riedel a. a. O. No. LII. u. LIII. Daß das oben beschriebene Drittel nach Meklenburg gehörte, folgt daraus, daß es von dem Daberkow, d. h. dem Walde dieses Namens, begrenzt ward. Der Willbrief der Herzoge von Meklenburg fehlt, und wird auch niemals ertheilt sein, da wir diesen Antheil bald darauf im Besitze der v. Rieben finden.
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Von hier ab sind wir wieder durch einen ausführlichem Bericht Tielemann Stella's von 1578, neben welchem die bisherigen Quellen fortlaufen, genauer unterrichtet. Seit 17 Jahren, also etwa seit 1560, war nämlich der Wasserstand der großen Feldberger Seen, welche nach diesem und andern älteren Berichten insgesammt nur einen einzigen höchst merkwürdigen unterirdischen Abfluß hatten, auf den ich noch zurückkommen muß, nach und nach so hoch gestiegen, daß bereits mehrere Gebäude zu Feldberg, Carwitz, Hanow und Fürstenhagen bedeutend gelitten hatten, und eine allgemeine Ueberschwemmung der Gegend zu fürchten war. Der Grund dieser Erscheinung lag theils in der Zuleitung neuer Quellen, z. B. durch die Warburge, welche zur Speisung einer neu angelegten Mühle am kleinen Luzin einen Canal in denselben gegraben hatten, theils und hauptsächlich in der Verstopfung jenes Abflusses, da die Beseitigung der künstlichen Zuflüsse ohne Erfolg blieb. Herzog Ulrich hatte daher Unterhandlungen mit dem Markgrafen Joachim angeknüpft, um dessen Einwilligung zur Ziehung eines Canales aus dem Zantes oder dem Dees=See in die nach dem Prenzlauer See oder der Havel abfließenden Gewässer zu erlangen. Da diese Verhandlungen sich aber immer wieder zerschlugen, so verlor Ulrich die Geduld und ließ den nur 45 Fuß betragenden Zwischenraum zwischen dem ganz zu Meklenburg gehörigen großen Zantes=See und dem gemeinschaftlichen Grenzsee Mellen, welcher 6 Fuß tiefer lag, am 24. Sept. 1578 durch ein Aufgebot von 400 Bauern eigenmächtig über theilweise brandenburgisches Gebiet in der Gegend von Funkenhagen durchstechen, um das Wasser in den Boitzenburger Haussee abzuleiten. Aber das Werk war noch nicht ganz vollendet, als die Brandenburger die Meklenburger Bauern durch ein noch stärkeres Aufgebot aus der Ritterschaft, den Städten und dem Domanium vertrieben, und den Canal in 12 bis 14 Tagen wieder zuwarfen. Diese merkwürdigen Vorgänge veranlaßten den Herzog unterm 12. Novbr. 1578, den Professor Dr. Laurentius Niebur, seinen Mathematicus Tilemann Stella und den Visitations=Secretair Dan. Clandrian schleunigst nach dem Schauplatz der Ereignisse zu senden, um die ganze Grenze gegen die Ukermark von Wolfshagen bis zur Havel hinunter genau zu untersuchen. Der hierüber nach genommenem Augenschein und Abhörung zahlreicher Zeugen aus allen Ständen unter Vergleichung mit den betreffenden Urkunden erstattete, von Til. Stella abgefaßte Bericht giebt uns denn über diese interessante Gegend höchst willkommene

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und vollständige Auskunft. Den betreffenden Acten ist zugleich ein für unsere Forschung überaus werthvoller Abriß der ganzen Grenze in einer sehr saubern Handzeichnung des Berichterstatters angefügt, der aber offenbar nicht auf einer vollständigen geometrischen Vermessung der Gegend beruht.

Kehren wir also jetzt zu dem verlassenen Grenzpunkte bei Wolfshagen zurück. Das alte feste Haus dieses Namens, im 14. Jahrhundert ein von Blankenburgisches Lehn, war ringsum von dem nicht unbedeutenden, auf der Grenze liegenden Haussee umgeben, über welchen von der stargardischen Seite her eine Brücke führte, vielleicht schon die noch jetzt stehende sehr alte Steinbrücke, früher aber gewiß nur eine Zugbrücke. Diese starke Grenzburg gehörte also sicher von altersher zu Stargard, während der größere Theil des damals wüsten Dorfes jenseit der Grenze lag. Zu beiden Seiten dieses Sees liegen wiederum 2, von der Burg aus leicht zu vertheidigende, durch das Dorf in die Mark führende Pässe, nämlich oberhalb des Sees das "Wasserfordt" über die erwähnte Kerne, unterhalb über einen Bach "Königsow", auch Königsstopp oder Königstopp genannt. Von hieraus folgt die Grenze dem letztern Bache aufwärts bis zu einem zweiten, wie der Bach selbst Königsow genannten Furt, durch welchen die Landstraße von Woldegk über Damerow nach Prenzlau führte, und weiter in den Damm=See, an welchem das jetzt preußische, damals noch stargardische, den von Blankenburg gehörige Dorf Hildebrandtshagen liegt. Auch die folgende, theilweise allerdings schon damals streitige Grenzlinie weist sehr bedeutende Abweichungen von der heutigen Landesgrenze zum Nachtheile Meklenburgs auf. An der entgegengesetzten, südwestlichen Spitze des Damm=Sees mündete die aus dem großen Warden kommende Möllenbek, über welche zwischen beiden Seen hindurch ein enger Grenzpaß zu dem nahe gelegenen märkischen Städtchen Fürstenwerder am Wardensee führte. Auf der Meklenburgischen Seite dieses Grenzsees lag eine ausgedehnte Waldung, welche auf der gedachten Karte als die Wüstenei bezeichnet, und von der Südwestspitze des Sees bis zu der Schmeere, einem den großen und kleinen Parmsee mit dem Wrechener See verbindenden Bache, durch einen "ansehnlichen großen und geduppelten Landgraben" gegen Brandenburg hin abgeschlossen ist. Es scheint, daß diese Wüstenei, welche in geringerem Umfange noch heute diesen Namen führt, sich damals nordöstlich bis nach Göhren hinauf zog, und die Feldmarken der sämmtlich

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Plan des Konower Werders.
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wüst liegenden Dörfer Lichtenberg, Naugarten, Grauenhagen (die Graue Kirche, anscheinend von der nahegelegenen Rothen=Kirche, beide mitten im Walde, verschieden) und Vogelsang einschloß.

Von dem Punkte ab, wo der gedachte Landgraben in den Schmeerbach mit seinen breiten sumpfigen Ufern ausmündet, gehen dann die Weisthümer der vernommenen Zeugen plötzlich in gerade entgegengesetzten Richtungen weit auseinander, so daß beide Grenzlinien, die sich erst in der Gegend von Carwitz wieder vereinigen, einen Flächenraum von etwa 2/3 Quadratmeilen umschließen, welcher sowohl nach der Beschaffenheit seiner durch Kunst und Natur sehr festen Grenzen, als nach den im Innern desselben erhaltenen eigenthümlichen Oertlichkeiten und Alterthümern alle charakteristischen Merkmale eines Wendischen Heiligthums an sich trägt, wie wir dieselben durch meine frühern Forschungen kennen gelernt haben 1 ). Der erste Zeuge Oswald v. Dören auf Wrechen zog nämlich die Grenze, in Uebereinstimmung mit den brandenburgischen Ansprüchen, von der Schmeerbrücke, einem "tiefen Furt" (auch Erasmus Behm setzt bei Erwähnung dieses Passes hinzu: "ist ein Fordt"), den Bach aufwärts nach Nord=Westen durch das kleine Schmeerbruch in einen großen, stattlichen Graben, durch Bruch und Wald, zuletzt aber über einen Berg an den von hohen Bergen umgebenen Wrechener See. Die Burg Wrechen (böhm. wrch, poln. wierzch: Berg) lag damals auf einer Insel oder landwärts durch eine Wiese vom festen Lande getrennten Halbinsel am Nordufer des Sees, welche in den Acten die Wieck genannt wird, und gegenwärtig unter dem Namen Schloßwerder in einen Park verwandelt ist. Am östlichen Ufer lag damals der "alte Hof", etwa das heutige Schönhof, neben dem jetzt wieder untergegangenen Neu=Wrechen der Schmettauschen Karte. Von dem heutigen Hofe Wrechen, bei Schmettau Alt=Wrechen, war im 16.


1) Man vergleiche bei der folgenden Beschreibung den beigegebenen Plan dieses Heiligthums, oder des Konower Werders. Derselbe ist eine Autographie aus der erwähnten Karte des Stella vom Jahre 1578 (nicht 1575) im verkleinerten Maaßstabe. Ich bemerke dabei, daß ein Morgen als Längenmaaß 30 Ruthen betrug. Ein Morgen Acker war nämlich 30 R. lang und 10 R. breit, hatte mithin 300 □ R. Flächeninhalt. - Die auffallenden Namensformen auf diesem Plane, z. B. Lötcher See, d. i. kleiner See, und Loezin (wie statt Loczin, Woezen statt Woczen zu lesen ist), d. i. Luzin sind auf Rechnung des Dialectes des Zeichners, Tilemann Stella van Siegen, wie er gewöhnlich schreibt, zu setzen.
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Jahrhundert noch keine Spur. Diese feste stargardische Grenzburg war schon im 15. Jahrhundert im Besitze der v. Dören. Im Jahre 1446 steckte Martin v. Dören dieselbe selbst in Brand, um sich der Belagerung durch das vereinigte Heer der Pommerschen Herzoge und ihrer Städte zu entziehen, worauf die Pommern sie vollends dem Erdboden gleich machten.

Von diesem See aus führte Zeuge seine Grenze wiederum durch einen großen und gedoppelten Graben oder vielmehr Wall fast gegen Süden neben der wüsten Feldmark Schaue hin, in das 3-4 Morgen lange und 1 Morgen breite Postmoor, zwischen welchem und einem kleinen See bei Werbende hindurch ein Paß über den Graben führte. Aus dem Postmoor floß sodann ein kleiner Bach durch einen gleichfalls gedoppelten Graben, welcher der Wendelstein genannt ward, in das Brandbruch und weiter in den kleinen Luzin=See. Zwischen jenem Bruch und diesem See befand sich der zweite Paß auf dieser Strecke, welcher die Landwehr oder der Landgraben genannt ward.

Nach diesem Weisthume wären also das Südufer des Wrechener Sees und die, gleich der ganzen Umgegend, wüsten Feldmarken Werbende und Fürstenau brandenburgisch gewesen. Erstere wollte v. Dören selbst vom Kurfürsten zu Lehn empfangen haben, letztere aber gehörte dem brandenburgischen Vasallen v. Arnim auf Boitzenburg. Dieser Behauptung widersprach aber nicht nur die herzogliche Commission auf Grund noch vorhandener Urkunden, sondern auch die ganze Bauerschaft der Umgegend. Letztere erklärte die freilich nicht wegzuleugnenden mächtigen Grenzwehren theils für bloße Feldscheiden, theils in Erinnerung der furchtbaren Raubfehden des verwilderten Adels im 15. Jahrhundert, welche die ganze Gegend in eine Wüste verwandelt hatten, für "Raubgräben" oder "Wehrgräben" zum Schutze gegen die Räuber. Die v. Dörensche Behauptung ward aber auch dadurch völlig hinfällig, daß sein Grenzzug am kleinen Luzin=See plötzlich abbrach, da von niemandem bestritten werden konnte, daß die nächst angrenzenden Dörfer Wittenhagen und Fürstenhagen, deren Feldmarken völlig offen und unbewehrt lagen, von jeher zu Meklenburg gehört hätten. In Wahrheit aber setzte sich der nicht zu verkennende uralte Grenzzug, welcher diesen Streit veranlaßt hatte, und dessen Bedeutung oben bereits angedeutet ward, augenscheinlich durch den kleinen und den flußartig sich windenden großen Luzinsee bis in den Carwitzer See fort, wo er mit der wirklichen Landesgrenze zusammen traf.

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Das Weisthum der meklenburgischen Bürger und Bauern (die Brandenburger entzogen sich dem Verhör) führte die Grenze nämlich von dem oben genannten Paß bei der Schmeerbrücke ab östlich durch das große Schmeerbruch bis an den kleinen Parmensee und von dort fast südlich, der Scheide zwischen Werbende und Parm, einer geknickten Landwehr, und dem mit Birken und Erlen bestandenen Hühnerbruch folgend, in einen doppelten großen Landgraben, der "gar tief, wohl 2 Ruthen breit, in der Mitte einen ansehnlichen Wahl" hatte. Dieser Graben reichte bis an den Kuhwerder, wo die Grenze von dem zweiten Paß, der Land= und Kreuz=Straße von Fürstenwerder nach Fürstenhagen und von Wrechen nach Boitzenburg, durchschnitten ward. Gleich jenseits dieses Passes begann ein anderer großer, aber einfacher und kurzer Graben mit aufgeworfenem Wall auf der märkischen Seite, durch welchen sich die Grenze in das nahe große Wehrwinkelbruch und weiter durch dasselbe hindurch in einem andern "großen und abermals doppelten, stattlichen Landgraben" an die Weggunsche Hege hinzog, zwischen welchen beiden Brüchen sich der dritte Paß befand. Hinter der Wegguner Hege begann abermals "ein geduppelter vnd ansehnlicher großer Landgraben", welcher der Schwarze Graben hieß und durch etliche kleine Lue hindurch in das Kinbruch führte. Von dem Kinbruch ging die Grenze weiter, immer durch einen doppelten Landgraben, in das Seebruch, in welchem ein kleiner See lag, die Kuhblesse genannt, und von dort durch ein langes schmales Moor, in welchem der vierte Paß lag, in den Krevitz=See und den langen Mellen. Beide Gewässer waren nur durch ein 30 Ellen langes Erlenbruch, durch welches der Krevitz=Bach floß, getrennt, auf welcher Stelle sich der fünfte Paß befand. Zwischen dem Mellen und dem nahen 6 Fuß höher liegenden Xantes, oder Zantes, oder Santes, jetzt der Carwitzer=See genannt, bestand keine Wasserverbindung. Doch nahm ein kleines Bruch den größten Theil des Zwischenraumes ein, welches an beiden Enden durch bedeutende Gräben mit den genannten Seen verbunden war. Der von dem Mellen=See bei dem Dorfe Funkenhagen ausgehende Graben war 2 Ruthen breit und "woll 2 Mann tief", aber einfach; der am Zantes=See dagegen wird als ein duppelter und großer Landgraben bezeichnet, an dessen Ende am Zantes sich ein "Furt" befand, "die Iserne Porte genannt." Durch beide Furte bei Funkenhagen und der Eisernen Pforte führten Straßen in das Innere unserer

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Landschaft, welche sich aber gleich darauf an der schmalsten Stelle zwischen dem Mellen und dem Zantes vereinigten. Dies ist die Landenge, welche Herzog Ulrich 1578 durchstechen ließ. Der darüber entstandene Streit mit dem Kurfürsten Joachim muß aber später gütlich beigelegt sein, denn der damals von den Brandenburgern wieder verschüttete Canal besteht gegenwärtig wirklich und ist mit einer Schleuse versehen, deren Wasserstand durch die Behörden beider Länder gemeinschaftlich regulirt wird 1 ). Auf diese Schleuse ist nunmehr der alte Name des Passes, Eiserne Pforte, übertragen. Vielleicht führte aber auch schon im Alterthume der ganze Engpaß zwischen beiden Seen, in welchen die durch die beiden Furte führenden Straßen zusammenliefen, diesen Namen, der um so merkwürdiger ist, als wir ihm schon oben bei der Hauptpforte in das Land Raduir begegneten. Uebrigens beschreibt schon Erasmus Behm 1564 diesen Grenzwall ganz ebenso, wie Tielemann Stella; doch hat er den Namen Iserne Porte nicht. Dagegen wiederholt ersterer seine Beschreibung desselben in einem nochmaligen umfassenden Grenzbericht von 1582 fast wörtlich, auch mit Angabe jenes Namens. Auch sind die sämmtlichen Zeugen über das hohe Alter dieses und der übrigen künstlichen Werke dieses Grenzzuges vollkommen einverstanden, und selbst Oswald v. Dören räumte ein, daß sie zum Theil wohl 100 oder 1000 Jahre gestanden haben könnten.

Von der Eisernen Pforte bis nahe vor Carwitz bildete der Zantes unbestritten die Landesgrenze und zwar so, daß der ganze See bis an das Thomasdorfer Ufer zu Meklenburg gehörte. Bei dem Kirchdorfe Carwitz (von charwa: Vertheidigung), wo dieser Grenzzug mit der oben beschriebenen Westgrenze zusammentrifft, führt wiederum ein Paß über den Carwitzer Bach in das Innere unsers Werders. Wir zählen daher immerhin auffallender, wenn auch zufälliger Weise im Ganzen wiederum 9 solcher Pässe, wie bei dem Raduir, nämlich Carwitz, Eiserne Pforte, Krevitzbach, Krevitzer Moor, Weggunsche Hege, Werwinkelbruch, Schmeerbrücke, Werbende und die Landwehr am kleinen Luzin.

Bevor wir nun das Innere des Heiligthums selbst betreten, muß ich hier noch einer in dem Flachlande Norddeutschlands gewiß seltenen, in Meklenburg aber einzig dastehenden Naturerscheinung erwähnen, die zwar nicht un=


1) Diese Nachricht verdanke ich dem Herrn Amtsverwalter Seyberlich in Feldberg.
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mittelbar hierher gehört, aber doch auf die eigenthümliche Beschaffenheit dieser Landschaft nicht ohne Einfluß gewesen ist. Es ist schon oben erwähnt, daß die gesammten, zum Theil sehr bedeutenden Feldberger Gewässer, namentlich der große und kleine Luzin, der Zantes mit Einschluß des heutigen Carwitzer Sees, des Wutzen=, des kleinen und großen Karpensees und des durch den sogenannten Hals bei Carwitz mit dem Zantes zusammenhängenden beutelförmigen Drees, jetzt Dräz=Sees im 16. Jahrhunderte keinen sichtbaren Abfluß hatten, obwohl sie an verschiedenen Stellen kleine Bäche in sich aufnahmen. Dies Räthsel löset uns zuerst eine kurze Beschreibung der Grenze gegen Brandenburg von Carwitz bis zur Havel durch Erasmus Behm vom Jahre 1556. Nachdem bemerkt ist, daß die Grenze über den Berg zwischen dem Drees= und dem Kruseliner=See durch einen zu beiden Seiten aufgeworfenen Graben bezeichnet sei, in welchem alte bekreuzte Eichen ständen, fügt er hinzu: "Durch diesen Berg dringet die Beke, so von Veltberg in den Dreßer Sehe leufft, und springet im Kruselinschen Sehe zu endest dem Graben gewaltig herfür, gleich wie ein kochendes Wasser". Aehnlich schildert er diese Erscheinung in einem umfänglichern Grenzprotocolle vom Jahre 1564, wo es heißt: "Der Drescher See hat ein Fluß durch den Berg. Auf dem Berge gehet ein duppelter Graben (Wall), welcher Landgraben heißt. Jenseit des Berges liegt der Kruselinsche See, in welchem der Bach aus dem Drescher See unter den Berg hindurch quillt, und als ein siedendes Wasser in die Höhe springet". Ungefähr um diese Zeit (17 Jahre vor 1578) begannen nun nach Tilemann Stella die Feldbergschen Gewässer allmählig zu steigen und die ganze Gegend mit Ueberschwemmung zu bedrohen, unverkennbar in Folge einer Verstopfung dieses unterirdischen Abflusses, dessen Stella denn auch nicht mehr gedenkt, obwohl er von seiner frühern Existenz Kenntniß gehabt haben wird, da er seine Wiederherstellung versuchte. Bei den zu diesem Zwecke vorgenommenen Messungen fand er, daß die Basis des zwischen beiden Seen liegenden Bergrückens ungefähr 100 Ruthen und die Höhe (über dem Kruselin?) höchstens 30 Ellen betrage, der Wasserspiegel des Kruselin aber 16 Ellen tiefer liege, als der des Dreessee. Er ließ nun einen 84 Ruthen langen "Stollen" durch den Bergrücken graben und eine dreifache Röhre in denselben legen, deren Mündung oben im Dreessee 5 Ellen unter dem Wasser, der Ausfluß aber 12 Ellen über dem Kruselin lag. Während früher der Ausfluß nach Erasmus Behms

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Beschreibung unterhalb des Wasserspiegels aufbrodelte, legte man also jetzt einen 12 Ellen hohen Wasserfall an, durch welchen denn auch zwar viel Wasser ablief, gleichwohl aber kein Sinken des Sees zu spüren war. Man gab also den Plan wieder auf und kam auf den erwähnten Canalbau zwischen dem Zantes und dem Mellen zurück. - Gegenwärtig ist von diesem unterirdischen Abflusse nichts weiter mehr bemerkbar, als zahlreiche starke Quellen, welche am Fuße des gedachten Bergrückens auf der Kruseliner Seite hervorsprudeln. Auch hat der Kruseliner See keinen andern Zufluß, wohl aber nach der Havel hin einen starken, nicht unbedeutende Mühlenwerke treibenden Abfluß, den der dortige Müller durch fleißige Aufräumung des Carwitzer Baches zu verstärken sucht 1 ).

War nun jener unterirdische Bach ein Werk der Natur oder der Kunst? Die Frage mag vielen müssig scheinen; aber sollte es möglich sein, daß ein bachartiger Wasserlauf durch einen Berg aus loser, angeschwemmter Erde hindurch wühlt, ohne immer sofort wieder verschüttet zu werden? Der uralte, über den Bergrücken hinüberführende tiefe Einschnitt mit dem Aufwurf nach beiden Seiten, welcher nach der Beschreibung genau die Richtung des unterirdischen Canals hält, scheint in der That nur der Rest eines alten Durchstichs zur Entwässerung des Heiligthums zu sein, welcher nach Legung eines festen Gewölbes aus Felsblöcken wieder zugeschüttet ward. Sicher irrig ist wenigstens die Ansicht Behm's und Stella's, daß der Einschnitt über die Höhe ein alter Grenzwall sei. Diese Oertlichkeit ward im Alterthum, wie wir noch sehen werden, niemals von der Grenzlinie berührt, und auch im 16. Jahrhunderte war dies factisch nicht der Fall. Die Führung eines Canales unter den Berg hindurch wäre freilich eine wahre Hünenarbeit, von der wir aber in dieser Gegend mehrere Spuren finden werden. Jedenfalls wird der Canal ein hohes Alter haben, da schon der Name des Sees Krüselin (wie er stets genannt wird, nicht der Krüselinsche See) seinen Ursprung der geschilderten kräuselnden Wasserbewegung zu verdanken scheint. Der Ort


1) Diese Bemerkung, so wie alle folgenden Schilderungen der gegenwärtigen Beschaffenheit der hervorragendsten Oertlichkeiten unsers Heiligthums, entnehme ich einem höchst interessanten Berichte des Herrn Pastors Schönbeck zu Feldberg, wofür ich demselben hiedurch öffentlich meinen freundlichen Dank wiederhole. Auch die Stargard betreffende Ortskunde in der Vaterlandskunde von Rabe, Band.1, habe ich fleißig benutzt.
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Krüselin kommt urkundlich zuerst im Jahre 1393 vor, 1420 bis 21 wird nur noch der Mühle gedacht, das Dorf aber war wüst 1 ).

Dem Dorfe Carwitz gegenüber führt ein schmaler Arm des Zantes, jetzt Zanzen=See, schlangenförmig gegen Nordosten bis zu seinen Quellen gerade in der Mitte des Heiligthums hinauf, wo er sich ein wenig erweitert. Hier in der oberen Spitze, jedoch am Ostufer desselben, liegt nach unserm Plane eine kleine Insel, das Heilige Werder genannt, wo wir die alte Tempelstätte zu suchen haben werden, wenn meine Deutung des kleinen, abgesonderten Gaues die richtige ist. Der Ort wird noch heute "dat hilge Wierdel" genannt, ist aber keine eigentliche Insel mehr, sondern eine runde, auf einer Halbinsel gelegene Erhöhung, welche durch eine mit Erlen und Weiden bestandene Niederung von dem Festlande getrennt ist, und gegenwärtig beackert wird, weßhalb keine Spuren von künstlichen Anlagen auf derselben zu bemerken sind. Früher sollen eine Menge großer Felsen auf dem Werder gelegen haben, welche aber später in den See geschafft sind, wo sie noch jetzt rings am Ufer aus dem Wasser hervorragen. Der Werder gewährt eine reizende Aussicht über die klare Wasserfläche auf den gegenüberliegenden Hügelzug und auf die schönen Laubwaldungen, theils nach Südwest in dem großen Hurlebusche, theils nach Nordwest auf der jetzt freilich größentheils abgeholzten Feldmark Wittenhagen. Der Name des den Werder umgebenen Sees ist vielleicht, mit Bezug auf die auffallende Gestalt desselben, von böhm. san: Schlange, Drache, sanice: kleiner Drache, abzuleiten, wozu auch sanice, poln. sanika: Schlittenbahn, gehören mag, oder von poln. zonc, zaniec, böhm. ssanc: Schanze, also Burgsee? Auch ein See bei Lichen führte 1299 den Namen Zantis, jetzt Zanzen=See, ein ähnliches langgestrecktes Gewässer, welches den Platekow (Placht) und den Lichener See verbindet. Der Heilige Werder gehört zu der Feldmark Konow, welche das ganze hügelige und fruchtbare Gebiet zwischen dem Zanzen=See und dem großen und kleinen Karpen einnimmt und südlich bis zu dem Carwitzer See hinabreicht. Dies Verhältniß ist bedeutungsvoll, da der Name Konow von dem slavischen kon, kun: Roß, abzuleiten ist und Roßort bedeutet, die wendischen Heiligthümer dieser Gattung aber nach unsern bisherigen Erfahrungen nicht nur ein heiliges, weissagendes Roß hegten, sondern auch eine Stuterei zu besitzen pflegten, eine Einrichtung, die wir


1) Riedel, Cod. dipl. Brand. A. XIII, 337 u. 345. XXI, 59.
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auch bei den Germanen wiederfinden. Schon Tacitus berichtet, daß die Germanen in den heiligen Hainen der Götter weiße, durch keine irdische Arbeit entweihete Rosse, die man für weissagend hielt, auf öffentliche Kosten hegten, welche nur von den Priestern vor den heiligen Wagen der Gottheit gespannt, sowie von den Königen und Fürsten bestiegen werden durften 1 ). Auch Othin ritt nach der Edda und den deutschen Sagen auf einem weißen Rosse, das Sleipnir hieß. Es ist also kein Zweifel, daß jene Haine dem Othin geweiht waren. Aber auch in den Hainen anderer Götter, namentlich des Freyr, wurden im Norden wirkliche Stutereien gehalten 2 ), die hier gezüchteten Pferde werden aber keine weiße Priester= und Schlachtrosse gewesen sein, sondern etwa schwarze oder braune Arbeitspferde für das Volk, wie das Wesen dieses Gottes der Fruchtbarkeit und des Ackerbaues erwarten läßt, während die rothen vielleicht unter dem Schutze Thors stehen mochten. Gleichwohl war auch in dem Haine Freyrs ein Orakel, in welchem doch das Roß wohl auch eine Rolle gespielt haben wird. Ueber die Pferdezucht in den wendischen Schwerinen, so wie in den Heiligthümern zu Rethra und Arkona habe ich früher gesprochen, und habe hier nur noch eine Bemerkung hinzuzufügen. Meine Erklärung des Namens Zwerin ist vielen anstößig gewesen, und auch Kenner der slavischen Sprache haben mir bemerkt, derselbe brauche nicht gerade als Aufenthalt wilder Thiere, Tiergarten, aufgefaßt zu werden, sondern könne direct Wildniß bedeuten, also synonym mit puczta sein. Das könnte ich annehmen, ohne daß dadurch in meiner ganzen Auffassung etwas Wesentliches geändert würde. Allein es steht einmal fest, daß mit dem Worte zwerina, zwerinice und ähnlichen Formen in allen slavischen Dialecten wirklich der Aufenthaltsort von Thieren: zwer, zwjre, poln. zwirze bezeichnet werden, und daß unter diesem letzteren Worte nicht bloß eigentlich wilde, sondern überhaupt große, starke Thiere zu verstehen sind, unter letzteren aber, kann ich jetzt hinzufügen, vor allen das mutige, starke Roß. In den alten böhmischen Glossarien wird nämlich das davon abgeleitete Wort swerepice, swerzepice, swrzepicze oder swerzyepyczye durch equirea, equiria, equaricia: Stuterei, übersetzt. Der letzte Theil des Wortes: pice, picze bedeutet pabulum, Futter, Weide, woraus hervorgeht, daß swere, swerze: Vieh, hier geradezu für Pferd genommen ist, also


1) Tacit. Germ. 9, 10.
2) Vgl. Grimm, Myth. S. 622.
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Pferdeweide, Pferdezucht 1 ). Hierdurch wird also meine Auffassung direct und entschieden bestätigt. - Bekannt ist, daß auch in einem Heiligthum zu Stettin ein weissagendes Roß gehalten ward, welches von schwarzer Farbe gewesen sein soll. Vielleicht ist hierauf auch der viel besprochene, aber immer noch nicht genügend erklärte, wendische Ausdruck kontina zu beziehen, der angeblich Tempel überhaupt bedeuten soll, aber nach seiner Bildung von kon: Roß und tyn: Gehäge, Hagen, Roßhagen bedeutet, also ganz unserm Dierhagen bei Ribnitz zu entsprechen scheint 2 ). Noch einen andern Ausdruck für dieselbe Sache werden wir unten kennen lernen.

Auch das Dorf Konow auf dem Wanzenberge im Amte Dömitz, das alte Connoburg, Hauptort der Smeldinger, welche 809 durch den Obotriten=Herzog Thrasiko mit sächsischer Hülfe zerstört ward 3 ), war sicher ein solches Heiligthum. Schon die dort befindlichen Salzquellen, die bei allen Völkern den Göttern geheiligt waren, läßt dies vermuthen. Es fehlt aber auch in der Umgegend nicht an Spuren dieser ehemaligen Bedeutung der Oertlichkeit, die ich indeß hier nicht weiter verfolgen kann. Merkwürdiger Weise hat sich gerade in dieser Gegend auch das wendische Wort kun, in der Bedeutung Stute, mit einem verächtlichen Nebenbegriff, im Munde des Volkes erhalten. - Von Kunow, Konow im A. Doberan weiß ich nichts hierher gehöriges zu bemerken. Ebenso wenig von Kanow im A. Fürstenberg, welches 1319 gleichfalls Kunow genannt wird.

Unser Konow war im Alterthum eine selbstständige Pfarre, welche später mit Carwitz combinirt ward. Im 15. Jahrhundert war der Ort ein Lehen der v. Feldberg auf Feldberg, welches mit dem Erlöschen dieses Geschlechtes im Stargardschen mit Heinrich und Henning Feldberg nach 1427 eines Theils auf die von Kerckow, ändern Theils auf die von Dalme überging. Letzterer Antheil ward 1464 auf die v. Manteufel übertragen, und 1505 von den Herzogen Balthasar und


1) Hanka, vetustiss. vocabularia latina-bohemica S. 5 (s. v. equa), 31 (v. 172), 67, 125 u. 180.
2) Hanka, 1. 1. p. 94, Vgl. mit Georg Palkowitsch, Böhm.=Deutsch. W.=B. s. v. tynjm: sepelire. Das Wort contina wird uns nur von Herbord, Vita Ottonis episc. Babenb. überliefert, welcher zugleich der einzige ist, der des heiligen Rosses erwähnt und den in Bezug hierauf gehörten Ausdruck vielleicht irrig für Heiligthum überhaupt nahm. Herbord selbst war nie in Pommern, hat auch den Bischof Otto nicht gekannt.
3) Chron. Moiss. 809 (Wigger, Ann. p. 9).
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Heinrich erkauft. Den Kerckowschen Antheil mit dem Schlosse Feldberg selbst erwarben 1471 flgd. nach und nach die Rieben auf Galenbek, welche ihn aber 1516 gleichfalls an die Herzoge Heinrich und Albrecht verkauften. Seitdem ist der Ort stets Domanium geblieben. Bei allen diesen Verhandlungen ist aber immer nur von dem Felde zu Konow und von den dazu gehörigen Holzungen die Rede. Das Dorf muß also früh untergegangen sein. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die ganze Feldmark mit altem Walde bedeckt, in welchem jedoch noch Trümmer des Dorfes vorhanden waren. Namentlich wird der Kirche erwähnt, welche noch heute steht, ein uraltes Bauwerk aus unbehauenen Felsen. Statt des alten Dorfes ist jetzt etwas weiter südlich auf wieder urbar gemachtem Waldboden ein Pachthof errichtet, bei welchem 1831 auch eine neue massive Kirche erbauet ward. Die früheren Kirchen= und Pfarrgrundstücke, namentlich sehr schöne Wiesenflächen am Zanzensee, find jetzt zu dem Hofe gelegt, aber auch die Pfarre und die Bauern zu Carwitz besitzen hier beträchtliche Wiesen.

Nur die ziemlich bedeutenden Höhen in dem südlichen Theile der Feldmark am Ufer des Carwitzer Sees sind noch mit schönem Laubholz bestanden. Hier liegt namentlich der sogenannte Siegesberg, an welchem sich die Sage von einer blutigen Schlacht knüpfen soll, die aber lediglich ein Product gelehrter Forschung ist. Es handelt sich um die Schlacht am Carrenberg bei Neuensund im Jahre 1399, welcher in Folge einer falschen Lesart bei Carwitz gesucht ward, wo sich denn auch glücklich ein Siegesberg fand, nämlich der Ziegenberg, niederdeutsch Zegenberg, wie er auf unserm Plane heißt und noch heute vom Volke genannt wird, während die Gebildeten noch immer von einem Siege träumen, den man aber jetzt dem Tilly, dem Zerstörer Neu=Brandenburgs, zuschreibt 1 ).

An die beiden Karpen, den kleinen Schwarzen See und den noch kleinern Bibel=See (Bibel ist eine Fischart), an welche ein alter Weg aus der Eisernen Pforte zu dem Heiligen Werder vorüber führte, knüpfen sich weiter keine Erinnerungen. Das östlich derselben gelegene Gebiet bis zu der alten Landesgrenze ist die Feldmark des untergegangenen Dorfes Bisterfeld, die aber im 16. Jahrhundert theilweise zu dem gleichfalls zerstörten Funkenhagen gerechnet ward. Auch diese Fläche war vollständig bewaldet und bildete mit der Feldmark Konow zusammen den eigentlichen Konower Werder, der oft Gegenstand


1) Vgl. Meklb. Jahrb. XI. 226 ff.
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von Jagdstreitigkeiten ist. Der Name wird aber auch auf unsern ganzen Gau, oder wenigstens den größern Theil desselben ausgedehnt, wogegen er jetzt auf die kleine Halbinsel im Carwitzer See beschränkt ist, welche auf unserm Plane das Lötche Werder genannt wird. Die gedachten Dörfer waren ehemals Pertinenzien von Werbende und im Lehnbesitze des Geschlechtes Kratz, aber gleich Konow schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wüst. Im Jahre 1435 ertheilte Herzog Heinrich dem Marten von Dören auf Rehberge und Wrechen die Antwartschaft auf die gesammten Lehen seines Stiefsohnes Gerke Kratz, Ludekens Sohne, und nach dessen unbeerbtem Absterben ward von Dören 1452 in den wirklichen Besitz dieser Güter gesetzt. Aber schon im nächsten Jahre nahm der uns schon bekannte Oswald von Dören, Martens Sohn, eben diese Güter, namentlich die Feldmarken Werbende, Funkenhagen und halb Bisterfeld von dem Kurfürsten Joachim von Brandenburg zu Lehn, und seitdem sind dieselben, des meklenburgischen Widerspruchs ungeachtet, bei Brandenburg geblieben. In dem commissarischen Berichte von 1578 wird jedoch von der Feldmark Funkenhagen nur der kleine Theil zwischen der "Landwehr von Zantes zum Mellen" und dem kleinen Fließ, welches aus dem Bibelsee durch das Widbraker Luh in den Mellen floß, und bei welchen die Feldmarken Konow, Bisterfeld und Funkenhagen zusammenstießen, also das Innere der Eisernen Pforte für Meklenburg in Anspruch genommen.

