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IV.

Beitrag zur Geschichte

der

Vitalienbrüder und Landstädte

am Ende des 14. Jahrhunderts,

von

G. C. F. Lisch.


D ie Geschichte der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in den einzelnen Hauptrepräsfentanten dieser Zeit, den Fürsten, den Städten und der Ritterschaft, vermag mehr, als die Geschichte jeder andern Zeit, den eigenthümlichen Entwickelungsgang des deutschen und skandinavischen Nordens aufzuhellen; namentlich ist es das Leben der sogenannten Vitalienbrüder, 1 ) welches uns tiefe Blicke in jene bewegte Zeit gönnt, wenn man die einzelnen Ereignisse, Perioden und Personen scharf von einander sondert und beleuchtet. Namentlich ist es von der höchsten Wichtigkeit, die einzelnen Personen, welche in dem ungewöhnlichen Schauspiele wirken, klar zu erkennen. Wir können daher der Darstellung Voigts nicht ganz beistimmen, wenn er das Treiben der Vitalienbrüder aus allgemein menschlichen Neigungen, der Liebe der Meerstrandsbewohner zum Seeleben und dem Reize dieses Lebens, zu entwickeln sucht; vielmehr glauben wir in der Geschichte der Vitalienbrüder bedeutende politische und sociale Elemente zu erkennen.

Die wendischen Hansestädte entwickelten sich unglaublich rasch zu einer unerhörten Macht und Bedeutsamkeit; es war kaum ein Jahrhundert seit ihrer Gründung vergangen und schon gehörten sie zu den bedeutendsten Mächten des Nordens. Das erste Zeichen ihrer Bedeutsamkeit lag in der Abschließung des rostocker Landfriedens vom 13. Juni 1283, des ersten


1) Wir besitzen über die Vitalienbrüder eine neuere, umfassende Darstellung von Johannes Voigt in Fr. v. Raumer historischem Taschenbuche, Neue Folge, II, 1841, S. 1-159.
Gleich darauf sind noch schätzenswerte Beiträge geliefert über Klaus Störtebeker von Laurent und Lappenberg in der Zeitschrift des Vereins für hamburgische Geschichte, II, 1, 1842, S. 43-99.
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großen Bündnisses zwischen den Fürsten und Städten, und in Folge dessen im J. 1291 die Brechung der lauenburgischen und ratzeburgischen Raubschlösser. Im Gegensatze zu der Macht der Städte entwickelte sich jetzt dennoch immer mehr das Ansehen der Ritterschaft, theils aus innerer Kraft, theils aus dem Kampfe gegen die Fürstengewalt und die Städtemacht. Die Städte griffen aber schon im Anfange des 14. Jahrhunderte zu übermüthigen Handlungen über, während innerhalb ihrer Mauern die Revolution einer zügellosen Demokratie aufloderte. Da erhielt Meklenburg einen Fürsten, der fast das ganze 14. Jahrhundert hindurch alle Gewalten des Nordens in gleicher Waage hielt: Albrecht der Große (1329-1370), der Landfriedensstifter, vermochte es durch seine Klugheit, sein Ansehen und seinen gewaltigen Einfluß, die ganze Maschine in der strengsten Ordnung zu halten; durch unmittelbar fortgesetzte Landfriedensbündnisse 1 ) seit dem großen norddeutschen Landfrieden von Lübeck vom 11. Januar 1338 verwirklichte er in den deutschen Ostseeländern ein Leben, wie es sich wohl selten geregt hat. Von dieser Seite steht Albrecht unübertroffen da. Die Städte gelangten zu einem Glanze, der uns noch heute Bewunderung abnöthigt: alle die erhabenen und herrlichen Bauten, die uns noch jetzt in Erstaunen setzen, stammen aus seiner Zeit. Handel und Gewerbe, und in Folge dessen Reichtum, blüheten üppig empor und die Gesetzgebung entwickelte sich in freier Bewegung mit Tiefe und Nachdruck. Albrecht schützte vor allem die Städte und stützte seine ganze Macht auf sie, wie sie wiederum sich ihm ganz hingaben. Vorzüglich durch ihren Einfluß gelangte sein Sohn Albrecht im J. 1363 auf den schwedischen Königsthron und erhielt sein Enkel Albrecht die Aussicht auf die dänische Krone.

