zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen   zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen   zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
Römische Alterthümer aus den Gräbern von Häven in Meklenburg.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 99 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Römergräber in Meklenburg,

von

Dr. G. C. F. Lisch.

Mit Abbildungen vom Bau=Conducteur Luckow

auf zwei Steindrucktafeln * ).

zum übergeordneten Dokument zum nächsten Dokument Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

I.

Römische Alterthümer von Grabow.


V or dem Jahre 1839 wurden in der Nähe der an dem Elde=Flusse liegenden Stadt Grabow in einer "Sandgrube" mehrere merkwürdige und schöne römische Alterthümer gefunden, namentlich eine (zerbrochene) große "bronzene Vase" mit metallenem Henkel und eingravirten Darstellungen am obern Rande, eine große flache bronzene "Kasserolle" (Schale), eine silberne "Fibula" und Fragmente einer "gläsernen Schale". Diese Alterthümer wurden, wie damals häufig geschah und noch jetzt geschehen mag, im Stillen nach Hamburg geschafft und hier zum Verkaufe


*) Herr Bau=Conducteur Luckow in Schwerin hat in klarer Auffassung der Antike die im Folgenden beschriebenen römischen Alterthümer gezeichnet und die Zeichnungen dem Vereine geschenkt, wodurch die zwei beigegebenen Steindrucktafeln haben gebildet werden können, welche in der Anstalt des Herrn J. G. Tiedemann in Rostock getreu lithographirt sind.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 100 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

gestellt, ohne Zweifel wegen des dabei auch gefundenen edlen Metalls. Mein Freund Thomsen, der berühmte Director des königlich Dänischen Alterthums=Museums zu Kopenhagen, fand sie auf einer Reise im Jahre 1839 hier und kaufte sie für das Museum an. Sie sind in dem Accessions=Kataloge zu Kopenhagen folgendermaßen verzeichnet: "1839. Gekauft. Nr. 5179, 5180, 5181 und 5182" (benannt wie oben angegeben). "Nach Angabe sind diese sämmtlichen Sachen vor mehreren Jahren gefunden in einer Sandgrube in der Nähe von Grabow im Meklenburgischen. In Verbindung damit wurde gefunden ein prächtiger Goldring von ungefähr 40 Ducaten Gewicht". Im Jahre 1841 wurden nachträglich aus demselben Funde wieder nach Kopenhagen verkauft, nach dem Accessions=Kataloge: "1841. Gekauft. Nr. 5888. "Zwei Sporen von einer bisher unbekannten Form von Silber. Nr. 5889. Ein Sieb von Bronze, eingesetzt in eine Kasserolle (Kelle), welche auf das genaueste zu dem Siebe paßt. Diese beiden Stücke snd gefunden in der "Nähe von Grabow im Meklenburgischen in einer natürlichen Sandbank, welche in der heidnischen Zeit als Begräbnißstätte (?) benutzt war. In derselben Sandbank wurden 1839 die unter Nr. 5179 bis 5182 aufgeführten ausgezeichneten Gegenstände gefunden." Nr. 5890. "Abguß" eines "massiv goldenen Ringes (wie schon oben angeführt ist), welcher in derselben Sandbank gefunden ist."

Es leidet bei dem gewissenhaften Forschungs= und Verwaltungsgeiste Thomsen's keinen Zweifel, daß alle diese Angaben durchaus zuverlässig sind. In Grabow ist aber nie etwas davon bekannt geworden. Unser forschendes Mitglied Rector Römer, welcher schon zu jener Zeit in Grabow lebte und von je her wissenschaftliche Ereignisse mit scharfem und sicherm Blicke verfolgte, schreibt jetzt aus Grabow in Folge einer Anfrage: "Wenn 1839 hier überall etwas davon bekannt geworden wäre, so hätte ich wohl sicher auch Kunde davon erhalten; jetzt ist eben so sicher keine Aufklärung mehr zu erwarten."

Der Fund ist also in Meklenburg verheimlicht und im Stillen aus dem Lande gebracht, ohne Zweifel des werthvollen Goldringes wegen, von welchem aber glücklicher Weise vorher ein getreuer "Abguß" gemacht und bis jetzt erhalten ist. Es sind vor 30 und mehr Jahren bei Gelegenheit der Wegebauten und Ackermergelungen viele alte goldene Sachen aus Meklenburg nach Hamburg in den Schmelztiegel gegangen,

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 101 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wie ich selbst dort gehört habe, daß z. B. daselbst mehrere "goldene Pferdeschuhe" (also Diademe) aus Meklenburg verkauft und eingeschmolzen seien, und auch das Gold des ungewöhnlich großen Ringes von Bresegard im Jahre 1844 (vgl. Jahrb. IX, S. 383) in einen Hamburger Schmelztiegel wanderte, so wie auch der große goldene Ring von Woosten (vgl. Jahrb. XVI, S. 268) im Jahre 1850 erst eine Reise nach Hamburg machen mußte, von wo er aber glücklicher Weise zurückgeholt ward.

Dieser römische Fund von Grabow ward jedoch mit andern ähnlichen in Kopenhagen noch nicht veröffentlicht, wohl aus dem Grunde, um erst tiefere vergleichende Studien zu machen und weil vieles andere für Dänemark Wichtigere gebieterisch den Vorrang forderte.

Nachdem Thomsen am 21. Mai 1865 gestorben war, ward Worsaae Director der berühmten königlich Dänischen Alterthums=Museen. Dieser entschloß sich nun im August 1868 mit "wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit", wie die Meklenburgischen Anzeigen sich ausdrücken, den ganzen werthvollen Fund an das Meklenburgische Alterthums=Museum zu Schwerin, zu welchem er seit vielen Jahren in den engsten Beziehungen steht, als Geschenk zurückzugeben, in der Ansicht, daß ein wichtiger Fund nur in dem Lande seine wissenschaftliche Bedeutung hat, wo er gemacht ist, vorausgesetzt, daß er hier benutzt und bearbeitet wird. Wie sehr Recht Worsaae gehabt und gethan hat, beweiset der unten zur Sprache kommende römische Fund von Häven, welcher wenige Monate nach der Ankunft des Grabowschen Fundes in Schwerin gemacht ward und welcher erst seine rechte Bedeutung und Erläuterung durch diesen erhält, wie der Grabowsche Fund wieder durch den Hävenschen beleuchtet wird.

Ob nun der Fund von Grabow aus einem Begräbnisse 1 ) stammt, wie wohl anzunehmen sein wird, oder nicht, läßt sich durchaus nicht mehr ermitteln, da weiter keine Nachrichten als die oben mitgetheilten vorhanden sind.


1) Unmittelbar vor der Stadt Grabow an der Eisenbahn, namentlich an der rechten Seite von Ludwigslust her, erblickt man in dem Tannen=Gehölze auf dem sandigen Boden viele runde und längliche Hügel. Es ist möglich, daß diese Hügel zusammengewehete Flugsandhaufen, möglich aber auch, daß sie Gräber sind. Dergleichen Erscheinungen täuschen oft sehr. So waren in den Tannen von Slate bei Parchim gleiche Hügel, die man bisher für Sandwehen hielt, wie sie oft in Tannenwäldern vorkommen, die sich aber bei der Untersuchung des Innern als Kegelgräber erwiesen. Vgl. Jahrbücher XXXIII, S. 129.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 102 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die Alterthümer von Grabow sind nun folgende:

l) Ein großer, "glockenförmiger Krater" 1 ) ("Vase", "Eimer" oder "Kessel") von Bronze, an Größe, Gestalt und Arbeit ganz wie der auf der Steindrucktafel I, Fig. 1, abgebildete, mit bronzenem Eimerhenkel, leider zerbrochen, da die ganze untere Hälfte fehlt, welche, wie andere Gefäße dieser Art, ohne Zweifel einen kleinen Fuß gehabt hat. Der obere Durchmesser dieses Gefäßes ist gegen 10 Zoll, die Höhe wird ungefähr 11 Zoll oder gegen einen Fuß betragen haben. Der obere Rand ist mit einer gravirten Kante von 2 Zoll Breite verziert, auf welcher an jeder Seite 6 laufende wilde Thiere, wie Hirsche, Eber, Bären, Panther, Löwen und Hunde, dargestellt sind, zwischen zwei eigenthümlich, aber sicher stylisirten Bäumen unter jedem Henkelloche und zwischen einzelnen ähnlichen Baumblättern, welche versilbert gewesen zu sein scheinen. Der bronzene, massive, runde Eimerhenkel ist mit Querreifen verziert. Dieses Gefäß ist an Arbeit und Verzierungen einem andern fast gleich, welches bei Himlingöie auf Seeland mit andern römischen Alterthümern gefunden und in Worsaae Nordiske Oldsager (Zweite Auflage, 1859), p. 74, Nr. 302, abgebildet ist, und fast noch mehr den Gefäßen aus dem Funde von Häven gleich, wie unten gezeigt werden wird. Auch in den römischen Funden von Groß=Kelle (Jahresbericht III, B., S. 44, und welche eine glockenförmige, unten abgerundete Gestalt und einen oft sehr geschmackvoll gebildeten, runden Fuß haben, welcher gewöhnlich auf der untern Seite mit Parallelkreisen verziert ist. "Eimer" und "Kesscl", welche den Krateren allerdings nahe stehen, haben mehr senkrechte Wände und einen flachen oder platten Boden.


1) und von Hagenow (vgl. Jahresbericht VIII, B., S. 42, und Abbildung, Fig. 6) findet sich ein großes Bronzegefäß. Ein ganz ähnliches "Bronzegefäß" mit Randverzierung von Thieren ward 1835 bei dem Dorfe Börry an der Weser gefunden und zuerst vom Forstrath Wächter in Brönnenbergs Vaterländischem Archiv, Hannover, Jahrgang 1840, S. 1 flgd., und dann vom Amtsassessor Einfeld in der Zeitschrift des histor. Vereins für Niedersachsen, Jahrg. 1854, Hannover 1856, Lithogr. Fig. 1, S. 11, abgebildet und beschrieben; an beiden Stellen sind noch ähnliche Funde aus dem Hannoverschen aufgezählt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 103 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

2) Eine große "Kasserolle" oder große, flache Schale mit hohem, steilem Rand, aus Bronze, 11 Zoll im Durchmesser und 3 1/2 Zoll hoch, mit flachem Boden, auf der Drehbank nachgedreht, mit vertieften Zirkelschlägen auf dem Boden verziert. Auf einer Stelle des Seitenrandes ist ein Stück ausgebrochen; hier ist wahrscheinlich ein Griff angelöthet gewesen, wie an einer andern "Kasserolle" in dem Funde von Hagenow (vgl. Abbildung a. a. O. Fig. 4). Auch die Funde von Himlingöie und Häven enthalten eine ähnliche große "Kasserolle". - Eine ganz gleiche bronzene Schale ward im Hannoverschen zu Grethem im Amte Ahlden (Lüneburg) neben einem Krater gefunden; vgl. Einfeld a. a. O. S. 30, Litographie Fig. 4.

3) Eine Kelle und

4) ein Sieb von Bronze, welches auf das genaueste in die Kelle paßt, so daß nicht nur die beiden Handgriffe in den Linien übereinstimmen, sondern auch ein Loch in beiden Handgriffen, um beide Geräthe zusammen aufzuhängen, ganz den Geräthen auf der Steindrucktafel I, Fig. 3 und 4 gleich. Auch diese Geräthe sind auf der Drehbank abgedreht und polirt (vgl. auch Worsaae Nordiske Oldsager p. 76, Nr. 309 und 310). Kellen und Siebe, sowohl einzeln, als zusammengehörend, finden sich ebenfalls nicht nur öfter vereinzelt, sondern merkwürdiger Weise fast in jedem größern römischen Funde in den Ostseeländern. Auch in dem dänischen Funde von Himlingöie und in den meklenburgischen Funden von Groß=Kelle und Hagenow wurden sie angetroffen (vgl. Jahresbericht III, S. 45, und VIII, S. 41, und Abbildungen a. a. O.) Ebenso finden sie sich doppelt in dem Funde von Häven (vgl. unten). Die Kellengriffe haben oft Fabrikstempel.

5) Eine Heftel von Silber mit Spiralfeder, von der bekannten Einrichtung der Hefteln der alten Eisenzeit. Diese Heftel hat das besondere Kennzeichen, daß auf dem Ende des Bügels eine kleine runde Platte befestigt ist, welche innerhalb eines niedrigen Randes mit einer farbigen Verzierung von Glas, Kitt oder Stein belegt gewesen sein wird, welche verloren gegangen ist; man kann jedoch noch leise Spuren von einem Befestigungskitt bemerken. Eine gleiche Platte hat oben auf dem Bügel, an der Verbindungsstelle mit der Spiralfeder, gesessen, ist aber verloren gegangen; jedoch sitzt noch der Befestigungsstift in dem Bügel. Aehnliche Hefteln aus den südlichem Gegenden mit einer Scheibe sind in Lindenschmit's Alterthümern, Band II, Heft 6, Taf. 3,

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 104 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

abgebildet. In dem Funde von Häven (vgl. unten) befinden sich neben 3 Gerippen auch 3 solche Hefteln, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, 23 und 24, welche mit der Grabowschen Heftel übereinstimmen. In dem Funde von Hagenow ist eine eiserne Heftel, von gleicher Einrichtung, aber ohne Verzierungsplatte, jedoch an den Rändern mit Silberperlen besetzt.

6) Ein Paar Sporen aus Silber mit Bügeln, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 27 a. und b., eine höchst seltene und werthvolle Erscheinung. Der Sporn besteht aus einem auf der Drehbank abgedreheten, schön geformten Stachel, wie alle alten Sporen aus einem solchen Stachel auf einem kurzen Stuhl, ohne Bügel, bestehen . Die Grabowschen Sporen haben aber einen Bügel, wie gewöhnlich die römischen Sporen. Ganz eigenthümlich ist aber die Einrichtung, daß die Knöpfe zum Anknöpfen des Befestigungsriemens am Ende des Bügels auf der Innern Seite desselben sitzen 1 ). Das hintere Ende über und unter dem Stachel läuft in Blechstreifen aus, mit denen der Sporn am Schuhzeuge wahrscheinlich angenietet oder angenagelt gewesen ist (Fig. 27 b.) Glücklicher Weise hat Lindenschmit zwei eben so construirte Sporen aus Bronze in den Rheinlanden (1 im Museum zu Wiesbaden und 1 von Rheinzabern) erforscht und in seinen Alterthümern Band II, Heft 1, Taf. 7, Fig. 1 und 2, abgebildet und in der Erläuterung für "römische Sporen" erklärt. In den neuesten Zeiten wurden zu Dürrenberg unweit des Saaleufers in einem heidnischen Grabe neben offenbar römischen Geräthen auch zwei silberne Sporen gefunden; der Fund ist nach England gewandert. (Vgl. Anzeiger des German. Museums, 1868, Nr. 4, S. 148.) Die Sammlungen zu Schwerin besitzen auch einen bronzenen Sporn mit Stachel und Bügel aus einem Grabe in Holstein.

7) Ein goldener Ring, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 26, ward in derselben Sandbank bei Grabow gefunden, aber leider eingeschmolzen; jedoch ist er vor dem Einschmelzen noch abgeformt und in Blei abgegossen und vergoldet. Diese getreue Nachbildung befindet sich jetzt


1) Auch die Stachelsporen aus den heimischen Brandgräbern haben die Knöpfe auf der innern Seite des Stuhls, auf dem der Stachel sitzt. Vgl. Jahrb. VI, B., S. 145, mit Holzschnitt und einer Tafel Abbildungen. Vgl. auch den bronzenen Stachelsporn in dem römischen Funde von Hagenow in Jahrb. VIII, B., S. 44, und Lithographie Fig. 14; dieser Sporn könnte auch römisch sein.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 105 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

auch im Museum zu Schwerin. Wenn auch das Original verloren ist, so ist es doch von hoher Wichtigkeit, daß der Ring bei den römischen Geräthen gefunden ist. Der Ring hat ursprünglich eine ovale Gestalt gehabt, wie die sogenannten "Eidringe", hat jedoch keine hohlen Halbkugeln an den Enden. Der Ring ist ganz glatt, geöffnet und gegen die stumpf abgeschnittenen Ende etwas dicker auslaufend. Schon beim Auffinden war das eine Ende abgehauen und gegen das andere Ende gebogen. So war der Ring noch "ungefähr 40 Ducaten schwer." Dieser Ring gleicht ganz einem in Ungarn gefundenen goldenen Ringe. In Ungarn bei Céke, Zempliner Comitat, ward im J. 1856 viel eigenthümlicher Goldschmuck gefunden, dessen Formen lebhaft an einen andern Fund von Wulzeshofen in Oesterreich und an den merkwürdigen Fund von Wotenitz in Meklenburg erinnern, in denen sich höchst wahrscheinlich etrurische Schmucksachen befinden. (Vgl. Jahrb. XXVI, S. 161 flgd.) In dem Funde von Céke war auch ein dem Grabowschen ganz gleicher "Ring aus gutem Golde, massiv, 44 1/2 Ducaten schwer, 2" 10'" und 1" 10 1/2'" im Durchmesser, ganz glatt, in der Mitte schwacher, gegen die stumpf abgeschnittenen Enden dicker"; vgl. Kenner, Beiträge zu einer Chronik der archäologischen Funde der österreichischen Monarchie 1862-1863, im Archiv für Kunde österreichischer Geschichts=Quellen, Bd. 33, Wien, 1865, S. 106. Ich halte den goldenen Ring von Grabow für einen "Geldring", da er ganz glatt und ein Ende abgehauen ist. Lindenschmit in seinen Alterthümern theilt Band I, Heft 10, Taf. 1, Nr. 5 auch einen Bronzering von derselben Form (im Museum zu Wiesbaden) mit. Vgl. auch Worsaae Nordiske Oldsager, Taf. 112 Nr. 459.

8) Endlich wurden "Fragmente einer Glasschale gefunden, welche auswendig mit Streifen verziert war, die theils rund herumgingen, theils auf dem untern Theile sich als Blätter um den Fuß sammelten." So berichtet der Kopenhagener Accessions=Katalog. Leider sind diese Bruchstücke aber verlegt und bis jetzt noch nicht wieder aufgefunden. Auch zu Häven ist bei den römischen Geräthen eine Glasschale gefunden (vgl. unten).

Geschrieben zu Schwerin im April 1869.


Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 106 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
zum nächsten Dokument zum übergeordneten Dokument Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

II.

Römische Alterthümer von Häven.

Entdeckungsgeschichte.


A m 17. Decbr. 1868 machte der Herr Domanial=Pächter Jenßen bei dem zuständigen Domanial=Amte Warin die Anzeige, daß er auf dem Felde seines Domanial=Pachthofes Häven, in der Nähe von Brüel und Tempzin, beim Sandgraben, ungefähr 5 Fuß tief, mehrere alterthümliche "Kochgeräthschaften" neben menschlichen Gerippen gefunden habe. Das großherzogliche Amt machte mir sogleich die Anzeige von dem Funde und empfahl dem Herrn Jenßen die sorgfältige Aufbewahrung desselben. Da ich nach den ungefähren Benennungen einzelner Fundstücke, z. B. "Kochgeräthschaften, Eimer, Spangen" u. s. w., auf einen seltenen Fund schließen zu können Ursache hatte, so erbat ich mir die Sachen baldmöglichst nach Warin oder Schwerin. Der Herr Geheime Kammerrath Brandes zu Warin hatte die Güte, die Alterthümer durch einen eigenen Wagen nach Warin holen zu lassen und am 24. Decbr. mir nach Schwerin zu übersenden.

Ich erkannte in den Alterthümern sogleich römische Geräthe und ward nicht wenig in Bewegung gesetzt, da erst kurz vorher, am 17. Octbr., der viel besprochene und berühmte große Silberfund bei Hildesheim gemacht war, der nach meiner Ansicht ohne Zweifel römischen Ursprung hatte. Zwar kann sich der Fund von Häven mit dem von Hildesheim an Metallwerth und Kunstarbeit nicht messen; aber der Fund von Häven wird sicher eine große geschichtliche Bedeutung erlangen und hierin den Vorrang vor dem Hildesheimer Fund behaupten können, wie die unten folgende Beschreibung ergeben wird.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 107 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die Menschengebeine hatte Herr Jenßen 5 Fuß tief vergraben lassen. Bei der durch die Untersuchung zu erwartenden Wichtigkeit des Fundes bat ich den Herrn Jenßen, die Gebeine wieder ausgraben zu lassen und mir baldmöglichst zu übersenden, was denn auch am 4. Januar 1869 geschah. Eine Untersuchung und Nachgrabung durch mich selbst war bei der Ungunst der winterlichen Witterung unthunlich, auch unnöthig, da die Alterthümer schon vollständig ausgegraben und die Gerippe gehoben waren, die Bestattungsweise also an Ort und Stelle nicht mehr beobachtet werden konnte. Ich empfahl aber dem Herrn Jenßen dringend, falls man im Fortschritt der Erdarbeiten wieder auf Begräbnisse stoßen sollte, dieselben mit Erde bedeckt durchaus unangerührt zu lassen, bis ich sie persönlich aufdecken würde.

Ich kann die Aufmerksamkeit, Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Freundlichkeit des Herrn Jenßen, durch den allein der Fund gerettet und zur Kenntniß gekommen ist, nicht genug rühmen und muß auch die enthaltsame Treue anerkennen, welche er in allen seinen Arbeiten zu erwecken gewußt hat.

Am 25. Februar 1869 meldete mir Herr Jenßen, daß wieder 2 Gerippe, am 1. März, daß mehrere Alterthümer vereinzelt, am 17. März, daß noch 1 Gerippe gefunden sei, welche alle unberührt in der Erde liegend vorhanden seien.

