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VII.

Helena von Rügen,

Gemahlin

des Fürsten Johann III. von Meklenburg,

von

G. C. F. Lisch.


E ine erschütternde Begebenheit in der Geschichte des meklenburgischen Fürstenhauses ist das traurige Schicksal des Fürsten Johann III., des jüngern Sohnes Heinrich I. des Pilgers, und seiner Gemahlin Helena von Rügen.

Im Jahre 1289, als Heinrich der Pilger in Aegypten gefangen und seine edle Gemahlin Anastasia in Wismar trauernd saß, vermählte sich dessen jüngerer Sohn Johann III. mit Helena, der schönen Tochter des Fürsten Wizlav II. von Rügen († 1302) und der Agnes, Tochter des Herzogs Otto des Kindes von Braunschweig=Lüneburg 1 ). Die Vermählung ward am 3. Novbr. 1289 in der Stadt Sternberg gefeiert; die lübische Chronik von Detmar 2 ) berichtet:

"In dem jare cristi MCCLXXXIX, twe daghe na aller godes hilghen daghe, do untfink in dat echte junchere Johan van Mekelenborch de erlike schone maghet Helena, ene dochter Wentzlavi 3 ) enes vor=


1) Vgl. Fabricius Urkunde des Fürstenthums Rügen, III, S. 134, 139 flgd. und Stammtafel.
2) Vgl. Detmar's lübische Chronik, herausgegeben von Grautoff, I, S. 164.
3) Der Name Wenzlav ist falsch, statt Wizlav.
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sten van Ruyen, de oc was van der moder weghen van deme slechte der heren van Brunswic. He vurde ze over unde brachte ze to den Sterneberghe, dar was brutlacht mit groten hove".

Nachdem er nach der Vermählung mit seiner jungen Gemahlin die Residenz Wismar bezogen hatte, wollte er nach einiger Zeit mit seinen Hofleuten zum Vergnügen ("durch tagalt" ), zur Jagd, eine Wasserfahrt den Wismar über den wismarschen Meerbusen (die Golwitz) nach der Insel Pöl machen. Als die Gesellschaft auf der Fahrt war, erhob sich ein strenger Sturm aus Norden, welcher das Fahrzeug umwarf. Die ganze Gesellschaft, der junge Fürst, vierzehn Edelleute und die Diener, fand den Tod in den Wellen; nur ein Jäger, Hans Jube, rettete sein Leben, indem er zwei Hunde umklammerte, die mit ihm ans Land schwammen. Die Leichen des Gefolges wurden nach und nach ans Land geworfen; den Fürsten konnte man lange nicht entdecken, bis ihn endlich die Fischer fanden und nach Wismar brachten. Die schwer geprüfte Fürstin Anastasia begrub ihren Sohn im Chore, die Edelleute im Schiffe der von ihr begünstigten Franziskaner=Mönchs=Kirche oder der Kirche des Grauen=Mönchsklosters zu Wismar. Ernst von Kirchberg Cap. 137 erzählt in seiner meklenburgischen Reimchronik, etwa 80 Jahre nach dem Unglück, die Begebenheit also:

Hinrich der lewe hatte irkant
eynen bruder waz Johan genant,
der nam zu wybe syn tochter da
von Rugyen des fursten Wysla. -
(Von der geborn eyn tochtir wart
dy waz geheiszin Luthgart,
dy gab irs vatir brudir so,
den man hiez Hinrich leo,
dren greuen zu echtir dinge tad
ir eyme nach dem andirn drad:
der erste von der Hoya Gerhard,
greue Adolf von Holtzten der andir wart,
der dritte von Lyndowe Gunther
zu leist do nam dy frowen her.) -
Ir vatir von Mekilnborg Johan
vur van der Wismar sundir wan,
durch den vnmud sparin
wolde her geyn Pole varin
mit syme gesinde durch tagalt;

