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II. Nachrichten über mittelalterliche Kirchen und
andere Bauwerke.

Der Dom zu Güstrow.

Die Kirche des Collegiat=Stiftes zu Güstrow 1 ) ist für die Geschichte der Baukunst in Meklenburg von Wichtigkeit, da die Zeit der Erbauung (1226) bekannt ist und der Bau in die letzte Zeit der Uebergangsperiode fällt; wahrscheinlich ist sie die letzte Kirche, welche noch Spuren des Rundbogenstyls enthält. Sie schließt sich zunächst an die Kirche zu Neukloster.

Die Kirche ist durch Anbaue und Umbauungen sehr verunstaltet, und es hält schwer, ihre ursprüngliche Gestalt zu erkennen. Sie ist eine Kreuzkirche und hatte ursprünglich im Chor zwei, im Schiffe zwei, in jedem Kreuzschiffe ein und im Mitteltheile ein Gewölbe. Charakteristisch für den ganzen Bau sind zunächst Gestalt und Stellung der Fenster: die Fenster sind nämlich im Uebergangsstyl gebaut, sehr eng, ziemlich hoch, ohne Gliederung schräge eingehend und fast unmerklich spitz gewölbt; es stehen ihrer an jeder Seite eines Gewölbes immer drei neben einander, von denen das mittlere höher ist, als die andern beiden 2 ). Auf diese Weise sind der Chor und die beiden Seitenschiffe ausgestattet. Das Schiff hat an jeder Seite nur zwei größere, weite, gewöhnliche Spitzbogenfenster, deren eins an jeder Seite eines Gewölbes steht. Jene Construction einer Stellung von je drei Fenstern zusammen, welche sich sonst gewöhnlich nur in der Altarwand findet, ist nur im Chor und in den Kreuzschiffen durchgeführt; am klarsten ist sie in den Kreuzschiffen, namentlich an den beiden Seitenwänden des nördlichen Kreuzschiffes, zu erkennen. Sonst ist diese Construction theils, durch den Anbau langer Seitenschiffe, Capellen und durch Epitaphien, theils durch Einbrechung großer Spitzbogenfenster sehr verdunkelt; so z. B. haben die Hauptwände der Kreuzschiffe über den Eingangspforten statt


1) Das Domstift zu Güstrow ward am 3. Junius 1226 von dem Fürsten Heinrich Borwin II. auf seinem Sterbelager als ein Collegiatstift des Bisthums Schwerin gegründet; H. Borwin starb 4/5. Junius 1226. Sein Vater, der alte Borwin I., starb erst am 28. Januar 1227. Darauf riß der Bischof von Camin bei den Diocesan=Streitigkeiten das Stift seit 1235 an sich; mit der Beendigung der Streitigkeiten um die Mitte des 13. Jahrhunderts blieb es bei dem Bisthume Camin, welches von Pommern her bis über die Grenzen der güstrowschen Parochie sich erstreckte. Der Bischof von Schwerin gründete dagegen im J. 1248 ein neues Collegiatstift in der nahen Stadt Bützow.
2) In dieser Hinsicht scheint der Dom zu Güstrow Vorbild der Kirchen östlich von Güstrow bis Schwaan zu sein, deren Bau im Jahresber. VI, S. 87 flgd. berührt ist.
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der drei schmalen Fenster jetzt Ein großes Spitzbogenfenster; es sind aber die Wölbungen der alten Fenster neben den neuen noch klar in der Mauer zu erkennen.

Das Innere der Kirche ist nicht hoch; es ist in leisem Spitzbogen in den Rippen und in den Scheidebogen gewölbt; das Aeußere hat keine Strebepfeiler.

Betrachten wir jetzt die einzelnen Haupttheile der Kirche.