Nachdem nach kurzer Zeit das Wetter günstiger geworden und der Frost sicher aus der Erde gewichen war, reiste ich zum 20. März 1869 nach Häven, um dort, in ununterbrochener Gegenwart und mit Hülfe und Zeugniß des Herrn Pächters Carl Jenßen und seines Herrn Bruders, des Oekonomen Franz Jenßen aus Wismar, so wie meines Sohnes Stud. juris Friedrich Wilhelm Lisch, die Oertlichkeiten und die Gräber genau zu untersuchen und die noch vorhandenen Alterthümer durch Hülfe von drei anstelligen und besonnenen Arbeitern aufzunehmen. Ich bin daher im Stande, ganz genauen und sichern, vollständigen und verbürgten Bericht zu erstatten.

Das jetzige Domanial=Gut Häven 1 ) liegt ungefähr in der Mitte des Landes Meklenburg=Schwerin, 3 Meilen südlich von dem Ostseehafen von Wismar, ungefähr 10 Meilen östlich rechts von der Elbe und ungefähr 8 Meilen


1) Das Gut führt jetzt den plattdeutschen Namen Häven, breit ausgesprochen. Es war im Mittelalter, sicher das 16. Jahrhundert hindurch, ein Lehn der adeligen Familie von Plate, welche auch Jarchow (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 108 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nördlich von Grabow, vielleicht an einem alten Landwege von Süden her, in der Nähe des Städtchens Brüel und des ehemaligen Antoniusklosters Tempzin. Das Gut hat fruchtbaren, nicht zu schweren Boden und hat früher ohne Zweifel auch noch Wald gehabt. Der Hof liegt an einem sehr lang gestreckten, schmalen See, dem "Keetzer See" 1 ), dessen mannigfach gestalteten und mit Wald und Feld geschmückten jenseitigen Ufer eine reizende Aussicht von dem Hofe Häven und den Anblick eines großen, schönen Flusses bieten. Die Lage ist daher zu einer Ansiedelung außerordentlich günstig gelegen.

Die Fundstelle läßt sich genau angeben und beschreiben. Sie liegt gerade nördlich von dem Hofe Häven, dicht rechts am Wege nach Langen=Jarchow, nicht weit von der Gutsgrenze und von einer Langen=Jarchowschen Büdnerei, welche schräge gegenüber links an dem Wege steht. Hier ist eine natürliche, niedrige Anhöhe, die in der Mitte eine fast kreisrunde, natürliche, niedrige, flache Erhebung von einigen hundert Fuß Durchmesser hat, welche aus Sand besteht. Da Herr Jenßen zur Trockenlegung, Erhöhung und Besserung einiger Hofstellen und Wege Sand gebrauchte, so ließ er diese Erhöhung abtragen und kam dabei ganz zufällig zu der Entdeckung der Alterthümer.

Die Begräbnißstellen waren weder durch Hügel oder künstliche Erhöhungen, noch durch irgend ein anderes Merkmal bezeichnet. Nach den Berichten alter Leute haben früher Eichen auf dem Platze gestanden.

Jetzt ist dieser Platz wieder geebnet und unter den Pflug gebracht.


(  ...  ) besaßen, mit einem Querbalken im Schilde. Das Gut führt im 15. und 16. Jahrhundert immer und häufig den Namen "to den hôuen" oder " ho e uen" (hôen) und trägt diesen Namen wohl deshalb, weil auf demselben mehrere Höfe lagen, wie z. B. Henneke von Wedel auf Schlagstorf 1413 auch einen Hof "to den houen" und das Kloster Tempzin schon früh Pfandbesitz daselbst hatte. Im Jahre 1504 verkauften die von Plate das Gut an die nahe Antonius=Präceptorei Tempzin und im Jahre 1510 kam der See an dieselbe. Würde das Gut von "Hufen" den Namen haben, so würde dieser mittelalterlich wohl "to den hůuen" gelautet haben, was aber nie der Fall ist.
1) Dem Hofe Häven gerade südlich gegenüber am andern Ufer des Sees liegt das Gut Keetz, in früheren Zeiten lange ein Lehn der adeligen Familie Sperling. Die Lage von Häven wird oft nach diesem Gute bezeichnet: "belegen by Ketze" oder "by deme see to Ketze". Der See kam im Jahre 1510 an das Kloster Tempzin und dadurch zu dem Gute Häven.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 109 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Es sind zwar öfter Funde von vielen und einzelnen, immer ähnlichen Alterthümern in Meklenburg, im Lande Lüneburg und vorzüglich auf den dänischen Inseln gemacht, aber nie, so viel ich weiß, bei menschlichen Gerippen. Die Fundstelle von Häven zeichnet sich also vor allen andern bisher bekannt gewordenen dadurch aus, daß sie ohne Zweifel eine Begräbnißstelle ist und vorzüglich dadurch wichtige Anhaltspunkte darbieten kann.

Die Aufgrabung des Platzes zerfällt selbstverständlich in zwei Abtheilungen, je nachdem entweder Herr Jenßen allein die zuerst gefundenen Gegenstände an sich genommen und abgeliefert, oder in Gemeinschaft mit mir die später gefundenen Leichen aufgenommen hat. Zu der Beschreibung der ersten Aufgrabung hat Herr Jenßen zwar die nöthigen Beobachtungen gemacht und kann jedem einzelnen Begräbnisse die dazu gehörenden Alterthümer nachweisen, es lassen sich aber die Schädel nicht mehr bestimmten Gräbern und Alterthümern zuweiscn. Ich muß daher in der Beschreibung der Gräber den Berichten des Herrn Jenßen folgen.

Beschreibung.

A. Erste Aufgrabung.

Herr Jenßen grub drei Gräber auf. Die einzelnen Leichen waren ohne Leichenbrand 5 bis 6 Fuß tief im Sande in Reihen begraben, ohne irgend eine Spur von Umhüllung. Neben allen Gerippen lagen Alterthümer, welche alle als römische zu erkennen sind. Jede Leiche war in der Tiefe mit einem runden Haufen von Steinen, "Feldsteinen", d. i. Granitfindlingen ungefähr von Menschenkopfgröße, zugedeckt, welche während der zweiten Aufgrabung noch auf dem Platze aufgehäuft lagen. Die einzelnen Gräber waren ungefähr 10 Fuß von einander entfernt.

Die Gerippe sind ziemlich gut erhalten und fest, alle von ausgewachsenen Menschen. Die Schädel, alle drei Langschädel ("dolichocephal"), sind beinahe vollständig. Die Zähne sind vollzählig und meistentheils gesund. Ein Schädel hat eine hohe, gerade Stirn mit stark ausgeprägten Augenbrauenbogen; die Zähne sind schon etwas abgeschliffen. Eine zweite Stirn ist etwas schmaler; die Zähne sind noch

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 110 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

kräftiger. Eine dritte Stirn ist niedriger, die Schädelbeine sind feiner, die Zähne schon sehr abgeschliffen.

Die Beinknochen sind sehr lang und haben sicher sehr großen Menschen gehört. Zwei gleich lange rechte Oberschenkelknochen (femur), also von zwei Gerippen stammend, sind 21 1/2 Zoll Hamb. Maaß oder 51 Centimetres lang.

Professor His erklärt die beiden ziemlich gut erhaltenen Schädel Nr. 1 und 2 aus der ersten Aufgrabung für "exquisit dolichocephal" von der römischen Form der "Hohberg=Form" und in bemerkenswerther Weise übereinstimmend (vgl. unten die Beurtheilung von His am Ende der Schlußfolgerungen). Der Schädel Nr. 3, welcher nur in der vorderen Hälfte erhalten ist, ähnelt den beiden ersten Schädeln und wird sicher auch dolichocephal sein. Der Schädel Nr. 1 stammt "unzweifelhaft von einem Manne", während der Schädel Nr. 2 "möglicher Weise weiblichen Ursprunges sein kann". Nach den beigegebenen Alterthümern werden aber alle 3 Gräber Nr. 1, 2 und 3 Männergräber sein.

Grab Nr. 1.

In einem Grabe der ersten Aufgrabung wurden folgende Sachen gefunden.

1) Ein großer glockenförmiger "Krater" ("Vase, Eimer oder Kessel"), abgebildet auf der Steindrucktafel 1, Fig. 1 und Fig. 1a. und 1b., von Bronze, mit einem dünnen, breiten, gravirten bronzenen Eimerhenkel, leider in der untern Hälfte zerbrochen 1 ), so daß von dem Boden nur der kleine, schwere, gedrehete und mit eingedreheten Ringen verzierte Fuß vorhanden ist. Die obere Oeffnung des Gefäßes hat 8 1/2 Hamburger Zoll oder genau 20 Centimetres im Durchmesser. Der obere Rand hat eine reich verzierte Kante von 2 Zoll Breite, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 1a. und 1b. Den äußersten Saum bildet ein gravirter Eierstab von ungefähr 1/2 Zoll Breite, in welchem die kleinen, hohlen Eier von sehr dünnem Blech aufgesetzt und vergoldet sind. Den untern Saum dieser Verzierung bildet ein gravirtes gedrehtes Seil von ungefähr 3/8 Zoll Breite. Dazwischen liegt ein Band, welches mit phantastischen Ge=


1) Die römischen Bronze=Krateren sind häufig schon in der Erde fest stehend zerbrochen. Die Wandungen sind nämlich gewöhnlich außerordentlich dünne, dagegen der dicke Rand und der massige Henkel, eben so der Fuß sehr stark und schwer.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 111 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

stalten reich gravirt ist. Unter jedem der beiden untern Henkelöhre ist ein kleiner, auf einem Delphin reitender Eros dargestellt. Den übrigen Raum füllen an jeder Seite vier tritonenartige Thiergestalten oder Seeungethüme, von denen je zwei den Eroten, und je zwei einander entgegengekehrt sind. Die tritonenartigen Seeungethüme bestehen im Vordertheil aus vierfüßigen Thieren, welche mit den Vorderbeinen ausschreiten, im Hintertheil aus gewundenen Fischschwänzen, welche sich mit den Schwanzflossen berühren. Alle diese Verzierungen sind, mit Ausnahme der Eier, gravirt und die vertieften Linien scheinen nach einigen leichten Spuren mit Silber ausgelegt gewesen zu sein.

Der Herr Dr. Rolle zu Homburg v. d. H. hat nach der mitgeteilten Lithographie diese Seeungethüme von der naturhistorischen Seite studirt und seine Ansichten im Folgenden mitgetheilt.

Der Delphin, auf dem ein Eros reitet, mit der kugeligen Stirn und der kurzen Schnauze, ist Delphinus Orca (der große Delphin), Butzkopf, den Alten als Orca bekannt und auf Münzen dargestellt. Dieser Delphin ist mehr an den atlantischen Küsten verbreitet, als im Mittelmeer. Dieser Delphin erscheint mit dem Seestier und mit Eroten auch in K. O. Müller's Denkmälern der alten Kunst, I, Taf. 40, Fig. 175.

Die übrigen Gestalten erklärt Herr Dr. Rolle folgendermaßen. Die Seeungethüme des Randes können also erklärt werden:

im obern Streifen der Lithographie des Randes Fig. 1a., von links nach rechts:

See=Pferd, See=Stier; - See=Dachs, See=Wolf,

im untern Streifen der Lithographie des Randes Fig. 1b., von links nach rechts:

See=Hund?, See=Pferd; - See=Biber, See=Greif.

Von diesen Figuren zeigen die mit dem Biberkopf und dem Dachskopf eine gewisse zoologische Treue. Zwei der andern, der Seewolf und das vordere Bild der zweiten Reihe, schweifen wohl stark von der Natur ab und sind vielleicht bloße Phantasiebilder, an deren Entzifferung die Mühe verloren geht.

Der Eber ist fast identisch mit dem Bilde auf einer antiken Münze in K. O. Müller's Denkm. I, Taf. 68, Fig. 881; jedoch ist die Zeichnung bei Müller feiner und zierlicher ausgeführt.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 112 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Das Seepferd mit dem Lotus=Schwanz erscheint bei K. O. Müller II, Taf. 6, Fig. 68, zusammen mit Aphrodite und Eros; es soll eine Münze der Bruttier sein.

Der auf der Kante mehrfach wiederholte Doppelkegel läßt sich mit nichts so sehr vergleichen, als mit der mittelmeerischen Kegelschnecke (Conus Mediterraneus). Diese Art lebt im Mittelmeer, wo sie bis zur Südküste von Portugal reicht; an der atlantischen Küste von Europa fehlt sie.

(Die am Rande der Kante vielfach stehenden gerippten Kegel scheinen Herzmuscheln (Cardium) oder Kammmuscheln (Pecten) darstellen zu sollen.)

Darf man auf Delphinus Orca und Conus Mediterraneus Gewicht legen, so würden diese auf Massilia, wenn auch nicht als Fabricationsstätte, doch als Ursprung des Musters deuten, eine Hypothese, die freilich wenig mehr als ein Fingerzeig ist.

Dieser Krater ist ganz dem bei Grabow gefundenen, oben Nr. 1 beschriebenen gleich und beide deuten auf einen gleichzeitigen, sich unmittelbar berührenden Verkehr.

2) Ein etwas kleinerer, glockenförmiger "Krater" von Bronze, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 17, stärker in den Wänden und vollständig erhalten, 8 Zoll hoch und 8 Zoll im Durchmesser weit, mit einem kleinen gedreheten Fuße, mit einem starken, gegossenen, runden Eimerhenkel, welcher mit feinen doppelten Querlinien verziert ist, in natürlicher Größe an der Stelle und mit der Art und Weise der Einhängung abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 17 a.

Am obern Rande und unter dem Fuße sind sehr feine concentrische Kreise eingedrehet, die sich auch sehr häufig auf Gefäßen dieser Art finden. Die untere Seite des gewöhnlich schweren Fußes ist in der Regel mit reichen, abgedreheten Kreisen verziert.

Der hier beschriebene und in natürlicher Stärke abgebildete Kraterhenkel, welcher an großen Bronze=Gefäßen einer gewissen Zeit oft vorkommt, ist für diese Zeit und diese Geräthe ganz bestimmt bezeichnend. Er findet sich ebenso auch an dem Krater von Grabow, oben Grabow Nr. 1, und an den Hävenschen Gefäßen in Grab 2, Nr. 10, und in Grab 6, Nr. 43; im Museum zu Wiesbaden ist ein ganz gleicher Henkel von Heddernheim (vgl. unten) und auch in Hannover und Dänemark haben mehrere Bronzegefäße denselben Henkel. Vgl. Einfeld a. a. O. Lithographie Fig. 2, und Worsaae Nordiske Oldsager, p. 74, Fig. 302.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 113 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Nur der Henkel an dem gravirten Krater von Häven, Grab 1, Nr. 1, hat einen abweichenden, breiten, dünnen Henkel, ähnlich den Henkeln an den hölzernen Eimern in Grab 2, Nr. 14 und 15.

Auffallend ist es, daß der sonst so kunstreich gearbeitete Krater Nr. 1 einen so schlichten Henkel ("Seil", wie man es niederdeutsch nennt) hat. Vielleicht ist dieser aber nur ein Nothhenkel. Es giebt römische "Kessel" und Eimer, welche zwei Henkel haben, wie z. B. der Kessel von Börry im Hannoverschen und das Eimer von Pansdorf (vgl. unten) im Lübeckischen. Man hat die Frage wiederholt erörtert, warum die Römer manchen Krateren zwei Henkel gegeben haben. Ich meine, daß dadurch das Schwanken und Ueberfließen des mit Flüssigkeiten gefüllten Kessels vermieden wird, wenn man ihn an zwei zusammen gefaßten Henkeln trägt und hebt. Die Einrichtung ist also sehr praktisch. Auch mochten die zwei Henkeln, einzeln gefaßt, zum leichtern Tragen und Heben durch zwei Personen dienen können, da ein solcher mit Flüssigkeit gefüllter Kessel doch immer an 40 Pfund schwer sein wird.

Der Hävensche Krater Nr. 1 hat nun auf dem Rande einen aufstehenden starken Lappen, welcher 3 Löcher hat. In dem obern Loche hängt der Henkel. Unter diesem Loche sind auseinander stehend noch 2 Löcher (vgl. Taf. I, Fig. 1 und Fig. 1a.), welche keinen Zweck zu haben scheinen. Aber sicher sind sie dazu bestimmt, auch zwei Henkel aufnehmen zu können. Da diese vielleicht gefehlt haben, oder als überflüssig ausgenommen und anders verwandt sind, so hat man sich damit begnügt einen einzigen einfachem Henkel, wie einen solchen die hölzernen Eimer haben, in das obere Loch einzuhängen. Daher die 3 Löcher.

Dieser "Kessel" Fig. 17 giebt ein klares Bild von der Gestalt der übrigen zerbrochenen "Krateren".

In beiden Kesseln sitzt bis zu ungefähr 2/3 des innern Raumes unten eine dünne Schicht von einer weißlichen, von Grünspan etwas grün gefärbten Masse, welche ein Niederschlag von den dem Todten mitgegebenen Speisen oder Getränken sein mag. Auch auf den dänischen Inseln ist diese Masse in römischen "Kesseln" beobachtet worden.

3) Eine große flache Schale von Bronze, leider zerbrochen, welche 3 bis 3 1/2 Zoll hoch gewesen sein mag und 10 Zoll im Durchmesser hat, mit flachem Boden. Außen

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 114 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

und innen ist das Gefäß mit feinen eingedreheten Linien verziert. An einer Seite ist eine birnenförmige Löthstelle erkennbar, an welcher sicher ein Griff angelöthet gewesen ist. Eine gleiche Schale ward auch bei Grabow gefunden; vgl. oben S. 103.

4) Eine Kelle von Bronze und

5) ein Sieb von Bronze, welches so genau in die Kelle paßt, daß auch die Umrisse der beiden Griffe vollständig congruiren, abgebildet auf der Steindrucktafel 1, Fig. 3 und 4. Auch haben beide, wie schon die Verschiedenheit des Rostes zeigt, in dem Grabe in einander gestanden. Die Kelle ist 2 1/2 Zoll hoch und 5 Zoll weit im Innern Durchmesser, hat einen abgeflachten Boden und ist an dem Rande und auf dem Boden mit feinen eingedreheten Linien verziert. Das Sieb ist verhältnißmäßig ein wenig kleiner und auf dem Boden mehr abgerundet, so daß das Gefäß, wenn man es allein hinstellt, auf den Griff zurückfällt, wie fast alle in den nordischen Ländern gefundenen römischen Siebe. Die Sieblöcher sind in schönen Figuren geordnet.

Diese Gefäße werden fälschlich "Kasserollen" genannt. "Kasserollen" sind größere und flachere Gefäße mit Griff zum Braten; eher könnte man die unter Nr. 3 aufgeführte flache "Schale" eine "Kasserolle" nennen. Diese hier gefundenen Gefäße sind ohne Zweifel Kellen, und zwar Schöpfkellen, zum Schöpfen von Flüssigkeiten; für Kasserollen würde das stets die Kelle begleitende Sieb ganz überflüssig und unerklärlich sein. Auch in dem Hildesheimer Silberfund sind "Kellen", wie die von mir untersuchten Gypsabgüsse beweisen, aber keine Kasserollen. Schon im J. 1838 habe ich bei der Erklärung der prachtvoll ciselirten silbernen Kelle, welche in Meklenburg auf dem Gute Groß=Kelle bei Röbel mit ähnlichen römischen Geräthen, wie zu Häven, gefunden ward und mit jedem Geräte dieser Art eine Vergleichung aushält, diese Geräthe für "Schöpfkellen" erklärt; vgl. Jahrbücher III, B, S. 46 flgd. - Kellen (auch mit römischen Fabrikstempeln) und Siebe finden sich im Norden in den meisten römischen Funden und gehören zu den sichersten Kennzeichen römischen Ursprunges, da dieselben römische Erfindung zu sein scheinen. (Vgl. Jahrb. XI, S. 397.) Sie werden viel später nicht mehr vorkommen. Schon aus der Auffindung von Kellen konnte man mit Sicherheit schließen, daß der Hildesheimer Fund ein römischer sei.

6) Ein Becher von geschliffenem, "weißem", wasserhellem Glase, in Gestalt und Größe ungefähr einer abgerundeten

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 115 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Obertasse, leider zerbrochen, und nur in einer senkrechten Hälfte vorhanden, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 20. Das Gefäß ist ungefähr 2 1/2 Zoll hoch und 4 1/4 Zoll weit und hat einen abgerundeten Boden, so daß es kaum hat stehen können. Die Außenfläche und der Boden sind durch eingeschliffene senkrechte Linien verziert; dazwischen läuft gegen den Bodenrand ein Band von eingeschliffenen Halbkugeln. - Auch in dem römischen Funde von Grabow fand sich ein gläsernes Gefäß. - In den römischen Funden von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen finden sich viele Gläser, welche theils an Gestalt, theils an Schleiferei dem Hävenschen Glase gleich sind. Ein Glas von "Lille Varlöse Kro" ist an Form gleich. Gläser in den Funden von Taastrup und Höirup sind mit denselben eingeschliffenen Halbkugeln verziert, welche jedoch ein wenig mehr oval sind. Ein großes becherförmiges Glas ist ganz wie das Hävensche mit auswechselnden Reihen von eingeschliffenen senkrechten Linien und Halbkugeln verziert, welche jedoch nach der Form des Glases größer und in den Halbkugeln ovaler sind. Ein großes becherförmiges Glas ist mit eingeschliffenen sehr großen Halbkugeln verziert. Es ist also nicht zu bezweifeln, daß das Hävensche Glas römischen Ursprunges ist, wenn es auch fast ganz neu und wasserhell erscheint. Auch in Kopenhagen sind in römischen Funden wasserhelle Gläser von derselben Form, während mehrere große geschliffene becherförmige Gläser dunkel angelaufen sind.