Nördlich von diesen Feldmarken liegen die Dörfer Fürstenhagen und Fürstenau innerhalb unsers Gaues. Fürstenau besaßen 1326 anscheinend die von Blankenburg als meklenburgisches Lehn. Später gehörte es der Linie von Dewitz zu Templin, welche im 16. Jahrhundert ausstarb, worauf die Wittwe des letzten Besitzers nach dem Berichte der Bauern zu Fürstenhagen zu ihrer Schwester, der Aebtissin des Klosters Boitzenburg, zog und von dort aus die geringen Aufkünfte des bereits wüsten Dorfes als Erbjungfrau bezog. Nach ihrem Tode hätten dann die von Arnim als Inhaber des Klosters das Dorf eingezogen und von Brandenburg zu Lehn genommen, da die von Dewitz zu Pripert, als die nächsten Agnaten, versäumt hätten, sich zu melden. Ein Theil der Feldmark war im Besitze der Bauern von Fürstenhagen, welche ihre Pächte an die von Arnim entrichteten. Das große wüste Dorf hatte am Klantz=See gelegen, wo die Ruinen desselben, namentlich die alte Kirchhofsmauer, noch zu sehen war. - Fürstenhagen, neben

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Wittenhagen der einzige im 16. Jahrhundert noch bewohnte Ort des ganzen Gaues, stand noch unter Meklenburgischer Hoheit, und ist auch in unserm Besitze geblieben, obwohl die von Arnim auf Boitzenburg schon 1535 Ansprüche darauf machten, und wirklich die Pacht der Bauern erhoben und später selbst die Jurisdiction daselbst ausübten, was denn den Hebel zu immer neuen Streitigkeiten gab. Die Bauern wußten darüber eine ganz ähnliche Geschichte zu erzählen, wie von Fürstenau. Vor langen Jahren sei Vincent Kule, der letzte seines Geschlechtes 1 ), Inhaber des Dorfes gewesen, dessen Tochter und Erbjungfrau im Kloster zu Boitzenburg gelebt und die Pächte erhoben hätte, welche dann nach ihrem Tode aus Nachlässigkeit der Beamten zu Feldberg bei dem Kloster geblieben seien, obwohl das Lehn den Herzogen heimgefallen. Man möchte glauben, daß Vincent Kule beide Güter besessen, und seine Tochter mit der Wittwe von Dewitz identisch gewesen sei. Der Ort liegt an dem kleinen Wutzen, aus welchem ein kleiner Bach, der früher eine Mühle trieb, in den Zanzensee abstießt, und hatte früher ein festes, auf einer Insel des Sees liegendes Schloß, welches in Folge des Templiner Friedens mit Brandenburg vom Jahre 1315 gebrochen werden mußte. Der alte Burgwall, auf welchem im 16. Jahrhundert die Kulen noch gewohnt haben sollen, und welcher 1565 der Hanenweder (st. Werder) genannt wird, ist noch gegenwärtig vorhanden. Die Kirche ist jetzt in Folge eines Vertrages mit Preußen nach dem ukermärkischen Dorfe Weggun eingepfarrt.

In der nördlichsten Spitze unseres Gaues vor dem nordwestlichen Passe am Postmoor liegt das schon erwähnte ehemals Krazische, seit 1435 von Dörensche Gut Werbende, welches nach den Angaben der Bauern zu Fürstenhagen bald nach dieser Zeit durch bewußte Felonie 2 ) der damaligen Besitzer in die Brandenburgische Lehnshoheit übergegangen ist. Im 16. Jahrhundert war es nebst der Pertinenz Schave oder Schawe schon seit langer Zeit wüst, ist aber jetzt weiter östlich am Parmschen See wieder aufgebauet. Das Dorf Schave lag jenseits der Landwehr aber auch eine diesseits gelegene, zu Werbende gehörige Waldung ward die Schaue genannt.


1) Nach einer andern Angabe von 1565 wäre das Geschlecht mit Dinnies Kule erloschen.
2) Die Bauern geben an, von Dören habe einen Theil der wüsten Feldmarken vorher ihnen zu Kauf angeboten, und die Commissarien setzen hinzu, das Angebot sei sogar den Herzogen selbst gemacht worden.
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Westlich von dem Heiligen Werder, zwischen dem Wutzen= und Zanzensee und dem großen Luzin, d. h. dem flachen See, liegt das Lehngut Wittenhagen mit seiner ansehnlichen Feldmark. Es wird urkundlich zuerst im Jahre 1332 genannt, und war mindestens seit 1545 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ein Lehn der von Tornow auf Lichtenberg, von welchen die dazu gehörige Meierei Tornowhof noch heute den Namen trägt. Aber auch die von Ihlenfeld, von Dören und von Warburg erwarben zeitweise Antheile in Wittenhagen. Die alte, in Form einer Rotunde erbauete, massive, aber thurmlose Kirche des Ortes ist eine Mutterkirche, früher vermuthlich mit Konow und nach dessen Untergang mit Carwitz combinirt. An der südlichen Grenze von Wittenhagen, wo sich der Luzin= und der Zanzensee bis auf etwa 120 Ruthen nähern, liegt auf unserm Plane, die schmale Landenge völlig abschließend, der Heunenwall, ein noch jetzt, wenn auch nicht mehr unter diesen Namen, vorhandener wahrer Riesenbau, der in Meklenburg einzig in seiner Art sein dürfte. Mein Gewährsmann berichtet darüber folgendes: "Vom Schmalen Luzin geht ostwärts oder genauer nach Ost=Süd=Ost in einem leisen Bogen mehrere 100 Schritte lang ein mächtiger Wall. Felsblock ist auf Felsblock geworfen. Es ist so eine Hügelreihe entstanden, die durchaus den Eindruck macht, als sei sie von starker Menschenhand gebildet. Die Hügelreihe hat eine hohe, durchaus gleichmäßige Bildung. Die mächtigen Steine sind auf der Oberfläche mit uraltem Moose überzogen. Wenn man diesen Hünenwall mehrere 100 Ruthen (!) durch den wunderschönen Wald verfolgt hat, so kommt man auf ein Torfbruch, dann auf ein zweites, beide ursprünglich gewiß Seen. Südlich von diesen ziehen sich aber natürliche Hügel hin, bis zum Zanzensee. Dort am hohen, schroffen Ufer liegt der umfangreiche sogenannte Hünen=Kirchhof, südwärts von einer langen, gebogenen, von Feldsteinen ohne Mörtel gebildeten Mauer, welche deutlich die frühern Eingänge zeigt, umgeben, während nach Norden natürliche Hügelzüge die Grenzen bilden. Im Innern dieses Raumes liegen eine Menge großer, flacher Steine umher, deren einer z. B. dreieckig ist, die 3 Seiten nach Innen gebogen, die Spitze abgerundet, ein anderer eine Kreisform bildet, mit einem Kreisabschnitt an einer Seite. Vor Jahren sind hier einige Steine gesprengt worden, aber Nachgrabungen sind nicht angestellt. Durch diese Anlagen war also die ganze Landenge gegen Süden stark geschützt durch den mächtigen Wall, die Brüche oder

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Seen und die Hügelreihe dahinter endlich durch den "Hünenkirchhof". Nach dieser Schilderung möchte ich den sogenannten Kirchhof, von welchem man eine wahrhaft prachtvolle Aussicht über die benachbarten inselreichen Seen genießt, eher für einen Opferplatz oder ein einfaches Befestigungswerk halten. Uebrigens steht auf beiden Seiten des ganzen Hünenwerks noch jetzt, wie im 16. Jahrhundert, ein alter wundervoller Buchwald, für den sich auch der Name Hurlebusch noch erhalten hat, der aber jetzt verkauft ist und abgeholzt werden soll. In der nordöstlichen Ecke, gleich hinter dem Kirchhofe, nahe am Zanzensee, ist noch der zu Wittenhagen gehörige kleine, aber tiefe und von dichtem Walde eingeschlossene Zartisen (jetzt Zarteisen) zu erwähnen, der früher durch aeinen Reichtum an Fischen, namentlich großen Maränen und Welsen berühmt war 1 ).

Nordwestlich von Wittenhagen auf der gegenüberliegenden Seite des schmalen Luzins zeichnet Til. Stella den See Reczow, welcher gegen Nordost an 2 Stellen, zu beiden Seiten der halbmondförmigen bewaldeten Insel Eichholtz, mit dem breiten Luzin in Verbindung steht, und in welchem sich von Südwest her eine Halbinsel mit sehr schmalem dammartigen Eingang erstreckt. Auf dieser Halbinsel liegen der Flecken und die Burg Feldberg. Der See ist also der heute sogenannte Feldberger Haussee, dessen Gestalt aber gegenwärtig von dieser Zeichnung wesentlich abweicht, und kaum jemals so beschaffen gewesen sein kann, wenn man auch zur Zeit der Aufnahme unseres Planes, während der oben gedachten großen Ueberschwemmung, einen bedeutend höhern Wasserstand voraussetzt, der allerdings auch an andern Stellen nicht zu verkennen ist. Dieser See mit seinen Inseln scheint seiner Lage nach mit zu unserm Tempelgau gerechnet werden zu müssen, scheint aber im Alterthum nicht bewohnt gewesen zu sein. Der Ort ist sicher eine Gründung des ritterlichen Geschlechts von Feldberg, welches zwar schon im 13. Jahrhundert wiederholt unter markgräflich brandenburgischen Zeugen, und zwar auch in stargardischen Urkunden, genannt wird, woraus jedoch nicht folgt, daß es hier auch angesessen gewesen und speciell in Feldberg gewohnt habe, da auch


1) Außerhalb unsers Gaues bei Wrechen liegt auch ein "Buchisen". Die Feldberger Seen zeichnen sich alle durch Fischreichthum aus. Mehrere führen ihren Namen nach besondern Fischarten, wie der Karpen= und der Bibelsee. Die Fischerei auf dem obern Zanzensee war noch im 17. Jahrhunderte Jedermann gestattet, der Wutzen aber war ein "Hegesee".
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in Brandenburg im Lande Bellin ein Ort dieses Namens liegt, der diesem Geschlechte gleichfalls seinen Namen danken wird. Selbst das Auftreten des Henning von Feldberg unter den Bürgen des Wittmannsdorfer Vertrages von 1304 beweiset nichts, da das Geschlecht auch anderweitig in der Gegend von Lichen angesessen war. Der Ort Feldberg wird zuerst 1420 genannt 1 ). Die dortige Burg, das jetzige Amtshaus, wird also kaum vor der Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut sein. Die letzten des Namens auf dieser Burg, zu der, wie wir gesehen haben, auch Besitzungen auf dem Konower Werder gehörten, waren Heinrich und Henning von Feldberg, welche ihre stargardischen Güter schon in dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts verloren, worauf die von Manteuffel und von Kerkow, später die von Rieben ihre Lehnssuccessoren wurden. Nachdem die Herzoge Heinrich, Balthasar und Albrecht die Burg mit allen Pertinentien in den Jahren 1505 und 1516 erworben hatten, ward dieselbe Sitz eines kleinen Amtes, zu welchem 1519 nur Carwitz, Hanow, Wittenhagen, Tripkendorf, Loven, Mechow, Westendorp (Weitendorf ?) und Hinrichshagen (in der Parochie Carwitz, etwa Neuhof?) gehörten. Der durch den Luzin nach Wittenhagen führende Damm ist erst im Jahre 1847/48 aufgeschüttet, wogegen dessen Fortsetzung zwischen dem Wutzen= und dem Zanzensee schon auf unserm Plane angegeben ist und in den Acten als ein Furt bezeichnet wird. Der auf diesem Plane am Nordwestufer des breiten Luzin in der Nähe von Schlichte gezeichnete mächtige Burgwall, der heutige Schloßberg, ist dagegen ohne allen Zweifel heidnischen Ursprungs und vermutlich eine Redarische Grenzfeste.. Gelegentlich erwähne ich hier noch eines im Jahre 1640 genannten Münchenwerders im Luzinsee, der zu Lichtenberg gehörte, welchem gegenüber auf dem östlichen Ufer des Sees aber die Tornowen zu Wittenhagen eine Wiese besaßen, welche das Münchbruch genannt wird, die einzige Erinnerung an die christliche Geistlichkeit in dem ganzen Gaue.

Endlich gegen Süden von dem Hünenwall bis zum Carwitzer Bach liegt die wüste Feldmark Honow oder Hanau. Das Dorf wird im 14. und 15. Jahrhundert oft genannt.


1) Der Ort Veltberg, wo Bischof Heinrich v. Havelberg am 14. Oct. 1256 eine Urkunde ausfertigte (Mekl. U.=B. II, No. 777), un welcher in dem Ortsregister für das stargardische Feldberg genommen wird, ist ohne Zweifel das bei Fehrbellin, wo der Bischof eine Curie besaß, während unser Feldberg zum Brandenburger Sprengel gehörte.
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1416 war es ein Lehn der von Kerkow zu Feldberg; 1473 ward Vicke Riebe mit den Gütern des ausgestorbenen Geschlechtes Tripkendorf zu Tripkendorf und Hanow belehnt; 1519 aber, nach der Erwerbung der Burg Feldberg durch die Herzoge, war auch Hanow mit 5 besetzten und 3 wüsten Bauern nebst einem Katen in fürstlichem Besitze. Bald darauf wird es ganz eingegangen sein. Auf dieser Feldmark liegt nach Stella's Zeichnung, Carwitz gegenüber, auf 3 Seiten von dem Luzin, dem Carwitzer und dem Zanzen=See eingeschlossen, der hohe und steile Wartberg, jetzt Barschberg genannt. Der Berg besteht nach der mir gewordenen Beschreibung aus "2 Abstufungen, einem Plateau und einer höhern runden Spitze. An der Südseite läuft von der obern Spitze bis zu dem Plateau eine Terrasse aus Steinen dermaßen erbauet, daß man auf den Gedanken kommen möchte, starke Menschenhände seien in der Urzeit auch hier thätig gewesen." Im 30 jährigen Kriege soll hier ein protestantischer Hauptmann den Paß über die Carwitzer Brücke gegen das über den Siegesberg kommende Tyllische Heer vertheidigt haben, woher die gedachte Spitze des Berges der Hauptmannsberg genannt wird. Derselbe beherrscht die ganze Umgegend, weßhalb hier nach dem Freiheitskriege am 18. Octbr. das Freudenfeuer zu brennen pflegte.

Am Fuße dieses Berges, in dem Carwitzer See, zwischen Carwitz und Konow, zeichnet T. Stella 2 kleine Inseln, das Wonwerder, zunächst am Carwitzer Ufer, und das Bodenwerder, nahe dabei gegen Nordost. Es sind aber ihrer fünfe, von welchen die größere, Stella's Wonwerder, auf der Schmettauischen Karte und noch heute Bodenwerder oder nach dortiger Mundart Bonwerder genannt wird, und "durch einen Forth mit dem Festlande verbunden ist." Darauf folgt nach Norden zunächst unter dem Wartberge der Flachs=, jetzt Jäger=Werder; daneben ostwärts in klarem Wasser der große und darunter nach Südwesten der kleine Stein=Werder, letzterer jetzt anscheinend der Buller=Werder genannt, endlich wieder nördlich vom großen Stein=Werder, zunächst am Konower Ufer unter dem Ziegenberge, der kleine Sagen=, jetzt Gänse=Werder. Die beiden Stein=Werder werden jetzt beackert. Bei den Bewohnern von Carwitz geht nun die Sage, diese Inseln seien im Alterthum sowohl unter sich, als mit den beiden Ufern des Festlandes durch Brücken verbunden gewesen, indem man sich darauf beruft, daß noch jetzt bei stillem Wasser die Stümpfe der Brückenpfähle zu sehen seien. Dies letztere

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wird nun allerdings durch Herrn Amtsverwalter Seyberlich in Feldberg bestätigt, der angebliche Brückenbau ist aber gleichwohl durchaus unglaublich, da die Feldmark Hanau in der Nähe des Wartberges, also unmittelbar neben den Inseln, nur durch einen schmalen Wasserlauf, jetzt der Carwitzer Bach genannt, von Carwitz getrennt ist, jener kolossale Brückenbau also durchaus zwecklos gewesen wäre. Es scheint mir daher die Frage gerechtfertigt und einer nähern Untersuchung werth, ob wir es hier nicht vielmehr mit Pfahlbauten zu thun haben, wozu dieser Seebusen sehr geeignet zu sein scheint. Der Hauptpunkt, worauf vor allem das Augenmerk zu richten sein würde, ist der große Stein=Werder, woran vorzugsweise die Sage haftet. Derselbe hat eine ansehnliche Höhe und war in ältern Zeiten ganz mit Felsen bedeckt, wovon ein großer Theil des Ackerbaues wegen in den See versenkt worden, aber noch eine große Zahl übrig geblieben ist, die zum Fortwälzen zu riesig waren. Hier ist schon oft nach Schätzen gegraben, und am Ufer sind wiederholt Eisenstücke und Waffen, namentlich ein angeblicher Officierdegen, gefunden, die man wieder auf den 30jährigen Krieg und die Schlacht auf dem Siegesberge bezieht, die aber vielleicht, wenigstens theilweise, aus viel älterer Zeit stammen mögen. Jedenfalls stimmen auch diese Anlagen durchaus zu den sonstigen Hünenbauten dieser Gegend, welche beweisen, daß unser Heiligthum nicht erst durch die Slaven, auch nicht durch ihre nächsten Vorgänger, die Germanen des Tacitus, angelegt ward, sondern in das höchste Alterthum zurück reicht.

Oben ward die ursprüngliche politische Einheit unserer Landschaft, die nothwendige Voraussetzung meiner Auffassung derselben als Tempelgau, bereits nachgewiesen, indem ich zeigte, daß der jetzige brandenburgische Antheil erst im 15. Jahrhundert durch Felonie meklenburgischer und Gewaltthätigkeiten brandenburgischer Vasallen von Meklenburg abgerissen worden sei, indem gleichzeitig die ganze Umgegend weit und breit durch die brandenburgischen Raubfehden, nicht erst im 30jährigen Kriege, wie man anzunehmen pflegt, in eine Wüstenei verwandelt worden war. Es bleibt mir nun noch die Frage zu erörtern übrig, welcher Völkerschaft zur Zeit der Slaven unser Heiligthum angehörte. Die oben angeführte Stelle bei Thietmar, wonach sich in jeder Herrschaft nur ein National=Heiligthum befand, läßt es nicht zu, an die Redarier zu denken, deren Haupttempel zu Rethra bereits gefunden ist, und für einen bloßen Gautempel, deren

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es viele gegeben haben wird, ist die ganze Anlage entschieden zu großartig. Dazu kommt, daß diese Gegend nicht zu dem Bisthum Havelberg gehörte, dem das Land der Redarier zugewiesen war, sondern zu dem brandenburger Sprengel, gleich dem benachbarten Gaue Lichen, zu welchem in christlicher Zeit auch der Tempelgau selbst gehörte. Jener Gau wird aber ausdrücklich zur Ukermark gerechnet, obwohl er schon etwas früher mit Brandenburg verbunden war, als die übrige Herrschaft. Auf die alte Grenze dieses Landes kommen wir gleich zurück. Hier genügt uns, zu wissen, daß Feldberg, Carwitz, Lobbene (Loven, jetzt Laeven) und das untergegangene Rosenberg (nach Stella's Karte südwestlich in der nächsten Umgebung von Feldberg) nach der brandenburger Matrikel von 1459 ausdrücklich zu diesem Sprengel, und zwar zur Sedes Templin gehörten. Konow und die übrigen Ortschaften des Tempelgaues sind hier nicht genannt, vermuthlich weil sie bereits zu Carwitz gerechnet wurden. Es scheint daher nicht zweifelhaft, daß wir hier das National=Heiligthum der Ukrer vor uns haben.


4) Weitere Grenzen gegen die Ukrer, Rezener und Tholenzer mit dem Rezenischen Heiligthume Zarnitz.

Nach dem Schlusse des vorhergehenden Abschnitts wird also die Grenze des Redarier=Landes gegen die Ukermark durch den großen Luzin gegangen sein, so daß unser Tempelheiligthum ausgeschlossen blieb. In dem Berichte Tilem. Stella's wird nun die weitere Landesgrenze gegen Brandenburg von dem Carwitzer See und dem Drez längs des obenbeschriebenen Walles quer über den Bergrücken, welcher den Drez und den Krüselin scheidet, durch den letztern nach Mechow und weiter im Wesentlichen mit der heutigen Grenze übereinstimmend bis zur Havel bei Fürstenberg gezogen. Dies ist aber keine alte Völkergrenze, da das ukermärkische Land Lichen, welches 1304 mit Stargard an Meklenburg kam, 1442 aber theilweise, namentlich die Stadt Lichen selbst und das Kloster Himmelpfort, von Brandenburg zurück erobert ward, entschieden weiter nach Norden in die heutige Herrschaft Stargard hinein reichte. Im Jahre 1305 wurden dem Kloster Himmelpfort unter anderm die Dörfer Karstavel und Linow, sowie die Seen Dabelow und Brüggentin im Lande Lichen verliehen

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und durch einen Rechtsspruch von 1480 bestätigt 1 ). Nach der Matrikel des Bisthums Brandenburg von 1459 2 ) gehörten ferner außer den schon besprochenen Ortschaften Carwitz, Loben und Rosenberg namentlich noch die Dörfer Wabeger (Labecker?), Tripkendorf, Hasselförde, Gnewitz und Dabelow im heutigen Stargard zum brandenburger Sprengel, mithin zu Lichen. Dagegen wird Gronow, jetzt Grünow, 1417 ausdrücklich zu Havelberg, also zu Stargard gerechnet, ebenso Bergfeld. Zu weit geht jedenfalls Boll 3 ), wenn er die nach einer Urkunde von 1393 "in der Haide" belegenen 19 Dörfer sämmtlich zum Lande Lichen rechnet, darunter namentlich Grammentin, Wustrendorp (Wulschendorf), Goldenbaum, Carpin und Weitendorf, zum Theil noch nördlich von Grünow und Bergfeld. Offenbar ging die Grenze vielmehr mitten durch die Haide, wo uns ein natürlicher Wasserlauf aus dem langen See bei Dolgen (dolhj, dolgy: lang) nordwestlich von Feldberg bis zur Havel hinab die Richtung zeigt. Nur von dem Feldberger Haussee bis zum Dolgen=See ist die Grenze unklar, doch scheinen nach den Karten auch hier Sümpfe, ein kleiner See und ein Bach, bei Lüttenhagen vorbei, eine natürliche Grenze zu bilden, die durch Kunst verstärkt sein mochte. Ungefähr auf der Mitte des nordwestlichen Ufers des Dolgen=Sees fließt dann der erwähnte Bach in einem Bogen zu dem sogenannten Oberteich in der Nähe von Grünow, anscheinend eine künstliche Aufstauung, durch welche über den Damm der Steinmühle bei Goldenbaum ein Engpaß führt. Weiter geht der Bach durch den Unterteich über die Goldenbaumsche Mühle zu dem Grammentinschen Teiche. Ganz in der Nähe des letztern entspringt aus einem kleinen See bei der Hasselförder Mühle ein zweiter Bach, welcher eine Zeit lang mit dem Dolgen=Bach parallel fließt, sich dann aber weiter südwestlich wendend bei Fürstenberg die Havel erreicht, wo der Paß von Steinförde in den Rezenischen Gau Turne führte. Zwischen diesen beiden Bächen lag nun die alte Johanniter=Komthurei Gardow, mit alleiniger Ausnahme des später erworbenen altstargardischen Dorfes Wokul, woraus es sich erklärt, wie hier schon im 15. Jahrhunderte Grenzstreitigkeiten entstehen konnten. Die Ritter hielten sich ohne Zweifel zu Meklenburg, wo ihre übrigen Besitzungen lagen, obwohl auch das Kloster Himmel=


1) Lisch, Jahrb. IX, 44-45.
2) Riedel, Cod. dipl. Brand. A. VIII. 420.
3) Gesch. v. Starg. 1, 57.
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pfort hier mitten zwischen den Komthureigütern alte zu Lichen gehörige Güter besaß. Wirklich bildet auch noch heute dieser südlichere Bach die meklenburg=brandenburgische Landesgrenze, obwohl der Streit im Uebrigen 1480 für das Kloster entschieden ward. Der nördliche, eigentliche Grenzbach dagegen fließt von dem Grammentinschen Teiche durch den Godendorfer (früher Minnower) See über den Paß bei Düsternforth in den Drevin= oder Dreven=See, und durch diesen bei Arensberg in die Havel. Künstliche Vertheidigungswerke weiß ich auf dieser Linie nicht nachzuweisen, da es hier an alten Nachrichten fehlt, obgleich die verschiedenen genannten Pässe und Förde alte Bergfrieden voraussetzen lassen.

Von Arensberg ab kann der weitere Grenzzug die fast von der Quelle an nicht unbedeutende Havel hinauf nicht zweifelhaft sein. Desto schwieriger ist es hier, die Völkerschaften bestimmt nachzuweisen, welche durch den Fluß geschieden wurden. Als Grundlage der Untersuchung ist indeß die zuerst von Boll 1 ) aufgestellte, entschieden richtige Ansicht festzuhalten, daß etwas weiter hinab am rechten Ufer der Havel in der Gegend von Fürstenberg im 10. Jahrhundert die wiederholt zwischen den Havellern, Ukrern und Redariern genannte Herrschaft Rezene, der Sitz der Riazianer oder Rezener, lag. Ich glaube aber weiter gehen und die Grenzen dieser Völkerschaft auch über die Gaue Wesenberg mit der Lize und Turne in dem ganzen Umfange der späteren Komthurei Mirow zwischen der Müritz und der Havel bis zu dem Ursprunge des Flusses ausdehnen zu müssen 2 ). Dem scheint freilich zu widersprechen, daß die Rezener bei der Gründung des Bisthums Brandenburg 949 gleich den Ukrern dessen Sprengel zugewiesen wurden, das von mir bezeichnete Gebiet aber im 13. Jahrhundert sicher größtentheils zum Bisthume Havelberg gehörte. Die kleine Völkerschaft ist aber augenscheinlich schon während des 11. und 12. Jahrhunderts durch die mächtigern Nachbaren zersprengt, da sie niemals handelnd auftritt, und überhaupt nur noch 2 Mal in den päpstlichen Bestätigungsbullen für das Bisthum Brandenburg von 1161 und 1180 nach dem Wortlaute der ältern Bullen genannt wird. In Folge dieser politischen Veränderung werden denn auch die alten Sprengelgrenzen bei der Wiedereinführung des in diefer Gegend


1) Gesch. von Stargard I, 58.
2) Vgl. über diese Gegend, welche noch am Ende des 12. Jahrh. vollständig wüst lag, Lisch, Mekl. Jahrb. II, 87 ff. u. XXIII, 21 ff.
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lange Zeit hindurch völlig zerstörten Christenthums nicht fest gehalten sein. Das ehemalige Rezem kehrte vielmehr zum Bisthum Havelberg zurück, dem es ursprünglich 946 zugewiesen war, und zu welchem auch seine nunmehrigen Inhaber, mögen dies die Redarier, die Tholenzer oder die Muritzen oder alle 3 gemeinschaftlich gewesen sein, gehörten. Nur in der nächsten Nachbarschaft von Fürstenberg erhielt sich am rechten Ufer der Havel ein kleines Bruchstück der zerstörten Herrschaft unter dem Hirtenstabe des Bischofs von Brandenburg, bei den jetzigen, ganz veränderten Verhältnissen offenbar eine Anomalie. Ein ähnliches Durchbrechen der ältern Sprengelgrenze durch die politischen Ereignisse sehen wir gerade in eben dieser Gegend noch zu Anfang des 13. Jahrhunderts, als durch das Vordringen der Herren von Werle über die Müritz bis zur Havel auf einige Zeit auch das Bisthum Schwerin bis dahin ausgedehnt ward, während gleichzeitig die siegreichen Waffen der Pommerfürsten das Bisthum Camin über die Pene in die Circipanischen und einen Theil der Tholenzer Gaue einführten.

Am linken Ufer der Havel dagegen lag der später mit dem Ländchen Arensberg verbundene redarische Gau Strelitz. Der zunächst an dem Flußufer liegende Theil dieses Gaues ward früh als wüstes Land an geistliche Stiftungen verliehen. Schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts, um 1170, hatte der Herzog Kasimir von Pommern, als damaliger Besitzer des Landes der Redarier, in einer nicht erhaltenen Urkunde dem Kloster Broda daselbst umfängliche Güter verliehen, die sein Bruder Bugislav 1182 bestätigte. Darnach lagen dieselben zwischen der Havel und den Grenzen der Gaue Chotibanz und Lipitz, und in der falschen Urkunde von 1170 wird als südlichste Grenze der See Woblesko bei Wesenberg angegeben, welcher noch heute der Woblitz=See genannt wird 1 ). Später - die Zeit ist nicht bekannt - waren diese Güter auf das Kloster Stolpe übergegangen, welches dieselben 1346 an den Ritter Otto von Dewitz verkaufte. Hier werden die Güter Woserin (Userin), Quassow und Gor genannt, und als Grenzen der von der Havel durchflossene See Vylym (der Useriner See), das Fließ abwärts bis zur Havel, ferner der aus dem Cyroch (Zierker See) kommende Bach (bei seiner Mündung in den Woblitz) aufwärts bis in den Cyroch, von dort das Bruch aufwärts bis in


1) Mekl. U.=B. I, No. 95 u. 135.
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die (Zierker) Haide, und durch dieselbe wiederum bis in den Vylym 1 ).

Auf diesem Grenzzuge von dem Dreven=See die Havel aufwärts durch den See Woblitz treffen wir zunächst am nordwestlichen Ende dieses Sees bei der Mündung des Flusses in denselben, und zwar am rechten Flußufer einen bedeutenden heidnischen Burgwall, ohne Zweifel die rezenische Grenzfeste Woblitz. Von dort den Fluß aufwärts durch den großen Labus treffen wir zwischen diesem und dem Vylym bei der Useriner Mühle einen zweiten festen Paß. In der nordwestlichen Bucht des Useriner Sees, der den besondern Namen Zirze führt, vereinigen sich dann die beiden obern Arme der Havel, welche, verschiedenen nahe bei einander liegenden Quellen entspringend, eine merkwürdige kleine Landschaft beinahe ganz einschließen, die wir uns näher betrachten müssen.

Auch dies Gebiet, worin ich das alte rezenische Heiligthum zu erkennen glaube 2 ), ward frühzeitig geistlichen Stiftern, namentlich dem Kloster Dargun, verliehen, wobei die Grenzen desselben genau beschrieben werden. Am 14. Octbr. 1256 verlieh der Bischof Heinrich von Havelberg, welcher erst in dem Jahre zuvor diese Gegend durch Vergleich mit dem Bischof von Schwerin seinem Sprengel wieder einverleibt hatte, dem Kloster den Zehnten aus den 4 Dörfern Werdere, Arnoldesthorp, Granzin, Techentin und Blankenfort, welche das Kloster kurz zuvor von den werlischen Lehnsbesitzern erkauft hatte. Im nächsten Jahre, am 6. Jan. 1257, fügte der Herr Nicolaus zu Werle sodann das Dorf Dalmerstorf mit


1) Jahrb. III, 234 vergl. mit S. 20. Auf diese Urkunde ist offenbar eine aus dem verlorenen Strelitzer Amtsbuche von 1569 entlehnte Nachricht zu beziehen, wornach die Grenze des Amtes "Strelitz also bezeichnet wird: "Von der Gurer Beke (bei dem Dorfe Gor) zwischen Trebbow (u. Quassow?), von da bis in die Zircke. Ferner (wieder von dem Gorer Bach ausgehend) in den Wubelitzer See, des Fließes aufwärts bis in den Labbus, ferner des Fließes aufwärts bis in den Wuserinschen Sehe, von dar weiter aus dem Kramtze und in den Wuserin (Langkavel ?), dat Feld zwischen den Peckateln und Maltzanen entlang bis wiederum in den Ziricker See."
2) Hiezu gehört der dritte dieser Abhandlung beigegebene Plan, welcher, gleich den beiden vorhergehenden, von meinem Sohn, dem Kammeringenieur, jetzt Senator Beyer zu Güstrow entworfen ist. Ihm verdanke ich auch die genauere Localkenntniß dieser Gegend, die er bei Gelegenheit einer amtlichen Grenzberichtigung im Jahre 1860 nach meiner Instruction im Interesse des Vereins einer antiquarischen Untersuchung unterwarf.
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dem halben See Kobolk, sowie das Eigenthum der übrigen Güter, unter welchen jedoch Arnoldestorf fehlt, schenkweise hinzu, und beschrieb deren Grenzen 1 ).

Die Urkunde beginnt bei dem See von Langkavel, jetzt Langhagen, aus welchem der eine zunächst nach Westen abfließende Havelarm seinen Ursprung hat, folgt diesem aber nicht, sondern wendet sich südlich an 3 bekreuzten Eichen vorbei über einen Berg und durch einen großen Sumpf zu dem Techentiner See hinüber, genau auf der jetzigen Grenze der beiden Großherzogthümer. Jene Höhe heißt der Bornberg, der große Sumpf das Kramzer Bruch, in welchem ein kleiner, jetzt Techentin genannter Teich liegt, der durch einen am Fuße des Bornberges entspringenden und in den jetzt sogenannten Kramtz=See abstießenden Bach gebildet wird. Die heutige Grenze berührt denselben nicht, sondern geht östlich daran vorüber an den rothen Graben durch den Ravensort in den genannten See. Dieser letztere, nicht jener kleine Teich, ist der Techentin unserer Urkunde. Ueber die Fischerei auf diesem See, welcher in der Urkunde ganz dem Kloster zugesprochen wird, ward im Jahre 1582 flgd. ein lebhafter Streit geführt, indem der Herzog Karl, als Inhaber des Amtes Mirow, wirklich den ganzen See in Anspruch nahm und behauptete, daß die herzoglichen Vögte zu Strelitz sich erst seit der Reformation eine Mitfischerei auf demselben angemaßt hätten. Die abgehörten Zeugen wissen nun zwar über die ältere Zeit nichts, geben aber einstimmig an, daß der See früher durch eine Linie vor dem Einfluß der Kramtzer Beke in den Useriner See bis zu dem rothen Baume (am rothen Graben) getheilt gewesen sei, und die Mirowsche Seite der Techentin, die Strelitzer Seite aber der Kramtz geheißen habe, ja, ein 82jähriger Greis nennt sogar den ganzen See Techentin.

Von diesem See an folgte die Grenze nach Angabe der Urkunde in einem Bogen der Havel aufwärts bis in den See Stouekow (circumfiectuntur per ascensum Hobole usque ad stagnum - Stouekow), freilich ein sehr allgemeiner und alle Einzelheiten überspringender Ausdruck, der gleichwohl verständlich genug ist, wenn man davon ausgeht, daß der erwähnte Kramtzer Bach, welcher nach den Acten des 16. Jahrhunderts neben einer Fischreuse noch Raum für 2 Fahrzeuge hatte, hier schon als Havel aufgefaßt wird. Die Grenze ging dann, ganz so, wie noch heute, von diesem Bach


1) Mekl. U.=B. II, No. 777 und 789. Vgl. Jahrb. II, 79 ff.
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in die Zierzer Bucht des Useriner Sees, wo derselbe mit dem Hauptarme der Havel sich vereinigt, und folgt nunmehr diesem Flusse aufwärts in westlicher Richtung durch den Gartow= oder Gortow=See an dem Paß von Blankenförde vorüber in den Gaten=, jetzt Jäthen=See, und von dort nordwärts aufsteigend bis zu der Mündung des oben erwähnten, aus dem Langhagener See kommenden Havelarms und weiter an diesem letztern auswärts in den heutigen Sevekow=See, den Stouekow der Urkunde. Durch diesen See und an dem kleinern Havelbach hinaufgehend traf die Grenze weiter den Weg von Wesenberg nach Granzin, welcher zugleich die Scheide zwischen Babick und Granzin bildete, und folgte von da ab einem im Sommer trockenen kleinen Bache zu dem Hauptarm der Havel zurück. Von hier an bildete dann wieder die Havel selbst am Ufer des hier nicht genannten Szozen=, jetzt Zützen=Sees herum bis in den See Paule, den heutigen Pavel = oder Paves=See, die Grenze.

Schon auf dieser Strecke weicht die beschriebene Grenze ein wenig von der Naturgrenze ab, indem sie von der Mündung des Stouekowbaches die Havel verläßt und erst kurz vor dem Zutzen=See wieder trifft, wodurch ein kleines Dreieck aus dem hier beschriebenen Gebiete ausgeschnitten wird. Unverkennbar gehörte dasselbe ursprünglich zu dem schon vor dieser Zeit untergegangenen Dorfe Stouekow, und war seitdem mit der Feldmark Babecke vereinigt. Bedeutender ist die nun folgende Abweichung, indem die Grenze der Urkunde vom Pavel=See ab nordwestlich in den See Ziruene, den heutigen Zilmann=See, gezogen wird und dann wieder der in der Urkunde genau zu verfolgenden heutigen Landesgrenze bis zu der Burg Zcarnitz am Dambeker (Dannenbeker) See folgt, also die dem Kloster mitverliehenen, aber außerhalb unsers kleinen Gaues liegenden beiden Feldmarken Granzin und Dalmerstorf mit umschließt 1 ). Statt dessen fließt die Havel aus dem Dambeker oder Pieverstorfer See, welcher als ihre Hauptquelle betrachtet wird, auf kürzerem Wege durch den kleinen Roth=See, den Cobolk, jetzt Kobelik=See, den Parpar, jetzt den Granziner und den kleinen Krinker= oder Schulzen=See in den gedachten Pavel=See.