Albrecht der Große starb nach einer fünfzigjährigen, ruhm= und segensreichen Regierung im J. 1379, und mit seinem Scheiden floh der Engel des Friedens aus dem Lande. Die Ritterschaft, auf den Glanz und den Einfluß der Städte eifersüchtig und der Segnungen des Friedens müde, fing an, von dem damals geltenden Fehderechte oft eigenmächtig und ungerechter Weise Gebrauch zu machen; die Städte, auch die Landstädte, der Plackereien ungewohnt, griffen zu den Waffen und übten oft harte Selbsthülfe und Gewalt.

Zwar suchte Albrecht's ältester Sohn Heinrich dem Unwesen zu steuern und führte das Schwert der Gerechtigkeit nicht


1) Vgl. Albrecht der zweite, Herzog von Meklenburg, und die norddeutschen Landfrieden, von G. C. F. Lisch, 1865, und Jahrb. VI. S. 1 flgd., S. 49 flgd., S. 281.
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umsonst: er ließ jeden Gewalttätigen ohne Ausnahme und ohne Gnade henken und soll oft selbst auf den Landstraßen die Schlinge um den Hals der eingeholten Verbrecher geworfen haben, weshalb er auch der Henker genannt wird; aber seine unerbittliche Strenge that nicht gut, und der Tod raffte ihn schon im J. 1383 dahin.

Schon während dieser Zeit erblicken wir den nordischen und norddeutschen Adel, durch die Verbindung mit Schweden an das Seeleben gewöhnt, öfter auf dem Meere und hier nicht selten das Gewerbe der Seeräuberei treiben; der Adel übertrug sein Fehdeleben vom Lande auf die See. Die Eifersucht des Adels gegen die Städte war ohne Zweifel die Veranlassung zu dem feindlichen Benehmen des Adels zu Lande und zur See und namentlich zu der ungewohnten Erscheinung, daß der Adel auf See ging. Die lübische Chronik von Detmar, herausgegeben von Grautoff, I, S. 373, sagt bei der Beschreibung der Feste nach der Befreiung des Königs Albrecht ganz klar:

In dem vastelavende dessulven iares 1396 do helt de koning van Sweden enen groten hoff to Zwerin. — — In deme hove was grot vroude unde hoverent, als de wise is in vorsten hoven; ok wart dar vele quades betrachtet up der stede arch, also men dat wol na bevant.

Nach Heinrich's des Henkers Tode war Meklenburg sehr übel berathen. Die im Lande residirenden Fürsten waren theils zu alt, theils zu schwach, theils zu jung, um das Staatsruder zu lenken, und der König Albrecht von Schweden war zu kraftlos, um sich gegen innere und äußere Feinde behaupten zu können. Er verlor in der Schlacht von Axenwalde am 24. Febr. 1389 Krone und Freiheit an die Königin Margarethe von Dänemark und mußte seine politische Leichtfertigkeit bis zum Sept. 1305 mit dem Verluste der Freiheit büßen.

Die Befreiung des gefangenen Königs Albrecht war nun mehrere Jahre hindurch die Losung zur allgemeinen Bewegung in Norddeutschland; theils war es das eigene Interesse, da die Seestädte ihre wichtigsten, kaum erworbenen Handelsprovinzen und die Ritter einen glänzenden Hof verloren hatten, theils war es politische Begeisterung für die deutsche Monarchie, die im Norden eine Zeit lang so glänzende Eroberungen gemacht hatte, welche eine seltene, allgemeine Erhebung hervorrief. Noch war nicht Alles verloren: dem Könige Albrecht war die Hauptstadt Stockholm treu geblieben, wo seines verstorbenen

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Bruders Magnus Sohn, der junge Herzog Johann, die königliche Regierung fortführte, jedoch von der Königin Margarethe belagert war. Der greise Herzog Johann von Meklenburg=Stargard, der Vaterbruder des Königs, der sich der Regierung der verlassenen meklenburgischen Lande angenommen hatte, suchte auch in Schweden zu retten, was möglich war: er unternahm zwei Male einen Seezug, um Stockholm zu entsetzen, beide Male ohne Erfolg.