Ich bin geneigt, in den hier bisher aufgezählten Geräthen den vollständigen römischen Trinkapparat zu erkennen, den man bei dem eigentlichen "Trinken" ("commissatio") anwandte und den, nach alten Ueberlieferungen, auch die alten Deutschen wohl gerne gebrauchten. Bei den Trinkgelagen ward der Wein gemischt und gewürzt, theils mit Wasser bei den schwereren italiänischen Weinen, theils aber auch gewiß mit Gewürzen, Kräutern und Früchten. Diese Mischung geschah in dem Kessel oder Krater (κρατίρ), "Mischkrug". Dies sind unsere hier gefundenen Bronzekessel. Zu dem Krater gehörte eine Untersatzschale (ίποκρατίριου), theils um den Krater, der in der Regel einen kleinen Fuß hatte, bei der Mischung darauf zu stellen, theils um die nassen Schöpfkellen darauf zu legen. Das Getränk schöpfte man aus dem Krater mit der Kelle und dem Siebe ("siebartigem Trichter", ίδμός, ύλισχτήρ colum, saccus, sacculus) in die Becher, so daß man mit Kelle und Sieb zugleich schöpfte, dann das Sieb mit dem derbem Rückstande

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 116 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

aus der Kelle nahm und es auf die Schale legte, und dann mit der Kelle in die Becher goß. Auch goß man das Getränk wohl über Eis in dem Siebe. Vgl. Römische Privatalterthümer von J. Marquardt, I, 1861, S. 341 flgd. Es ist dies ganz das heutige Verfahren bei der "Bowle", nur daß uns das Sieb unbekannt ist. - Auch in dem Funde von Grabow befindet sich eine Kelle und ein Sieb, welche ebenfalls genau congruiren und in den Formen fast ganz mit diesen von Häven übereinstimmen; vgl. S. 103.

Zur größern Vervollständigung fand sich in diesem Grabe noch

7) eine Schere von Bronze und

8) ein Messer von Bronze. Bronzene Scheren und Messer kommen fast in allen größern römischen Funden im Norden vor und sind ebenfalls ein ziemlich sicheres Kennzeichen römischen Ursprunges. Bronzene Scheren und Messer sind bei römischen Funden in Meklenburg öfter gefunden, theils einzeln oder mit wenigen Alterthümern, theils in größern römischen Funden, z. B. in dem Funde von Groß=Kelle (Jahrb. III, B, S. 52 und 53, und Abbildung zu Jahrb. V, B, Fig. 5 und 6) und in dem Funde von Hagenow (Jahrb. VIII, B, S. 43, und Abbildung Fig. 7). Die Scheren haben die Gestalt der heutigen Schafscheren, mit einem elastischen Bügel. Wahrscheinlich war die Schere eine neue römische oder doch verhältnißmäßig junge Erfindung und daher wohl ein begehrter Handelsartikel. In der Steinzeit konnte man natürlich noch keine Scheren haben. Auch aus der Bronzezeit, so lange sie ihre Eigenthümlichkeiten bewahrt, ist mir nie eine Schere vorgekommen. Die Schere scheint erst mit den römischen Alterthümern der ältern Kaiserzeit aufzutreten und kommt dann, gewöhnlich von Eisen, seit der altern Eisenzeit im Norden häufig vor. Die Sache verdient allerdings eine gründliche, weit reichende Untersuchung aus Alterthumsfunden.

9) Eine "Heftel" von Silber, oder "Gewandnadel" mit Spiralfeder, von der bekannten Einrichtung, wie sich dergleichen fast in jedem Grabe finden. Diese Heftel, welche nur kurz ist, ähnlich der Heftel auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, hat ebenfalls die von den einheimischen Hefteln abweichende Einrichtung, daß am untern Ende des Bügels eine ovale, nicht polirte Platte befestigt ist, welche, wie es auch den Anschein hat, mit farbigem Schmuck belegt

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 117 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

gewesen 1 ) ist, welcher sich aber nicht erhalten hat. Das obere Ende des Bügels ist mit 2 dünnen Perlenreihen von Gold zwischen 2 silbernen verziert. In fast allen Gräbern dieses Begräbnißplatzes fand sich eine solche Heftel. Auch ward eine solche in dem Funde von Grabow gefunden; vgl. oben S. 103. Diese Art von Hefteln mit den runden Verzierungsplatten scheint ganz römisch zu sein, da dergleichen in den heimischen Gräbern nicht vorkommen.

Grab Nr. 2.

In einem zweiten Grabe der ersten Aufgrabung wurden folgende Sachen gefunden.

10) Ein großer glockenförmiger Krater von Bronze, ähnlich dem Krater auf der Steindrucktafel II, Fig. 17, in der untern Hälfte leider zerbrochen und verbogen, 9 Zoll im Durchmesser weit, mit einem kleinen gedreheten Fuße, mit einem etwas verbogenen und an beiden Enden zerbrochenen, gegossenen, massiven, starken, runden Eimerhenkel, welcher mit feinen doppelten Querlinien verziert ist. Diese Henkel sind ganz charakteristisch und finden sich genau so an Bronzegefäßen im Nassauischen und im Hannoverschen, eben so an den meisten römischen Bronze=Krateren aus römischen Funden von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen. Der obere Rand und der Fuß sind mit feinen, eingedreheten Linien verziert. Dieser Krater gleicht also dem kleinen Krater Nr. 2, ist aber viel größer, als dieser.

11) Eine Kelle von Bronze und

12) ein Sieb von Bronze, wie die auf der Steindrucktafel I, Fig. 3 und 4 abgebildeten, sehr dünne und sauber gearbeitet, zusammen gehörend, wenn auch die Umrisse des Siebgriffes nicht ganz genau mit denen des Kellengriffes congruiren, eben so wie die Kelle und das Sieb Nr. 4 und 5, jedoch 4 Zoll weit, und zierlicher. Die Kelle


1) Baron v. Bonstetten bildet 3 ähnliche "römische" ("de forme romaine") Hefteln ab, die am Ende des Bügels ebenfalls eine runde Verzierungsplatte haben, welche mit einer farbigen Glaspaste belegt ist ("rosette en pâte de verre"). Sie stammen aus einem Grabe mit einer "beerdigten" Leiche ("tombe à inhumation") bei Mutenz bei Basel, welches ebenfalls in den Kiessand gegraben und auf dem Erdboden nicht gekennzeichnet war. Das Grab enthielt 8 Hefteln. Vgl. De Bonstetten Supplenent au récueil d'antiquités Suisses, Lausanne, 1860, p. 25 und Planche XVIII, Fig. 7, 8, 9. Vgl. Second Supplement, p. 15 und Planche XII, Fig. 2 et 3.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 118 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

ist inwendig und auf dem Boden mit eingedreheten Linien verziert. Die Linien der Sieblöcher sind denen des Siebes Nr. 5 ganz gleich, so daß man annehmen muß, beide seien von demselben Arbeiter gefertigt.

13) Eine Heftel von Bronze mit Spiralfeder, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 23. Der Bügel läuft unten in eine runde Platte aus und ist oben mit einer größern ovalen Platte belegt, welche nach allen Anzeichen mit farbigem Schmuck verziert gewesen ist, wie oben die Heftel Nr. 9 und die Heftel von Grabow. Die Enden der Querstange, um welche sich die Spiralfeder schlingt, sind mit 2 feinen silbernen Perlenrändern verziert.

14) und 15) Zwei gleiche Eimer von Holz 1 ) mit Bronzebeschlag, sehr merkwürdige Alterthümer, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 16. Das braune Holz ist außerordentlich fein an Fasern und sehr dünn und untadelhaft geschickt gearbeitet; es ist unter dem Randbeschlag vollkommen erhalten, in den Seitenwänden und im Boden aber zerbrochen und spurlos verschwunden. Die "Stäbe" sind nur ungefähr 1/8 Zoll oder 1/4 Centimeter dick und regelrecht geglättet, wie polirt. Jedes Eimer ist in der Mündung 8 1/4 Zoll weit im Durchmesser und ist ungefähr 9 Zoll hoch gewesen. Jedes Eimer hat 3 Haupt=Bänder aus Bronze=Blech gehabt, welche 3/4 Zoll breit sind. Jedes Band ist von einem schmalen, 1 /8 Zoll breiten Verzierungsstreifen begleitet, welcher mit getriebenen, runden Buckeln verziert ist. Zwischen je 2 Haupt=Bändern liegt noch ein solcher schmaler Verzierungsstreifen. Der obere Rand des Eimers ist durch ein schmales Bronzeband gehalten, welches an beiden Seiten, über das erste Hauptband und das Holz übergreift. Die Oehren mit Lappen für die hübsch geformten bronzenen Henkel sind auf das obere Hauptband und das Holz fest genietet.

Es ist von Wichtigkeit zu wissen, von welchem Holze die Eimer gemacht sind, schon um daraus vielleicht schließen


1) Auch in Dänemark, wo ähnliche römische Geräte oft gefunden werden, sind in neuern Zeiten zu Thorslunde bei Kopenhagen gefunden: eine Kasserolle, ein Sieb, ein Griff und Bruchstücke von einer Kasserolle, Bruchstücke von einem schwarzen Thongefäß und von einem Holzeimer, bei einigen Knochen; vgl. Aarböger for Nordisk Oldkyndighed, 1868, Heft II, p. 132, Nr. 88. Ein offenbar römisches in Dänemark gefundenes Holzeimer ist abgebildet in Worsaae Nordiske Oldsager, 1859, p. 76, Fig. 311.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 119 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

zu können, ob sie hier zu Lande gemacht oder fertig eingeführt seien. Schon aus dem feinen, festen, ebenen Fasergefüge ließ sich vermuthen, daß das Holz ein "edleres" sei und von keinem bekannten nordischen Baume stamme, da auch alle Eigenthümlichkeiten dieser Hölzer fehlen. Mein sicher bewährter Freund Dr. Röper, Professor der Botanik an der Universität zu Rostock, hat nach genauen Untersuchungen und mit Sachkenntniß sichern Aufschluß gegeben. "Eibenholz (Taxus baccata) lieferte die Stäbe zu diesen römischen Eimern; daran ist wegen des eigenthümlichen Baues gar nicht zu zweifeln. Das Kernholz der Eibe ist von Natur fest und so braun, wie das vorliegende Bruchstück; die jüngsten Jahresringe sind fast so hell, wie Buchenholz. Dieser "Splint" ist aber ganz bestimmt zu den Eimern nicht verwandt worden. Von Cedern, Pinien, Zirbeltannen ist das Eimerholz entschieden auch nicht. Es kann nur Eibenholz (Taxus baccata) sein. Wo dieses Holz aber gewachsen ist, läßt sich selbstverständlich nicht entscheiden. Die Eibe ist (als Waldbaum) jetzt in Mittel=Europa überall selten, jedoch war sie in frühern Zeiten auch an der Ostsee häufiger; jedoch ist es nicht gewiß, ob ursprünglich, oder eingeführt. In Meklenburg ist nur noch ein uralter Stamm am Leben in der Rostocker Haide mitten im Walde bei Rövershagen; in Pommern und auf Rügen ist sie auch schon fast ausgestorben; in der Provinz Preußen ist sie noch häufiger. Aber am Harze wird sie bald ausgerottet sein, so wie auch in der Schweiz, wo sie, einzelne Ausnahmen an unerreichbaren Abgründen ausgenommen, den Holzschnitzern erlegen ist 1 )." Auch der Herr Dr. Schwendener, Professor der Botanik an der Universität zu Basel, dem auch ein Stück Holz zur Ansicht vorgelegt ward, urtheilt, daß das "Holz nach mikroskopischer Untersuchung zweifellos Taxusholz" ist. - Es ist daher wohl nicht zu bezweifeln, daß diese Eimer schon zusammengefügt hier eingeführt wurden. Denn theils dürfte es


1) Im Taunus=Lande ist nach Versicherung dortiger Botaniker und Forstmänner auch kein Eibenholz mehr zu finden. Nach alten Berichten standen jedoch noch vor hundert Jahren vor der Saalburg, welche man damals für die Ruinen eines "Schlosses" hielt, "Hecken" von Taxus und Buxbaum und nach alten Archiv=Nachrichten standen, nach Mittheilungen des Herrn Baumeisters Jacobi zu Homburg, auch auf der Höhe des Altkönig Eibenbäume. Diese Bemerkungen mögen für den unten folgenden Abschnitt: "Vergleichungen und Zeitbestimmung" von Werth sein.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 120 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

den Verfertigern hier an dem ihnen gewiß wohl bekannten Holze 1 ), theils an den nötigen Geräthen zur Bearbeitung und an den Werkzeugen und dem nöthigen Metall zu dem reichen Bronzebeschlag gefehlt haben. Die Eimer sind also wohl ohne Zweifel aus Eibenholz in den römischen Staaten gemacht und fertig in den Norden eingeführt. Von einheimischen Gefäßen finden sich in diesen Gräbern zur nothdürftigen Aushülfe nur die bekannten grobkörnigen Thongefäße.

Im Museum zu Kopenhagen sind in römischen Funden von den dänischen Inseln ungefähr 6 hölzerne Eimer mit Bronzebeschlag gefunden, welche ziemlich gut erhalten, jedoch von gröberem Holze zu sein scheinen und nicht so reich verziert sind; der Boden ist weiter, als die Oeffnung, während die Hävenschen Beschlagreifen alle gleich weit sind.

Es sind auch sonst in Norddeutschland römische Eimer, zum Theil mit Holzresten, gefunden, wenn man die Gefäße mit senkrechten Wänden und flachem Boden vom Durchmesser des Gefäßes und des Oeffnungsrandes "Eimer" nennt, wogegen die "Krateren" oder Kessel eine glockenförmige Gestalt und einen kleinen, runden, abgedreheten Fuß haben. Bei Luttum im Amte Verden wurden in 3 Grabhügeln in jedem ein bronzenes Eimer gefunden, welche in Form und Arbeit alle gleich und 6 1/4 und 7 Zoll hoch sind, und bei Nienburg an der Weser ward in einem Hügelgrabe ein gleiches Eimer gefunden. Alle waren früher in der Sammlung des Grafen Münster, von demselben ausgegraben, jetzt in den Sammlungen zu Hannover. In den Eimern lagen zerbrannte Menschenknochen und auch kleine bronzene und eiserne Alterthümer. Diese Bronze=Eimer sind dadurch verziert, daß in der Wandung 7 und 8 erhabene halbrunde Reifen oder Wulste von innen nach außen geschlagen oder getrieben, oder "ausgewalzt", und die Enden fest und sauber vernietet sind. Jedes Eimer hat merkwürdiger Weise zwei eiserne Henkel. Der obere Rand des Eimers, von denen einer ziemlich gut erhalten und zu der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen, Jahrgang 1854, Hannover 1856, Lithographie Fig. 5 abgebildet ist, ist von außen nach innen rund eingebogen und


1) Ueber das hohe Alter und die Dicke der Eibenbäume in Britannien vgl. A. v. Humboldt Ansichten der Natur, Bd. II, Stuttgart, 1869, S. 80.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 121 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

bildet eine Röhre von fast 1/4 Zoll Durchmesser, in welcher eine mehr als Strohhalm dicke, runde, hölzerne Ruthe steckt, offenbar zn dem Zwecke, daß der Rand nicht so leicht eingedeckt werden kann. Dieses Holz, in den ausgebrochenen Stellen des Randes deutlich zu sehen, ist durch das Kupferoxyd vollkommen und fest erhalten, von blaßgrüner Farbe und anscheinend "Weidenholz". Vgl. Zeitschrift a. a. O. Hannover: Ueber einige im Königreiche Hannover gefundene römische Bronze=Arbeiten, von Einfeld, S. 31 flgd. - Nach der brieflichen Mittheilung des Herrn Studienraths Müller zu Hannover sind im Hannoverschen auch hölzerne "Eimer" mit Bronzebeschlag gefunden, jedoch ist die "hölzerne Futterung" leider "gänzlich verschwunden".

Ein bisher noch nicht bekannt gewordenes, werthvolles, gleiches Eimer, wie die Hannoverschen, ward auch in der Nähe der Ostsee gefunden und ist im Besitze des um die Alterthumsforschung verdienten Lübeker Oberförsters Haug zu Waldhausen bei Lübek, welcher die große Güte gehabt hat, mir genaue Nachrichten und gute Photographien des Eimers einzusenden. Vor ungefähr 20 Jahren untersuchte Herr Haug auf dem Felde des Dorfes Pansdorf, 1 3/4 Meilen nördlich von der Stadt Lübek im Fürstenthume Lübek, hart an der Chaussee von Lübek nach Eutin, mehrere Kegelgräber. In einem damals noch ungefähr 3 Fuß hohen, im Innern mit einem großen Steinringe eingefaßten Hügel dicht vor dem Dorfe fand Herr Haug unter einem wohlgefügten rundlichen Pflaster von faustgroßen Feldsteinen in einer Kiste von flachen rothen Sandsteinen das erwähnte römische Bronzeeimer, zum Theil mit schönem edlen Rost bedeckt, welche mit zerbrannten Knochen, Asche und Sand gefüllt war, worin eine sichelförmige Messerklinge von Eisen lag. Das Eimer, 12 3/8 Zoll hoch und 11 1/2 Zoll im Durchmesser und 5 Pfund 1 Loth schwer, ist aus ziemlich starker, schöner Bronze so "getrieben", daß in der Wandung von innen nach außen 12 erhabene, halbrunde Reifen "geschlagen" oder getrieben und die Enden kunstvoll vernietet sind. Der oberste Reifen oder Rand ist zur Stärkung um einen als Korn dienenden eisernen Reif geschlagen, welcher stark gerostet ist. Das Gefäß hat zwei schlichte, massiv bronzene Henkel von ungefähr 1/4 Zoll Durchmesser, welche in langen Enden in thierkopfartige Verzierungen auslaufen; die Henkelhalter sind sauber angenietet. Der Boden ist außen mit breiten und schmalen erhabenen Reifen abgedreht.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 122 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Es kann immer möglich sein, daß diese Gräber mit bronzenen Eimern, welche als Aschenurnen dienten, Römer=Gräber mit verbrannten Leichen waren.

Grab Nr. 3.

In einem dritten Grabe der ersten Aufgrabung wurden folgende Sachen gefunden.

16) Eine Kelle von Bronze, von Größe, Gestalt und Arbeit, wie die Kelle Nr. 11, jedoch ohne Sieb.

17) Eine Heftel von Bronze, ebenfalls mit 2 runden Verzierungsscheiben auf dem Bügel, fast ganz wie die Heftel Nr. 13. Der Bügel ist mit einem, die Querstange mit drei feinen silbernen Perlenrändern verziert.

Außerordentlich merkwürdig und wichtig ist die Auffindung von 3 thönernen Gefäßen in diesem Grabe, welche wohl sicher einheimische Arbeiten sind; eines dieser Gefäße ist abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 18. Sie sind ziemlich gut erhalten, schwarz von Farbe und alle mit Verzierungen geschmückt. Man gelangt durch Hülfe der römischen Alterthümer, mit denen sie zusammen gefunden sind, zu einer ungefähren Zeitbestimmung einer gewisse Art von heimischen Begräbnissen. Auch in einem andern Grabe der zweiten Aufgrabung von Häven fanden sich ähnliche thönerne Urnen. Die Formen sind mehr cylindrisch und die Verzierungen bestehen vorherrschend aus Zickzacklinien. Die Masse ist nach einheimischer heidnischer Weise bereitet, indem sie mit Sand durchknetet und nur am offenen Feuer gedörrt ist, nicht nach römischer Weise gebrannt 1 ). Die Urnen gleichen den Urnen der einheimischen alten Eisenzeit, z. B. den Urnen des reichen, früher sogenannten Wendenkirchhofs von Pritzier, der sich auch durch Glas und Silber auszeichnete (vgl. Jahrb. VIII, B, S. 58 flgd.), welche ich schon 1847 für die "ältern" Urnen der Eisenzeit erklärt habe (vgl. Jahrb. XIII, S. 428). Auch die Urnen aus dem Pfahlbau von Vimfow sind diesen ähnlich (vgl. Jahrb. XXXII, S. 227). Diese Urnen sind ohne Zweifel statt der römischen Bronze=Kessel und Schalen, welche hier ganz fehlen, in das Grab gesetzt.


1) Römische Thongefäße sind in Meklenburg nicht anders gefunden als in dem Grabe von Bibow, Jahrb. II, S. 50 mit Abbildungen; diese sind aber viel älter, als der Fund von Häven, und haben einen ganz andern Character als die römischen Thongefäße im Taunuslande. Das Fehlen römischer Thongefäße ist durch die Zerbrechlichkeit und die weiten Wege leicht zu erklären.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 123 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

18) Eine große Urne von Thon, mit engem Halse, und mit einem Fuß, 7 1/2 Zoll hoch, vorherrschend mit horizontalen Parallellinien verziert.

19) Eine mittlere Urne von Thon, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 19, 4 1/2 Zoll hoch, fast ganz so, wie die hieneben abgebildete Urne von Pritzier (vgl. Jahrb. XII, S. 429), auf dem Bauchrande mit einer dreifachen Zickzacklinie und darüber mit einem Bande von Querstrichen verziert. Die Urne hat einen Henkel gehabt, welcher jedoch abgebrochen ist.

Urne

Auch in einem römischen Funde von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen ist eine heimische thönerne Urne, welche denselben Charakter an Form und Verzierung und dieselbe Größe hat, wie die Hävensche, wenn auch einzelne kleine Verschiedenheiten auf dänische Fabrication schließen lassen.