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eyn strengir storm betrad in balt
vz norden sundir wenken,
der furste muste irtrenken.
Daz schif ging gancz zu grunde
sy irtrunken al dy stunde,
daz ir keyn dar vone quam,
ân eyn iegir: wie waz des nam?
Hans Jube der selbe hiez,
god gab im syns lebens gniez:
czwene hunde hatte her beklummen,
dy mit im vz da swummen.
Daz brachte leyd mit vngevalle.
Dy dyner worden funden alle
nach eyn andir von der nod
by dem ubere nahin tod.
Den herren liez man vaste
suchin sundir raste,
man kunde yn lange vinden nicht;
man dar nach von vngeschicht
so funden yn dy fischir,
dy wann ouch suchins rischer,
vnd furten in zur Wysmar,
da wart her furstenlich virwar
mit groszin vngehabin
zu den minre brudern begrabin,
du man schreib czwelfhundirt iar
vnd nuyn vnd achczig daz ist war.
Dar nach von Habichesborg irstarb
konig Rudolf vnd nach im irwarb
daz rich mit offinbarir schowe
genant greue Adolf von Nassowe.

Eben so berichtet eine Denktafel 1 ), welche einst im Chore der Kirche des Grauen Klosters hing:

"Anno 1289 ist de junge her Johannes, de oldeste szon ern Hinrici des gefangenen in Babilonia, verdruncken in der Goluitze mit 14 edelluden dusses landes. Synen licham leth syn moder frow Anastasia beerdigen im chor des klosters vnd de eddellude in desulue kerke".

Auch die zur Zeit Kirchbergs geschriebenen Genealogien


1) Vgl. Crain über das Kirchenbuch des grauen Klosters in Jahrb. VI, s. 101.
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von Doberan und Parchim 1 ) sagen, daß der Fürst Johann zwischen Wismar und Pöl ertrunken sei:

"Cujus (Hinrici) filius Johannes accepta uxore, que genuerat sibi tantum vnicam filiam, submersus fuit in mari inter Wismariam et terram Pole remansitque vnicus heres dominii dominus Hinricus, frater ipsius".

Die lübische Chronik von Detmar bemerkt bei der Erzählung über die Heimkehr Heinrichs des Pilgers zum Jahre 1298:

"Do de olde here to lande quam unde horde, dat sin sone junchere Johan in der Lipze by Pole was vordrunken, vil sere he des ghemoyet wart".

Ueber das Jahr des Todes, 1289, stimmen alle Quellen überein 2 ); über den Todestag ist aber keine sichere Angabe 2 ) zu erzielen. In dem doberaner Kreuzgangsfenster 3 ) ist sein Tod auf den 27. Mai 1289 gesetzt:

"Johannes dei gracia magnopolensis domicellus obiit anno domini MCCLXXXIX, VI kalendas Junii".

und in einer Original=Urkunde vom 2. April 1289 wird schon die Wittwe ("relicta quondam Johannis") des Fürsten Johann 2 ) genannt, während der Fürst sich erst am 3. Novbr. 1289 vermählt haben soll. In den bisher bekannt gewordenen Quellen ist keine Aufklärung zu finden; man könnte vielleicht annehmen, daß Johann sich schon im J. 1288 vermählt habe.

Von den ferneren Schicksalen der so jung verwittweten Fürstin Helena ist bis auf die neueren Zeiten nichts weiter bekannt geworden, als daß sie, vielleicht nach dem Tode ihres Gemahls, eine Tochter, Lutgard, gebar, wie es die wismarsche Denktafel und die doberaner und parchimschen Genealogien ausdrücklich angeben. Und doch wünscht man etwas über eine Fürstin zu erfahren, die ein so herbes Schicksal erduldete. Es ist mir endlich mit vieler Mühe gelungen, Nachrichten über sie aufzufinden, welche sicher sind und in den Hauptsachen übereinstimmen.