Da griffen die Seestädte Rostock und Wismar zu dem letzten Mittel, den dänischen Feind zu vernichten, nämlich ihn durch ein Uebermaaß kleiner Plackereien und Ueberfälle zu entkräften. Noch war die politische Begeisterung wach und bei allen Ständen die Neigung lebendig, den durch ein Weib an Meklenburg verübten Schimpf auszulöschen. Die Städte Rostock und Wismar gaben im J. 1392 Kaperbriefe aus, d. h. sie verkündeten allen Partheigängern, die sich auf eigene Gefahr gegen die drei nordischen Reiche ausrüsten wollten, Sicherheit für ihre Schiffe und die von ihnen geraubten Güter. Alsbald wimmelte die See von Kaperschiffern, die mit herzhaften, kühnen Gesellen bemannt waren und jedes Schiff aufbrachten, das nur einigermaßen mit den nordischen Reichen in Verkehr zu stehen schien; gegen Lübeks Flagge war die Kaperei nicht weniger gerichtet, da man Lübek eines heimlichen Einverständnisses mit der Königin beschuldigte und man, wohl nicht ganz mit Unrecht, annahm, daß diese Stadt besondere Verbindungen mit Skandinavien anknüpfen wollte. Diese politischen Freibeuter bildeten "bald unter einem neuen Namen eine politisch anerkannte Macht." Man nannte sie Vitalienbrüder 1 ), weil sie zunächst besonders das belagerte Stockholm mit Vitalien, d. i. Victualien oder Lebensmitteln, versehen wollten: "Vitalien" ist in alter Zeit eine bekannte und allgemeine Form der Benennung für Lebensmittel; man nannte sie auch Likendeler, d. i. Gleichtheiler, weil sie die Beute unter sich zu gleichen Theilen theilten. Diese Vitalienbrüder waren in den ersten Jahren nur "ordentliche Kriegsleute", welche zur See den Krieg eben so führten, wie er damals zu Lande geführt zu werden pflegte: das Hauptgeschäft im Kriege war die Dörfer niederzubrennen, das Gut zu rauben, Menschen als Gefangene und Vieh als Beute wegzutreiben, freilich unterschied sich diese Art Kriegsführung von Räuberei nur dadurch, daß sie offen und von ehrlichen Leuten und so lange geschah, als


1) Die Handlungen der Vitalienbrüder sind weitläuftig beschrieben in Reimar Kocks Chronik, im Auszuge gedruckt in den lübischen Chroniken, herausgegeben von Grautoff, I, S. 493 flgd.; jedoch leidet die Darstellung dieses Chronisten etwas an zu allgemeiner Auffassung der Seeräuberei.
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die Fehde angesagt und noch kein Friede geschlossen war. So lange also der Krieg mit Schweden dauerte, waren diese Züge der Vitalienbrüder nach damaligen Ansichten ganz in der Ordnung. In Detmar's lübischer Chronik, herausgegeben von Grautoff, werden die ersten Vitalienbrüder ganz treffend geschildert:

In demsulven iare 1392 warp sik tosamende en sturlos volk van meniger iegen, van hoveluden, van borgeren ute velen steden, van amptluden, van buren, unde heten sik vitalienbroder. Se spreken, se wolden teen up de koninghinnen van Denemarken t o hulpe deme koninghe van Sweden, den se hadden gevangen, ene los to ridende, unde nemande nemen scolden noch beroven, sunder de dar sterkeden de koninghinnen mit gude edder mit hulpe. So bedroweden se leider de gansen see unde alle koplude unde roveden beide uppe vrunt unde viande, also dat de sconesche reise wart nedderlegget wol dre ioar.

Aber es war ein schlechtes Beispiel gegeben, der Gewinn lockte, und so ward, als die Zeiten sich verschlimmerten, das Unwesen allgemein und nach der Freigebung des Königs nichts anders als gemeine Seeräuberei. Mit dem Anfange des 15. Jahrh. begann nämlich zu Lande eine allgemeine Räuberei, namentlich aus der Mark gegen Meklenburg, so daß man später die erste Hälfte des 15. Jahrh. als die bekannte Zeit bezeichnete, "in welcher man aus der Mark zu rauben pflegte"; dazu kamen in dieser Zeit die wilden und blutigen demokratischen Revolutionen in den Hansestädten.