20) Eine kleine Urne von Thon, 2 1/2 Zoll hoch, überall reich und eigenthümlich verziert, leider nur noch in einem freilich großen Bruchstück vorhanden.

B. Zweite Aufgrabung.

Nachdem man nach der ersten Aufgrabung wieder auf drei Leichen gestoßen war, welche auf meinen dringenden Wunsch unangerührt in der Tiefe lagen, begab ich mich nach Häven, um diese Gräber selbst aufzudecken und zu erforschen. Die Gräber alle lagen auf der runden Höhe, wie es scheint in einem Kreise umher oder in zwei Reihen. Zwei Gräber lagen in der Nähe der drei zuerst aufgedeckten, das dritte Grab lag diesen gegenüber. Die ziemlich wohl erhaltenen Gerippe lagen 5 Fuß tief ausgestreckt im Sande, die Arme an den Seiten liegend. Die Alterthümer lagen auf verschiedenen Theilen des Gerippes oder standen zu den Füßen. Diese zuletzt aufgedeckten drei Gräber waren nicht mit Steinen zugedeckt, sondern lagen im reinen Sande. Dem Anscheine nach und nach den mitgegebenen Alterthümern waren die Gräber Nr. 5 und 6 Frauengräber. Alle Leichen lagen, ganz abweichend von sonstigen Bestattungs=

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 124 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

weisen, mit dem Kopfe im Norden, so daß das Gesicht nach Süden (oder höchstens Südsüdwest) schauete.

Münzen sind trotz aller Aufmerksamkeit nicht gefunden. Auch Fabrikstempel und sonstige Zeichen sind nicht beobachtet.

Grab Nr. 4.

In einem Grabe am nördlichen Abhange des Hügels außerhalb der Gräberreihe, an der westlichen Seite der früher aufgedeckten Gräber, am Ende, ward ein gegen Süden gerichtetes Gerippe, jedoch gar nichts weiter gefunden. Der Schädel ist groß und stark und nähert sich stark der brachycephalen Form. Er steht dem "exquisit brachycephalen" Schädel Nr. 5 sehr nahe, ist aber größer und weniger edel in den Linien. Die Zähne sind alle gesund und noch nicht angegriffen, die Arm= und Beinknochen sind nicht stark. Es ist möglich, daß hier ein Sklave begraben ward.

Grab Nr. 5.

In einem andern Grabe an der östlichen Seite der früher aufgedeckten Gräber lag ein ebenfalls gegen Süden gerichtetes Gerippe. Der Schädel ist wohl erhalten und gebildet; die Zähne sind alle gesund, glänzend weiß und noch nicht angegriffen; die Arm= und Beinknochen sind schmächtig. Nach dem Urtheil des Herrn Professor His zu Basel (vgl. unten am Ende der Schlußfolgerungen) ist der sehr klar ausgeprägte Schädel "brachycephal" (Kurzschädel) von der "alemannischen Disentisform" und scheint "nach dem Stand der Näthe und der Beschaffenheit der Zähne einem jungem Individuum anzugehören". Nach den Beigaben zu urtheilen, barg das Grab wohl sicher eine weibliche Leiche.

Gefäße standen in diesem Grabe nicht.

Oben auf der Brust lag

21) eine Heftel von Silber, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, ebenfalls mit einer ovalen Schere zur Aufnahme von Verzierungen am Ende des Bügels, die größte von allen auf dem Begräbnißplatze gefundenen Hefteln, gut 1 1/2 Loth schwer.

Auf der Brust entlang lagen 3 runde Knöpfe, welche jedenfalls von Wichtigkeit sind. Diese Knöpfe, welche 1 Zoll

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 125 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

im Durchmesser haben, bestehen aus einer dünnen, vergoldeten Silberplatte, eingefaßt von einem glatten silbernen Ringe, welcher innen und außen von einem Perlenrande begleitet wird. In die Platte ist von hinten ein Reliefbild gepreßt, welches ziemlich hoch liegt. Es wäre möglich, daß diese Reliefbilder über alte Münzen abgepreßt sind; jedoch sind die Bilder auf den Knöpfen ein wenig höher, als auf Münzen, und von Inschriften ist keine Spur vorfanden.

22) Ein Knopf von vergoldetem Silber mit dem Bilde eines Vogels, welcher auf einem liegenden Fisch steht und mit dem Schnabel den Kopf des Fisches hackt, vollständig erhalten, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 5. Diese Darstellung weiset auf südöstliche Gegenden, auf die Länder des Pontus Euxinus (Schwarze Meer) hin, auf Mösien. Wiberg 1 ) sagt bei der Aufzählung der Funde auf den pontisch=baltischen Handelsstraßen: "Zwenikorodska=Kreis: ein griechischer Bronzehelm, eine vergoldete Platte mit darauf abgebildetem Vogel, der einen Fisch zerreißt, wie man oft auf Münzen von Olbia, Sinope und Istros findet". Ein auf einem Delphin sitzender Vogel (Adler) war das Zeichen für die Stadt Istros in Mösien 2 ) (vgl. Mionnet Déscription I, p. 356). Eben so sehr scheint diese Darstellung auf die Stadt Olbia hinzudeuten. Olbia 3 ) war eine Colonie im Nordwesten des Pontus, wo der "Hypanis" (Bug) und "Borysthenes" (Dnieper) in eine gemeinschaftliche Bucht (Liman) münden, von den Milesiern gegründet. Es giebt kaum einen Ort, der wichtiger für uns wäre, als dieser, von welchem, mit dem Handel zugleich, die aufdämmernde Civilisation ihre Strahlen allmälig über das große sarmatische Tiefland in der Richtung nach dem baltischen Norden ausdehnte." Im Museum des Fürsten Kotschoubey 4 ) finden sich Zeichen von Olbia mit einem Fische, auch eine Münze mit einem Vogel auf

modernisirt dargestellt ist. Die Münze ist abgebildet Vol. I, Tab. IV, No. 4.


1) Vgl. C. F. Wiberg: Der Einfluß der klassischen Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr. Aus dem Schwedischen von J. Mestorf. Hamburg, 1867, S. 92.
2) Die 8. Legion, welche eine lange Zeit des Kaiserreichs am Rhein und auf der Saalburg stand, lag bis zum J. 70 in Mösien.
3) Vgl. Wiberg a. a. O. S. 36 flgd.
4) Vgl. das große Werk: "Déscription du Musée de feu le prince de Kotschoubey, par B. de Köhne", St. Petersbourg, 1857, Vol. I.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 126 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

einem Fische, "welche vielleicht zwei der Hauptbilder von Olbia vereinigt".

23) Ein Knopf von vergoldetem Silber mit dem Bilde eines laufenden Ebers, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 6. Der Leib des Ebers ist ganz zerdrückt. Kopf, Rücken, Beine und Schwanz sind jedoch gut erhalten; der kurze Schwanz ist nach Schweine Art gekrümmt und deutlich erkennbar. Der Eber erscheint häufig auf gallischen Münzen; vgl. Mionnet Supplément I, p. 186, Nr. 312 - 315, 328, 337, 339 - 349. Professor Holmboe in Christiania hat vor kurzem eine kleine Abhandlung darüber geschrieben in "Videnskabernes Forhandlinger for 1868: "Om Vildsviintypen paa galliske og indiska Mynter". Das Wildschwein kommt aber auch in Mösien vor, z. B. als Feldzeichen; vgl. Dr. Gaedechens: "Eberkopf und Gorgoneion als Amulete" in Jahrbüchern des Vereins der Rheinlande, Bonn, Heft XLVI, S. 26 flgd., und hier unten am Ende der "Vergleichung und Zeitbestimmung".

24) Ein dritter Knopf von vergoldetem Silber ist ganz zerdrückt und nicht mehr erkennbar.

25) Eine auf einen Bronzestreifen genietete kleine runde Bronzeplatte von gleicher Größe läßt keine Bestimmung errathen, eben so wenig

26), eine kleine runde Bronzeplatte von gleicher Größe.

Am Oberleibe lag

27) ein Kamm von Knochen, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 25, Bruchstück, sehr gut gearbeitet, im Ganzen 2 Zoll, in den Zähnen 1 1/4 Zoll hoch, am Griffe auf beiden Seiten durch Bronzeniete mit Elfenbeinplatten belegt, welche mit Punctlinien verziert sind. Auch in den römischen Funden von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen finden sich viele Kämme, welche an Form und Arbeit gleich sind.

Ferner lag am Oberleibe

28) eine durchsichtige, rundliche, hellgrüne Glasperle.

Am Gürtel und an der Gegend des Oberschenkels lagen

29) eine Schnalle von Silber ganz glatt, gut 1 Loth schwer, und

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 127 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

30) eine Schnalle von Bronze, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 7, deren Bügelenden Vogelköpfe darstellen.

Endlich fanden sich zur Seite Streifen von schwärzlichem Moder, welcher theils faserig, theils glatt war, und von Zeug oder Leder, aber auch von Holz sein kann. Dabei lagen 4 silberne Beschläge.

31) Ein Beschlag von Silber, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 8 in der Mitte wie ein Ring gestaltet, welcher nach zwei Seiten hin in breite Lappen ausläuft, von denen der eine 3 Niete am Ende hat. Auf der Rückseite sitzen Stücke von dem schwarzen Moder.

32) und 33) Zwei Streifen Silberblech, 1 3/4 Zoll lang und 1/2 Zoll breit, welche je auf einen gleich großen Streifen Bronzeblech in einem kleinen Abstande genietet sind, so daß irgend ein starker Stoff, vielleicht Leder, zugleich damit festgenietet gewesen ist.

34) Zwei zungenartige, an einem Ende zusammengenietete Silberstreifen, 1 3/4 Zoll lang.

Grab Nr. 6.

In einem andern Grabe, den bisher beschriebenen Gräbern gegenüber, lag, mit dem Gesichte gegen Süden gerichtet, ein Gerippe. Der Schädel war auf die rechte Seite gefallen und an dieser Seite zerbrochen und zum Theil vergangen; innerhalb des Schädels sind grüne Rostflecke, ein Zeichen, daß beim Verwesen bronzene Schmucksachen hineingefallen gewesen sind. Der sonst gut erhaltene Schädel und der Unterkiefer sind sehr klein und schmal, die Stirn ist sehr schmal und niedrig; die Zähne sind klein, die Weisheitszähne so eben im Durchbruch. Die Schädelwände sind sehr dünne, die Schädelnäthe noch nicht fest verwachsen. Die übrigen Knochen waren sehr dünne und stark vergangen.

Hiernach und nach den aufgefundenen Schmucksachen war dies die Leiche eines jungen Frauenzimmers.

Auf der Brust lag

35) eine dünne Heftel von Bronze, wie die Abbildung auf der Steindrucktafel II, Fig. 24, jedoch ohne aufgelegte runde Verzierungsplatten.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 128 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

In der Gegend des Oberleibes und Kopfes lag noch

36) ein Ring von Bronze, 1 1/4 Zoll im Durchmesser, welcher in einem Niet oder Haft beweglich hängt, und

37) eine spitze Nadel von Bronze mit einem kleinen Knopfe, 6 1/2 Zoll lang.

Am Halse und am Schädel lag eine große Menge verschiedenartiger Schmuckperlen, welche zum großen Theile aus dem mit Sand vollgeschlämmten Schädel herausgeholt wurden.

38) Mehrere kleine gepreßte Halbkugeln von Bronze, wie kleine Muscheln, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 15, 5/8 Zoll im Durchmesser, auf der Oberfläche ganz mit kleinen Pünctchen besäet, welche von innen herausgetrieben sind. An einem Ende laufen sie in ein schmales Bronzeband aus, durch welches immer zwei solcher Halbkugeln zum Anhängen mit einander verbunden gewesen sind, wie noch ein vollständiges Exemplar aus zwei Hälften beweiset. Es wurden aus diesem Grabe 7 Hälften herausgeholt, jedoch haben sich schon vorher noch mehrere gefunden. Wahrscheinlich dienten diese Bronze=Muscheln zum Halsschmuck.

Ferner fanden sich in der Gegend des Halses und der Brust

39) 10 Halsbandperlen verschiedener Art: 7 runde Perlen von rothem, weißem, schwarzen und blauem undurchsichtigen Glase, zum Theil mosaikartig eingelegt, z. B. eine durchsichtige hochblaue Perle mit weißen Sternblumen, 2 weiße Stangenperlen, 1 bernsteinerne Stangenperle, wie die Abbildungen auf der Steindrucktafel I, Fig. 9 bis 13. Eine grünlich=weiße, undurchsichtige, gereifelte runde Perle ist abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 11. Die vielen in dem Begräbnißplatze von Pritzier gefundenen Glassachen sind den Hävenschen gleich (vgl. Jahrb. VIII, B, S. 65 und 73); dies scheint auf einen gleichzeitigen Handelsverkehr zu deuten.

40) Ein großer Knopf von Bernstein, 1 1/8 Zoll im Durchmesser, auf der Oberfläche verwittert.

41) Zwei kleine Knöpfe von (hellbraunem) Bernstein, 3/4 Zoll im Durchmesser, nicht verwittert.

42) Sechs beutelförmige oder birnenförmige Bommeln von (hellerem) Bernstein, abgebildet

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 129 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

auf der Steindrucktafel I, Fig. 14, 1 Zoll lang, davon 1 vollständig und 2 zerbrochen, 4 auf der Oberfläche verwittert.

In der Nähe des rechten Kniees stand

43) ein großer, glockenförmiger Krater von Bronze, wie der auf der Steindrucktafel II, Fig. 17, 8 1/2 Zoll im Durchmesser weit, mit einem kleinen, starken Fuß und einem gegossenen, schweren Eimerhenkel, welcher mit doppelten Querreifen verziert ist. Als der Krater einigermaßen enthüllt war, stand er in seiner vollen Form noch ganz aufrecht; aber bei der Befreiung von der Erde zeigte sich, daß die ungewöhnlich dünnen Wände überall gänzlich zerbrochen waren. Und so zerfiel das Gefäß denn auch bald durch den Druck der Erde, mit der er gefüllt war, in viele Stücke. Nur der fast zu starke Rand mit dem Henkel und der starke Fuß sind unversehrt geblieben 1 ). Verziert war der Krater, wie gewöhnlich, mit feinen eingedreheten Linien.

Auch in diesem Grabe fanden sich mehrere thönerne Gefäße von einheimischer Fabrik, wie in dem Grabe Nr. 3.

Zunächst dicht an dem Fuße des Bronze=Kraters lag

44) eine kleine schwarze Urne von Thon, 4 Zoll hoch, mit einem hohlen Fuß, wohl schon eine Nachahmung der bronzenen Kraterfüße, vollständig erhalten. Die Verzierungen sind den Verzierungen der zu Nr. 19 abgebildeten Urne äußerst ähnlich.

Zu den Füßen standen zwei größere thönerne Urnen, welche zwar zerbrochen, aber doch zum größten Theil erhalten sind:

45) eine Urne von Thon, 6 Zoll hoch, mit 2 Knoten am Rande und mit Zickzacklinien und Parallellinien verziert;

46) eine Urne von Thon, 4 1/2 Zoll hoch, eben so verziert.

47) Ein Stückchen Eisen, wahrscheinlich Bruchstück eines Messerchens, 1/2 Quadratzoll groß, stark gerostet. Dies ist die einzige Spur von Eisen in dem ganzen Funde. Vgl. Nr. 49.


1) Diese Bronze=Krateren, welche einen sehr starken Rand und Henkel und einen sehr schweren Fuß haben, sind meistentheils in der Seitenwand äußerst dünne und daher gewöhnlich in der untern Hälfte zerbrochen.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 130 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

C. Beiläufige Funde.

Außer diesen hier aufgezählten Alterthümern hat Herr Jenßen in der letzten Zeit vor der zweiten Aufgrabung noch mehrere werthvolle Sachen nach und nach gefunden, immer sogleich an sich genommen und mir bei der Aufnehmung der drei letzten Leichen überliefert. Nach Herrn Jenßen's Mittheilung sind sie nach und nach vereinzelt an verschiedenen Stellen auf dem Begräbnißplatze beim Abfahren des Sandes gefunden. Es ist aber auch möglich, entweder daß diese Sachen noch von den Gräbern der ersten Aufgrabung stammen, oder von den Gräbern der zweiten Aufgrabung, deren Umfang man vielleicht zu nahe gekommen ist, wofür manche Stücke zu sprechen scheinen. Zu besondern Gräbern werden diese Sachen nicht gehört haben, da bisher keine anderen Gerippe als die aufgeführten 6 entdeckt sind. Genug, die im folgenden aufgezählten Alterthümer lassen sich keinem bestimmten Grabe zutheilen. Jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, daß sie zum größten Theile zu dem Grabe Nr. 6 gehören.

Diese Alterthümer sind folgende.

48) Eine große, runde, gewölbte Schale oder Schüssel von Bronze, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 2, mit sehr geschickt gedrehetem Fuße, 15 Zoll im Durchmesser in der Oeffnung und 5 Zoll hoch. Der Rost im Innern ist sehr verschieden, theils grün, theils blau, an einer großen Stelle fehlt er ganz. Auf dem Boden sind geringe Spuren des weißlichen Bodensatzes. Diese verschiedenen Farben kommen gewiß von Dingen her, die man in der Schüssel beigesetzt hat.

49) Ein kleines Eimer von Holz, ähnlich wie das Eimer auf der Steindrucktafel II, Fig. 16, mit bronzenem, verziertem Eimerhenkel und Beschlagrand und 4 bronzenen Beschlagreifen von 1 1/8 Zoll Breite; sonstige Verzierungen sind nicht vorhanden. Dieses Eimer ist bedeutend kleiner, als die zu dem Grabe Nr. 2 gehörenden, oben unter Nr. 14 und 15 beschriebenen hölzernen Eimer. Der Oeffnungsrand hat nur 5 1/2 Zoll im Durchmesser und das ganze Eimer wird nur ungefähr 6 Zoll hoch gewesen sein. Das Holz ist sehr dünne ausgearbeitet und scheint dickfaseriger zu sein, als das Holz der großen Eimer. An einem Henkelende sitzt etwas Eisenrost; vgl. Nr. 47.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 131 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

50) Eine kleine Heftel von Silber, mit einer ganz kleinen ovalen Verzierungsplatte am obern Ende des Bügels.

51) Eine spitze Nadel von Bronze mit rundem Knopf, 4 1/2 Zoll lang.

52) Ein Halsband oder Kopfband von Silber, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 21, mit Haken und Oese an den Enden, vor den Enden 2 Zoll lang mit Silberdrath und Perlenrändern umwunden, gegen 5 Zoll im Durchmesser und gegen 15 Zoll im Umfang, gut 2 Loth schwer.

53) Ein kleiner, starker Ring von Bronze, 2 Zoll im Durchmesser.

54) Ein noch kleinerer, dicker Ring von Bronze, 3/4 Zoll im Durchmesser.

55) Zwei ganz feine, gleiche Ringe von Bronze, eben so groß, vielleicht Ohrringe.

56) 8 kleine gepreßte Halbkugeln, muschelartige Ohrbommmeln?, genau wie die in dem Grabe Nr. 6 unter Nr. 38 aufgeführten Halbkugeln, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 15, und ohne Zweifel dazu gehörend oder aus demselben Vorrath stammend.

57) 15 undurchsichtige Glasperlen, von denen 10 rund, 5 stangenförmig; einige sind einfarbig, z. B. 2 rothe, 2 schwarze, 1 hellblaue runde Perle und 1 weiße Stangenperle, andere sind mosaikartig eingelegt, z. B. rothe Perlen mit gelben Sternblumen, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 10, grüne mit gelben, blaue mit weißen, weiße mit schwarzen Blumen, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 9; zwei weiße Stangenperlen sind mit einem rothen, eine rothe Stangenperle mit einem weißen eingelegten Zickzackbande verziert, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 12 und 13. Die bunten mosaikartigen Einlegungen gehen immer durch die ganze Perle hindurch, wie einige zerbrochene Stücke zeigen. Diese Halsbandperlen sind denen im Grabe Nr. 6 gefundenen, unter Nr. 39 aufgeführten ganz gleich und gehören vielleicht zu denselben.

58) 1 ) Eine kleine Urne von T hon, hellbraun von Farbe, mit engem Halse, 4 Zoll hoch, über dem Bauchrande


1) Dieser Hävensche Fund ist also auch ungefähr eben so groß, wie der Hildesheimer Silberfund, welcher auch, "Größeres und Kleineres zusammengerechnet, über sechzig Stücke" enthält.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 132 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

mit horizontalen Parallelreifen und unter demselben mit kleinen, hangenden Halbkreisen verziert, also den übrigen Thongefäßen dieses Begräbnißplatzes ähnlich.

Geschrieben zu Schwerin, im April 1869.


Schlußfolgerungen.

1) Die Fundstellen von Häven sind ohne Zweifel Gräber. Die Leichen waren alle nach einem erkennbaren bestimmten Gebrauche regelmäßig beigesetzt und mit den Bestattungsgebräuchen sichtbar und vollständig vorhanden. Es kann hier also weder von einer vergrabenen Beute oder einem Schatze, noch von einem durch Zerstörung ehemaliger Wohnungen versunkenen Hausrath die Rede sein.

2) Alle den Leichen beigegebenen Sachen sind römische, mit alleiniger Ausnahme der thönernen Töpfe. Von den vielen bronzenen Gefäßen, von den zahlreichen silbernen und bronzenen Schmucksachen, von den gläsernen Perlen und dem gläsernen Becher kann es nach den Formen und nach der Art der Arbeit nicht bezweifelt werden 1 ), daß sie römischen Ursprunges sind, und es bedarf diese Behauptung keiner weitern Begründung. Die Vollkommenheit der römischen Arbeiten dieser Art ist auf den ersten Blick durchaus sicher und klar zu erkennen, da alle andern gleichzeitigen Sachen nicht entfernt einen Vergleich damit aushalten.