Die jung verwittwete Fürstin Helena vermählte sich wieder mit dem Fürsten Bernhard II. von Anhalt


1) Vgl. Lisch: Die doberaner und die parchimsche Genealogie, in Jahrb. XI, S. 20 und 21.
2) Vgl. Crain: Meklenburgischer Fürsten Gräber in Wismar, in Jahrb. VI, S. 168.
2) Vgl. Crain: Meklenburgischer Fürsten Gräber in Wismar, in Jahrb. VI, S. 168.
3) Vgl. Lisch: Doberaner Nekrologium, in Jahrb. I, zu S. 136.
2) Vgl. Crain: Meklenburgischer Fürsten Gräber in Wismar, in Jahrb. VI, S. 168.
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(† 1323) von der ausgestorbenen alten bernburger Linie. Die Nachricht findet sich, wenn auch schwer verständlich, zuerst in einem selten gewordenen "Stammbuch" von Hoppenrod, welches 1570 gedruckt ist. Bestätigt wird diese Nachricht durch das in den neuesten Zeiten gedruckte Testament 1 ) des Fürsten Wizlav II. von Rügen vom 27. Dec. 1302, welcher am 29. Dec. 1302 zu Asloe in Norwegen starb 2 ). Der Fürst nennt diese seine Tochter zwar nicht mit Namen 3 ), bestimmt aber, daß seine "geliebte Tochter die Gräfin von Bernburg sechs kleine silberne Becher erben solle, welche ihm die Königin von Norwegen geschenkt habe":

"Item dilecte filie mee comitisse de Bernaburgh sex minores cratheras argenteas, quas dedit mihi domina regina Norwegie".

Auch des Gemahls seiner Tochter, des Grafen Bernhard von Anhalt=Bernburg, seines Schwiegersohns, gedenkt der Fürst in seinem Testamente, daß er nämlich demselben 100 Mark reinen Silbers schuldig sei:

"Debita vero mea, de quibus recordor, sunt ista: videlicet domino Bernardo, comiti de Bernaburgh, genero meo dilecto, in centum marcas puri argenti, ponderis Coloniensis, pro expensis et debitis teneor obligatus".

Helena, die Gemahlin des Fürsten Bernhard von Anhalt=Bernburg, starb am 9. August (vigilia Laurentii) 1315 und ward in der Kirche des Nonnenklosters Wiederstedt bei Mansfeld begraben. Dieses Kloster stand in der Grafschaft Mansfeld bei der Stadt Hettstedt auf dem Kupferberge, nahe bei Mansfeld und nicht weit von Bernburg. Dieses Kloster soll im J. 1525 von aufrührerischen Bauern gänzlich zerstört worden sein; es wird aber in dem Jahre ein Irrthum obwalten, indem aus Urkunden hervorgeht, daß das Kloster im J. 1528 und nach andern Nachrichten die Kirche noch im J. 1570 stand. Im J. 1570 gab nämlich der Pfarrer Hoppenrod 4 ) zu Hettstedt, also ein wohl unterrichteter Mann, ein umfassendes geschichtliches Werk heraus:


1) Vgl. Fabricius Urkunden des Fürstenthums Rügen, III, S. 128.
2) Vgl. Fabricius daselbst, III, b, S. 132.
3) Vgl. Fabricius daselbst, III, b, S. 139-140.
4) Fabrik a. a. O. III, b, S. 139, Not. 3, schreibt den Namen irrthümlich Zeppenrad.
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Stammbuch Oder Erzölung aller namhaffter vnnd inn Teutschen Historien berümpter Fürsten, Graffen vnnd Herren Geschlechter, welche ihre Herrschafften inn den Sächsischen Landen besessen haben. Zusamen bracht durch Andream Hoppenrod, Pfarrhern zu Heckstet, in der Graffschaft Mansfeld. Getruckt zu Straßburg bey Josias Rihel, im Jar 1570 (in fol.).

Dieser giebt S. 20 in der Stammtafel der Fürsten von Bernburg an:

"Bernhart, diser ist Herr zu Bernburg worden, sein gemahel Helena Herzogin zu Pommern vnd Rügen ist gestorben Anno 1315, liegt im Kloster Widerstett begraben, da jetzunder der Tauffstein stehet, mit disen Worten:

"Anno Domini 1315 obiit Helena D. Kuy e uxor illustriss. principis Bernhardi uigilia Laurentii, Cuius anima requiescit. Amen".