Es ist nun eine Hauptfrage für die Geschichte, wer jene ersten Vitalienbrüder waren, so lange der Krieg mit der Königin Margarethe und die Gefangenschaft des Königs Albrecht währte. Die Masse des Schiffsvolks bestand natürlich aus gewöhnlichen Kriegs= und Seeleuten; aber es ist die Frage, wer die Anführer und Hauptleute waren. Die Frage ist sehr schwer zu beantworten, da es bei dem unstäten Seeleben der Leute natürlich an urkundlichen Nachrichten fehlt; die Geschichtsforscher haben sich mit der Beantwortung dieser Frage nicht beschäftigt, theils aus dem angeführten Grunde, theils weil sie selbst die alten Vitalienbrüder nur für gemeines Raubgesindel hielten. Auch Voigt geht, wohl aus dem letztern Grunde, auf diese Frage nicht ein, sondern sagt (a. a. O. S. 42) nur von Rambold Sanewitz und Bosse von Kaland, wie es scheint etwas spöttisch, daß "sich beide Ritter genannt."

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Wir kennen glücklicherweise eine Urkunde 1 ), welche den Weg zu weiterer Forschung zeigt. Am Johannistage 1394 stifteten nämlich zu Stockholm Herr Rambold Sanewitz, Herr Bosse von Kaland, Ritter, Arnd Stük, Claus Mylges, Marquard Preen, Hartwig Seedorf, Lippold Rumpshagen, Heinrich Lüchow, Bertram Stockeled und der Schiffsherr Joseph, Knappen, in Vollmacht und auf Rath der "guten Leute", die sich mit ihnen hatten belagern (bestallen) lassen öffentlich in dem Eise auf der "Vörde(?) bei Dalerne, in Hoffnung auf die Bestätigung ihres lieben Herrn des Königs Albrecht und dessen, der nach ihm möchte König werden, mit ihrem eigenen Gute und mit "guter Leute Hülfe", eine ewige Messe zu Ehren Gottes, des heiligen Kreuzes, des heiligen Blutes, des h. Georg, der h. Gertrud und aller Heiligen in einer der Kirchen (buykerke) zu Stockholm, weil Gott sie mit seiner Gnade beschirmte und bewahrte vor ihren Feinden, und bestellten zugleich den Priester Johann Osterburg, um die Messe zu halten und zu beten für ihren lieben Herrn den König, für die Seinen, für sie allesammt und für alle, welche die Messe bessern und stärken würden mit Worten, mit Willen und mit Werken.

Dies sind die Hauptleute der Vitalienbrüder, die uns auch sonst noch genannt werden. sie waren fast alle dieselben, welche ihren Mittelpunkt in Wisby hatten und in Reval einfielen, hier alles verheerend: es werden genannt 2 ) Henning Manteufel, Zickow, Berkelink, Kraseke, Kule, Marquard Preen, Olav Schutte, Heino Schutte, Arnold Stuke, Nicolaus Mylges u. a. Ja, mehrere von diesen, namentlich Arnold Stuke, Nicolaus Mylges, Marquard Preen und einige andere 2 ) wagten es im J. 1392 sogar, den Bischof Tordo von Strängnäs an den Seen bei Stockholm zu überfallen, auszuplündern und mit seinem Hofgesinde gefangen nach Stockholm zu führen, wo er, an Händen und Füßen gesesselt, der Bewachung des Herzogs Johann von Meklenburg überliefert ward und so lange im Kerker saß, bis er durch ein bedeutendes Lösegeld seine Freiheit erkaufte. Der über die Vitalienbrüder deshalb ausgesprochene päpstliche Bann wirkte natürlich gar nichts. Die in der Urkunde vom 24. Juni 1304 genannten Hauptleute 3 ) waren es auch, welche im Winter 1393-94 das bekannte und noch jetzt viel er=


