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V.

Ueber

die wendische Fürstenburg Werle,

von

G. C. F. Lisch.


W erle, die bedeutungsreichste der niklotschen Fürstenburgen, welche schon im J. 1129 genannt wird 1 ), ist schon schwerer aufzufinden, als die übrigen, von denen doch noch der Name oder wenigstens ein Anklang an denselben sich erhalten hat; nach Werle hin leitet aber keine andere Spur, als urkundliche. Werle ist an vielen Orten gesucht, und doch deuten die Urkunden nur auf einen beschränkten Raum, wo es gelegen haben kann. Helmold sagt nämlich ganz deutlich:

"Werle lag an der Warnow, nahe beim Lande Kessin 2 ).

Das alte Land Kessin ist aber ohne Zweifel das neuere Land Rostock. Werle muß also an der Warnow aufwärts hin nach Schwan oder Bützow gesucht werden. - Eine genauere Begrenzung geben einige Urkunden des Bisthums Schwerin. Der Sachsenherzog Heinrich der Löwe dotirte im J. 1171 das Bisthum Schwerin außer mit andern Gütern auch mit dem

"Lande Bützow und der Burg Werle mit dem


1) "Zwentepolch - - direxit expeditionem in provinciam Obetritorum obseditque urbem, quae dicitur Werle; qua in potestatem redacta, ultra progressus est ad urbem Kycinorum obseditque eam hebdomadibus quinque. Tandem urbe subacta - reuersus est Lubeke." Helmold I, cap. 48, §. 5.
2) "Et videns Niclotus virtutem ducis, succendit omnia castra sua, videlicet Ilowe, Mikilinburg, Zuerin et Dobin, praecavens obsidionis periculum. Unum solum castrum sibi retinuit Wurle, situm iuxta flumen Warnou, prope terram Kicine." Helmold I, cap. 87, §. 3. Man vgl. "Tunc filii audita morte patris succenderunt Wurle et occultaverunt se in nemoribus, familias vero suas transtulerunt ad naves." Ibid. 6. - Auf dieselbe Lage deutet auch die eben angeführte Stelle Helmolds I, 48, 5.
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"dazu gehörenden Lande, ebenfalls Werle genannt, zu beiden Seiten der Warnow liegend 1 );

und die Päpste Urban III. und Clemens III. confirmirten in den J. 1185 und 1189 diese Dotation, indem sie die Grenzen derselben noch genauer beschrieben:

Bützow - und das Land, welches an Bützow grenzt, Werle genannt, bis zu den Flüssen Tithmentheke und Zarnow" 2 ).

Der Fluß Tithmentheke oder Tithmensowe, oder wie er sonst genannt wird, ist, namentlich beim Mangel der Original=Bulle, bei der schwankenden Schreibart des Namens in den gewiß fehlerhaften Drucken nicht mehr ausfündig zu machen. Der Fluß Zarnow fließt aber noch heute von einer Forst, genannt die Zarnow, beim Dorfe Sabel, A. Güstrow, bei Scharstorf, Prisannewitz und Klingendorf vorüber bei Reetz (als Reetzer Mühlenbach) in die Warnow 3 ).

Das Land Werle wird daher ungefähr eine Meile ober= und unterhalb der Stadt Schwan zu beiden Seiten der Warnow (zwischen den Ländern Bützow und Kessin oder Rostock), und die gleichnamige Burg innerhalb dieses Raumes an den Ufern der Warnow zu suchen sein. Daher sagt auch der Fürst Nicolaus von Werle in einer Urkunde vom 1. Aug. 1301 4 ), daß der König von Dänemark ihm abgetreten habe:

"das Land Werle in seinen Scheiden und Grenzen, mit Ausnahme des Feldes bei Schwan".