Dieser Leichenstein lag also noch im J. 1570; damals war der Taufstein darauf gesetzt. Diese Nachricht übersetzt Sagittarius 1 ) 1686 wörtlich in Latein und giebt Helena für eine Tochter des Herzogs Bugislav von Pommern aus; Lentz 2 ) giebt nach Bekmann und Schwarz dieselbe Nachricht, meint jedoch, daß Helena eine Tochter des Fürsten Wizlav von Rügen gewesen sei.

Um nun möglichst sicher zu gehen, wandte ich mich an den Herrn Pastor Siebold zu Ober=Wiederstedt, welcher mir brieflich folgende Mittheilungen gemacht hat. "Die Mauern der zerstörten Klosterkirche stehen noch, sind aber zu Wirthschaftsgebäuden für das hiesige Rittergut ausgebauet. Von dem Leichensteine der Fürstin Helena ist keine Spur zu finden. Ein früherer Prediger Meineke, welcher historische Nachrichten von dem Dorfe Ober=Wiederstedt und dem daselbst gestifteten Nonnenkloster gesammelt hat, hat auch den Leichenstein nicht finden können. Wahrscheinlich ist dieser Leichenstein von barbarischen Händen mit beim Ausbau verwandt oder versenkt worden. Der jetzige Besitzer, der Herr Kammerherr Frei=


1) Historiam Principum Anhaltinorum sub praesidio Casp. Sagittarii proponit Georg. Henr. Götze. Jenae MDCLXXXVI, p. 40.
2) Samuelis Lentzii Becmannus enucleatus Oder: Historisch=genealogische Fürstellung des Hochfürstlichen Hauses Anhalt, Cöthen und Dessau, 1757, fol., S. 249.
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herr von Hardenberg, welcher sich für die Klostergeschichte interessirt, will den Boden der alten Kirche einmal aufgraben lassen. Jetzt ist es nicht möglich, da eine große Menge von Holz und Wirthschaftsgeräthen an dieser Stelle liegt".

Die einzige Quelle bleibt also die von Hoppenrod im J. 1570 mitgetheilte Nachricht. Dieser giebt die Inschrift des Leichensteins also:

Anno Domini 1315 obiit Helena D. Kuy e uxor illustriss. principis Bernhardt uigilia Laurentii, Cuius anima requiescit. Amen.

Diese Inschrift ist offenbar nicht richtig gelesen, läßt sich aber sehr leicht richtig stellen. Der Hauptfehler steckt in der Bezeichnung der Herkunft der Fürstin D. Kuy e. Dies muß ohne Zweifel D. RVYE (domina Ruye d. i. Rugie, Rugiae) heißen. Sagittarius giebt die Lesart D. Kuye, Lentz lieset und erklärt aber schon D. KVYE, Ducissa Rugie.

Die Inschrift wird also ungefähr so gelautet haben:

Inschrift

d. i.

Anno domini MCCCXV, in vigilia sancti Laurentii (Aug. 9), obiit Helena, domina Ruye, uxor illustrissimi principis Bernhardi, cuius anima requiescat in pace. Amen).

Es ist also nach dem Testamente des Fürsten Wizlav II. von Rügen und dem Leichensteine im Kloster Wiederstedt außer Zweifel, daß sich die Fürstin Helena mit dem Fürsten Bernhard von Anhalt=Bernburg vor dem J. 1302 wieder vermählte, am 9. Aug. 1315 starb und im Kloster Wiederstedt begraben ward.