1) Vgl. Urk. Samml. Vermischte Urkunden.
2) Vgl. Voigt a. a. O. S. 27.
2) Vgl. Voigt a. a. O. S. 27.
3) Vgl. Voigt a. a. O. S. 41. Die Begebenheit kann wohl nicht "gegen den Ausgang des Jahres 1394" geschehen sein, da die Messe für die Errettung Johannis im Mittensommer 1394 gestiftet ward.
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zählte Abenteuer auf der See bestanden. Als nämlich Stockholm von den Dänen strenge belagert ward und schon große Hungersnoth in der Stadt herrschte, schickten die Städte Rostock und Wismar acht mit Lebensmitteln beladene Schiffe durch die Hauptleute der Vitalienbrüder nach Stockholm. An der Küste von Schweden trat aber plötzlich eine so heftige Kälte ein, daß die Schiffe einfroren. Da nun ein stürmender Angriff der Dänen zu befürchten war, so gingen die Vitalier zur Nachtzeit ans Land, fällten hier Bäume, baueten damit um die Schiffe einen großen Wall, den sie mit Wasser begossen, und sägten und brachen das Eis umher ein. Als nun die Dänen zum Sturme heranrückten, brach unter ihnen das Eis ein und alle sanken in die Tiefe. Die kühnen Seeleute und Krieger blieben aber verschont, bis sie bei eintretendem Thauwetter in den Hafen von Stockholm einlaufen konnten. Dieses Abentheuer ist ohne Zweifel dasselbe, dessen in der Stiftungsurkunde der Messe gedacht wird. Der Plan und die Anführung wird einem wismarschen Hauptmann Hugo zugeschrieben, der jedoch in der Urkunde nicht genannt wird; vielmehr werden hier die öfter genannten Hauptleute der Vitalianer aufgeführt.

So viel ist von den namhaften Hauptleuten der Vitalienbrüder bekannt. Fragt man nun darnach, was es für Leute gewesen seien, welche die Züge der Vitalienbrüder anführten, so läßt sich im voraus nach allgemeinem Ueberblicke die Antwort geben, daß es meklenburgische Edelleute waren, welche die Titel Ritter und Knappe nicht aus Anmaßung führten.

Von einem der Hauptleute läßt sich durch mehrere urkundliche Entdeckungen eine sichere Nachweisung und Geschichte geben, von dem Knappen Marquard Preen. Marquard Preen gehörte zu der bekannten, alten, meklenburgischen, adeligen Familie, welche noch jetzt blüht. Er war der Sohn des Henneke Preen, der seinen Rittersitz zu Davermoor hatte; das Gut Davermoor lag südlich von Gr. Brütz in der Grafschaft und Vogtei Schwerin, eine Meile westlich von der Stadt Schwerin, und ging am Ende des 14. Jahrh. unter; das Feld gehörte seitdem zwei Jahrhunderte als wüste Feldmark zum Dorfe Gr. Brütz und nahm seit dem Anfange des 17. Jahrh. einen neuen Rittersitz auf, welcher den Namen Gottesgabe erhielt 1 ). Die Linie der Preen auf Davermoor war stets kampflustig und gerüstet, so lange sie sich verfolgen läßt. Kaum hatte der Graf Otto von Schwerin im Anfange des J. 1357 die Augen geschlossen und der Herzog Albrecht von Meklenburg gegen den


1) Vgl. Beilage Nr. 1.
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Grafen Nicolaus von Teklenburg und dessen Sohn Otto seine Ansprüche an die Succession in die Grafschaft erhoben, als schon am 27. Juli 1357, nach einer Original=Urkunde, "Henneke und seine Söhne Johann, Heinrich und Gottschalk, Knappen, geheißen Preen von dem Davermore", welche bisher Vasallen der Grafen von Schwerin gewesen waren, "mit allen ihren Verwandten (frunden), die sie bestimmen konnten (de wy vormoghen), auf Rath ihrer nächsten Angehörigen (negesten) sich dem Herzoge Albrecht zu Dienste gaben und setzten, also daß sie ihm dienen und helfen wollten mit ihrer ganzen Macht gegen jedermann, namentlich gegen den Grafen von Teklenburg und die Schwerinschen und ihre Helfer.