Von der Ostseite des Dambeker Sees endlich folgt die Grenze unserer Urkunde abermals genau der heutigen Landes=


1) Jahrb. XXXIII, 24 ff.
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grenze durch das Lieper Thal (an dem Lieper oder Krummen=See) über den Weg von Stargard an dem kleinen Boden=See vorüber in ein Thal, welches Markgrafen=Bude genannt wird, vermutlich am großen Boden=See, in welchem die vierte Havelquelle liegt, und endlich durch einen Sumpf bis (usque) Kobolk, d. h. der Feldmark des untergegangenen Dorfes Kobelich, wie sich weiter unten zeigen wird. Hier bricht die Beschreibung ab, ohne den Ring zu schließen, welche Lücke aber sicher durch die gegenwärtige Landesgrenze vom kleinen Boden=See in den Langhagener See ausgefüllt wird. Diese von der Natur selbst scharf vorgezeichneten Grenzen umschließen ein Gebiet von etwa 1/2 bis 5/8 □Meilen.

Betrachten wir uns jetzt das Innere dieses Gebietes. Hier tritt uns als ein Hauptpunkt die schon in der Urkunde genannte Burg Zarnitz (castrum Zcarnitz) d. h. die schwarze Burg entgegen. Dieselbe lag in einer Bucht am Südufer des Dambeker Sees, wo noch heute der mächtige Burgwall schon aus weiter Ferne zu erkennen ist. Der eigentliche, durch tiefe Gräben geschützte Wall liegt auf einer natürlichen, nach allen Seiten steil abfallenden und von See und Sumpf eingeschlossenen Hochebene, auf welcher sich noch einige kleinere Hügel erheben, die aber von dem Burgwall weit überragt werden. Zu dieser Höhe, auf welcher jetzt ein Signal der neuesten trigonometrischen Vermessung steht, führt nur von dem Dorfe Krazburg her ein einziger schmaler Zugang. Auf dem Walle selbst finden sich ungesucht eine große Menge der bekannten, mit Granitgruß durchkneteten, grobkörnigen, heidnischen Scherben und gebrannte Lehmklumpen. Auch hat Herr Staatsminister, Freiherr von Hammerstein neuerdings ein steinernes Messer auf demselben gefunden. Ist meine Vermuthung richtig, daß hier in dem im Alterthum oft genannten und besonders hervorgehobenen Quellengebiet der Havel ein wendisches Heiligthum gelegen habe, so kann der Tempel nur auf dieser Zarnitzburg gestanden haben. In einem Wiesengrunde am Nordufer des Köbelik=Sees liegt das Dorf Krazburg, gewöhnlich Klasburg gesprochen, zu dessen Feldmark der Burgwall gehört. Krazburg hieß in den Urkunden von 1256 und 57 Werder, slavisch also vermutlich Wustrow, und wird auch noch in der Urkunde der Herren Nicolaus und Johann d. A. und Johann d. J. von 1314 villa Werder genannt, jedoch mit dem Zusatze: que nunc Cracebork nuncupatur. Diese Veränderung des Namens erklärt die Sage durch die Erbauung einer neuen Burg in dem Dorfe durch das Geschlecht der Kraze,

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welches uns schon aus dem Konower Werder bekannt ist. Der noch erhaltene Burgplatz oder Schloßberg, jetzt eine Büdnerei, ist fast rund und 15 Fuß hoch und hat etwa 25 □R. Grundfläche, auf welcher früher verschiedene eiserne Waffen, besonders aber Pfeilspitzen, in großer Menge gefunden worden sind, auch jetzt noch zahlreiche Bruchstücke alter Ziegelsteine zerstreut umherliegen. Auf der Seite von dem Dorfe her befand sich bis vor wenigen Jahren ein Eingang in einen unterirdischen Gang, welcher nach der Sage unter den kleinen Rothsee und den Dambeker See, also auch unter die Burg Zarnitz hindurch nach der Burg Ankershagen geführt haben soll. Der letzte Besitzer hat denselben verschütten lassen, weil ihm nach seiner Behauptung ein schwarzer Kater das Betreten des Gewölbes verboten habe. Andere reden von Schätzen, oder flüstern gar, mit Hindeutung auf den geheimnißvollen Gang, von dem einstmaligen plötzlichen Verschwinden eines fremden, reichen Viehhändlers in Krazeburg.

Der Berg wird übrigens von den Bewohnern des Ortes und der Umgegend niemals Krazeburg genannt, sondern allgemein und ausschließlich der Schweriner Berg. Dieser auf den ersten Blick in dieser Gegend überraschende Name hat indeß, wie ich, um künftigen Mißverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich bemerken will, durchaus keine antiquarische Bedeutung, und namentlich keinerlei Beziehung auf die heiligen Schwerine, sondern verdankt seinen Ursprung einfach dem Umstande, daß die Burg, nach Abtretung der Komthurei Mirow mit dem Dorfe Krazburg an die strelitzische Linie unsers Fürstenhauses, noch längere Zeit im Besitze der Herzoge von Meklenburg=Schwerin blieb. - Wirklich bedeutungsvoll für unsere Untersuchung ist dagegen der Name des Sees Kobelik, oder vielmehr des Ortes, wornach der see benannt ward, welcher ohne Zweifel von dem slavischen kobyla, kobela: Stute, koblica: Stuterei abzuleiten ist. Es scheint darnach kaum gewagt, auch hier eine kontine oder zwerepice in dem heiligen Tempelhaine zu vermuthen. Der Ort Kobolk (eine volle contrahirte Form aus Kobilik, wie das benachbarte Cyrok aus Cyreke), bei dem die obige Grenzbeschreibung mit dem Sumpfe am Boden=See schloß, lag ohne Zweifel an der Mündung des aus dem kleinen und großen Boden=See entströmenden Baches in den Kobelik=See, wo schon in dem Kirchenvisitations=Protokoll des A. Mirow von 1578 eine alte "Dorfstätte" genannt wird 1 ), die noch


1) "Ein Wische, die Dorpstätte genannt, nach dem Langkkafel belegen", und später "ein Ende (Acker) auf der Dorfstätte."
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heute bekannt ist. Dieselbe liegt auf einer Horst in der großen Wiese am Ufer des Sees, welche nach der Versicherung des Herrn Pastors Sturer zu Krazburg auch Werder genannt wird. Darnach scheint es, daß Kobolk der eigentliche wendische Name des Werders war, worauf das alte, später untergegangene und unter neuem Namen Krazburg an einer andern Stelle wieder aufgebaute Dorf lag. Diese Veränderung nicht blos des Namens, sondern auch der Lage des Ortes wird auch die besondere Gewähr veranlaßt haben, welche die Herren zu Werle in ihrer Bestätigungs=Urkunde von 1314 gerade in Bezug auf dies Dorf hinzufügten.

Das ganze, verhältnißmäßig bedeutende Gebiet zwischen beiden aus dem Kobeliker See und dem Langhagener See kommenden Havelarmen ist jetzt unbewohnt und mit dem jenseit der Havel liegenden Dorfe Granzin vereinigt, bis auf das schon oben bezeichnete Dreieck nördlich vom Sevekow=See, welches zu Babeke gelegt ist. Auf diefem Gebiete wird früher ohne Zweifel das noch 1256 genannte Dorf Arnoldesthorp gelegen haben. Genauer ist die Lage desselben nicht mehr nachzuweisen, doch ist es nicht unwahrscheinlich an dem Südostufer des Pavelsees zu suchen, wo auf einer breiten in den See hineinspringenden Halbinsel ein gleichfalls sehr bedeutender wendischer Burgwall liegt, der aber, so viel ich weiß, noch nicht näher untersucht worden ist. Der südliche Theil jenes Gebietes, westlich von dem Langhagener See, ist dann wahrscheinlich die alte Feldmark des gleichfalls untergegangenen Dorfes Stowekow oder Sevekow, welches nur aus dem erwähnten Visitations=Protokoll von 1578 bekannt ist. Hier wird nämlich unter den Ländereien der Kirche zu Kakeldütt und Blankenvörde auch "1 Stück Acker am (nicht auf dem) Sevekowschen Felde, 4 Scheffel alle 6 Jahr besäet," aufgeführt. Da nun die Feldmark Blankenvörde damals bis zum Sevekower See reichte, so lag die angrenzende Sevekower Feldmark nördlich von diesem See in dem hier besprochenen Gebiete, auf welchem Oertlichkeiten, wie der Spucksoll, Kreuzsoll, Kessel=See, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

Wichtiger scheint endlich die dritte Abtheilung unsers Gaues, südlich von Sevekow zwischen dem Kramz=See, dem Zierzer=See und dem Jäthen=See. Dies ist die alte Feldmark des Dorfes Techentin, welches an der Westseite des nach ihm benannten Techentiner, jetzt Kramzer Sees lag. Die Lage dieses Ortes ist kürzlich in einer für die Topographie dieser Gegend überhaupt sehr wichtigen Abhandlung des

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Herrn Staatsministers, Freiherrn von Hammerstein zu Neustrelitz über die Kramz genauer ermittelt 1 ). Darnach stand das Dorf an der nordwestlichen Ecke des jetzigen Kramzer Sees nach dem kleinen Techentin hin, an dem sogenannten Stratenbroke, wo noch zwei unbewachsene Stellen im Holze gezeigt werden, auf welchen früher Häuser gestanden haben sollen. Dies kann ich aus den bereits oben erwähnten Acten über die streitige Fischerei von 1585 bestätigen, wo die Zeugen eines an der Techentiner Seite aufgezogenen Wadenzuges, "der Budenzogk" oder (offenbar durch Schreibfehler) "Budenhop" gedenken, den ein anderer Zeuge als den Zug bei der "Dorffstett" bezeichnet. Der Ort wird zuletzt in einer Urkunde von 1359 genannt und ist wahrscheinlich bald nachher untergegangen, worauf die Feldmark dem Dorfe Blankenvörde überwiesen ward, wozu sie noch jetzt gehört. Nach dem mehr erwähnten Mirower Visitations=Protokolle von 1578 besaß auch die Kirche daselbst ein mit Tannen besäetes Stück Acker, "in Techentin für das Holz 3 Scheffel Einsaat, ein Stück im Techentiner Acker 6 Scheffel Einsaat, ein Stück am Sevekowschen Felde 4 Scheffel". Zu der Fischerei der Pfarre aber gehörten auch die beiden kleinen Seen, der Stocker=See und der Teufelskrug (Düvelskrog). Diese Seen liegen an dem kleinen Havelarm, welcher aus dem Langhagener See südwestlich zu dem Hauptarme bei Babeke fließt, und die Grenze zwischen Techentin und Sevekow bildete. Zunächst an Langhagen liegt der Stocker=See, dann folgt der Teufelskrug, darauf der große und endlich der kleine Sevekow. Ursprünglich heißen offenbar alle 4 die Stowkower Seen, welcher Name sich am reinsten in der Form Stocker=See erhalten hat, wogegen er in der Urkunde von 1257 gerade dem jetzigen Sevekow beigelegt wird. Durch den sumpfigen Paß zwischen Sevekow und dem Teufelskrug geht noch heute wie 1257 die Straße von Wesenberg nach Granzin.

Den Namen Techentin führt von Hammerstein auf das sorbische tajic: geheimhalten, zurück, davon altböhmisch taje: mysterium, tagnice: latibulum, penetrale, mysterium. Den Namen Stratenbrok aber leitet er von strahec: einschüchtern, ab, daher ztracec: Gespenst (auch Name des Spechtes picus) 2 ). Darnach wird eine Beziehung des Techentins zu


1) Die Tempelstätte an dem See Krams bei Userin. Neustrelitzer Zeitung 1871, No. 132 ff., namentlich No. 136 und 137.
2) Ueber den öfter vorkommenden wendischen Ortsnamen strata, strazna vgl. auch Kosegarten Cod. Pomer. diplom. I, p. 816 -17. Eine (  ...  )
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(  ...  ) Waldung Strazna lag an der Nordspitze des Madu=Sees in Hinterpommern, und der gleichnamige Bach, woran das Dorf Cunow lag, bildete die Grenze des Landes Stargard in Pommern. - Bei Techentin, welches auch Teghentin lautet, ließe sich auch an das böhmische teka, tecy: triefen, fließen denken, davon tekuty n. tekutina: fluidus, fluiditas, von jeder Feuchtigkeit, im Gegensatz zu densus. Dazu würde die Lage der beiden mir bekannten Techentine bei Ludwigslust und Goldberg passen.
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Plan der Burg Zcarnitz und Umgebung.
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dem Heiligthum Kramz vermutet, und in der That ist namentlich der kleine Techentin und dessen Quelle, der Born am Bornberge, welche nach der Schmettauschen Karte mit einer wallähnlichen Erhöhung eingefaßt zu sein scheint, wohl geeignet, solche Vermuthungen zu wecken, nur daß ich nach meiner Ausführung natürlich an das diesseitige rezenische Heiligthum, statt an die redarische Tempelstätte in der Krampz zu denken geneigt sein muß. Noch entschiedener scheint die zur Useriner Pfarre gehörige, aber am Techentiner Ufer liegende Halbinsel zwischen der Zierzer Bucht des Useriner Sees und dem Kramtz= (Techentiner) See, welche Herr von Hammerstein gleichfalls ins Auge gefaßt hat, eine gottesdienstliche Bestimmung gehabt zu haben. Auf dieser schön bewaldeten Halbinsel, welche jetzt die Useriner Horst genannt wird, befindet sich namentlich ein erheblicher Hügel, auf dessen Spitze 5-6 große Felsblöcke liegen, und am nördlichen Ufer liegt gleichfalls ein besonders großer und hoher Stein, der nach Größe und Form sich sehr wohl zu einem Opfersteine geeignet zu haben scheint. Am Südufer aber ist auf der Schmettauschen Karte ein viereckiger, anscheinend auf 3 Seiten von Wällen eingeschlossener und nur nach dem See hin offener Raum gezeichnet. Täuscht diese Vermuthung über die Bestimmung dieser Oertlichkeit nicht, so läßt der alte Name des Sees Vilim zunächst an eine, innerhalb des National=Heiligthums der Hauptgottheit des Landes, der Göttin Wila besonders geweihete Opferstätte denken.

Am Schlusse dieses Abschnittes müssen wir noch einen Blick auf das redarische Gebiet unmittelbar an der Grenze unsers Heiligthums werfen, da hier mehrere Oertlichkeiten in enger Beziehung zu demselben zu stehen scheinen. Dahin gehört vor allem die mehr erwähnte Tempelstätte in der Kramtz. Die Ortschaft dieses Namens scheint schon vor der Veräußerung der Güter zu Userin, Ouassow und Gor durch das Kloster Slotpe im Jahre 1346 wüst geworden zu sein, da dieselbe ganz unbezweifelt innerhalb der in der Urkunde be=

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schriebenen Grenzen gelegen hat, aber gleichwohl nicht mehr genannt wird. Nach Herrn von Hammersteins vollkommen überzeugender Ausführung lag der Ort, unserm oben beschriebenen Techentin gegenüber, auf einer den Namen Ravensort führenden Erhöhung in dem Bruche am nördlichen Ufer des Kramtz=Sees an dem schon erwähnten Rothen Graben, welcher, die Grenze unsers Heiligthums bildend, in dem Zeugenverhör von 1585 der Kramptzer Ford genannt wird 1 ), und wo es nach dem Glauben des Volkes noch heute nicht geheuer ist. Nun heißt chram nach dem Lexicon Welessini: conclave; in der Mater verbor, aber wird der Plur. chrami durch fana, und später wiederholt durch templa übersetzt 2 ), und im Böhmischen heißt noch jetzt chran: Tempel. Die Wurzel des Wortes, zu welcher auch das russische Kreml gehören wird, scheint in dem Verbum chranjm: hüten, beschützen, zu liegen. Die Bedeutung ist also ursprünglich jeder verschließbare Ort (conclave), dann Burg, vorzugsweise Tempelburg. Chramitz, Chramtz aber bedeutet entweder Burg= oder Tempel=Ort, oder es ist deminutivisch zu nehmen. Hiernach vermuthe ich in diesem redarischen chramtz unmittelbar vor einem in das Heiligthum führenden Paß einen festen Bergfrieden, vielleicht mit einem Götterbilde, wie in dem Beseritzer Modelfurt oder einen wirklichen Vortempel. Für diese Ansicht scheinen auch die Dörfer Krampitz auf Jasmund, unmittelbar vor dem Heiligthum des Pizamir bei Sagard, und Krampatz bei Klein=Jasmund, wo ich gleichfalls ein Heiligthum vermuthe, zu sprechen.

Die zweite hierher gehörige Oertlichkeit ist die Feldmark Langhagen, früher Langkkhavel, auch Langk=Havel genannt, welche vor der offenen Grenzstrecke zwischen dem Boden=See und dem Langhagener See liegt und jetzt, fast isolirt, noch zu Meklenburg=Schwerin gehört. Gleich hinter derselben liegt die große Waldung der sogenannten Zierker Räume, welche früher vermuthlich auch unsere Feldmark mit einschloß, so daß der Wald unmittelbar die Grenze unsers Heiligthums berührte. In diesen Fällen scheint es nun uralte Sitte gewesen zu sein, die Grenze durch starke Verhaue aus gefällten Baumstämmen zu schützen, wovon uns mehrere Beispiele aufbewahrt sind, namentlich durch Widukind bei dem Berichte über die Schlacht an der Raxa in der Herrschaft Müritz 955.


1) "Vom Kramptzer Ford, so ein Bekeken, da ehemals eine Rode eiche gestanden."
2) Hanka 1. 1. p. 7 und 117.
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Auf eben dieser Feldmark fand mein Sohn im Jahre 1860 an und auf einer Anhöhe, einige 100 Ruthen vom Seeufer entfernt an dem Wege nach Adamsdorf, eine große Menge Scherben, welche sicher der heidnischen Zeit angehören. Auch das benachbarte damals mit Korn bestandene Feld soll ganz mit diesen Scherben besäet sein. Künstliche Erdarbeiten oder weitere Spuren eines untergegangenen Dorfes wurden nicht gefunden. - Endlich gehört auch noch der schon erwähnte kleine Boden=See zu der Feldmark Langhagen, die hier mit Adamsdorf grenzt, während der gewöhnlich als zweite Havelquelle bezeichnete große Boden=See als Strelitzer Enclave zu Hohen=Zieritz gerechnet wird. Höchst wahrscheinlich führen dieselben ihren Namen von der Markgrafen=Bude der Urkunde von 1257, vermuthlich eine Zollbude oder sonstige befestigte Anlage an dem hiesigen Grenzpasse, die vielleicht in Beziehung zu jenem Scherbenhügel stand.

Auf der Feldmark Adamsdorf selbst, die früher Kostal, dann verhochdeutscht Kuhstall hieß, und gleichfalls mit unserm Tempelgau grenzt, befindet sich eine schon wiederholt untersuchte und beschriebene Feldsteinmauer, deren Beschaffenheit aber leider immer noch unklar ist. Der Steinwall, welcher früher irrig als ringförmig bezeichnet ward, ist nach neuerer Untersuchung fast 1/4 Meile lang, vorherrschend von Ost nach West laufend, und besteht zum Theil aus sehr bedeutenden Felsblöcken. Unmittelbar daran liegt ein, seit undenklichen Zeiten nicht mehr benutzter, anscheinend christlicher Kirchhof, mit vereinzelten Steinen umsetzt, weiter entfernt ein Heidenkirchhof aus der Bronzezeit, in dessen Nähe die Sage von einer Wendenstadt erzählt 1 ). Dieser Wall hat die größte Aehnlichkeit mit der Steinmauer an der Lauenburger Grenze, und noch mehr mit dem Hünenwall im Konower Werder, und ist unbezweifelt ein alter Grenzwall. Bei der ungenügenden Bezeichnung seiner Lage kann ich jedoch nicht darüber urtheilen, ob er die Gaue Lipitz und Chotibanz, oder unser Heiligthum von dem Gaue Lipitz zu scheiden bestimmt gewesen sei. Der Name Kostal ist das wendische kostel, welches Kirche bedeutet, aber nach Palkowitsch aus dem lateinischen castellum entlehnt ist und also ursprünglich, gleich chram, eine Burg, Tempelburg, bedeutet. Diese Kirche war vermuthlich eine christliche aus der Ottonenzeit, welche nach der Zerstörung der sogenannten


1) Jahrb. II, 111-113. Vgl. III, 18-19, VI, 183 und XXIII, 22 ff. 242.
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Wendenstadt der Sage noch Jahrhunderte einsam im Walde gestanden und dem wieder aufgebaueten Dorfe den Namen gegeben haben mag.

Die weitere Grenze des Landes der Redarier gegen die Tholenzer muß sich in nordöstlicher Richtung etwa von der Havelquelle am Boden=See ab gegen den Tollenser See, ungefähr in der Richtung der heutigen Landesgrenze, gezogen haben. Hier werden uns in den Urkunden von 1170 und 1182 die beiden Gaue Chotibanz und Lipitz als Grenzen der dem Kloster Broda verliehenen Güter längs der Havel angegeben, von welchen ersterer noch zur Redarier, letzterer zur Tholenzer Herrschaft gehört haben muß, so daß die Grenze dieser Gaue zugleich die Völkergrenze bildete. Auf dieser Grenze mag denn zunächst vom Boden=See ab der eben beschriebene Steinwall gestanden haben, weiterhin aber ward dieselbe ohne Zweifel durch den Liepzbach von der Quelle bis zur Mündung in den Liepz=See gebildet, wo Prillwitz (1170 Priliubitz, d. i. an der Liepitz, genannt) als redarische Grenzfeste und Lipitzer Gauburg erscheint, während das früher gewiß zu Meklenburg=Schwerin gehörige, und noch im 17. Jahrhundert theilweise von dem Amte Stavenhagen in Anspruch genommene Hohen=Zieritz noch in dem Tholenzer Gaue Chotibanz lag. Der Gau Lipitz mag dann seine östliche Grenze an dem Nemerower Bache gefunden, und sich südlich bis zum Turower und Zierker See ausgedehnt haben, wo er dann mit dem Gau Strelitz zusammen gestoßen sein wird, ja wenn der Ausdruck der untergeschobenen Darguner Urkunde von 1170: Lipiz cum omnibus villis suis usque ad stagnum Woblesko, genau zu nehmen wäre, würde derselbe den Gau Strelitz mit eingeschlossen haben. Doch darf man diesen Ausdruck, welcher in der echten Urkunde von 1182 fehlt, wohl unbeachtet lassen. Chotibanz dagegen ward dann von Hohen=Zieritz ab durch den Zipplower Bach und die Eiserne Pforte bis zum Kl. Vielener See gegen Wustrow und Tützen (Vogtei Stavenhagen) begrenze und mochte sich westlich bei dem in der Feldmark Dambeck untergegangenen Orte Chutun mit dem Gau Zlone (Vogtei Waren) berühren. Doch fehlt es uns an Hülfsmitteln zur genauern und sichern Bestimmung der Grenzen dieser Gaue, wie wir denn auch von der weiteren Gautheilung im Innern des Redarier Landes, deren Existenz mit Sicherheit vorausgesetzt werden darf, durchaus keine Kunde haben.

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III.

Die Hauptgottheiten

der

westwendischen Völkerschaften.

Vom

Archivrath Dr. Beyer zu Schwerin.


A ls ich im Jahre 1867 meine Abhandlung über die wendischen Schwerine veröffentlichte 1 ), hatte ich die Absicht, am Schlusse derselben einige Bemerkungen über die in den dort besprochenen Heiligthümern verehrten Gottheiten hinzuzufügen, was nur in Folge eines unerwarteten Zwischenfalles unterblieb. Es hat das die Folge gehabt, daß mir von verschiedenen Seiten, wenn auch nicht öffentlich, der Vorwurf gemacht worden ist, als ob ich alle slavischen Götter willkürlich und ohne Kritik durcheinander geworfen hätte. Dieser Vorwurf wird sich jetzt nach dem Druck der Abhandlung über die Grenzen der Redarier und die daran stoßenden Heiligthümer verstärkt wiederholen, weshalb ich es mir selbst schuldig zu sein glaube, zu meiner Rechtfertigung die Grundzüge meiner Ansichten über die Hauptgottheiten der westwendischen Völkerschaften in den Ostseeländern nördlich von der Elbe und Oder im Zusammenhange der öffentlichen Prüfung vorzulegen.

Wohl kaum ist über irgend ein mythologisches System mehr gefabelt, ja man darf sagen gefaselt worden, als über das slavische, und zwar am meisten von den gelehrten Slaven selbst. Man hat sich vorzugsweise nach Indien und Persien,


1) Jahrb. XXXII, S. 58 flgd.
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überhaupt soweit und so tief als möglich in die Ferne und in das Alterthum hinab gewendet, um Analogien für die Götterwelt eines in dem hohen Norden Europas in den einfachsten Verhältnissen lebenden Volkes zu suchen. Nun sind diese Götter allerdings nicht hier im Norden geboren worden, vielmehr stammt die gesammte Mythologie der alten und neuen indo=europäischen Völker zuletzt aus einer und derselben Wurzel, die jedoch in allen Ländern, wohin sie durch die Ausbreitung dieses Völkerstammes mit dessen Sprache selbst verpflanzt worden ist, frische eigenthümliche Zweige und Blüthen getrieben hat, in ihrem Grundstocke aber überall dieselbe geblieben ist. Anklänge an die Mythen der alten gemeinsamen Heimath finden sich daher bei allen Völkern dieser Gruppe, also auch bei den Slaven, aber bei ihnen nicht mehr, als bei den übrigen Völkern. Sicher hätte man daher besser gethan, sich zunächst in dem eigenen Hause etwas genauer umzusehen, und sich dann vor allen bei seinen nächsten Nachbaren Raths zu erholen, mit welchen die Slaven seit dem Anfang ihrer Geschichte, ja unzweifelhaft weit über alle Geschichte hinaus fortwährend in den engsten Verbindungen gestanden haben. Durch unbefangene Vergleichung der bei den Germanen in Sage und Schrift noch lebendig fortlebenden heimischen Götter würde man sich, zu Nutz und Frommen beider Völker, bald überzeugt haben, daß die Hauptgestalten des alten Götterstaates auf beiden Seiten der Grenze mit einander die größte Aehnlichkeit haben, ja geradezu identisch sind.

Indem ich daher der folgenden Darstellung einen solchen Vergleich der slavischen und germanischen Götterwelt zum Grunde lege, bemerke ich zum Voraus, daß ich den in meinen "Erinnerungen an die nordische Mythologie in Meklenburg 1 )" niedergelegten Ansichten im Großen und Ganzen bis heute treu geblieben bin, ja meine seitdem mit Vorliebe und Eifer fortgesetzten mythologischen Studien haben mich immer von Neuem von der Richtigkeit meiner damaligen Auffassung des Wesens der beiden Hauptgötter Othin und Thor vollkommen überzeugt, wenn gleich in Nebendingen Irrthümer aller Art, zuweilen recht komische, mit untergelaufen sind, weshalb es mein sehnlicher Wunsch ist, daß ich in meinem Alter Ruhe und Kraft finden möge, meine Ideen auf erweiterter Grundlage durchzuführen.


1) Jahrb. XX, 140 ff.
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Der Dualismus in der slavischen Mythologie.
Czernebog und Belbog.

Als besondere Eigenthümlichkeit der slavischen Mythologie wird namentlich der nach Helmold 1 ) strenge durchgeführte Dualismus in derselben hervorgehoben, und gerade hieraus deren nähere Verwandtschaft mit der Indischen gefolgert. Helmold, an den christlichen Gegensatz von Gott und Teufel anknüpfend, faßt die Bezeichnung einer der slavischen Gottheiten als Czernebog, d. h. wörtlich der schwarze, also finstere, zornige Gott 2 ), als rein ethischen Begriff, indem er demselben, den die christlichen Priester dem Volke vorzugsweise als den "Diabol" darzustellen pflegten, geradezu diesen Namen giebt, und ihn als das Prinzip des Bösen dem weißen, lichten, gütigen Gott Belbog, als dem Prinzipe des Guten, gegenüber stellt 3 ). Grimm bemerkt dagegen kurz, daß ihm dieser Dualismus weder durchdringend, noch ursprünglich zu sein scheine 4 ). Andererseits habe ich in meinen "Erinnerungen" nachzuweisen gesucht, daß ein ähnlicher Gegensatz auch in der germanischen Mythologie in weit größerer Schärfe hervortrete, als Grimm zugeben möchte. Weiter aber, als die Germanen nach dieser Auffassung, werden auch die Slaven nicht gegangen sein.

Sicherster Beweis dafür ist mir, daß in den einzelnen, von den ältern Berichterstattern überlieferten oder in Volkssagen fortlebenden Mythen weder Czernebog noch Belbog irgendwo persönlich oder handelnd hervortritt. Beide Namen sind ganz unzweifelhaft keine wirkliche Eigennamen eines bestimmten Gottes, sondern nur allgemeine Ausdrücke zur Bezeichnung der charakteristischen Eigenthümlichkeit der beiden höchsten Gottheiten, und so wenig schroff tritt der Gegensatz in der Wirklichkeit hervor, daß die Mythologen, wenn sie auch dies Verhältniß zugestehen, noch heute darüber


1) Helmold Chron. Slavor. I. c. 52: Est autem Slavorum mirabilis error: nam in conviviis et compotationibus suis pateram circumferunt, in quam conferunt non dicam consecrationis, sed execrationis verba sub nomine Deorum, boni scilicet et mali, omnem prosperam fortunam a bono Deo, adversam a malo dirigi profitentes, ideo etiam malum Deum sua lingua Diabol sive Zcerneboch i. e. nigrum Deum appellant.
2) Von poln. bog, serb. u. böhm. boh: Gott, und czerny, czarny oder czorny: schwarz, finster. (Gehört etwa das deutsche Zorn hierher?) Er wird auch geradezu Zlebog, Zlybog: der zornige, böse Gott genannt.
3) Von bialy, bely: weiß, hell. Helmold hat den Namen nicht; derselbe ist aber anderweitig beglaubigt. Auch kommt statt dessen Dobrebog: der gute Gott vor.
4) Grimm, deutsche Myth. 954, N.**
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streiten, welchem Gotte die eine und welchem die andere dieser allgemeinen Charakternamen gebühre, denn während einige unter dem Czernebog den Zwantevit verstehen, beziehen andere diesen Namen auf den Pierun, und umgekehrt den Namen Belbog, bald auf jenen, bald auf diesen. Vergleichen wir aber damit zunächst die uns näher bekannten germanischen Götter, so ist unverkennbar, daß der Name Czernebog seiner Bedeutung nach dem Othin entspricht. Wer anders könnte darunter verstanden werden, als der finstere Todesgott, der vor allem an Krieg und Jagd seine Freude hatte, der noch heute mit seinem wüthenden Heere oder der wilden Jagd nächtlich tobend durch die Lüfte Zieht, der Schrecken des Landmannes und des einsamen Wanderers, den schon der alte Germane als den Wuotand, den zornigen, wüthenden, faßte, und welcher auch hier nach dem Sieg des Christenthums vorzugsweise als der Teufel (Wodendüwel) galt, wogegen Thor, der lichte, gütige Donnergott, als Belbog fast in dem christlichen Gott der Liebe aufgegangen ist, obwohl den Christen natürlich die gesammten heidnischen Götter als Teufel erscheinen mußten!

Diese Uebereinstimmung der beiden Hauptgottheiten der Slaven und der Germanen ist aber durchgreifend, so daß dieselben in der That als identisch erscheinen. Wie Zwantevit (Czernebog) bei Helmold als Gott der Götter und Beherrscher des Himmels geschildert wird, von welchem alle übrigen abstammen, und ihm gegenüber gleichsam nur als Halbgötter angesehen wurden 1 ), so erscheint auch Othin als der Höchste und Mächtigste im Himmel und auf Erden, als Schöpfer der Welt und Vater der Götter und Menschen. Beide wurden als Gott der dunklen Nacht, die den Tag gebiert, als Gott des todesstarren Winters, der den Keim des warmen Lebens birgt, verehrt, beide galten daher als der geheimnißvolle Beschützer des der dunklen Erde anvertrauten Samenkorns, sowie der unterirdischen Schätze, zugleich aber auch als Beherrscher des wilden Meeres, beide waren im Besitze der übernatürlichen Zauberkraft und der Weissagung, beide konnten als Gott der Schlacht und des Sieges nur durch blutige Opfer versöhnt werden, und selbst Menschenblut war ihnen wohlgefällig, weshalb der Wolf, der Aar und der Rabe als ihre heiligen Thiere galten 2 ). Ja selbst in ihrer äußern


1) Helm. 1. 1. I, 52 Vgl. mit 83.
2) Rücksichtlich der Zwantevitsthiere vgl. man Annales Corbej a. 1114 über den Tribut in Wolfsfellen und Saxo Gr. XIV. über den Aar auf der Thorzinne Arkonas.
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Erscheinung als unsichtbare nächtliche Reuter auf weißem Rosse stimmen beide überein. - Eben so wenig ist aber in dem slavischen Perun, nicht bloß als eigentlichem Donnergott, sondern seinem ganzen Wesen nach als lichter gütiger Belbog, der nordische Thor zu verkennen, mit welchem er vielmehr eben so vollkommen übereinstimmt, als Gott des Lichtes und des Lebens, der die liebe warme Sonne scheinen läßt und das befruchtende Gewitter lenkt, der Gott der Fruchtbarkeit und des Erntesegens, der starke Gott der Natur, der Freund des Volkes, der den Frieden bringt und in den Herzen die Liebe keimen läßt, aber zugleich der strenge Wächter der Gerechtigkeit, vor dessen lichtem Himmelsauge keine Sünde verborgen bleibt, und dessen rächender Blitzstrahl des Verbrechers Haupt zerschmettert.

Nach dieser allgemeinen vergleichenden Zusammenstellung der beiden höchsten Gottheiten beider Völker wenden wir uns nunmehr zur speciellem Besprechung der einzelnen wendischen Götter, und zwar zunächst derjenigen, welchen die, in meinen gedachten frühern Abhandlungen geschilderten und hier noch weiter zu ermittelnden, großen National=Heiligthümer, deren nach Thietmar von Merseburg jede Herrschaft eins besaß, geweiht waren.


I. Czernebog.

Es ist nicht zu verkennen, daß diese Heiligthümer ihrer ganzen Anlage und Einrichtung nach im Wesentlichen sämmtlich übereinstimmen; überall der eigentliche Tempel des Gottes auf einer festen Burg, auf einer Insel oder Halbinsel in einem großen See oder Strom, überall derselbe Tempelgau mit dem heiligen Haine von größerm oder geringerm Umfange mit geschlossener, durch Wasser und Sumpf oder künstliche Gräben und Wälle geschützter Grenze, überall eine mehr oder weniger deutliche Hinweisung auf die Züchtung von Kriegsrossen oder wenigstens die Haltung eines heiligen weissagenden Hengstes, kurz überall die unverkennbare Bestimmung dieser ausnahmslos an der Landesgrenze befindlichen Anlagen zur Landesvertheidigung und kriegerischen Zwecken neben dem religiösen Kultus, welcher sich mithin auf eine Gottheit bezogen haben muß, die namentlich als Gott des Krieges und Verleiher des Sieges verehrt ward, wenngleich dadurch ihr göttliches Walten keineswegs erschöpft war. Das werden

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wir denn auch in der folgenden Untersuchung vollkommen bestätigt finden. Der Gott dieser Heiligthümer ist seinem Wesen nach überall derselbe und ist kein anderer als Czernebog, obwohl er fast von jeder kleinen Völkerschaft unter einem andern Namen verehrt ward, auch hierin dem hundertnamigen Othin der Nordgermanen vergleichbar.


1) Zwantewit oder Swaraviz zu Arkona.