1) "His in eadem dote adjunximus terram, quae vocatur Butissowe, et castum Werle dictum cum terra attinenti, etam Werle dicta, ab utraque parte aquae Warnowe." Dotations=Urk. des Herzogs Heinrich vom J. 1171 in Franck A. u. N. M. III, S. 127.
2) "Sursum versus aquam - - terram adjacentem Butessowe, Werle dictam usque ad fluvios Tithmentheke et Zarnow dictos." Confirm.=Urk. des Papstes Urban III. vom J. 1185 in Franck A. u. N. M. III, S. 191, und des Papstes Clemens III. in Westphalen Mon. ined. IV, p. 898. - Die Lesart des Flußnamens Thithmentheke ist bei dem Mangel an Original=Urkunden verschieden.
3) Die Zarnow ist noch heute unter diesem Namen in der Gegend allgemein bekannt und es wird noch jetzt sehr häufig über die "Aufräumung der Zarnow" verhandelt; die Acten hierüber beim Amte Schwan sind noch ganz jung. Nach gütiger Mittheilung des Herrn Amts=Actuarius Grotrian zu Schwan.
4) "Terram autem Werle in suis terminis, sicut fuisse dinoscitur, cum domino de Rotzstoc impignorata fuerat, nobis libere resignauit, excepto solummodo campo Sywan adiacente." Wöchentl. Rost. Nachr. 1753, S. 19.
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Hiemit stimmen auch die Sagas der Dänen überein. Die Knytlinga=Saga, eine bewährte Quelle, sagt Cap. 119 1 ):

"Diesen Sommer (1159) zog König Valdemar wieder gen Vindland (Wendenland), und auf dieser Reise ward sein Drache beschädigt; aber der König segelte hinauf in den Gudagersaa (die Warnow) und hielt da eine Schlacht mit einem Vendischen Häuptlinge, welcher Mjuklat (Niclot) hieß. Dieses Sohn hieß Fridleif (Prizlav); er ward von den Dänen auf dem ersten Zuge gefangen und er war da beim Könige und war Christ geworden. Sie schlugen sich bei der Stadt Urk (Vurle): König Valdemar siegte, aber Mjuklat floh und fiel zuletzt. Die Dänen nahmen sein Haupt und steckten es auf einen Pfahl außerhalb vor der Stadt. König Valdemar zog darauf zu seinen Schiffen."

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß in dieser merkwürdigen Stelle nur von der Burg Werle oder Wurle die Rede und die Form Urk nur eine falsche Lesart für Urle (d.i. Werle) ist, wie die Saga auch Mjuklat statt Njuklat liest und überhaupt die Namen in dieser Saga "oft nur durch Conjectural=Kritik richtig hergestellt werden können" 2 ).

Die alten Chronisten und Historiker, wie Kirchberg 3 ), Corner, Albert Crantz, folgen dem Helmold buchstäblich.

Wenn nun noch etwas von Werle übrig geblieben ist, so wird es nicht weit zu suchen sein. Es haben auch mehrere ältere Forscher die Meinung ausgesprochen, Werle habe beim Hofe Wiek, südlich von Schwan, zwischen Schwan und Bützow, an der Warnow gelegen. Der Urheber dieser genauern Angabe ist wahrscheinlich Lindeberg 4 ), welcher in seiner rostocker Chronik (v. J. 1596) sagt:

"Herula, Werlovium seu Werle, arx et opidum, - - duorum miliarium intervallo ab urbe Rostochio ad Varnam fluvium iuxta pa-


1) Vgl. Baltische Studien I, S. 44.
2) Vgl. die Züge der Dänen nach Wenden von N. M. Petersen in Mém. de la soc. roy. des antiquaires du Nord. Copenhague 1838, p. 93.
3) Ernst v. Kirchberg sagt in seiner Reim=Chronik cap. 87:
Her getruwete synre burge keyn
behalden sundir Werle alleyn,
daz by der Warnow gelegin ist
vnd by Kyssin yn naher frist.
4) P. Lindebergii Chronicon Rostoch. 1596, L. I, cap. VIII, p. 34.
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gum Wick et opidulum Cycneam situm et munitione et loci commoditate firmissimum fuit".

Ihm folgt Latomus in seinem Genealochronicon Megapolitanum (v. J. 1610) 1 ) mit den Worten:

"Es hat aber dieser Herr Nicolaus seinen Sitz gehabt in der Stadt und Haus Werle zwo meilen von Rostock am Flus Warnow beim Dorff Wick und Schwan weiland gelegen";

und Chemnitz in seiner Meckl. Chronik im Leben Nicolaus V, z. J. 1234:

"Von dieser Zeit an (1234) an hat Herr Nicolaus einen Herrn von Werle oder Wenden sich genennet und geschrieben, ohne Zweifel von der uhralten Stadt und Vestung Werle, so zwo meilen von Rostock am Fluß Warnow beym Dorff Wick undt unfern von Schwan weilandt belegen gewesen - - - undt hat seine residentz genommen in Güstrow undt nicht auff dem Hauße Werle, wie Latomus Lib. 2 vermeinet, sintemal solches zu der Zeit schon zerstöret gewesen und über einen hauffen gelegen".