Ein Einwand gegen diese Annahme könnte gemacht werden in Beziehung auf die "Hefteln" oder "Gewandnadeln" Nr. 9, 13, 17, 21 und 35 und die Schere Nr. 7.

Die Hefteln, mit einem Bügel mit Scheide und einem quer liegenden, aufgerollten Spiraldrath mit einer Nadel mit Federkraft, die in die Scheide einspringt, (in den neuesten Zeiten in kümmerlicher Weise als "Sicherheitsnadeln" wieder nachgeahmt), sind zu einer gewissen heidnischen Zeit wenigstens in Mittel=Europa ganz allgemein verbreitet gewesen. In Gräbern der eigentlichen Bronzezeit sind sie wohl nie gefunden; hier kommen nur die Gewandnadeln mit zwei


1) Vgl. Jahrb. XI, 1846, S. 397.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 133 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

flachen Spiralplatten und einer Nadel ohne Federkraft vor; vgl. Abbildung Jahrb. IX, S. 331. Die Gewandnadeln mit einer "Springfeder" muß ich für eine römische oder hetruskische Erfindung halten, welche sich sehr rasch der allgemeinsten Verbreitung erfreute. Sie sind im nordöstlichen Deutschland sehr zahlreich vorhanden und finden sich fast in jeder Urne der altern Eisenzeit. Aber weil die Construction dieser Hefteln überall dieselbe ist, darf man nicht alle einem bestimmten Volke zuschreiben. Die Nordländer halten alle im Norden gefundenen Hefteln dieser Art gerne für nordländische. Andere halten wieder alle Gewandnadeln dieser Art für römische 1 ). Es wird gerathen sein, je nach den Umgebungen im Funde und nach der Bestattungsweise scharfe Unterschiede zu machen. Es giebt ganz geringe Unterschiede, welche für verschiedene Herkunft reden. Die zu Häven gefundenen Hefteln, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, 23 und 24, zeichnen sich nicht nur durch eine größere Schlankheit und gefälligere Form, so wie durch zarte Silberarbeit und Vergoldung aus, sondern vorzüglich dadurch, daß der Bügel mit kleinen ovalen Platten belegt ist, welche nicht polirt sind, vielmehr auf der rauhen Fläche noch geringe Reste von einem schwärzlichen Kitt zeigen, auf welchem ohne Zweifel irgend ein kleiner bildlicher Schmuck gesessen hat. Unter den vielen Hunderten, ja Tausenden von heimischen Gewandnadeln, welche im nordöstlichen Tieflande Deutschlands wohl seit Jahrhunderten ausgegraben und ausgepflügt sind und von denen ein bezeichnender Repräsentant hieneben abgebildet ist, ist noch keine einzige beobachtet, welche diese ovalen Plättchen trüge. Solche Hefteln verrathen einen Ursprung aus einer kunstreichern Werkstätte. Im nordöstlichen Deutschland sind sie nur bei römischen Geräthen gefunden. Lindenschmit giebt sie auch für römische aus (vgl. oben Fund von Grabow Nr. 5) und ich muß ihm ganz beistimmen. Vgl. Nr. 9.

Gewandnadel

1) Noch in den neuesten Zeiten scheinen viele Gewandnadeln dieser Art für römische ausgegeben zu sein, die es vielleicht nicht sind. In den Jahrbüchern des Vereins im Rheinlande, Bonn, Heft XLVI, 1869, S. 45 flgd., werden in einem Aufsatze vom Prof. Dr. Aus'm Werth über (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 134 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Ganz ähnlich verhält es sich mit den bronzenen Scheren in Gestalt der "Schafscheren 1 )", welche sich in Meklenburg fast in jedem römischen Funde gezeigt haben. Die Schere ist ebenfalls wohl eine junge römische Erfindung und daher auch wohl gangbarer Handelsartikel geworden. In der Steinzeit konnte es natürlicher Weise keine Scheren geben: man schnitt mit gespaltenen oder geschliffenen Feuersteinen oder mit Spanmessern, und zwar gewiß recht gut. Aus der Bronzezeit ist wohl noch nie eine Schere zum Vorschein gekommen, plötzlich erscheinen die Scheren in der ältern Eisenzeit ziemlich häufig, jedoch in den heimischen Gräbern des Nordens vorherrschend immer aus Eisen, in den verschiedensten Größen. In Meklenburg sind sie grade nicht selten in einheimischen Brandurnen. Von bronzenen Scheren hat sich aber bis jetzt nur ein Exemplar in einem Begräbnißplatze der Eisenzeit gefunden, welches freilich dieselbe Construction hat, wie die römischen Scheren, aber doch einen andern Charakter im Einzelnen. Ich kann daher die bronzenen Scheren, welche mit römischen Alterthümern gefunden werden, auch nur für römische halten.

Die bearbeiteten Bernsteinperlen können auch nicht bestimmt für nordischen Ursprung zeugen, wenn der Ursprung des rohen Bernsteins auch vorzugsweise der Norden sein mag. Ich habe im Museum zu Wiesbaden aus den römischen Ruinen von Heddernheim (vgl. unten) dieselben Bernsteinperlen gefunden, wie in den Gräbern zu Häven.

Endlich sind die hölzernen Eimer Nr. 14 und 15 und Nr. 49 sicher römischen Ursprunges, sowohl nach dem Holze, als nach der Sauberkeit der Arbeit und dem Schmuck des Beschlages.

Es bleiben also nur die thönernen Gefäße in dem Grabe 2, Nr. 18, 19, 20, in dem Grabe 6, Nr. 44, 45, 46, und in den beiläufigen Funden, Nr. 58, übrig, welche für


(  ...  ) "Römische Gewandnadeln", namentlich über diejenigen aus dem Nachlasse des verstorbenen Dr. Fritz Hahn zu Hannover, viele Stücke abgebildet, welche ich nicht ganz sicher für römische ausgeben möchte, namentlich nicht diejenigen, welche im Pyrmonter Brunnen bei der Ausräumung desselben gefunden sind. Solche Hefteln sind in norddeutschen heimischen Gräbern sehr zahlreich verbreitet.
1) Die Schere besteht aus zwei Messern durch einen Bügel zur Handhabung verbunden. Jede römische Scherenklinge gleicht daher ganz einer römischen Messerklinge, welche gewöhnlich neben der Schere gefunden wird.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 135 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

einen nordischen Ursprung zeugen könnten. Und allerdings sind diese sicher nordisch, d. h. hier meklenburgisch. Sie sind in Masse, Form und Verzierung ganz den zahlreichen, bekannten, einheimischen Gefäßen gleich, welche in die alte Eisenzeit fallen, und haben nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit den zahllosen, bekannten römischen Thongefäßen. Aber diese Beigabe einheimischer Handwerksarbeit läßt sich sicher sehr leicht erklären. Nach der beobachteten Ausstattung der Hävenschen Gräber war ohne Zweifel ein bestimmter Gebrauch Sitte, nach welchem man den Todten außer dem Schmuck eine Anzahl gewisser Geräthe (mit Speise und Trank) mit ins Grab gab, Kessel, Schalen, Kellen, Becher u. s. w. 1 ). So finden wir das Grab Nr. 1 mit bronzenen Gefäßen vollständig ausgestattet. In dem Grabe Nr. 2 sind bronzene Gefäße durch zwei hölzerne Eimer ersetzt. Im Grabe Nr. 3 fanden sich statt aller größern Bronze=Gefäße 3 thönerne Gefäße und eben so im Grabe Nr. 6 neben einem Krater ebenfalls 3 thönerne Gefäße. Die thönernen Gefäße sind also zum Ersatze für die bronzenen Kessel und Schalen und die gläsernen Becher beigesetzt, welche man entweder nicht vorräthig hatte oder nicht weggeben wollte.

Die besondere Wichtigkeit des Hävenschen Fundes besteht vorzüglich darin, daß er vollständige Gräber enthielt, eine Beobachtung, die hier im Norden zum ersten Male gemacht ist. Es sind im deutschen und skandinavischen Norden zwar schon oft römische Funde mit zahlreichen Alterthümern gemacht, zuweilen auch mit "Knochen", aber es ist noch von keinem nachgewiesen, daß er aus einem Grabe stammt. Auch mögen in Gräbern der ältern Eisenzeit, selbst mit begrabenen Leichen, auch römische Sachen gefunden sein, aber diese Gräber enthielten wieder nicht ausschließlich römische Sachen.

3) Die Gräber von Häven sind also Römer=Gräber . Zwar mag dieses Ergebniß der Forschung überraschend und ungewohnt erscheinen, und es ist mir schon vielfach der Einwand gemacht, die Römer seien ja nie in die Ostseeländer gekommen, d. h. die Schrift schweige davon. Aber der Inhalt der Gräber, wie er im Vorstehenden ganz zuverlässig beschrieben ist, läßt sich nicht wegleugnen: die Römer


1) In den sehr häufigen römischen Brandgräbern, wie z. B. im Walde bei der Saalburg viele aufgedeckt sind und offensichtlich noch viele liegen, finden sich auch gewöhnlich zwei größere und einige kleine thönerne Gefäße.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 136 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

sind da. Zu der Zeit des römischen Kaiserreichs, d. h. zur Zeit der ältern Eisenperiode, ist in Meklenburg durchaus nur Leichenbrand Sitte, und es ist den Todten, deren Gebeine immer nur in Einer Urne verwahrt sind, nur sehr wenig Geräth oder Schmuck in die eine Aschenurne mitgegeben, meistentheils aus Eisen, wie ein Messer, eine Heftel, ein zusammengebogenes Schwert, ein Schildnabel, ein Paar Sporen ohne Bügel und dgl. Beigesetzte Gefäße, zu Speise und Trank bestimmt, wie sie sich in allen Römergräbern, auch mit verbrannten Leichen, finden, sind in Tausenden von Begräbnissen nie bemerkt worden. Auch hat Niemand im Lande eine unverbrannte Leiche mit Beigaben aus der ältern Eisenzeit in einem Grabe gefunden. Den Einwurf, daß man zwar dergleichen bis jetzt außer zu Häven noch nicht gefunden habe, aber später wohl noch finden könne, kann ich als völlig unbegründet nicht gelten lassen, da ein solcher Satz jede beliebige Annahme begründen könnte, alle Erfahrung aber dagegen spricht. Ueberdies sind die bei den Leichen gefundenen Alterthümer nur römische, und auch die Bestattungsweise ist römisch, da in der spätem Kaiserzeit das Begraben immer mehr Sitte ward und die Mitgaben nach römischer Weise beigesetzt wurden.

Statt eigener Forschungen kann ich nichts Besseres thun, als hier die Darstellungen im Auszuge mittheilen, welche J. Marquard in seinen "Römischen Privatalterthümern" Bd. I, 1864, S. 367 flgd. gegeben hat.

(S. 367.) "Was die Art der Bestattung (bei den Römern) betrifft, so ist der von den Alten selbst bemerklich gemachte Unterschied, daß die Todten bei den Orientalen begraben, bei den Griechen und Römern aber verbrannt wurden, nur von bedingter Richtigkeit. - - - In Rom und Latium ist das Begraben älteste Sitte. - - - Kinder, ehe sie Zähne haben, werden immer begraben, desgleichen arme Leute; und obgleich in den XII Tafeln schon das sepelire und urere neben einander vorkommt, so erhielt sich in vielen Familien die Sitte des Begräbnisses bis in späte Zeit wie z. B. in der gens Cornelia Sulla der erste war, welcher verbrannt, nicht begraben wurde. Wie in Rom, so bestand auch in Italien die zweifache Art der Bestattung: in ein und demselben Grabe finden sich Skelette - - und daneben Aschenurnen. In der späteren Kaiserzeit wird das Begraben immer mehr Sitte, bis endlich das Christenthum das Verbrennen ganz abstellte."

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 137 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

"Das Grab ist nach der übereinstimmenden Ansicht des (römischen) Alterthums eine Wohnung, in welche der Verstorbene einzieht, um dort eine andere und bessere, aber doch seinem frühern Leben entsprechende Existenz zu beginnen. - - Daher werden dem Todten Kleider, Geld, Schmuck, ein Ameublement, Lebensmittel und Eß= und Trinkgeschirre mitgegeben, dem Krieger seine Waffen, dem Handwerker oder Künstler sein Handwerkszeug, der Frau ihre Toilettengegenstände, dem Kinde sein Spielzeug: die ganze Masse von Gegenständen des häuslichen Lebens, welche unsere Museen bewahren, stammt zum großen Theile aus Gräbern her."

Diese Schilderungen stimmen genau mit den Hävenschen Gräbern überein. Sehr bemerkenswerth ist der Umstand, daß in den Hävenschen Gräbern die Köpfe im Norden, die Füße im Süden lagen, die Leichen also nach Süden, ihrer Heimath, schaueten, eine Bestattungsweise, welche in den baltischen Ländern zu keiner Zeit beobachtet ist. Uebrigens werden die hier begrabenen Menschen Kaufleute gewesen sein, da sich keine Art von Waffe in den Gräbern fand.

Schon vor mehr als 30 Jahren ward in Meklenburg zu Bibow, nur eine halbe Meile nördlich von Häven, ein unzweifelhaft römisches Grab mit römischer Urne, Untersatzschale, Lampe, Glasflasche und mit Münzen gefunden, welche zur Zeit des Kaisers Augustus geprägt sind; vgl. Jahrbücher II, B, S. 50 flgd. Dieses Grab ist jedoch viel älter, als die Gräber von Häven.

Nicht weit von Brüel, so in der Nähe von Häven, ward beim Bau der Chaussee ein Denar des Kaisers Commodus vom J. 183 n. Chr. gefunden; vgl. Jahresbericht VIII, B, S. 87.

Daß in Dänemark viele römische Alterthümer, wie die Hävenschen gefunden sind, ist schon wiederholt erwähnt und in den dänischen Zeitschriften behandelt.

Auch in dein mit Meklenburg benachbarten Lüneburger Tieflande, zwischen Elbe und Weser, wohin die Römer als Sieger in der mittleren Kaiserzeit nicht gekommen sind, sind wiederholt gleiche Sachen gefunden; vgl. Einfeld über einige im Königreiche Hannover gefundene römische Bronzearbeiten, in der Zeitschrift des Histor. Vereins für Niedersachsen, Jahrgang 1854 (Hannover 1856), mit Abbildungen. So sind die Kessel oder Krateren nach den Abbildungen

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 138 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Fig. 1, 2, 3 ganz den Hävenschen gleich. Wie die gravirten Kessel von Grabow und Häven ist auch ein zweihenkeliger Kessel von Börry an der Weser am Rande gravirt. Bei Gretheim im Amte Ahlden (im Lüneburgischen) ward beim Abgraben eines Sandhügels (!) ein Bronzekessel und eine Kasserolle gefunden; auch Kellen mit Sieb sind im Lüneburgischen entdeckt: Alles wie die Sachen von Häven.

Am 7. Junii 1869 war ich in Hannover, um die Sachen zu vergleichen. Die Vereinssammlungen in Hannover enthalten aus dem Lande 4 Bronze=Krateren ohne Verzierungen, unter diesen einen aus der nordwärts gelegenen Landdrostei Stade, und 1 Bronze=Krater mit Randverzierungen. Die Krateren ohne gravirten figürlichen Schmuck sind nur mit feinen eingedreheten Linien verziert, wie auch die von Häven. Die Größen sind verschieden. Die massiven Henkel mit den Querreifen sind aber alle den Hävenschen ganz gleich. - Sehr ähnlich an Größe, Form und Verzierung ist der ebenfalls zerbrochene zweihenkelige Krater von Börry. Der gravirte Rand ist im Ganzen ähnlich. Die obere Einfassung durch einen Eierstab, von dem jedoch die Eierplatten abgefallen sind, und die untere Einfassung mit dem gedreheten Seil sind denselben Verzierungen von Häven gleich. Aber die Kante selbst ist reicher und anders gearbeitet, nämlich im "Flach=Relief". Es scheint nämlich, als wenn der Grund ausgegraben und die Figuren stehen geblieben und bearbeitet sind, so daß die Figuren ganz flache, abgerundete Reliefs bilden. Der ganze Charakter und der Rost ist aber dem des Kraters von Häven gleich. - Andere große Bronzegefäße in der Sammlung sind mehr vasen= oder kannenförmig. - Kellen fehlen in den Hannoverschen Sammlungen fast ganz, obgleich sie im Lande öfter gefunden sind. Ich habe nur eine ganz zerbrochene, große Kelle, mit großem Griff, aus der Landdrostei Stade finden können. Siebe habe ich gar nicht bemerkt. - Die Eimer, welche hölzerne Futterung gehabt haben sollen, sind von Bronze und von den Hävenschen verschieden.

In Betrachtung dieser Funde sagt Einfeld, daß die Römer zu keiner Zeit "Niederlassungen" im Hannoverschen gehabt haben und daß ein directer friedlicher Verkehr während eines längern Zeitraums kaum anzunehmen sei, daß er wenigstens keine Beweise dafür habe finden können; er ist vielmehr geneigt zu glauben, daß sehr viele, wenn nicht die meisten der römischen Gegenstände, welche im nördlichen

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 139 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Deutschland ausgegraben werden, hierher aus dem Jahrhunderte lang romanisirten England gelangt sind. Er führt jedoch die Stelle des Tacitus Ann. II, 62 an, welcher von römischen Händlern in Germanien zu seiner Zeit erzählt: "ein flüchtiger Jüngling Catualda habe bei den Markomannen Hausirer (lixae) und Kaufleute aus dem römischen Reiche getroffen, welche der Handelsverkehr, dann die Begierde nach Gelderwerb, endlich die Gleichgültigkeit gegen das Vaterland von ihrer Heimat in Feindesland versetzt habe".

Wenn nun auch freilich diese Stelle kein Beweis für die Zeit sein kann, in welche die Hävenschen Alterthümer fallen mögen, so giebt sie doch zu erkennen, daß in allen Zeiten und Umständen ein friedlicher kaufmännischer Verkehr von Feindesland in Feindesland denkbar und möglich ist.

Ich will zwar nicht bestimmt behaupten, aber kann doch nur annehmen, unter Versicherung bereitwilliger Annahme besserer Belehrung, daß der Begräbnißplatz von Häven der Begräbnißplatz einer römischen Handelsniederlassung ist, wenn auch die Händler und Künstler auch gerade nicht aus Rom und Latium, sondern wahrscheinlich nur aus römischen Provinzen kamen.


Auch die in den Hävenschen Gräbern gefundenen Schädel scheinen für römischen Ursprung zu sprechen. Zwar ist es äußerst schwierig und mißlich, "aus den Schädeln alter Grabstätten ohne Weiteres den Typus der betreffenden Völkerstämme zu bestimmen", namentlich bei den römischen Gräbern, da "wir mit Bestimmtheit wissen, daß die Römer schon sehr früh ein Mischvolk gewesen sind, in welchem Elemente völlig verschiedener Art zusammen getroffen sind" 1 ); es lassen sich aber mit Hülfe der Alterthumswissenschaft wohl Ergebnisse finden, welche nicht allzusehr zu unterschätzen sind. Ich sandte daher die drei am Besten erhaltenen und zu Untersuchungen zu gebrauchenden Schädel aus den Gräbern Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 an die mit Forschungen dieser Art vertrauten


1) Nach Professor His in Basel: "Beschreibung einiger Schädel altschweizerischer Bevölkerung nebst Bemerkungen über die Aufstellung von Schädeltypen", im Archiv für Anthropologie, Bd. I, S. 69 flgd.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 140 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Herren Professoren Rütimeyer und His zu Basel 1 ), um so mehr, da in der Schweiz seit uralter Zeit sehr verschiedene Völkerschaften zusammenstoßen. Eine Vergleichung mit Meklenburg angehörenden Schädeln aus der Eisenzeit war nicht möglich, da in dieser Zeit in Meklenburg allgemein Leichenbrand herrscht und aus derselben noch kein nicht verbranntes Gerippe gefunden ist, trotz der zahlreichen Gräber aus dieser Periode. Herr Professor His hat nun die Güte gehabt, folgende vortreffliche einläßliche Beurtheilung dieser Schädel einzusenden.

"Die Schädel sind bezeichnet: Häven Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5. Von diesen ist Nr. 5 vollständig erhalten. An Nr. 1 und 2 fehlt die Basis des Schädels und das Gesicht; an Nr. 2 fehlen beide Schläfenbeine, an Nr. 1 ein Schläfenbein; an Nr. 2 ist die Gegend zwischen beiden Augenbrauenbogen defect. Zu Nr. 1 gehört ein vollständig erhaltener und mit intactem Gebiß versehener Unterkiefer."

"Sowohl an Nr. 1 als an Nr. 2 ist die äußere Knochenplatte der Schädelknochen angefressen, die Schwammsubstanz theilweise bloßgelegt. An Nr. 5 ist von einer solchen Veränderung der Oberfläche keine Spur zu bemerken."