Der Chor hatte ursprünglich die Größe von 2 Gewölben und wahrscheinlich eine rechtwinklig angesetzte, grade Altarwand. In Jüngern Zeiten, wahrscheinlich um den Anfang des 15. Jahrhunderts, ist der Chor um 2 Gewölbe mit großen Fenstern im jüngern Spitzbogenstyl verlängert; es ist zunächst ein Gewölbe und dann eine dreiseitige Altarnische, welche Strebepfeiler an der Außenwand hat, im Ganzen also der Raum von 5 großen Spitzbogenfenstern, angesetzt: man erkennt diese Ansetzung sehr deutlich an den Außenwänden. Mit dieser Ansetzung, da die Altarwand abgebrochen ward, war es nöthig, auch das erste Gewölbe über dem alten Altare neu zu bauen. Es sind daher bei der Ansetzung des neuen Altarraumes von 2 Gewölben 3 Gewölbe in gleichem Style neu gebauet; zugleich sind in die Seitenwände des ersten alten Altar=Gewölbes zwei große Spitzbogenfenster eingebrochen. Es trägt daher der Chor im Innern nur noch in dem Gewölbe zunächst dem Kreuzschiffe die ursprüngliche Gestalt; aber auch hier sind die 3 Fenster an jeder Seite, links durch die großen fürstlichen Epitaphien und rechts durch den hohen Fürstenstuhl, sehr verbauet. - Der Chor liegt mehrere Stufen hoch und hat ganz das Ansehen, als wäre eine Krypte oder Gruftkirche unter derselben, was wohl gewiß nicht der Fall ist; der alte Altarraum, so wie die neue Verlängerung des Chors, liegt noch um 2 Stufen höher. Im Anfange dieser letzten Erhöhung steht auch das vom Herzoge Ulrich restaurirte Grabmal des Fürsten Heinrich Borwin II., des Gründers der Kirche; denkt man an die jüngere Verlängerung des Chors, so lag Borwins Grab unmittelbar vor dem alten Altare, während es jetzt eine ganze Strecke von dem neuen entfernt ist. - Das einzige alte Gewölbe im Chor, zunächst dem Kreuzschiffe, also das Gewölbe zunächst vor dem ehemaligen Altargewölbe, ist ein Sterngewölbe von 8 Rippen und das höchste Gewölbe in der Kirche. Dieses Gewölbe ruht auf reichen Pilastern, welche aus Säulenbündeln bestehen. Die 3 Gewölbe der Verlängerung ruhen auf einfachen, mit Weinlaub in den Kapitälern verzierten Säulen.

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Die Kreuzschiffe sind noch am besten erhalten und, wenn auch theilweise von außen verbauet, doch im Innern noch klar zu erkennen. Namentlich ist das nördliche Kreuzschiff nach dem Kirchhofe hin im Innern und Aeußern der am besten erhaltene und kunstvollste Theil der ganzen Kirche. Die Pforte in der nördlichen Wand des nördlichen Kreuzschiffes ist mit Wulsten in reinem Rundbogenstyl gewölbt; darüber steht der bekannte Fries von Halbkreisbogen, und auch der Giebel hat einen gleichen Fries mit andern passenden Verzierungen im Giebelfelde; im Giebel standen 3 schmale, schräge eingehende Fenster, statt deren ein großes, weites Spitzbogenfenster eingebrochen ist. - Gleich ist das südliche Kreuzschiff; nur ist die Pforte in demselben im Spitzbogen, wenn auch eigenthümlich, gewölbt und es fehlt der Rundbogenfries und sonstige Verzierung.

Hiernach dürfte zuerst der Chor, dann das nördliche Kreuzschiff, dann das südliche Kreuzschiff, hierauf das Schiff und zuletzt der Thurm gebauet sein. Das erste Gewölbe im Chor zunächst dem Mittelgewölbe und das nördliche Kreuzschiff sind daher wohl die ältesten Theile der Kirche.

Das Schiff ist einfach und hatte ursprünglich an jeder Seite 2 große Fenster, welche an der Südseite ganz, an der Nordseite in der untern Hälfte zugebauet sind. Das Schiff hat an jeder Seite ein sehr niedriges Seitenschiff und vor diesen eine gleich lange und hohe Reihe von (4) Kapellen an jeder Seite. Alle diese Räume sind in jüngern Zeiten angebauet. Das nördliche Seitenschiff scheint zu gleicher Zeit mit den Capellen angebauet zu sein; die Gewölbe des Seitenschiffes und der Capellen ruhen nämlich in der Mitte auf denselben kurzen Granitsäulen und es fehlt dem Seitenschiffe die Außenmauer. Das südliche Seitenschiff ist dagegen, da es eine jetzt nach den Capellen hin durchbrochene Seitenmauer hat, früher allein als Seitenschiff angebauet und die Capellen sind später vorgesetzt. Die Capellen haben an dieser Seite einen zweiten gewölbten Stock, der jetzt das Superintendentur=Archiv enthält. - Durch diese Seitenschiffe und deren hoch hinauf reichende Dächer ist das Schiff von außen fast gar nicht zu erkennen. - So scheint sich die Sache zu verhalten. Urkundliche Nachrichten bezeugen jedoch, daß alle Seiten=Cappellen nach und nach erbauet und die letzten am Ende des 14. Jahrhunderts vollendet wurden. Zur Erbauung der letzten Capelle an der Nordseite, natürlich vorausgesetzt, daß der Bau der Capellen von Osten nach Westen fortge=

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schritten sei, ward im J. 1388 Anstalt gemacht; in D. Clandrians Regesten der güstrowschen Dom=Urkunden (die Urkunden selbst sind verloren gegangen) heißt es:

"1338. Sept. 28. giebt Hennekinus von Bülow, Canonicus zu Güstrow, durch sein Testament mehreres zur erbawung einer Capellen an den Torm der Thumbkirchen an der Nordseite."