Mantzel adoptirte (1764) diese Ansicht, untersuchte persönlich die Gegend von Wiek und entschied sich dafür, daß Werle bei diesem Orte gelegen haben müsse 2 ).

Durch so viel Zeugen aufmerksam gemacht, untersuchte ich mit Allerhöchster Großherzoglicher Genehmigung die besprochene Gegend und begab mich am 18. August 1840 mit dem Herrn Gerichtsrath Ahrens zu Schwan 3 ), in Begleitung des Herrn Rectors Koch und des Herrn Stadt=Secretairs Peters, nach dem Hofe Wiek, um möglicher Weise die Lage der Burg Werle sicher zu stellen.

Wir wurden auf einen Platz an der Warnow, nahe beim Hofe, geführt, der auf alten Charten und noch heute "auf dem Walle" 4 ) genannt wird. Schon beim ersten Anblick wird man dafür eingenommen, daß hier Werle gelegen habe: die völlige Gleichheit mit der Lage des Burgwalles von Meklenburg ist in hohem Grade überraschend. Das Thal ist hier sehr


1) Vgl. v. Westphalen Mon. ined. IV, p. 211.
2) Vgl. Mantzel's Bericht in den Gelehrten Beitr. zu den Mecklenb. Schwer. Nachr. 1764, Stück 1.
3) Vgl. Jahresber. II, S. 111.
4) Auf einer alten Charte vom J. 1770 beim Amte Güstrow steht an der fraglichen Stelle: "aufn Wall No. 18 - 1805". Die höchste Spitze des Walles heißt hier "Uhlen=Höhrn" (Eulen=Winkel).
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weit und mit weiten und tiefen Wiesenflächen ausgefüllt, durch deren Mitte die Warnow strömt. Im Westen begrenzen das Thal die aufsteigenden Felder von Cambs und Vorbeck, im Osten die bewaldeten Berge, welche von dem Plateau von Mistorf in das Warnow=Thal abfallen und eine Fortsetzung und Wiederholung der bekannten "schwaner Berge" sind. Das Thal der Warnow wendet sich bei Wiek etwas von der nördlichen Normal=Direction gegen Südwest, so daß man von hier rechts hin Schwan und links hin Bützow und darüber hinaus über das weit geöffnete Thal auf die Waldhöhen sieht. Die Lage ist auf jeden Fall sehr passend gewählt; der Blick schweift so weit, als es nur in einem Flußthale möglich zu sein pflegt. Aber auch die nächste Umgebung ist ganz der Lage slavischer Burgen angemessen, da die Wenden ihre Vesten in tiefen Morästen erbaueten. Das ganze Warnow=Thal ist hier ein tiefer, nasser Wiesengrund, der noch jetzt oft unter Wasser steht. Es hat im vorigen Jahrhundert die größte Mühe gekostet, einen Damm vom Hofe nach dem Walle durch die Wiesen zu legen; ja ein Damm versank ganz, so daß jede Spur davon verschwand. Mantzel erreichte bei 30 Fuß Tiefe noch keinen festen Grund unter der Wiesendecke.

In diesem weiten Wiesenplan liegt nun, nahe beim Hofe Wiek, unmittelbar an der Warnow, innerhalb einer Krümmung derselben, der Wall, der ein abgerundetes Oblongum bildet, ungefähr 290 Schritte lang, 260 Schritte breit und 970 Schritte im Umfange, von ungefähr 10 Fuß Höhe. Der Wall ist, wie der Wall von Meklenburg, offenbar von der umgebenden Wiesenerde aufgetragen; denn er erhebt sich scharf aus der Wiesenfläche und besteht aus leichter, ausgedörrter, schwärzlicher Wiesenerde, hin und wieder in der Tiefe mit Sand gemischt, der aus den "Bergen von Mistorf" hergebracht sein mag. Ungefähr in der Mitte, nach der Warnow hin, steigt eine Erhöhung auf, von der man das ganze Terrain übersieht. Zunächst um den Wall sieht man Spuren von einem Graben und einem Erdaufwurfe aus demselben. Von der Erhöhung in der Mitte fällt das Plateau so schroff zur Warnow ab, daß man noch heute die künstliche Auftragung des Walles zu erkennen glaubt. Gegen Südwest geht von der südlichen Mitte des Walles eine sanft ansteigende Auffahrt von der Warnow zur Burghöhe hinauf, flußwärts von einer abgeschnittenen Wiesenecke, landwärts von einer Bruchholzung begrenzt; diese Auffahrt, welche einen Landungsplatz bildet, ist 120 Schritte lang und 40 Schritte breit; das wiesige Vorland an der Warnow ist nur einige Schritte breit. Dort wo dieser Damm das Burg=