Es steht nur noch zur Frage, wer der zweite Gemahl dieser Fürstin war. Es war Bernhard II., der Stammvater der bernburger Linie der Fürsten von Anhalt, welcher 1323 starb. Der Herr Oberlandesgerichts=Präsident Dr. Sintenis Vorstand des herzoglich=anhaltischen Gesammt=Archivs, hat die Güte gehabt, mir nach seinen Forschungen folgende Stammtafel mitzutheilen:

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Stammbaum

Beiläufig bemerke ich, daß der Fürst Otto II. von Anhalt ("comes Ascharie et princeps de Anahalt") in einer Original=Urkunde 1 ) d. d. Rostock 1315, quarta feria post diem b. Egidii, d. i. 3. Septbr., also 4 Wochen nach dem Tode der Fürstin Helena, den Fürsten Heinrich II. den Löwen von Meklenburg seinen Schwager ("noster sororius") nennt, ein Verwandtschaftsverhältniß, das sich noch nicht aufklären läßt. Otto II. von Anhalt († 1316) war ein Vaterbruder=Enkel des Fürsten Bernhard II. von Anhalt, dessen Gemahlin Helena gewesen war. Das Haus Anhalt war direct auch noch dadurch mit dem meklenburgischen Fürstenhause verwandt, daß Jutta von Anhalt die Gemahlin des Fürsten Nicolaus I. von Werle († 1277) gewesen war.


1) Vgl. Anlage.
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Aus ihrer ersten Ehe mit dem Fürsten Johann III. von Meklenburg gebar Helena eine Tochter Luitgard, wahrscheinlich nach ihres Gemahls Tode im J. 1290. Ueber diese hat die Gedenktafel im Grauen=Kloster zu Wismar die Nachricht, daß sie unvermählt gestorben und im Grauen =Kloster begraben sei.

"Anno 1318 frow Metke vth holsten greffynne to Swerin. Froychen Lutgart filia ducis Johannis submersi. Im kor begraben."

Diese Nachricht, welche dadurch, daß sie mit der Nachricht von dem Tode der Gräfin Mechthild von Schwerin zusammengeworfen ifs, an und für sich etwas dunkel erscheint, wird durch die Erzählung Kirchbergs gradezu widerlegt. Es muß hier also irgend ein Versehen obwalten, das sich bis jetzt noch nicht hat aufklären lassen. Nach dem oben S. 62 mitgetheilten Bericht der Chronik des Ernst von Kirchberg starb Luitgard nicht unvermählt im J. 1318, sondern war drei Male, an drei Grafen, verheirathet und starb erst im J. 1352. Dieser Bericht wird um so sicherer sein, als Kirchberg die Fürstin wahrscheinlich noch persönlich gekannt hat, oder doch wenigstens noch zuverlässige Nachrichten über sie hatte, indem er seine Chronik ungefähr 20 Jahre nach ihrem Tode vollendete.

Luitgard's erster Gemahl war der Graf Gerhard II. von Hoya, nach Kirchberg:

"der erste von der Hoya Gerhard",

mit welchem sie nach dem Tode seiner ersten Gemahlin Adelheid vermählt ward. Der Graf Gerhard II. von Hoya starb am 18. Oct. 1311 1 ) hinterließ also die Luitgard als eine junge Wittwe von ungefähr 21 Jahren. Ueber diese Ehe ist nichts weiter bekannt geworden, als die Nachricht von Kirchbergs Chronik 1 ).

Luitgard's zweiter Gemahl war der Graf Adolph VII. von Holstein, nach Kirchberg:

"greue Adolf von Holtzten der andir wart", mit welchem sie frühestens im J. 1312 vermählt sein wird. Der Graf Adolph von Holstein ward aber schon im August 1315 neben seiner Gemahlin in seinem Bette erschlagen. In demselben Monate, am 9. August 1315, starb auch Luit=