Die letzte Capelle an der Südseite war im J. 1394 schon fertig; in denselben Regesten heißt es:

"1394. Des güstrow. Decani Nicolai von Güstrow Fundation einer Vikarei in der Thumbkirchen in seiner Capellen nehist dem Torm gegen Mittage."

Das Thurmgebäude ist ein hohes, treffliches Gebäude, welches jetzt nur ein Hausdach hat. Es ist in der Zeit des ausgebildeten Spitzbogenstyls, etwa um 1300, erbauet. Da die Kirche nicht groß und nicht sehr hell ist, so ist der Raum im Thurme gewölbt und mit zur Kirche gezogen. Ein großes Spitzbogenfenster in der Westwand über einer trefflichen Pforte im Spitzbogenstyl giebt der Kirche jetzt viel Licht.

Vor dieser Turmpforte liegt ein gewaltiges Taufbecken von Granit mit hübschen architectonischen Ornamenten. Dieses Granitbecken ist wohl bei weitem das größte im Lande.

Von alten Mobilien bewahrt die Kirche nur wenig. Bemerkenswerth ist der geschnitzte Hauptaltar mit ziemlich freiem Laubwerk. In der Mitte ist die Kreuzigung dargestellt. Am Kreuzesstamme knieen zu beiden Seiten des fünfschildigen meklenburgischen Wappens zwei kleine Figuren: die eine im weiten geistlichen Gewande, neben sich ein Baret, die andere im Harnische, neben sich einen Helm haltend. Ohne Zweifel sollen diese Figuren die Herzoge Magnus und Balthasar vorstellen; der Altar wird also ungefähr 1490 - 1500 vollendet sein. (Das fünfschildige meklenburgische Wappen ist seit 1494 im Gebrauche.) Neben dem Altare stehen zwei trefflich geschnitzte Beichtstühle, mit sehr schönen Rosetten und Palmetten; der Stuhl rechts vom Altare ist in den Seitenwänden sehr reich mit geschnitzten Figuren geschmückt.

Von alten fürstlichen Begräbnissen findet sich nur das Grab Heinrich Borwin's II. in der Kirche; dasselbe ist vom Herzoge Ulrich 1574 mit einem steinernen Sarkophage überdeckt worden. Die auf Borwin folgenden Herren von Werle hatten ihr Begräbniß in der Kirche zu Doberan.

In dem südlichen Seitenschiffe liegen einige alte Leichensteine. Auf dem einen ist noch zu lesen:

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Inschrift

(Anno domini MCCCXCVII in vigilia pentecostes obiit dominus Bertoldus [scholasticus?] 1 ) hujus ecclesiae, cujus anima in pace Jesu Christi requiescat. Amen.)

Da es den Anschein hat, daß diese Leichensteine noch an ihrer ursprünglichen Stelle liegen, so würde das südliche Seitenschiff vor 1397 gebauet sein.

In den Zeiten der neuern Geschichte war der Dom vorzüglich Gegenstand der Sorge des Herzogs Ulrich und seiner Gemahlin Elisabeth, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Diese ließen die prächtigen Epitaphien mit den Bildsäulen und Genealogien setzen, welche die ganze Nordwand des Chors zieren; ferner stammen aus dieser Zeit der Fürstenstuhl, Borwins Grabmal, die Kanzel, der Taufstein und mehrere Epitaphien u. dgl. Der Herzog Gustav Adolph liebte den Dom ebenfalls. Von ihm stammt z. B. das Denkmal auf den Rath Günther Passow und die Glasmalerei in dem Fenster hinter dem Altare, welche die Kreuzigung darstellt und für Glasmalerei aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sehr beachtenswerth ist.

Neben dem Grabe Borwins im Chor ist das Grabgewölbe für die Familie des Herzogs Ulrich, vor dem Altare das Grabgewölbe für die Familie des Herzogs Johann Albrecht II., in einer Seiten=Capelle an der Südwand das Grabgewölbe für die Familie des Herzogs Gustav Adolph. - An alten Grabsteinen ist die Kirche jetzt sehr arm.

G. C. F. Lisch.     


1) Nach D. Clandrian's Urkunden=Registratur ward Bartholdus Rodolphi im J. 1381 zum Scholasticus des Dom=Capitels erwählt.