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Plateau berührt sieht man noch Spuren von Queer=Wall und Graben, der den Damm von der Burg abgrenzte. - Dies ist die Stelle der Burg Werle. - Landeinwärts nach dem Hofe Wiek hin liegt in der Wiesenfläche ein zweiter, kleinerer und niedrigerer Erdwall in der Form eines Trapezes, der mit dem Hauptwalle durch einen Damm verbunden ist; und von diesem "kleinen Walle" geht ein Weg nach dem festen Lande, auf dem der Hof Wiek liegt. Dieser kleinere Wall, der vor der Burg liegt, mag die Stelle sein, wo in friedlichen Zeiten eine Stadt Werle lag.

Den Hauptbeweis liefern aber die Alterthümer, welche sich auf dem Hauptwalle finden. Bei jedem Schritte stößt man auf jene Gefäßscherben aus der letzten heidnischen Zeit, wie sie auf dem Burgwalle von Meklenburg und in der Ravensburg gefunden werden, sehr häufig mit jenen leichtfertigen, welligen Verzierungen bedeckt, welche diese Zeit charakterisiren. Es ließen sich Fuder von solchen Scherben zusammenbringen, wenn man den Wall umgraben wollte. Doch fehlen jene Scherben des 13. Jahrhunderts aus festem, blaugrauem Thon hier ganz, eben weil Werle nach den Zerstörungen im 12. Jahrhundert nicht, wie Meklenburg, wieder aufgebauet ward. Forscht man weiter, so findet man, daß die ganze Oberfläche über einen Fuß tief mit Scherben, Kohlen, Ziegelstücken, Thierknochen und einzelnen Alterthümern gemengt ist. Die Ziegel bestehen aus leichten, etwas mit Sand gemischten, zerbrechlichen Massen von der Dicke eines Dachziegels und tragen ganz klar Stroheindrücke; sie gleichen durchaus den Ziegelfragmenten, welche in der Ravensburg gefunden wurden. Die Wenden kannten, nach allen Beobachtungen, die Ziegelbrennerei nicht, sondern bauten nur aus Holz, nassem Lehm und Stroh: eine Bauart, die noch heute auf dem Lande in Meklenburg bei Bauerhäusern und kleinen Gebäuden angewandt und "Klemen" genannt wird 1 ). Schwärzlich gefärbte Granitsteine finden sich ebenfalls häufig. An Thierknochen fanden sich einen Fuß tief in der Erde Knochen von einem auffallend kleinen Pferde 2 ) neben Knochen von andern Thieren. Auch fand sich ein Klumpen Eisen, einige Pfund schwer, (wohl ein sicherer Beweis, daß die Wenden ihre Eisengeräthe selbst verfertigten), und ein eisernes Messer von der Form der Messer aus den Wendenkirch=


1) Mantzel hat daher Unrecht, wenn er sagt: "Bedenklich ist es, daß man keine Steinbrocken findet".
2) Nach genauer Vergleichung und Bestimmung des Hrn. Professors Steinhof zu Schwerin.
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höfen einen Fuß tief unter der Erde. Auch Mantzel fand "Schmiede=Schlacken", und sagt: "es bezeugen noch Lebende, daß man große eiserne Thorhaken und ein großes Kesselseil gefunden". Auch ein Schleifstein ward entdeckt. An dem Eingange zur Burg beim Damm zum Landungsplatze hatte der Herr Gerichtsrath Ahrens schon einen Theil eines menschlichen Kinnladens mit den Zähnen und Fragmente eines sehr starken menschlichen Schädels gefunden; in der Tiefe von einem halben Fuß fanden wir an einer entferntern Stelle noch mehr Bruchstücke von einem andern Menschenschädel.