Das weit aus bedeutendste und wichtigste aller dieser Heiligthümer ist anerkannt das zu Arkona 1 ) auf der Halbinsel Wittow, mit welchem wir deßhalb unsere weiteren Betrachtungen beginnen müssen. Merkwürdiger Weise ist aber über dessen Beschaffenheit, außer der Burg und dem innerhalb der hohen Wälle desselben stehenden hölzernen Tempel mit der kolossalen Bildsäule des Gottes, fast nichts bekannt. Saxo, der genau die Burg und den Tempel bei Gelegenheit ihrer Zerstörung durch die Dänen im Jahre 1168 beschreibt, schweigt über die nähere Umgebung derselben fast ganz. Nicht einmal des den Tempel unbezweifelt unmittelbar umgebenen heiligen Haines wird ausdrücklich gedacht, und gegenwärtig ist er völlig verschwunden, wie überhaupt die ganze Insel von Wald entblößt ist. Indeß spricht Saxo doch gelegentlich von einem Walde in der Nähe der Burg, in welchem das dänische Heer die nöthigen Bäume für die Belagerungsarbeiten fällte, aus welchen dann nach der Zerstörung der Burg die erste christliche Kirche erbauet ward. Bei der Gründung des Klosters Bergen im Jahre 1193 schenkte ferner der Fürst Jaromar demselben unter andern Gütern auch einen Hof in Withuy mit dem dazu gehörigen Eichenwalde, worunter wahrscheinlich Vitte zu verstehen ist 2 ). Endlich hat man auch zwischen Arkona und Putgarten, d. h. unterhalb der Burg, alte starke Baumstümpfe aufgefunden. Die Existenz des heiligen Haines ist also hier, wie in den ähn=


1) Der noch nicht erklärte Name wird slavisch Arkon oder Arkun, wie die Knytlingssage schreibt, gelautet haben. Das auslautende a ist die lateinische Endigung.
2) Mansionem in Withuy cum silva quercina, Cod. Pom. dipl. S. 170. Ueber den Ort vergleiche weiter unten. Gewöhnlich versteht man unter Withuy die ganze Insel, in welchem Falle aber auffallender Weise der Ort, worin der Hof lag, ganz ungenannt geblieben wäre, was bei keinem andern Orte geschieht.
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lichen Heiligthümern, erwiesen, aber der Umfang desselben wird schwerlich nachzuweisen sein. Es fehlt in der ganzen Umgebung durchaus an jeder markirten Naturgrenze, und von künstlichen Grenzmalen ist wenigstens bis jetzt keine Spur aufgefunden. Nur das Meer selbst erscheint nach allen Richtungen hin als Grenze! In der That fehlt es auch nicht an Andeutungen, daß die Herrschaft der Priester sich wirklich über die ganze Halbinsel erstreckte. Daß die wendischen National=Heiligthümer überhaupt außer dem Tempelschatze auch bedeutenden Grundbesitz hatten, ist im Allgemeinen schon anderweitig besprochen worden, dies gilt aber ganz besonders von Arkona, dessen Priester gleich den weltlichen Fürsten als selbstständige Territorialherren Land= und See=Kriege führten und Friedensverträge schlossen, wie namentlich aus dem Vertrage mit Dänemark von 1168 bestimmt hervorgeht 1 ). Zum Zwecke solcher kriegerischen Unternehmungen, bei welchen dem Heere das Feldzeichen des Gottes, die heilige Stanitza, vorauf getragen ward, hielt der Oberpriester, dessen Ansehen größer war als das des Königs, eine bedeutende Roßheerde (Stuterei), aus welcher zu jeder Zeit 300 Mann beritten gemacht werden konnten. Diese Mannschaft, die Saxo gewiß nicht ohne Absicht als eines den peregrinis entgegensetzt, blieb auch im Frieden im Dienste des Gottes, saß aber nicht auf der Burg, wo nur die Priester wohnten, muß also aus der jungen Mannschaft der umliegenden Dörfer ausgehoben worden sein, für welche sich die Priester in dem erwähnten Friedensschlusse den Dänen zur Heerfolge verpflichteten, und von jedem Joch Ochsen einen jährlichen Tribut von 40 Denaren verhießen. Muß man schon hiernach annehmen, daß wirklich die ganze kleine Insel als unabhängiges Tempelgut zu betrachten sei, so ergiebt sich das noch deutlicher aus der Betrachtung der dem Kloster Bergen, als der ältesten und fast einzigen größern christlichen Stiftung auf der Insel Rügen, zugewiesenen Dotalgüter auf Wittow, welche sicher alte Tempelgüter Arkonas waren, da in dem Friedensvertrage deren Abtretung an die christliche Kirche ausdrücklich bedungen ward 2 ). Diese Bedingung ist freilich nur sehr unvollständig und spät erfüllt worden, aber die inzwischen von den Fürsten eingezogenen


1) Saxo Gr. XIV. 834. Vgl. die Abhandlung über die Grenze der Redarier S. 43 und 64, 65.
2) Saxo Gr. 1. 1.: Quin etiam ut agros et latifundia Deorum in sacerdotiorum (Ed. prior: sacerdotum sc. christianorum) usus converterent.
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und nach und nach dem Kloster überwiesenen Dörfer lagen über die ganze Insel zerstreut. Im Jahre 1250 besaß dasselbe hier die Dörfer Dres (jetzt Nonnewitz) und Ciarb (Schwarbe) an der Nordküste der Insel und Nobin an der Ostküste, beide etwa eine Meile von Arkona entfernt, sowie das noch eine Meile weiter südlich an der Grenze der Schabe gelegene Triwolk. Auch der Bischof von Roeskilde besaß ein nahe am Südende der Insel gelegenes wittowsches Tafelgut, Bischofsdorf. Selbstverständlich ist ferner, daß das schon erwähnte Putgarten hart neben der Tempelburg, wovon es auch den Namen trägt (pod gard: unter der Burg), und Vitte Pertinentien der Burg waren, da sie nach der obigen Bemerkung innerhalb des eigentlichen heiligen Haines lagen. In dem Fischerdorfe Vitte, nach meiner Vermuthung das alte Withuy von 1193, noch jetzt durch den ergiebigsten Heringsfang auf der ganzen Insel berühmt, fand anscheinend schon in heidnischer Zeit im November ein auch von auswärtigen Kaufleuten zahlreich besuchter Fischmarkt statt, wo natürlich auch andere Waaren umgetauscht wurden. Er stand unter Aufsicht der Priester, welche auf denselben einen Waarenzoll erhoben 1 ). Vermuthlich stand hier auch die erste 1168 aus den Belagerungsmaschinen erbauete hölzerne Kirche, da das Kirchdorf Wittoya, dessen Priester noch 1240 urkundlich genannt wird, offenbar identisch mit Withuy ist 2 ). Auch Altenkirchen und Wiek, die einzigen Pfarren der Insel, werden mit Tempelgut dotirt sein. In der Kirche des ersten Dorfes ist bekanntlich ein steinernes, roh gemeißeltes Bild eingemauert, das von dem Volke für ein Bild Zwantevits gehalten wird, und Wiek war, wie sich aus dem Namen folgern läßt, vermuthlich der alte Hafen an der westlichen Küste.

Noch andere Oerter endlich scheinen schon durch ihren Namen ihre Eigenschaft als Tempelgut zu verrathen, wie Schmantewitz, gleichfalls im Süden der Insel, nach der sage früher Zwantewit genannt, wo auf einer großen Wiese 300 weiße Pferde des Gottes geweidet haben sollen 3 ). Ganz in der Nähe desselben aber, an einer sogenannten


1) Helmold 1.1. II, 12. Genannt ist der Ort, wo der Markt statt fand, nicht. Auch liegen auf Hiddensöe und Mönkgut gleichfalls Stranddörfer dieses Namens.
2) Cod. Pom. dipl. p. 600 sacerdos Martinus de Wittoya.
3) Der Reisegesellschafter durch Rügen, 1823, S. 51. Das Alter dieser Sage muß ich freilich dahin gestellt sein lassen. Eine Wurzel smant finde ich aber nicht. Wegen der Wiesen bemerke ich, daß es in dem nördlichen Theile der Insel an Wiesen fehlt.
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Wedde, einer schmalen, seichten Seebucht, liegt, in merkwürdiger Uebereinstimmung mit dieser Sage, der Ort Kontop, d. h. Pferdeschwemme, von kon: Pferd, und topiti: schwemmen. - Zu diesem Allen kommt endlich, daß die dänischen Berichte die Tempelburg zu Arkona stets als den Hauptort (urbs principalis) der Insel, diese selbst aber als Zubehör der Burg betrachten (insula oder provincia Archonensis) und dem zufolge die Bewohner der ganzen Insel die Archoner (Archonenses) nennen. Die Grenze dieser Provinz (fines Archonensium) reichte bis zu der Schabe, welche die Dänen durchstachen, um die erwarteten Hülfstruppen der Slaven abzuhalten 1 ). Doch kannte Saxo auch den Namen Wittow, denn die Form Vithora unserer Ausgaben ist gewiß nur aus Vithova verdorben, welche der ältesten slavischen Form Wytowy vollkommen entspricht 2 ). Beide Namen aber sind Adjective, bei welchen bzw. insula oder wustrow zu ergänzen ist, und weisen allem Anscheine nach direct auf den Namen des Gottes zurück: die Insel (Zwante) Vits.

Daß nämlich Zwantevit selbst es war, der in diesem Heiligthum verehrt ward, wird uns durch Helmold und Saxo ausdrücklich bezeugt, und denselben Namen giebt die Mehrzahl der Handschriften der nordischen Knytlingssage in einer nur wenig abweichenden Form 3 ), wogegen eine Handschrift derselben die Lesart Swaraviz bietet, die noch Berücksichtigung finden wird. Eine Charakteristik des Wesens dieser Gottheit ist so eben in allgemeinen Umrissen versucht worden. Aus der Schilderung Saxos ergiebt sich aber, daß dieselbe hier auf Arkona, wenn gleich keineswegs ausschließlich, doch vorzugsweise, als Siegverleiher verehrt ward, wie überhaupt sein Kultus gerade in dieser Eigenschaft am weitesten verbreitet gewesen zu sein scheint. Auch die böhmische Glosse in Wacerads mater verbor, von 1102 erklärt den Namen "Svatovit" durch Ares, bellum und später nochmals durch: Mavors 4 ). Das kolossale hölzerne Standbild des Gottes, von sauberer Schnitzarbeit, in seinem Tempel zu


1) Saxo Gr. XIV, 661. 751. 800. und a. a. O.
2) Saxo 1. 1. p. 830: insula Archonensis, quae Vithora dicitur. Velschow hält diesen Namen für danisirt durch Anhängung der Silbe ör, nach Analogie von Helsingör u. a., was mir sehr unwahrscheinlich ist. Wytowy kommt zuerst 1232 vor. Cod. Pomer. dipl. p. 439.
3) Saxo Gr. XIV, 814: Svantovitus. - Helmold I, 52, und II, 12: Zwantevith. - Knytlingasaga c. 122: Svantaviz.
4) Hanka antiquiss. vocabularia Bohem. Latina p. 3 u. 13.
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Arkona stellte ihn zwar unbewaffnet, mit geschorenem Haar und in einem kurzen, bis zu den Knieen reichenden Gewande dar, mit 4 nach allen Seiten, schauenden Köpfen als Symbol seiner Allwissenheit, in der Rechten ein aus verschiedenen Metallen gearbeitetes Trinkhorn mit Wein gefüllt, aus dessen Beschaffenheit der Oberpriester an seinem Jahresfeste nach der Erndte die größere oder geringere Fruchtbarkeit des kommenden Jahres weissagte; die gebogene Linke endlich trotzig in die Seite gestemmt. Neben ihm aber stand ein Sessel mit dem Zaume seines weißen heiligen Rosses, auf welchem er bei nächtlichen Kriegszügen unsichtbar an der Spitze seiner oben erwähnten stehenden Reiterschaar, gleichsam seiner Leibgarde ritt, wie man Morgens an dem schaumbedeckten Thiere erkannte. Sonst aber war dies Roß das eigentliche Orakel des Gottes, dessen Sprüche, vorzugsweise wiederum die Frage nach Krieg oder Frieden betreffend, von dem Priester in einer von Saxo genau beschriebenen Weise mittelst in die Erde gestoßener Lanzen, durch welche das Roß hindurch gehen mußte, erforscht wurden. Unter den übrigen göttlichen Insignien, die in dem Tempel niedergelegt waren, zeichnet sich vor allen das riesige Schwert mit einer kunstreich gearbeiteten Scheide aus edlem Metalle aus. An seinem Feste herrschte, nach Darbringung blutiger Menschen= und Thieropfer, bei übermäßigem Genusse von Trank und Speise, wilde Fröhlichkeit. Die Verächter seines Dienstes verfolgte er mit grausamer Rache, der höchste Lohn seiner Verehrer aber war der Sieg zu Lande und zur See 1 ).

Der Name Zwantevit scheint übrigens gleichfalls kaum wirklicher Eigenname, sondern gleich Czernebog nur eine allgemeine Bezeichnung des Wesens der höchsten Gottheit überhaupt zu sein, mag man nun das Wort als heiligen Seher oder als Sieger deuten, worüber die slavischen Sprachforscher noch streiten. Dem Sinne nach entsprechen beide Erklärungen dem von Helmold kurz und treffend gezeichneten Wesen des Gottes gleich vollkommen. Die Vergleichung mit den Götternamen Rugievit oder Rutvit, Porevit, Herovit oder Gerovit, anderer weniger beglaubigter zu geschweigen, läßt aber kaum zweifeln, daß die zweite Hälfte des Wortes,


1) Saxo Gr. p. 822 sqq. Er kennt nur das eine Fest nach der Erndte. Ein Hauptfest wird, wie das Julifest Othins, um Mittwinter gefeiert sein. - Helm. II, 12: Suantevit inter omnia numina Slavorum primatum obtinuit, clarior in victoriis, efficacior in responsis, - illum deum deorum esse profitentes. - Sacerdos nonnunquam hominem Christianum litare solebat. Cf. I, 6 und 52.
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Vit oder With, wie es sich gleichfalls geschrieben findet, zur Zeit unserer Quellen bereits die allgemeinere Bedeutung von Gott überhaupt angenommen hatte, etwa: der Wissende. Daneben aber führte unser Gott, wie beiläufig bereits bemerkt worden ist, nach einer Handschrift der nordischen Knytlingssage auf Arkona selbst auch den Namen Zwaraviz, der also hier nicht unberücksichtigt bleiben darf 1 ). Die dänischen Uebersetzer und Bearbeiter der Sage, und nach ihrem Beispiel auch die deutschen Forscher, haben freilich diese anscheinend der Autorität des Saxo widersprechende Lesart keiner Beachtung gewürdigt. Das war denn früher allerdings auch begreiflich genug, da der "Zwanteviz" der übrigen Handschriften, abgesehen von dem auslautenden z statt t oder th, hinlänglich verbürgt war, von der Existenz eines "Swaraviz" aber Niemand etwas ahnte. Seit aber die falsche Lesart Luarasici als Name der Tempelgottheit zu Riedegast (Rethra) bei Thietmar beseitigt, und statt dessen die Lesart Zuarasici der vollkommen klaren und deutlichen Handschrift gemäß in den Text aufgenommen ist, darf auch die Lesart Svaraviz der Knytlingssage nicht mehr stillschweigend bei Seite geschoben werden. Freilich hat die betreffende Handschrift unleugbar viele Fehler, aber auch viele Eigenthümlichkeiten und Zusätze, welche beweisen, daß dieser, erst mit c. 22 beginnenden mangelhaften, Abschrift ein selbstständiger Originaltext zum Grunde liegt. Gerade in unserm Falle ist aber ihre Lesart schwerlich durch bloßen Lese= oder Schreibfehler zu erklären, vielmehr scheint dieser Svaraviz zu Arkona mit Rücksicht auf den unverkennbar verwandten Zuarasici zu Rethra wohlberechtigt, seine Stelle neben dem vulgären Svanteviz zu behaupten.


2) Rugevit zu Carenz.

Wenden wir uns nunmehr zunächst zu den verwandten Gottheiten auf der Hauptinsel Rügen und der Halbinsel Jasmund, Rugievit und Tjarnaglofi, welche beide ausdrücklich als Kriegsgötter bezeichnet werden, und deren Identität mit Zwantevit auf Arkona nicht zu bezweifeln ist. Saxo bemerkt nämlich ausdrücklich, daß Zwantevit auch an andern Orten Tempel habe, deren Priester von gleicher


1) Formana Sögu XI. (Jomsvikinga ok Knytlingasaga p. 385, Not. 7. (Lesart der Papierhandschrift No. 19. Lit. C.)
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Würde, aber geringerer Macht seien 1 ). Er macht aber keinen derselben namhaft, auch ist uns sonst kein Tempel bekannt, wo Zwantevit unter diesem Namen verehrt worden wäre. Wir sind daher gewiß zu der Annahme berechtigt, daß sich jene Bemerkung auf das Wesen der Gottheit, nicht auf den Namen bezieht, in welcher Voraussetzung wir die bezeichneten Zwantevits=Tempel von geringerem Ansehen vorzugsweise unter den übrigen Heiligthümern der Insel zu suchen haben werden. Unter diesen ist das bedeutendste das zu Carenz, jetzt Garz, auf der Hauptinsel Rügen, wo in einer festen Burg 3 Tempel neben einander standen, die den 3 Hauptgottheiten des Landes, nach Saxo Rugievit, Porevit und Porenutius, geweiht waren, unverkennbar gleich der lettischen Götterdreiheit zu Romowe in Preußen, Pikollo, Perkunas und Potrimpos, der germanischen des Othin, Thor und Freyr in dem berühmten Tempel zu Upsala entsprechend. Hier haben wir es nur mit dem erstem zu thun, den Saxo als den Rügischen Mars bezeichnet. Sein Tempel war der größte, und das darin aufgestellte kolossale hölzerne Bildniß mit 7 Gesichtern an einem Haupte stellt ihn uns, gleich dem Zwantevit zu Arkona, wiewohl nach einer etwas abweichenden Symbolik, als den allsehenden, allwissenden Gott dar, der aber hier zugleich als der Lenker der Schlachten mit 8 Schwertern umgürtet war, das 9. entblößt in der Faust haltend. Der Name Rugiaevit, wie Saxo schreibt, bezeichnet ihn aber einfach als den Landesgott Rügens, im Gegensatze zu dem Zwantevit Arkonas, dem das ganze Wendenland tributbar war, in welchem Sinne er auch die Carenzer Götter überhaupt als privati dei, d. h. Provinzialgötter, dem publicum numen auf Arkona gegenüberstellt 2 ). Diese schon oft gegebene, aber von anderen wieder scharf getadelte Deutung des Namens 3 ) erhält noch gerade durch die abweichenden Namensformen der Knytlinga ihre volle Bestätigung. Hier wird er nämlich in demselben Sinne, aber in einer mehr slavischen Form Rinvit und in andern Handschriften Rutvit genannt, jenes von Ry, Rya, der verkürzte Name der Insel Ruya, letzteres an die Rutheni erinnernd, wie die Ruyaner gleichfalls genannt werden 4 ). - Ueber die Beschaffenheit und den Umfang des


1) Saxo Gr. XIV, 881 ff.
2) Saxo Gr. XIV, 826.
3) Schwenk, Mythologie der Slaven, der übrigens selbst keine bessere Erklärung weiß.
4) Knytlinga Saga 1. 1. c. 122.
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zu dem Tempel gehörigen Heiligthums und die Dotalgüter desselben ist bisher nichts bekannt. Da indeß der Fürst Jaromar von Rügen bei der Einnahme und Zerstörung der Tempelburg, wenige Tage nach der Zerstörung Arkonas, den mit der dortigen Priesterschaft abgeschlossenen Friedensvertrag auch für sich und die ganze Insel als verbindlich anerkennen mußte, so werden wir auch hier die später dem Kloster zu Bergen verliehenen Güter, soweit sie auf dem eigentlichen Rügen liegen, ganz oder größtentheils als alte Tempelgüter, und zwar vorzugsweise wohl als zu dem Tempel des Rugevit gehörig, betrachten dürfen. Dahin gehören namentlich Bergen selbst, slavisch Gora, mit dem Rugart (Rugigard), nebst dem benachbarten Godimoviz (heute Godimow) und Garmyn (Garmyz = Jarnitz?); ferner Guttin (Göttin), Melnow (Möln) und Siraf (Serow), im Kirchspiel Samtens, südwestlich von Bergen in der Nähe der Küste, wo auch ein Ort Rügenhof liegt; weiter Gargoliz (Zargelitz), Charwa (Carow), Zegozi oder Zegastiz, (i. e. taberna, etwa der Heidekrug in der Prora?), Lukobandiz (Luko, Bandiz? = Lubkow und Pantow?) und Dabiniz (Dabiuiz = Dumbsivitz?) im Kirchspiel Zierkow im Lande Streyer östlich von Bergen; endlich Lubanoviz (Lübitz), Wascharviz (Varskevitz, Vaschviz) und Suszina (Zessin) im Kirchspiel Trent nordwestlich von Bergen, der Insel Wittow gegenüber 1 ). Diese Vertheilung der Güter führt auf die Vermuthung, daß die drei Tempel der Burg Carenz nur einen gemeinschaftlichen Hain in der nächsten Umgebung der Burg hatten, ihre sonstige Dotation aber nicht in einem geschlossenen Gebiete, sondern in drei Gruppen gesondert lag, in welchem Falle die Gruppe um den Hauptort Bergen die des Rugevit sein mochte.


3) Czernoglowy auf Jasmund.

Unsere Kenntniß der Hauptgottheit der Halbinsel Jasmund verdanken wir wiederum ausschließlich der nordischen Knytlingssage. Sie giebt ihr den Namen Tjarnaglofi und bezeichnet sie ausdrücklich als den Siegesgott der Insel,


1) Cod. Pom. dipl. Nr. 448 Von 1250 mit den Anmerkungen der Herausgeber und deren Bestimmung der einzelnen Orte, die hier in Klammer mit kleinen Aenderunaen eingefügt ist.
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welcher gleich Zwantevit die Seinen persönlich zu Kampf und Sieg führte, ohne Zweifel zu Roß 1 ). Sein Bild stellte ihn mit weißem, "silbernen" Barte dar, also als Greis und anscheinend einhäuptig; sonstiger Attribute wird nicht gedacht. Sein Name aber, augenscheinlich von czerny oder czarny: schwarz, und poln. glowa, serb. hlowa, böhm. hlawa: Haupt abzuleiten, ist wörtlich das böhmische czernohlawy: Schwarzkopf. Nach der Analogie von Czernebog ist aber czarny natürlich in dem Sinne: finster, zornig zu nehmen, und glowa wird im Slavischen, wie das deutsche Kopf, sehr häufig und namentlich in Zusammensetzungen in der Bedeutung: Verstand, Sinnesart gebraucht, der Name Czarnoglowy ist also wie unser Starrkopf, Tollkopf u. s. w. gebildet und kennzeichnet den Gott als ein Wesen finstern, zornigen Gemüths, ist mithin nichts anders als Czernebog selbst.

Sein Tempel stand, wie unsere Sage hervorhebt, am längsten von allen auf den rügischen Inseln und ward erst 3 Jahre nach dem Falle der Burgen Arkona und Carenz, so wie eines andern Heiligthums auf Jasmund selbst, das erst später besprochen werden kann, zerstört. Er lag also nicht an den gewöhnlichen dänischen Heerstraßen, und schon deshalb wird sein Heiligthum kaum anderswo, als in der großen Buchenwaldung Stubbenitz am Ostufer der Insel zu suchen sein, wo ich nicht umhin kann, die berühmte Herthaburg für unsern Gott in Anspruch zu nehmen, nachdem dieselbe nach den neuesten Untersuchungen durch eine von dem preußischen Ministerium ernannte antiquarische Commission, der dawider erhobenen Zweifel ungeachtet, als eine alte heidnische Anlage anerkannt worden ist 2 ). Der mit alten Buchen bestandene Burgwall, bei dessen Anlage eine natürliche Erhöhung benutzt worden ist, liegt bekanntlich an einem kleinen, tiefen See oben auf dem schroff zum Meere abfallenden Kreidefelsen der Stubbenkammer, deren höchster Punkt mit einer freien, erhebenden Aussicht auf das nach Osten sich ins Unendliche ausdehnende Meer, der Königsstuhl genannt wird. Auf den übrigen 3 Seiten aber ist Burg und See


1) Knytlingasaga 1. 1. c. 122: "Sigrgodh" wofür eine andere Handschrift "höfudgodh" (Hauptgott) hat.
2) Nach mündlicher Mittheilung meines Collegen, des Geh. Archivraths Dr. Lisch, Mitglieds der gedachten Commission. Der Burgwall bei Werder in der Stubnitz ist dagegen nach dem Urtheil der Commission ein dänisches Lager, welches in diesem Falle auf Veranlassung der Belagerung der Czernoglovsburg angelegt sein dürfte.
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von dichtem Walde umschlossen. Der See hieß im Alterthum der Schwarze See, und wird noch heute vom Volke ausschließlich so genannt, wogegen gelehrte Forscher seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts hier das von Tacitus beschriebene Heiligthum der mütterlichen Erdgöttin suchten, in Folge dessen See und Burg in neuerer Zeit durch die Gebildeten Herthasee und Herthaburg getauft worden sind.

Die daran haftenden alten Sagen weisen aber keineswegs auf die Frühlings= und Friedensgöttin des Tacitus oder eine entsprechende slavische Gottheit hin. Obwohl der heilige See fischreich war, wagte es nach einem Berichte aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts doch Niemand, ein Fahrzeug darauf zu bringen oder Netze zu stellen, aus Furcht, daß der "H. Nicolaus und sein Bruder" den Frevler strafen würden, wie der Heilige selbst einst dem erschrockenen Fischer, der wider das Verbot gehandelt hatte, unsichtbar aus dem Gipfel einer hohen Buche herab drohete. Da oben hing auch der Kahn. Nicolaus, dessen Fest in die Mitte des Winters fiel (6. Decbr.), ist aber neben Martin nach dem katholischen Heiligenkultus der Hauptstellvertreter des heidnischen Wodan, der z. B. in der Weihnachtszeit als Ruhklas geradezu die Rolle des Gottes spielt. In der That scheint auch unter seinem Bruder, so wunderbar das klingt, kein anderer, als der Teufel verstanden zu sein 1 ).

Die eigentliche Stubbenkammer, die der ganzen Oertlichkeit den Namen gegeben hat, ist eine umfängliche, fast ringsum von dem bröckelnden Kreideufer eingeschlossene Vertiefung hart an dem Königsstuhl, aus welcher nur ein enger, steiler Pfad durch zwei, gleich hohen Thorpfeilern fast isolirt stehende Felsenspitzen zum Meeresufer hinab führt. Diese Vertiefung ist vom Volke von jeher als eine Kammer betrachtet worden, welche nach der Sage in alten Zeiten als Schlupfwinkel der Seeräuber gedient haben soll, eine Sage, welche gleichfalls in das Heidenthum zurückzuweisen scheint, wo unsere Burg, gleich Arkona, sicher ein Hauptsitz der von dem nahen Hafen Sassenitz aus betriebenen Seeräuberei gewesen sein wird. Die weiteren daran geknüpften Einzelheiten aus dem 14. Jahrhunderte entbehren erweislich jeden historischen Bodens. Der Name Stubbenkammer ist in der ersten Hälfte gewiß nichts anders, als das altslavische stupa, unsere


1) Clüver, de antiquit. Germanor. I, c. 34. und II, c. 27. Der Fischer hatte auf "alle Teufel" geschimpft, als er seinen Kahn oben in dem Baume hangen sah, worauf der Heilige antwortete, nicht alle Teufel, sondern ich und mein Bruder allein haben das gethan.
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Stube, woran die deutschen Einwanderer die zweite Hälfte, Kammer, angehängt haben werden, ein Pleonasmus, welcher nur beweisen würde, daß beide Völker, unabhängig von einander, auf denselben, in der That überaus nahe liegenden Vergleich gekommen seien. Doch kann das Wort Kammer auch aus dem slavischen kamen: Stein, entstanden sein, in welchem Falle der ganze Name sich auf die Felsengruppe am Rande der stupa beziehen würde. Auch der Wald Stubnitz ist natürlich von der stupa abzuleiten, und das scheint dafür zu sprechen, daß dies der einfache slavische Name der Felsenkammer war 1 ).

Hierzu stimmt endlich auch die weitere Umgebung der Burg. Etwa 1/4 Meile nordwestlich davon entfernt liegt nämlich der wiesenreiche Hof Schwierenz, ein Name, welcher in der alten wendischen Form Zwiriniza gelautet haben wird, was gleichbedeutend mit Zwirin, Zwerina: Tiergarten ist, worunter man im Alterthum, wie ich in meiner Abhandlung über die wendischen Schwerine nachgewiesen zu haben glaube, ein Gehege zur wilden Pferdezucht verstand, die mit unsern National=Heiligthümern regelmäßig verbunden war, weshalb jener Name auch das Heiligthum selbst bedeutete. Diese Ansicht finden wir also auch hier bestätigt, und umgekehrt wird durch die Nachweisung der Zwiriniza auch meine Ansicht über die Bedeutung der Burg neu begründet und befestigt. Die Grenze des Heiligthums wird sich aber in dieser Richtung längs der Küste bis zu der äußersten Nordspitze derselben bei dem Dorfe Lohme erstreckt haben, welches wiederum zu der Dotation des weit entfernten Klosters Bergen gehörte, also altes Tempelgut war. Vielleicht war auch das Klostergut Babin, das jetzige, durch seinen heidnischen Opferstein bekannte Pfarrdorf Bobbin, wozu auch Lohme gehört, eine isolirte Pertinenz des Tempels, da das Heiligthum selbst größtentheils bewaldet und wenig angebaut gewesen sein wird.


1) Bei Herbord, vita Otton. epc. II, c. 24, heißt es von einem Gemache auf dem herzoglichen Hofe zu Julin: "Aedificium quoddam fortissmum trabibus et tabulis ingentibus comparatum, quod stupam vel pirale vocant". Pyrale ift ein heizbares Gemach. Auch vorher II, 16, ist von stupis calefactis die Rede. In den altböhmischen Glossarien wird das lateinische pila l. durch myesz, mziko, d. i. Ball, erklärt. 2. durch stupa, d. i. Stube, da pila, mittelalterlich jedes Local, insbesondere taberna heißt. Die neuerdings vorgeschlagene Erklärung des Namens Stubbenkammer durch stupjen-kamen: Stufenstein läßt die Waldung Stubnitz unberücksichtigt, und widerspricht auch dem Eindruck, den die schroffen Uferwande und spitzen Felsenpfeiler auf den Beschauer machen, durchaus.
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Der Burgwall am Schwarzen See, die viel besprochene und besungene Herthaburg, ist also hiernach ziemlich sicher als die Tempelburg des finstern Waldgottes Czernoglovy zu betrachten, und wird künftig, wenn man sie den germanischen Göttern, denen sie zu Tacitus Zeit geweiht gewesen sein wird, erhalten will, die Wodansburg zu nennen sein.


4) Triglaw zu Stettin.

Auf dem Festlande Rügen ist bis jetzt kein National=Heiligthum des Czernebog bekannt geworden, obgleich hier mehrere heidnische Burgwälle liegen, welche ehemals diese Bestimmung gehabt haben könnten, z. B. bei Triebsees 1 ) und die als sehr fest geschilderte Hauptburg der ersten pommerschen Herzoge zu Demmin (Timina) an der Pene. Unter den pommerschen Göttern an der Odermündung, über welche uns die Biographen des heiligen Apostels der Pommern, Bischof Otto von Bamberg, aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts ziemlich eingehende Berichte hinterlassen haben, ist dagegen mit voller Sicherheit der zu Stettin verehrte Triglaw hieher zu rechnen.

Nach meiner Auslegung dieser freilich nicht ganz klaren und theilweise selbst untereinander in scheinbarem Widerspruch stehenden Berichte bestand die alte, durch Natur und Kunst außerordentlich starke und fast unangreifbare Tempelburg aus drei neben einander liegenden und mit einander verbundenen hohen und steilen Wällen auf einer gemeinsamen natürlichen Anhöhe hart am Ufer der Oder. Auf der Landseite aber war dieselbe von einem Wallgraben mit mehreren zu ebener Erde befindlichen Thoren umschlossen, welcher die Burg von der Stadt trennte, so daß man frei um die erstere herumreiten konnte. Auf diesen Burgwällen standen 3 hohe hölzerne Tempel und andere öffentliche Gebäude, was dem ganzen Baue das Ansehen eines borstigen Schweinrückens verlieh und Burg und Stadt, wenigstens nach normännischer Interpretation, den Namen gegeben hat. Szczecin, wie die Stadt Stettin noch heute von den Polen genannt wird, bedeutet in diesem, an Zischlauten überreichen, slavischen Dialecte: die Borste, sorb. scec (davon scecizna: ein struppiger, borstiger Wulst), böhm. sstetin, weshalb die


1) S. die Abbildung im Anhang zu dem Cod. Pomer, dipl.
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Nordländer den Ort Burstaborg nannten 1 ). Ganz besonders zeichnete sich der mittlere dieser Wälle durch Höhe und Größe aus, und auf ihm stand auch nicht nur der Haupttempel des Gottes, sondern zugleich die Residenz des Fürsten, welche nach slavischer Sitte jedem Flüchtlinge als Asyl diente, und in welcher auch die christliche Mission bei ihrer Ankunft aus Wollin, unmittelbar von den Schiffen aus bei Nachtzeit und vom Volke unbemerkt, mit ihrem ganzen bedeutenden Gepäcke eine Zufluchtsstätte fand.

Der hölzerne Tempel selbst, dessen Wände mit reichem Schnitzwerke von tüchtiger Arbeit geschmückt waren, umschloß vor allem die kolossale Bildsäule des Gottes, welcher ausdrücklich als der höchste (summus paganorum Deus) bezeichnet wird, und hier nach einer im Vergleiche mit den Götzenbildern zu Arkona und Carenz abermals eigenthümlichen Symbolik als Beherrscher des Himmels, der Erde und der Unterwelt, wie seine Priester erläuterten, mit 3 Köpfen dargestellt war, was schon sein Name Triglaw ausdrückt. Ein goldenes Diadem, das bis unter die Augen hinabreichte, sollte nach eben dieser, durch unsern Berichterstatter vielleicht etwas christlich gefärbten Erläuterung, andeuten, daß der Gott es verschmähe, die Sünden der Menschen zu sehen. Näher liegt anscheinend der Vergleich mit dem breitkrempigen Hute des einäugigen Othin, so daß beide als den trüben Winter und die Nacht liebende, und zugleich als blinde Schicksalsgötter erscheinen würden, die ihre Gaben nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach Gunst und Willkür vertheilten. Ein ähnliches kleineres Bild aus Gold, nebst einem dazu gehörigen Sessel oder Sattel (sella, vergl. weiter unten), hatten die Priester vor Ankunft der Mission auf die Seite geschafft. Es kam aber später dennoch in den Besitz des Bischofs, welcher dasselbe ausnahmsweise für sich selbst in Anspruch nahm und die abgelösten, mit einander verbundenen 3 Köpfe gleichsam als Siegestrophäe nach Rom sandte. - Außerdem ward in dem Tempel auch der Schatz des Gottes aufbewahrt, in welchen namentlich der Zehnte aller Beute aus den, sei es zu Lande oder zu See, unternommenen Kriegen


1) Knytlinga Saga c. 125 und Olaf Trygwesona Saga c. 269. Ebenso übersetzt die Knytlingssage den Namen Camin von kamen : Stein, durch Steinborg. Ueber die Eigenthümlichkeiten der Bauart unserer Burg vergl. namentlich Herbord, .Vita Otton. episc. Babenberg II, c. 26 u. 31; Ebbo, Vita ejd. II, c. 13 u. 27. III, c. 1. Mon. Priefl. Vita ejd. II, c. 7 u. 11. Saxo .Gr. XIV, p. 866 - 68 (Ed. Veltschow). - Ueber die abweichenden Ansichten Anderer s. Hering, Beiträge zur Topographie Stettins (Baltische Studien X, S. 8 ff.)
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floß, so wie endlich die heiligen Geräthe, unter welchen sich, außer silbernen Bechern und künstlich bearbeiteten Thierhörnern, welche als Trinkgefäße für die Fürsten und Edlen bei den Opferschmäusen dienten, namentlich auch größere goldene Schalen (crateres) befanden, welche zur Weissagung benutzt wurden, nämlich wie man voraussetzen darf, aus dem Blute des Opferthieres 1 ). - Auf dieser Höhe ward nach Zerstörung des Tempels die erste, dem H. Adelbert geweihete christliche Kirche erbauet, welche jedoch bald wieder untergegangen sein wird, da sie nach der zweiten Anwesenheit Otto's im Jahre 1127 nicht wieder vorkommt. Statt ihrer ward 1187 die Jacobi=Kirche außerhalb der Burg (extra castellum), 1236 aber auf einem Burgwalle, anscheinend auf dem Platze der S. Adelberts=Kirche, die S. Marien=Kirche gegründet, während auf dem zweiten nördlich angrenzenden Walle damals ein fürstlicher Hof stand 2 ).