Marquard Preen muß damals entweder außerhalb Landes oder noch ein Knabe gewesen sein, als sein Vater mit seinen erwachsenen Söhnen sich für die meklenburgischen Herzoge erklärte; er erscheint aber schon nach zehn Jahren auf dem Schauplatze. Unter dem Herzoge Albrecht hatten die von ihm so sehr begünstigten Städte ungewöhnliche Kraft, Selbstständigkeit und Bedeutsamkeit gewonnen, und das Gefühl derselben hatte sich auch andern Städten mitgetheilt, die nicht grade unter seiner Herrschaft standen; namentlich übten die werleschen Städte, je mehr sie häufig von schwachen Fürsten vernachlässigt wurden, nicht selten eine scharfe, eigenmächtige Justiz. So hatten die Bürger der Stadt Güstrow den Hans Preen, einen Sohn des Henneke Preen auf Davermoor, wir wissen nicht bei welcher Gelegenheit, aber wahrscheinlich anf einem Raubzuge gefangen und demselben vor Güstrow den Kopf abgeschlagen. Am 29. Jan. 1367 mußten sein Vater Henneke Preen und dessen Sohn Marquard Preen, die wahrscheinlich auch gefangen gewesen waren, dem Fürsten Lorenz von Werle und dem Rath und der Bürgerschaft der Stadt Güstrow Urfehde schwören 1 ) und geloben, wegen dieser Angelegenheit nimmer gegen den Fürsten und besonders gegen die Stadt Güstrow Ansprüche oder Gewaltthat zu erheben; für die unverbrüchliche Haltung dieser Sühne mußten alle ihre "Vettern" und Verwandte, welche in zahlreichen Linien namentlich aufgeführt sind, bürgen; Henneke und Marquard Preen führten das bekannte v. Preensche Siegel mit drei Pfriemen (plattdeutsch=prên) im Wappen.

Hiemit ist die Stellung des Marquard Preen genau und bestimmt nachgewiesen. sein Vater ist wohl ohne Zweifel derselbe, welcher sich 1357 zu dem Herzoge Albrecht wandte, und sein kurz vor dem J. 1367 geköpfter Bruder Hans der älteste


1) Vgl. Urk. Samml. Vermischte Urkunden.
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Sohn Henneke's, welcher 1367 Johann genannt wird; von den beiden andern Söhnen Hennekes, von Heinrich und Gottschalk, ist nicht weiter die Rede.

Darauf erscheint Marquard Preen, dessen Vater sich so früh und kräftig dem Fürstenhause Meklenburg angeschlossen hatte, als Hauptmann der Vitalienbrüder, so lange diese noch die Befreiung des Königs Albrecht und die Verproviantirung der Hauptstadt Stockholm zum Zweck hatten: 1392 vor Oesel und Reval, 1393 vor Stockholm, 1394 in Stockholm. Mit der Befreiung des Königs verschwindet nicht allein Marquard Preen aus der Geschichte, sondern auch die ganze Linie seines Geschlechts, deren Rittersitz Davermoor wohl ohne Zweifel bald darauf zerstört ward, da er schon im J. 1425 als wüste Feldmark genannt wird. Marquard Preen wird in der Fremde oder auf der See sein Leben beschlossen haben.

Marquard Preen war also ohne Zweifel, nach urkundlichen Aussagen ein meklenburgischer Edelmann. Aber auch von andern seiner Genossen läßt sich dasselbe nachweisen.

Der Ritter Bosse von Kaland war ebenfalls ein Meklenburger. Die Familie von Kaland war eine alte, jetzt ausgestorbene, meklenburgische adelige Familie, welche von der meklenburgischen Stadt und Fürstenburg Kaland, oder jetzt Kahlen oder Kahlden, den Namen trug. Der Vorname Borchard, oder das Diminutiv desselben Bosse für Knappen, war in der Familie sehr gebräuchlich. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. theilte sich die Familie in drei Linien nach den Gütern Rey, Sukow und Vinkenthal, welche alle in der Nähe der stadt Kalen und des Klosters Dargun liegen; das Gut Rey war noch am Ende des 17. Jahrh. im Besitze der Familie. In der Linie Sukow lebte im J. 1360 ein Knappe Borchard von Kalant und in der Linie Vinkenthal im J. 1392 ein Knappe Bosse von Kaland; der letztere wird der Hauptmann der Vitalienbrüder sein, da er sich um diese Zeit seiner Güter entäußerte und durch seine Frau Geld aufnahm. Am 4. Nov. 1387 verkaufte, nach einer ungedruckten Urkunde, "Bosse von dem Kalande, Hermann's Sohn, der zu Vinkenthal gewohnt hatte, seines rechten Vaters Erbe (mynes rechten vader erue), zwei Hufen zu Vinkenthal." Am 10. sept. 1392 ertheilte der Herzog Johann von Meklenburg, zu Wismar, auf Rath der Räthe des Königs Albrecht, welcher ihm die Regierung des Landes übertragen hatte, "dem Busse von dem Kalande" die Freiheit, das halbe Gut Stove, welches seiner Ehefrau, Gottschalk's von Stove Tochter, aus der väterlichen Erbschaft zugefallen war, nach seinem Belieben zu verpfänden oder zu verkaufen, und am 2. Oct. 1392 bezeugt