Dergleichen Funde scheinen dafür zu reden, daß hier eine bedeutende wendische Burg gestanden habe, daß diese Stelle die Stelle der Burg Werle sei, um so mehr, da sich zwischen Bützow und Schwan wohl schwerlich eine andere Stelle finden dürfte, wo sie nach wendischer Bauart gestanden haben könnte.

Freilich existirt der Name Werle nicht mehr und es könnte auffallend erscheinen, daß er ganz untergegangen ist; aber Werle ward nach der Zerstörung in den Sachsenkriegen nicht wieder eingerichtet, sondern schon früh dem Bischofe von Schwerin zur Dotation gegeben, verschwindet jedoch bald aus dessen Besitz und aus der Geschichte. Das Gut Wiek war im Mittelalter ein adeliches Lehn. Den Namen erhielt dieses Gut, welches im Mittelalter "de Wiek" genannt wird, wohl von dem Landunsgsplatz, da Wiek im Niederdeutschen einen Ort bezeichnet, wo Schiffe landen und Zuflucht finden können; die neuere Benennung paßt also ganz zu der Localität: denn daß der Ausdruck Wîk aus Wîrl, wie wahrscheinlich Werle im Plattdeutschen ausgesprochen wäre, corrumpirt sei, ist wohl schwer zu glauben 1 ).

Dennoch behielt die Gegend von Wiek für die Herren von Werle das ganze Mittelalter hindurch eine gewisse Wichtigkeit; und dies mag noch mehr dafür zeugen, daß Werle bei Wiek gelegen habe.

Nach Niklots Tode steckten seine Söhne auch die Burg Werle in Brand und flüchteten sich in die Wälder. Der Sachsenherzog unterwarf die übrigen Fürstenburgen sächsischen Vögten; die Burg Werle mit der umliegenden Gegend gab er jedoch Niclots Söhnen wieder. Als diese aber gegen den


1) Auch in dem Lande Rostock gab es einen Ort Wendisch=Wiek, welches die Landesherrschaft im J. 1286 an die Stadt Rostock verkaufte (villam nostram Wendeschen Wyk, vallem castri insuper cum prato adiacente et ad dammonem molendinorum ascendentem).
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herzoglichen Statthalter, Guncelin von Schwerin, wieder aufstanden, mußten sie Werle aufgeben, welches der Statthalter dem Bruder Niclots, Lubimar, anvertraute. Nach manchen Anstrengungen erhielt Pribislav einen geringen Theil des Landes zur Herrschaft wieder, das er seinem Sohne Heinrich Borwin I. hinterließ. Werle verschwindet unter Pribislav aus der Geschichte; er mußte es im J. 1171, als er mit dem Löwen zum heiligen Grabe zog, zur Dotirung des Bisthums hergeben. Nach Pribislavs Tode muß es jedoch während der wiederholten Aufstände der Wenden wieder an den Landesherrn gekommen sein 1 ): im J. 1185 wird das Land Werle (nicht mehr die Burg Werle) zuletzt als bischöflicher Besitz in Urbans Bulle erwähnt; in der ottonischen Confirmations=Urkunde 2 ) vom J. 1211 fehlt es ganz. Die Burg Werle aber kommt in der Dotations=Urkunde vom J. 1171 zum letzten Male vor; wahrscheinlich lag sie wüst. Als Borwin zu Jahren kam und seine Söhne herangewachsen waren, trat er ihnen Landestheile zur Verwaltung ab. Er selbst wohnte zu Meklenburg, welches er wieder aufgerichtet hatte, und nannte sich: Heinrich Borwin, Fürst von Meklenburg. Sein ältester Sohn Heinrich, in der Geschichte gewöhnlich Borwin II. genannt regierte den östlichen Theil des Landes und nannte sich vorherrschend Heinrich Herr von Werle; eben so nennen ihn häufig seine Söhne. Allerdings hatte er die Burg Werle ungefähr um das J. 1200 wieder aufgebaut 3 ): der Ort Werle kommt unter der Regierung der Borwine jedoch nicht weiter vor,