In einem andern, demselben Gotte geweiheten Heiligthume, nördlich außerhalb des Burgwalles, befand sich, wie zu Arkona und Rethra, ein heiliges, von den Priestern sorgsam gepflegtes Roß, welches auch hier für das eigentliche Orakel des Gottes galt, und namentlich vor jedem Kriegs= oder Raubzuge zu Wasser oder zu Lande ganz in derselben Weise wie dort befragt ward, um den göttlichen Willen zu erforschen. Auch wird dasselbe hier wie dort in wichtigern Fällen von dem Gotte selbst bestiegen worden sein, um das Heer zum Siege zu führen, da dessen in dem Heiligthum aufbewahrten, mit Silber und Gold geschmückten Sattels ausdrücklich gedacht wird. Das Roß selbst aber, ungewöhnlich groß und stark, soll, wie versichert ward, von schwarzer Farbe gewesen sein, was im Hinblick auf die Schimmel Zwantewits und der unsichtbaren nächtlichen Teufelsreiter, jedenfalls sehr auffallend ist, weshalb ich einen leisen Zweifel nicht unterdrücken kann. Der Berichterstatter Herbord hat weder das Roß noch sein Heiligthum gesehen, die schwarze Farbe war aber für dies Teufelsthier nach christlicher Vorstellung vom Teufel, dessen Böcke, Hunde u. s. w. in der Sage gleichfalls schwarz zu sein pflegen, allerdings ebenso passend, als sie dem Wesen des heidnischen Gottes trotz seines Namens Czernebog, der übrigens mitgewirkt haben mag, widerspricht. - Herbord,


1) Vergl. die bei solchem Schmause umhergehende patera des Helmold (I. 52), in welche Gebetformel gemurmelt wurden.
2) Herbord 1.1. II, c. 30 - 31. Ebbo II, 13. III, c. 1. - Cod. Pomer. dipl. No. 61. p. 145 und Dreger Cod. dipl. Pomer, p. 467.
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dem der Prieflinger Mönch folgt, benennt dies Heiligthum mit einem einheimischen Worte: contina, welches er zugleich für templum, fanum überhaupt gebraucht, und namentlich alle 4 religiösen Anlagen Stettins darunter versteht. Auch um die Ableitung des Wortes ist er nicht in Verlegenheit. Es sei das lateinische continere, indem die slavische Sprache meistentheils (plerisque vocibus) mit der lateinischen übereinstimme. Nicht viel glücklicher scheint mir die neuere Ableitung aus dem poln. konczina: das Ende, daher die Spitze, konczaty: spitzzulaufend, also: ein spitzes, thurmartiges Gebäude. Dagegen habe ich, davon ausgehend, daß nur Herbord und der jüngere Prieflinger Mönch, welche nie einen Slaven reden gehört haben, diesen Ausdruck kennen, aber auch nur in dem Berichte über Stettin gebrauchen und zugleich die Einzigen sind, welche des Roßheiligthums gedenken, die Vermuthung gewagt, daß das Wort in Wahrheit eben nur dies letztere bezeichne, und von kon: Roß und dem veralteten tyn: Gehege, tynjm: zeunen, befestigen, also Roßgehege, Roßhagen, in dem Sinne von konina, konyczye: equiniea, abzuleiten sei 1 ). Auf jeden Fall setzt dies Heiligthum einen größern Hain voraus, da das Roß des Gottes, das durch keine Arbeit entweiht ward, natürlich nicht als das ganze Jahr im Stalle stehend gedacht werden kann, sondern passender Weideplätze bedurfte, auch nicht ohne Stuten gewesen sein wird.

In diesem Heiligthum, in welchem ohne Zweifel auch der heilige, neben einer Brücke, vermuthlich über den Wallgraben der Burg, stehende Nußbaum zu suchen sein wird, ward die zweite, den Aposteln Petrus und Paulus geweihete Kirche erbauet. Sie steht noch jetzt in einer Niederung längs der Oder im Norden der Anhöhe, auf welcher die Burg gestanden haben wird 2 ).


1) Vocabular. Rozkochany, Saec. XIV : tyn sepur (! von sepire). Hanka 1. 1. p. 91 u. 94 Palkowitsch, Böhm. W.=B. s. v. tyn. Vgl. die Grenzen der Redarier, S. 94.
2) Herbord 1. 1. II, c. 33. Ebbe III, c. 1 und c. 15. - Mon. Priefling, II. c. 17 und 13. - Herbord spricht von 4 Kontinen in der Stadt, aus den Zusamenhang geht aber hervor, daß er den Hain des heiligen Rosses mitrechnet, welcher natürlich außerhalb der Burg lag, wie Ebbo und der Prieflinger Mönch ausdrücklich angeben. Ebbo kennt daher, obwohl er anfangs gleichfalls von 4 Heiligthümern spricht, bei der genauern Beschreibung nur 3 innerhalb der Burg und den Roßhain außerhalb derselben. Der Prieflinger Mönch giebt nur 2 Heiligthümer an, betrachtet also die 3 Höhen der Burg als zusammengehörig (trifariam divisis municionibus) und den Roßhain als das zweite, von welchem er ausdrücklich bemerkt, daß es nicht weit davon gelegen habe und demselben Gotte geweiht sei.
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Auf den beiden oben erwähnten kleineren Hügeln neben der Haupttempelburg standen gleichfalls öffentliche Gebäude, aber von einfacher Bauart und weniger schmuckreich, worin sich nur Tische und Bänke befanden. Hier wurden an bestimmten Tagen und Stunden öffentliche Versammlungen gehalten, Trinkgelage gefeiert und Spiele angestellt, was sich vielleicht sämmtlich auf den Dienst des Triglaw bezieht, dessen Hauptfest voraussichtlich in den Winter fiel. Wenn aber, wie es scheint, die unmittelbar nach der Beschreibung der drei Hügel und ihrer Baulichkeiten erwähnte alte Eiche, unter deren reichbelaubten Zweigen eine frische Quelle hervorsprudelte, welche als ein göttliches Wesen verehrt ward, auf einen dieser Hügel, oder an dessen Fuße stand, so wäre dieser sicher als ein Tempel des Donnergottes zu betrachten, wenn er auch kein Bildniß hatte, sondern nur während des Winters als Dingstätte benutzt ward. In diesem Falle hätten wir denn natürlich, nach dem Vorbilde von Carenz, den dritten Hügel für das Heiligthum des Porevit zu nehmen 1 ).

Vor dem Tempel Triglaws auf dem mittlern Walle wird dann der geräumige öffentliche Marktplatz (forum publicum), mit einer hohen hölzernen Rednerbühne, gelegen haben 2 ), und um denselben herum der von 900 Hausvätern bewohnte Ort, deren Ländereien sich nach wendischer Weise hinter den Häusern befunden haben werden. Dieser ganze Ort mit Einschluß der Feldmark und vielleicht auch, nach dem Vorbilde der uns genauer bekannten Heiligthümer anderer Völker, noch verschiedener zum Tempel gehöriger Dörfer war nun rings von Sumpf und Wasser eingeschlossen 3 ), worunter wir theils die Oder, theils kleinere Gewässer und Sümpfe auf der Landseite zu verstehen haben werden, und in diesen Grenzbefestigungen sind dann gewiß auch die Thore zu suchen, von welchen in der Mehrheit ohne Angabe einer bestimmten Zahl geredet wird. Eins derselben, mit hohen und starken Pfeilern versehen, scheint jedoch über die gelegentlich erwähnte Brücke, vielleicht von der Burg aus, unmittelbar in den heiligen Hain des Rosses geführt zu haben.

Es bedarf keiner weitern Erörterung, daß diese Gottheit keine andere war, als die in den rügenschen Tempeln


1) Herbord. II, c. 32 a. E.
2) So verstehe ich den Ausdruck, daß der Tempel und die Adelberts=Kirche in media civitate, oder medio foro gestanden hätten.
3) Civitas stagno et aquis undique cincta. Herbord 1. 1. II, c. 5.
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verehrte, und daß auch das Heiligthum selbst in allen wesentlichen Punkten mit den sonst bekannten großen National=Heiligthümern übereinstimmte. Auch an einer angemessenen Dotation des Tempels wird es nicht gefehlt haben. Daß auch in Pommern solche Tempelgüter existirten, ist schon von Giesebrecht und andern mit Bezug auf die älteste Stiftungsurkunde des später nach Cammin verlegten Bisthums Wollin angenommen, indem man die dem Bischof überwiesenen 11 Burgen (castra), worunter auch Stettin, als Tempelburg betrachtet, mit welchen zugleich deren in der Urkunde bezeichneten Pertinentien mit überwiesen wurden. Dahin wird in Stettin namentlich das der Jacobi=Kirche 1187 verliehene bewaldete Grundstück (terra cum silva, venatione et piscatione) gehören, welches die Namen Clezkow und Gribin (Hüttenort und Pilzort) führte. Eines größern Tempelgaues innerhalb der Herrschaft (provincia) Stettin wird nicht gedacht. Die beiden Bäche, welche im Westen von Stettin aus mehreren nicht unbedeutenden Seen bei den Dörfern Sporenwolde, Brunn, Volkersdorf und Krekow im parallelen Laufe zu beiden Seiten der Stadt zur Oder herabfließen, würden eine sehr passende Grenze eines solchen Gaues gebildet haben.

Unter den übrigen Götzentempeln, welche uns durch die Mission des Bischofs Otto bekannt geworden sind, scheint nur noch derjenige zu Gützkow (Gozgaugia, Chozegowa) zu den Czernebog=Tempeln zu gehören. Er wird als außerordentlich groß und als ein Kunstwerk von wunderbarer Schönheit geschildert, so daß selbst Priester aus dem Gefolge Otto's dessen Erhaltung und Weihung zu einem christlichen Gotteshause befürworteten. Als er aber, dessen ungeachtet, zerstört und das kolossale Bildniß, gleichfalls von ausgezeichneter Arbeit, welches mehrere Joch Ochsen kaum zu ziehen vermochten, dem Feuer übergeben ward, erhob sich ein so ungeheurer dichter Mückenschwarm, daß er die Sonne fast verfinsterte, und zog, vor dem Kreuze des Herrn entweichend, über das Meer zu dem heidnischen Rügen. Dabei wird einer Brücke gedacht, über welche das Götzenbild geschleppt ward, wonach der Tempel auf einer Insel gestanden haben wird. Näheres erfahren wir weder über die Gottheit selbst, noch über sein Bildniß oder sein Heiligthum. Doch scheint das Vorbemerkte zu genügen, um in dem letztern das National=Heiligthum der kleinen Gaue an der Meeresküste zwischen den Grenzen des Festlandes Rügen, der Redarier, Ukrer und Pommern diesseits der Oder, welche zusammen in

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alter Zeit eine selbstständige Herrschaft gebildet haben werden, vermuthen zu lassen. - Die Heiligthümer zu Wollin und Wolgast gehören dagegen nach meiner Ueberzeugung anderen Mythenkreisen an, weshalb ich sie vorläufig übergehen muß.


5) Die Heiligthümer der Wilzen.

In dem ganzen Gebiete der verschiedenen brandenburgischen Wilzenstämme von der Grenze der pommerschen Herrschaft Stettin längs der Havel und Elbe südlich von den Liutizen und Obotriten, also namentlich in den Herrschaften der Ukrer, Rizener, Stoderaner, Brizaner, Linonen u. a. 1 ), wird bei den alten Chronisten nirgends einer slavischen Gottheit gedacht, welche zu dem hier besprochenen Mythenkreise gehören könnte. Auch die National=Heiligthümer dieser Völkerschaften auf brandenburgischem Gebiete sind zur Zeit nicht ermittelt worden, da dies in der Regel nur einheimischen Forschern gelingen wird, welche mit der erforderlichen Localkenntniß ausgerüstet sind oder ausreichende Verbindungen im Lande haben, und denen zugleich die Landesarchive zu dauernder Benutzung offen stehen. Den sehr schätzbaren topographischen Untersuchungen dieser Gegend durch v. Ledebur und Riedel lag namentlich unser Gesichtspunkt durchaus fern. Doch dürfte es in hohem Grade wahrscheinlich sein, daß die Heiligthümer der Stoderaner und Brizaner zu Havelberg und Brandenburg, den spätem Bischofssitzen dieser Gegend, zu suchen sind, das der Linonen aber zu Lenzen, wo 1066 der christliche Priester am Altare geopfert ward. Mit größerer Sicherheit glaube ich dagegen die Heiligthümer der Ukrer auf dem Konower Werder zwischen den Feldberger Seen und das der Rizener zwischen den Havelseen bei Krazburg, also beide in dem gegenwärtig noch zu Meklenburg=Strelitz gehörigen Grenzstriche gegen die liutizischen Redarier, nachge=


1) Ueber den verschiedenen Gebrauch der Namen Wilzen und Liutizen in unsern Quellen vergl. Wigger, zur Topographie der Slavenländer in den Meklb. Ann. S. 114 ff. Ich verstehe unter den Liutizen stets nur die 4 Völkerschaften der Redarier, Tholenzer, Zircipaner und Kissiner in dem heutigen Meklenburg, welche auch in den Quellen vorzugsweise mit diesen Namen belegt werden, und denen er auch nach meiner Ansicht ursprünglich allein gebührt.
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wiesen zu haben 1 ). Beide kleine Tempelgaue, die ich bereits ausführlich beschrieben habe, tragen so unverkennbar den eigenthümlichen Charakter der hier besprochenen wendischen National=Heiligthümer des Czernebog, daß sie hoffentlich als solche Anerkennung finden werden. Unter welchem besondern Namen aber diese Gottheit hier verehrt sein mag, wird wohl für immer dunkel bleiben.


6) Radegast=Zwarasici zu Rethra und die übrigen liutizischen Heiligthümer.

Auch das berühmte Redarische Heiligthum zu Rethra habe ich schon früher wiederholt und ausführlich besprochen, worauf ich mich hier einfach beziehen darf 2 ). Nur über das Verhältniß der dort verehrten Gottheit zu unserm Mythenkreise habe ich hier noch einige Worte hinzuzufügen. Wie wir oben (S. 125) gesehen haben, führte Zwantevit auf Arkona nach der Knytlingssage auch den Namen Svaraviz. Ebenso wird die zu Rethra verehrte Gottheit bekanntlich von Thietmar Zuarasici, von Adam von Bremen dagegen Redigast genannt. Da nun Redigast oder Radegast, wie Helmold ihn nennt, sonst als eine obotritische Gottheit genannt wird, so könnte man vermuthen, daß der Name nur nach obotritischer Interpretation auf den Gott zu Rethra übertragen worden sei. Allein der Umstand, daß auch dem Thietmar der Name "Riedegost" in unserm Heiligthume sehr wohl bekannt ist, wenn gleich er denselben nicht auf die Gottheit selbst, sondern nur dessen Tempel bezieht, und daß eine andere Oertlichkeit innerhalb des heiligen Haines bis auf heute vom Volke Radegast genannt wird, beweist vollkommen, daß dieser Name nicht blos bei den Obotriten, sondern auch bei den Liutizen in Gebrauch war. Andererseits ist auch der Name Zwarasici theils schon durch den Swaraviz der Knytlingssage, vor allen aber durch den Suarasi in dem Schreiben des slavischen Missionairs, Erzbischof Brun an den König Heinrich II. vom Jahre 1008 vollkommen gesichert, da dies Schreiben, worin der Verfasser den König vor dem Bündniß mit den heidnischen Redariern gegen den


1) Die Landwehren und Heiligthümer an den Grenzen der Redarier. Jahrb. XXXVII, 83 ff. und 104 ff.
2) Jahrb. XXXII, 134 ff. und XXXVII, 55 ff.
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christlichen Boleslav von Polen nachdrücklich warnt, offenbar ganz speciell auf den Götzendienst zu Rethra hinweist 1 ). Es folgt also, daß die dortige Gottheit wirklich unter dem doppelten Namen Radegast und Zwarasici verehrt ward, und weiter, da Zwarasici und Swaraviz augenscheinlich nur in der Form verschieden sind, daß auch Radegast zu Rethra und Zwantevit zu Arkona nur als verschiedene Namen derselben Gottheit genommen werden können 2 ). Dieser äußere Beweis für die Identität beider Götter war übrigens bei der vollkommenen Uebereinstimmung ihres Wesens und ihres Kultus in der That nicht erforderlich. Wie Zwantevit=Suaraviz erscheint auch Radegast=Zuarasici als echter Czernebog. Sowohl Thietmar als Adam erklären ihn ausdrücklich für den ersten und höchsten aller Götter, gleichsam den Götterfürsten (primus, princeps deorum). Sein goldenes Bildniß stand in der Mitte des Tempels, rund umher an den Wänden die kleineren Bilder der übrigen Götter. In denselben Sinne wird Radihost in Wacerads mater verborum 3 ), gleich dem höchsten Gotte der Gallier und Germanen seit Cäsar und Tacitus, dem römischen Mercur verglichen, während selbst Zwantevit einseitig nur als Mars bezeichnet ward. Auch das barbarische Menschen= und vorzugsweise Christenopfer ergötzte ihn nicht minder, als den Swantevit, wie schon der Erzbischof Brun, der ihn geradezu als den Teufel betrachtet, und Thietmar mit Nachdruck hervorheben, und ein halbes Jahrhundert später das Beispiel des Bischofs Johannes von Meklenburg beweist, dessen Haupt, nachdem er den grausamen Märtyrertod erlitten, als Siegestrophäre auf dem Altar des Radegast zu Rethra geopfert ward. Schon diese blutigen Opfer weisen zugleich auf seine Eigenschaft als Kriegsgott hin, welche auch dadurch Bestätigung findet, daß die heiligen Kriegsinsignien während des Friedens in seinem Tempel aufbewahrt wurden, wie durch Thietmar ausdrücklich bezeugt wird. Endlich finden wir auch zu Rethra dasselbe Orakel durch Loose und das heilige Roß des Gottes, wie zu


1) W. Giesebrecht, die Kaiserzeit, II, 602.
2) Der nahe liegende Zweifet, ob die in die neueste Ausgabe Adams (M. H. G. X. Scrr.) aufgenommene Namensform Zuarasici statt des Luarasici der ältern Ausgaben wirklich ganz sicher, oder ob nicht vielmehr Zuarasici oder gar Zuarasiti zu lesen sei, wird durch die mir auf meine Anfrage gefälligst gegebene bestimmte Versicherung des Herrn Oberbibliothekars, Hofrath Förstemann zu Dresden, daß sowohl das s als das c in der Handschrift Thietmars völlig unzweifelhaft sei, beseitigt.
3) Hanka 1. 1. p. 14. Mercurius a mercilbus est diotus; Radjhost.
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Arkona und Stettin. - Den Namen Radegast deutete schon Frenzelius und nach ihm Appendini und Schafarik als Kriegsfreund oder Kriegsführer (dux belli), von dem illyrischen rat: Krieg (wohl aus der Wurzel raz: Schlag) und gast oder gost: Leiter, Führer (praefectus). Die constante Schreibung der Namen Radegast, Raduir, Redarier und Rethra, die offenbar derselben Wurzel angehören, mit d oder th scheint dieser Vermuthung indeß zu widersprechen, wogegen die Ableitung von dem allen slavischen Dialecten gemeinsamen rad: Rath, radjm: rathen, womit auch rzad, rjad: ordo, rzadim, rjadowac: ordnen, daher regieren, herrschen, verwandt ist, sprachlich unbedenklich zu sein scheint, und zugleich einen sehr passenden Sinn geben würde. Der Name würde sich darnach auf die Weissagungskraft des Gottes beziehen, und ihn gleichsam als den himmlischen Rathgeber, als die Gottheit des Orakels darstellen, wobei daran zu erinnern ist, daß die Redarier als Inhaber der Woiwodschaft des Liutizischen Bundesstaates im Rathe der Völker eine ähnliche Stellung einnahmen, als Radegast im Rathe der Götter. Die Namen Zwarasici und Suaraviz stellen ihre Träger dagegen allerdings als Kriegsgötter dar, da swar oder swara, sorb. swada: Streit, Kampf bedeutet.

Das National=Heiligthum der Herrschaft Tholenze ist noch nicht aufgefunden. Vielleicht lag die Tempelburg auf dem noch nicht genau untersuchten Burgwall der Insel Schwerin, in dem Düstersee bei Lütgendorf (R. A. Lübz), wenn die Grenzen der Tholenzer sich soweit gegen Südwest erstreckt haben sollten. Sonst scheint auch die Lage von Treptow an der Tollense sich sehr gut zu einer solchen Anlage zu eignen. - Die Heiligthümer der Zircipaner und Kissiner werden wir dagegen nirgends anders als auf den von mir in der Abhandlung über die Schwerine gleichfalls besprochenen Tempelburgen von Bölkow bei Güstrow und Zwante=Wustrow zu suchen haben. Der Name der hier verehrten Gottheit ist wiederum nirgends genannt, wiewohl das Wesen derselben, wie ich schon früher nachgewiesen habe, aus der Beschaffenheit der Heiligthümer und aus den daran haftenden Volkssagen nicht zweifelhaft ist. Bei Bölkow glaube ich zugleich Spuren einer Opferstätte des unterirdischen Zwerges Puschaitis oder Putscaetus nachgewiesen zu haben, den Hüter der Schatzkammer des Gottes, der in Preußen und bei den benachbarten Völkern lettischen Stammes zugleich als Hüter des heiligen Haines,

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also überhaupt des Heiligthums und vertrauter Diener des Gottes der Großen und Edlen Markopolus, aufgefaßt ward. Daraus aber zu folgern, daß dieser Ober=Gott auch bei den Wenden unter diesem Namen verehrt worden sei, dürfte voreilig sein, da das geschilderte Verhältniß des Putscat und der Zwerge überhaupt zu Czernebog, unter welchen speciellen Namen derselbe auch verehrt werden mochte, natürlich überall dasselbe gewesen sein wird, und namentlich auch in Bezug auf Radegast, wie auf den germanischen Othin, in mehrfacher Weise hervortritt 1 ).


7) Radegast in den Obotritischen Schwerinen.

Daß auch die Gottheit der obotritischen National=Heiligthümer kein anderer war, als Radegast, folgt daraus, daß Helmold denselben bestimmt und ganz allgemein als den Gott der Obotriten nennt 2 ). Auch ist es gewiß nicht zufällig, daß sich gerade hier der Name wiederholt auch als Ortsname findet. Ueberhaupt ist Radegast der am meisten verbreitete Name dieser Gottheit, der auch den Böhmen und Mähren und Südslaven, höchst wahrscheinlich also bei den sämmtlichen slavischen Völkerschaften bekannt war, und als der wirkliche allgemeine Eigenname des Gottes zu betrachten sein dürfte. Was Helmold in der angeführten Stelle unmittelbar über die Thier= und Menschenopfer, überhaupt den Kultus der wendischen Götter hinzufügt, bezieht sich vorzugsweise auf Radegast, und stimmt ganz mit dem überein, was uns schon bei Besprechung der in den Heiligthümern der übrigen wendischen Völker verehrten Gottheit, namentlich zu Arkona und Rethra, bekannt geworden ist. Die einzelnen hieher gehörigen Heiligthümer, welche größtentheils noch heute den Namen Schwerin führen, sind folgende:


1) Vergl. über die hier erwähnten Heiligthümer namentlich Jahrb. XXXII, 129 ff., 65 ff. und 60 ff. Die Vergleichung des Markopol mit dem wilden Jäger Markolf auf den dänischen Inseln (S. 69), welcher auch der deutschen Sage nicht unbekannt ist, trifft in sofern zu, als Markolf entschieden dem Othinischen Mythenkreis angehört, sein Name aber ist ebenso entschieden von mark: Wald, Grenze und olf, ulf: Wolf abzuleiten Das Verhältniß desselben zu den ähnlich lautenden lettischen Markopol muß ich dahin gestellt sein lassen.
2) Helm. I, 52: Radegast deus terrae Obotritorum.
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1) In den ostobotritischen Herrschaften Müritz und Warnow: die Schwerine bei Röbel und dem Dorfe Schwerin, rücksichtlich derer ich mich wiederum auf meine frühere Untersuchung beziehen muß. Das Heiligthum der Kussiner ist noch nicht aufgefunden. Bei Neukloster, dem alten Kussin, glaube ich es nicht suchen zu dürfen, worauf ich unten zurückkomme. Vielleicht lag es bei Bützow (Butissowe), dem spätem Bischofssitze, mit einem wendischen Burgwall an der Warnow, wo auch die Namen Pustol, Drakenkrug und Parkow auffallen, oder bei Eikelberg und Görnow weiter aufwärts an der Warnow, wo gleichfalls ein großer Burgwall liegt, oder endlich in dem Gaue Zilazne (Zelesen) am Ostufer des Schweriner Sees mit der Burg Dobbin 1 ).

2) In den westobotritischen oder reregischen Herrschaften Mikilinburg (Wiligrod?) und Smelding: der Schwerin bei der heutigen Residenz und Konow bei Dömitz. In Betreff Schwerins bemerke ich hier nur noch, daß das Heiligthum mindestens die ganze Inselgruppe von Ostorf bis zum Schelfwerder, und vielleicht auch noch einen Theil des Festlandes etwa zwischen dem Neumühlschen Bache mit seinen 3 Förden 2 ) und der Aue umfaßt haben wird 3 ). - Der große Burgwall bei Konow, der alten Connoburg Smeldingorum, ist schon früher von Lisch genau beschrieben. Konow selbst liegt auf dem Wanzenberge (Gau Waningk), einer höchst merkwürdigen gebirgsartigen Landschaft mit einer Salzquelle in der Nähe des Dorfes und einem Braunkohlenlager. Auf dieser Höhe liegt nach der Schmettauschen Karte auch eine Steinburg, welche noch nicht genauer untersucht ist. Endlich hat sich gerade in dieser Gegend, in Konow selbst und den benachbarten Dörfern, die Sage von Fru Woden und ihrer wilden Jagd fast lebendiger, als irgend wo sonst im Lande erhalten 4 ).



1) Jahrb. IX, 404, und XV, 318. - Franck, A u. N. M. XXXIII, 232, u. Jahrb. IV, B, 93. - Jahrb. V, 123 ff.
2) Jahrb. XXXVII, 52 ff.
3) Für den rothen Festrock des Burggeistes haben die meklenb. Anzeigen vom 28. Octb. 1867 weitere Zeugnisse beigebracht, wobei angedeutet wird, daß ich den Ostorfer Bauern den Bericht über den weißen Mantel wohl nur in den Mund gelegt hätte. Dagegen kann ich versichern, daß ich selbst durch diese mir völlig neue Erscheinung des Geistes in hohem Grade überrascht war, was mich aber noch heute nicht abhält, dieselbe für die allein richtige und ursprüngliche zu halten.
4) Jahrb. XXVI, 204 ff. - XI, 123 ff. - VIII, 202 ff.
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8) Podaga und die Heiligthümer der Polaben und Wagrier.

Ratzeburg, die Hauptfeste der Polaben, liegt auf einer Insel in einem bedeutenden, überaus reitzenden See mit hohen, und theilweise noch jetzt bewaldeten Ufern, durch welchen die schiffbare Waknitz fließt, um sich bei Lübek mit der Trave zu vereinigen. Es kann nach der ganzen Lage der Insel, welche nach Westen mit dem lauenburger Ufer durch einen künstlichen Damm, nach Osten aber mit dem Ufer des alten Gaues Boitin durch eine lange hölzerne Brücke verbunden ist, kaum einen passenderen Ort zu einer Tempelburg unserer Gottheit geben. Gleichwohl scheint es bedenklich, eine solche in Wirklichkeit daselbst anzunehmen. Daß Helmold sie nicht kennt, vielmehr nur die Siwa als Landesgöttin bezeichnet, darf freilich nicht irre machen. Zu seiner Zeit waren die kriegerischen Heiligthümer der Wagrier und Polaben bereits zerstört. Die Schwierigkeit der Untersuchung liegt vielmehr in der Ungewißheit der Stellung dieser Völkerschaft überhaupt und die Ausdehnung ihrer Grenzen. Sie wird zuerst um die Mitte des 11. Jahrhunderts gleichzeitig mit ihrer Hauptburg Razisburg genannt, und reichte, wie schon der Name besagt, bis zur Elbe, wo wir früher die nun verschwundenen Smeldinger fanden, deren Gebiet aber schwerlich bis nach Ratzeburg hinauf gereicht hat. Es müssen hier also unter obotritischer Oberherrschaft Veränderungen in der Stellung der einzelnen Völkerschaften vorgegangen sein, vielleicht durch freiwillige Landestheilung der obotritischen Fürsten, wodurch die alten Grenzverhältnisse völlig verwischt sind, weshalb auch die späteren Grenzen der Grafschaft, sowie des Bisthums Ratzeburg nichts entscheiden können. Zu dem letztern, welchem das alte Polabenland zugewiesen ward, gehörte gleichwohl z.B. auch der alte obotritische Gau Schwerin, bis er später gegen Brezen umgetauscht ward. - Dagegen scheint es sicher zu sein, daß zur Zeit der Herrschaft Krutos weiter nördlich, wahrscheinlich auf Polabischem Gebiete, an der Stelle, wo heute die Stadt Lübek steht, ein slavisches Heiligthum gegründet ward. Hier hatte Kruto nach Helmold auf einer Insel in dem spitzen Winkel oberhalb des Zusammenflusses der Waknitz und Trave die Burg Bucu erbauet, deren Wälle Graf Adolf von Holstein 1140 zur Wiederherstellung der zerstörten Stadt Lübek benutzte 1 ). Die Lage dieser alten


1) Helmold 1. 1. I, 47, § 4.
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Burg ist durch andere Forschungen genau ermittelt. Hier interessirt uns nur die Umgebung derselben, aus welcher sich mit Bezug auf das Ergebniß unserer bisherigen Forschungen die ursprüngliche Bedeutung derselben als heidnische Tempelburg bestimmt ergiebt. Der Raum neben dieser Burginsel nach Osten und Nordosten jenseits der Waknitz und Trave, welcher von diesen Flüssen im scharfen Halbkreise umschlossen, und auf der offenen Seite des Bogens durch den in der Nähe der Waknitz entspringenden und bei der Schwarzen=Mühle in die Trave fließenden Bach begrenzt wird, ist nämlich der schon früher von mir beschriebene 1 ) Schwerin, ein von großen Wiesenflächen unterbrochener Wald, welcher noch im 14. Jahrhundert vorzugsweise als Pferdeweide benutzt, und auf welchem vielleicht sogar noch eine wilde Stuterei gehalten ward. Dieser Schwerin ist also auch hier unbedenklich als der heilige Hain der Tempelburg zu betrachten, deren Name Bukuburg vielleicht slavisch Bogugard lautete, d. h. Gottesburg. Ob dazu auch ein größerer Tempelgau gehörte, und ob sich derselbe in diesem Falle nordöstlich zwischen der Trave und der Maurine, oder südlich zwischen der Wakenitz und Steknitz ausgedehnt haben möge, müssen wir bei dem Mangel jeglichen Anhalts dahin gestellt sein lassen.

Mit noch größerer Sicherheit erkenne ich endlich in der uralten festen Burg Plön das National=Heiligthum der Wagrier. Auch sie liegt auf einer Halbinsel in dem nach ihr benannten großen und tiefen See an der Grenze gegen die nordalbingischen Sachsen, und spielte seit den ältesten Zeiten in der Geschichte der Wenden dieser Gegend eine hervorragende Rolle. Auch die wagrische Burg, welche der Herzog Hermann von Sachsen in dem Heereszuge gegen den aufrührerischen Grafen Wichmann, der die Slaven gegen die Sachsen aufwiegelte, im Jahre 967 eroberte, und worin er eine eherne Bildsäule des Saturn zerstörte, kann nach der Lage der Dinge kaum eine andere sein als Plön. Auch nach Helmold, dessen Pfarrort am Ufer des Sees lag, stand hier ein zu seiner Zeit freilich wiederum bereits zerstörter Tempel mit der Bildsäule eines Gottes, welcher unter dem Namen Podaga verehrt ward 2 ). Die Insel dieser Tempelburg war nun schon zu Helmolds Zeit durch eine lange Brücke mit einer kleinen abgesonderten Landschaft am West=


1) Jahrb. XXXII, 131 ff.
2) Widukind, Res gestae Sax. III, 69. - Helm. I, 83.
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ufer des Sees verbunden, welche schon hiedurch als Zubehör der Burg erscheint, und in der That seit Anfang der Geschichte noch zu dem Lande Wagrien gehörte 1 ). Von dem Plöner See und der denselben durchströmenden Swentine einer Seits, und dem bei Bornhövt entspringenden und von See zu See fließenden Bornbach bis zu seiner Vereinigung mit der Swentine bei dem Kloster Preez scharf begrenzt, hat dieselbe nur im Süden zwischen Bornhövt und dem mit dem Plöner See in Verbindung stehenden Stock=See einen offenen, aber von Sümpfen und kleinen Gewässern unterbrochenen Paß, an welchem wiederholt in blutigen Schlachten über das Geschick des Landes entschieden ist. Der Gau selbst aber führte schon bei Adam von Bremen und Helmold, ja wahrscheinlich schon zur Zeit Karls des Großen, den Namen Swentifeld, augenscheinlich aus dem slavischen swanty, swenty: heilig und dem deutschen Feld zusammengesetzt. Das letztere ist aber nur eine Uebersetzung des slavischen plan, plon: campus, campestre, mit dem Nebenbegriff unangebauet, wild. Swentyplon (richtiger Swentaplon): Heiligenfeld, ist also der Name des Heiligthums einschließlich der Tempelburg. Auch der Fluß Swentine, der schon bei Adam von Bremen vorkommt, verdankt diesen Namen dem Umstande, daß er in dem Heiligthume entspringt, so daß also nicht etwa umgekehrt der Gau nach dem Flusse benannt worden ist. Adam und Helmold nennen den Gau Swentifeld. Doch hat letzterer ein Mal auch schon die verlängerte Form Swentinefeld und der locus Sventana, wo Trafico 798 die Sachsen schlug (Einhard. ann. ad. h. a.), mag eben auch nichts anders sein. Nicht zu übersehen ist endlich, daß in diesem Gaue das alte und bedeutendste Kloster Wagriens, Preez, liegt 2 ).

Den Namen der in diesem Heiligthume verehrten Gottheit Podaga, deren Bildsäule weder Widukind noch Helmold näher beschreiben, pflegt man dem litauischen, anscheinend aber selbst noch wenig gesicherten, Podangis zu vergleichen und von dangas, lievisch tauga = Himmel und der Präposition po abzuleiten, also: unter oder aus dem Himmel, ein Name, welcher freilich so ziemlich allen Göttern gerecht


1) Diese Behauptung widerspricht der Ansicht aller bisherigen Forscher. Ich denke aber den Beweis, der eine besondere Abhandlung erfordert, künftig nicht schuldig zu bleiben.
2) Die älteste Form ist Porez, vom böhm. poricj, eigentlich am Fluß (po reka), daher die Aue, wohin auch der Name der Elbinsel Poregi, jetzt Parey, gehören wird.
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sein würde, noch mehr aber den Menschen. Dürfte man annehmen, daß Helmold in seinem vielleicht oberdeutschen Dialecte Podaga statt Potaga gesprochen habe 1 ), so würde zunächst an das böhm. tagjm, poln. taje, serb. tajic: geheimhalten, tajny: geheim, secretus, mysteriosus zu denken, das po aber in der nicht seltenen, bloß verstärkenden Bedeutung zu nehmen sein, also: der Geheimnißvolle, Unbegreifliche.


Ist die vorstehende Darstellung wenigstens in der Hauptsache zuverlässig, so sind damit die nationalen Heiligthümer, deren nach Thitmar jede wendische Völkerschaft eins besaß, in dem von mir bezeichneten Forschungsgebiete, zusammt des darin herrschenden Kultus, fast vollständig nachgewiesen. Nur einige wenige bleiben noch ungewiß. Dies Resultat ist mir selbst wahrhaft überraschend, und scheint eben dadurch zugleich an Bedeutung zu gewinnen, wenn ich daran erinnere, daß ich bei dem Beginne meiner Forschungen über die wendischen Schwerine keineswegs von Thietmars Nachricht ausging, und mir die Absicht, deren Richtigkeit zu erweisen, völlig fremd war. Vielmehr ward ich damals lediglich durch die Wahrnehmung geleitet, daß die verschiedenen Oertlichkeiten unsers Landes, welche jenen Namen führen, eine große Aehnlichkeit mit einander haben, und meine Absicht war daher nur, durch genauere Feststellung der Eigenthümlichkeit dieser Oertlichkeiten deren Bestimmung zu ermitteln. Diese Untersuchung ließ mich bald heidnische Tempelstätten in denselben erkennen, und erst nach Vollendung der Arbeit fiel es mir auf, daß die einzelnen so ermittelten Heiligthümer mit einer einzigen Ausnahme verschiedenen Völkerschaften angehörten. So ward es mir klar, daß ich ganz unabsichtlich eine ganze Gruppe der National=Heiligthümer des Thietmar entdeckt habe, was mich nun natürlich veranlaßte, den eingeschlagenen Weg mit Bewußtsein weiter zu verfolgen. Meine Entdeckungen sind also lediglich das Ergebniß sorgfältiger Localforschung an der Hand der alten Chronisten unseres Volkes 2 ). Die eine eben gedachte Ausnahme ist der


1) Helmold, der mit dem Bischof Gerold von Oldenburg, einem Schwaben, ins Land kam, war wenigstens kein Holsteiner. Er schreibt z. B. stets Sigeberg st. Segeberg, Schalkesburg st. Skalkesbora und so immer burg st. - borg. Auch die Form Plune statt Plone, wie der Name urkundlich stets lautet, kommt wohl auf Rechnung dieses Dialectes.
2) Die Handbücher der slavischen Mythologie haben mich dagegen sämmtlich im Stiche gelassen und eben so auch Shafariks slavische Alte= (  ...  )
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Krakower Schwerin, welcher gleich dem Schwerin am Plauer See in der Herrschaft Warnow zu liegen scheint. Vielleicht ist hier schon in vorhistorischer Zeit eine kleine selbstständige Herrschaft zwischen Warnow, Kussin, Circipanien und Tholenze untergegangen. Dagegen tritt jetzt eine andere Abweichung von Thietmars Satz hervor, indem wir bloß auf den rügischen Inseln, außer dem Festlande, 3 Heiligthümer unserer Gottheit fanden. Das erklärt sich aber vollkommen durch die besondere Stellung dieses Inselvolkes, welches nach Helmolds ausdrücklicher Bemerkung wegen seiner größern Vertrautheit mit den Göttern von allen Nachbaren gefürchtet ward 1 ).