"Von den 3 Schädeln sind nun Nr. 1. und Nr. 2. auf den ersten Blick von Nr. 5 zu unterscheiden: sie sind exquisit "dolichocephal" (Langschädel), "während Nr. 5 brachycephal (Kurzschädel) ist. Eine weitere Beachtung ergiebt ferner, daß die beiden erst bezeichneten Schädel jener viel verbreiteten Form angehören, welche wir selbst in unsern Crania Helvetica" " Hohbergform " 2 ), Ecker in den "Crania


1) Bekannt durch "Crania Helvetica, Sammlung schweizerischer Schädelformen, in Gemeinschaft mit Ludwig Rütimeyer bearbeitet von Wilhelm "His 1864." Dieses Werk ist nach den Messungen und Benennungen die Grundlage der hier folgenden Untersuchungen.
2) Rütimeyer und His unterscheiden in ihrem Werke über die altschweizerischen Schädel 4 Formen, welche sie "nach beliebigen Fundorten, nach dem "Vorbild der geologischen Schichten=Bezeichnungen, völlig indifferente Namen" beigelegt und nach einer "Uebersichtstafel bei Anlaß eines öffentlichen Vortrages von His zusammengestellt" kurz bestimmt haben.
1)"Sion=Form, von Sitten, Canton Wallis, dolichocephal (althelvetische Form);
2) Hohberg=Form, vom Hohberg bei Solothurn, dolichocephal (römische Form);
3) Belair=Form, von Beiair bei Lausanne, dolichocephal (burgundische Form);
4) Disentis=Form, von Disentis in Graubündten, brachycephal (Alemannische Form)"
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 141 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Germaniae merid. occid." "Reihengräberform" genannt haben. Beide Schädel zeichnen sich außer durch bedeutende Länge und Schmalheit durch das schwache Hervortreten der Scheitelhöcker und durch das pyramidenförmig abgesetzte Hinterhaupt aus. In der Ansicht von hinten zeigen beide Schädel parallele seitliche Begrenzungslinien, ja bei Nr. 1 convergiren die beiden Seitenlinien der Occipitalnonn etwas nach oben. Nr. 1 zeigt außerdem den charakteristischen Glabellenwulst unserer Hohberg=Schädel."

"Die Maaße 1 ) bestimmte ich also:

Nr. 1. Nr. 2. Mittelmaaße
unserer Hohberg=Form.
"Länge: 196 mm. 196 mm. 192 mm.
"Größte Breite: 145 " 145 " 135.8 "
"Längen=Breiten=Index: 0.745 " 0.745 " 70.7 "
"Höhe: 140 (?) (?) 140.7 "

"Obwohl Nr. 2 minder kräftige Muskellinien hat, als Nr. 1 und möglicher Weise weiblichen Ursprungs ist, während Nr. 1 unzweifelhaft von einem Manne stammt, so stimmen beide Schädel in ihren Dimensionen doch in bemerkenswerther Weise überein. Die größte Breite übersteigt bei beiden um 9 mm. das Mittelmaaß unserer Hohberg=Köpfe, die Länge um 4 mm."

"Der dritte Schädel, mit Nr. 5 bezeichnet, scheint nach dem Stand der Näthe und der Beschaffenheit der Zähne einem Jüngern Individuum angehört zu haben. Es ist ein kurzer, ziemlich hoher Schädel ( brachycephal ), in seinen Eigenthümlichkeiten unserer Disentis=Form 2 ) entsprechend, mit rasch abgeschnittenem Hinterhaupt, stark ausgeprägten Scheitelhöckern, fast senkrecht abfallender Stirn, sehr mäßigen Augenbrauen=Wulsten, fast quadratischen Augenhöhlen=Oeffnungen, ziemlich fein geschnittener Nase und völlig orthognath."


1) Die Hohbergform charakterisirt His in der "Uebersichtstafel" folgendermaßen: "Sehr langer, schmaler Schädel mit pyramidal vorspringendem, langem Hinterkopf, völlig verstrichenen Scheitelhöckern, starker Sagittalcrista, meist höher als breit, Gesicht lang, schmal, über der Nasenwurzel bilden die zusammenfließenden Augenbrauenbogen einen starken mittlern Wulst, die Augenhöhlenöffnungen sind hoch".
2) Die Disentis=Form charakterisirt His in der "Uebersichts=Tafel" folgendermaßen: "kurzer und breiter, beinahe cubischer Schädel mit senkrecht abfallendem Hinterhaupt, starken Scheitelhöckern und mäßiger Sagittalcrista; Augenbrauenbogen schwach entwickelt, Nasenwurzel weniger eingezogen".
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 142 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

"Die Maaße sind:

Mittelmaaße
unserer Disentis=Form.
"Länge: 178mm. 170.6mm.
"Größte Breite: 150 " 147.6 "
"Höhe: 151 " 139.6 "
"Längen=Breiten=Index: 0.813 " 0.865 "

"Ueber die Abstammung der Hohberg=Form , zu welcher die beiden Schädel Nr. 1 und Nr. 2 gehören, existirt bereits eine kleine Literatur. Vogt, welcher unsere "Hohberg= Köpfe" Anfangs "Apostel=Köpfe" nannte, glaubte sie den in die Schweiz eingedrungenen irischen Aposteln zuschreiben zu müssen (Vorlesungen über den Menschen, 1863, Bd. 2, S. 167). Ob er diese Behauptung nach aufrecht hält, ist mir unbekannt; sie scheint überhaupt nie ernst gemeint gewesen zu sein. Wir selbst hatten in unsern "Crania Helvetica" (S. 38) die Vermuthung aufgestellt, es sei uns in die Schweiz der Hohberg=Schädel durch die Römer 1 ) importirt worden. Hiefür sprach der Umstand, daß diese Form bei uns erst mit dem Auftreten der Römer erscheint, dann in manchen Grabstätten vorwiegend sich vorfindet, um in späterer Zeit hinter andern Formen wieder mehr zurückzutreten. Unterstützt ward ferner unsere Vermuthung durch die Form=Uebereinstimmung des bekannten Römerschädels der Blumenbachschen Sammlung, so wie durch die eines Herrn Professor Seligmann in Wien angehörigen Römerschädels


1) Rütimeyer und His sagen in den "Crania Helvetica": S. 20: "Fast alle dem Hohberg=Typus zuzählbaren Schädel haben wir aus römischen oder nachrömischen Begräbnißplätzen erhalten und dasselbe gilt auch von den Mischlingen dieser Form mit den andern." - S. 22: "Die Verbreitung der Hohbergform in der Jetztzeit scheint keine bedeutende zu sein." - S. 38: "Der Hohberg=Schädel hat, so viel wir bis jetzt wissen, eine ganz begrenzte Periode des Auftretens. Mit Sicherheit treffen wir seine Vertreter nur in der Periode, die der römischen Colonisation des Landes nachgefolgt ist. In der Fundstätte - - bei Grenchen finden wir die Form neben Disentis= und neben Sion=Köpfen, also bereits in völlig gemischter Gesellschaft. Das Zusammentreffen der neuen Schädelform mit der Beherrschung des Landes durch die Römer läßt die Vermuthung wach werden, daß die von uns nach dem Hohberg benannte Form die Form des eigentlichen Römer=Kopfes gewesen sei. Es ist zwar klar, daß nicht Alles, was während der Kaiserzeit als Römer in die Provinz gegangen war, wirklich italischen Ursprunges sein mußte. Allein - - die Vergleichung mit dem alten Blumenbachschen Römer=Schädel zu Göttingen ist so befriedigend ausgefallen als möglich" u. s. w.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 143 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

mit unsern Hohberg=Schädeln. Ferner glaubten wir in den Köpfen mancher altrömischer Münzen mit Bestimmtheit den Hohberg=Kopf wieder zu finden."

"Unsere Vermuthung ist von verschiedenen Seiten angegriffen worden, von Ecker in seinen Crania German. mer. occ. p. 86, von Bonté in Bulletins de la société d'Anthropologie de Paris, Tom. VI, von C. Vogt (Internationaler archäol. Congreß in Neuenburg). In den verschiedenen Entgegnungen wird hervorgehoben, daß in Römergräbern vielfach eine breite, flache Schädelform sich finde, die besonders durch Maggiorani beschrieben worden ist. Ich habe mich über meinen Standpunkt in dieser Frage in einem kleinen Aufsatz 1 ) im Archiv für Anthropologie, Bd. I, so wie in einer Entgegnung auf die confusen Bemerkungen von Bonté in den Bulletins de la soc. d'Anthropol. ausgesprochen, und ich finde keinen Grund, von dem dort eingenommenen Standpunkt abzugehen. Einen Römerschädel giebt es sicherlich nicht, so wenig als es einen deutschen oder einen Schweizerschädel giebt. Unter den Römern als einem notorischen Mischvolke waren sicherlich verschiedene Formen gemengt. Daß aber unter diesen Formen die Hohberg=Form eine der hauptsächlichsten war, das scheint mir nach dem bis jetzt vorliegenden Material völlig unbestreitbar. Ob diese Form in ein Land durch die Römer importirt worden sei, oder ob sie schon in römischen Zeiten von anderer Seite her in dasselbe eingedrungen sei, das kann nicht durch einen einzelnen Grabbefund, sondern nur durch eine eingehende Vergleichung sehr zahlreicher Befunde entschieden werden" 2 ).


1) Das ist die oben S. 139 Note 1 erwähnte Abhandlung.
2) Das System von Rütimeyer und His scheint auch durch den Fund von Häven auf eine glänzende Weise bestätigt zu werden, da hier ein vielfach belegter Fund vorliegt. Die exquisiten Exemplare sind auf den ersten Blick zwingend und stimmen genau zu den beschriebenen Formen. Die beiden gleichen Langschädel werden nach den übrigen Knochen Männern und nach den mitgegebenen Geräthen Römern, vielleicht aus den Grenzen des alten Reichs, angehören; der Kurzschädel gehört nach den übrigen Knochen und den Alterthümern einem jungen weiblichen Wesen, welches wohl aus einer entferntem Provinz oder einem eroberten Lande stammte. So viel ist gewiß, daß neben zwei muthmaßlichen Römerschädeln ein ganz fremdartiger Schädel lag.          G. C. F. Lisch.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 144 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

"Was die Abstammung 1 ) der ( brachycephalen ) Distensis=Form , Schädel Nr. 5 , betrifft, so sind darüber die Untersuchungen kaum begonnen, geschweige denn geschlossen. Allem Anscheine nach reicht diese Form wenigstens in Süddeutschland über die römische Zeit zurück." Basel, den 6. Juni 1869. W. His.

Dies ist die eingehende Beurtheilung der drei Schädel durch den scharf und umsichtig blickenden Forscher und Fachmann. Und in der That sind die hervorgehobenen Kennzeichen der verschiedenen Formen im Allgemeinen selbst für einen gebildeten Laien auf den ersten Blick erkennbar und überraschend. Die beiden ersten Schädel Nr. 1 und Nr. 2 sind sehr ausgebildete, einander ganz gleiche Langschädel ("dolichocephal"), während Nr. 5 ein scharf ausgebildeter Kurzschädel ("brachycephal") ist, der in jeder Hinsicht von den beiden andern abweicht. Und hiermit scheinen auch die mitgegebenen Alterthümer übereinzustimmen. Von dem Schädel Nr. 1 meint His daß er "unzweifelhaft von einem Manne" stammt, von dem Schädel Nr. 2 aber, daß er möglicher Weise weiblichen Ursprungs sein könne. Die Alterthümer=Mitgaben der Gräber Nr. 1, 2 und 3 mit den "dolichocephalen" Schädeln der "römischen Hohberg=Form" und den langen Gliedern deuten aber alle auf männliche Leichen. Das Grab Nr. 4 mag einem Sklaven angehören, da ihm nichts mit ins Grab gegeben ist. Die Gräber Nr. 5 und Nr. 6 werden aber nach dem sicher dabei gefundenen reichlichen weiblichen Schmuck weiblichen


1) Rütimeyer und His sagen in den Crania Helvetica S. 28 flgd. hierüber Folgendes: "Wenn die bisher betrachteten drei Schädelformen in früher vergangenen Perioden eine ausgedehntere Verbreitung in unserm Lande gefunden haben mögen, so tritt in der Gegenwart der Disentis=Typus beträchtlich in den Vordergrund - - Eine Sonderstellung hat man in neuerer Zeit geglaubt der Schädelform Graubündtens zuweisen zu müssen und ein allerdings auffällig gebauter Schädel unserer Sammlung hat Retzius veranlaßt, die Rhätier neben Basken und Finnen als Rest einer brachycephalen Urbevölkerung Europas hinzustellen. - - Auch v. Baer glaubt, den Rhätier=Schädel als Typus der Urbevölkerung aufrecht erhalten zu müssen und zwischen ihm und dem Etrusker=Schädel gewisse Beziehungen erkennen zu können - - Ob die Disentis=Form in ganz Graubündten die vorherrschende und ob sie diejenige der alten von den Römern unterjochten Rhätier gewesen sei, das vermögen wir bis jetzt nicht zu sagen; es wird die Beantwortung dieser Frage eine besondere Aufgabe bilden müssen So viel aber ist gewiß, daß alle die Schädel, die man bis dahin als specifische Rhätier angesehen und beschrieben hat, derselben an Form angehören, die über die ganze Schweiz verbreitet vorkommt." - (In der Saalburg stand lange Zeit die 2 Cohorte der Rhätier. G. C. F. Lisch.)
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 145 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Leichen gehört haben. Und von diesen hatte die Leiche Nr. 5 einen auffallend klar ausgebildeten Kurzschädel der "brachycephalen alemannischen Disentis=Form", die Leiche Nr. 6 aber einen nicht sehr bestimmt ausgeprägten, leider zerbrochenen Langschädel. Der unschöne Kurzschädel Nr. 4 wird einem Sklaven aus fernen Landen angehört haben.

Es ist daher, um dem Leitfaden der Archäologie zu folgen, ziemlich wahrscheinlich, daß die Schädel in den Gräbern Nr. 1, 2 und 3 Männern aus dem alten, italischen Römerreiche gehörten, die Schädel in den Gräbern Nr. 5 und 6 aber Schädel von Weibern der "alemannischen "Disentis=Form" aus Rhätien oder Graubündten waren. Es werden in Häven also römische Männer mit aus alemannischen oder andern Provinzen stammenden Frauen begraben 1 ) sein.


Vergleichung und Zeitbestimmung.

Diese meine Ansicht, daß die Gräber von Häven die Gräber einer kleinen römischen Handels=Niederlassung oder Wandercolonie seien, habe ich hinterher durch eine merkwürdige, überraschende Entdeckung, wie ich hoffe, vollständig erläutert und bestätigt gefunden, über welche ich etwas weiter auszuholen mich veranlaßt sehe, da sie von der allergrößten Wichtigkeit für die alte Bildungsgeschichte des Nordens werden kann. Hoch berühmt und außerordentlich merkwürdig sind die zahlreichen römischen Alterthümer, welche bei dem Dorfe Heddernheim an der Nidda, zwischen Frankfurt a/M. und Homburg v. d. H. ausgegraben und theils weit zerstreut, zum größten Theile aber für das Alterthums=Museum zu Wiesbaden erworben sind. Hier


1) Vielleicht kann die Bestattungsweise auch noch einen schwachen Anhaltspunct geben. Alle 6 Leichen waren gleich tief, und, wie es scheint, auf gleiche Weise in ebener Erde begraben und es war in der Bestattungsweise kein wesentlicher Unterschied zu bemerken. Aber in den 3 ersten Gräbern, welche wahrscheinlich Männer mit dolichocephalen Schädeln enthielten, waren die Leichen in der Tiefe mit Steinen zugedeckt, während in den 3 letzten Gräbern, welche wahrscheinlich Frauen mit brachycephalen Schädeln enthielten, die Leichen mit bloßer Erde bedeckt waren.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 146 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

findet man aus Heddernheim einen großen Reichthum an kleinen Alterthümern, an Inschriften und Altären, unter denen derberühmte, große und schöne Mithras=Altar ein unschätzbares Alterthums=Kleinod ist, besonders aber eine große Fülle von Gefäßen aller Art, von denen der massenhafte Reichthum der wohl erhaltenen gläsernen Gefäße aller Art wahrhaft Staunen erregend ist und wohl kaum seines gleichen findet. Weniger bedeutend und verhältnißmäßig schwach vertreten sind dagegen in diesem Museum von Heddernheim die bronzenen Gefäße.

Um diesen Heddernheimer Schatz näher zu untersuchen, war ich am 10. Mai 1869 im Museum zu Wiesbaden. Ich sah alle Nachrichten über die Ausgrabungen vollkommen bestätigt. Ich fand von Heddernheim einen schönen Bronze=Krater (Kessel), welcher dort 1840 in einer "verschütteten Cisterne" 1 ) gefunden ist, auch einige wenige Kellen und Siebe, ferner Schnallen, Glasperlen, Bernsteinperlen, - alles durchaus den bei Häven gefundenen Gegenständen völlig gleich 2 ). Nachdem ich einen allgemeinen Ueberblick gewonnen hatte, wandte ich mich zur eingehenden Untersuchung dieser nicht zahlreichen Bronzen und brachte den Bronze=Krater näher ans Licht. Groß war allerdings mein Erstaunen und meine Ueberraschung, als ich sah, daß dieser Krater von Heddernheim dem oben unter Nr. 1 beschriebenen und auf der Steindrucktafel I, Fig. 1 abgebildeten gravirten Bronze=Krater von Häven völlig gleich und ein "Gegenstück" dazu ist. Gestalt, Größe und Arbeit sind durchaus gleich, eben so der Rost. Der Rand=Durchmesser des Kraters von Heddernheim beträgt nach der vom Herrn Dr. Kekulé in meiner Gegenwart vorgenommenen Messung gerade 20 Centimetres. Genau denselben Durchmesser hat auch der gravirte Krater von Häven. Beide werden also über dieselbe Form gegossen sein.


1) Nach des jetzigen Museums=Conservators Herrn Dr. Kekulé zu Wiesbaden Mittheilung ist "dieser Krater laut Etikette im J. 1840" und zwar der Tradition zufolge in einem "Brunnen" gefunden. Nach der Versicherung des Herrn Staats=Archivars Dr. Rossel, jetzt zu Idstein, früher auch Conservator am Museum zu Wiesbaden, welcher den Fund und die Entdeckung desselben kennt, ist der Krater vielmehr in einer "verschütteten Cisterne" gefunden. Diese Nachricht bestimmt die Auffindungsweise etwas schärfer.
2) Merkwürdiger Weise fehlen die bronzenen Scheren im Museum zu Wiesbaden ganz. Dagegen sind dort die eisernen Scheren aus der fränkischen und merovingischen Zeit nicht selten.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 147 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Um ganz sicher zu gehen, schickte mir der Herr Bau=Conducteur Luckow zu Schwerin eine Zeichnung des ganzen Verzierungsstreifens, in natürlicher Größe, den ich dem Herrn Conservator Dr. Kekulé zu Wiesbaden zur genauen Vergleichung übersandte, namentlich um zu ermitteln, ob beide Gefäße über eine und dieselbe modellirte Form gegossen sind, oder ob sie Verschiedenheiten im Einzelnen zeigen, also jedes für sich gearbeitet ist. Nach Herrn Dr. Kekulé's genauer Vergleichung und Beschreibung in Grundlage der Zeichnung sind beide Gefäße nicht nach derselben Zeichnung verziert, sondern zeigen allerdings Verschiedenheiten im Einzelnen. Herr Dr. Kekulé berichtet nun: "Die beiden einfassenden Ornamentstreifen oben mit dem Eierstab und unten mit dem Seil sind gleich. In dem mittleren Hauptstreifen sind die Figuren aber nur zum Theil gleich und in anderer Anordnung. Die auf Delphinen reitenden Eroten und die diesen zunächst stehenden Tritonen oder "Meerwunder" (mit dem Elens= und dem Wildschweinskopfe) sind gleich, stehen aber an andern Stellen. Dagegen sind die je zwei Tritonen zwischen den Gruppen mit den Eroten auf dem Heddernheimer Krater nicht vorhanden", sondern die Gruppen mit den Eroten wiederholen sich, so daß 4 Eroten vorhanden sind. Herr Dr. Kekulé schließt mit dem Urtheil: "Das Ganze macht durchaus ähnlichen oder gleichen Eindruck in Art und Zeichnung". Auffallend an dem Krater von Häven ist die ärmliche Ausstattung des (Eimer =)Henkels. Dieser mag aber jüngern Ursprungs sein, denn die andern Krateren von Häven haben rund und voll gegossene, mit Querstreifen verzierte Henkel. Dem Krater von Heddernheim fehlt auch der Henkel; aber neben demselben wird ein runder Henkel aufbewahrt, welcher den übrigen Henkeln von Häven ganz gleich ist und wahrscheinlich zu dem Krater gehört. Eine Abbildung des Heddernheimer Kraters an dieser Stelle ist nicht nöthig, da beide Stücke, wie ich fest versichern kann, in ihrer Erscheinung im Ganzen völlig gleich sind.

Es ist nun nicht anders denkbar, als daß beide Stücke von demselben Künstler 1 ), aus derselben Werkstätte, aus denselben Waarenhandel, aus derselben Zeit herstammen, daß beide jedoch mit selbstständiger künstlerischer Freiheit, nicht fabrikmäßig über eine und dieselbe Form ge=


1) Daß in Heddernheim auch viel Kunstgeschicklichkeit herrschte, beweist der außerordentlich schöne, berühmte Mithras=Altar.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 148 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

arbeitet sind. Bestätigend ist der Umstand, daß grade auch die Kellen und Siebe, die Schnallen und Glasperlen, vorzüglich die scheibenförmigen Knöpfe aus Bernstein von Heddernheim mit denselben Gegenständen von Häven übereinstimmen.

In Heddernheim werden wir also für eine gewisse Zeit den Ausgangspunct der römischen Cultur für den Norden suchen müssen. Daß aber alle im Norden gefundenen Alterthümer römischer Arbeit in Heddernheim gemacht wurden, läßt sich nicht nachweisen oder wahrscheinlich machen. Heddernheim mag vielmehr eine Kaufstadt gewesen sein, welche ihre Waaren von Mainz oder weiter her bezog 1 ). Die Bedeutung dieses Punctes veranlaßt mich, eine kurze Untersuchung über diese große römische Niederlassung zu geben 2 ), um so mehr, da übersichtliche Darstellungen noch nicht vorhanden zu sein scheinen.