1) Eine große Verwirrung richtet die Wandelbarkeit des Besitzes in dieser Gegend an. In den slavischen Zeiten hieß das nordöstliche Meklenburg Werle, unter Pribislav hieß es Kissin, wie er auch Herr von Kissin genannt wird, nachdem Werle zerstört war, endlich verkleinerten sich die Länder in kleinere Provinzen und aus dem alten Lande Werle oder Kissin entstanden die Provinzen: Rostock (Kissin), Schwan (Werle) und Bützow. Das Land Bützow entstand wohl erst mit der Dotirung des Bisthums Schwerin. Aus allem diesem nur möchte sich die kaiserliche Confirmations=Urkunde vom J. 1181 erklären lassen, in welcher es heißt: "Villas in Kizin, quae pertinere solebant ad Werle, quas quondam dux (Henricus) consensu Pribislavi contulit Botessowe castro". (Schröder P. M. I, S. 478.)
2) Vgl. Franck A. u. N. M. IV, S. 25.
3) Nach Kirchberg Cap. CXIX:

Der strenge Hinrich Burwy,
dem grosze manheit was y by,
nach sins vettirn tode glich
begunde buwen vestiglich
eyne stad zu Rodestog offinpar
vnd dy stad zur Wysmar,
her begunde ouch buwen sidder
dy Burg zu Werle widder,
vnd yn den tziden starb ouch glich
von Swabin keysir Friderich.

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auch nicht einmal bei der Datirung einer Urkunde. Dagegen erhob sich bald nach dem Anfange von des jungen Heinrichs eignem Walten die Stadt Güstrow und ward Hauptresidenz der Herren von Werle. Die Benennung: Herr von Werle, blieb aber bloßer Titel. Nachdem die Söhne Heinrichs volljährig geworden waren und sich vollständig in das Land getheilt hatten, nannte sich der erste Herr des eigentlichen Fürstenthums Werle, namentlich in den Jahren 1243 und 1244, öfter: Heinrich von Werle und Herr zu Güstrow 1 ).

Die nächste Umgebung von Wiek scheint aber den Herren von Werle noch späterhin besonders theuer geblieben zu sein. Den Ort Werle oder Wiek gaben sie wohl schon früh zu Lehn aus; im J. 1219 ist in einer zu Rostock ausgestellten, doberaner Urkunde der Söhne des alten Borwin ein Jordanus miles de Werle Zeuge; dies ist aber auch das letzte Mal, daß Werle außer dem Titel der Fürsten genannt wird 2 ). Zunächst an Wiek oder Werle grenzen aber die Dörfer Misdorf und Rukiet; beide waren, so lange die Herren von Werle existirten, nach Urkunden, Kammer=Domainen derselben, welche sie selbst bewirthschafteten. Misdorf, welches jetzt noch eine kleine Kapelle 3 ) hat, hatte einst eine Mutterkirche und ihr Pfarrer war im J. 1249 Kapellan des Fürsten Borwin von Rostock 4 ). Als für das Haus Werle keine Aussicht zur Vererbung der Herrschaft im eigenen Stamme mehr vorhanden war, stiftete der letzte Fürst von Werle, Wilhelm, ("princeps Slavorum, dominus de Werle, etc."), am Abend vor St. Peter und Paul 1423 in der Kirche zu Misdorf, welche damals schon Filial der Kirche zu Schwan geworden war, an einem eignen Altare Mariens und St. Peters und Pauls eine Vikarei zum ewigen Gedächtnisse seiner Vorfahren und seiner nächsten Verwandten, und damit des ganzen Hauses Werle, und dotirte sie mit der Bede aus den Dörfern Rukiet und Goldewin; der Burgemeister (burgimagister) von Misdorf, Eggert Millies, schenkte zu dem Altar, in dankbarem Gemüthe gegen das untergehende Geschlecht seiner Landesherren, eine Hufe! - Solche


1) "Nicolaus de Werle et dominus in Guztrowe": man vgl. nur Dipl. Dober. in Westph. Mon. III, S. 1484-1486.
2) Die Knappen von Werle, welche im 14. Jahrh. auf Leppin vorkommen, sind wohl andern Geschlechts und stammen wahrscheinlich von dem Gute Werle bei Grabow.
3) Die Kapelle von Misdorf ist ein Kirchlein im kleinsten Format und hat gar nichts Bemerkenswerthes.
4) "Johannes plebanus de Mistisdorph capellanus domini Boriuwini"; vgl. Dargun. Urk. I, S. 87.
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Zeichen einer tiefern Bedeutung dieser Gegend möchten sich mit der Zeit mehrere finden lassen. Als z.B. der junge Fürst Albrecht, nach erlangter Volljährigkeit, mit seiner jugendlichen Gemahlin in sein Land heimgekehrt war und sich zum Schutze gegen seine übermüthigen Vasallen den Bürgern Rostocks in die Arme geworfen hatte, schloß er das erste Schutzbündniß mit seinen Vettern von Werle am 22. October 1336 "by den bergen tho Misdorpe" im Angesichte des alten Werle, - wahrlich nicht ohne Bedeutung! - Auch führte die alte Landstraße von Schwaan nach Güstrow früher näher an Wiek vorbei, indem sie auf dem schwaaner Gebiete von dem Schlosse zu Schwaan zuerst am linken Ufer der Warnow sich hinzog und ungefähr an der Grenze der schwaaner Feldmark oberhalb über die Warnow ging; noch im Anfange des 16. Jahrh. war dieser Weg als der "alte güstrowsche Weg" bekannt und noch in neuern Zeiten sah man im Wasser die alten Brückenpfähle.