1) Vgl. v. Hodenbergs Hoyer Urkundenbuch, I, Hannover, 1855, Urkundlicher Nachweis zur Stammtafel, Nr. 13-13b., und II, 8, S. 92, Urkunde Nr. 123.
1) Vgl. v. Hodenbergs Hoyer Urkundenbuch, I, Hannover, 1855, Urkundlicher Nachweis zur Stammtafel, Nr. 13-13b., und II, 8, S. 92, Urkunde Nr. 123.
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gard's Mutter Helena, welche vielleicht das Schicksal ihrer Tochter nicht mehr erlebte. Die traurigen Geschicke dieser Fürstenlinie sind wahrhaft ergreifend. Daß Luitgard 1 ) wirklich Johanns III. von Meklenburg Tochter war, wird durch mehrere Nachrichten bewiesen. Zuerst tritt das vollgültige Zeugniß Kirchbergs ein; dann berichtet auch Detmar in seiner lübischen Chronik zum J. 1315, daß des Grafen Adolph von Holstein Gemahlin "de brodersdochter was des heren van Mecklenborch" 2 ). Dann aber wird Luitgard in zwei Urkunden des Fürsten Heinrich des Löwen von Meklenburg aus den Jahren 1317 und 1318 ausdrücklich wiederholt eine Brudertochter desselben genannt, und ihr noch erhaltenes Siegel bezeichnet sie durch Umschrift und Wappen als eine Gräfin von Holstein 3 ). Hiernach lebte Luitgard noch sicher am 22. Novbr. 1318. Wenn nun die Denktafel im Grauen=Kloster zu Wismar diese Luitgard beim J. 1318 aufführt, so kann hier nicht ihr Tod, sondern vielleicht ihre dritte Vermählung gemeint sein und diese Nachricht sich nur in die Nachricht von dem Tode der Gräfin Mette oder Mechthild eingeschlichen haben. Uebrigens ist diese Nachricht in mehrfacher Hinsicht dunkel, auch dadurch, daß Luitgard "froychen", d. i. unverheirathetes Fräulein, genannt wird, während sie schon zum zweiten Male Wittwe war; ich muß bei dieser Gelegenheit der Ansicht v. Aspern's a. a. O. S. 189 bestimmt widersprechen, daß man mit dem Worte "froychen" auch ein "verheirathetes Frauenzimmer" bezeichnet habe; verheirathete Frauen werden immer nur "vrouwen" genannt.

Luitgard's dritter Gemahl war der Graf Günther III. von Lindow, nach Kirchberg:

"der dritte von Lyndowe Gunther".

Günther III. war ein Sohn des Grafen Ulrich I., welcher im J. 1316 starb. Da Luitgard im J. 1315 zum zweiten


1) Ueber eine frühere, nach Holstein vermählte Luitgard, Tochter des Fürsten Johann I. von Meklenburg, vgl. Nordalbingische Studien, V, 2, S. 209 flgd.
2) Vgl. v. Aspern Beiträge zur Geschichte und Genealogie der Grafen von Holstein=Schauenburg, in den Nordalbingischen Studien oder Neuem Archiv der schlesw. holst. lauenb. Gesellschaft, Band V, 2, Kiel, 1850, S. 169 flgd. und S. 186, wo die Geschichte des Grafen Adolph und seiner Gemahlin genau untersucht ist. Vgl. v. Aspern Cod. dipl. historiae comitum Schauenburg, II, Stammtafel I.
3) Vgl. Crain Meklenburgischer Fürsten Gräber in Wismar in den Jahrbüchern VI, S. 114 flgd., wo die urkundlichen Nachrichten über Luitgard ausführlich mitgetheilt und beurtheilt sind.
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Male Wittwe ward, am 22. Nov. 1318 noch als Wittwe in Meklenburg lebte, der Graf Günther im J. 1316 zur Regierung kam, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß sie noch am Ende des J. 1318 in ihrem 29. Lebensjahre zum dritten Male vermählt ward. Der Graf Günther III. von Lindow 1 ) starb einige Zeit nach dem J. 1330 ohne Nachkommen; seine letzte Urkunde ist vom J. 1331.

Luitgard aber starb im J. 1352, 62 Jahre alt, nach einem bewegten Leben, und ward im Chore der Dominikaner=Kloster=Kirche zu Neu=Ruppin, der Begräbnißstätte der Grafen von Lindow, begraben; eine Denktafel 2 ) in dieser Kirche sagt:

"Anno MCCCLII obiit domina Lutgardis, uxor domini Guntheri".



1) Vgl. Riedel Cod. dipl. Brand. IV, S. 6-8 und 16.
2) Vgl. Riedel a. a. O. S. 39. Vgl. Crain a. a. O. S. 117 und Fabricius a. a. O. S. 140.