Neben diesen großen National=Heiligthümern werden der höchsten Gottheit des Volkes natürlich auch an vielen anderen Orten einfache Opferaltäre oder andere Stätten seines Kultus gewidmet gewesen sein. Namentlich standen gewisse Berge, die der Sage nach in unterirdischen Höhlen reiche Schätze bewahrten, in näherer Beziehung zu diesem Gotte des Reichthums, dem Beherrscher der kunstreichen Zwerge, ja man betrachtete sie anscheinend als dessen Wohnort zu gewisser Jahreszeit. In Deutschland finden sich daher eine große Menge Othins= oder Wodansberge, und die verschiedenen Sagen von bergentrückten Helden und Königen, welche stets als im Besitze großer Schätze gedacht werden, find ursprünglich gewiß auf diese Gottheit zurückzuführen 2 ). Aehnliche Sagen finden sich in den slavischen Ländern. In Mähren z. B. trägt der höchste Berg des Landes den Namen des Gottes Radihost, und steht in dem Rufe, daß sich unter demselben geräumige, an Gold und Edelsteinen reiche, Höhlen befinden, welche die Wohnung eines göttlichen Wesens seien, dessen Freigebigkeit arme Bergbewohner, die sich zufällig in sein unterirdisches Reich verirrten, oft erfahren haben sollen. Der Name des Berges läßt keinen Zweifel darüber zu, wen wir unter diesen göttlichen Wesen zu verstehen haben. Eben so entschieden gehört hierher der Czernebog, ein


(  ...  ) thumstunde, ein Werk, welches nach meinem Urtheil überhaupt die Ansprüche in keiner Weise befriedigt, zu welchen man durch den eitlen Hochmuth, womit der Verfasser auf die deutsche Wissenschaft herabsehen zu können meint, wohl berechtigt ist.
1) Helmold I, 2: Rani, qui et Rugiani - metuntur propter familiaritatem Deorum, quos majori prae ceteris cultura venerantur.
2) Durch die neueste gründliche Untersuchung über die deutsche Kaisersage von Georg Voigt ist deren historische Entwickelung trefflich nachgewiesen, jedoch unbeschadet des mythischen Gehaltes derselben, für den der Verfasser weniger Verständniß hat.
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Berg bei Bautzen in der Lausitz, von den deutschen Bewohnern der Gegend der große Stein genannt, an welchem sicher noch Sagen haften, die mir aber unbekannt sind. In unserm Forschergebiete möchte ich den Rugard (Rugigard), der höchste Berg in der Mitte der Insel Rügen, hierher ziehen. Auf der Spitze desselben liegt ein Burgwall, von welchem jedoch ungewiß ist, ob er aus heidnischer Zeit stammt. Später soll auf demselben eine noch im 14. Jahrhundert von den rügischen Fürsten bewohnte Burg gestanden haben, die aber jedenfalls erst in christlicher Zeit erbaut sein kann. Auch stand hier in alter Zeit eine Kapelle, die gleich denjenigen auf Arkona sowie auf den Burgwällen zu Karenz und bei Sagard unmittelbar nach dem Sturze des Heidenthums errichtet sein wird. Sie gehörte den Nonnen des Klosters Bergen auf einem etwas tiefer liegenden Absätze des Rugard (claustrum de monte Rugiae), welche sie später abbrechen ließen; aber auch der Bischof von Roeskilde hatte Hebungen aus derselben. Nach allem diesen ist eine auf diesen Berg bezügliche heidnische Gottesverehrung nicht zweifelhaft, und der Name läßt zunächst an den Gott Rugivit denken, obwohl wir allerdings auch einen Donnersberg vor uns haben können. Der Name des Dorfes Parklitz an einem kleinen See, hart am Fuße des Berges, scheint sogar für diese Annahme zu sprechen. - Andere Namen von Bergen oder einzelnen Steinblöcken auf den rügischen Inseln, die vielleicht hierher zu beziehen sein möchten, sind Swante Gard, eine Höhe an der östlichen Küste von Mönchgut, auf welcher Insel am Görenschen Hövt auch ein Steinblock den Namen buhskahm, d. i. bogis kamen: Gottesstein führt. Andere heilige Felsblöcke: Swantekam liegen am nordwestlichen Strande bei Ruschwitz auf Jasmund, wo eine kleine Strecke landeinwärts an einem kleinen See nahe bei Bobbin auch ein Ort Schwentz liegt. Ferner die Berge Swantegore, jetzt Swantow auf Rügen und Swantich auf Hiddensoe. - In Meklenburg gehört der Petersberg bei Pinnow (im Amte Crivitz) sicher hierher, obgleich der Name mich früher verleitete, denselben für einen Donnersberg zu erklären, da der H. Petrus öfter die Stelle des Donnergottes zu vertreten pflegt. Der Berg hat eine bedeutende Höhe, mit getheilter Spitze und liegt völlig isolirt am Rande einer weiten, stufenförmig zu den Höhen bei Crivitz aufsteigenden Ebene, weshalb er weithin sichtbar ist. Auf der Südostseite liegt am Fuße des Berges ein kleiner, runder See, welcher vom Volke der Hilgen=See (heiliger See) genannt wird.

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Was ihn aber entschieden als einen Czernebogsberg kennzeichnet, das sind die Sagen des Volkes über die unter demselben wohnenden Zwerge oder Unterirdischen (Underirdschen), welche auch nach litthauischen und slavischen Mythen in einem nähern Verhältniß zu dem Czernebog gedacht wurden. Dieselben verkehrten früher freundlich mit den Menschen, namentlich in dem Pinnower Kruge, wo sie alles, was sie für ihre Wirtschaft forderten, baar bezahlten. Denn sie waren im Besitze großer Schätze und legten ihre Kinder in eine goldene Wiege. Aus diesem Berge soll auch das Petermännchen auf dem Schweriner Schlosse stammen, anscheinend eine jüngere Erfindung zur Erklärung des Namens jenes Wächters der Schatzkammer auf der Tempelburg. Beachtenswerth sind endlich auch die Sagen von einem untergegangenen Schlosse auf einer Insel des benachbarten Pinnower Sees 1 ).

Ein solcher Berg scheint ferner der oft besprochene Vitingsberg, die höchste Spitze des Sonnenberges, einer hochgelegenen großen Waldung bei Parchim, zu sein, den man gewöhnlich, aber weniger passend, auf den Donnergott Parkun zu beziehen pflegt. Die Sage von dem einst hier hausenden Räuberhauptmann Viting hat ohne Zweifel mythischen Kern. Wenn sich in Folge starken Regens nach langer Dürre oder aus andern Gründen wolkenartiger Nebel auf der Spitze des Berges lagert, sagt das Volk: "Viting bruet" und nimmt die Erscheinung als eine Vorbedeutung dauernden Unwetters, wie bei ähnlichen Wolkenbildungen um die Spitze des Kyffhäusers in Thüringen das Volk den dort hausenden Kaiser Rothbhart brauen läßt. Dieselbe Anschauung findet sich aber auch noch bei andern Höhen, z. B. bei der Schneekoppe des Riesengebirges, wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht. Auch die Sage, daß in dem "Vitings=Keller" große Schätze verborgen seien, war wenigstens in meiner Jugend vor 50-60 Jahren noch allgemein verbreitet, und die auf der Bergspitze befindliche Vertiefung mit einer durch den Auswurf der Erde gebildeten, wallartigen Randerhöhnng ist sehr wahrscheinlich das Werk von Schatzgräbern. An diese gewiß uralte "Vitssage", wenn meine Vermuthung richtig ist, ward dann in späterer Zeit die Sage von dem Räuber Viting angeknüpft, welcher durch den Verrath seiner Geliebten, die ihr Geheimniß dem Thorzingel klagt, und durch ausge=


1) Niederhöfer, Meklenb. Volkssagen I, 58. - Die Sage ist in ihren Hauptzügen noch jetzt lebendig im Volke.
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streuete Erbsen den Weg zu der Höhle bezeichnet, der Obrigkeit überliefert ward, ganz so, wie man in Lübek die Sage von Papedönken erzählt. Nach dieser Ansicht wäre also der Name Viting von dem Vitsberg entlehnt, wobei die Erinnerung an die seeräuberischen Wiethinger Adams von Bremen, welche ihrerseits wohl mit den Wikingern der Jomsburg identisch sind, mitgewirkt haben mag 1 ).

Unsicherer sind natürlich die aus einfachen Ortsnamen ohne sonstige unterstützende Momente zu ziehenden Schlußfolgerungen. Doch mag hier an Ortsnamen wie Schwantewitz in Pommern, Reg.=B. Stettin, Smantewitz (st. Schwantewitz?) auf Wittow, Swantewitz (jetzt Wantewitz) bei Großenhagen erinnert werden; ferner an die Insel Wittow selbst, Vietow bei Ribnitz, Vietow bei Wittenburg, Wietow bei Wismar, Vitegest, A. Güstrow, sowie bei Garz auf Rügen und bei Kamburg in Sachsen, Vitense bei Rehna, Vietlübbe bei Gadebusch und bei Plau, Vietlippe bei Grimmen in Pommern. Auch Vitings= und Wietings=Namen sind nicht selten in slavischen Ländern, z. B. Wieting und daneben ein Wietingsberg in Kärnthen und Wietingshof in Mähren, Vietingshof und Wietingshausen in Hannover. Die Wietingsbek bei Ratzeburg und der Wietingsstrang, ein Arm der Warnow bei Rostock, werden ihren Namen dagegen von dem Weißfisch erhalten haben, der in Meklenburg bekanntlich Wieting heißt. - In einer pommerschen Urkunde vom Jahre 1277 kömmt ein miles de Swaroviz vor 2 ), und Schwarfs bei Rostock ist anscheinend eine Contraction aus Swarawitz, Swarwitz, da z. B. auch Garwitz, Criwitz u. s. w. im Volksmunde Garvs und Crivs lauten. - Auch der Ortsname Radegast ist in allen slavischen Ländern nicht selten. In Meklenburg kommt er zwei Mal vor, bei Gadebusch, wo er zugleich auf den dort entspringenden Fluß übertragen ist, und bei Bukow. Auch in Wagrien liegt ein Radegastorp, jetzt Ragestorp genannt. Auch Radelübbe bei Hagenow ist hier zu erwähnen. Dagegen kommen die mehr localen Beinamen des Gottes: Rugevit, Czarnaglovi, Triglav und Podaga nicht als Ortsnamen vor 3 ). Die zahlreichen Teufelsnamen in Wäldern und Sümpfen, sowie die Sagen von nächtlichen Schimmelreitern, z. B. an dem Teufelsbach bei


1) Vergl. Cleemann, Chron. von Parchim, 12 und 576. Jahrb. VIII, B. 151. Niederhöfer a. a. O. I, 63 u. 98.
2) Oelrichs Verzeichniß der Dreierschen Urkundensammlung, S. 7.
3) Vgl. Klöden, die Götter des Wendenlandes. Märkische Forschungen, II.
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Friedrichsruh (alt Gömtow), die sich größtentheils auf Wodan oder Swantevit beziehen werden, kann ich hier nicht alle aufführen.

Einer besondern Besprechung bedarf hier schließlich noch der Umstand, daß den verschiedenen Gottheiten dieser Ordnung, trotz der völligen Uebereinstimmung ihres Wesens, in unseren Quellen bei dem Vergleiche derselben mit den römischen Göttern verschiedene Bedeutung beigelegt wird, indem namentlich Zwantevit, Rugevit, Czarnaglovi und Triglav dem römischen Mars gleichgestellt, oder doch einfach für Kriegsgötter erklärt, Radegast dagegen als Mercur und Podaga als Saturn aufgefaßt werden. Der Wechsel zwischen Mercur und Mars, welcher gerade so in Bezug auf den deutschen Wodan stattfindet, erklärt sich am leichtesten. Die Bedeutung desselben als Kriegsgott trat so entschieden und offen hervor, daß sie nicht verkannt werden konnte. Zugleich aber offenbarten sich in dem Kultus desselben so viele Eigenthümlichkeiten, die dem römischen Mars völlig fremd waren, und wenigstens äußerlich an den Mercur erinnerten, daß man sich gezwungen fühlte, die fremde geheimnißvolle Gottheit gleichsam zu spalten, und je nachdem in dem einzelnen Falle die Eigenschaften des Mars oder des Mercur mehr in den Vordergrund traten, ihm bald diesen, bald jenen Namen beizulegen. - Merkwürdiger dagegen ist, daß der Sachse Widukind, Zeitgenosse des Herzogs Hermann, die von diesem 967 zerstörte Bildsäule in dem Heiligthum zu Plön, das ich gleichfalls dem Zwantevit zugeschrieben habe, als ein Saturnsbild bezeichnet. Er beweist aber damit nach meiner Ueberzeugung nur eine unbefangenere Auffassung des Wesens der nordischen Götter und ihres Verhältnisses zu den römischen, als wir bei den Römern selbst und den römisch gebildeten fränkischen Annalisten zu finden gewohnt sind. Bekanntlich bestätigt Tacitus die auf höchst einseitiger Beobachtung beruhende Behauptung Cäsars, daß die Gallier den Mercur als höchste Gottheit verehrten, der Auctorität des großen Imperators und Eroberers Galliens sich beugend, auch für die Germanen, nachdem er die Uebereinstimmung der religiösen Anschauung beider Völker erkannt hatte. Seitdem galt dieser Satz bis auf unsere Zeit für unumstößlich, und ward dann auch auf die weiter östlich wohnenden Völker ausgedehnt 1 ). Gleichwohl erscheint mir diese Auffassung als


1) Popanek, Hist. gentis Slavor., beruft sich dafür p. 165 auf die Worte des Polybius: "Slavi Mercurium unum (Deum?) maxime (  ...  )
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grundfalsch. Wenn es erlaubt ist, den einheimischen Göttern römische gegenüberzustellen, - und es ist erlaubt - so entspricht Othin=Zwantevit vielmehr entschieden dem Saturn. Nur darf man nicht vergessen, daß der Kultus des Saturn in Griechenland und Rom durch den milderen, dem südlichen Himmel mehr entsprechenden, Zeusdienst früh fast verdrängt ward, und wohl überhaupt nur schwach entwickelt war. Während Othin sich in dem rauheren, conservativeren Norden in seiner vollen, ursprünglichen Herrschergewalt erhielt, ward Saturn nach der griechischen Sage durch den eigenen Sohn des Thrones entsetzt, worauf sich allerdings ein Theil der früheren Machtsphäre dieses Gottes auch auf seine Enkel, namentlich den Mercur, zum Theil auch den Mars vererbte 1 ). Dies erklärt jenes Mißverständniß, welches nur dadurch entschuldigt wird, daß der höchsten nordischen Gottheit unter den römischen Göttern des Cäsar und Tacitus keiner gleichzustellen war.

Was aber speciell die slavischen Götter betrifft, so finden wir allerdings in Wacerads mater verborum und den übrigen Glossarien Hanka's zwei oder gar drei besondere slavische Saturnnamen: Sytiwrat, Hladolet und Kirt, worauf man jedoch viel zu großen Werth gelegt hat, da keiner derselben bei irgend einer slavischen Völkerschaft in Sage, Lied oder Bild als wahre, lebende Gottheit hervortritt. Es sind das vielmehr lediglich Producte einer unseligen Uebersetzungsleidenschaft der Slaven, in Folge deren nicht nur die höheren Götter der alten Welt, wenn sich unter den wirklichen nationalen Gottheiten keine entsprechende finden wollte, bis auf Pan, Picus und Faunus herab, sowie die egyptischen Isis und Osiris, sondern auch die Syrenen, Nereiden, Dryaden u. s. w., ja selbst rein geographische Namen, wie Tiber, Nil und Euphrat, wenn deren Bedeutung nur irgend zu errathen war, sich gefallen lassen mußten, durch Uebersetzung kurzweg slavisirt zu werden. Die auf diese Weise entstandenen Saturnnamen beweisen daher vielmehr, daß es eben so wenig einen slavischen Saturn gab, als einen germanischen, wenn man sich nicht entschließen mag,


(  ...  ) celebrant, inventorem artium". Also genau wie Cäsar und Tacitus. Ich finde jedoch dies Citat, das ich nach Hanusch gebe, bei Polybius nicht.
1) Ist es doch in späterer Zeit auch in dem Norden ähnlich gegangen, indem man aus dem Wesen Othins nach dem antiken Muster noch einen besondern Kriegsgott Tyr abspaltete, der in Wahrheit kein anderer ist, als Othin selbst.
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mit Widukind den Zwantevit und Genossen, bzw. den Othin als solchen anzuerkennen. - Wahrhaft komisch ist die Erfindung des Sytiwrat, die gleichwohl am meisten Glück gemacht hat. Ich kann darin nichts anderes erkennen, als eine Art Sylbenräthsel auf das lateinische Saturnus, welcher Name in sat und turnus zerlegt und dann wörtlich übersetzt wird: sat, satis = syty, vielleicht in dem Sinne: müde, matt, und turnus = wrat, von dem poln. wrocic, serb. wrocec, böhm. wratjin: drehen, wenden (tornare, mittelalterlich turnare, franzöf. tourner), namentlich in dem Sinne: sich im Kampfe zur Flucht wenden, fliehen, gebräuchlich. Als Auflösung wird dann Saturn ausdrücklich als der vor Jupiters Waffen fliehende, besiegte Gott bezeichnet 1 ). Kann man deutlicher sein? Daß sich die Indoslavisten diesen neuen Gott nicht nehmen lassen würden, stand zu erwarten. Er gilt ihnen für den indischen Sohn der Sonne, Satyaurata, den Wischnu in Gestalt eines Fisches in der großen Weltfluth rettete, und demgemäß erklärt man den slavischen Namen durch ziti-wrad: Wiederkehr des Lebens 2 ); gewiß recht hübsch und geistreich, nur daß uns der Saturn, um den es sich doch eigentlich handelte, über diese völlig fremdartige indische Gesellschaft unversehens entschlüpft! Eine solche Gottheit ist selbst durch die Auctorität eines Grimm nicht aufrecht zu erhalten, der den Sytiwrat zu einem Siebdreher: sitowrat machen, und dem Raddreher Krodo kolowrat an die Seite stellen möchte 3 ). - Der Hladolet dagegen figurirt unter den übrigen Planetennamen als der Saturn, neben Jupiter: Kralomocz (mächtiger König, also als Nachfolger König Karls = Kral), Mars: Smrtonoss (der Todtbringende), Venus: Chtytel (die Begierde) und Mercur: Dobropan (guter Herr, oder nach Grimmes Deutung: Spender der Glücksgüter) 4 ). Bis jetzt ist es, soviel ich weiß, noch Niemandem eingefallen, diese astrologischen Erfindungen als echte slavische Götter zu betrachten. Nur mit dem Hladolet scheint man fast eine, durch nichts gerechtfertigte, Ausnahme machen zu wollen. Der Name, von hlad: Hunger, abgeleitet, ist allerdings besser gelungen, als die meisten andern, wenn man ihn als den hungrigen, gefräßigen (vorax tempus: Kronos)


1) Saturni filius: Sitivratow zin. - Saturnum pagani illum esse ajunt qui primus ab Olimpo venit, arma Jovis fugieus: Sytiwrat. Hanka 1. 1. p. 19.
2) Hanusch, slavischer Mythus, S. 116 ff.
3) Grimm, Myth. 228.
4) Hanka 1. 1. p. 54 und 165. - Grimm, Myth. p. 118.
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deuten darf. Vielleicht ist die Schlußsilbe als leto: das Jahr, zu nehmen, so daß hladolet Hungerjahr bedeutete, mit Bezug darauf, daß die Saturnjahre in der Astrologie als Jahre des Mißwachses galten. - Der Kirt endlich ist nicht ausdrücklich als Saturn bezeichnet. Man schließt dies nur daraus, daß Mercur Enkel des Kirt genannt wird 1 ). Näher scheint mir zu liegen, daß Atlas, Vater der Maja und mütterlicher Großvater Mercurs, gemeint sei, und daß durch diese Bemerkung nur die dämonische Abstammung des Gottes angedeutet werden sollte. Kirt, welches in dieser Form nicht als slavische Wurzel vorkommt, scheint nämlich für czrt oder czirt zu stehen, das in unsern Glossarien einfach durch daemon übersetzt wird, neuböhm. czert: Teufel, und vermuthlich zu krity se: occultare, gehört, wovon auch das altböhm. kirtice, neuböhm. krtice, poln. kret: Maulwurf, abzuleiten sein wird 2 ). Kirt wäre also ein verborgener Dämon der Unterwelt, an deren Pforte nach Hesiod der Atlas steht, und zur Strafe seiner Empörung gegen Jupiter den Himmel trägt. Möglich wäre auch, daß Radihost, als Gottheit des Berges dieses Namens, direct dem Bergriesen Atlas verglichen werden soll. - Auch Grimm's Versuch, den fast schon vergessenen Krodo der Bothoschen Chronik als germanischen oder slavischen Saturn wieder einzusetzen, zugleich aber dem römischen Saturn noch einen national=germanischen Sater an die Seite zu stellen, scheint mir völlig mißlungen zu sein 3 ). Wäre aber wirklich nachzuweisen, daß diese Götter jemals in unserm Volke gelebt hätten, so würde dadurch nur der othinische Mythenkreis erweitert werden.


II. Belbog.

Wie der Name Czernebog in dem nach ihm benannten Berge bei Bautzen (Budissin) bis auf unsere Tage sich erhalten hat, so lebt das Andenken des Belbog in dem Namen eines ehemaligen Klosters bei Treptow an der Mündung der Rega in Hinterpommern fort. Dasselbe ward schon 1170 auf einer angeblichen Insel gegründet, und mit 11


1) Mercurius: Radihost, wnuk Kirtow. Hanka 1. 1. p. 13.
2) Hanka 1. 1. p. 9, 27 u. 157, vgl. mit 140.
3) Grimm, Myth. 187 und 226-28.
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Dörfern in der Nachbarschaft dotirt, jedoch bald wieder verlassen und erst 1208 erneuert. Es liegt auf einem Hügel auf dem festen Lande, und unter der insula der Urkunde wird wie so oft nur ein durch natürliche Grenzen eingeschlossener Raum zu verstehen sein, welcher das alte Heiligthum des Gottes bildete. Auf diesem Hügel, welcher nach der bestimmten Angabe der Urkunde von 1208 nebst seiner Umgebung in alter, also heidnischer Zeit Belbuc (in spätern Urkunden Bealbug, Belbuk oder Belbog) genannt ward, scheint auch ein künstlicher Wall gelegen zu haben, da die Stifter den heidnischen Namen, freilich ohne Erfolg, mit dem christlichen Petersburg (Castrum S. Petri) vertauschten 1 ).

Im Uebrigen hat die Verehrung dieses lichten Sonnengottes, des Urhebers alles Guten, namentlich in unserm eigentlichen Forschergebiete bei den Westwenden bei weitem geringere Spuren zurückgelassen, als die des finstern und mehr gefürchteten, als geliebten kriegerischen Saturns der nordischen Völker. Diese Erscheinung findet ihre natürliche Erklärung theils in der einfacheren Beschaffenheit der hierher gehörigen Heiligthümer, theils in dem eigenthümlichen Charakter dieses Kultus, der sich mehr auf friedliches Familienleben der Masse des Volkes, als das von den Reichen und Mächtigen beherrschte öffentliche Leben bezog. Auffallend bleibt es indeß immer, daß z. B. Helmold dieses Gottes unter seinem eigentlichen Namen und in seinen Haupteigenschaften als Gott der belebten Natur überall nicht gedenkt. Gleichwohl ist es vollkommen sicher, daß dieser slavische Jupiter, gleich dem germanischen Thor, bei allen slavischen Völkern nächst dem Radegast den höchsten Rang einnahm, ja bei den östlichen Slaven nach Prokops Versicherung sogar als der höchste der Götter, der Beherrscher des Alls, verehrt ward 2 ), wobei freilich die Vorstellungen des Verfassers von dem griechischen Zeus mitgewirkt haben mögen. Aber auch Wladimir der Gr. sprach ihm nach Nestors Chronik bei der Ordnung des Götzendienstes in Kiew den ersten Rang zu, und als der Fürst später, zum Christenthum bekehrt, sein eigenes Werk zerstörte, traf sein Zorn wiederum zumeist den Perun, dessen Bild geschlagen und gemißhandelt, an den Schweif eines Pferdes gebunden und in den Strom geschleift ward.



1) Cod. Pom. dipl. No. 29, S. 70 u. No. 86, S. 205.
2) Procop, de bello Goth. I, 498. (Ed. Paris).
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1) Perun.

Der gewöhnliche und am weitesten verbreitete rein slavische Name des Belbog war nach russischer und polnischer Aussprache Pierun, in Böhmen und Mähren, sowie bei den Südslaven wie es scheint übereinstimmend Perun, neuböhmisch auch Peraun und Parom. Auch Wacerads mater verborum übersetzt das lateinische Jupiter einfach durch Perun und macht ihn zum Vater des Mercur, obwohl dieser ihm als Radihost der Vater aller Götter war. Daß er auch den Westwenden unter diesem Namen bekannt war, beweist vor allem die Uebersetzung des deutschen Donnerstag bei den Lüneburger Wenden durch perundân. Auch mehrere Ortsnamen dieser Gegenden weisen auf seine Verehrung hin, wie Pron nördlich von Stralsund an der Meeresküste, das in Urkunden des 13. Jahrhunderts Perun oder Peron, Pirun, Piron, hieß, und wo damals eine anscheinend schon aus der Heidenzeit stammende fürstliche Burg stand. Ferner Prohnstorf in Wagrien, im 13. Jahrhundert gleichfalls Peron, später Peronstorf genannt. Vielleicht gehören auch die meklenburgischen Dörfer Perow im A. Güstrow, Parum daselbst und bei Wittenburg, und Parin bei Klütz hierher, sowie Pernick bei Neukloster, das wir unten noch genauer besprechen werden. - Der Name ist vom böhmischen peru, poln. piore: schlagen, das lateinische ferio, abzuleiten und bezeichnet den Gott also zunächst als Jupiter fulgens. Dazu stimmt der slavische Name des Donnerkeils, z. B. böhm. skala oder strela paromowa, peraunowa. Auch sonst erscheint er vor allem als Donnergott und im Zusammenhange damit als Gott der Witterung überhaupt und der Fruchtbarkeit. Die ursprüngliche Bedeutung des Namens scheint aber bereits auf den allgemeinen Charakter Peruns als Licht und Feuergott hinzuweisen, denn peru bezeichnet auch das Schießen der Sonnenstrahlen und altpol, przik (mit Einschiebung des polnischen Nasallautes z, statt pryc, piryc) heißt glimmen, brennen. In der That ward der slavische Donnerer auch zu allen Zeiten entschiedener und bewußter zugleich als Feuer= und Sonnengott verehrt, wie bei den meisten übrigen europäischen Völkern der historischen Zeit. In seinem Heiligthum brannte ein ewiges reines Feuer (das deutsche Nothfeuer), dessen Erlöschen dem Priester desselben sichern Tod brachte. Die Sonne selbst aber führte den mythischen Namen Okopirnos, d. i. oko pioruna: Peruns Auge. Auch auf dem Sonnenstein bei Pirna wird Pirun, wie man aus Zusammenhaltung dieser Namen schließen darf, als Sonnengott verehrt sein.


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2) Turupith (Porenutios zu Carenz).

Außer diesem Hauptnamen ward der Gott, gleich Radegast, in seinen verschiedenen Heiligthümern auch unter besondern Localnamen verehrt. Das berühmteste dieser Heiligthümer ist aber wiederum die von Saxo geschilderte Drei=Tempelburg zu Carenz auf Rügen, deren schon im ersten Abschnitt gedacht ward, und wo sich auch ein Tempel des Donnergottes befand. Saxo giebt die Ordnung der Tempel nicht an. Er nennt den des Rugevit=Othin zuerst, weil er der größte war, und zuerst zerstört ward. Er stand vermuthlich in der Mitte zwischen dem angeblichen Porenutius=Thor zur Rechten und Porevit=Freyr zur Linken, nach der Ordnung der bekannten sächsischen Abschwörungsformel: Thunar, Voden, Saxnot, obwohl Saxo den Porenutius zuletzt nennt. Die Knytlingssage führt dagegen die 3 Götter unter theilweise abweichenden Namen und in anderer Ordnung: Rinvit (Ruthvit), Turupith, Porevit auf, gleichsam nach ihrer Rangordnung, wie sie auch von den Nordgermanen gewöhnlich beobachtet ward, z. B. in dem Tempel von Upsala nach Adam von Bremen: Voden, Thor, Fricco, in der Edda Snorr. 171: Othin, Thor, Freyr, und in der Edd. Saem. 85: Othin, Asabraga, Freyr; ja auch in dem Tempel zu Romowe in Preußen völlig entsprechend: Picollos, Percunas, Potrimpos. Klar ist aber unter allen Umständen, daß trotz dieser verschiedenen Ordnung unter dem Rinvit der nordischen Sage der Rugivit der Saxo, und unter den Puruvit der Sage Saxos Porevit zu verstehen ist, folglich der Porenutius des letzteren kein anderer sein kann, als Turupith. Gleichwohl scheint Porenuz bei den Südslaven ganz entschieden dem Freyr zu entsprechen, während in Turupith der lithauische Name des Donnergottes Tarapita unverkennbar ist. Saxos Porenutius scheint daher einfach auf einem Mißverständniß zu beruhen, und nur eine zweite latinisirte Form des Porenut=Porevit zu sein, wogegen der Verfasser der Sage sich auch hier, wie überall in seinen slavischen Nachrichten, durchaus zuverlässig erweist 1 ). Die erste Hälfte des Namens scheint mit dem slavischen tur, lateinisch taurus verwandt, wenn, wie man annimmt, die Grundbedeutung dieses Wortes "groß, stark" ist. Der Stier (Ur) war überdies auch bei den Slaven, wie bei allen andern Völkern, neben dem Bocke das Hauptopferthier des Donnergottes, das daher bei


1) Die Lesarten anderer Handschriften Turtupit und Turtuput sind offenbar Schreibfehler.
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dem vorzugsweise dieser Gottheit geltenden Frühlingsfeste eine große Rolle spielte. Der bekränzte und überhaupt mit Blumen und Band reichgeschmückte Pfingstochse, der auch bei uns bis in die neuere Zeit an diesem Feste feierlich durch die Straßen geführt ward, ist nichts anders als der heidnische Opferstier, und der böhmische Name des Pfingstfestes turice wird auf eben diese Sitte zu beziehen sein. Das Bildniß des Gottes in dem Tempel zu Carenz stellt ihn, wenn ich seine Attribute nach Saxos Angabe richtig deute, wiederum als Sonnengott dar. Er hatte 4 Gesichter an einem Haupte, worin ich die auf den Stand der Sonne hinweisenden 4 Himmelsgegenden, sowie die entsprechenden, von der Sonne abhängigen 4 Tages= und Jahreszeiten, zu erkennen glaube, zugleich als Symbol der 4 Lebensalter des Menschen. Ein fünftes Gesicht auf der Brust, dessen Stirn der Gott mit der Linken, das Kinn mit der Rechten berührte, ist dagegen sichtlich das Symbol der Sonne selbst. - In Betreff der Dotation des Klosters Bergen mit dem alten Carenzer Tempelgute, wovon ein Theil natürlich auch dem Turupith gehört haben wird, kann ich nur auf meine Bemerkungen über Rugevit im ersten Abschnitt verweisen. In den zahlreichen mit tur zusammengesetzten Ortsnamen ist dies Wort wohl, wenigstens größtentheils, auf den Ur, Stier, zu beziehen.


3) Pizamir oder Jasa auf Jasmund.

Die Knytlingssage, der wir unsere Kenntniß der Gottheiten der Halbinsel Jasmund ausschließlich verdanken, nennt uns daselbst neben dem Kriegsgotte Czernoglovi noch einen zweiten Pizamar, worin ich den Perun zu erkennen glaube, wenngleich das Wesen desselben nicht näher charakterisirt wird. Sein Name läßt uns wenigstens mit Sicherheit einen Gott des Friedens in ihm erkennen, denn die Endigung mar in den damit zusammengesetzten Personennamen entspricht bei den Nordländern stets dem slavischen mir, z. B. in Waldemar, st. Wladimir, Jaromar st. Jaromir und zahlreichen andern; mir aber bedeutet Friede, Versöhnung. Die erste Hälfte des Wortes piza ist dagegen nicht so sicher zu deuten. Am nächsten scheint das altpolnische und sorbische piecza: Sorge, dann Sorgfalt, Fürsorge zu liegen, wonach der Gott passend als Sorgenfried, oder Hüter,

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Beschützer des Friedens erscheinen würde. Sonst könnte etwa an poln. piecny, böhm. pecny: schön, lieblich, milde zu denken sein. Sein Heiligthum stand in der Stadt Asund 1 ), worunter die alte Burg Jasmund bei Sagard, dem heutigen Hauptort der Halbinsel mit einem Gesundbrunnen, zu verstehen ist. Im Jahre 1250 wurden dem Kloster Bergen nebst andern benachbarten Gütern auch die Kirchen zu Jasmund und Sagard als ältere Erwerbung durch eine Bulle des Papstes Innocenz bestätigt. Diese Jasmunder Kirche oder Kapelle hat ohne Zweifel dem kleinen später gegründeten deutschen Dorfe Capelle den Namen gegeben. Hier liegt nämlich noch heute ein hoher und 80 Schritt langer, aber anscheinend einfacher Wallrücken (im Gegensatze zu einer von Wällen umgebenen Burg, obwohl auch unser Wall jetzt "Borgwall" genannt wird), hart neben Sagard, welches durch seinen Namen (za gard d. i. hinter der Burg) selbst nur als Zubehör zu der Burg bezeichnet wird, und also mit dieser zusammen die alte Stadt Jasmund (Asund) bildete. Der Ort muß diesen Namen noch vor verhältnißmäßig nicht allzulanger Zeit geführt haben, da der Name der Meierei Klein=Jasmund im Kirchspiel Sagard nothwendig ein Groß=Jasmund voraussetzt. Die 1250 erwähnte Kapelle wird auf diesem Walle selbst, zu welchem noch heute ein früher von allen öffentlichen Abgaben befreites Haus gehört, gestanden haben, und nach der Zerstörung des heidnischen Tempels im Jahre 1168 an dessen Stelle erbaut sein. Sie war schon vor 1320 untergegangen, in welchem Jahre der Bischof von Roeskilde von dem gedachten Walle (fossato dicto Wal) nur noch 8 ßl. erhob 2 ). Daß dies die Stätte des Heiligthums des Pizamir sei, wird man um so weniger bezweifeln, als auch die übrigen dem Kloster Bergen als Dotation verliehenen Jasmunder Güter größten Theils unmittelbar neben Sagard liegen, und zu dessen Kirchsprengel gehören, namentlich Podprämizl (Promäusel), Blisekow (Blieschow) und Lancha (Lanken), die wir also als ehemaliges Tempelgut betrachten dürfen.