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der Herzog Johann, daß Sigrit, "Busse von Kaland's Weib", vor ihm aufgelassen habe ihr väterliches Erbe, nämlich die Hälfte des Dorfes und Hofes Stove, welches sie an Johann Bassewitz und Bernd Dume zum brauchlichen Pfande überlassen hatte 1 ). Aus allen diesen Veräußerungen geht hervor, daß Bosse von Kalant zu besondern Unternehmungen Geld gebrauchte und aufnahm und sogar seine Frau ihr Erbtheil verpfänden mußte; er scheint bei dieser Verpfändung schon außerhalb Landes gewesen zu sein. Wann und wo er Ritter geworden ist, ist nicht bekannt; um Michaelis des J. 1392 war er es noch nicht, wenigstens war es im Lande nicht bekannt, da es sonst in den Urkunden sicher ausgesprochen sein würde.

Eben so waren die meisten andern Hauptleute der Vitalienbrüder meklenburgische Edelleute.

Lippold Rumpeshagen, von dem bei Penzlin belegenen Gute gleiches Namens so genannt, war ein Glied einer bekannten rittermäßigen Familie Meklenburgs, welche jedoch nicht sehr ausgebreitet war und im 17. Jahrh. ausgestorben ist.

Arnd Stük, nach dem Gute gleiches Namens in der Nähe von Schwerin, gehört einer alten meklenburgischen Ritterfamilie an, welche schon im J. 1171 genannt wird und im 15. Jahrh. ausstarb. Die Hauptfeste der Stük war Kützin (Pf. Körchow, bei Wittenburg), welche im J. 1349 zugleich mit den v. Züleschen Festen Neuenkirchen, Tessin und Camin von den Lübekern gebrochen ward: "1349 wunnen se de vestene Koessyn, de horde to dem van Stuken (Detmar Lüb. Chron.). Das Gut Stük war schon 1440 im Besitze der Familie Raven.

Heinrich Lüchow, von dem Gute gleiches Namens bei Kaien, war ein Glied einer meklenburgischen rittermäßigen Familie, welche wenig genannt wird und mit dem Ende des 14. Jahrh., vielleicht mit diesem Heinrich, ausstarb.

Bertram Stokeled (Stokvlet?) wird auch aus einer meklenburgischen Familie stammen, da der Name einige Male in der meklenburgischen Ritterschaft genannt wird.

Henning Manteuffel gehört zu der noch blühenden Familie, welche im Mittelalter ihre Wohnsitze im Lande Stargard hatte.

Kule gehört auch einer meklenburgischen Familie an, welche jedoch nicht sehr verbreitet war.

Moltke, der im J. 1395 von den Stralsundern gefangen


1) Diese beiden Urkunden sind gedruckt in Pötker Sammlung Meklenburg. Urkunden. V, S. 28.
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und enthauptet ward, war ein Glied, der bekannten großen meklenburgischen Familie, die schon im 14. Jahrh. auch in Dänemark ansässig war und hier in großem Ansehen stand.

Andere lassen sich mit geringerer Sicherheit nachweisen, wie die Schütte, Seedorp, jedoch klingen die Namen sehr meklenburgisch und kommen öfter unter verschiedenen Verhältnissen in Meklenburg vor.