Als die Römer am Rhein entlang in das Herz Deutschlands vorzudringen strebten, scheint die fruchtbare südliche Tiefebene Nassaus (das "Taunus=Land" oder der "Rheingau"), das Land der Mattiaker, noch mit Wald bedeckt gewesen zu sein, wie noch heute die ganze Gebirgshöhe des Taunus. Erst als Drusus das Castell Mainz gegenüber (Castellum Drusi), noch heute Castel genannt, errichtet und dadurch die Stadt Mainz (Mogontiacum, Civitas Mattiacorum) und die dabei angelegte Brücke über den Main gesichert hatte, begann man, nach und nach eine befestigte militairische Vertheidigungslinie auf dem Kamme des Taunus gegen die Einfälle der nördlich davon wohnenden Germanen, namentlich der wilden Chatten, aufzuführen und die Grenze des eigentlichen römischen Reiches gegen Norden hin festzustellen 3 ).


1) Zu derselben Ansicht ist auch der gelehrte Dr. Friedrich Rolle zu Homburg v. d. H. in Veranlassung der Hävenschen Entdeckung gekommen; vgl. dessen "Neue Aufschlüsse über Handel und Gewerbe am Taunus zur Zeit der römischen Herrschaft", im "Taunusboten", Homburg, 1869, Nr. 38, Junii 27.
2) Dankbar erkenne ich hiebei den Rath und die Unterstützung meines verehrten Freundes und Collegen des Staats=Archivars Dr. Rossel, jetzt zu Idstein, welcher früher auch Conservator des Museums zu Wiesbaden war und oft selbst zu Heddernheim gegraben hat. Dankend muß ich auch die Gefälligkeit des Herrn Stadtbibliothekars Hamel zu Homburg v. d. H. rühmen, welcher mir die nöthige, oft weit zerstreute Literatur herbeischaffte.
3) "Erst vom J. 70 n. Chr. erscheint die Wichtigkeit von Mainz als "römisches Standquartier sich zu datiren." Vgl. Schierenberg, Die Römer im Cheruskerlande, Frankfurt a. M., 1862, S. 8.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 149 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Dies ist der seit langen Zeiten bekannte, berühmte Pfahlgraben oder der "römische Grenzwall" ("Limes Imperii Romani") 1 ). Dies ist ein großer Wall, von beiden Seiten, namentlich an der Außenseite, mit Gräben versehen, welcher auf der Höhe mit Pallisaden und in Zwischenräumen mit kleinen Castellen oder Wachhäusern verschanzt war. Der Pfahlgraben läuft vom Rhein her von Ems über den ganzen Kamm und die Höhen des Taunus=Gebirges, so daß er immer den Nordabfall des Gebirges beherrscht, gegen Osten hin in die fruchtbare Ebene der Wetterau und läßt sich noch heute sehr wohl erkennen, auch sogar nach Bayern hinein bis an die Donau verfolgen. In der Mitte des Taunus auf der Höhe am Pfahlgraben liegt nun die Saalburg 2 ), das Haupt=Castell in der nördlichen Römergrenze, als Schlüssel zum germanischen Gebiete von hoher Bedeutung. Die Saalburg liegt 1304 Fuß hoch, 1 Meile nördlich von Homburg 3 ) vor der Höhe, auf einer weit hin erkennbaren Einsattelung des Gebirges an der noch jetzt gebräuchlichen Straße, der Hauptstraße von Homburg nach Usingen und weiter nach Weilburg, an dem von Mainz und der Taunus=Ebene her allein zugänglichen Uebergangspuncte über den Taunus; die Lage des Castells ist mit großer Ortskenntniß gewählt. Man darf dieses Castell mit größter Wahrscheinlichkeit als das von Drusus (im J. 9 n. Chr.) erbauete und nach der Niederlage des Varus wieder zerstörte Castell ansehen, welches Germanicus (im J. 15 n. Chr.) bei seinem Feldzuge gegen die Chatten auf dem Berge Taunus wieder herstellte (Tac. Ann. I, 56), das Arctaunum des Ptolomäus. Dieses römische Castell der Saalburg hat seitdem so lange bestanden, als hier die römische Herrschaft von Bestand war. Jedoch hat sich bei den Untersuchungen eine fünfmalige, vielleicht in kürzeren Zeiträumen statt gehabte Zerstörung


1) Vgl. auch die Gauen des Taunus und ihre Denkmäler von Professor Dr. Lehne, in den Annalen des Vereins für Nassauische Alterthümer etc. ., Bd.I, 1830, S. 5, 9, 11 flgd.
2) Vgl. "Die Saalburg bei Homburg", von Dr. Jos. v. Hefner, nach handschriftlichen Bemerkungen erschienen zu Homburg im Novbr. 1857, 6 Seiten und 1 Grundplan.
3) Am 21. Mai 1869 war ich zum dritten Male auf der Saalburg, und zwar in der lehrreichen Begleitung des kundigen Staats=Archivars Dr. Rossel aus Idstein, welcher an der Entdeckung und Aufgrabung der römischen Alterthümer im Taunus=Lande vielfach Theil genommen hat.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 150 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

des Castells erkennen lassen. In der Saalburg standen 1 ), mit den Hauptsitzen in Mainz, bis in das 3. Jahrh. n. Chr. die 22. Legion ("Legio XXII primigema pia fidelis"), nach der Eroberung von Britannien neu errichtet und seit dem J. 60 zum Schutze der Rhein= und Taunuslinie bestimmt, und die 8. Legion ("Legio VIII Augusta"), von Vespasian aus Mösien um das J. 70 eben dahin berufen; ferner standen hier lange Zeit die 2 Cohorte der Rhätier ("Cohors II Raetorum") und die 4 Cohorte der Vindeliker ("Cohors IV Vindelicorum"), rüstige Gebirgsleute, im Bauen geschickt, wie noch heute, auch die 1 Cohorte der Damascener ("Cohors I Flavia Damascenorum"). "Wenige Cohorten haben so viele Denkmale ihrer Bauthätigkeit am ganzen Taunus entlang hinterlassen, als die 4 Cohorte der Vindeliker." Uebrigens sind in dem Nassauer und Homburger Lande zahllose Ziegel 2 ) mit den Stempeln der genannten Legionen und Cohorten aufgefunden und theils weit verbreitet, vielleicht auch verbraucht, theils in den Museen massenhaft aufgespeichert 3 ).

Der Pfahlgraben und die Saalburg waren zwar schon seit langer Zeit bekannt, aber wenig gewürdigt. Die Saalburg lag früher unbeachtet entfernt vom Wege im dichten Walde, mit Wald bestanden. Man benutzte die Steine viel zu Neubauten, wie in Heddernheim; die Ruinen sollen in frühern Zeiten beträchtlich höher gewesen sein. Noch in neuern Zeiten sind viele Steine zu Neubauten abgefahren, namentlich wohl auch zum Bau der Chaussee nach Usingen, welche jetzt dicht an der Saalburg vorüberführt 4 ). Erst in


1) Vgl. auch: Ein Militair=Diplom Kaiser Trajans im Römercastell zu Wiesbaden. Von Dr. K. Rossel, Bibliothek=Secretair und Conservator zu Wiesbaden. Wiesbaden, 1858, S. 45-62.
2) Die auf der Saalburg gefundenen Münzen, meist silberne, sind von Commodus (180-192) und Septimius Severus (193-211).
3) Noch heute liegen viele dieser Ziegel in den Ruinen der Saalburg und die Umgebungen weit umher werden sicher noch sehr viele ähnliche und andere Alterthümer bergen.
4) Die hier kurz als Resultate vorgetragenen Ansichten über das Taunusland und die einzelnen Oertlichkeiten sind wohl die am meisten verbreiteten und begründeten. Andere, z. B. Schierenberg, in seinem angeführten Buche: Die Römer im Cheruskerlande, verlegen den ganzen Schauplatz der Kämpfe der Römer und Germanen, und den Taunus, weit nördlich nach Westphalen hinein, in die Gegend von Paderborn. Freilich ist der Name Taunus (früher und noch jetzt die "Höhe") für einen bestimmten Gebirgszug sehr jung; aber die Alterthümer scheinen doch dafür zu sprechen, daß das jetzt sogenannte Taunus=Gebirge der Taunus der Römer ist.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 151 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

den neuesten Zeiten ward durch die überaus freigebige und bedeutende Unterstützung des Landgrafen Ferdinand von Hessen=Homburg vor ungefähr 20 Jahren eine planmäßige Aufgrabung und Aufräumung der Saalburg veranstaltet, welche der um die Saalburg hochverdiente Archivar Habel zu Schierstein mehrere Jahre hindurch leitete. Zugleich ward bei der Saalburg ein Försterhaus zur Ueberwachung und zu einer Gastwirthschaft für Besucher erbauet, welches einen der angenehmsten Puncte der Gegend bildet. Durch die Aufgrabungen wurden die Fundamente des Castells vollständig und klar bloß gelegt, wie sie noch heute ganz frei liegen. Auch wurden, rechts am Wege nach Usingen, vor der Saalburg, neben dem Försterhause an 50 Gräber in der Nähe aufgedeckt, welche alle Leichenbrand zeigten 1 ). Das Castell selbst ist 704 rheinländ. Fuß lang und 465 Fuß breit und mag zur Zeit immer ungefähr 2 Cohorten gefaßt haben. Neben dem Castell haben sich auch Ueberreste von bürgerlichen Ansiedelungen für Veteranen von sehr großer Ausdehnung gefunden. Alterthümer haben sich in bedeutender Menge gefunden; sie wurden früher im Schlosse zu Homburg aufbewahrt, sind aber seit 1866 nach Darmstadt gebracht, was allerdings zu bedauern ist, da sie in Homburg in der Nähe der Saalburg größere Dienste leisten dürften, als in weiterer Entfernung.

Zu gleicher Zeit wurden die Forschungen zur Wiederauffindung des "Pfahlgrabens" von vielen Seiten her sehr lebhaft betrieben.

Von der Saalburg ging eine große, 10 bis 20 Fuß breite, römische Kunststraße in der graden Richtung durch die Ebene nach Frankfurt hin, nahe bei Homburg vorbei, nach dem nahen Heddernheim, jedenfalls auch nach Mainz, von der sich an mehreren Stellen, namentlich im Walde unmittelbar vor der Saalburg, noch Ueberreste finden.

Eine Meile rückwärts von der Saalburg, in der fruchtbaren Ebene auf der letzten Felskuppe, steht das Schloß Homburg mit dem alten, kleinen Städtchen. Es ist wahrscheinlich, daß der Ort ebenfalls ein römischer Sitz war,


1) Es liegen hier in dem Walde noch heute sehr zahlreiche Gruppen und Reihen von Gräbern, welche noch nicht berührt sind. Eines der aufgedeckten Gräber, welches noch vollständig erhalten und noch nicht berührt ist, ist in Einfassung und unter Verschluß gebracht, um Forschern die an dieser Stelle üblich gewesene Bestattungsweise zeigen zu können.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 152 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wenn sich auch nichts dafür zum Beweise anführen läßt, da die Saalburg doch von der Fruchtebene aus verproviantirt werden mußte. Auch die Salzbrunnen, welche seit ungefähr 1835 bekanntlich als Heilbrunnen gebraucht werden, mögen Veranlassung zu einer uralten Ansiedelung 1 ) gewesen sein. Die Nachrichten über diese Salzquellen reichen bis zum J. 817 unter Kaiser Ludwig I. zurück, wo sie als zur Feldmark Stedti (Oberstedten und Niederstedten bei Homburg) im Nidda=Gau gehörende Brunnen 1 ) aufgeführt werden ("cum fonte ad salem faciendum") 2 ). Aber erst seit 1622 ward der Salzbrunnen gefaßt und ein Salinenwerk dabei angelegt, welches nach völliger Zerstörung durch den dreißigjährigen Krieg im J. 1666 3 ) wieder aufgerichtet, jedoch nach mehrfachen Unterbrechungen und fehlgeschlagenen Untersuchungen wegen der Schwäche der Soole im J. 1740 4 ) ganz aufgegeben 5 ) ward.

Die römische Kunstheerstraße von Heddernheim nach der Saalburg ging dicht bei Homburg und den ganz nahe bei Homburg liegenden Dörfern Dornholzhausen und Kirdorf, der ältesten christlichen Ansiedelung in dieser Gegend, vorüber. Südöstlich von Homburg durchschnitt die Eisenbahn von Homburg nach Frankfurt bei dem ersten Wärterhäuschen die Römerstraße; der Besitzer des Feldes, Herr Ruppel zu Homburg, hat mir mitgetheilt, daß er diese Straßenstrecke auf der Länge seines Feldes erst im J. 1868 habe ausbrechen lassen, um das Feld urbar zu machen. Die Straße war mit größern "Kopfsteinen" gepflastert und mit Kies und Grand beschüttet. Nordwestlich von Homburg durchschnitt die Römerstraße bei dem dicht bei Homburg stehenden "Alleehause" an der großen "Pappelallee" nach dem nahen Dorn=


1) Bei der Fassung des "Stahlbrunnens", nahe bei den alten Salzbrunnen, ist in neuern Zeiten gegen 10 Fuß tief ein schönes römisches Thongefäß gefunden. Auch am "Wingertsberg" in der Nähe der Brunnen sind römische Ziegel beobachtet.
1) Bei der Fassung des "Stahlbrunnens", nahe bei den alten Salzbrunnen, ist in neuern Zeiten gegen 10 Fuß tief ein schönes römisches Thongefäß gefunden. Auch am "Wingertsberg" in der Nähe der Brunnen sind römische Ziegel beobachtet.
2) Vgl. Dr. Rolle Uebersicht der geognostischen Verhältnisse von Homburg v. d. H. und der Umgegend, S. 27, aus den Beilagen zum Amts= und Intelligenz=Blatt für das Amt Homburg. Der kundigen und gelehrten Führung des Herrn Dr. Rolle zu Homburg verdanke ich manche schätzbare Aufklärung und literarische Unterstützung.
3) Nach einer Inschrift in Holz, welche bei der Aufräumung des jetzigen "Kaiserbrunnens" gefunden ist, auf der Homburger Stadt=Bibliothek.
4) Vgl. Rolle a. a. O. und Dr. Pauli: Homburg und seine Heilquellen, 2. Auflage, 1844, S. 137 flgd.
5) Der letzte Salzbrunnen ist noch heute an einer umzäunten Stelle neben einem uralten, mächtigen Weidenstumpf in unmittelbarer Nähe des "Ludwigsbrunnens" erkennbar.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 153 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

holzhausen hin die jetzige Chaussee, wie mir Herr Dr. Rossel und kundige Homburger versichert haben. Bei Kirdorf an dem "Rabenstein" und dem Ende des "Burggrabens" und "Burgfeldes" wurden 1868 und 1869 römische Fundamente ausgebrochen, deren letzte Reste ich 1869 noch selbst gesehen habe. Ueberhaupt aber ließen sich früher die alten Römerstraßen durch die Taunus=Ebene noch an vielen Stellen verfolgen.

Noch eine Meile weiter rückwärts gegen Süden gegen Frankfurt a/M. hin liegt in der großen Fruchtebene an der Nidda, welche östlich und südöstlich das Taunusland begrenzt und bei Höchst bei Frankfurt a/M. mündet, das Dorf Heddernheim, wo sich die berühmten, merkwürdigen römischen Ruinen 1 ) fanden. Nach der festen Besetzung von Mainz und der Saalburg mußte irgend eine Sicherung der Niddalinie 2 ) gegen die Wetterau hin eine Hauptsorge der Römer sein, da von dieser so leicht zugänglichen Seite ihre Flanke bloß gestellt und die Hauptfeste Mainz eben so leicht angreifbar war. Aber erst, nachdem der Kaiser Trajan (98-117) das "ehemalige, vom Kaiser Claudius verlassene "Occupations=System wieder annahm, dachte er an die Linie "Nidda" und deren Sicherung und Ausbildung, und unter dem Kaiser Hadrian (117-138) mögen die ersten Anfänge zur Ausführung dieses Gedankens gemacht sein. Jedoch liegen keine Spuren einer so frühen Colonisirung vor und man ist zur Annahme der Colonisirung unter Hadrian nur durch den Namen Heddernheim oder Hädernheim veranlaßt, welchen man durch Hadrians=heim früher fast allgemein erklären zu müssen glaubte. Aber diese Annahme wird durch keine Entdeckung unterstützt und ist bis jetzt nur eine "unsichere Vermuthung". Die Colonie wird aber erst seit dieser Zeit gegründet sein, da sich zu Heddernheim außer dem erwähnten berühmten Mithras=Altar noch mehrere kleinere Mithras=Denkmäler gefunden haben und der Mi=


1) Vgl. vorzüglich: "Die römischen Ruinen bei Heddernheim", von F. G. Habel in Schierstein, in den Annalen des Vereins für Nassauische Alterthumskunde und Geschichtsforschung, Bd. I, Wiesbaden, 1830, S. 45 flgd.
2) "Spuren von römischen Niederlassungen auf der linken Mainseite, Frankfurt gegenüber, sind nicht bekannt, und wenn auch römische Gegenstände gefunden werden, so kamen solche durch den nahen Verkehr in die Hände der Alemannen, sie sind mithin kein Beweis von römischen Niederlassungen." Dr. Römer=Büchner Beiträge zur Geschichte der Stadt Frankfurt a. M., 1853, S. 13.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 154 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

thras=Dienst 1 ) erst unter Trajan im J. 101 n. Chr. in Rom eingeführt ward.

"Keine Stelle der ganzen Gegend mochte sich mehr zur Anlegung eines befestigten Vorpostens eignen, als eben diese, auf einer sanften Anhöhe in der Ebene am Flusse liegende, von keinem nähern Berge beherrschte Stelle", welche doch weit umher einen freien Ueberblick gewährt.

"Der jetzige Ort Heddernheim selbst enthält keine Spuren römischer Ueberreste. Dagegen gelangt man 500 Schritte westlich von diesem Dorfe auf dem nach dem nahen Praunheim führenden Vicinalwege" zu einem großen, ringsum abgegrabenen, erhöheten Felde, welches die Landleute das Heidenfeld 2 ) nennen. Es ist ein unregelmäßiges trapezoidisches Viereck, 1200 Schritte lang und 5 bis 700 Schritte breit, und hat einen Flächeninhalt von beinahe 300 Morgen. Wenn auch die Anlage sehr bedeutend war, so war sie doch kein Castell, vielmehr eine bürgerliche Niederlassung, eine Stadt, welche allerdings gegen den ersten Angriff der drohenden Nachbarschaft befestigt war. "Es war eine "Militaircolonie", eine bestigte Municipal=Stadt ("civitas Taunensium"), welche einer großen Masse alter Soldaten, die nach Vollendung ihrer stürmischen Dienstjahre dem bürgerlichen Leben zurückgegeben wurden, Wohnung und Unterhalt gab." Für diese Ansicht zeugt auch der römische Name des Ortes, welcher nach mehrern in den Ruinen gefundenen Steininschriften 3 ) Novus vivus (= Neuheim, Neustadt oder Neuweiler) hieß und offenbar auf eine "bürgerliche Niederlassung hinweiset". Eine bedeutende, vielfach wichtige Inschrift vom J. 230 beginnt:

"In honorem domus divinae. Genium plateae Novi Vici cum aedicula et ara Titi Flavii Sanctinus, miles legionis vicesimae secundae primigeniae Aleyandrinae piae fidens, etc.


1) Vgl. , "Der Mithras=Tempel in den römischen Ruinen bei Heddernheim", von F. G. Habel, in den Annalen, Bd. I, Heft 2 und 3, 1830, S. 161 flgd.
2) Urkunden von 1452 und 1460 geben dem Trümmerfelde den Namen "Heddernburg"; vgl. Mittheilungen des Vereins zu Frankfurt nach Becker im Neujahrsblatt 1868.
3) Vgl. Inscriptiones ducatus Nassoviensis latinae (von Klein und Becker) in den Annalen des Vereins für Nassauische Alterthumskunde etc. ., Bd. IV, Heft 3, Wiesbaden, 1855, p. 485 flgd. (auch im Separat=Abdruck von p. 1 an). Vgl. auch die deutsche Abhandlung: Römische Inschriften in Nassau, von Klein, in Annalen etc. ., Bd. IV, Heft 2, S. 291 flgd.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 155 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Wahrscheinlich ist die Colonie auf einmal entstanden, um genug Mannschaft gegen Ueberfall beisammen zu haben, und aus demselben Grunde vernothwendigte sich auch die baldige Anlegung einer festen Stadtmauer 1 ). Von der Stadtmauer waren früher noch Spuren in den Fundamenten vorhanden. Noch heute läuft ringsherum ein Fahrweg, der in den ältesten Flurbüchern der "Mauerweg" genannt wird.

Dieses "Heidenfeld" ist seit Jahrhunderten in der Gegend bekannt und die "ganze Oberfläche war mit Trümmern zerstörter Gebäude und Gefäße bedeckt. Seit Jahrhunderten dienten diese ausgedehnten Ruinen dem Landmanne als Steinbruch für sein Baubedürfniß; alles Mauerwerk, welches man an Gebäuden in Heddernheim, Praunheim und den Wegen der nächsten Ortschaften wahrnimmt, kommt aus diesem Felde." - Es ist beobachtet, daß die Germanen, als sie siegten, Alles mit unbeschreiblicher Wuth zertrümmert haben müssen.

Gleich nach der Stiftung des Vereins für nassauische Geschichte und Alterthumskunde im Jahre 1823, in Folge dessen das Museum im Jahre 1824 gegründet ward, beschloß der Verein, genaue Untersuchungen an Ort und Stelle vornehmen zu lassen und beauftragte damit den verstorbenen Archivar Habel 2 ), welcher das größte Verdienst um diese Forschung und Sammlung hat: das Heidenfeld ist die wichtigste Fundgrube für das Museum geblieben. Seitdem ist viele Jahre lang gegraben und durch Schenkung und Kauf der reiche Schatz erworben, welcher das Museum zu Wiesbaden ziert.