Aber auch der Ortsname Jasmund ist nicht ohne Bedeutung für unsere Untersuchung. Die Halbinsel heißt bei Saxo in der ersten Ausgabe Asmoda, wofür Stephanius


1) - hann var a Asund sva heitir ein stadir. Knytls. c. 122.
2) Vgl. Cod. Pom. dipl. No. 448, S. 902, und die in den Noten S. 905 gegebenen Nachweisungen.
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Jasmoda setzt. In der Form des Namens Asund der Knytlingssage wird das m hinter s nur versehentlich ausgefallen sein. Urkundlich wird sie zuerst 1232 Yasmunt, 1249 Yasmand, wie sie noch heute im gemeinem Leben heißt, und 1250 Yasmund genannt. In der Schlußsilbe wird daher der Vocal o der ursprüngliche sein, der bald in u, bald in a übergeht. Gerade die älteste Form mod weist aber darauf hin, daß das nasale n hinter o, wie in den slavischen Dialecten so häufig geschieht, erst später eingeschoben ist, weshalb ich das Wort zu poln. modle, sorb. modlic, böhm. modljm: beten, und dem davon abgeleiteten modia: Götzenbild, vielleicht auch Bethaus halte. Den ersten Theil des Namens leitet man, im Hinblick auf die glänzenden Kreidefelsen am Ostgestade der Insel, von jasny, böhm. gasny ab, d. i. leuchtend, glänzend, hell, heiter, böhm. gasam: heiter, froh sein. Jasa, Jasen ist aber auch der Name einer Gottheit, welcher aus eben dieser Wurzel abzuleiten ist, und Jasmod, Jasmond bedeutet daher wörtlich: Bild oder Tempel des Jase. Nach dieser Deutung wäre der Name des Heiligthums nicht etwa von dem der Insel, sondern umgekehrt, dieser von jenem entlehnt, wie Wittow unzweifelhaft seinen Namen von Zwantevit erhielt. Dies Verhältniß würde aber unserer Gottheit nicht nur an sich eine viel höhere Bedeutung verleihen, sondern auch die Identität derselben mit dem Jasa außer allem Zweifel setzen. Jasa, Jassen, auch Jessa und Jessen genannt, der glänzende, leuchtende Gott ist nun nach übereinstimmendem Zeugnisse der einheimischen polnischen und mährischen Schriftsteller kein anderer, als Belbog=Perun selbst 1 ). Für den Gebrauch dieses Namens bei den Westwenden hatten wir bisher kein Zeugniß, obwohl zahlreiche Ortsnamen darauf hinweifen, z. B. Jassenitz bei Stettin an der Odermündung, wo um 1291 ein Kloster Marienburg (claustrum montis S. Marie) gegründet ward; ferner Jassenitz bei Hagenow, Jessenitz bei Lübtheen und Jassewitz bei Grevismühlen in Meklenburg, sowie Jessenitz und Jessen bei Dessau, Wittenberg u. s. w.



1) Gagnini, Sarm. Europ. (1587) p. 89: Praeterea Jovem, quem illi (Poloni) Jessam nominant etc. - Dlugoss, Hist. Pol. I. 24: Appellabant autem Poloni Jovem Jessen. - Stredowsky, Sacra Movav. histor. und andere versichern, daß Jassen in Böhmen und Mähren als Sonnengott verehrt sei.
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4) Parkun in Meklenburg.

Der lettische Name des Donnergottes war Perkunas oder Parkunos, unter welchem er namentlich in dem Tempel zu Romowe in Preußen als der mittlere unter den drei Gottheiten des dortigen berühmten Heiligthums neben Pikollos und Potrimpos verehrt ward. Aber auch sonst war sein Kultus bei diesem eigenthümlichen Völkerstamme, der gleich den Rügen bei den Westwenden im ganzen Osten in dem Rufe einer besondern Vertrautheit mit den Göttern gestanden zu haben scheint, vielleicht am weitesten verbreitet. Ja, wenn nicht alles täuscht, war der Dienst desselben von Preußen aus unter dem einheimischen Namen selbst bis an die äußerste Grenze der wendischen Völker längs der Ostseeküste vorgedrungen, wo sich überhaupt mehrfache Spuren des preußischen Einflusses in religiöser Beziehung finden. Erinnerte doch selbst auf Rügen der Name unserer Gottheit Turupith an den lettischen Tarapiti. Ganz besonders aber weisen die Namen mehrerer meklenburgischer Ortschaften, bei welchen sich zugleich mehr oder weniger deutliche Spuren einer heidnischen Gottesverehrung finden, entschieden auf diese Gottheit hin 1 ).

Zu diesen Orten gehört namentlich die Stadt Parchim, die ehemalige Hauptburg eines gleichnamigen Gaues der Warnower an der Elde, dem alten Grenzflusse des obotritischen Reiches gegen die Wilzen, wo der schon in anderer Beziehung besprochene Sonnenberg schon früh auf die Vermuthung führte, daß hier einst ein Heiligthum der Sonnengottheit Parkunos oder Parkun gestanden und dem Orte den Namen gegeben habe. Die hoch gelegene und ausgedehnte Laubwaldung im Südwesten der Stadt kommt schon in dem ältensten Stadtbuche aus dem 14. Jahrhunderte unter dem Namen "Zunnenberg" vor; an welcher bestimmten Höhe innerhalb derselben dieser Name aber ursprünglich haften mochte, ist nicht bestimmt zu ermitteln. Dem Vitingsberge, die hervorragendste Spitze des ganzen Höhenzuges, an welchen mehrfach gedacht worden ist, habe ich oben S. 149 bereits einem andern Mythenkreise zugewiesen. Nächst ihm fällt die Höhe, auf welcher der heutige Gesundbrunnen liegt, hart am Ufer der Elde, die nach Osten eine freie, bedeutende Fernsicht darbietet, am meisten ins Auge. Die eisenhaltige, aus einem für unsere Gegend ungewöhnlich


1) Vgl. Jahrb. VI, 59 und XXXIII, 7.
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mächtigen Eisenerzstein hervorsprudelnde Quelle wird schon in der Stiftungsurkunde der Stadt von 1224-26 als Grenzmal der der Stadt verliehenen Weide am linken Ufer der Elde genannt 1 ). Am Fuße der Höhe ward vor einigen Jahren eine bronzene Schmuckdose mit einem offenen Armring von Gold und andern bronzenen Schmucksachen unter einem großen Felsblock sorgfältig versteckt gefunden, wogegen sich das kurz zuvor verbreitete Gerücht von einem im Sonnenberge gefundenen Götzenbilde nicht bestätigte 2 ).

Ganz entschieden aber spricht der Umstand, daß diese Höhe, sowie der ganze Sonnenberg in seinem jetzigen Umfange, nicht zu der alten Feldmark Parchim gehört, gegen die Vermuthung, daß hier die Tempelstätte des Parkun gestanden habe. Die alte Burg Parchim, sowie der dazugehörige Gau lag vielmehr am rechten Ufer der Elde, und ward durch diesen Fluß von dem Linonischen Gaue Brenz geschieden. Selbst bei der Gründung der Stadt ward derselben auf dem linken Ufer nur das eigentliche Flußthal bis zu den dasselbe umschließenden Höhen, also mit Ausschluß des jetzigen Sonnenberges, überwiesen, und erst bei der Gründung der auf einer Eldeinsel gelegenen Neustadt wird sie hier auch Ackerland (einen Theil der Feldmark Bök) erworben haben 3 ). Uebrigens hat die dortige Waldung nach der deutschen Colonisation ihre Grenzen bedeutend erweitert, da in dieser Gegend erst im 14. Jahrhunderte 5 wendische Dörfer, nämlich: Slepekow, Lübow, Klokow, Brokow und Primank untergingen, deren Feldmarken nunmehr ganz oder theilweise mit Wald bedeckt sind. Dagegen setzte sich der alte Urwald am rechten Flußufer fort, da in der Stiftungsurkunde der Stadt nicht nur der ganze Gau als wüst und unwegsam und des Teufels Diensten geweihet geschildert, sondern auch den Ueberresten der alten Bewohner ihr Eigenthum aus der Zeit des Heidenthums und des Waldbaues (a paganismo et cultura silvestri) bestätigt ward, was sich wenigstens vorzugsweise auf die zu der alten Burg gehörige Feldmark beziehen wird. Während daher später die Feldmarken der entfernteren von der Stadt erworbenen und niedergelegten Dörfer am linken Ufer der Elde allmählig bewaldeten, wird umgekehrt am rechten Ufer das Feld unmittelbar vor dem Thore der neuen Stadt sachgemäß ab=


1) Mekl. U.=B. Nr. 319: a tilia quadam (der heitige Lindenberg) usque ad fontem.
2) Jahrb. X. B, 280 und VIII. B. 151.
3) Vgl. Mekl. U.=B. Nr. 1598, Urk. v. 1282.d
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geholzt sein. Gleichwohl befindet sich hier noch heute unter dem allgemeinen Namen des Buchholzes eine bedeutende Waldfläche, welche in älterer Zeit höchst wahrscheinlich unter dem Namen des Sonnenberges mitbegriffen, oder vielmehr der eigentliche ursprüngliche Sonnenberg war, dessen Name auf den jenseits des Flusses liegenden Theil des Waldes erst nach dessen Einverleibung in die Stadtkämmerei überging.

Hier auf der Südseite der Stadt in deren nächster Umgebung, dem Brunnenberge gerade gegenüber, liegt nun eine noch bedeutendere, im Halbkreise von der Elde umflossene Höhe, welche auf breiter Grundlage zu einer frei liegenden, oben abgestumpften Spitze aufsteigt, gegen Süden aber steil in das Eldenthal abfällt. Diese Höhe, jetzt allgemein der Pathenberg genannt, hieß in älterer Zeit der Papenberg, obwohl hier in historischer Zeit keine Besitzungen der Kirche und Geistlichkeit bekannt sind 1 ). Wichtiger aber sind die Sagen, die ehemals an diesem Berge hafteten und mir aus meiner Jugend noch lebhaft in Erinnerung sind, zum Theil auch noch jetzt im Volke leben, wenngleich schwach und ohne Zusammenhang. Darnach wird die Höhe oft in Gestalt eines schwarzen Hundes vom Teufel umkreist, welcher zu gewissen Zeiten auf der Spitze derselben ein nächtliches Gericht hegt, an welchem namentlich auch die verstorbenen Rathsherren der Stadt, oder, wie andere sagen, nur die Ungerechten Theil nehmen. Andere wollen auch den reuterlosen Schimmel hier gesehen haben, wieder andere erzählen von einer schönen Frau, welche in dem nahen Walde in leichtem weißen Gewande mit aufgelöstem Haare durch lieblichen Gesang unschuldige Knaben zu verlocken suche. Am Fuße des Berges aber liegt stadtwärts ein vollkommen ebener, länglich viereckiger Platz, ungefähr 600 F. lang und 300 F. breit und ringsum durch Gräben befriedigt, welcher mit 14 Reihen etwa 150jähriger Eichen in Zwischenräumen von 20 Fuß regelmäßig bepflanzt ist, und zu welchem von dem alten Wege zum Slater Furt eine Eichenallee von gleichem Alter führt 2 ). Vor 50-60 Jahren hatte dieser Platz,


1) Den vollkommen deutlich geschriebenen Namen Papenberg habe ich z. B. vor etwa 30 Jahren aus einem Original=Kaufbriefe über ein hinter dem Berge gelegenes Ackerstück aus dem 17. Jahrhundert notirt.
2) Nach der Flurkarte von 1724 gehörte dieser Platz damals zu der sogenannten Freiheit, d. h. zur Gemeinweide, die ursprünglich alter Waldboden gewesen sein wird, auf welcher sich eine heidnische Stein= (  ...  )
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welcher jetzt als Turnplatz benutzt wird, noch den nun verschollenen Namen der Brautkammer und diente als Volksbelustigungsplatz, wo namentlich im Pfingstfeste Erfrischungs= und Würfelbuden aufgeschlagen wurden, zwischen welchen sich die Jugend mit Tanz und geselligen Spielen ergötzte. Hier wird daher in älterer Zeit am 3. Pfingsttage auch nach dem Vogel geschossen sein 1 ). - Auf der andern Seite des Berges endlich, nahe unterhalb der Mündung des Slater Baches, war eine schmale, anscheinend künstlich eingeschüttete Furt durch die Elde, sicher der älteste Uebergang über diesen Grenzfluß zur Vermittelung des Verkehrs zwischen der Burg Parchim mit denen von Brenz und Marnitz, welche drei Gaue bei dieser Furt zusammenstießen. Wenn daher irgendwo bei Parchim, so ist hier auf dieser Höhe das Heiligthum des Gottes zu suchen.

Noch bestimmtere Spuren eines Kultus des Parkun als Sonnengottes finden sich bei dem Dorfe Parkow, jetzt Parchow bei Bukow. Hier war schon in der ersten Zeit der Bekehrung der Wenden auf einer Erhöhung in tiefem Sumpfe, das rothe Moor genannt, wo auch heidnische Feuersteinwaffen gefunden worden sind, eine einsame Clause erbauet, an deren Stelle um 1210 ein Nonnenkloster unter dem Namen Sonnenfeld oder Sonnenkamp gegründet ward. Unmittelbar neben der alten Klosterstätte aber liegt eine zweite mit Buchen bestandene Anhöhe, auf welcher der Sage nach der Klostergarten gelegen haben soll, welche von jeher der Sonnenberg hieß. - Das Kloster stand indeß nicht lange an dieser Stelle, sondern ward schon 1219 nach dem Orte Kussin, nach welchem die ganze Herrschaft genannt ward, verlegt, jedoch unter Beibehaltung des alten Namens Sonnenkamp (campus solis), welcher später durch die im gemeinen Leben wohl von Anfang gebräuchliche Bezeichnung Neukloster verdrängt ward. Merkwürdiger Weise trägt nun auch hier wieder eine bedeutende Höhe hart neben dem Kloster den Namen Sonnenberg. Zwar ist es nicht unwahr=


(  ...  ) setzung mit dem gedachten mythischen Namen befinden mochte. Bald nach 1724 muß der Platz bepflanzt sein, da die Eichen vor 60 Jahren schon dieselbe Größe hatten, als heute, aber frischer und kräftiger waren. Forstverständige schätzen sie auf 150 Jahre.
1) Dies Vogelschießen war während des 30jährigen Krieges in Vergessenheit gerathen. Im Jahre 1623 ward die damals bekannte älteste Rolle von 1410 revidirt, und statt des angeblich heidnischen Vogels, hier wie überall im Lande, die Scheibe eingeführt, nach welcher nun zwischen den Stadtwällen, später aber eine Zeitlang auch unter dem Eichberge geschossen ward.
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scheinlich, daß derselbe nur von Parkow hierher mit übertragen worden sei, allein die ganze Lage des Ortes, namentlich die breite Höhe auf der Halbinsel Werder in dem bedeutenden Klostersee, ist durchaus zu einem heidnischen Heiligthum geeignet, das überdies bei dem Hauptorte der Herrschaft mit Sicherheit vorausgesetzt werden darf. Gleichwohl ist ein eigentlicher Burgwall, wie er zu den großen National=Heiligthümern des Czernebog, welche überdies stets Grenzburgen sind, nothwendig gehört, bisher nicht entdeckt worden, weshalb man annehmen muß, daß hier der Tempel einer andern Gottheit gestanden habe, und daß mithin der Name Sonnenberg der bezeichneten Höhe wirklich und ursprünglich gebühre. Diese Annahme scheint noch durch den Namen des an dem Kloster und dem Fuße des Sonnenberges vorüberfließenden, und gleich darauf in den See mündenden Bach Tepenitz unterstützt zu werden, da derselbe der Wurzel tepl: warm, heiß, angehören wird. Auch der Name Bukower Bach, den er etwas weiter hinauf führt, weist vielleicht auf bog: Gott, zurück, da ein Ortsname Bukow hier nicht existirt. Endlich ist auch der in der Nähe am Ufer dieses Baches gelegene Ort Pernik, Piernik beachtungswerth. Die älteste Form desselben ist Ponik mit einem kleinen v über dem o (ou), das später nie fehlende r fordert aber zu der Conjunktur heraus, daß dies v durch Irrthum des Schreibers aus der Abbreviatur für er entstanden, und also Peronek zu lesen sei, von Perun, der rein slavischen Form für Perkun 1 ).

Noch ein anderes Parkow liegt bei der Stadt Bützow und auch hier weist der Name einer benachbarten Höhe, der Freienstein, auf ein heidnisches Asyl hin. - Ferner wird zu diesen Parkunsorten in Meklenburg noch Parkentin bei Althof (Doberan) gehören, vielleicht auch Barkow, A. Plau, und a. m. - Auch außerhalb Meklenburgs finden sich dieselben und andere ähnlich gebildete Ortsnamen häufig, z. B. Parkow auf der Halbinsel Wittow, Parchim in der Altmark, Parkentin in Lauenburg u. s. w. Die Aufzählung solcher Namen, ohne genauere Erforschung der Oertlichkeit, die nur dem Inländer möglich ist, hat indeß keinen Nutzen.



1) Vgl. über die sorgfältige Untersuchung dieser Oertlichkeiten durch Lisch, Jahrb. III. B, 152 ff. und XXXIII, 3 ff.
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5) Prowe in Wagrien.

Bisher haben wir den Perun nur als Naturgottheit kennen gelernt. Seine ethische Bedeutung tritt vor allem in seiner Eigenschaft als Gott der Gerechtigkeit hervor, der die verborgene Sünde an das Licht brachte und den Verbrecher strafte, unter dessen Vorsitz deshalb auch das irdische Gericht gehegt ward. In dieser Eigenschaft ward der Gott nach Helmolds Bericht auch bei den Westslaven unter dem besondern Namen Prowe verehrt, dessen Form wiederum auf lettischen Einfluß hinzuweisen scheint, da die slavischen Dialecte den Vocal a statt o fordern würden. Sowohl bei den Polen und Sorben, als bei den Czechen heißt das Recht: prawo, und schon in Wacerads mater verborum wird jus humanum durch prawo übersetzt, im Gegensatze zu fas, lex divina: prauda 1 ). Helmold bezeichnet ihn als die Hauptgottheit des Gaues Oldenburg (Starigard) in Wagrien, dessen Heiligthum (fanum, sanctimonium totius terrae) sich etwa eine Tagereise von Oldenburg in einem Haine befand, dem einzigen in einer weiten Ebene, und 1156 durch den Bischof Gerold und dessen Gefolge, worin sich auch Helmold befand, eigenhändig zerstört ward. Der einfache Altar, ohne bildliche Darstellung des Gottes, stand unter uralten Eichen auf einem durch hölzerne, aber sorgfältig bearbeitete Palisaden befriedigten Raume, zu welchem zwei Pforten führten, der aber von niemandem als dem Priester und den Opfernden betreten werden durfte. Doch gewährte er auch dem Flüchtlinge in Todesgefahr ein sicheres Asyl. Die öffentlichen Gerichtstage, welche an jedem Montage, wie Helmold versichert, in diesem Heiligthume gehegt wurden, werden daher wohl in einem Vorhofe stattgefunden haben. In ihnen führte der Oberpriester des Gottes, welcher Mike genannt ward, und der Landesfürst den Vorsitz 2 ).

Nach dieser Schilderung kann man dies Heiligthum für nichts anderes halten, als für die der Gottheit geweihete Landes=Dingstätte. Solche heilige Dingstätten und Asyle werden auch der sogenannte Steintanz in dem Tarnower Forste bei Boitin 3 ), und die merkwürdige Steinsetzung bei Klopzow an der Müritz 4 ), sowie der schon erwähnte Freienstein bei Parkow in der Nähe von Bützow und der Frieden=


1) Hanka, 1. 1. p. 7 u. 12.
2) Helm. 1.1. I. c. 52, 69 und 83.
3) Jahrb. IV, B, 79 und VI, B, 68.
4) Archiv für Landeskunde XIV, 36.
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stein bei der Rostocker Fähre 1 ) gewesen sein. Auch unter den Abgöttern, welche Pribislav bei dem später so berühmt gewordenen Kloster Doberan zerstört haben soll, mag ein heiliger Eichenhain des Prowe zu verstehen sein, denn dob oder dub heißt Eiche, und der jetzt vor der Kapelle zu Althof (bei Parkentin) liegende Stein mit einer schalenförmigen Vertiefung, welcher in der Nähe gefunden ward, mag ein alter Opferstein sein 2 ). Auch außerhalb Meklenburgs, namentlich auf Rügen, finden sich solche Dingstätten und Opfersteine, welche größtentheils auf Perun=Prowe Bezug haben werden, in großer Zahl. Ortsnamen dagegen, welche auf eine Verehrung des Prowe hinweisen, sind mir nicht bekannt, denn das Provenau in Wagrien, dessen Bangert in seiner Ausgabe des Helmold zu c. 52 gedenkt, weiß ich nicht nachzuweisen.


Auffallend ist, daß sich in dem ganzen Gebiete der Westslaven, so viel mir bekannt geworden ist, kein Donnersberg findet, weder in deutscher noch in slavischer Sprache, da doch der in den Wolken thronende Donnerer hier so gut, wie bei andern Völkern vorzugsweise auf Bergspitzen verehrt sein wird. Wirklich scheinen auch verschiedene Höhen in Meklenburg, wie die Hoheburg bei Jabelitz und Schlemmin, der Wallberg bei Ilow, der hochgelegene Burgwall bei Zislow u. a., deren Beschaffenheit in unsern Jahrbüchern bereits beschrieben ist 3 ), als Peruns=Heiligthümer betrachtet werden zu müssen, obwohl in den Namen derselben keine Andeutung dieser Bestimmung liegt.

Auch von den Festen dieser Gottheit haben wir keine sichere Ueberlieferung. Gleichwohl dürfen wir voraussetzen, daß sein Hauptfest, außer dem ihm und den eigentlichen Frühlingsgottheiten gemeinschaftlichem Feste des wiederkehrenden Sommers, um die Sommersonnenwende (Mitsommer) gefeiert sein wird, weshalb sich unter den zahlreichen, zum Theil noch heute bekannten, unverkennbar heidnischen Ge=


1) Jahrb. VI. B, 77.
2) Jahrb. XXVIII, 43. Die Eiche, welche bei allen Völkern als der heilige Baum des Donnergottes galt, war auch bei den Slaven dem Perun geweihet. Wegen der heiligen Eiche bei Stettin vergl. oben S. 135. In der mater verbor, p. 20 heißt es: Silva Jovis quercum significat: dubrana.
3) Jahrb. VII. B, 176 ff. - IV. B, 79. - XVII. B, 3 ff.
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bräuchen und Aberglauben in Bezug auf das während des ganzen Mittelalters hochgehaltene Johannisfest auch manche slavische Elemente finden werden. Allem Anscheine nach ward dasselbe in der Neumondsnacht vor der Sonnenwende gefeiert. Als der Bischof Otto auf seiner ersten Missionsreise nach Pommern im Anfange Jun. d. J. 1124 Abends vor der Burg Pyritz anlangte, fand er das Volk aus der ganzen Umgegend in festlicher Aufregung, welche bei fröhlichem Gesang und Tanz die ganze Nacht hindurch fortdauerte, weshalb die Missionäre nicht wagten, sich der Burg zu nähern, sondern die Nacht hindurch heimlich in einem benachbarten Gehölze lagerten. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß dies Fest kein anderes, als das der Sonnenwende war, das aber nach der Zeitrechnung des Biographen Otto's gleichwohl nicht an diesem Tage selbst, sondern in der vorhergehenden Neumondsnacht gefeiert ward 1 ).


Die Besprechung einer dritten Gruppe jüngerer und geringerer Gottheiten, welche dem nordgermanischen Niordr und seiner Sippe entspricht, muß ich mir für eine andere Zeit und vielleicht auch einen andern Ort vorbehalten, da mir hier der Raum dazu fehlt, die Untersuchung auch Meklenburg speziell kaum berührt, also, strenge genommen, nicht hieher gehört. In diesen Kreis fallen namentlich der Porevit zu Carenz, Gerovit zu Wolgast, der Jutrobog in der Lausitz und die ungenannte Gottheit auf Julin. Eben so muß ich aus Mangel an Raum auf die Besprechung


1) Ueber das Fest sagt Herbord II, 14: Erat enim festus dies paganorum, quem lusu, luxu cantuque gens vesana celebrans vociferatione alta nos reddidit attonitos. Die Missionäre wagten daher nicht in illa nocte in turbam potu laeticiaque ferventem nos tam insolitos hospites advenire. Ueber die Zeit giebt Ebbo II, 5 an, daß sie nach 14tägigem Aufenthalte in Pyritz nach Camin aufgebrochen und dort am Johannisfeste (in nativitate S. Johannis baptistae), also am 24. Jun. a. St., angelangt seien, wogegen Herbord II, 17 den Aufenthalt zu Pyritz auf ungefähr 20 Tage (quasi 20 diebus) schätzt. Im Jahre 1124 fiel aber der Vollmond des Monats Mai, nach der gefälligen Berechnung des Herrn Schulraths Dr. Hartwig in Schwerin, auf den 29. Abends 11 U. 17. M. und der Neumond auf den 13. Juni a. St., oder den 20. u. St., also auf den Tag vor der Sonnenwende. Die Ankunft vor Pyritz wird also auf den 12. Juni fallen, wenn gleich dies nicht genau zu der angeblichen Ankunft in Camin am 24. Juni stimmt, wenn man daneben den 14tägigen Aufenthalt in Pyritz festhält.
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der weiblichen Gottheiten verzichten, und bemerke hier nur, daß die Siva die einzige ist, welche (durch Helmold) unter ihrem slavischen Namen als weibliche Gottheit in dem Gebiete der Westwenden bezeugt wird. In ihr, der Göttin des Lebens, ist die Gemahlin Peruns, also die germanische Sif, um so weniger zu verkennen, als Perun selbst bei den Südslaven, anscheinend unter dem Namen Siwa, verehrt ward. - Dazu kommt dann vielleicht noch die Fortuna des Wilh. von Malmsburg, die nach ihrem Embleme, dem die Fruchtbarkeit des kommenden Jahres verkündenden Trinkhorne, als ein weiblicher Swantevit, also als die Todesgöttin Morzana oder Dewa erscheint, wenn der Ausdruck Fortuna nicht etwa als die Schicksalsgottheit überhaupt, ohne Bezug auf das Geschlecht, zu nehmen ist, also als Swantevit selbst. Auch in den Sagen dieser Länder, namentlich in Meklenburg, erscheinen nur zwei Göttinnen, Fru Woden und Harke, beide unter deutschen Namen, von welchen aber wenigstens der letztere an so bestimmte Oertlichkeiten, Bergen, Seen und künstlichen Burgwällen, haftet, daß ihre Verehrung auch unter den Wenden, natürlich unter slavischem Namen, gesichert ist. Ihre Sagen laufen aber so häufig zusammen, daß es schwer ist zu sagen, ob sie ursprünglich identisch oder nur später vermischt sind. Ich neige mich zu der letztern Ansicht, und glaube in der Frau Harke die Siwa zu erkennen, die milde Erdenmutter des Tacitus.

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Nachtrag

zu der voraufgehenden Abhandlung über die Grenzen der Redarier 1 ).


Bei Gelegenheit der Besprechung des Burgwalles Radegast bei Penzlin S. 66 ward die Vermutung ausgesprochen, daß der in einer Urkunde von 1309 vorkommende Grapenwerder der heutige Hof Werder sei. Diese Vermuthung schlug fehl. Unter dem Grapenwerder versteht man noch heute eine auf allen Seiten von Sumpf umgebene hochgelegene Fläche nördlich von der Stadt, welche mit der äußersten Spitze den Lapitzer See berührt. Auf diesem Werder, am Ufer eines kleinen Bergsees, liegt der S. 60 und schon früher in den "wendischen Schwerinen" gedachte große, runde Burgwall, welcher auf älteren Karten "die alte Burg" oder alter Wall genannt wird. - Die "Radegast=Burg" oder "Berg" selbst liegt nicht südlich, sondern nördlich von dem Hofe Werder 2 ). Nach Rabe's Vaterlandskunde I, 398, soll erst der Vater des 1856 verstorbenen Freiherrn Ferdinand v. Maltzan, Joseph Christian Heinrich, diesem mit Holz gekrönten Walle den Namen Radegastberg gegeben haben, indem er vor der Halbinsel einen Park anlegen, den Wallberg durch Ziehung eines Canals ganz abschließen ließ, und auf diesem seinen Lieblingsplatze dem Radegast eine Bildsäule setzte. Der Freiherr Joseph succe=


1) Die Anregung zu den nachstehenden Verbesserungen und Ergänzungen verdanke ich wiederum dem Herrn Staatsminister Freiherrn von Hammerstein.
2) Gelegentlich bemerke ich, daß auch S. 60 Z. 1 v. o. Nordspitze st. Südspitze, und S. 63 Z. 2 v. u. Prilwitz st. Hohen=Zieritz zu lesen ist.
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dirte auf Burg Penzlin mit den Gütern Wustrow, Alt=Rehse, Werder u. s. w. im Jahre 1745 unter der Vormundschaft der Mutter, ward 1760 volljährig und starb 1806. Bis in seine Zeit wird denn allerdings die Erinnerung der durch den jetzt lebenden Freiherrn abgehörten Zeugen, selbst der 93jährigen Frau, nicht zurückgereicht haben, und ihre Aussage widerlegt also die gedachte Angabe über den Ursprung des fraglichen Namens nicht. Gleichwohl scheint es mir sehr viel glaubwürdiger, daß der Freiherr Joseph eben durch diesen Namen des Wallberges, dessen hohes Alter nicht blos durch die Directorialkarte, sondern vor allem durch seine Beschaffenheit selbst vollkommen verbürgt ist, zu der Errichtung der Bildsäule des Radegast veranlaßt worden sei, als daß er denselben zur Verherrlichung seiner eigenen in diesem Falle bis zur Narrheit wunderlichen Schöpfung erfunden haben sollte, wozu namentlich in der damals nach der Bekanntmachung der Sponholtzschen Götzenbilder im Jahre 1768 herrschenden Ansicht über die Lage der Tempelburg Rethra zu Prilwitz nicht die geringste Veranlassung liegt. - Die Ansicht des Verfassers der "Vaterlandskunde", daß der als ein "schwer passirbarer Hohlweg" beschriebene Paß auf der Straße nach Hohen=Zieritz die alte eiserne Pforte sei, ist ein Irrthum, der auf der Verwechselung dieser Pforte selbst mit dem darnach benannten Walde beruht, ein Irrthum, welcher jetzt in dieser Gegend allgemein herrscht. Von diesem Hohlwege ab ist die alte Landwehr noch jetzt auf beiden Seiten, nach dem Tollenser See und dem kleinen und großen Stadtsee hinab, in mehreren parallel laufenden Gräben und Wällen zu verfolgen.

Gelegentlich ist hier noch an die höchst charakteristischen Volkssagen in der Gegend von Penzlin zu erinnern. Darnach ist der Glaube an die wilde Jagd und das Erscheinen sonstiger Teufelsrosse hier noch heute allgemein verbreitet, namentlich an der jetzt sogenannten eisernen Pforte auf dem Wege nach Hohen=Zieritz und in der Schwanheide (am Wodensee und den Teufelsbrüchen), und eine Sage vom Grapenwerder berichtet sogar über den heidnischen Cultus in der Nachbarschaft dieser Gegend, wobei aber die Namen Rethra und Radegast natürlich moderne Zusätze sind 1 ).

Vignette

1) Niederhöfer a. a. O. II, 196 u. 241. - III, 10 u. 205.
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IV.

Echte Wendische Götzen.

Von

W. Freiherrn von Hammerstein,
großherzogl. Meklenb. Strelitzischem Staatsminister.


Mit zwei Steindrucktafeln.


N achdem die sogenannten Prilwitzer Idole durch die von der Strelitzischen Regierung seiner Zeit veranlaßte gründliche Untersuchung, von welche der darauf gebaute vortreffliche Aufsatz Boll's (Meklenb. Jahrbücher, Jahrgang XIX, S. 168 und folgd.) nähere Kunde gab, als Machwerke der Täuschung glücklich enthüllt sind, - vorbehältlich der noch bevorstehenden nähern Ermittelung über die Echtheit einzelner den Charakter des Alterthums tragender Figuren dieser Sammlung, - schien sich die Ansicht festzustellen, daß überhaupt bisher noch keine Wendische Götzen aufgefunden seien. Eine von mir vorgenommene Untersuchung und Vergleichung verschiedener sogen. Götzen, welche in Wendischer Gegend gefunden sind, hat mir jedoch die Ueberzeugung gegeben, daß es an einigen echten Wendischen Götzen nicht fehlt. Zwar müssen wir sicher auf die Findung der großen hölzernen Götzenbilder verzichten, welche, wie Saxos Beschreibungen von Arkona und Carenz ergeben, vorzugsweise in den Haupt=Tempeln der Wenden aufgestellt waren; ihre Bestandtheile waren ja so vergänglich, daß es fast ein Wunder wäre, wenn sich eines oder das andere derselben erhalten hätte. (Ein anscheinend hölzernes Götzenbild, welches, vor Kurzem in einer Höhlenwohnung auf der Insel Fehmarn mit zahl=

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reichen andern Alterthümern gefunden, in der Universitätssammlung zu Kiel sich befindet, wird gleich dem übrigen Inhalt dieses interessanten Fundes sich wohl sicher als Reliquie vorwendischer Zeit herausstellen.) Dagegen sollte man denken, daß von den vielfachen kleinen Götzenbildern, welche die Wenden nach übereinstimmenden sicheren Zeugnissen theils als Aufsatz ihrer Kriegs=Vexillen, theils als Hausgötter gebrauchten, doch das eine oder andere sich erhalten habe, da diese bei den Wenden ebensowohl als bei andern Völkern sicher zum großen Theil aus Metall bestanden haben werden.

Dem ist nun auch wirklich so, denn eine von mir vorgenommene Zusammenstellung verschiedener sicher in Wendischer Gegend aufgefundener und dabei in Form und Haltung fast genau übereinstimmender metallischer Figuren läßt, da ähnliche Figuren in nicht Wendischer Gegend bisher nicht aufgefunden zu sein scheinen, mit Sicherheit annehmen, daß dieselben wirklich den Wenden als Götzen dienten.

In den anliegenden Zeichnungen 1 ) gebe ich eine Darstellung der von mir verglichenen Figuren. Eine auffallende Aehnlichkeit dieser Figuren unter einander wird Niemand bestreiten, und doch sind die Fundorte, wenn auch immer Wendischer Gegend angehörig, sehr verschieden.

Fig. 1 ist eine der Kieler Universitäts=Sammlung angehörige, zu Bliesdorf, Amts Cismar, Kreises Oldenburg, in Wagrien, unter dem Fundament eines abgebrannten Hauses gefundene Bronzefigur, für welche Professor Dr. Handelmann zu Kiel uns nebst der Zeichnung folgende nähere Angabe gemacht hat.

"Es ist dieselbe Figur, welche im XIII. Bericht der Schlesw.=Holst.=Lauenb. Alterthumsgesellschaft S. 73 erwähnt ist. Meine Vorgänger in der Direction übersahen, daß die Figur inzwischen doch in unser Museum gelangt war. Die Schicksale derselben sind kurz folgende. Zunächst erwarb sie der Assessor Oppermann in Eutin, und dessen Handschriftliche Bemerkungen geben das Jahr 1829 als das Jahr des Fundes an, während es a. a. O. 1824 heißt. Oppermann's Sammlung kam zunächst an Dr. Boye in Heiligenhafen und dann mit dessen Sammlung an den Advocaten Winding in Schleswig. Winding's Wittwe aber schenkte nach ihres Mannes Tode seine Samm=


1) Hiebei die Steindrucktafeln I und II. Die Kosten der einen der beiden Tafeln hat der Herr Verfasser dem vereine geschenkt.     Die Red.
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lung an das hiesige Museum. Die Figur ist katalogisirt unter No. 548 der Windingschen Sammlung, welche noch immer besonders aufgestellt ist."

Fig. 2 ist ebenfalls eine der Universitäts=Sammlung zu Kiel angehörige Bronzefigur, über welche ich der Güte des Professors Dr. Handelmann folgende Mittheilung verdanke:

Die zum XIII. Bericht der Königlich Schleswig=Holstein=Lauenburgschen Gesellschaft für vaterländische Alterthümer (vom J. 1848) auf Taf. II, Fig. 2 abgebildete Figur (No. 2173 des Hauptcatalogs) hat der damalige Gelbgießer Laucke zu Kiel 1847 dem Museum geschenkt, und soll dieselbe bei Oldenburg (Wagrien) gefunden sein. Nach dem neuen Maaß beträgt die ganze Höhe 15 Centimeter; die Höhe der Figur allein 11 Centimeter und deren ganze Breite (vom Ende des einen Armstumpfs bis zum andern desgleichen) 5 1/2 Centimeter; der runde und hohle (glockenförmige) Untersatz ist 4 Centimeter hoch und 8 Centimeter im Durchmesser.

Die hier gegebene Zeichnung ist aus der Tafel II des gedachten XIII. Berichts übertragen, welcher nur noch näher angiebt, daß die Figur auf einer Koppel bei Oldenburg gefunden sein soll und den Zweifel des Vorstandes ausspricht, ob die Figur der ältesten Zeit angehören möge, ein Zweifel, der sich durch die jetzt mögliche Vergleichung mit anderen Figuren erledigen wird.

Fig. 3 ist eine Bronzefigur, welche gegenwärtig in der der Stadt Stralsund gehörigen Sammlung sich befindet und für dieselbe aus dem Nachlaß des Dr. von Hagenow zu Greifswald erworben ist. Dieselbe ist nach Hagenow's eigenhändiger Aufzeichnung auf dem Prediger=Acker zu Rakow bei Grimmen in Neu=Vorpommern gefunden und an den dortigen Prediger Hase abgeliefert; sie ist 2 1/2 Zoll rheinländisch hoch.