Einige Hauptleute, wie der Ritter Rambold Sanewitz, lassen sich noch nicht nachweisen; es mögen aber auch einige Namen falsch gelesen sein.

Es ist also keinem Zweifel unterworfen, daß bei weitem die Mehrzahl der ersten Hauptleute der eigentlichen Vitalienbrüder meklenburgischen rittermäßigen Familien angehörte. Alle diese Hauptleute der Vitalienbrüder wirkten so lange, als die Gefangenschaft des Königs Albrecht dauerte: mit dem J. 1395 verschwinden sie aus der Geschichte.

Mit dem J. 1394 traten 1 ) zuerst jene berüchtigten Seeräuber auf, namentlich Claus Störtebeker, welche so viele Jahre die See völlig unsicher machten und deren Zweck allein Raub war. Diese bloßen Seeräuber sind mit den Vitalienbrüdern nicht zu verwechseln, wie es von den Chronisten wohl öfter geschehen ist. Claus Störtebeker war wahrscheinlich ein Einwohner der Stadt Wismar 2 ).


Ein anderes wichtiges Element in der Bewegung von der Mitte der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. lag in der Erstarkung der Städte, welche bei dem regen Leben oft in gewaltthätigen Uebermuth und in eigenmächtige Selbsthülfe ausartete. Es waren nicht allein die Seestädte, sondern auch die Landstädte, welche ihre Kraft oft auf eine etwas ungemessene Weise äußerten, namentlich die Städte des Fürstenthums Werle, welches häufige Landestheilungen und oft schwache Fürsten hatte. So hatten z. B. die Bürger der Stadt Malchin im J. 1372 das dortige fürstliche Schloß gebrochen und die Fürsten mußten die Schloßstätte an die Stadt verkaufen 3 ); im J. 1385 vereinigten sich die Seestädte mit dem Könige Albrecht, um die gefährlichsten Ritterburgen zu brechen, unter diesen auch die Burg Schorssow: bei dieser Gelegenheit erschlugen die malchiner Bürger den Maltzan anf Schorssow zu Faulenrost 4 ).


1) Vgl. Laurent a. a. O. S. 47-48.
2) Vgl. Jahrb. III, S. 157-158.
3) Vgl. Lisch Maltzan. Urk. II, Nr. 293, S. 245.
4) Vgl. Lisch Maltzan. Urk. II, Nr. 337-345.
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Dergleichen Beispiele kommen in dieser Zeit öfter vor. Die Entdeckung einiger interessanter Urkunden im Archive der Stadt Güstrow giebt mir die Gelegenheit, bei der Untersuchung über die Herkunft und die Stellung der Vitalienbrüder hier einige bisher unbekannte Beispiele in die Geschichte einzuführen, um so mehr als sie mit der obigen Darstellung in gewissem Zusammenhange stehen.

Im J. (1366) hatten die Bürger der Stadt Güstrow einen Strauß mit den fehdelustigen Preen auf Davermoor gehabt und dem Hans Preen, einem Bruder des nachmaligen Vitalienbruderhauptmanns Marquard Preen, vor Güstrow den Kopf abgeschlagen; am 29. Jan. 1367 mußte der Vater Henneke Preen auf Davermoor mit seinem Sohne Marquard der Stadt Güstrow und dem Fürsten Lorenz von Werle Urfehde schwören und sämmtliche Vettern der Familie mußten Bürgschaft dafür leisten 1 ). Im J. 1373 hatten die Bürger der Stadt Güstrow dem Bernd Gamm seine Burg Bülow 2 ) bei Güstrow "zerhauen und zerbrochen" und ihn selbst gefangen genommen; auch er mußte am 11. Sept. 1373 der Stadt und dem Fürsten Urfehde schwören 3 ).

Solche Beispiele, die in jener Zeit nicht sehr selten sein werden, werfen ein sehr helles Licht auf die damaligen Rechtszustände und geben den Beweis, daß es gegen das Ende des 14. Jahrh. auf dem Lande nicht viel sicherer war, als auf der See.



1) Vgl. Urk. Samml. Vermischte Urkunden, und oben s. 58.
2) Ueber die Burg Bülow bei Güstrow vgl. Beilage Nr. 2.
3) Vgl. Urk. Samml. Vermischte Urkunden.