Für die Culturgeschichte geben diese Nachforschungen mehrere interessante Resultate. Diese sind nach einigen Andeutungen der alten Chronisten zwar bisher im Allgemeinen bekannt gewesen 1 ); jedoch fehlte ihnen die Begründung durch Anschauung sicherer Localitäten. Die alten Wenden kannten keinen Ziegelbau; alle ihre Gebäude waren höchstens aus Holz und feuchtem Lehm gebauet (= sie waren geklemt); es ist kein Stück eines gebrannten Ziegels auf wendischen Burgstellen gefunden: dünne, vom Häuserbrande gefärbte, sandige Lehmstücke mit Stroheindrücken sind die einzigen Ueberreste, welche vom wendischen Burgbau übrig geblieben sind. Gedeckt wurden die Gebäude wohl nur mit Rohr oder Stroh, wie es noch heute vorherrschend in den meklenburgischen Dörfern Sitte ist. Zu solchen leichten Gebäuden war auch keine starke Fundamentlegung nöthig. Daher fehlen auf den wendischen Burgplätzen auch Ueberbleibsel von Mauern aus Granitgerölle, welche sich sonst oft an der Stelle von Gebäuden aus dem Mittelalter finden. Auch von großen Umwallungen findet sich keine Spur; es giebt allerdings Stellen, wo hohe Wälle aufgeführt waren, weil die Lage auf trocknem Boden, wie zu Arkona, eine stärkere Befestigung erheischte; im Allgemeinen aber fehlen hohe Wälle ganz. Kurz es fehlt den


1) Die Untersuchung über den wendischen Häuser= und Burgenbau nach den alten Chronisten ist wohl am besten geführt von C. F. v. Rumohr in Sammlung für Kunst und Historie, I, 1816, namentlich S. 16 flgd.
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wendischen Burgen Alles, was die deutschen Burgen und Städte charakterisirt. Die wendische Befestigung bestand in der Lage der Burgen in Sümpfen; daher wird noch in dem nächsten Jahrhundert nach der Einführung des Christenthums in den Urkunden so häufig des Dienstes des Burgwerks (structura urbium), als des hauptsächlichsten Dienstes der Unterthanen, gedacht. Die sogenannten wendischen Städte aber waren nichts weiter, als wandernde Ansiedelungen vor den Burgen, und hatten keinen größern Umfang, als die Burgstellen selbst. Große Städte lagen auch wohl nicht in der Lebensweise der Wenden; denn es läßt sich nicht leugnen, daß zur wendischen Zeit der Grundbesitz viel mehr vertheilt war, als in jüngern Zeiten, da in den ältesten Urkunden die Zahl der Ortschaften bedeutend größer ist, als in den nächst folgenden Zeiten 1 ). Auch war die Ausübung der Gewerbe bei den Wenden wohl nicht an größere Ortschaften gebunden, da wir in den Graburnen überall im Lande Metallarbeiten finden, die von großer Tüchtigkeit zeugen. Erst mit der Anlegung der christlich=sächsischen Städte scheinen diese die Sammelplätze der Künstler und Handwerker geworden zu sein; daher kommen denn wohl ohne Zweifel die häufigen Benennungen der Straßen nach den Gewerken in den neu angelegten Städten.

Es wird daher am gerathensten sein, sich die wendischen Ortschaften ungefähr wie die jetzigen meklenburgischen Bauerdörfer vorzustellen.



1) Man denke z.B. nur an die Menge der Ortschaften, welche der Burg Dargun untergeben waren; vgl. Lisch meklenb. Urk. I, Nr. I. und II.