Fig. 4 ist der nach Dobrowsky's Slavin (Prag, 1808, S. 416) im Königgrätzer Kreise in Böhmen gefundene, in der Sammlung zu Dux verwahrte Götze, ebenfalls von Bronze, nach der Abbildung im Slavin wiedergegeben. Dobrowsky bemerkt: "daß die Tracht der Götzen ächt Slowakisch sei, wie sich die ärmeren Slowaken noch im Gebirge tragen."

Fig. 5 ist ein bei Ullersdorf in der Oberlausitz gefundener Götze, welchen Klemm in seinem Handbuch der Germanischen Alterthumskunde S. 353 erwähnt und auf Tafel XIX, Fig. 5 a. und 5 b. abgebildet hat.

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Fig. 6 ist eine Figur, welche sich in der Großherzoglichen Sammlung zu Neustrelitz befindet; sie gehört weder zu der Maschschen noch zu der Potockyschen Sammlung der sogen. Prilwitzer Idole, war aber schon im Jahre 1834, wo sie von Professor Levetzow gezeichnet wurde (diese Zeichnung ist der hier gegebenen zum Grunde gelegt), in der Großherzoglichen Sammlung. Professor Levetzow schildert sie in einer im Manuscript zu Schwerin (Archiv des Vereins für Meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde) vorhandenen Beschreibung der in Neustrelitz vorhandenen Alterthümer so:

"Vier Zoll hohes Bild einer männlichen Figur von roher Zeichnung und Arbeit. Der Kopf, an welchem Augen, Nase und Mund sehr grob ausgearbeitet und die Haare gar nicht angedeutet sind, wird von einer oben spitz zulaufenden Mütze bedeckt, die in der Mitte durch einen vorne 2 mal und hinten 3 mal eingekerbten hervorspringenden Besatz (Bräme) ausgezeichnet ist, an beiden Seiten aber 2 breite, doch spitz zulaufende, aufgeschlagene, vielleicht ebenfalls verbrämte Laschen zu erkennen giebt. Der Körper scheint mit einem kurzen Wams bedeckt zu sein, das über der Hüfte mit einem hervorspringenden Besatz im Zickzack begrenzt ist. Die Beine endigen ohne eine Andeutung von einer besondern Bekleidung in zwei fast geraden Säulen mit kurzen stumpfen Plattfüßen. Die Spalte zwischen den Beinen ist zum Theil noch mit ausgefülltem Metall ausgefüllt. Die Arme standen ursprünglich horizontal vom Leibe abgestemmt. Der rechte bis an die Ellenbogengelenke allein nur noch vorhandene zeigt an, daß bis dahin der weite Aermel des Wamses ging. Ob daran der Vorderarm befindlich war, ist ungewiß; ein Bruch ist nicht zu bemerken. Der Stumpf ist platt und mit alter Patina, wie das Ganze, überzogen. Der linke Arm fehlt ganz bis auf ein schraubenartig gebildetes Stück, was an dessen Stelle angegossen ist; ungewiß ist, ob ehedem dadurch ein ganzer Arm daran befestigt worden sei, was aber der Anlage nach fast wahrscheinlich ist. Auch unten an den Füßen befindet sich der kleine Rest einer eingeschmolzenen Schraube, der aber dem größten Theil nach abgebrochen ist. Das Ganze trägt in Rost und Arbeit die unverkennbaren Spuren eines hohen, aber rohen Alterthums an sich. Aehnliche Gestalten

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haben sich schon anderwärts hin und wieder gefunden. Es ist gewiß wendischen Ursprungs."

Lisch hat zu dieser Beschreibung seiner Zeit notirt:

"Das menschliche Bild (No. 2) ist wahrscheinlich das bei Waren neben Urnen und Runensteinen gefundene. Sie ist voll gegossen, von gelblicher Bronze und daher mit bräunlichem Rost bedeckt, allerdings eine große Seltenheit für die Norddeutsche Alterthumskunde. Was aber ihren Wendischen Ursprung documentiren möchte, ist, daß durch das Ende des rechten Arms ein mit Rost bedeckter eiserner Niet geht, der die Figur daher mit Sicherheit in die Eisenzeit verweiset. Daß sie in der Erde gefunden ist, geht aus mehreren Spuren augenscheinlich hervor."

Die Vermuthung, daß diese Figur bei Waren gefunden sei, beruht darauf, daß bei der von der Großherzoglichen Regierung zu Neustrelitz in den Jahren 1827 und 1828 angeordneten Untersuchung über die Prilwitzschen Idole der Bürger Boje aus Waren protocollarisch aussagte: er habe in einem mit Steinen ausgesetzten Grabe bei Waren zwei Urnen gefunden und zwischen denselben eine Metallfigur von etwa 4 bis 5 Zoll mit einer Erhöhung auf dem Kopfe, stark mit grünem Rost überzogen, so daß kein Buchstabe daran bemerklich gewesen, und es sei dieser Fund von dem ihm besuchenden Gideon Sponholz mit nach Neubrandenburg genommen und seinen Sammlungen einverleibt. Diese Sammlungen sind später ins Großherzogliche Antiquarium zu Neustrelitz gekommen, wo namentlich eine der Urnen, die in Waren gefunden waren, noch im Jahre 1828 von dem Bürger Boje wiedererkannt wurde, während man damals diese Figur nicht zur Hand hatte, die sich jedoch später ebenfalls dort fand. Es mag daher an dem Herkommen der fraglichen Figur aus einem bei Waren in einem Grabe gemachten Funde nicht zu zweifeln sein.

Die obige Beschreibung der Figur ist aber wesentlich deshalb so vollständig hier wiedergegeben, weil sie die Vergleichung mit den übrigen oben erwähnten Figuren sehr erleichtert und insbesondere die Vergleichung mit der Figur oben No. 2, welche bei Oldenburg in Wagrien gefunden ist. Betrachtet man die letztere Figur, so fällt sofort in die Augen, daß sie fast gleiche Höhe mit der bei Waren gefundenen hat, 4 1/2 und 4 Zoll, die spitzzulaufende Mütze ist genau dieselbe bei beiden Figuren, nur hat sie bei No. 2 nach hinten

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einen auf den Nacken herabhangenden zopfartigen Auslauf, der bei No. 6 nicht stattfindet. Das Wams beider ist ganz dasselbe, der Besatz desselben ebenfalls genau derselbe, bei beiden Figuren laufen die Beine in geraden Säulen aus; die Arme stehen bei beiden horizontal vom Leibe ab. Bei beiden bricht der rechte Arm am Ellenbogen ab und statt des linken Armes ist nur ein Stumpf vorhanden.

Sehr ähnlich ist, wenn auch die Kopfbedeckung eine Varietät zeigt, die Fig. No. 1, welche gleichfalls in Wagrien (bei Bliesdorf) gefunden ist. Aber auch die übrigen oben erwähnten Figuren ergeben eine nicht unerhebliche Aehnlichkeit mit den zuletzt gedachten drei Figuren.

So zeigt denn die Vergleichung dieser sechs an den verschiedensten Fundorten des einstigen Wendenlandes gefundenen Figuren zur Genüge, wie sie sämmtlich rücksichtlich der Bekleidung sich einander auffallend ähneln. Bei allen das kurze Kleid mit dem Wulst um die Hüften, dem sarmatischen Pelzrande; bei allen das steife Anliegen am Halse, bei allen der weite Aermel, in den der Arm ausläuft. Einzelne ähneln sich auch in der helmartigen Kopfbedeckung. Offenbar ist der Charakter der ganzen Figuren bei allen derselbe; man kann sich des festen Gedankens nicht erwehren, daß sie einem und demselben Volksstamm angehören, und da so bei Polabischen Wenden in Holstein (Wagrien), bei den Lutiziern (Murizen) in Meklenburg, den Ranen in Altvorpommern, den Czechen in Böhmen dieselben Figuren erscheinen, während, so viel wenigstens bis jetzt ermittelt werden konnte, in nicht von Wenden bewohnten Gauen Figuren dieses eigenthümlichen Charakters nicht gefunden sind, so darf man mit Bestimmtheit annehmen, daß diese Figuren den Wendischen Völkern eigen sind.

Wozu sie gedient haben, mag auch kaum noch in Zweifel gezogen werden. Es ist kaum ein anderer Gebrauch als der zum Götzenbilde denkbar. Hauptgötter werden sie, wie oben schon angedeutet ist, schwerlich dargestellt haben, da diese wenigstens nach den über solche vorhandenen Zeugnissen regelmäßig nur von Holz gewesen zu sein scheinen. Sie waren daher entweder Haus= oder Ortschaftsgötter, die es ja nach Helmolds und Saxos Zeugnissen sicher gab. (Praeter lucos atque penates, quibus agri et oppida redundabant. Helmold I, 52. Praeter penates enim et idola, quibus singula oppida redundabant, locus ille sanctimonium fuit universae terrae. Helm. I, 83. Iis tantum paene venerationis privatorum deorum dignitas concilia-

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verit, quantum apud Arkonenses publici numinis auctoritas possidebat. Saxo p. 841.) Oder aber sie dienten als Aufsätze auf die Kriegs=Vexillen, und wurden so dem Heere voran in den Krieg getragen (Thietmar VI, 16. 17. VII, 47). Drei der gedachten Götzenbilder lassen den Gebrauch durch Befestigung im Hause oder etwa an den Vexillen besonders vermuthen; bei dem zu Bliesdorf in Wagrien gefundenen Bilde läuft nämlich der eine Arm in ein sogen. Oehr aus, in welches der Fahnenstock anscheinend gesteckt wurde, um es zu befestigen; bei dem Rakowschen Götzen befindet sich am Rücken eine Erhöhung, welche nur gedient haben kann, um das Bild zur Befestigung an einen anderen Gegenstand einzuzwängen und der bei Waren gefundene Götze hat eine Schraube an einem Arm und an den Füßen, daneben ein eisernes Niet am andern Arm.

Als Penaten werden diese Götzen vielleicht eine bestimmte Wendische Gottheit und namentlich einen der bekannten Götter nicht dargestellt haben. Perun oder Prove, der in Polabien, also in Wagrien, verehrt wurde, war mit einem bestimmten Götzenbilde bekanntlich nicht bedacht, und eine Siwa, die nach Helmold's Zeugniß eine Göttin der Polabischen Wenden war und die auch bei Waren nach den alten Nachrichten verehrt wurde, welche Westphalen im 4. Bande der Monum. ined. giebt, ist in keiner der betreffenden Figuren zu finden. Daß fast allen diesen Figuren der eine Arm fehlt, läßt vermuthen, daß wir in denselben den Wendischen Gott Tur zu erkennen haben, der bei den Wenden mit dem von ihm abgeleiteten Fest Turice häufig erscheint und mit dem Scandinavischen Gott Tyr (Mars) identisch ist (Hanusch, die Wissenschaft des Slavischen Mythus, S. 26), welchem bekanntlich eine Hand fehlt, die nach der nordischen Sage ihm der Fenris=Wolf abgebissen hat. Auch findet diese Vermuthung Bestärkung in der Entdeckung, daß auch andere in Wendischen Gegenden gefundene Sinnbilder - ich meine hier die kleinen in der Neu=Strelitzischen Sammlung befindlichen, im Lande der Redarier gefundenen Stierbilder - auf einen Cultus des Tur oder Tyr bei den Wenden Meklenburgs entschieden hinweisen; eine Entdeckung, welche ich demnächst durch einen andern Aufsatz näher erörtern werde. Uebrigens halte ich mit den oben beschriebenen, sich einander ähnelnden Götzenbildern und den eben gedachten Stierbildern die noch vorhandenen Wendischen Götzenbilder nicht erschöpft; es scheint namentlich, daß der Handel den Wenden auch Götzenbilder von andern Völkern zurückgeführt hat, welche sie in

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Ermangelung der eigenen Bilder ebenfalls als Götzen gebrauchten und den eigenen Gottheiten unterlegten. Was in der Strelitzischen Sammlung neben den vorgedachten Bildchen noch als Götzenbilder, ganz abgesehen von den größtentheils als falsch bei Seite gesetzten Prilwitzer Idolen, angesprochen werden kann, darf einer besondern Mittheilung vorbehalten bleiben.

Erwarten wir nun, ob die Ergebnisse der obigen Untersuchung durch vielleicht noch tiefere Forscher Widerlegung finden; es ist genug, wenn dieselben der bisher leider sehr verschleierten Wahrheit näher führen, einerlei in welcher Richtung.

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V.

Ueber

den Wendischen Gott Zuarasici.

Von

W. Freiherrn von Hammerstein.
großherzogl. Meklenb. Strelitzischem Staatsminister.


T hietmar von Merseburg erwähnt bekanntlich, daß in dem Fano der Riedegost=Burg die Bilder der Götter und Göttinnen aufgestellt sind, "deren erster Zuarasici genannt und vor den übrigen von allen Heiden geehrt und angebetet wird 1 )". Statt Zuarasici las man früher Luarisici, und in Folge dessen erschöpften sich unsere Gelehrten in zum Theil wunderbaren Deutungen; Schafarik machte daraus einen Luva-Racic oder Leo regulus, und selbst Hanusch in seiner Wissenschaft des Slavischen Mythus huldigte noch im Jahre 1842 dieser Auslegung. Da gab der fast zu gleicher Zeit mit Thietmar's Chronik geschriebene Brief des Erzbischofs Brun an König Heinrich II. vom J. 1008 (Giesebrecht Kaiserzeit II, S. 602) das Licht, daß man nur falsch gelesen hatte und es im Thietmar Zuarasici heiße, indem dieser Brief die Stelle lieferte: Quomodo conveniunt Zuarasi vel diabolus et dux sanctorum vester et noster Mauritius? qua fronte coeunt sacra lancea et quae pascuntur humano sanguine, diabolica vexilla? non credis peccatum, o rex, quando christianum caput, quod nefas dictu, immolatur sub demonum vexillo? Damit Waren alle jene Auslegungen vernichtet; man wußte nun, daß der


1) Quorum primus Zuarasici dicitur et prae caeteris a cunctis gentilibus honoratur et colitur.
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erste Gott der Wenden Zuarasici und nicht Luarisici genannt wurde. Aber viel weiter war man damit nicht; denn keine einzige Urkunde außer jenen beiden ersten Stellen erwähnt des ersten Gottes der Wenden mit diesem Namen; ob es ein selbstständiger Gott sei, ob der Name nur der Nebenname eines sonst schon bekannten Wendischen Gottes sei, blieb ganz ungelöset, und es scheinen selbst unsere Slavisten, nachdem sie an dem falschen Luarisici sich erschöpft haben, den Muth verloren zu haben, dem für sie neugeborenen Zuarasici weiter nachzuforschen. Hier bleibt daher noch Raum zur Forschung, und es scheint, daß man der Sache doch näher kommen kann, wenn man die äquivalenten Worte der verschiedenen, noch jetzt ergründbaren Wendischen Mundarten aufsucht.

Auf diesem Wege fanden wir zunächst in der Mundart der Lüneburgischen Wenden (Drewaner) laut des von Potocki mitgetheilten Wörterverzeichnisses: Szeratz=Teufel, und das alte Böhmische Wörterbuch S. 55 und 423 hat einen Szaredec oder Szarzedecz, den es ebenfalls mit Azmodeus oder Teufel übersetzt. Die Uebereinstimmung mit Zuarasi und Zuarasici ist hier wohl nicht zu leugnen. Hiernächst scheint fast Zusammenhang mit den in Lausitzischer Mundart vorkommenden Worten: Zarocer, Beschwörer, Zarocic, beschwören (siehe Pfuhl's Wörterbuch S. 984) um so wahrscheinlicher, als das Wort besonders von der Teufelsbeschwörung (certow) gebraucht wird; näher liegt jedoch das Diminutivum von Cert, Teufel, welches als cercik erscheint (das. S. 75), und besonders zu beachten ist, daß Stratec Gespenst ist (das. S. 679). Damit vergleiche man, daß Ztracec Sytiwratow zin (Sohn des Sitiwrat), Radegast aber des Stracec Sohn ist (siehe Grimm Mythol. S. 227-228), Radegast aber auch Enkel des Kirt oder Cert (Radihost wnuk Kirtow, laut Mater verborum S. 14). Hier haben wir daher eine doppelte Bedeutung des Wortes Zuarasici, einmal die des Teufels, des bösen Gottes, überhaupt desselben, welchen Helmold (Lib. I, 52) als Zernebog dem Belbog gegenüberstellt, und so ist die Bedeutung auch vom Erzbischof Brun im Briefe an König Heinrich II. aufgefaßt in den Worten: Zuarasi vel diabolus. Daneben aber geht die Bedeutung des Ztracec als Vaters des Radegast, und die letztere Auffassung könnte den Schlüssel dazu geben, daß Thietmar den Zuarasici als primus deorum bezeichnet; denn in einem Tempel, in welchem vorzugsweise der Radegast verehrt wurde und welcher dessen Namen trug, kann sehr wohl der Vater

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desselben als primus deorum bezeichnet gewesen sein. Immerhin ist es jedoch natürlicher anzunehmen, daß auch hier dem Zuarasici des Thietmar nur die allgemeine Bedeutung des Teufels oder bösen Gottes unterliegt. Thietmar wird aus dem Redarierlande die Kunde erhalten haben, daß der erste der in Rethra oder Riedegost verehrten Götter Zuarasici genannt werde, d. h. Teufel oder der böse Gott; mit dieser Bezeichnung war aber gerade nur Radegast, der durch andere Zeugnisse bekanntlich festgestellte Hauptgott des Fani zu Rethra oder Riedegost gemeint, welcher allerdings als Kriegsgott, als der Gott, welchem die gefangenen Christen geopfert wurden, die Bezeichnung als Teufel oder böser Gott sehr wohl haben konnte. Zu beachten bleibt jedoch noch, daß nach Matthaei's Wendischer Grammatik das Wort Saradzici mit: Rath und That geben, übersetzt wird. Es könnte auch dieses Wort identisch sein mit Zuarasici, aber dann wäre der Name immer nur ein Eigenschaftswort für den Radegast, der allerdings nach den vorhandenen Zeugnissen als der höchste Rath= und Thatgeber der Wendischen Völker sich darstellt. Auf einen besonderen Gott, der den Namen Zuarasici führte, neben dem Radegast wird man nach allem diesem zu verzichten haben, und damit erklärt es sich auch, daß keine andere Quelle einen so genannten besonderen Gott aufführt; selbst die reiche Kenntniß eines Hanusch und anderer Slavisten, welche sich die Ermittelung des Slavischen Mythus zur Aufgabe gemacht haben, hat einen Special=Gott Zuarasici nirgends gefunden; um so natürlicher möchte die obige dieser Benennung gegebene Deutung sein.

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VI.

Aufdeckung von Alterthümern zu Ruchow.

Vom

Justiz=Canzlei=Director a. D. von Bülow zu Schwerin.


Der ganze zwischen Sternberg, Brüel, Warin, Bützow und Dobbertin belegene Landbezirk ist sehr reich an Alterthümern, besonders der altgermanischen Vorzeit. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts waren vorzugsweise die Feldmarken von Ruchow, Bolz, Groß Upahl, Tieplitz, Prützen u. s. w. mit zahlreichen Gruppen nahe bei einander liegender Kegelgräber überdeckt, welche großentheils jetzt dem Acker= und Straßenbau zum Opfer gefallen sind.

Ganz besonders interessant in dieser Beziehung ist noch jetzt die Feldmark des Gutes Ruchow, ritterschaftlichen Amtes Sternberg.

Schon im Jahresberichte von 1840, S. 30, ist des dortigen großen Kegelgrabes, genannt der "Königsberg", (abgebildet auf der Titel=Vignette des Friderico-Franceiscum) gedacht, dessen Oeffnung in den Jahren 1820-21 eine eben daselbst S. 31-38 beschriebene reiche Ausbeute ergab. In Veranlassung, daß die Oeffnung dieses Grabhügels mittelst Kreuz=Durchstichs geschah, heißt derselbe jetzt im Volksmunde: "der geklöbte Berg".

Unter den noch unversehrten Kegelgräbern von Ruchow und Umgegend ragen besonders noch folgende hervor:

1) Ein runder Grabhügel von etwa 95 Schritten im Umkreise und einer Axenhöhe von etwa 20 Fuß, in der Nähe des Hofes Ruchow. Von der Höhe desselben (wohin, umgeben von Baumpflanzungen, ein gewundener Pfad führt,)

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genießt man eine entzückende Aussicht. Der Sage nach befindet sich in diesem Grabe eine goldene Wiege.

2) Einige hundert Schritte südöstlich davon entfernt liegt auf dem zweiten Ruchower Schlage, unweit zweier kleinen Ruchower Seen (der "Waukuhl" und der "Bohnrade"), auch unsern des "Königsberges", der sogen. "lange Berg". Derselbe erstreckt sich in einer Länge von etwa 80 Schritten von Westen nach Osten und besteht offensichtlich aus zwei Kegelgräbern, ein jedes von etwa 15 bis 20 Fuß Axenhöhe und etwa 60 Fuß Durchmesser. Beide sind durch ein etwa 10 Fuß hohes Plateau (von etwa 40 Fuß Länge und 30 Fuß Breite) mit einander verbunden. - Das östliche Grab ist an der Ostseite in einer Länge von etwa 16 Schritten bereits zu Agrikulturzwecken abgefahren, wobei Nichts gefunden sein soll. - Das Material des langen Berges besteht, wie man an dieser Stelle beobachten kann, aus Sand und Gnitt, untermischt mit Lagen größerer und kleinerem Steine.

Nur wenige größere Steine von 1-2 Fuß Durchmesser liegen untermischt mit kleineren auf der Oberfläche, welche mit jungen Buchen und Buschholz bewachsen ist, zerstreut umher. Ein Steinkreis findet sich nicht; wahrscheinlich sind aber schon viele Steine zu Bauzwecken abgefahren.

3) Wiederum einige hundert Schritte hiervon entfernt liegt hinter der Waukuhl, auf Bolzer Felde, am Waldrande ein rundes Kegelgrab, auf welchem eine einzelne hohe Tanne steht.

Minder nicht befindet sich am Ufer des großen Ruchower See's (bei der Pfarre) ein Pfahlbau aus der Wendenzeit, dessen äußere Erscheinung schon in den Jahrbüchern von 1867 (32. Jahrgang), S. 235-236 im Allgemeinen beschrieben ist. - Im östlichen Theile dieses Sees liegt überdies eine von Schilf umgebene kleine Insel, bedeckt mit Röhricht und Buschholz, welche ebenfalls manches senkrechte und horizontale Pfahlwerk enthalten soll. (Eine Ichnographie dieses Sees, nebst dem darin zu Tage getretenen Pfahlbau, ist hieneben eingesandt.)

Auf den Wunsch des Herrn S. von Blücher auf Ruchow begab ich mich am 20. bis 24. Octbr. 1868 dahin, um die beabsichtigten Nachgrabungen an dem sogen. langen Berge und im gedachten Pfahlbau (in Grundlage der Instruction für Aufgrabungen, S. 148-153 des Jahresberichts von 1837) zu leiten.

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I. Aufgrabung des westlichen Kegelgrabes am sog. langen Berge.

Bei der Nachgrabung wurde von Westen nach Osten bis zum Plateau, von oben her, ein hinlänglich geräumiger, keilförmiger Durchschnitt von etwa 60 Fuß Länge gegraben. Man traf (wie gewöhnlich bei den Kegelgräbern) aufgeschütteten Sand und Gnitt, untermischt mit größern und kleinern Steingeröllen. In einer Tiefe von etwa 10 Fuß stieß man auf ein Pflaster (etwa vier □ Fuß groß) von kleinen Feldsteinen, auf welchem man, mit dem Sande vermischt, Asche und Kohlen, auch eine Menge zerbröckelter und verwitterter Knochenreste und kleiner halb geschmolzener Stücke von bronzenen Hefteln, Nägeln, Hals= und Handgelenk=Ringen u. s. w., auch zwei unbeschädigte bronzene Messer fand. Von diesen Messern hatte das eine ganz die Form der gewöhnlichen sichelförmigen steinernen; das andere war länglich, mit einer Oese am oberen Ende; beide waren mit edlem Roste bedeckt.

Man durchbrach nun das nicht sehr feste Pflaster und grub vorsichtig tiefer im begonnenen Durchstiche. Etwa 1 1/2 Fuß unter dem Pflaster fand man in der Mitte des Grabes ein Stein=Gewölbe, bestehend aus einem Unterlags= und einem Decksteine und aus Wänden von kleinen Feldsteinen. Im Innern dieses Gewölbes (etwa einen Cubikfuß groß) stand eine kleine zierliche Urne aus einer feinkörnigen schwarzen Masse. Nachdem man dieselbe, nach Verlauf von etwa einer Stunde, unverletzt herausgenommen, untersuchte man deren Inhalt, welcher jedoch nur aus einer scheinbar mit Asche untermengten harten Lehmmasse bestand. Die Urne hatte an der einen Seite einen Eindruck von etwa einen Zoll Tiefe, welcher aber schon während der Beisetzung der Urne entstanden sein muß, da sich derselbe Eindruck auch an der innern harten Masse fand, an welcher die eingedrückten Stücke festklebten. Außer dem durch diesen Eindruck gebildeten Loche blieb dieselbe unversehrt. Vergeblich suchte man in demselben Niveau des Durchschnittes nach andern Urnen. Die Lage des Stein=Gewölbes nebst Urne, unter dem Pflaster der Brandstelle, war insofern sehr interessant, weil sich die Vermuthung aufdrängte, daß erst nach Beisetzung der Asche des hier beerdigten Germanen=Häuptlings darüber das Pflaster gelegt und dann auf demselben Kriegsgefangene oder Lieblings=Sclaven, festlich geschmückt, als Todten=Opfer verbrannt worden.

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Man beabsichtigte nun freilich, den begonnenen Durchschnitt noch bis zum Urboden zu vertiefen, und sodann nicht nur denselben in gleicher Tiefe durch das Plateau und das zweite Kegelgrab bis zum östlichen Ende des langen Berges fortzusetzen, sondern auch in den beiden Gräbern und im Plateau noch mehrere Quer=Durchschnitte bis zum Urboden zu machen; allein das Regenwetter, welches schon die bisherige Nachgrabung sehr behindert hatte, ward so stark und anhaltend, daß man von der Fortsetzung dieser Arbeit für diesmal abstehen mußte.

Die bisherige Ausbeute dieser Nachgrabung, bestehend (nähere Untersuchung und Beschreibung vorbehältlich)

1) aus der erwähnten Urne,
2) den beiden Messern,
3) einer Schachtel voll Sand und Asche, Resten von Knochen und zerbrochenen Schmucksachen, wurde auf dem Hofe zu Ruchow in Verwahrung genommen.

 

II. Nachgrabung im wendischen Pfahlbau im großen Ruchower See.

Westlich vom Dorfe Ruchow, unweit der Pfarre und des Kirchhofs, liegt der große Ruchower See, ringsum von Höhen umgeben, welche in der Urzeit seine Ufer gebildet haben mögen. - Seit unvordenklich langer Zeit hat er aber seine gegenwärtige Fläche nicht wesentlich verändert. Etwa in den Jahren 1855-56 ist er jedoch durch Abgrabung um acht Fuß gesenkt, wodurch ein Vorland entstanden ist, welches am südlichen Ufer ungefähr 45 Schritte von der früheren Seegrenze entfernt liegt. - Dieses Vorland besteht aus Moorgrund, ist aber durch hinaufgebrachten Sand großentheils in Acker verwandelt.

Bei der gedachten Senkung des Wasserspiegels trat der jetzt in Frage stehende Pfahlbau , desgleichen auch im östlichen Theile des Sees eine kleine Insel zu Tage. - Der Haupt=Pfahlbau an der südlichen Grenze des Sees bildet ein Oblongum von etwa 28 Fuß Länge und 16 Fuß Breite und wird bezeichnet durch drei, von Westen nach Osten laufende, nicht ganz gerade Reihen von eichenen Pfählen. Dem Augenscheine nach enthält die erste (nördliche) Reihe sieben Pfähle, die zweite Reihe acht Pfähle, unter denen ein Doppelpfahl, bestehend aus zwei nur 1 1/2 Fuß von ein=

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ander eingesetzten Pfählen, die dritte Reihe acht Pfähle. Zwischen der ersten und zweiten Reihe sind östlich noch zwei Pfähle sichtbar.

Sodann erblickt man im Vorlande, etwa anderthalb Fuß südlich von der Mitte dieses Oblongums entfernt, noch einen Vorbau, gebildet durch vier Pfähle im Quadrate und demnächst abermals südlich, etwa vierzig Fuß davon entfernt, im Ackerlande, noch zwei damit correspondirende Pfähle.

Die Pfähle stehen meistentheils 3 1/2 bis 5 Fuß von einander, haben eine Dicke von 1/2 bis 1 Fuß und sind sämmtlich wohl erhalten, nur an der Oberfläche etwas verwittert.

Am 20. October d. J. ragten diese Pfähle etwa 1/4 Fuß aus dem Wasserspiegel und dem Vorlande hervor. Der Wasserspiegel umgab nur die erste (nördliche) Reihe. Man hob nun (und zwar etwa 3 Fuß tief bis zum festen Seegrunde) zuerst die Erde zwischen der zweiten und dritten Pfahlreihe und zwischen den Pfählen des Vorbaues aus und erweiterte sodann diesen Graben in gleicher Tiefe nach dem Lande zu, über die Pfähle der dritten Reihe und des Vorbaues hinaus. - Das ausgehobene Erdreich bestand aus Schichten von Moder (anscheinend theilweise durch Kohlenstaub noch schwärzer gefärbt) und Sand. Die einzelnen Pfähle, bestehend aus vierkantig roh behauenen jungen Eichenstämmen, steckten so tief im Seegrunde, daß sie sich auch durch die vereinten Anstrengungen mehrerer Männer nicht einmal rütteln ließen.

Diese Pfähle, früher ganz unter dem Wasserspiegel, und noch jetzt, bis auf etwa drei Zoll in nassem Torf= und Modergrunde stehend, sind bis zum Seegrunde noch ganz fest und hart. Zwischen den Pfählen fand man nur wenig Bemerkbares (außer einigen Herdsteinen bei dem Doppelpfahle); desto größer war die Ausbeute an Fundstücken außerhalb der Pfähle, besonders in der nächsten Umgebung des Vorbaues.

Die gesammten Fundstücke sind (vorbehaltlich weiterer Prüfung und Beschreibung) folgende:

1) Eiserne Kriegs= und Baugeräthschaften:

a. zwei große sogen. Scharnire (Charnières) und ein großer sogen. Klink=Haken;

b. mehere Dolch= oder kurze Schwert=Klingen, sämmtlich abgebrochen;

c. eine Anzahl eckiger Spitzen von Armbrust=Bolzen, theilweise vorne abgebrochen;

d. ein großer Schlüssel von uralter Form;

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e. ein Beil von alter Form, vielleicht jedoch aus noch späterer Zeit.

Sämmtliches Eisengeschirr war im Modergrunde wohl erhalten geblieben, nur das mehr in einer Sand= und Moosschicht liegende Beil ziemlich stark verrostet.

2) Einige, auf einer Seite ganz schwarz gebrannte Ziegelsteine (wahrscheinlich Herdsteine.)

3) Eberzähne, Knochen von Thieren und wahrscheinlich auch von Menschen.

4) Kieshaltige, theilweise mit feinem Thon überzogene Scherben von größern und kleinern Gefäßen, theils platten, theils ausgebauchten, auch mit einem Rande am obern Ende, mit kleinern und größern Henkeln. Die Gefäße, hatten meistentheils concentrische und horizontale parallele Linien und waren, dem Augenscheine nach, größtentheils aus freier Hand gearbeitet, theilweise auch auf der Töpferscheibe gedreht.

5) Ein halber unglasurter Spindelstein von Thon, etwa 4 Zoll im Durchmesser haltend.

Gerne hätte man die Nachgrabungen, mindestens auf der Land seite, noch weiter fortgesetzt, allein das anhaltende Regenwetter, welches schon die genaue Durchforschung des ausgegrabenen Erdreichs nach kleineren Gegenständen, nach Kohlen, Küchenmoder u. s. w. behindert hatte, vernothwendigte auch hier die Aussetzung dieser Arbeit bis auf einen günstigeren Zeitpunkt.

Die Fundstücke 1 ) wurden im Herrenhause verwahrlich niedergelegt.

Eine möglichst sichere Darstellung und Begründung des Zweckes, der Organisation und Geschichte dieses Bauwerks wird sich erst alsdann ermöglichen, wenn zuvörderst nicht nur die Nachgrabungen an der jetzigen Landseite vollendet, sondern auch die Umgebungen der Seeseite dieses Pfahlbaues und auch der oben erwähnten Insel mit der Baggerschaufel genau untersucht sein werden. Doch lassen sich schon aus dem jetzigen Befunde folgende höchst wahrscheinliche Hypothesen aufstellen.

A. Der Haupt=Pfahlbau trug ein viereckiges hölzernes Gebäude von ungefähr 28 Fuß Länge und 16 Fuß


1) Nach den brieflichen Mittheilungen des Herrn Berichterstatters sind alle in diesem Berichte aufgeführten Alterthümer bei dem Verkaufe des Gutes Ruchow und des Inventariums im J. 1869 als werthlos verworfen und verloren gegangen.     Die Red.
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Breite. Dieses Gebäude ruhte aber nicht unmittelbar auf den Pfählen, sondern auf einem doppelten Balkenroste, so daß die Planken des Fußbodens über dem Wasserspiegel lagen. Im Innern befand sich der Herd oberhalb des Doppelpfahls. Nach dem Vorbau zu führte eine verschließbare Thür.

Der Vorbau selbst bildete den Auftritt zu einer doppelten Fall= und Zugbrücke, wovon einiges Eisenwerk gefunden ist.

B. Dieses Bauwerk diente den Anwohnern (als eine Forteresse) zum Zufluchtsorte im Kriege während der Wendenzeit.

Errichtet ist es unzweifelhaft noch zur Zeit des wendischen Heidenthums. Bekanntlich bauten die heidnischen Wenden besonders gerne ihre Burgen in Seen und Mooren. -Sie kannten schon den Gebrauch des Eisens. Die vorgefundenen Gefäßscherben und die Spindelsteine stammen großentheils aus dieser Zeit.

Dagegen blieb dieses Gebäude noch bis in die Zeit der Kämpfe der heidnischen Wenden mit den christlichen Sachsen (931-1164) erhalten. Dies wird bewiesen schon durch die mehr vervollkommnete Bearbeitung des Eisens an den vorgefundenen Geräthschaften und durch die Scherben künstlich gedrehter Gefäße, da die heidnischen Wenden noch nicht die Töpferscheibe kannten, sondern dieselbe erst durch die christlichen Sachsen kennen lernten.

C. Zerstört ist dies Bauwerk in den Kriegen der heidnischen Wenden mit den christlichen Sachsen von den letztern und zwar zu einer Zeit, als selbige schon die den Wenden noch ganz unbekannten Armbrüste führten. Die am Pfahlbau niedergefallenen Bolzenspitzen beweisen, daß die Angreifer selbige abgeschossen haben.

Bekanntlich lernten erst die Kreuzfahrer im Oriente die Armbrust kennen, die dann auch sehr bald in Europa einheimisch ward, und welche man nicht nur als Schießwaffe, sondern auch zur Anzündung von Gebäuden mittelst Fortschleuderung brennbarer Stoffe benutzte. Die Griechin Anna Comnena beschreibt in ihren historischen Erzählungen die Armbrust (unter dem Namen "Tzagre") noch als eine ganz unbekannte Waffe.

Mit ziemlicher Gewißheit können wir daher annehmen, daß dieses Bauwerk zerstört ward, vielleicht schon damals, als i. J. 1121 der sächsische Herzog Lothar und der Graf Adolph von Holstein im Bunde mit dem wendischen Fürsten

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Zwentopolk das Land der Obotriten und Kitziner verwüsteten und die Burgen Werle und Kitzin stürmten, oder als der Kaiser Lothar i. J. 1131 sich die wendischen Lande mit großer Heeresmacht unterwarf. Wahrscheinlicher aber noch damals, als Herzog Heinrich der Löwe sich in seinen nordischen Kreuzzügen ganz Obotritien unterwarf und zwei Male (1160 und 1163/64), vom Süden vordringend, die Burg Werle belagerte und eroberte. Helmold: Chronicon Slavor. I, cap. 13, 48, 87; II, cap. 1-5. Annales Sax. ad 1121 et 1131.

Sicherlich geschah die Zerstörung mittelst Einäscherung, nach voraufgegangener Belagerung und nach hartem blutigen Kampfe an und auf der Brücke.

Ruchow, den 26. October 1868.

C. Ch. von Bülow,      
Justiz=Canzlei=Director a. D.
zu Schwerin.          

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