Ueber die Bedeutung des noch nicht sehr bekannten Ortes Heddernheim (Novus Vicus) giebt es wohl noch keine übersichtlich gehaltene, scharf bestimmende Beurtheilung. Die vorstehende Schilderung habe ich sehr mühsam aus sehr vielen zerstreuten Mittheilungen entwerfen müssen. Erst nach Vollendung derselben kommt mir nun die klar und bündig aufgefaßte Schilderung 3 ) vom Professor J. Becker zu Frankfurt a/M. in die Hände, welche ich wegen ihrer Klarheit und


1) In einer Grenzregulirungs=Urkunde vom J. 1610 werden die "Heddernheimer Burgmauern" erwähnt. Vgl. Becker im Frankfurter Neujahrs=Blatt, 1868, S. 5 Note 1.
2) Vgl. Habel in den angeführten Annalen etc. ., S. 48 flgd.
3) Vgl. J. Becker Grabschrift eines Römischen Panzerritter=Officiers aus Rödelheim, Neujahrs=Blatt des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a/M., 1868, S. 5.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 156 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Auctorität hier noch mitzutheilen nicht unterlassen kann. "In dem weiten, reich gesegneten Tiefgrunde, welcher, von der Nidda durchzogen, von den Abhängen des obern Taunus zum Maine sich hinabsenkt, ist bis jetzt kein Ort aufgefunden worden, welcher als Fundstätte von Alterthümern aus römischer Zeit irgend wie mit dem schon lange her und immer noch ergiebigen Trümmerfelde zwischen den Dörfern Heddernheim und Praunheim, eine Wegstunde nordwestlich von Frankfurt a/M., verglichen werden könnte. Die große Menge, reiche Mannigfaltigkeit und nicht zu unterschätzende Bedeutung der auf jener Stätte des einstigen Novus Vicus zu Tage geförderten Denkmäler giebt ein so vollwichtiges Zeugniß von der ehemaligen Blüthe dieses Mittelpunktes des Taunensischen Gemeinwesens (civitas Taunensium), daß alle übrigen Spuren Römischen Anbaues, welche sich der Nidda entlang und weiterhin zwischen ihr und dem Maine verfolgen lassen, nur so zu sagen als Reste vereinzelter Ausläufer des Hauptortes selbst in der Gestalt von kleinen Dörfern (vici) und Gehöften, Landhäusern. Fabrikanlagen. Töpfereien u. a. m. gedacht werden können. Diese Annahme ist sicherlich um so begründeter, als einerseits die ganze Dürftigkeit jener Spuren römischen Anbaues, andererseits die Auffindung zur Seite der nach dem Novus Vicus und weiter nach dem Castelle und der Niederlassung am römischen Grenzwalle (Saalburg) ziehenden Straßen diese untergeordnete Bedeutung bis jetzt wenigstens unverkennbar beurkunden."

Am 15. Mai 1869 besuchte ich Heddernheim. Jetzt ist nicht die geringste Spur von Trümmern auf dem Heidenfelde mehr übrig. Zwar läßt sich das ganze erhöhete, mit einer Obstbaumreihe eingefaßte Plateau der ehemaligen römischen Stadt mit dem noch vorhandenen "Mauerweg" umher noch klar erkennen; aber die ganze Oberfläche ist geebnet, gereinigt und bis auf den äußersten Rand als Ackerland mit Feldfrüchten besetzt. Mitunter werden in der Tiefe, wo noch viel Schutt liegt, von den einzelnen Grundbesitzern bei Grabungen "im Winter" noch einzelne Alterthümer gefunden, welche aber gewöhnlich unter der Hand an Liebhaber verschwinden.

Die Zeit der Anlage der Colonie 1 ) ist, wie gesagt, nicht zu ergründen; aber die Blütezeit derselben wird in


1) "Der Kaiser Caracalla (211-217) gab allen denjenigen, welche sich in den römischen Reichsgrenzen befanden, wozu also auch das (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 157 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die Zeit der Kaiser Alexander Severus (222-235) 1 ) und Maximinus (235-238) fallen. Die meisten zu Heddernheim gefundenen Inschriftsteine 2 ), welche sich datiren lassen, fallen in diese Zeit, z. B. in die Jahre 229, 230 n. Chr. Ein sicheres Zeichen, daß sie noch unter der kurzen Regierung des Kaisers Maximin (235-238) blühte, ist die merkwürdige Erscheinung, daß auf 5 nassauischen Inschriftsteinen, von denen 2 aus Heddernheim, der Name Alexander ausgemeißelt ist; nach der Ermordung des Kaisers Alexander Severus ließ sein roher Nachfolger Maximin den Namen Alexander tilgen 3 ), "der wohl die Erinnerung an die veranlaßte Ermordung seines Wohltäters mit dem Namen desselben vertilgen zu können glaubte." In diese Zeit muß also die vollendete Ausbildung fallen, da die Inschriftsteine dieser Zeit angehören. Ein Mithrasstein von Heddernheim ist noch aus der Zeit des Kaisers Gordian (238-244) vom Jahre 241.

Mit Sicherheit läßt sich also der Bestand der Stadt Novus Vicus nur für die Zeit der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts nach Christi Geburt feststellen 4 ).

In oder kurz vor diese Zeit werden denn auch wohl die meisten der zu Heddernheim gefundenen Alterthümer, welche damals verloren gegangen sein werden, und darunter der oben erwähnte gravirte Krater und die Kellen und Siebe, fallen.


(  ...  ) "Taunusland bis an den Pfahlgraben gehörte, das römische Bürgerrecht". (Dig. I, Lib. 5, L. 17.) Dr. Römer=Büchner Beiträge zur Geschichte der Stadt Frankfurt a/M., 1853, S. 16.
1) Zu Kremmin bei Grabow ward eine Kupfermünze von Alexander Severus vom Jahre 227 ausgepflügt; vgl. Jahrb. II, B, S. 52.
2) "Es lassen sich im Museum von Wiesbaden genau zwei Classen von Inschriften unterscheiden: eine frühere, von der Zeit Vespasians oder noch etwas früher hinauf bis auf Hadrian (70-138 n. Chr.), und eine spätere, von Antoninus Pius bis auf Alexander Severus (138-236 n. Chr.). Rossel: Ein Militair=Diplom etc. . a. a. O., S. 56."
3) Vgl. Habel: Die römischen Ruinen bei Heddernheim, in den Annalen etc. ., Bd. I, Wiesbaden, 1830, S. 75. - Inscript. Nass. 1. c. zu Inschrift Nr. 1.
4) "Die erste Erwähnung der cives Taunenses zu Heddernheim ist vom Jahre 230, die letzte vom Jahre 242, und bald nachher, um 250, hören die römischen Inschriften im Taunusgebiet ganz auf". Dr. Römer=Büchner a. a. O. - Vgl. auch Rossel: Ein Militair=Diplom etc. . a. a. O., S. 56.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 158 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Und diese Nachweisung bildet den einzigen Anhaltspunkt für die Zeit, aus welcher die Alterthümer von Häven stammen, welche also in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts n. Chr. fallen werden. Denn die Alterthümer von Heddernheim müssen bei der Zerstörung von Novus Vicus verschüttet worden sein. Nach früheren Beobachtungen stammen die meisten andern römischen Alterthümer im Norden auch aus der Zeit der Antonine (138-161 und 161-180) und deren Nachfolger.

Wann die Stadt Novus Vicus zerstört ist, darüber giebt es gar keine Nachrichten. Die jüngste datirte Inschrift ist die so eben erwähnte vom Jahre 241, und schon vor und nach dem Jahre 250 beginnen die Anfänge der deutschen Einfälle 1 ) und Erhebungen gegen das Römerreich und die fortwährenden Niederlagen der Römer. Die Anlage mag schon im dritten Jahrhundert n. Chr. 2 ) zerstört sein.

Römer=Büchner, Geschichte der Stadt Frankfurt a/M., fügt S. 16 hinzu: "Daß bei der Zerstörung von Novus Vicus sich manche der dortigen Bewohner hier ansiedelten, darf als sehr wahrscheinlich angenommen werden, so wie auch, daß mit dem Ende der Römerherrschaft auf der rechten Mainseite, und nachdem Valentinian I. im Jahre 374 mit Makrian zu Mainz einen Frieden geschlossen, nicht alle Römer von hier sich entfernten, sondern gemischt mit der deutschen Bevölkerung ferner als Römer=Deutsche an ihren Wohnorten verblieben. Selbst in den Personen=Namen, die noch bis heute in hiesiger Stadt und nächster Umgebung vorkommen, finden sich Römer=Namen".

Von Heddernheim mögen also Römer nach Häven gekommen sein.


1) Vgl. Becker: Grabschrift eines römischen Panzerritter=Officiers aus Rödelheim, im Neujahrs=Blatt des Vereins zu Frankfurt a/M. 1868, S. 24 flgd.
2) Eben so war es in Britannien. "Die englischen Museen besitzen mehr denn zwei Dutzend Barren und Würfel von Zinn, die mit den Namen der römischen Kaiser von Claudius bis auf Antoninus und Alexander Severus gestempelt sind. - Die Münzen der Kaiser beweisen, daß der Handel gegen die Regierung von Alexander Severus aufgehört hat. Die jüngsten Münzen stammen von Alexander Severus her." Fr. de Rougemont, L'age du bronze, Paris, 1866, p. 124 sq. Deutsche Uebersetzung von Keerl: Die Bronzezeit, von Fr. de Rougemont, Gütersloh, 1869, S. 119, 120, 143.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 159 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Daß die Römer in Heddernheim auch Handel 1 ) trieben, beweiset ein daselbst gefundener Altar, welcher dem "Händler" oder Handels=Gott Merkur geweihet ist, mit der Inschrift:

I. HONOREM . D D
MER . CV . R . I . O . NEG
O . TI . A . TO . RI.
(In honorem domus divinae.
Mercurio neg-
otiatori.)

Ein anderer Altar ist dem Mercurius Cissonius oder Cesonius geweihet; Cesonius ist ein celtischer Beinamen des Merkur von bis jetzt unbekannter Bedeutung.

Mehr als wahrscheinlich ist nun von den Römern der Taunus=Provinz, namentlich von Heddernheim (Novus Vicus), daß sie Handel nach dem Norden getrieben. Die Wege waren die noch jetzt allein gangbaren alten Heerstraßen und in den neuesten Zeiten von den Eisenbahnen wieder aufgenommenen Wege. Diese gehen theils durch die Thäler der Nidda, Lahn und Fulda 2 ), theils durch die Thäler der Kinzig und Fulda in die Thäler der Weser und der Leine (bei Hildesheim (!) vorbei) in die norddeutschen Tiefebenen bis an das Meer (also ungefähr von Mainz über Heddernheim, Friedberg, Marburg, Cassel, Nordheim, Hildesheim u. s. w.).

Nach den übersichtlichen Aufzählungen der römischen Alterthumsfunde von Wiberg 3 ) sind auch die am meisten


1) Auch Dr. Rolle zu Homburg will in Novus Vicus auf eine "ansehnliche Taunenser Kaufmannschaft" schließen, die aber sich vielleicht nur mit Zwischenhandel befaßte und ihre Fabrikate von Mainz oder noch weiter her bezog". Vgl. Taunusbote, Homburg v. d. H., 1869, Nr. 38, Junii 27.
2) Gräber von Römern oder von römischem Einflusse scheinen auch die bei Ketten "an der Rhön", also nicht weit von der Handelsstraße aufgedeckten Gräber mit ihren vielen Silber=Ringen und Glasperlen zu sein, worüber mir während des Drucks dieses Bogens die "Ausgrabungs=Berichte aus Thüringen von Dr. Klopfleisch, Weimar, 1869", zu Händen kommen. Leider sind in dieser kleinen, an Hypothesen überreichen Schrift die Beschreibungen der Alterthümer so wenig genügend und verglichen, daß man sich keine klare Vorstellung davon machen kann.
3) Vgl. Der Einfluß der klassischen Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr, von C. F. Wiberg, Oberlehrer am Gymnasium zu Gefle. Aus dem Schwedischen übersetzt von Johanna Mestorf. Hamburg, 1867. S. 110 flgd. - Auch Bodrag till kännedomen om Grekers och Romares förbindelse med Norden, af C. F. Wiberg, Gefle, 1861.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 160 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

bezeichnenden römischen Alterthümer auf dieser Handelsstraße gefunden. Auch Wiberg nimmt eine römische "Lahn=Magdeburger Handelsstraße an, vom Rhein längs der Lahn an die mittlere Elbe" 1 ).

Außer in Kurhessen sind in den braunschweig=lüneburgischen Landen gefunden z. B. bei Ahlden an der Aller eine Kasserolle und eine Urne von Bronze; bei Dornte, Amts Oldenstadt, zwei hübsche Bronzegefäße mit Handhabe; bei Klein=Hesebech, Amts Medingen, ein ähnliches Gefäß; bei Seedorf, Amts Medingen, ein niedriges, rundes, geräumiges Bronze=Gefäß mit Handhabe, geschmückt mit Thier=Figuren, und ein Herkulesbild von schön patinirter Bronze; bei Barskamp, Amts Blekede an der Elbe, ein hübsches Gefäß von Terra sigillata mit dem Bildnisse eines Jägers im Relief bei Sottdorf, Amts Salzhausen an der Elbe, eine römische bronzene Schüssel mit Fabrikstempel; bei Lühmühlen, Amts Salzhausen, ein Bronzedeckel mit einem schönen epheubekränzten weiblichen Kopfe in Relief u. s. w.

Die große Straße scheint sich in Mittel=Hannover verzweigt und auf verschiedenen Wegen an den noch heute benutzten Hafenstellen an der Nord= und Ostsee ausgemündet zu haben: an der Weser (Bremen), wo der Bronze=Krater von Börry gefunden ist (vgl. oben S. 102); an der Elbe (Hamburg), wo in der Landdrostei Stade die Bronze=Kelle gefunden ist (vgl. oben S. 138); an der Trave (Lübek), wo zu Pansdorf bei Lübek auch ein Bronze=Eimer gefunden ist (vgl. oben S. 121);Von den meisten im nördlichen Deutschland entdeckten römischen Gefäßen wird berichtet, daß sie in Grabhügeln gefunden und zu Knochen= und Aschenurnen benutzt gewesen seien. Zu Sottorf bei Salzhausen wurden in mehreren Kegelgräbern außer Bruchstücken von römischen Bronze=Gefäßen auch 6 Gewandnadeln, zum Theil mit silbernen Knöpfen, gefunden, welche nach der Beschreibung römische Arbeit zu sein und den Hefteln von Häven zu gleichen scheinen. Vgl. Einfeld a. a. O., S. 41 flgd. Es dürfte nicht unwahrscheinlich sein, daß alle diese Brandhügel mit römischen Alterthümern ebenfalls Römer=Gräber mit verbrannten Leichen sind, und daß z. B. auch bei Sottorf an der Elbe eine römische Niederlassung war.


1) an dem Meerbusen von Wismar, wohin die römischen Funde von Grabow und Häven gehören.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 161 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Wenn sich auch von diesen hier ausgesprochenen Folgerungen nichts unumstößlich beweisen läßt, so scheint doch manches sehr wahrscheinlich und wenigstens ein Anfang zu weiterer Forschung gemacht zu sein.

Außer den beiden gleichen gravirten Krateren und mehreren kleineren Alterthümern, welche Heddernheim und Häven gemeinsam sind, ziehen noch andere Dinge die Aufmerksamkeit auf sich.

Von Wichtigkeit können die beiden oben unter Nr. 22 und 23 aufgeführten silbernen Relief=Knöpfe sein, dereine mit dem Bilde eines auf einem Fische stehenden Vogels, der andere mit dem Bilde eines Ebers; jener könnte Zeichen der Städte Istros in Mösien oder Olbia sein, dieser deutet zunächst auf Gallien. Außerdem war aber der Eber 1 ) auch ein Feldzeichen in Mösien. Nun aber hatte die VIII. Legion, welche seit dem Jahre 70 sicher bis auf Alexander Severus (222-235) im Taunuslande stand und hier oft vorkommt, vorher in Mösien gestanden.

Doch können solche Anführungen nur gewagte Ansichten sein, welche sich auch für nichts anderes ausgeben wollen.


Weiterführung.

Wenn nun durch die Vergleichung der gleichen Alterthümer von Häven und Heddernheim ein wohl nicht ganz unbegründeter Anhaltspunkt für Herkunft und Zeit derselben gewonnen ist, so läßt sich von denselben nicht unschwer auch auf andere ähnliche Alterthümer schließen.

Es sind in Meklenburg und Dänemark häufig römische Alterthümer, wiederholt in großer Anzahl beisammen, gefunden. Manche dieser Funde scheinen einer andern Zeit anzugehören


1) Vgl. Eberkopf und Gorgoneion als Amulete, von Dr. Rud. Gaedechens in Jena, in Jahrbüchern des Vereins im Rheinlande, Heft XLVI, Bonn, 1869, S. 26 flgd. "Wir finden das Wildschwein auf Reliefen, kleinen Bronzen u. s. w." - Anm. 25: "auf Münzen des Kaisers Caraealla (217) (vgl. Rapp in den Jahrb. XXXV, Taf. III), auf gallischen und celtischen Münzen u. s. w., - Anm. 65: Feldzeichen mit Eber. Nicht anders die Coralli in Nieder=Mösien."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 162 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

und einen andern Ursprung zu haben, als der von Häven, z. B. die oben S. 103 erwähnten Funde von Gr.=Kelle, mit der prachtvollen silbernen Kelle, und der Fund von Hagenow, nicht weit von Grabow, mit der schönen Gießkanne, wenn sich in beiden auch Kellen finden. Aber der oben S. 99 flgd. beschriebene Fund von Grabow stimmt durchaus mit dem Funde von Häven überein: hier fand sich auch ein Krater von derselben Form, mit demselben Henkel, mit derselben Technik in der Gravirung geschmückt, wenn auch die Figuren andere sind; hier fand sich auch eine Schale, eine Kelle, ein Sieb, eine Heftel mit einer auf dem Bügel angelötheten Verzierungsplatte, selbst ein Glas. Es laßt sich nicht bezweifeln, daß der Fund von Häven gleichen und gleichzeitigen Ursprung mit dem Funde von Grabow hat.

Gleichen Ursprung wird der oben S. 102 besprochene Fund von Himlingöie auf Seeland haben, dessen Arbeit mit der der hävenschen und heddernheimer Bronzekessel gleich ist. Diese Wahrnehmung wird auf noch mehr römische Funde der Insel Seeland zurück schließen lassen.

Ich bemerke noch besonders, daß sich die hornförmigen Glasgefäße, die bei römischen Alterthümern in Dänemark gefunden sind, sich in vielen Exemplaren auch in dem Funde von Heddernheim im Museum zu Wiesbaden finden.

Es läßt sich aber auch, was sehr merkwürdig und einflußreich zu sein scheint, von dem Funde von Häven weiter auf einheimische Funde der älteren Eisenzeit in Meklenburg zurück schließen. Die vielen großen Begräbnißplätze mit den vielen Aschenurnen unter der ebenen Erdoberfläche enthalten zwar durchaus nur verbrannte Leichen mit Beigabe von wenig Hausgeräth und Schmuck, meistentheils von Eisen, seltener von Bronze, mitunter auch von Silber, welches sonst nicht vorkommt. Aber auf manchen Begräbnißplätzen dieser Art fanden sich doch Sachen, welche gradezu auf die Quellen von Häven und Heddernheim hinweisen. Vor allen andern ist es der oben S. 122 erwähnte Begräbnißplatz von Pritzier, welcher die meiste Aehnlichkeit mit den römischen Gräbern hat. Es ist oben S. 122 und S. 134 nachgewiesen, daß die thönernen Urnen, welche den Römer=Gräbern von Häven zum Ersatz für fehlende Bronze=Kessel und Schalen beigegeben wurden, den einheimischen Urnen von Pritzier völlig gleich sind, diese also mit jenen von gleichem Alter sein müssen. Es giebt aus dem "Kirchhof" von Pritzier aber noch andere Dinge, welche eine Verbindung

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 163 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

mit dem Hävenschen Funde in Aussicht stellen. Dies sind die zu Pritzier zahlreich gefundenen Glasperlen, welche den oben unter Nr. 39 und 57 aufgeführten römischen Glasperlen von Häven gleich sind. Endlich sind zu Pritzier allein, und sonst nicht, mehrere Glasgefäße gefunden, welche nach Heddernheim weisen. Zwar sind die Glasgefäße von Pritzier durch den Leichenbrand vielfach verbogen, zusammengedrückt und zusammengeschmolzen, und daher oft nicht klar in den Formen zu erkennen; aber das Glas von Pritzier ist dasselbe dünne und weiße, nicht ganz reinliche, etwas grünliche Glas, welches sich in Heddernheim in so großer Menge findet. Es wird daher nicht sehr gewagt sein, zu schließen, daß die römischen Händler von Häven nach Pritzier verkauft haben.

So viel wenigstens scheint mit Sicherheit angenommen werden zu können, daß die ältere Eisenzeit in Meklenburg bis in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts n. Chr. reicht.

Geschrieben zu Homburg v. d. H., im Mai 1869.

 


Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 164 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Anhang.


Während der Correctur dieser Bogen gelangt in die Schweriner Sammlungen noch ein kleiner römischer Fund, der hier noch eine Stelle finden mag, da er aus ganz zuverlässiger Quelle kommt.